Ätiologie der ADHS

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Ätiologie der ADHS
K.-H. Krause
1.1
Annahmen zu Risikofaktoren – 2
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Genetik und ADHS
1.3
Anatomische und neurochemische Grundlagen – 4
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Messung von Katecholaminen und ihren
Metaboliten – 6
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EEG und evozierte Potenziale
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Bildgebende Verfahren – 8
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Zusammenfassung – 13
Literatur – 14
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Kapitel 1 · Ätiologie der ADHS
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1.1
Annahmen zu Risikofaktoren
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Wie bei vielen psychiatrischen Erkrankungen kontrastiert auch bei der
Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) die potenziell sehr starke subjektive und objektive Beeinträchtigung mit dem Fehlen spezifischer biologischer Marker, mit denen die Diagnose abgesichert
werden könnte. Eine organische Basis der Symptome wurde gleichwohl
bereits von Still, der 1902 die Kombination von Überaktivität, Aufmerksamkeitsstörung und Verhaltensauffälligkeiten bei Kindern beschrieb,
vermutet. Später wiesen Begriffe wie MCD (»minimal cerebral dysfunction«) oder das in der Schweiz noch gebräuchliche POS (»psychoorganisches Syndrom«) auf den vermuteten organischen Ursprung hin. Inwieweit Schwangerschafts- oder Geburtskomplikationen zur Entwicklung
oder Ausprägung einer ADHS beitragen, ist unklar (Faraone u. Biederman 1998). In einer neueren Arbeit untersuchten Mick et al. (2002) den
Einfluss eines niedrigen Geburtsgewichts auf das Auftreten einer ADHS.
Sie fanden, dass Kinder mit ADHS 3-mal häufiger diesen Risikofaktor
aufwiesen als Kontrollpersonen. Nun kann man natürlich argumentieren, dass Hyperaktivität der Mutter, Zigarettenrauchen, Alkohol, soziales
Umfeld und komorbide Persönlichkeitsstörungen bei den Eltern zu dem
niedrigen Geburtsgewicht geführt hätten – diese Faktoren wurden aber
von den Autoren bereits berücksichtigt. Ein niedriges Geburtsgewicht
wurde allerdings nur bei einem kleinen Teil der Betroffenen als unabhängiger Risikofaktor für die Entwicklung einer ADHS angesehen. Die Frage ist, ob man hier trotzdem nicht Ursache und Wirkung verwechselt: Die
vermehrte motorische Aktivität betroffener Kinder könnte durchaus eine
vorzeitige Geburt mit niedrigerem Körpergewicht bedingen. Klinisch evident ist andererseits, dass Patienten mit einer Schädigung im Bereich des
Frontalhirns häufig ähnliche Symptome wie die bei der ADHS beschriebenen aufweisen.
Früher wurden häufig Umweltfaktoren als Ursache der ADHS angeschuldigt. So kann zwar ein ungünstiges soziales Milieu wie generell bei
psychischen Erkrankungen bei entsprechender Disposition auch Ausprägung und Auswirkung der Symptome einer ADHS modifizieren, es ist aber
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1.2 · Genetik und ADHS
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keinesfalls als entscheidende Ursache anzusehen (Faraone u. Biederman
1998). In der Vergangenheit favorisierte Konzepte einer Verursachung der
ADHS durch Zucker, Milch, Eier, Phosphat oder Nahrungsmittelzusätze
(Levin 1978) bestätigten sich in kontrollierten Studien nicht (Faraone u.
Biederman 1998); im Einzelfall können aber Überempfindlichkeiten auf
Nahrungsstoffe bei Kindern zu Symptomen wie Hyperaktivität und Aufmerksamkeitsstörung führen, die dann einer entsprechenden Diät bzw.
Desensibilisierung zugänglich sind (Egger et al. 1985, 1992).
