Tierunterstützte Reduktion der Folgen von Deprivation in

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SCHULE FÜR ALLGEMEINE GESUNDHEITS- UND KRANKENPFLEGE
AM SOZIALMEDIZINISCHEN ZENTRUM SÜD DER STADT WIEN
1100 WIEN, Schrankenberggasse 31
TIERUNTERSTÜTZE REDUKTION
DER FOLGEN VON DEPRIVATION
IN KOMMUNALEN EINRICHTUNGEN
DER GERIATRISCHEN
LANGZEITPFLEGE
SABINE FUCHS
Jahrgang 2002/2005
[email protected]
ABGEGEBEN AM 29.10.2004
BETREUENDE LEHRKRAFT: DGKS SUSANNE GFALLER
I
T
INHALTSVERZEICHNIS
1
DEPRIVATION UND AGGRESSION
1.1
1.1.1
1.1.2
1.2
1.2.1
1.2.2
1.3
Deprivation – eine Begriffsklärung
Der Verlust des Bezugsrahmens
Gesellschaft im Wandel
Aggression und Konflikt
Strategien zur Reduktion von Aggression und Konflikt
Symptomatik
Bedeutung des LifeProfile bei der
Erstellung der Pflegeanamnese
Zusammenfassung
1.4
2
TIERE – BEDEUTUNG, EIGNUNG, PROBLEMATIK
2.1
2.1.1
2.1.2
2.2
2.2.1
2.2.2
2.2.3
2.2.2.1
2.2.2.2
2.3
3.
3.1.
3.2
3.3
3.4
3.5
4.
Der positive Einfluß
Reduktion des Aggressionspotentials
durch den Einsatz von Tieren
Konfliktlösungsstrategien unter Einbeziehung von Tieren
Mensch und Tier – Eignungskriterien
Vorraussetzungen von Seiten der Pflegebedürftigen
Vorraussetzungen von Seiten der Tiere
Vorraussetzungen von Seiten des Pflegepersonals
Geeignete Tiere
Tierauswahl und Training erfordern einen Tiertherapeuten
Zusammenfassung
TIEREINSATZ IN KOMMUNALE LANGZEITPFLEGEINRICHTUNGEN
Erwartung und Realität geriatrischer Langzeit-Pflegeeinrichtungen
– ein „kommunales“ Dilemma?
Allgemeiner Wohlstand bedingt höhere Erwartungen
Bauliche Vorraussetzungen und hygienische
Rahmenbedingungen
Einbeziehung des Pflegepersonals
Zusammenfassung
RESUMÉE
2
ABSTRACT
Die demoskopische Entwicklung, sowie die Veränderung der sozialen Strukturen der
modernen Gesellschaft weisen den kommunalen Einrichtungen im Bereich der
geriatrischen Langzeitpflege eine rasch steigende Bedeutung zu. Aus der Deprivation
des Patienten durch die abrupte, erzwungene Änderung der Lebensumstände bei
Übersiedlung in eine geriatrische Langzeitpflege-Einrichtungen resultiert eine
steigende Aggressionsbereitschaft, die durch den Wandel des gesellschaftlichen
Umfeldes in Hinkunft noch weiter zunehmen wird. Da diese zu einer erheblichen
Beeinträchtigung des allgemeinen Pflegebetriebes, ebenso wie zu einer zusätzlichen
Belastung des Pflegepersonals führen, die nicht nur die Effizienz dieser
Einrichtungen, sondern den Pflegeerfolg insgesamt in Frage stellt sind geeignete
Strategien gefordert. Basierend auf einem detaillierten Lebensprofil, sind
Interventionen unter Einbeziehung von Tieren zur Reduktion der Aggressions- und
Konfliktbereitschaft eine geeignete Maßnahme zur sozialen Integration in den PflegeAlltag, und dient somit insgesamt dem Wohlbefinden des Patienten.
3
EINLEITUNG
Nach nun sieben Jahren Arbeit in der geriatrischen Langzeitpflege in kommunalen
Einrichtungen konnte ich feststellen, wie sehr die erzwungene Umstellung der
gesamten Lebensumstände der zu betreuenden betagten Menschen manchmal zu
einer Änderung des Verhaltens führen kann - bis hin zu psychotischen Störungen und dadurch die positive Wirkung der pflegerischen und medizinischen Versorgung
teilweise wieder aufhebt – einschließlich einer deutlich reduzierten Lebenserwartung.
Bei aller Zuwendung erlebte ich immer wieder, daß Menschen gereizt, ja aggressiv
reagierten.
Als Haustierhalterin hatte ich oft die Gelegenheit festzustellen, daß scheinbar
verschlossene und unzugängliche Personen ihr Verhalten gegenüber und in
Gesellschaft von Tieren, sofern sie diesen nicht grundsätzlich ablehnend
gegenüberstehen, unbewußt verändern. Ich begann mich daher zunächst mit der
Frage zu beschäftigen, ob der Einsatz von Tieren in der Pflege und Betreuung im
geriatrischen Bereich, den ich für prinzipiell sinnvoll hielt, auch in der Praxis
umsetzbar ist.
Bei näherem Hinsehen konnte ich feststellen, daß es mittlerweile eine Reihe
wissenschaftlicher Arbeiten gibt, die sich mit der Rolle der Tiere in der geriatrischen
Pflege insgesamt beschäftigen und in ihrer positiven Einschätzung übereinstimmen,
sowie daß diese im Ausland bereits geübte Praxis mittlerweile auch in Österreich
Einzug gehalten hat und von einigen Organisationen und Vereinen mit großem
Enthusiasmus betrieben wird. Als ich vor vier Jahren von Graz an das
Geriatriezentrum am Wienerwald kam, erhielt ich Kenntnis von den bahnbrechenden
Leistungen der Primaria Dr. Eva Fuchswans, die an ihrer Abteilung den Einsatz von
Tieren seit mehreren Jahren mit Erfolg praktiziert und gleichzeitig bemüht ist, in enger
Zusammenarbeit mit in- und ausländischen Organisationen Standards auf diesem
Gebiet den Weg zu bereiten.
Die Bedeutung des Einsatzes von Tieren in der geriatrischen Langzeitpflege darf
mittlerweile als wissenschaftlich unbestritten gelten, die Erweiterung der anerkannten
Pflegekonzepte durch die Animal Assisted Therapy scheint dies zu unterstreichen.
Jedoch habe ich den Eindruck gewonnen, daß der psychische und soziale
Stabilisierungseffekt, der dadurch entstehen kann, in der Literatur oft nur als positiver
Nebeneffekt sozusagen mitgenommen wird; im Vordergrund stehen zumeist die
physiotherapeutischen Belange in der geriatrischen Betreuung – und auf die
besonderen psychischen Bedingungen der stationären Langzeitbetreuung in
kommunalen Pflegeeinrichtungen wird dabei so gut wie gar nicht eingegangen.
Im Folgenden soll dargestellt werden, daß dem Einsatz von Tieren in der stationären
geriatrischen Pflege eine wesentliche Rolle bei der Vermeidung
jener
Begleitumstände spielen können, die in der Folge der sozialen und psychischen
Deprivation, wie sie durch den stationären Aufenthalt in Pflegeinrichtungen zu
beobachten sind. Ich habe dazu zunächst mehrere ausführliche Gespräche mit
Personen aus dem Bereich der Soziologie geführt, um die Mechanismen des
Aggressions-Aufbaus besser verstehen zu können.
4
Da ich selber zwei Katzen als Haustiere halte, kamen mir bald einige Zweifel
bezüglich der uneingeschränkten Nutzbarkeit dieser Tiere; da bei der Lektüre
einschlägiger Arbeiten immer wieder auf die hervorragenden Eigenschaften von
Hunden hingewiesen wurden, ließ ich mich in dieser Frage von Hundezüchtern
beraten.
Ich möchte an dieser Stelle zunächst Frau Primaria Dr. Eva Fuchswans danken, die
mich nicht nur durch Rat und Tat unterstützt und ihr Archiv zur Verfügung gestellt hat,
sondern auch durch ihren Enthusiasmus zusätzlich ermuntert hat. Besonders
hervorheben möchte auch den Verein „TAT – Tiere als Therapie“ an der Wiener
Veterinärmedizinischen Universität, der mir sein in der Tat äußerst umfangreiches
Archiv an Veröffentlichungen zu relevanten Themen zur Verfügung gestellt hat
Ebenso gilt mein Dank Frau Mag. Roswitha Engel, die mich durch ihre Weitsicht
veranlaßte, mein Thema frei zu wählen und wertvolle Anregungen bei der
Entwurfsausarbeitung gegeben hat, sowie meinem Klassenvorstand und
Betreuungsperson DGKS Susanne Gfaller, die mich nicht nur bei der Ausarbeitung
der Arbeit in der nunmehr vorliegenden Form uneingeschränkt unterstützt hat,
sondern mir auch durch Zuspruch und Beständigkeit in schwierigen Zeiten hilfreich
zur Seite gestanden ist.
5
1
DEPRIVATION UND AGGRESSION
1.1
Deprivation – eine Begriffsklärung
Der Begriff der Deprivation bedeutet den Entzug oder das Vorenthalten von
bedürfnisbefriedigenden Objekten und Reizen; der Begriff findet in verschiedenen
Zusammenhängen in der Sozialpsychologie seine Verwendung; für die Situation der
geriatrischen Langzeitpflege kommt vor allem der sozialen Deprivation und der
sensorischen Deprivation (vgl. FRICKE, 2001) Bedeutung zu.
Die soziale Deprivation in der geriatrischen Langzeitpflege resultiert aus dem
subjektiven Empfinden der Betroffenen, das sich aus der radikalen Umstellung und
oftmals erzwungenen Umstellung der Umgebungsbedingungen ergibt. Dabei spielt
neben dem Verlust des Rückzugsbereiches auch der erzwungene Verzicht auf den
Gebrauch bestimmter Güter des täglichen Bedarfs, die von manchen Betagten aber –
anders als von jüngeren Generationen - als „Luxusgüter“ empfunden werden, sowie
das plötzlich veränderte soziale Umfeld eine wesentliche Rolle.
Bei der Übersiedlung in eine Einrichtung der geriatrischen Langzeitpflege können die
bislang üblichen sozialen Kontakte – vor allem im Nachbarschaftsbereich – aufgrund
mangelnder Mobilität nicht mehr aufrecht erhalten werden; da zumeist auch die
früheren Nachbarn bereits betagt sind, ist auch hier mit eingeschränkter Mobilität zu
rechnen: Besuche aus dem früheren Umgebungsmilieu sind daher ausgesprochen
selten, oder unterbleiben gänzlich. Hier darf vor allem nicht übersehen werden, daß
gerade die ältere Generation besonders auf einen bestimmten Lebensmittelpunkt
fixiert ist; anders als bei nachfolgende Generationen spielte sich praktisch das
gesamte Leben innerhalb eines fest umrissenen Bezugsrahmens ab: Wohnen,
Einkaufen, Arbeiten – all dies blieb zumeist auf die unmittelbare Nachbarschaft
beschränkt, ausgedehnte Ausflüge oder Urlaube in weit entfernten Regionen waren
damals nicht üblich.
