LITERATURE AND MEMORY AFTER 1945 WEEK TWO – DEFINING TERMS IN POST-WAR GERMAN MEMORY CULTURE Dr Alex Lloyd | St Edmund Hall, Magdalen College | [email protected] 1. INTRODUCTION 2. DEFINING TERMS i. Collective memory Emile Durkheim (1858-1917), The Elementary Forms of the Religious Life (1912) Maurice Halbwachs (1877-1945) - mémoire collective – memory is a social phenomenon ‘While the collective memory endures and draws strength from its base in a coherent body of people, it is individuals as group members who remember.’ Maurice Halbwachs, The Collective Memory, trans. by Francis J. Ditter and Vida Yazdi Ditter, intro. by Mary Douglas (New York: Harper and Row, 1980), p. 48 ‘I carry a baggage load of historical remembrances that I can increase through conversation and reading. But it remains a borrowed memory, not my own. These events have deeply influenced national thoughts, not only because they have altered institutions, but also because their tradition endures, very much alive, in region, province, political party, occupation, class, even certain families or persons who experienced them firsthand. For me they are conceptions, symbols. I picture them pretty much as others do. I can imagine them, but I cannot remember them.’ Ibid, pp. 51-52 ii. Cultural memory and Communicative memory Jan Assmann (1938-) Aleida Assmann (1947-) ‘Unter dem Begriff des »kommunikativen Gedächtnisses« fassen wir jene Spielarten des kollektiven Gedächtnisses zusammen, die ausschließlich auf Alltagskommunikation beruhen. Sie sind es, die M. Halbwachs in seinen beiden Büchern Les cadres sociaux de la memoire (1925) und La memoire collective (1950) unter dem Begriff eines Kollektivgedächtnisses zusammengefaßt und analysiert hat und die den Gegenstandsbereich der Oral History bilden. […] Jedes individuelle Gedächtnis konstituiert sich in der Kommunikation mit anderen. Diese anderen sind aber keine beliebige Menge, sondern Gruppen, die ein Bild oder einen Begriff von sich selbst, d. h. ihrer Einheit und Eigenart haben und dies auf ein Bewußtsein gemeinsamer Vergangenheit stützen. […] Aus der Praxis der Oral History wissen wir heute Genaueres über die Eigenart dieser Alltagsform des kollektiven Gedächtnisses, die wir das »kommunikative Gedächtnis« nennen wollen (Niethammer 1985). Sein wichtigstes Merkmal ist der beschränkte Zeithorizont. Es reicht in der Regel alle Untersuchungen der Oral History scheinen das zu bestätigen nicht weiter zurück als 80 bis (allerhöchstens) 100 Jahre.’ Jan Assmann, ‘Kollektives Gedächtnis und kulturelle Identität’, in Kultur und Gedächtnis, ed. by Jan Assmann and Tonio Hölscher (Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1988), pp. 9-19 ‘Das kulturelle Gedächtnis hat seine Fixpunkte, sein Horizont wandert nicht mit dem fortschreitenden Gegenwartspunkt mit. Diese Fixpunkte sind schicksalhafte Ereignisse der Vergangenheit, deren Erinnerung durch kulturelle Formung (Texte, Riten, Denkmäler) und institutionalisierte Kommunikation (Rezitation, Begehung, Betrachtung) wachgehalten wird. Wir nennen das »Erinnerungsfiguren«.’ Ibid See also Aleida Assmann, Geschichtsvergessenheit – Geschichtsversessenheit – Vom Umgang mit deutschen Vergangenheiten nach 1945 (Stuttgart: Deutsche Verlagsanstalt, 1999) 3. GÜNTER GRASS’S ONIONS Günter Grass (1927-2015) ‘Erinnerung’, ‘Gedächtnis’, and Grass’s metaphor of chopping/peeling onions Die Blechtrommel (Munich: dtv, 2003 [1959]) Margarete and Alexander Mitscherlich, Die Unfähigkeit zu trauern: Grundlagen kollektiven Verhaltens (1967) ‘Im Zwiebelkeller’: ‘Die Gäste: Geschäftsleute, Ärzte, Anwälte, Künstler, auch Bühnenkünstler, Journalisten, Leute vom Film, bekannte Sportler, auch höhere Beamte der Landesregierung und Stadtverwaltung, kurz, alle, die sich heutzutage Intellektuelle nennen, saßen mit Gattinnen, Freundinnen, Sekretärinnen, Kunstgewerblerinnen, auch mit männlichen Freundinnen auf rupfenbespannten Kisten und unterhielten sich […].Man enthäutete die Zwiebeln. Sieben Häute sagt man der Zwiebel nach. Die Damen und Herren enthäuteten die Zwiebeln mit den Küchenmessern. Sie nahmen den Zwiebeln die erste, dritte, blonde, goldgelbe, rostbraune, oder besser: zwiebelfarbene Haut, häuteten, bis die Zwiebel gläsern, grün, weißlich, feucht, klebrig wäßrig wurde, roch, nach Zwiebel roch, und dann schnitten sie, wie man Zwiebeln schneidet, schnitten geschickt oder ungeschickt auf Hackbrettchen, die die Profile von Schweinen und Fischen hatten, schnitten in diese und jene Richtung, daß der Saft spritzte oder sich der Luft über der Zwiebel mitteilte […].Da wurde geweint. Da wurde endlich wieder einmal geweint. Anständig geweint, hemmungslos geweint, frei weg geweint. Da floß es und schwemmte fort. Da kam der Regen. Da fiel der Tau. Schleusen fallen Oskar ein, die geöffnet werden. Dammbrüche bei Springflut.’ (Book III, chapter 8) Beim Häuten der Zwiebel (Göttingen: Steidl, 2006) ‘Die Erinnerung liebt das Versteckspiel der Kinder. Sie verkriecht sich. Zum Schönreden neigt sie und schmückt gerne, oft ohne Not. Sie widerspricht dem Gedächtnis , das sich pedantisch gibt und zänkisch rechthaben will’ (p. 8) ‘Wenn ihr mit Fragen zugesetzt wird, gleicht die Erinnerung einer Zwiebel, die gehäutet sein möchte, damit freigelegt werden kann, was Buchstab nach Buchstab ablesbar steht: selten eindeutig, oft in Spiegelschrift oder sonstwie verrätselt. Unter der ersten, noch trockenen Haut findet sich die nächste, die kaum gelöst, feucht eine dritte freigibt, unter der die vierte, fünfte warten und flüstern. Und jede weitere schwitzt zu lange gemiedene Wörter aus, auch schnörkelige Zeichen, als habe sich ein Geheimniskrämer von jung an, als die Zwiebel noch keimte, verschlüssen wollen’. (p. 9) 4. MARTIN WALSER’S MEMORY POLITICS Martin Walser (1927-) Martin Walser, ‘Die Banalität des Guten. Erfahrungen beim Verfassen einer Sonntagsrede aus Anlass der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels’, FAZ, 12 October 1998, p. 15. Available online: http://tinyurl.com/haj7abh and in Die Walser-Bubis-Debatte. Eine Dokumentation. ed. by Frank Schirrmacher (Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1999) pp. 7-17 ‘Von den schlimmsten Filmsequenzen aus Konzentrationslagern habe ich bestimmt schon zwanzigmal weggeschaut. Kein ernstzunehmender Mensch leugnet Auschwitz; kein noch zurechnungsfähiger Mensch deutelt an der Grauenhaftigkeit von Auschwitz herum; wenn mir aber jeden Tag in den Medien diese Vergangenheit vorgehalten wird, merke ich, daß sich in mir etwas gegen diese Dauerpräsentation unserer Schande wehrt. Anstatt dankbar zu sein für die unaufhörliche Präsentation unserer Schande, fange ich an wegzuschauen. Wenn ich merke, daß sich in mir etwas dagegen wehrt, versuche ich, die Vorhaltung unserer Schande auf Motive hin abzuhören und bin fast froh, wenn ich glaube, entdecken zu können, daß öfter nicht mehr das Gedenken, das Nichtvergessendürfen das Motiv ist, sondern die Instrumentalisierung unserer Schande zu gegenwärtigen Zwecken. Immer guten Zwecken, ehrenwerten. Aber doch Instrumentalisierung. Jemand findet die Art, wie wir die Folgen der deutschen Teilung überwinden wollen, nicht gut und sagt, so ermöglichten wir ein neues Auschwitz.’ ‘Ich habe nicht den Mut oder nicht die Fähigkeit, Arbeitsszenen aus Kohlenwaggons der Jahre 1940 bis 43 zu erzählen, weil sich hereindrängt, daß mit solchen Waggons auch Menschen in KZs transportiert worden sind. Ich müßte mich, um davon erzählen zu können, in ein antifaschistisches Kind verwandeln. Ich müßte also reden, wie man heute über diese Zeit redet.’ Martin Walser, Über Deutschland reden (Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1989), pp. 76-77 Ein springender Brunnen (Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1998) ‘Solange etwas ist, ist es nicht das, was es gewesen sein wird. […] In der Vergangenheit, die wir alle zusammen haben, kann man herumgehen wie in einem Museum. Die eigene Vergangenheit ist nicht begehbar. Wir haben von ihr nur das, was sie von selbst preisgibt’ (p. 9) ‘In Wirklichkeit wird der Umgang mit der Vergangenheit von Jahrzehnt zu Jahrzent strenger normiert. Je normierter dieser Umgang, um so mehr ist, was als Vergangenheit gezeigt wird, Produkt der Gegenwart. […] Eine komplett erschlossene, durchleuchtete, gereinigte, genehmigte, total gegenwartsgeeignete Vergangenheit. Ethisch, politisch durchkorrigiert. Vorexerziert von unseren Gescheitesten, Einwandfreisten, den Besten’ (p. 282) 5. CONCLUSION ‘Arguably, in the 1980s Grass’s admission would have been met by a much more ferocious response as historical research at the time had highlighted the extent and the systemic nature of SS crimes committed at the Eastern front. In all likelihood, an earlier debate on Grass’s SS membership would have seriously damaged his reputation. While this is open to speculation, it is evident that twenty years later the focus of the debate has shifted away from historical facts and on to the mediation of these facts in the public domain.’ Anne Fuchs, Phantoms of War in Contemporary German Literature, Films and Discourse: The Politics of Memory (Basingstoke: Palgrave Macmillan, 2008), p. 170