1.2
Genetik und ADHS
Zwillingsstudien (Todd et al. 2001), Familienuntersuchungen (Faraone et
al. 2000) und Adoptionsstudien (Cadoret u. Stewart 1991) belegen eine erhebliche hereditäre Komponente der ADHS. Konkordanzraten von 66%
für monozygote und 28% für heterozygote Zwillinge wurden beschrieben
(Gjone et al. 1996, Levy et al. 1997). Die Heredität wird auf 50–98% geschätzt (Hawi et al. 2001), Swanson et al. (2000) geben einen Wert um
80% an.
In einer großen Segregationsanalyse von 140 ADHD-Familien mit
454 Verwandten 1. Grades und 120 Normalpersonen mit 368 Verwandten
1. Grades kamen Faraone et al. (1992) zu dem Schluss, es müsse sich um
ein einzelnes autosomal dominantes Gen handeln (wie auch beim Tourette-Syndrom ursprünglich vermutet). Aktuelle Untersuchungen (Comings
2001) kommen allerdings zu einer anderen Einschätzung. Nach neueren
Befunden ist bei der ADHS ein Zusammenspiel multipler Gene anzunehmen (Krause u. Krause 2003).
Zwei Kandidatengene, die mit dem Dopaminsystem zu tun haben,
wurden vor allem untersucht: Das Dopamintransporter-(DAT1-)Gen auf
Chromosom 5p15.3, sowie das Dopamin- D4-Rezeptor-(DRD4-)Gen auf
Chromosom 11p15.5 (Kirley et al. 2002). Die Mehrzahl der Studien zum
DAT1-Gen zeigten eine Assoziation des 10-R-Allels, die meisten der Studien zum DRD4-Gen eine Assoziation des 7-R-Allels mit der ADHS. Zu
bedenken ist dabei, dass das 10-R-Allel beim DAT1-Gen auch in der Nor-
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Kapitel 1 · Ätiologie der ADHS
malbevölkerung weit verbreitet ist; das 7-R-Allel des DRD4-Gens liegt dagegen generell in allen Gruppen nur mit relativ niedrigen Werten vor. Die
Beziehungen zwischen den Auffälligkeiten an den beiden untersuchten
Allelen und der Manifestation einer ADHS sind nicht streng: So hatten etwa in der Studie von LaHoste et al. (1996) die Hälfte der diagnostizierten
Patienten mit ADHS nicht das 7-R-Allel, und etwa ein Fünftel der Kontrollgruppe wies mindestens ein 7-R-Allel auf. Curran et al. (2001) fanden
eine Assoziation zum DAT1-Gen bei einer Gruppe von britischen, nicht
dagegen bei türkischen Kindern.
Es ist nach Swanson et al. (2000) durchaus möglich, dass die beobachteten genetischen Auffälligkeiten bei der ADHS zu dem postulierten Dopamindefizit führen. So könnte das 7-R-Allel des DRD4-Gens einen »subsensitiven« Dopaminrezeptor produzieren, das 10-R-Allel des DAT1Gens einen abnorm effizienten Dopamintransporter.
Auch eigene Untersuchungen zeigten, dass bei der ADHS mehr Personen homozygot für das DAT-10-R-Allel sind als bei Kontrollpersonen
(Krause et al. 2004). Interessant erscheint für die Zukunft eine genaue Sequenzanalyse dieser Region zur Aufdeckung von Unterschieden zwischen
ADHS-Betroffenen und Normalpersonen.
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Anatomische und neurochemische Grundlagen
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Wegen der erstmals 1937 von Bradley beschriebenen guten Wirksamkeit
von Stimulanzien auf die Symptome der ADHS wurde schon früh vermutet, dass entsprechend dem Wirkmechanismus dieser Substanzen bei der
ADHS eine Störung im Bereich der biogenen Amine Dopamin und Noradrenalin vorliegt (Faraone u. Biederman 1998).