War eine ausgeprägte Mobilität in Bezug auf Ortsveränderungen damals also
durchaus nicht üblich, so kommt bei den Betagten oftmals eine eingeschränkte
Wahrnehmung erschwerend hinzu, die abhängig von Gesundheitszustand und der
individuellen Disposition, die möglichen erzielbaren Vorteile, die durch die
Übersiedlung in eine Pflegeeinrichtung realisiert werden können, nicht mehr klar
erkennen läßt. Nicht nur, daß oft die eigene Bedürftigkeit in Bezug auf Unterstützung
und erforderliche Pflege nicht klar erkannt wird, tendieren besonders ältere Menschen
häufig dazu, altersbedingte Gebrechen oder Einschränkungen zu verschleiern: immer
häufiger ergibt sich für die Betagten aus der Verbindung des „Nicht-mehr gebrauchtwerdens“ beim Ausscheiden aus dem Arbeitsprozeß und dem Auftreten von
altersbedingten Einschränkungen jenes Gefühl, das sehr oft die Sinnhaftigkeit der
eigenen Existenz nachhaltig in Frage stellt. All diese Verluste, zusammen mit der
Unmöglichkeit, den eigenen, oft als sinnstiftend empfundenen Gewohnheiten weiter
nachgehen zu können, schafft eine Ausgangslage, auf die Betagte ungleich sensibler
reagieren.
Bei der Übersiedlung in eine Einrichtung der geriatrischen Langzeitpflege ergeben
sich also grundlegende Veränderungen für die Gewohnheiten der Betagten, die – aus
seiner Sicht - den Verlust des Privateigentums und der Verfügungsgewalt über die
6
Güter des täglichen Bedarfes ebenso einschließt, wie den vollständigen Verlust des
sozialen Umfeldes.
„Das Fehlen von Ausstattungsmerkmalen oder die eingeschränkte Teilnahme an
sozialen Aktivitäten wird von den Betagten als Deprivation erlebt.“ (vgl. LIPSMEIER,
ANDRESS, 2001).
Die sozialen Deprivation läßt sich im Wesentlichen als Form von sozialer Isolation
beschreiben. Soziale Isolation hat schwerwiegende Auswirkungen auf
Wohlempfinden und Leistungsfähigkeit des Menschen, bis hin zu neurotischen
Erkrankungen.
Die sensorische Deprivation ist in der geriatrischen Langzeitpflege durch den Verlust
der Bezugspersonen und den daraus resultierenden Verlust an sensorischen Reizen
(Berührungen etc.) gegeben, der durch das Pflegepersonal nur schwer ausgeglichen
werden kann; die Berührungen des Pflegepersonals werden oft nicht als persönliche
Zuwendung, sondern als bloße Verrichtung einer Arbeit aufgefaßt.
Hier sei auf die von RUNCIMAN geprägte Theorie der relativen Deprivation
verwiesen, weil der von Pflegebedürftigen erlebte Verlust aus ihrem subjektiven
Empfinden entspringt, und diese daher der Situation eher gerecht wird.
RUNCIMAN kennzeichnet die relative Deprivation folgendermaßen:
- Vergleich mit anderen, ob man gut genug dasteht, entsprechend seinem
Status, Rang, Verdienst.
- Es geht nicht nur um kognitive Einordnung, sondern um affektive Bewertung
und normative Rechtfertigung.
- Persönliche „egoistische“ relative Deprivation: man steht schlechter da, als
einem zusteht. und kollektive „fraternalistische“ relative Deprivation: die
Gruppe steht schlechter da, als ihr zusteht.
- Nur bei kollektiver relativer Deprivation entstehen Diskriminierungsansätze,
soziale Unruhe, Militanz. (vgl. RUNCIMAN, 1966)
In diesem Zusammenhang soll noch auf die besondere Gruppenproblematik in
stationären Pflegeeinrichtungen hingewiesen werden: wenn mehrere Personen sich
durch die Deprivation betroffen fühlen, kann dies zu einer Solidarisierung und
Gruppenbildung führen. Gruppen aber zeigen höheres Aggressionspotential als
Individuen (vgl. INSKO, SCHOPLER, 1998).
1.1.1 Der Verlust des Bezugsrahmens
Mit dem Eintritt des Pflegebedürftigen in eine Einrichtung der geriatrischen
Langzeitpflege ist der abrupt einsetzende Verlust des bisher gültigen Bezugs- und
Werterahmens gegeben. Die davor gegebene, weitgehende Unabhängigkeit in
persönlichen Entscheidungen, die Veränderung der Umgebung, der Verlust von
Bezugspersonen und Privatsphäre, der Verlust der Verfügbarkeit von bestimmten
Gebrauchs-, Konsum- und Luxusgütern wird ersetzt durch weitgehende
Fremdbestimmung. Stärker als bei Belassung im eigenen Umfeld wird das Erleben
der eigenen Bedeutungs- und Machtlosigkeit, sowie der Verlust der bislang als
sinnstiftenden Lebensordnung erlebt. Besonders das Gefühl, „nicht mehr gebraucht“
7
zu werden, und damit anderen zur Last zu fallen, verstärkt sich. Darüber hinaus
haben ältere Menschen oft Scheu, ihre Gebrechen, körperliche Beeinträchtigungen
oder Krankheiten offen einzugestehen; die „Einmischung“ bislang völlig fremder,
unbekannter Personen (i.e. Pflegepersonal) ohne die Möglichkeit eines
unverletzbaren, im Sinne des Wortes privaten Rückzugsbereiches erhöht die
Bereitschaft, sich mental von seiner Umwelt abzugrenzen und das als Eindringen in
den privaten Bereich empfundene Wirken der Pflegepersonen wird daher ablehnend
aggressiv beantwortet. Die Sicherheit in der pflegerischen und medizinischen
Versorgung wird von den Betroffenen oft als zweitrangig empfunden, um so schwerer
wiegt der Verlust der sozialen Kontakte und materiellen Güter.
1.1.2 Gesellschaft im Wandel
Die Gesellschaft der postindustriellen Ära ist in einem tiefgreifenden Wandel
begriffen. Neben einer Veränderung des Arbeitslebens durch den Umbau zur
Dienstleistungsgesellschaft, die zu einem weiteren Aufbrechen der traditionellen
Familienstruktur führen wird, gibt es gleichzeitig einen deutlichen demographischen
Trend in Richtung überalterter Gesellschaft. So wird in absehbarer Zeit bereits ein
Drittel der österreichischen Gesamtbevölkerung über 60 Jahre alt sein und aufgrund
steigender medizinischer Versorgung hat die durchschnittliche Lebenserwartung
bereits einen Level erreicht, wo mit immer mehr altersbedingten Erkrankungen zu
rechnen ist.
Aufgrund der geänderten Arbeitssituation, die eine immer weitergehende Flexibilität
der in den Arbeitprozeß eingebundenen Personen erfordert, können Pflegeaufgaben,
die bis über die Mitte des 20.Jahrhunderts weitgehend vom Familienverband erledigt
werden konnten, nicht mehr in diesem Rahmen wahrgenommen werden. Ursachen
dafür sind einerseits die arbeitsplatzbedingten Migrationsbewegungen, wodurch der
Familienverband schon örtlich aufgelöst wird, andrerseits kommt es, bedingt durch
mehrfache Ortswechsel, nicht nur zu immer mehr Ehescheidungen, sondern auch zu
immer weniger Familienneugründungen. Durch den vermehrten Trend zum SingleDasein wird nicht nur die Geburtenrate weiter sinken, die vorhandenen Kinder binden
das Betreuungspotential, sodaß für die Pflege und Betreuung der Betagten immer
öfter entsprechende Einrichtungen herangezogen werden müssen.
Da eine Betreuung in ausschließlich privat orientierten Einrichtungen für die
Betroffenen oft nicht leistbar ist, ergibt sich ein verstärkter Bedarf nach
entsprechenden Betreuungsplätzen, die von den einelnen Kommunen zur Verfügung
gestellt und betrieben werden müssen.
Waren betagte Menschen aufgrund der wirtschaftlichen und sozialen Gegebenheiten,
die sie in jüngeren Jahren erlebten, in der Mitte des vergangenen Jahrhunderts relativ
anspruchslos, was ihre Erwartung in Bezug auf kommunale Einrichtungen
anbelangte, so hat sich die Situation bereits zum Ausgang des 20.Jahrhunderts
radikal verändert.
Der wirtschaftliche Aufschwung machte relativen Wohlstand immer breiteren
Schichten zugänglich. Nicht nur der durchschnittlich zur Verfügung stehende
Wohnraum, auch die Ausstattung und deren Anpassung an individuelle Bedürfnisse
sind ein Gradmesser für die Veränderungen. Galt etwa ein Farbfernsehgerät Anfang
der Siebziger Jahre des 20.Jahrhunderts noch als Luxusgegenstand, so bildet er
8
heute – ebenso wie Kühlschrank und dergleichen - einen Gebrauchgegenstand des
Alltags.
Mit der steigenden wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Aufbaugeneration stiegen
nicht nur die Ansprüche und Erwartungshaltungen in Bezug auf das selbstbestimmt
geführte Leben, sondern auch die Ansprüche an die sozialen Einrichtungen.
Der Verlust jeglicher Privatsphäre, das stark eingeschränkte Raumangebot,
Konsumgüter oder alltägliche Gebrauchsgegenstände – Stichwort: Farbfernseher –
die mit Anderen gemeinsam benutzt oder geteilt werden müssen, bedingen den
Rückzug in die innere Emigration bei den Betroffenen.
Durch den medizinischen Fortschritt konnte die Lebenserwartung immer weiter
gesteigert werden. Potentiell lebensbedrohende Krankheiten oder altersbedingte
Erkrankungen können heute in einem Maße beherrscht werden, der immer mehr
Menschen immer länger ein oft beschwerdefreies, wenn auch von Einschränkungen
geprägtes Leben bis ins hohe Alter ermöglichen. Da immer mehr Menschen immer
älter werden, steigt die Anzahl derer, die aufgrund altersbedingte Erkrankungen zu
einer eigenständigen und selbstbestimmten Lebensführung nicht mehr in der Lage
sind und einer institutionalisierten Pflege bedürfen. Der plötzliche Verlust der
Fähigkeit, das Leben selbst zu gestalten, sowie die gesteigerten Bedürfnisse und
Erwartungen gegenüber den sozialen Einrichtungen bedingt in vielen Fällen eine
mentale Reservation gegen die geriatrischen Langzeit-Pflegeeinrichtungen.
1.2
Aggression und Konflikt
Die in der radikalen Umstellung der Umgebungsbedingungen erlebten Verluste an
vermeintlicher Lebensqualität beim Eintritt in eine geriatrische LangzeitpflegeEinrichtung lassen sich unter dem Deprivationsbegriff subsumieren. Als Konsequenz
aus der verweigerten Bedürfnisbefriedigung resultiert ein wachsendes
Aggressionspotential, das sich letztlich entweder in der Auto-Aggression oder im
Konflikt mit dem (vermeintlichen) Gegner entlädt.
Für den geriatrischen Langzeit-Pflegling stellt sich das Pflege-Personal als „ModellFeind“ dar: denn dieses ist einerseits der täglich erlebte (und ständig erlebbare)
Repräsentant der Institution, und das Personal entscheidet aus der Sicht des
Pflegepatienten allein über die Verteilung der „Ressourcen“.
Dazu gehören im Pflegebereich vor allem Zuwendung und Aufmerksamkeit. Da das
Erringen der Aufmerksamkeit aus der Sicht der Patienten ein Nullsummen-Spiel ist –
was ich gewinne, verliert der andere – sind für den Patienten besondere Strategien
notwendig, um zum Erfolg zu gelangen. Das bedingt nicht nur eine besonders
gespannte Situation in Bezug auf das Aggressionspotential gegenüber dem
Pflegepersonal, sondern auch gegenüber den Mitkonkurrenten: in diesem Falle
gegenüber den anderen Pflegepatienten.
Entsprechend der Theorie des realistischen Gruppenkonflikts (vgl. SHERIF
u.SHERIF, 1969) entstehen diese Interdependenzen aus dem „Wettbewerb um die
knappen Ressourcen“ (die Zeit des Pflegepersonals ist beschränkt!). Das
Aggressionspotential bildet sich nicht aufgrund der personellen Disposition, sondern
aufgrund der Mangelsituation.