Produktionsorte von Noradrenalin sind Neurone im Locus coeruleus und im lateralen Tegmentum; der Neurotransmitter ist im Gehirn
weit verbreitet, am dichtesten in den primären visuellen, auditiven, somatosensorischen und motorischen Regionen. Wichtige noradrenalinabhängige Wechselbeziehungen bestehen zwischen Locus coeruleus und
präfrontalem Kortex (Arnsten et al. 1996). Die noradrenalinabhängigen
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1.3 · Anatomische und neurochemische Grundlagen
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Neurone sind im normalen Wachzustand aktiv und zeigen verminderte
Entladungen während des Schlafes und bei Zuständen mit beeinträchtigter Aufmerksamkeit.
Dopamin ist im Gegensatz zu Noradrenalin in den primären sensomotorischen kortikalen Hirnregionen nur gering vertreten, dafür dicht
im präfrontalen Kortex und im Striatum sowie in den Assoziationsbahnen
zu den temporalen und parietalen Lappen. Produktionsorte von Dopamin sind Kerngebiete im Mittelhirn (ventrales Tegmentum und Pars compacta der Substantia nigra). Vom ventralen Tegmentum aus laufen Projektionsbahnen zum Nucleus accumbens, dem mit dem limbischen System eng verknüpften Anteil des Striatums (mesokortikolimbisches System), von der Substantia nigra aus zum Körper des Striatums (mesostriatales System) (Afifi 1994). Das mesostriatale System ist wichtig für stereotype Verhaltensweisen sowie Zuwendung und Aufrechterhaltung von
Aufmerksamkeit, das mesokortikolimbische System für motorische Aktivität, Neugierverhalten und Entwicklung von Handlungsstrategien (Clark
et al. 1987). Der Nucleus accumbens ist entscheidend für Motivation und
Belohnung und weist enge Verbindungen zu anderen Strukturen des limbischen Systems auf.
Beim Aufmerksamkeitssystem werden anatomisch ein vorderes und
ein hinteres System unterschieden (Posner u. Dehaene 1994). Das vordere
System – Cingulum und präfrontaler Kortex – ist für das Arbeitsgedächtnis, die nicht fokussierte Aufmerksamkeit, Reizhemmungsmechanismen
und die sog. exekutiven Funktionen wie Organisation, Setzen von Prioritäten und Selbstkontrolle verantwortlich. Das hintere System – rechter Parietallappen, Colliculi superiores und Pulvinar (hinterer Thalamusanteil)
– ist wichtig für die Erkennung von neuen Stimuli. Die Modulation und
Steuerung all dieser Funktionen findet in subkortikalen Strukturen, vor
allem im Striatum und Thalamus, statt. Eine Lateralisierung dieser Funktionen im Großhirn wurde beschrieben: Aufrechterhaltung der Aufmerksamkeit und der Zuwendung zu neuen Reizen sind danach hauptsächlich
in der rechten, fokussierte selektive Aufmerksamkeitsleistungen mehr in
der linken Hirnhälfte lokalisiert (Castellanos et al. 1994b).
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Kapitel 1 · Ätiologie der ADHS
! Mit den üblichen Aufmerksamkeitstests sind Defizite bei ADHS in der
Regel nicht erfassbar.
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Dieses Problem führte teilweise dazu, dass man die Entität der Störung in
Frage stellte. Die hauptsächlichen Defizite bestehen bei der Aufnahme und
Verarbeitung von Informationen. Bei Tests zur Erfassung der kontinuierlichen Aufmerksamkeitsleistung (»Continuous Performance Tests«; CPT)
haben ADHS-Betroffene längere Reaktionszeiten bei Entscheidungsprozessen sowie generell eine höhere Variabilität bei den Reaktionszeiten und
zeigen mehr impulsiv bedingte Fehler (»commission«) als Auslassungsfehler (»omission«). Es handelt sich um Defizite der Intention, der Vorbereitungsphasen, der Perzeption, der Verschlüsselung eines Reizes und der
Reaktion hierauf. Diese Störungen sind abhängig vom Arbeitsgedächtnis und von »exekutiven« Funktionen des präfrontalen Kortex (Denkla
1996). Andere Funktionen des Frontallappens wie bei »Go/No-go«-Aufgaben und die adäquate Aufrechterhaltung und Schaltung spezieller Strategien zur Aufgabenbewältigung sind gleichfalls bei ADHS gestört (Casey
et al. 1997). Mehrere Untersucher haben Störungen der optischen räumlich-konstruktiven und perzeptiven Leistungen sowie der Orientierung
auf bestimmte Reize im linken visuellen Feld bei ADHS beschrieben, die
die rechte Hemisphäre und speziell die rechtsseitigen frontostriatalen
Bahnen betreffen (Carter et al. 1995; Garcia-Sanchez et al. 1997).