Die aus der Deprivation resultierenden Aggressionen manifestieren sich aber nicht
nur im Wettbewerb um die knappen Ressourcen, sondern ebenso im
9
Kommunikationsverhalten der Betagten. Das kann bis zur kompletten Verweigerung
jeglicher Kommunikation und Kooperation mit dem Pflegepersonal gehen; durch
Abschalten des Hörgeräts etwa kann der Patient seine Ablehnung besonders
augenscheinlich demonstrieren.
Unbewältigte Aggressionen sind darüber hinaus häufig die Ursache für depressive
Verstimmungen; anders als bei Jüngeren besteht für die Betagten oftmals keine
effektive Möglichkeit, Konfliktlösung und Aggressionsabbau aus eigener Kraft
einzuleiten; durch die besondere gesundheitliche Disposition neigen Betagte in einem
konfliktgeprägten Umfeld zu einer wesentlich höheren Krankheitsanfälligkeit. Oftmals
sind diese Konflikte Auslöser für depressive Verstimmungen; bei entsprechender
Disposition führen diese bis hin zum suizidalen Affekt.
Wenn es zum Konflikt kommt, kann dieser durch die deprivationsbestimmte Haltung
weiter eskalieren: die Polarisation – Patient-Pflegepersonal – führt zur Verhärtung der
vorgefaßten
Meinungen,
das
Setzen
von
Drohgebärden
oder
Verweigerungshaltungen verschärft die Feindseligkeiten: in der Folge werden alle
Handlungen des Pflegepersonals als bewußt feindselig gesetzte Akte interpretiert,
diese „polarisierte Wahrnehmung“ führt zum „Schwarz-Weiß-Denken“ und dieses
mündet in Angst, Streß und Ärger, das vereinfachtes Denken zur Folge hat und
letztlich die weitere Eskalation.
1.2.1 Strategien zur Reduktion von Aggression und Konflikt
Die Strategie zur Reduktion des Aggressionspotentials bestehen im Wesentlichen in
der
Etablierung von übergeordneten Zielen, die nur gemeinsam – von
Pflegepersonal und Patient - erreicht werden können.
Zur Reduktion von Aggression und daraus resultierender Diskriminierung empfiehlt
sich zur Konfliktvermeidung im Detail folgende Vorgangsweise für das
Pflegepersonal:
- Veränderung von Wahrnehmungen und Reaktionen: Hinweisreize und
Mittel für Aggression sind gering zu halten; Hilfestellung bei der Reflexion und
Neuinterpretation von Informationen über die „Anderen“; Empathie und
Perspektivübernahme verdeutlichen die Bereitschaft, persönliche Beziehungen
aufzubauen.
- Intergruppen-Kooperation: Übergeordnet Ziele etablieren, die nur erreicht
werden können, wenn beide Gruppen kooperieren.
- Revision der Kategoriegrenzen („Patienten“, Pflegepersonal“):
Zugehörigkeit zu einer gemeinsamen Kategorie, Minderung der
Kategoriegrenzen durch Kreuzkategorisierung.
- Kontakthypothese: Verdeutlichung von Inkonsistenzen in der
Wahrnehmung und Bewertung.
Dabei soll jedoch klar herausgestellt werden, daß den persönliche Beziehungen
zwischen Patienten und Pflegepersonal bei der Bewältigung dieser Problematik erste
Priorität zukommt (vgl. BROWN, 1988)
10
1.2.2 Symptomatik
Besonderes Augenmerk ist daher auf die Anzeichen der Deprivation und dem sich
daraus aufbauenden Aggressionspotential zu legen. Die genaue Beobachtung des
Patienten durch das Pflegepersonal hat daher nicht nur hinsichtlich medizinischer
Kriterien zu erfolgen sondern auch geänderte Verhaltensweisen sowohl gegenüber
anderen Patienten, als auch in Bezug auf das Pflegepersonal zu berücksichtigen und
zu dokumentieren..
Auffällige Verhaltensweisen wie Nahrungsverweigerung müssen durchaus nicht
immer Indikator für eine manifeste organische Erkrankung sein, sie können ebenso
Ausdruck einer Konfliktsituation sein.
Daher ist darauf zu achten, ob
- Antriebslosigkeit
- allgemeine Passivität
- plötzliche Zurückgezogenheit
- Verweigerung der Teilnahme an Aktivitäten
- Verweigerung der Kommunikation
- Verweigerung der Nahrungsaufnahme
- Verweigerung der Kooperation
- das Auftreten von Angst
- Ärger
- Streß-Symptome
immer tatsächlich durch organische Befunde motiviert sind. Es sei nur am Rande
darauf hingewiesen, daß gerade betagte Personen auf psychosomatisch motivierte
Beschwerden sensibler reagieren.
1.3
Bedeutung eines LifeProfile bei der Erstellung der Pflegeanamnese
Um das Auftreten eventueller Deprivationserscheinungen besser beurteilen zu
können, ist es vor allem notwendig, neben den detaillierten medizinisch Befunden
sich auch eine genaue Kenntnis der Lebensumstände des Patienten zu verschaffen.
Neben einem Lebenslauf sollen auch seine wesentlichen Vorlieben und
Gewohnheiten dargestellt werden; soweit dies möglich ist, sind dazu auch die
nächsten Angehörigen heranzuziehen.
Es soll anhand dieses LP möglich sein, nicht nur Einblick in das soziale Umfeld des
Patienten zu erhalten, sondern auch seine individuellen Prägungen beurteilen und
einschätzen zu können. Insgesamt soll das LP ermöglichen, dem Patienten so
gegenüber treten zu können, daß das Auftreten von aggressionsfördernden
Schlüsselreizen von Anfang an auf ein absolutes Minimum reduziert wird.
Im Hinblick auf die Möglichkeit des therapeutischen Einsatzes von Tieren ist auch die
persönliche Disposition des Patienten im Hinblick auf diese Tiere zu erheben. Neben
den allgemeinen medizinischen Aspekten sind mögliche Allergien sowie individuelle
Neigung oder Ablehnung bestimmter Tiere zu erheben, weiters ob und welche Tiere
der Patient als Haustiere hatte, oder ob es einen anderen Zugang gegeben hat. So
sind selbst im urbanen Raum oft Tiere als Nutztiere oder Sportgeräte in Verwendung;
auch diese Besonderheiten sollen entsprechend berücksichtigt werden.
11
1.4
Zusammenfassung
Die plötzliche und teilweise unfreiwillige Überführung in eine andere als die gewohnte
Umgebung führt bei Betagten zu weitgehenden Einschränkungen im individuellen
Verhalten und der Bedürfnisbefriedigung, der als Deprivation erlebt wird. Diese
Deprivation führt zu einem Ansteigen des Aggressionspegels, der sowohl das
Pflegepersonal, als auch die anderen Pflegepatienten massiv belasten kann und
somit den Betreuungserfolg insgesamt in Frage zu stellen vermag. Ebenso ist
bekannt, daß nicht bewältigte Aggressionen die Ursache weitreichender
Bewußtseinstörungen sein können; ebenso, daß depressive oder aggressive
Verstimmungen unter Betagten unmittelbarer und effektiver pathogen wirksam
werden, als bei jüngeren Personen.
Die Deprivation als Hauptursache der Aggression und der daraus resultierenden
Konflikte wird künftig an Bedeutung zunehmen, da sich einerseits der
Lebensstandard immer weiterer Bevölkerungskreise in den letzten Jahren ständig
erhöht hat und dadurch höhere Ansprüche an die sozialen Einrichtungen gestellt
werden, andrerseits durch die steigende Lebenserwartung eine immer größere
Menge an Menschen wegen altersbedingter Einschränkungen in Mobilität und
Kognition betreut werden müssen.
Zur
Reduktion
deprivationsbedingter
Aggressionen
ist
es
notwendig,
aggressionsfördernde Schlüsselreize weitgehend zu minimieren, und durch
persönliche Anteilnahme eine Beziehung zum Patienten aufzubauen, um ihm bei der
Reflexion und Interpretation seiner Wahrnehmungen hilfreich beistehen zu können.
Um die Vorraussetzungen zur Vermeidung der relativen Deprivation zu schaffen, sind
bei der Erstellung der Pflege-Anamnese nicht nur ausschließlich die medizinischen
Aspekte zu erheben, sondern ebenso individuellen Besonderheiten, die sich aus der
Biographie des Pflege-Patienten ergeben. Im speziellen Fall der tierunterstützten
Pflege und Therapie ist zu beachten, daß nicht nur alle vorhanden Allergien
dokumentiert werden, sondern auch, welche Rolle Tiere im Leben des PP bislang
gespielt haben.
12
2
Tiere – Bedeutung, Eignung, Problematik
2.1
Der positive Einfluß
In ungezählten Berichten und Veröffentlichungen wird bereits zum Thema „Tiere und
Therapie“ übereinstimmend vom positiven Einfluß von Tieren berichtet. Zahlreiche
Studien aus den USA, England, Frankreich und Australien berichten über
Erfahrungen in Spitälern und Pflegeheimen bei tierunterstützten Aktivitäten (AAA) und
tierunterstützter Therapie (AAT). Das Tier, so der einhellige Tenor, wirke beruhigend,
blutdrucksenkend, motivierend, aggressionshemmend; als Co-Therapeut in der
Physiotherapie hilft es, die Patienten zu motivieren, ihre Übungen zur Behandlung der
Muskelkontraktionen zu betreiben u.ä.(vgl. KILIAN, 1999). Neben dem rein
therapeutischen Einsatz wie etwa in der Physiotherapie kommt dem Tier aber auch
eine
besondere
Bedeutung
in
der
Betreuung
von
Betagten
in
Langzeitpflegeeinrichtungen zu(vgl. FUCHSWANS).
Während die tierunterstützten Aktivitäten (AAA) vor allem dazu beitragen sollen, die
Lebensqualität durch Unterstützung von motivationsfördernden, erzieherischen,
unterhaltenden, entspannenden und therapeutischen Maßnahmen zu erhöhen, soll
die tiergestützte Therapie vor allem eine Verbesserung in physischer, sozialer,
emotioneller und kognitiver Hinsicht fördern.
Können die tiergestützten Aktivitäten auch und vor allem von Freiwilligen
durchgeführt werden, so bedarf die AAT eines eigens in Gesundheitsberufen
ausgebildeten Therapeuten. AAT kann in verschiedenen Formen erfolgen, entweder
als Gruppentherapie oder Individualtheraphie; darüber hinaus wird sie dokumentiert
und evaluiert.
Gerade im Bereich der Geriatrie wird der Einsatz von Tieren im Rahmen von AAA
und AAT immer populärer. Die Anwesenheit von Tieren gibt dem älteren Menschen
das Gefühl, wieder Verantwortung tragen zu können, im besten Sinne „gebraucht“ zu
werden. Das Tier vermittelt Zuwendung und Zärtlichkeit, die sonst aufgrund der
besonderen Umstände entbehrt werden müssen. Tiere akzeptieren vorhandene
Einschränkungen oder Behinderungen und fördern die sozialen Kontakte unter den
Patienten ebenso, wie zwischen Patienten und Pflegepersonal. Therapietiere
ermutigen gerade auch Patienten mit Einschränkungen und Behinderungen dazu,
sich ohne Scheu gegenüber dem Tier zu äußern.
So wurde beobachtet, daß Patienten mit seniler Demenz, die zu einer geordnete,
sinnvollen Kommunikation mit dem Pflegepersonal offensichtlich nicht mehr imstande
waren, sich gegenüber den Therapietieren völlig geordnet und klar zu artikulieren.
Eine wesentliche Rolle kommt den Therapietieren auch als Motivationsfaktor bei der
physischen Rehabilitation zu; körperliche Verbesserung konnten sowohl im Bereich
von Kontrakturen beobachtet werden, wie bei Sprechhemmung nach
Sprachstörungen bei Schlaganfällen: die Hemmschwelle der Betagten im Umgang
mit Tieren ist wesentlich geringer angesetzt. Ebenso konnte bei Patienten nach
Herzinfarkten, die regelmässig Tierkontakte hatten, eine wesentlich höhere
Überlebensrate im ersten Jahr ereicht werden. Sie sollen jedoch niemals den
zwischenmenschlichen Kontakt ersetzen, sondern als „sozialer Katalysator“ Wirkung
entfalten.
13
2.1.1 Reduktion des Aggressionspotentials durch den Einsatz von Tieren
Der für unsere Betrachtung wesentliche Aspekt liegt vor allem in der beruhigenden
und aggressionshemmenden Wirkung, die die Anwesenheit von und der Kontakt mit
Tieren auf den Menschen hat. Für die von sozialer und sensorischer Deprivation
betroffenen Langzeit-Pflegepatienten mit alters- oder krankheitsbedingten
Einschränkungen in Mobilität, Sensorik oder Sprachstörungen bedeutet die
vorurteilsfreie Zuwendung etwa eines Hundes, der sich auch wegen Inkontinenz des
Patienten nicht zurückziehen wird, die Rückerlangung jener sozialen Kompetenz und
Selbstbestätigung, die sie durch ihre Einschränkungen verloren glaubten. Über die
Tierkontakte ergeben sich – ganz im Sinne des sozialen Katalysators –
Anknüpfungspunkte nicht nur mit den anderen Patienten, sondern auch mit dem
Pflegepersonal. Indem auf diese Art und Weise eine – wenn auch eingeschränkte soziale Integration ermöglicht wird, verringert sich gleichzeitig das aggressive
Potential, das durch die Verweigerung der Kontaktnahme mit anderen Personen
aufgebaut wurde.
Ebenso ist bei fortschreitendem Alter das unablässige Training der vorhandenen
kognitiven, sensorischen und motorischen Fähigkeit unabdingbar notwendig, wenn
nicht hier durch Vernachlässigung ein Totalausfall provoziert werden soll. Dieses
kann nun im Umgang mit Tieren vollzogen werden, wobei der Verringerung der
erlebten oder subjektiv empfunden Deprivation den Haupteffekt bilden sollte.
2.1.2 Konfliktlösungsstrategien unter Einbeziehung von Tieren
Unter 1.2.1 wurden verschiedene Strategien zur Aggressionsreduktion vorgestellt und
beschrieben; die meisten dieser Vorgangsweisen bieten geeignete Ansatzpunkte für
den Einsatz von Tieren. Kontaktnahme und der Aufbau einer persönlichen Beziehung
zwischen Pflegepersonal und Pflegepatient, lassen sich oft unter Miteinbeziehung
von Tieren leichter vollziehen.
Unter Berücksichtigung der durch das LifeProfile gewonnen Erkenntnisse können
einerseits geeignete Tiere, andererseits geeignete Beschäftigungsmuster erstellt
werden, mit denen der Pflegepatient in die Pflegeumgebung erfolgreich und effizient
integriert werden kann.
Dazu empfiehlt sich – analog zu den Vermeidungs- und Konfliktlösungsstrategien –
die Beachtung folgender Vorgangsweisen:
- Vermeidung von aggressionsfördernden Schlüsselreizen:
Schon beim Eintritt ist auf die Wahl eines entsprechende Behandlung des
Pflegepatienten zu achten, die
unter weitgehender Beachtung seiner
Individualität auf eine möglichst frühzeitige Einbindung in das Leben auf der
Pflegestation abzielt. Neben bewußten Verzicht auf das Herausstreichen der
Autorität soll der PP durch die offensive Aufforderung, an den Aktivitäten der
Gruppe teilzunehmen, möglichst rasch Gelegenheit haben, sich an sein
„Neues“ soziales Umfeld zu gewöhnen. Bei der Betreuung von Tieren soll
dem neuankommenden Patienten möglichst früh eine bestimmte Rolle
zugewiesen werden, die ihm seine Bedeutung und Eigenverantwortung
suggeriert. (z,B. Teilnahme an der Fütterung, später Käfigreinigung bei
14
kleineren Tieren, etc.) Darüber hinaus sollte einegehenden Möglichkeit haben,
sich mit den Tieren zu beschäftigen. Keinesfalls darf der Eindruck entstehen,
daß der Umgang oder die Beschäftigung mit den Tieren ein von
Pflegepersonal gewährtes Privileg ist, das jederzeit widerrufen werden kann.
- Veränderung von Wahrnehmungen und Reaktionen, Hilfestellung bei der
Reflexion und Neuinterpretation von Informationen über die „Anderen“.
Im Rahmen der Beschäftigung mit den Tieren soll das Pflegepersonal etwa bei
eingeschränkten Sozialkontakten mit anderen Mitpatienten das Gespräch
fördern, das Tier als „Sozialen Katalysator“ nützen, in dem Sinne wie etwa:
was denkt NN über das Tier, würde er bereit sein, Verantwortung zu
übernehmen. Dadurch kann bei den Pflegepatienten die Bereitschaft erreicht
werden, sich in die Rolle des Anderen hineinzuversetzen; diese
Perspektivübernahme bildet oftmals den ersten Schritt, wenn es darum geht
die Bereitschaft zur Anknüpfung einer persönliche Beziehungen aufzubauen.
Diese Strategie braucht sich nicht allein auf die Verbesserung des Umganges
allein
unter
den
Pflegepatienten
zu
beschränken,
auch
zur
Verständlichmachung der Positionen des Pflegepersonals ist die
Perspektivübernahme ein geeigneter Ansatz.
- Intergruppen-Kooperation: besonders wenn sich innerhalb der Pflegpatienten
einzelne Gruppen bilden, die sich im Wettbewerb um die Ressourcen befinden,
kann das zwischen den Gruppen etablierte, mehr oder weniger unterschwellige
Aggressionspotential am Besten dadurch eingeschränkt werden, daß man ein
bestimmtes Ziel vorgibt, das nur durch die Zusammenarbeit und gemeinsame
Anstrengung der Gruppen erreicht werden kann.
Dieses „Etablieren von übergeordneten Zielen“ kann nun in der Erlangungen
besserer Unterbringungsbedingungen für die zu betreuenden Tiere genauso
bestehen, wie in der Erstellung von Schautafeln oder der Beurteilung von
Verhaltensweisen durch ausgedehnte Beobachtung.
- Revision der Kategoriegrenzen („Patienten“, Pflegepersonal“):
Durch das Bewußtmachen der gemeinsamen Verantwortlichkeit für das
Wohlergehen der Tieres können die Kategoriegrenzen aufgebrochen werden,
in der Folge wird das klassische Feindbild des Pflegepatienten brüchig und
erleichtert die Beziehungsaufnahme. („Nicht alles, was von der Station kommt,
ist schlecht.“)
- Verdeutlichung von Inkonsistenzen in der Wahrnehmung und Bewertung:
über die Beschäftigung mit dem Tier und in der Unterhaltung über das Tier
können andere Sichtweisen eingebracht und erörtert werden. Der
Pflegepatient soll - wiederum anhand der Perspektivübernahme - dazu
motiviert werden, Sichtweisen und Interpretationen zu hinterfragen.
Die Etablierung von gemeinsamen Zielen im Zusammenhang mit Tieren steht
naturgemäß im Vordergrund; Hier soll vor allem darauf hingewiesen werden, dass
gerade das Pflegepersonal in diese übergeordneten Ziele aus der Sicht des
Pflegepatienten mit eingebunden und beteiligt sein muß.
15
Erst wenn auch kommuniziert werden kann, daß die Verantwortung bzw. die Sorge
um das Wohlergehen des Tieres von Seiten des Personals mit den Pflegepatienten
geteilt wird, wobei von seiten des betreuenden Pflegepersonals immer wieder
herausgehoben werden soll, daß nur die gemeinsame Anstrengung, das Miteinander
von Patient und Pflegepersonal, das Erreichen dieses Ziel gewährleistet, bildet die
AAt und AAA auch die Grundlage für vertrauensbildende Massnahmen.
Die Etablierung gemeinsamer Ziele spielt, wie gezeigt wurde, beim Aufbrechen der
klassischen Kategoriegrenzen eine entscheidende Rolle; die Aufweichung der
Kategoriegrenzen aber bildet ihrerseits die wesentliche Vorraussetzung zur
Ausschaltung von aggressionsfördernden Schlüsselreizen.
2.2
Mensch und Tier – Eignungskriterien
Sowohl für den Pflege-Patienten als auch für die einzusetzenden Tiere müssen
bestimmte Eignungskriterien festgelegt werden, wenn das angestrebte Ziel – die
Verringerung der relativen Deprivation und das dadurch aufgebaute Konfliktpotential
– erreicht werden soll. Darüber hinaus bedarf es aber auch geeigneter Tierbetreuer
und- Therapeuten, die sowohl imstande sind, die Tiere entsprechend ihrer
Verwendung entsprechend vorzubereiten, aber auch auf Stress-Symptome sowohl
bei Mensch, als auch bei den Tieren entsprechend einzugehen imstande sind.
2.2.1 Vorraussetzungen von Seiten der Pflegebedürftigen
Im Allgemeinen kann davon ausgegangen werden, daß das Durchschnittsalter der
Bewohner von Langzeitpflege-Einrichtungen ansteigen wird. Während die Bedeutung
allergische Reaktionen im Allgemeinen mit fortschreitendem Alter mehr oder weniger
abnimmt, ist durch die - teilweise altersbedingte - bereits vorhandenen
Grunderkrankungen, wie etwa KHK oder Diabetes, ein erhöhtes Gefahrenpotential
gegeben: eine erhöhte Empfänglichkeit für Krankheitserreger aller Art, darunter auch
alle jene, die potentiell von Tieren übertragen werden können. Ebenso sind eventuell
vorhandene Abwehrschwächen bei den Betagten daher in ausreichendem Masse zu
berücksichtigen.
Wenn auch von abnehmender Bedeutung im Alter - eine wesentliche menschliche
Vorraussetzung bildet zweifellos die Allergiefreiheit bei den Pflege-Patienten; diese
sollte bereits bei der Erstellung der Pflege-Anamnese bei der Aufnahme
entsprechend festgestellt und belegt werden.
Ebenso muß sichergestellt sein, daß der Pflege-Patient der Einbeziehung von Tieren
nicht ablehnend gegenübersteht. Unter Einbeziehung des LifeProfile sollte es möglich
sein, die bisherigen Erfahrungen des Pflegepatienten mit Tieren im Laufe seines
Lebens zu evaluieren und demzufolge eine Vorauswahl geeigneter Tiere,
entsprechend den individuellen Ansprüchen und Erwartungen zu treffen; jedenfalls
sollte der Patient in diesen Prozeß miteingebunden werden.
16
Körperliche Einschränkungen in Bezug auf Motorik, Sensorik, Sprachleistung etc.
sind keinesfalls ausreichende Gründe, die betreffende Person von der Kontaktnahme
mit den Tieren auszuschließen.
2.2.2 Vorraussetzungen von Seiten der Tiere
Generell muß über die Eignung von Tieren zum Einsatz in der geriatrischen Pflege
nach folgenden Kriterien vorgegangen werden:
- Tiere, die in direkten, unmittelbaren Kontakt mit den Pflege-Patienten treten
- Tiere, die nicht für den direkten Kontakt geeignet sind, deren Einsatz aber im
Sinne der Beruhigung praktikabel scheint.