! Neurobiologische Auffälligkeiten bei der ADHS sind in erster Linie im
frontostriatalen System zu erwarten; hier wäre vor allem nach Störungen im Dopaminstoffwechsel zu fahnden.
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Bei der ADHS wurden zwar viele Studien mit dem Ziel durchgeführt,
neurochemische Auffälligkeiten in Blut, Urin oder Liquor nachzuweisen, es resultierten aber letztlich uneinheitliche Ergebnisse (Mercugliano
2000). Die Befunde sind limitiert durch die Unmöglichkeit, Prozesse in
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Messung von Katecholaminen und ihren Metaboliten
1.4 · Messung von Katecholaminen
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bestimmten Hirnanteilen zu identifizieren sowie das Vorhandensein der
gleichen neurochemischen Marker aus peripheren Quellen. Bei Liquorstudien sind generell die niedrige Zahl und die fraglich validen Kontrollen zu
bedenken, außerdem ist unklar, inwieweit Spiegel von Neurotransmittern
und ihren Metaboliten überhaupt mit der neuronalen Aktivität korrelieren (Zametkin et al. 1993). Erste Ergebnisse mit Erniedrigung der Homovanillinsäure (HVA), einem wesentlichen zentralen Metaboliten des Dopamins, im Liquor wurden nicht bestätigt (Mercugliano 2000). Am konsistentesten erschien eine Erniedrigung von 3-Methoxy-4-hydroxyphenäthyl-eneglycol (MHPG), dem dominierenden zentralen Metaboliten von
Noradrenalin im Urin (Oades 1987; Zametkin et al. 1993), aber auch dies
wurde nicht von allen Autoren bestätigt (Castellanos et al. 1994). Möglicherweise ist der Anstieg der Katecholamine durch Stress bei Kindern mit
ADHS nicht so ausgeprägt wie bei Normalpersonen (Pliszka et al. 1996).
Eventuell spielt hierbei auch eine Störung im Adrenalinhaushalt eine Rolle (Girardi et al. 1995; Hanna et al. 1996). Bisher ging man davon aus, dass
Fehlfunktionen von Serotonin keine wesentliche Rolle bei der ADHS spielen. Tierexperimentelle Untersuchungen könnten aber dafür sprechen,
dass auch Störungen im Serotoninhaushalt bei der ADHS vorliegen (Gainetdinov et al. 1999). Beim Vergleich der Plasmaspiegel von Serotonin,
Noradrenalin, Dopa und Lipiden zwischen Kindern mit schwer und leicht
ausgeprägter ADHS wurde lediglich für Serotonin eine Tendenz zu niedrigeren Werten bei Kindern mit schwerer ausgeprägter ADHS gefunden,
bei den übrigen keine Unterschiede (Spivak et al. 1999). In diesem Zusammenhang erscheint wesentlich, dass Serotonin eine wichtige Rolle bei
häufig mit der ADHS gemeinsam auftretenden Störungen wie Depression,
Angststörungen, Zwangserkrankungen und aggressivem Verhalten spielt.