Da hier nur auf die Reduktion des Aggressionspotentials, das sich durch Deprivation
ergibt, eingegangen werden soll, scheint jene Gruppe von Tieren, mit denen ein
direkter Kontakt nicht möglich ist – e.g. Fische – und die lediglich beruhigend wirken
sollen, weniger geeignet, Interventionen zur Aggressionsminderung zu unterstützen.
Da die besonderen Umgebungsbedingungen vor allem hinsichtlich eingeschränkter
sozialer Kontakte charakterisierbar sind, soll der Zugang zu den Betagten vor allem
über diese sozialen Kontakte möglich werden.
Berühren, Streicheln, kombiniert mit dem Faktor Zeit – all diese Handlungen, die dem
Pflegepatienten Akzeptanz, Zuneigung und Geborgenheit vermitteln sollen,
unterbleiben gewöhnlich wegen Arbeitsüberlastung des Pflegepersonals im
pflegerischen Alltag.
Tiere hingegen, die berührt, gestreichelt werden können und selbst in der Lage sind,
die vom betagten Pflegepatienten entgegengebrachte Aufmerksamkeit und
Zuneigung unmißverständlich zu erwidern, scheinen hierfür besonders geeignet. Für
die Zielsetzung ist daher lediglich jene Gruppe von Tieren relevant, die in direkten
Kontakt mit dem Pflege-Patienten treten und von diesen berührt werden können; es
soll daher ausschließlich auf diese eingegangen werden.
Für Tiere die im direkten Kontakt mit den Pflege-Patienten stehen können folgende
Vorraussetzungen festgelegt werden:
Das Tier
-
-
soll im haptischen Erleben als angenehm empfunden werden,
daher sind Tiere mit „Fell“ bevorzugt,
muß aufgrund seines artspezifischen Wesens und Verhaltens
für den Umgang mit Menschen geeignet sein und zur Verminderung
etwaiger Berührungsängste von Seiten der Pflege-Patienten dem üblichen
Haustier-Schema entsprechen,
muß unter Beachtung der für den stationären Pflegebetrieb erforderlichen
hygienischen Vorgaben gehalten werden können,
muß aufgrund seiner arttypischen Charaktereigenschaften für den
Umgang mit Betagten geeignet sein.
17
Die Gruppe „Tiere als Therapie“, die bereits über mehrjährige Erfahrung im Umgang
mit geriatrischen Langzeit-Pflege-Patienten im Geriatriezentrum am Wienerwald
verfügt, hat dazu folgende „Gütekriterien“ erstellt (vgl. TIERE ALS THERAPIE, 2003):
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
Umwelt- und Sozialsicherheit,
Sicherheit bei Begegnungen, ungewöhnlichen Bewegungsmustern und
Geräuschen,
optimales Kennen- und Verstehen-Lernen seines Hundes,
optimale Zusammenarbeit Mensch-Tier,
Erkennen wichtiger Zusammenhänge mit Patienten,
Einblicke in Abläufe in den besuchten Institutionen,
Selbstbewußtsein und Sicherheit in ruhigen Situationen – in Streß-Situationen
gegen Patienten und Kinder, gegen fremde Menschen im täglichen Leben
gegen andere Hunde und andere Tierarten,
enge Bindung an seine/n Menschen,
gute Führigkeit und Übereinstimmung des Teams,
Sicherheit bei Geräuschen,
Sicherheit bei optischen Reizen,
Freude der Tiere an der Begegnung mit und der Berührung durch Menschen.
2.2.3
Vorraussetzungen von Seiten des Pflegepersonals
Die Vorraussetzungen für Patienten gelten im Wesentlichen auch für das
Pflegepersonal, was Allergiefreiheit und grundsätzliche Bereitschaft, mit den Tieren
zu arbeiten anbelangt. Dabei ist zu berücksichtigen, daß aufgrund der Einbeziehung
von Tieren für das Pflegepersonal ein erhöhter Arbeitsaufwand zu bewältigen ist.
Einerseits müssen die Tiere betreut, gefüttert und gepflegt werden, andrerseits sind
den besonderen hygienischen Ansprüchen der Pflegeeinrichtungen Rechnung zu
tragen.
Darüber hinaus ist es erforderlich, das Pflegepersonal besonders darauf hinzuweisen,
daß auch Tiere einem besonderen Streß in bestimmten Situationen ausgesetzt sind;
das Personal muß in der Lage sein, allfällige Streßzeichen zu erkennen und
entsprechend zu handeln. So muß sichergestellt sein, daß auch den Tieren gewisse
Regenerations- und Erholungszeiträume zugestanden werden können.
2.2.2.1
Geeignete Tiere
Geeignete Tiere für den Einsatz in der Aggressionsreduktion sind nicht automatisch
solche, die die oben genannten Kriterien mehrheitlich oder in ihrer Gesamtheit
erfüllen;
besondere Bedeutung kommt der interdisziplinären, Beurteilung des
Patienten zu.
Unter Einhaltung und Beachtung der oben angeführten Kriterien zeigt sich, daß
einige üblicherweise als Haustiere gehaltenen Tierarten nicht restlos den
Anforderungen entsprechen.
So gelten bestimmte Klein-Nagetiere wie Hamster oder Meerschweinchen als wenig
Streß-resistent, Katzen hingegen sind manchmal unberechenbar und ähnliches.
18
Die Problematik der Heimtierhaltung, einschließlich des Verletzungsrisikos wurde
bereits von anderer Seite dargestellt (vgl. BEINSTINGL, 1996), deshalb soll hier nicht
näher darauf eingegangen werden.
Die Eignung des Tieres ist auf den speziellen Anlaßfall hin zu überprüfen. Ein PflegePatient, der am Beginn der Konfliktphase steht und beispielsweise im Zuge der ersten
hausinternen Aktivitäten von einem Hamster gebissen wird, sieht dies als Bestätigung
seiner vorgefaßten, negativen Meinungen über die Anstalt, das Pflege-Personal etc.
Ein solcher Vorfall wird also eher zur Konflikteskalation beitragen.
Im unserem besonderen Fall benötigt der Patient ein Tier, daß ihm seine
uneingeschränkte Aufmerksamkeit zuteil werden läßt – und dies vor allem so tut, daß
der Patient dies bemerken muß, auch wenn Kognition und Interpretation durch die
motivierte Konstruktion der Realität massiv verzerrt sind.
In diesem Fall wird das Mittel der Wahl ein Hund sein: Hunde kennen keine
Vorurteile; beschränkte Mobilität, Motorik und Sensorik, Sprachbehinderung oder
sonstige Störungen (etwa Inkontinenz) stossen einen Hund nicht ab. In unserem
besonderen Fall soll der Hund auch nicht zu klein sein: der Hund soll selbst die
Aufmerksamkeit auf sich ziehen können – unser Modell-Patient wird sich am Anfang
eher reserviert verhalten – denn schließlich gehört das für ihn „alles irgendwie zum
Pflegeheim“, das er ja ablehnt. Der Hund muß also schon durch seine schiere Masse
„unübersehbar“ sein, und Interesse und Aufmerksamkeit auf sich ziehen, bzw. auch
selbst „an den Mann bringen“ können. Darüber hinaus soll das Tier eine gewisse
Ruhe und Gelassenheit ausstrahlen, nicht unmotiviert kläffen und sich nicht hektisch
bewegen. Bei Einbeziehung in die stationäre Pflege sei noch darauf hingewiesen,
daß große Hunde auch für Pflege-Patienten, die eines Rollstuhls bedürfen, eher
geeignet sind, als kleine.
2.2.2.2
Tierauswahl und Training erfordern einen Tiertherapeuten
Für den genannten Aufgabenbereich ist eine besondere Auswahl und Ausbildung der
eingesetzten Tiere erforderlich, die nach den o.a.Begriffen zu erfolgen hat. Um
dieses sicherzustellen, wird es notwendig sein, in Österreich die Grundlagen für den
Beruf des Tiertherapeuten zu schaffen, der nicht nur im Bereichen der
Humanpsychologie und Human-Medizin eine gewisse Grundausbildung erhält,
sondern ebenso im Bereich Veterinär-Medizin, und darüber hinaus eine ausreichende
Praxis mit Tieren zu absolvieren hat.
Bei im Rahmen der Pflegeeinrichtung gehaltenen Tieren ergeben sich folgende
Bereiche für das Tätigkeitsprofil des Tiertherapeuten (nach FUCHSWANS):
•
•
•
•
Streicheln der Tiere, um sie handzahm zu machen
Bekanntmachen der Tiere untereinander (verschiedene Tierarten sollten
gemeinsam in der Gruppe einsetzbar sein)
Gewöhnung der Tiere an verschiedene äußere Einflüsse, bzw. besondere
Umgebungsbedingungen (Gerüche, Geräusche, Lärm etc.)
Gewöhnung der Tiere an Fahrzeuge, Transporte und ggf. öffentliche
Verkerhsmittel
19
•
Besonders Training der einzelnen Tiere; diese sind je nach Habitus
unterschiedlich veranlagt und müssen teilweise so früh wie möglich auf ihren
Einsatz in Pflegeinrichtungen vorbereitet werden.
So sind etwa Katzen ortsgebundene Lebewesen, die, wenn sie nicht im Rahmen
einer Station gehalten werden können, von Klein auf an immer wiederkehrende
Ortsveränderungen gewöhnt werden müssen. Auch Hunde bedürfen, wenn sie im
Rahmen der Interventionen zur Aggressionsminderung optimal eingesetzt werden
sollen einer umfassenden Ausbildung; in einem guten Therapiehund sollen sich
Temperament (Spielfreude) mit Sanftheit und Gehorsam vereinen.
Besonders der Einsatz von Hunden in geriatrischen Langzeit-Pflegeeinrichtungen
verdient eine Anmerkung: so herausragend die Erfolge, die mit ihnen erzielt werden
können, so ist doch auch auf die Sensibilität dieser Tiere Rücksicht zu nehmen. Es ist
daher unbedingt anzuraten, daß Hunde der ausschließlichen Obhut durch den
Tiertherapeuten anheim fallen und sich die dauerhafte Unterbringung im Rahmen
einer Pflegestation als nicht empfehlenswert darstellt; aufgrund der immer wieder
auftretenden Mortalitätsfälle wird das Tier in besonderem Masse emotionell belastet.
Um die Häufung derartiger Stress-Situationen möglichst zu verringern, ist die
Unterbringung beim Tiertherapeuten angezeigt.
Ebenso obliegt dem Tiertherapeuten die Durchführung einer artgerechten Pflege und
Haltung der Tiere. Dazu gehört die Reinigung der Käfige bei Kleintieren ebenso, wie
Fellpflege, Kontrolle der Kotproben und Kontrolle von Nägeln und Krallen. Darüber
hinaus hat er regelmäßige tierärztliche Kontrollen zu veranlassen, sowie die
fristgerechte Verabreichung aller erforderlichen Impfungen sicherzustellen.
Zum Arbeitsbereich des Tiertherapeuten gehört auch die Vorbereitung verschiedener
Akvtivitäten:
• Bastelarbeiten für den Bedarf der Tiere (z.B. Hundekörbe,
Kletterspielzeug)
• Anfertigung von Futterplakaten (e.g.“Was frißt unser Tier?“)
• Sortieren des Fotomaterials zur gemeinsamen Erstellung einer Bildtafel
• Planung von Ausflügen oder Exkursionen (z.B. gemeinsamer Besuch von
Hunde- oder Katzenaustellungen)
• Einbeziehung in die Physiotherapie, Erstellung von Übungsmöglichkeiten
• Wecken des Verantwortungsbewußtseins beim Pflegepatienten, dadurch
Hebung des Selbstwertgefühls
• Sprachtraining mit Patienten, die an Sprachstörungen leiden,
Einbeziehung in die Logotherapie
• Arbeit mit bettlägerigen Patienten: Einbeziehung des Tieres in das
allgemeine Rehabilitationsprogramm
• Gruppentherapie mit Patienten unter Einbeziehung von Tiergruppen.
Im Sinne der sozialen Reintegration und Minimierung aggressionfördernder
Schlüsselreize wird nicht nur der Gruppentherapie, sondern auch der Einzeltherapie
eine besondere Schlüsselrolle zukommen. Der Tiertherapeut ist daher gefordert,
unter Einbeziehung des LifeProfile Vorgangsweisen zu entwickeln, die der
individuellen Prägung einzelner Pflegepatienten entsprechen.
20
Darüber hinaus hat er aber auch die Aufgabe, das Pflegepersonal durch Information
und Einbeziehung in seine Arbeit miteinzubinden; dadurch soll eine besondere
Motivation des Pflegepersonals erreicht werden, die im Hinblick auf den
erforderlichen Mehraufwand an Arbeit bei der Tierhaltung unbedingt notwendig ist.
Deprivationsmechanismen und Gruppenprozesse bleiben schließlich nicht auf
Pflegepatienten beschränkt.
2.3
Zusammenfassung
Der positive Effekt des Einsatzes von Tieren im geriatrischen Bereich ist mittlerweile
unbestritten, und erprobt. Zur geriatrischen Langzeit-Pflege gehört nicht nur die
Sicherstellung medizinischer und vitaler Standards, sondern ebenso die Sorge um
das psychische Wohlbefinden des Langzeit-Pflegepatienten im Alltag.
Den aus der relativen Deprivation resultierenden Aggressionen und Konflikten, die
sich beim Eintritt eines Pflege-Patienten in eine stationäre Einrichtung der
Langzeitpflege durch eine radikale Umstellung der Lebensgewohnheiten sowie des
sozialen und ökonomischen Umfeldes abrupt ergeben, kann durch das
Pflegepersonal allein nicht in vollem Umfang entgegengearbeitet werden; der Wegfall
des normalen sozialen Umgangs bedingt im Wege der relativen und sozialen
Deprivation, in manchen Fällen auch der sensorischen Deprivation, den Aufbau eines
Aggressionspotentials, das den Pflegebetrieb beeinträchtigt, das Pflegepersonal
belastet und dadurch den Pflege-Erfolg insgesamt in Frage stellt; zusätzlich sind
Aggressionssymptome wie Angst, Ärger oder Streß für betagte Personen pathogene
Faktoren, die zu einer erhöhten Mortalitätsrate führen.
Der betroffene Patient polarisiert alle Vorkommnisse entsprechend seiner
vorgefaßten Meinung und bezieht alle kognitiven und emotionellen Prozesse mit ein.
Entsprechend seiner Wahrnehmung wird ihm in der Pflege-Einrichtung das
vorenthalten, was ihm nach seinem Empfinden zusteht; alle Vertreter dieser
Einrichtung – einschließlich des Pflegepersonals und der Mitpatienten – werden so
als Feinde erlebt.
Um dieses aus der Deprivation resultierende Aggressionspotential reduzieren zu
können, bedarf es der Intervention zur Etablierung von übergeordneten Zielen, die
nur gemeinsam – von Patienten und Pflege-Personal erreicht werden können;
gleichzeitig erfüllt diese Vorgangsweise den Zweck, das eingefahrene
Kategorisierungsdenken aufzubrechen.
Vorraussetzung für diese Vorgehensweise sind vertrauensbildende Maßnahmen, die
den Pflege-Patienten davon überzeugen, daß nicht alles gegen ihn arbeitet.
Im Zuge des Einsatzes von Tieren in der geriatrischen Pflege und Physiotherapie
konnte man feststellen, daß Tiere beruhigend wirken, aggressionshemmend und
sogar blutdrucksenkend. Diese besonderen Eigenschaften erlauben, daß Tiere zur
Verminderung der sozialen und sensorischen Deprivation eingesetzt werden.
Vorrausgesetzt, der Pflege-Patient leidet an keiner relevanten Allergie und steht
Tieren nicht prinzipiell ablehnend gegenüber (was aus der Pflege-Anamnese
abzuleiten sein muß!) können zur Reduktion der Aggression z.B. Hunde eingesetzt
werden; diese sind vorurteilsfrei, aufmerksam und lassen sich durch keine Form der
körperlichen oder mentalen Beeinträchtigung abschrecken. Vor allem dem PflegePatienten ungeteiltes Interesse und Aufmerksamkeit zukommen zu lassen, sind in
diesem Prozeß der wesentliche Faktor.
21
Darüber hinaus bildet die gemeinsame Anstrengung von Patient und Personal um die
„Pflege und Betreuung“ des Tieres jenes übergeordnete, nur gemeinsam erreichbare
Ziel, dessen Etablierung zur Überwindung der Gegensätze erforderlich ist. Damit das
Bemühen um das Tier vom Patienten als „gemeinsame Anstrengung“ verstanden
wird, bedarf er der Anleitung zur entsprechenden Interpretation seiner Wahrnehmung;
dieses wird durch Perspektivübernahme durch das Pflegepersonal im persönlichen
Gespräch erreicht.
Das Tier bildet für beide Seiten einen der Bezugs- und Angelpunkte, und ermöglicht
so die Bildung von Vertrauen auf Seite der Pflege-Patienten.
Als Tiere für diesen besonderen Fall eignen sich am Besten größere Hunde, die
entsprechend bestimmter Kriterien, wie Streßsicherheit und Charakterfestigkeit,
ausgewählt und ausgebildet werden müssen. Größere Hunde deshalb, weil sie eher
Aufmerksamkeit auf sich ziehen, als Kleine, wenn es darum geht, zunächst
reservierten Personen entgegenzutreten und weil sie eher imstande, die von ihnen
gegebene Aufmerksamkeit nachdrücklich zu vermitteln.
Für die Auswahl und Ausbildung dieser Tiere wird es erforderlich sein, einheitliche
Standards zu schaffen. Ebenso sind gesetzliche Grundlagen für den Beruf des
Tiertherapeuten zu schaffen, der geeignete Tiere auszuwählen und auszubilden hat;
und ebenso Tier-Arbeit und Einsatz interdisziplinär koordiniert und betreut.
Aufgrund der demographischen und ökonomischen Gegebenheiten werden die
Anforderungen an stationäre Langzeit-Pflege-Einrichtungen ständig größer; die
zunehmende Belegung durch immer ältere Menschen bedingt Kapazitätsprobleme,
die geänderten Lebens-Gewohnheiten werden aber immer weniger mit den
Ausstattungsstandards der stationären Langzeit-Pflege-Einrichtungen korrelieren. Die
gesteigerte Erwartungshaltung der Pflege-Patienten bedingt somit über den Weg der
Deprivation ein gesteigertes Aggressionspotential, das letztendlich den Pflegeerfolg
in Frage stellen muß.
Der Einsatz von Tieren kann durch Verringerung der Deprivation und der damit
verbundenen Aggressionen einen wesentlichen Beitrag dazu leisten, daß die PflegePatienten in jenem Masse emotionell stimuliert und betreut werden, wie dies auf
medizinisch-therapeutischen Gebiet für den somatischen Bereich geschieht.
22
3.
Tiereinsatz in kommunale Langzeitpflegeinrichtungen
3.2.
Erwartung und Realität geriatrischer Langzeit-Pflegeeinrichtungen
– ein „kommunales“ Dilemma?
Aufgrund gewisser Vorkommnisse sind Pflegeeinrichtungen in den letzten Jahren
verstärkt in den Blickpunkt des öffentlichen Interesses gerückt. Für die kommunalen
Einrichtungen, die im wesentlichen Standards setzen sollen, gilt seit jeher, daß sie
von den Medien und der Öffentlichkeit nicht nur besonders deutlich wahrgenommen
werden, sondern auch vorzugsweise im Mittelpunkt der Kritik stehen.
Wenngleich viele der im Laufe der letzten Zeit geäußerten Kritikpunkte und
Beanstandungen vor allem einen deutlichen Mangel an grundlegender Kenntnis über
die Pflege betagter Menschen offenbaren, so verdienen doch einige der
vorgebrachten kritischen Anmerkungen Beachtung.
Dabei geht es aber nicht vordergründig um das immer wieder kritisierte
zahlenmässige Verhältnis zwischen Pflegepersonal und PflegePatienten oder
angebliche Misshandlungen, sondern zunächst einmal um die Frage, warum
Pflegeeinrichtungen im Allgemeinen in der breiten Öffentlichkeit einen zwiespältigen
Ruf genießen. Die Vorkommnisse der späten 80er Jahre im größten europäischen
Pflegeheim allein dafür verantwortlich zu machen, greift zu kurz.
Wird heute die Sinnhaftigkeit (und dringende) Notwendigkeit von kommunalen
Pflegeeinrichtungen heute von der jüngeren Generation nicht mehr ernsthaft in
Abrede gestellt, so wurden derartige Einrichtungen – oder besser: deren Vorläufer –
als Unterbringungsmöglichkeit für Pflegebedürftige nur der untersten sozialen
Schichten betrachtet. Neben einer medizinischen Betreuung und Pflege konnte oft
lediglich den minimalsten Grundansprüchen Rechnung getragen: Essen und
Schlafplatz wurden gestellt, und im Wesentlichen waren damit auch die sozialen
Standards der unteren Gesellschaftsschichten bereits übererfüllt. Schließlich konnte
damals nicht jeder damit rechnen, in fortgeschrittenem Alter hinreichend versorgt zu
sein: Versorgung der Betagten hieß die Devise (und die Namensgebung des Platzes
vor dem Geriatriezentrum in Lainz – Versorgungsheimplatz - ist hier durchaus als
programmatische Äußerung zu verstehen).
Viele ältere Menschen sind aber in den Vorstellungen (und Vorurteilen) jener früheren
Zeiten verhaftet, und betrachten die Option des Aufenthaltes in einer kommunalen
Langzeitpflege-Einrichtung vor allem als sozialen Abstieg, und deutlichstes Zeichen
einer Abschiebung einer Gesellschaft, deren reibungsloses Funktionieren sie durch
ihre altersbedingten Einschränkungen behindern.
3.4
Allgemeiner Wohlstand bedingt höhere Erwartungen
Im Laufe der Entwicklung – vor allem während der wirtschaftlichen Boomjahre nach
dem Ende des Zweiten Weltkrieges – änderten sich die Lebensbedingungen
grundlegend und rasch. Wie nie zuvor waren weite Kreise der Bevölkerung von
einem tiefgreifenden Wandel erfaßt, der immer breiteren Bevölkerungsschichten
einen ständig wachsenden, relativen Wohlstand zugänglich machte. Gleichzeitig
wurde eine umfassendes soziales Sicherungsnetz geschaffen, das im Zuge der
wirtschaftlichen Boomphasen nicht nur immer weiter ausgebaut wurde, sondern
23
zunehmend die Befriedigung grundlegender Bedürfnisse aus der individuellen
Verantwortung
in
den
Zuständigkeitsbereich
übergeordneter
staatlicher
Einrichtungen überführte. Neben der staatlich geregelten und garantierten Krankenund Pensionsversicherung gewährleistet die öffentliche Hand heute praktisch eine
umfassende soziale und medizinische Betreuung, die sich nicht mehr am
individuellen wirtschaftlichen Leistungsvermögen des Betroffenen orientiert. In der
Folge wuchsen dementsprechend die Erwartungshaltung und die Ansprüche weiter
Kreise der Bevölkerung an die sozialen Einrichtungen, respektive wird heute
grundsätzlich erwartet, daß auf jeden auftretenden Versorgungsengpaß zuerst von
der Kommune reagiert werde, und in der Folge die entsprechenden Einrichtungen
finanziert, gestellt und betrieben werden müssen.