Studien zeigten, dass niedrige Werte des Serotoninmetaboliten 5-Hydroxyindolessigsäure im Liquor mit impulsiven und aggressiven Verhaltensstörungen korrelierten (Kruesi et al. 1992; Trott 1993).
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Kapitel 1 · Ätiologie der ADHS
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EEG und evozierte Potenziale
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Bei quantitativen EEG-Analysen fanden sich Unterschiede zwischen Kontrollpersonen und Patienten mit ADHS, insbesondere eine Verlangsamung über den frontalen Hirnregionen (Chabot et al. 1996). In ihrer eingehenden Übersicht über bisher durchgeführte quantitative EEG-Untersuchungen resümiert Tannock (1998), dass mit den bisherigen Untersuchungstechniken das quantitative EEG als diagnostisches Verfahren noch
nicht valide genug erscheint. In neueren Untersuchungen an einem großen
ADHS-Patientenkollektiv (482 Patienten) im Alter zwischen 6 und 30 Jahren fanden sich erstaunlich hohe Werte für Sensitivität (86%) und Spezifität (98%) bei Voraussage der Diagnose aufgrund einer erhöhten ThetaBeta-Ratio (Monastra et al. 1999); insgesamt lag nur bei 1% der Probanden, die nach den angewandten EEG-Kriterien als ADHS-positiv eingestuft wurden, keine ADHS vor. Entsprechende Untersuchungen könnten
also in Zukunft bei der Diagnostik der ADHS hilfreich sein. Mehrere Untersucher fanden niedrige Amplituden von ereigniskorrelierten Potenzialen (P 300) (Brandeis et al. 1998), was für Probleme bei der Signalerkennung und -verarbeitung spricht. Dabei war P 300 kleiner sowohl bei
akustischen als auch bei visuellen Reizen. Interessant sind auch Befunde,
die bei Bestimmung der frühen akustisch evozierten Hirnstammpotenziale Auffälligkeiten bei Patienten mit ADHS zeigten, was auf eine zusätzliche Störung bereits bei der frühen Wahrnehmung auditorischer Reize
hinweist (Lahat et al. 1995).
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Bildgebende Verfahren
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Bei computertomographischen Untersuchungen fanden sich inkonsistente Befunde, die überzeugende strukturelle Veränderungen nicht erkennen ließen (Sieg et al. 1995). Dagegen wurde im Kernspintomogramm eine Größenabnahme des Frontallappens, insbesondere der rechten Seite
(Hynd et al. 1991), des Corpus callosum (Filipek et al. 1997) sowie der Basalganglien (Castellanos et al. 1996) nachgewiesen, allerdings mit teilwei-
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se widersprüchlichen Resultaten (Sieg et al. 1995). In einer umfangreichen
kernspintomographischen Studie fand sich eine signifikante Größenabnahme von rechtem Frontalhirn, rechtem Nucleus caudatus, rechtem Globus pallidus und Kleinhirn (Castellanos 1997). Die Befunde bezüglich
rechtem Frontalhirn und Nucleus caudatus wurden in einer weiteren Studie bestätigt (Casey et al. 1997), während in einer anderen eine Vergrößerung des Nucleus caudatus vor allem rechts gefunden wurde (Mataro et
al. 1997). In einer neueren großen Studie beschrieben Castellanos et al.
(2002) ein generell geringeres Hirnvolumen bei ADHS, am deutlichsten
in der weißen Substanz von unbehandelten Kindern; die einzige Region,
für die sich in der Adoleszenz eine Normalisierung zeigte, war der Nucleus caudatus. Sowell et al. (2003) fanden speziell im frontalen Rindenbereich ein vermindertes Volumen bei Kindern mit ADHS, weiterhin in
der vorderen Temporalrinde; ein größeres Volumen der grauen Substanz
konnte im Bereich des hinteren Temporal- und des unteren Parietallappens nachgewiesen werden.
! Insgesamt sind die Ergebnisse der kernspintomographischen Untersuchungen bislang nicht hinreichend spezifisch, um dieses Verfahren zu
diagnostischen Zwecken einzusetzen.
Mittels funktioneller Kernspintomographie (fMRI) fand sich bei Testung
der motorischen Reaktion bei Jugendlichen mit ADHS eine erniedrigte
Aktivierung in rechtsseitigen präfrontalen Systemen sowie im linken Caudatum im Vergleich zu Normalpersonen (Rubia et al. 1999). Andere Autoren bestätigten eine Dysfunktion im vorderen Gyrus cinguli (Bush et al.
1999). Interessante Resultate wurden mit fMRI gewonnen bei 10 Jungen
mit ADHS im Vergleich zu 6 nicht Betroffenen, die zwei Aufmerksamkeitstests (»Go/No-go«-Aufgaben) durchführten, jeweils vor und unter
Einnahme von Methylphenidat. Die Kinder mit ADHS schnitten hierbei
schlechter ab, vor Methylphenidateinnahme zeigten sie vermehrte frontale und verminderte striatale Aktivierung, Methylphenidat besserte bei
einem Test die Leistung in beiden Gruppen, beim anderen nur bei den von
ADHS Betroffenen. Dabei fand sich eine vermehrte frontale Aktivierung
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durch Methylphenidat bei beiden Gruppen, im Gegensatz hierzu sank die
striatale Aktivierung bei 5 von 6 der gesunden Kontrollpersonen, während sie bei 8 der 10 Kinder mit ADHS stieg (Vaidya et al. 1998). Dies legt
den Verdacht nahe, dass Methylphenidat die striatalen Funktionen möglicherweise bei Gesunden anders beeinflusst als bei Patienten mit ADHS.
Dass Unterschiede in der Wirkung von Methylphenidat aber auch zwischen Jungen mit verschiedenen Formen der ADHS bestehen, zeigten die
fMRI-Untersuchungen von Teicher et al. (2000), die bei motorischer Hyperaktivität einen Anstieg der vor Medikation erniedrigten Durchblutung
im Putamen und ein umgekehrtes Verhalten bei den mehr unaufmerksamen und motorisch weniger betroffenen Kindern fanden.
In PET-Untersuchungen mit [F-18]Fluorodesoxyglucose (FDG) wurde ein um 8,1% verminderter Glukoseumsatz bei Erwachsenen mit ADHS
während eines auditorischen CPT (»Continous Performance Test«) im
Frontallappen links beschrieben (Zametkin et al. 1990). Keine signifikanten Störungen fanden sich mit der gleichen Untersuchungstechnik bei
Jugendlichen mit ADHS (Ernst et al. 1997; Zametkin et al. 1987). Interessant sind Resultate von PET-Untersuchungen bezüglich des akuten Effektes von D-Amphetamin und Methylphenidat auf den Glukosemetabolismus im Gehirn: Unter D-Amphetamin war ein erhöhter Metabolismus
im rechten Nucleus caudatus, ein erniedrigter in der rechten Rolandi-Region und rechts in anterioren inferioren frontalen Regionen nachzuweisen, während unter Methylphenidat der Metabolismus links frontal posterior sowie links parietal superior anstieg, links parietal und links parietookzipital sowie frontal anterior medial absank, was eine unterschiedliche Wirkungsweise der Stimulanzien nahelegt (Matochik et al. 1994).