Aufgrund der wirtschaftlichen und sozialen Umstände erscheint heute für immer
weitere Teile der Bevölkerung, vor allem im urbanen Raum, die Betreuung und
Versorgung nicht mehr ausreichend mobiler betagter Angehöriger weder praktikabel,
noch durchführbar oder leistbar. War der Zusammenhalt innerhalb der Großfamilie,
begünstigt vor allem durch die räumliche Konzentration der einzelnen
Familienmitglieder noch bis in die Mitte des 20.Jahrhunderts auch im urbanen
Bereich keineswegs die Ausnahme, so setzt sich die Auflösung des
Großfamilienverbandes heute bereits in weitgehend landwirtschaftlich geprägten
Regionen fort.
Die wirtschaftlichen Notwendigkeiten (e.g. Arbeitsplatz weiter vom Wohnort entfernt)
sowie die damit verbundene erhöhte Mobilität brachten damit die Bereitschaft den
gemeinsamen Wohnort zu verlassen und zur Familiengründung einen neuen Platz
heranzuziehen. Aufgrund des mangelnden wirtschaftlichen Leistungsvermögens ist
es aber heute für Familien praktisch nicht möglich, am neu gewählten
Lebensmittelpunkt ausreichend Wohnraum zu beschaffen, der – aus der subjektiven
Sicht der Betroffenen – die Aufnahme der Elterngeneration ermöglicht.
(Paradoxerweise ist man in diesem Bereich mit dem Umstand konfrontiert, daß seit
Beginn des vorigen Jahrhunderts zwar der individuelle Wohnraum, bezogen auf die
Einzelpersonen wohl ständig zugenommen hat, gleichzeitig aber die Bereitschaft
abnimmt, diesen vermehrten Wohnraum zu teilen.)
Die öffentlichen Einrichtungen zur Versorgung und Betreuung Betagter praktisch bis
zum Lebensende haben daher heute , so die Erwartungshaltung, auch den allgemein
gestiegenen Lebensstandards Rechnung zu tragen. Erschien in den dreissiger
Jahren des 20.Jahrhunderts die Unterbringung in Mehrbettzimmern noch als
durchaus zumutbar, so ist diese Form (weder in Spitälern noch in LangzeitpflegeEinrichtungen) heute gegenüber einer kritischen Öffentlichkeit kaum noch
argumentierbar.
War Privatsphäre in früheren Zeiten ein Luxusgut, so begründet der Begriff heute
einen allgemeinen Anspruch, der weitgehend als heute allgemein garantiertes
Grundrecht angesehen wird. Diese verlangte Privatsphäre beinhaltet nicht nur die
Forderung nach ausreichendem Wohnraum, der es dem Individuum ermöglicht, sich
aus der Gemeinschaft bei Bedarf zurückzuziehen, sondern auch die weitere
Verfügungsgewalt über gewisse Gebrauchsgegenstände, die heute als unentbehrlich
angesehen werden, und darüber hinaus gerade von Betagten auch die Zugehörigkeit
zu einer bestimmten sozialen Schicht dokumentieren soll. Der Verlust aller dieser
Komponenten eines als geordnet und normal
empfundenen
Lebens führt
24
dementsprechend bei der oft erzwungenen Verbringung in eine Einrichtung der
geriatrischen Langzeitpflege zu einer tiefen Verunsicherung, die von den Betagten
nicht mehr geeignet bewältigt werden kann.
Nun mißt sich medizinischer Fortschritt nicht ausschließlich an der technischen
Beherrschung von Krankheiten oder der Zuverlässigkeit von Maschinen,
ebensowenig wie die soziale Ausrichtung einer Gesellschaft nicht nach der Größe
oder Unterbringungskapazität ihrer sozialen Einrichtungen beurteilt werden kann.
Dazu kommt noch, daß die Sicherstellung einer geeigneten medizinischen Betreuung
heute als selbstverständlich angesehen wird, und keinen Wert an sich mehr darstellt.
Da aufgrund eingeschränkter kognitiver Fähigkeiten oft auch die Notwendigkeit einer
stationären Versorgung oft nicht mehr kommunizierbar ist, reduziert sich das
subjektive Erleben der Übersiedlung in eine solche Einrichtung oft auf das
„Abgeschoben werden“, das bei den Betroffenen zu einer zusätzliche Frustration
führt. All diese Umstände, zusammen mit einer erzwungenen Aufgabe der gewohnten
Umgebung, der bisherigen Sozialkontakte (Einbindung in die Nachbarschaft etc) und
der Verfügungsgewalt über Privatsphäre und Gebrauchsgegenstände führt zu einer
Situation, die allzuoft als ausweglos angesehen wird, und für den Betroffenen als „no
win“-Situation bilanziert wird.
Daraus resultiert, in Verbindung mit dem in den Augen Betagter geringem
Sozialprestige
öffentlicher
Pflegeeinrichtungen
ein
weitaus
höheres
Aggressionspotential als bei den Bewohnern der sehr kostspieligen SeniorenResidenzen, die gleichwohl eine Vollbetreuung von ausschließlich bettlägerigen
Pflegepatienten gar nicht übernehmen. Aus diesem Grund ist es gerade für die
kommunalen Einrichtungen der geriatrischen Pflege besondere Maßnahmen zu
setzen.
3.3
Bauliche Vorraussetzungen und hygienische Rahmenbedingungen
Wie die Erfahrungen aus dem In- und Ausland zeigen, sind besondere bauliche
Vorsorgen für den Einsatz von Tieren im Rahmen der geriatrischen
Pflegeeinrichtungen nicht erforderlich. Es gibt auch keine besonderen baulichen
Vorraussetzungen, die bereits bestehende Einrichtungen aufweisen müssen, daher
kann die tierunterstützte Aktivität wie auch die tierunterstützte Therapie zumeist ohne
Einschränkungen in den Betrieb bereits bestehender Einrichtungen übernommen
werden.
Anderes gilt aber für die Ausstattung und das Inventar der betreffenden Stationen:
hier muß sichergestellt sein, dass sich Flächen und Gegenstände ausreichend
desinfizieren lassen. Bei Überalterung der Ausstattung (etwa durch Abnützung
schadhafte Bodenbeläge) oder der Einrichtung (beschädigte Möbeloberflächen etc.)
ist diese Möglichkeit nicht gegeben.
Einerseits ist sowohl die stationäre Haltung etwa von Kleintieren möglich; so können
kleinere Tiere, die in Käfigen gehalten werden, durchaus im Bereich der Tages- oder
Aufenthaltsräume untergebracht werden; dies vor allem deshalb, damit
die
Pflegepatienten im Wesentlichen den Eindruck gewinnen, dass die uneingeschränkte
Begegnung mit dem Tier möglich ist.
25
Auch können Haustiere wie Katzen durchaus im Rahmen einer geriatrischen
Pflegestation gehalten werden, wenn sichergestellt werden kann, daß diese einen
bestimmten, festgelegten Bereich nicht verlassen können und auch nicht
zwischendurch ins Freie (etwa Anstaltspark etc.) gelangen können.
Andrerseits ist der Einsatz eines regelmäßigen Besuchsdienstes möglich, wie dies
etwa mit Hunden im Bereich des Pflegeheims Liesing oder des Geriatriezentrums am
Wienerwald bereits praktiziert wird. Bei Hunden wird aus Rücksicht auf die
besonderen Anforderungen vor allem ein ausgebildeter Therapiehund vorzuziehen
sein, der sich in der ständigen Pflege und Obsorge eines besonders geschulten
Therapeuten befindet.
Besonderes Augenmerk kommt im Zuge des Einsatzes von Tieren der Beachtung der
hygienischen Standards zu; es ist daher notwendig, daß die Betreuung, Pflege und
tierärztliche Betreuung der einzusetzenden Tiere von den zuständigen Therapeuten
entsprechend den vorgegebenen Richtlinien zuverlässig durchgeführt bzw. veranlasst
wird. Hier empfiehlt sich, sobald die Entscheidung für bestimmte Tiere gefallen sind,
die Erstellung eines Hygieneplans.
Ein Hygieneplan könnte nach folgenden Punkten gegliedert sein
1. Allgemeine Anforderungen, die das Tier stellt:
Artgerechte Haltung, Fütterung, Pflege
2. Impf- und Entwurmungsplan für das Tier
3. Festlegung (Auflistung) wer mit dem Tier Kontakt haben darf (entsprechend
medizinischer Vorgabe),
4. Spektrum der durch das jeweilige Tier übertragbaren Erreger und
Krankheiten mit Gegenmaßnahmen,
5. Erforderliche Dokumentation,
6. Anhang mit den erforderlichen Genehmigungsunterlagen der zuständigen
Dienststellen und Behörden; Literaturverweise und besondere Hinweise auf
die Symptomatik von eventuell möglichen Zooanthroponosen.
(vergl. Schwarzkopf).
Des weiteren sind für besondere Einrichtungen, wie etwa das GZW (wegen
Krankenhaus-Status) die Einbeziehung der Hygienebeauftragten in
tierunterstützten Aktivitäten und Therapien erforderlich. In Zusammenarbeit
diesen sind die einschlägigen gesetzlichen Rahmenbedingungen,
Krankenanstaltengesetz und die Sanitätsgesetze als Grundlage in
entsprechenden Richtlinien einzuarbeiten.
3.4
des
die
mit
wie
die
Einbeziehung des Pflegepersonals
Von wesentlicher Bedeutung für den Gesamterfolg ist die Frage, ob es gelingt, das
Pflegepersonal in seiner Gesamtheit für das Vorhaben zu motivieren und in den
Ablauf einzubinden. Zum Einen bedingt der ständige Einsatz und/oder die Haltung
von Tieren eine besondere Mehrbelastung auch in arbeitsmäßiger Hinsicht des im
Rahmen der Station tätigen Personals.
26
Um die entsprechende Motivation für diese erforderliche Mehrarbeit auszubringen,
muß beim Pflegepersonal nicht nur die uneingeschränkte Bereitschaft, mit Tieren zu
arbeiten vorhanden sein. Ausreichende Motivation erreicht man vor allem durch
ausführliche und umfassende – und vor allem: rechtzeitige – Information aller
Beteiligten. Im Rahmen einer einschlägigen Studie wurde vor allem darauf
hingewiesen, wie wichtig die Einbeziehung des Personals bereits in der
Projektierungsphase ist. (BÜRGER, 1998, S.177)
3.5
Zusammenfassung
In der öffentlichen Wahrnehmung ist das Bild von kommunalen geriatrischen
Langzeit-Pflegeinrichtungen zumeist massiv beeinträchtig; dies ergibt sich einerseits
aus der historischen Entwicklung – zunächst konnte nur die Sicherung minimaler
Pflege- und Versorgungsstandards gewährleistet werden – zum Anderen aber vor
allem aus der gesteigerten individuellen Erwartungshaltung der Pflegebedürftigen,
deren individuelle Lebensumstände durch den wachsenden Wohlstand der letzten
Jahrzehnte eine massive Änderung erfahren haben.
Dies schließt nicht nur eine verbesserte Wohnsituation ein, sondern eine zusätzliche
Fülle technischer Ausstattungsdetails – keines von Beiden kann aber in einer
kommunalen Einrichtung in vollem Umfang zur Verfügung gestellt werden.