Dagegen beschrieben die gleichen Autoren bei Langzeitgabe von Stimulanzien bei Erwachsenen mit ADHS bei guter klinischer Besserung keine
signifikante Änderung des Glukosemetabolismus im PET sowohl unter dAmphetamin als auch unter Methylphenidat (Matochik et al. 1993). Aus
den Resultaten wurde geschlossen, dass PET-Untersuchungen mit FDG
aufgrund der schlechten zeitlichen Auflösung nicht sensitiv genug sind,
um Medikamenteneffekte zu erfassen. Es wurden daher andere Radiopharmaka wie [O-15]H2O und [F-18]DOPA eingesetzt. Studien mit [F-
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18]DOPA zeigten eine deutliche Abnahme der Dopa-Decarboxylase-Aktivität im präfrontalen Kortex bei ADHS im Vergleich zu Gesunden mit
Betonung im Bereich der medialen und linksseitigen präfrontalen Regionen; diese verminderte Dopa-Decarboxylase-Aktivität frontal wurde als
ein sekundärer Effekt eines primären subkortikalen dopaminergen Defizits interpretiert (Ernst et al. 1998). Andere Autoren zeigten in einer Studie
mit [O-15]H2O, dass Kontrollpersonen eine signifikante Aktivierung des
primären visuellen Kortex und des visuellen Assoziationskortex nach intellektueller Stimulation aufwiesen, wobei sich über die Zeit die Leistung
verbesserte und eine Verminderung der Aktivierung im linken Temporallappen sowie im Cerebellum nachweisbar wurde; Patienten mit ADHS
verbesserten Ihre Leistung nicht und wiesen eine zunehmende Aktivierung des oberen linken Temporallappens auf, ohne dass sich die Aktivierung in anderen Regionen verminderte (Schweitzer et al. 1995).
! Die Ergebnisse von PET Studien weisen auf eine Störung exekutiver
Funktionen bei ADHS-Betroffenen hin.
In einer anderen Studie mit [O-15]H2O erhielten 8 gesunde Versuchspersonen d-Amphetamin und Placebo vor Durchführung einer mit präfrontaler und hippokampaler Aktivierung assoziierten Testaufgabe. D-Amphetamin erhöhte den Blutfluss zur entsprechenden Region bei gleichzeitiger Erniedrigung in den nicht betroffenen Regionen (Mattay et al.
1996).
Mit Xenon-133-Inhalations-SPECT wurde bereits in den 80er Jahren
eine verminderte Durchblutung im Frontallappenbereich und im Striatum, vor allem rechts, nachgewiesen mit Tendenz zur Normalisierung nach
Gabe von Methylphenidat, weiterhin eine erhöhte Durchblutung im Okzipitallappen (Lou et al. 1984, 1989, 1990). Im [Tc-99m]HMPAO-SPECT
wurde eine reduzierte präfrontale Aktivität während der Durchführung
von Rechenaufgaben beschrieben (Amen et al. 1993). Im [I-123]IMPSPECT zeigte sich eine Abnahme der rechtsseitigen striatalen sowie der
linksseitigen frontalen und parietalen Aktivität (Sieg et al. 2000).
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! Möglicherweise wegweisend für die Diagnostik der ADHS könnten spezifische Darstellungen der Dopamintransporter (DAT) im Gehirn sein.
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Nachdem viele der oben erwähnten bildgebenden Untersuchungen Hinweise auf eine striatäre Störung bei der ADHS erbracht hatten und die
Wirkung von Methylphenidat auf die vor allem in diesem Bereich des Gehirns lokalisierten DAT aus Tierversuchen bekannt ist, lag es nahe, die
DAT bei Patienten mit ADHS zu untersuchen. Diese Möglichkeit eröffnete sich durch Benutzung von radioaktiv markierten Liganden, die speziell an das DAT-System binden. Eine Arbeitsgruppe in Boston verwendete hierbei mit Jod-123 markiertes Altropan (Dougherty et al. 1999), die
Gruppe aus München und Philadelphia den mit Technetium-99m markierten Kokainabkömmling TRODAT-1 (Dresel et al. 1998, 2000; Krause et al. 2000). Beide Studien belegen eine deutlich höhere Konzentration der DAT im Striatum von erwachsenen Patienten mit ADHS im Vergleich zu normalen gleichaltrigen Kontrollpersonen. Während die DAT
bei der Untersuchung mit TRODAT-1 gegenüber dem Kontrollkollektiv
um 17% erhöht waren, fand sich mit Altropan eine Erhöhung um 70% bei
allerdings nur 6 Patienten; dieser Prozentsatz reduzierte sich bei Fortführung der Altropan-Studie mit 19 Patienten auf etwa 30% (ADHD-Report
9, 2001, S. 10).