Daraus resultiert bei vielen Pflegebedürftigen eine mentale Reservation gegenüber
kommunalen Einrichtungen, die durch geeignete Maßnahmen aufzubrechen ist. Wie
keine andere Einrichtung sind die geriatrische Pflegeheime im kommunalen Bereich
einerseits auf zusätzliche, die Akzeptanz erhöhende Maßnahmen angewiesen,
andrerseits kommt ihnen bei der Setzung neuer Standards eine herausragende Rolle
zu.
Für den Einsatz von Tieren im Rahmen der AAA und der AAT sind keine besonderen
baulichen Vorraussetzungen erforderlich, lediglich die Ausstattung und das Inventar
muß im Hinblick auf hygienische Gesichtspunkte entsprechend zu reinigen und
desinfizieren sein.
Besondere hygienische Richtlinien sind je nach den Erfordernissen der
Pflegepatienten sowie der gesetzlichen Grundlagen in Zusammenarbeit mit den
Hygienebeauftragten zu erstellen.
Von besonderer Relevanz ist auch die Einbeziehung und Motivation des gesamten
Pflegepersonals einer beteiligten Station. Hier sind besonders rechtzeitige und
umfassende Information erforderlich, das Personal ist daher bereits in der
Projektierungsphase mit einzubeziehen.
27
4.
Resumée
Zur Erreichung und Sicherung Pflege- und Betreuungsstandards in kommunalen
Einrichtungen der geriatrischen Langzeitpflege sind zunehmend besonderen
Umständen Rechnung zu tragen, die sich aus der individuellen Situation der
Pflegebedürftigen ergeben. Diese individuellen situativen Bedingungen haben durch
mehrere Faktoren einen tiefgreifenden Wandel im Laufe der letzten Jahrzehnte
erfahren. Zwar hat der wirtschaftlich meßbare Wohlstand des Einzelnen deutlich
zugenommen,
durch
besondere
gesellschaftliche
und
wirtschaftliche
Rahmenbedingungen hat aber die Bereitschaft, Betagten im Rahmen des lange Zeit
bestehenden und nun in Auflösung begriffenen Familienverbandes zu betreuen und
pflegen, abgenommen.
Da medizinische Betreuung und Pflege im Rahmen privater Pflegeeinrichtungen für
den bei Weitem größten Teil der Bevölkerung aber nicht leistbar sind, zudem die
Betreuung von zur Gänze auf Hilfe angewiesenen Betagten durch diese
Einrichtungen zum Teil nicht übernommen wird, sind immer die Pflegeeinrichtungen
der öffentlichen Hand gefragt.
Bedingt durch den steigenden Wohlstand, stiegen aber gleichzeitig die Ansprüche
und
Erwartungen
der
betroffenen
Betagten
in
die
entsprechenden
Betreuungseinrichtungen, die aber hinsichtlich Raum- und Ausstattungsansprüchen,
aber auch in der individuellen Betreuung kaum den Ansprüchen genügen können.
Durch die - teilweise erzwungene – Übersiedlung in Langzeitpflege-Einrichtungen
wird in den Betagten nicht nur der Eindruck geweckt, abgeschoben zu werden,
sondern sie verlieren im Wesentlichen das Selbstbestimmungsrecht über ihr bislang
erfolgreich geführtes Leben. Neben dem Verlust einer Rückzugszone und des bislang
gewohnten sozialen Rahmens, Zuwendung wirkt sich auch der Verlust des
Verfügungsrechtes über Gegenstände und Dinge des täglichen Gebrauchs negativ
auf das Befinden der Betroffenen aus.
Aus der Sicht der Betagten werden ihnen Dinge vorenthalten, die ihnen „zustehen“,
der plötzliche und erzwungene Verlust all dieser Dinge führt zu einem Befinden, das
unter Deprivation subsumiert werden kann.
In der Folge bildet sich eine mentale Reservation gegen alle Belange der
Pflegeeinrichtung aus, die das Personal und die anderen Pflegepatienten
miteinschließt. In der Folge kommt es zu Aggressionen, die sich nicht selten im
offenen Konflikt entladen.
Das enorme Aggressionspotential führt besonders bei Betagten, die aufgrund einer
zumeist verringerten Immunkompetenz beeinträchtigt sind nicht nur zu größerer
Krankheitsanfälligkeit, sondern auch zu einer erheblich schlechteren Prognose, was
die Lebenserwartung betrifft. Überdies können unbewältigte Aggressionen bei
entsprechend disponierten Personen zum suizidalen Affekt führen.
Insgesamt gilt es also, Aggressions- und Konfliktbewältigungs-Strategien zu
entwickeln, die den Betagten aus seiner Isolation herausführen, Kommunikation und
Vertrauensbildung sowohl mit dem Pflegepersonal als auch den anderen
Pflegepatienten verbessern, und somit den Pflegeerfolg langfristig sichern helfen und
damit die Lebensqualität der Betagten deutlich verbessert.
Die besonderen Erfolge, die in der Motivation der Betagten im Zusammenhang mit
der tierunterstützten Aktivität und der tierunterstützten Therapie erzielt worden sind,
28
legt nahe, Tiere nicht nur zur Übung oder zur Beruhigung in der Pflege verstärkt
einzusetzen, sondern sie ganz gezielt in der Intervention bei Aggressionsvermeidung
und Konfliktlösung einzusetzen.
Um aggressionsfördernde Schlüsselreize weitgehend auszuschalten, ist es dienlich,
die Kategorisierungsgrenzen aufzubrechen und den Betroffenen durch Hilfestellung
bei der Reflexion der Wahrnehmung aus der mentalen Reservation herauszuholen.
Am ehesten kann dies durch die Vorgabe von übergeordneten Ziele erreiht werden,
die nur durch die Kooperation aller Beteiligten oder Gruppen erreicht werden kann.
In der gemeinsamen Anstrengung von Patient und Pflegepersonal kann der
Betroffene leichter für eine Perspektivübernahme gewonnen werden, die ihn aus dem
klassischen „Schwarz-Weiss-Schema“ befreien helfen kann.
Zusätzlich soll den Betagten wieder das Gefühl gegeben werden, für etwas
„verantwortlich“ zu sein, sich wieder nützlich machen zu können und einen Bereich
selbstverantwortlich mitgestalten zu können.
All diese Bereiche können sehr leicht in der Beschäftigung mit Tieren abgedeckt
werden: die Perspektivübernahme in der Reflexion über das Verhalten anderer aus
den Gruppen und ihre Einstellung zum Tier, das Aufbrechen der Kategoriegrenzen
bei der Erreichung übergeordneter Ziele in der gemeinsamen Anstrengung von
Patient/ Personal bzw Patientengruppen um das Wohlergehen des Tieres.
Tiere sind auch deshalb besonders geeignet, weil sie keinen Anstoß an körperlichen
Einschränkungen, wie etwa gestörter Sprachmotorik oder Inkontinenz nehmen, und
den Betagten so das Üben nicht nur ihrer motorischen und kognitiven Fähigkeiten,
sondern vor allem ihrer sozialen Kompetenz zu üben.
Allerdings sind für diese Formen der Aggressionsminimierung bestimmte
Vorbedingungen zu erfüllen: einerseits müssen sowohl Patienten, als auch
Pflegepersonal die Bereitschaft zur Arbeit und zum Umgang mit Tieren mit
einbringen; bei beiden Gruppen ist auf eine spezifische Allergiefreiheit und einen
einwandfreien Gesundheitszustand im Hinblick auf immunologische Belange Bedacht
zu nehmen. Bei den Pflegebedürftigen sind hingegen Einschränkungen in Sensorik,
Motorik, Kognition etc kein Grund, diesen vom Umgang mit den Tieren
auszuschliessen.
Für den Pflegepatienten ist bei der Aufnahme neben einer Pflegeanamnese daher
auch umfassendes LifeProfile zu erstellen, das neben den besonderen Vorlieben und
Gewohnheiten auch einen Einblick in sein soziales Umfeld, sowie seinen Bezug zu
Tieren dokumentiert.
Auch für die Tiere sind entsprechend den einschlägigen Empfehlungen besondere
Eignungskriterien festzulegen: Stressresistenz, Gehorsam bei einem freundlichen,
angenehmen Äußeren sind nur einige der wesentlichen Punkte. Nicht alle der auch
als Haustiere üblichen Tiere sind jedoch im Sinne des Aggressionsabbaus auch
bedenkenlos einsetzbar: manche Tiere sind wenig berechenbar, oder nur wenig
stressresistent.
Zur Führung, Betreuung und Pflege der Tiere, aber auch für die gezielten
Interventionen ist allerdings ein besonders ausgebildeter Tiertherapeut erforderlich,
der nicht nur eine Ausbildung in den Bereichen Humanmedizin und –Therapie zu
absolvieren hat, sondern auch eine bestimmte Praxis im Umgang mit Tieren. In
seinen Aufgabenbereich fällt nicht die Auswahl und Einschulung der ausgewählten
29
Tiere, sondern auch die Abstimmung des Einsatzes bei den Pflegepatienten, sowie
die entsprechende Kooperation mit dem Pflegepersonal.
Tiere können, je nach den Ansprüchen und Bedürfnissen entweder im Rahmen der
Pflegeinrichtungen stationsbezogen gehalten werden - hierzu sind keine besonderen
baulichen Vorraussetzungen erforderlich, einzig der Zustand der Ausstattung und des
Inventars hinsichtlich der Durchführbarkeit einer Desinfektion sind hier
ausschlaggebend – oder im Rahmen eines regelmäßigen und ständigen
Besuchsdienstes den Patienten zugänglich gemacht werden.
Letzteres empfiehlt sich vor allem für Hunde, die aufgrund der hohen Mortalität der
Bezugspersonen erhöhtem Stress ausgesetzt wären, während hingegen auch Katzen
im Rahmen einer Pflegeeinrichtung gehalten werden können, solange sichergestellt
ist, das sie einen definierten Bereich (wegen Ansteckungsgefahr) nicht verlassen
können und auch nicht ins Freie gelangen.
Von Bedeutung für den langfristigen Erfolg ist auch die intensive Einbeziehung des
Pflegepersonals in die tierunterstützte Aktivität und Therapie; einerseits soll durch die
Einbindung des Personals die für die Mehrarbeit erforderliche Motivation abgeleitet
werden können, andererseits kann nur durch eine umfassende Information
sichergestellt werden, dass das Pflegepersonal der ihm zugedachten Rolle in der
Minimierung von aggressionsfördernden Schlüsselreizen gerecht wird.
Durch den – wenn die notwendigen rechtlichen Grundlagen für den Beruf des
Tiertherapeuten geschaffen werden – relativ unproblematischen Einsatz von Tieren
können weit über den Bereich der tierunterstützten Therapie und Aktivität hinaus
wesentlich Schritte zur Minimierung von Aggressionen bei Langzeitpflegepatienten
gesetzt werden. Besonders für kommunale Pflegeeinrichtungen ergibt sich hierdurch,
ungeachtet des etwas erhöhten Aufwandes, eine besondere Gelegenheit nicht nur
neue Standards in der österreichischen geriatrischen Langzeitpflege zu setzen,
sondern durch eine deutlich erhöhte Lebensqualität der Patienten nicht nur den
Pflegeerfolg zu sichern, sondern auch insgesamt das Ansehen der kommunalen
Einrichtungen insgesamt zu heben.
30
LITERATURVERZEICHNIS
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Gefahrenquelle. Schriftliche Abschlußarbeit im Fachbereich „Pflege“ des
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31
LITERATURVERZEICHNIS 2
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SCHWARZKOPF, Dr.Andreas: Tiere in Heimen und Krankenhäusern: Hygiene –
wirklich ein Problem? Manuskript.
TIERE ALS THERAPIE, Verein, 24.06.2003,
http://www.tierealstherapie.org/guete.asp
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