Inzwischen bestätigten weitere Untersuchungen, die teilweise auch
an Kindern durchgeführt wurden, die Erhöhung der DAT bei der ADHS
(Übersicht in Krause et al. 2003). Lediglich in einer SPECT-Untersuchung
mit β-CIT, das allerdings weniger spezifisch an die DAT koppelt, war die
Erhöhung der DAT nicht nachzuweisen (van Dyck et al. 2002). Untersuchungen an größeren Kollektiven werden zeigen, ob die Spezifität der
Methode bei Einsatz von Altropan, TRODAT-1 oder anderen hochspezifischen Tracern ausreichend hoch ist, um sie als diagnostisches Mittel einzusetzen, ob möglicherweise mit dieser Methodik zwischen den verschiedenen Typen der ADHS differenziert werden kann und ob die Dichte der
DAT Rückschlüsse auf die Wirksamkeit der Medikation mit Stimulanzien
erlaubt. Neurochemisch ist davon auszugehen, dass bei einer Erhöhung
der DAT, die ja Dopamin am synaptischen Spalt zurücktransportieren,
1.7 · Zusammenfassung
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weniger Dopamin für die dopaminabhängigen Neurone zur Verfügung
steht. Die Vermehrung der DAT könnte die von Ernst et al. (1998) beschriebene verminderte Dopa-Decarboxylase-Aktivität frontal erklären.
Die Resultate der Münchener Gruppe zeigten aber nicht nur die Störung der DAT, sondern belegten erstmals in vivo und intraindividuell bei
Patienten mit ADHS, dass der gestörte Stoffwechsel durch Methylphenidat korrigiert wird: Unter Gabe von 3-mal 5 mg täglich fand sich nach
4 Wochen bei allen Patienten eine deutliche Reduktion der DAT-Konzentrationen (Dresel et al. 2000; Krause et al. 2000), die bereits unter dieser
geringen Dosis im Mittel sogar niedriger lagen als beim Kontrollkollektiv,
wobei erhebliche interindividuelle Unterschiede bei der Reduzierung der
DAT durch Methylphenidat auffielen (Krause 2003). Bei Normalpersonen
konnten andere Autoren in einer PET-Untersuchung mit [C-11]Kokain gleichfalls eine Abnahme der DAT unter Methylphenidat nachweisen
(Volkow et al. 1998).
Insgesamt bestätigen die neuesten SPECT-Untersuchungen die Vermutung, dass bei der ADHS eine Störung des Dopaminsystems im Striatum vorliegt, die sich durch Einnahme von Stimulanzien korrigieren lässt.
Interessant sind in diesem Zusammenhang Untersuchungsergebnisse bei
Ratten, die nach Gabe von Methylphenidat vor der Pubertät sogar eine
persistierende Erniedrigung der DAT aufwiesen, allerdings nicht mehr
bei Gabe nach der Pubertät (Moll et al. 2001). Sollten diese Befunde auch
beim Menschen zutreffen, könnte postuliert werden, dass eine frühzeitige
Behandlung mit Stimulanzien die bei der ADHS vorhandene Störung im
Bereich der DAT möglicherweise dauerhaft positiv beeinflusst.
1.7
Zusammenfassung
Biochemische, neurophysiologische, radiologische, nuklearmedizinische
und molekulargenetische Untersuchungen lassen vermuten, dass auf genetischer Basis eine Dysfunktion von Neurotransmittern vorzugsweise im
frontostriatalen System vorliegt. Die Störungen besonders im Katecholaminhaushalt – hier scheint vor allem Dopamin betroffen zu sein – führen
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zu Beeinträchtigungen der motorischen Kontrolle, der Impulsivität sowie
der Reizwahrnehmung und -verarbeitung.
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