Eine Themenzeitung von Mediaplanet Forschung Es gibt positive Veränderungen 3 Betroffenenbericht Ein Leben mit Cystischer Fibrose Krankenkasse Schwierige Entscheidungen seltene krankheiten Nr. 3/Februar 2013 facts zu Seltenen Krankheiten Durch Höhen und Tiefen Anna Heller mit einer Geschichte, die Mut macht. Foto: Matthew anderson Anzeige Mit wegweisenden Therapien komplexen Erkrankungen begegnen. Ihr Partner bei seltenen Erkrankungen www.genzyme.ch genzyme_anzeige_290x60_2013-01-22_D_v01_nl.indd 1 24.01.13 15:54 2 · februar 2013 Eine Themenzeitung von Mediaplanet Editorial Wir Empfehlen Seite 10 Paul Rhyn Leiter Kommunikation von Santésuisse, dem Branchenverband der schweizerischen Krankenversicherer im Bereich der Grundversicherung Anders und selten Keine Krankheit ist zu selten um ihr keine Beachtung zu schenken. Foto: shutterstock Menschen, die von einer seltenen Krankheit betroffen sind, durchleben zusammen mit ihren Angehörigen oft einen langen Leidensweg, bis sie die korrekte Diagnose und die richtige Behandlung erhalten. Es mangelt an wissenschaftlichem und medizinischem Wissen. Der Bundesrat lässt deshalb ein nationales Konzept zur Behandlung von Menschen mit seltenen Krankheiten erarbeiten, mit dem die Situation der Betroffenen nachhaltig verbessert werden kann. Umgang mit seltenen Krankheiten D ie obligatorische Krankenpflegeversicherung garantiert allen Menschen, die in der Schweiz leben, den Zugang zu einer umfassenden Versorgung und Pflege. Dieses auf Solidarität aufbauende System hat sich bewährt. Die Behandlungen und Therapien werden in hoher Qualität erbracht. Ein Patient, der an einer seltenen Krankheit leidet, befindet sich jedoch oft in einer komplexen Situation. Es geht einerseits darum, die Krankheit möglichst rasch und richtig zu diagnostizieren und zu behandeln. Anderseits soll die Finanzierung der Behandlung gesichert werden. Wer erkrankt ist, soll nicht zusätzlich durch offene finanzielle Fragen belastet werden. Gemeinsam Lösungen suchen Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) hat an zwei runden Tischen mit Vertretern von Krankenversicherern, Ärzteschaft, Pharmaindustrie, Patientenorganisationen, Politik und Behörden grundlegende Fragen zum Thema «Ormit freundlicher unterstützung phan Diseases» diskutiert. Im Mittelpunkt standen die Themenbereiche Diagnostik, Behandlung, Vergütung von Arzneimitteln sowie Therapien gegen seltene Krankheiten und der Stand der Forschung. Dabei wurden Lösungsansätze besprochen mit dem Bestreben, ein nationales Konzept zur Verbesserung der gesundheitlichen Situation von Menschen mit seltenen Krankheiten zu definieren. Der genaue Handlungsbedarf wird in Zusammenarbeit mit der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW) überprüft. Die Arbeiten des BAG werden von der Interessengemeinschaft (IG) Seltene Krankheiten begleitet. Obwohl das nationale Konzept noch in Bearbeitung ist, begegnet der Bund den Herausforderungen im Bereich der seltenen Krankheiten bereits heute aktiv. Insbesondere im Bereich der Vergütung von Laborleistungen und Arzneimitteln wurden in den letzten zwei Jahren auf Verordnungsebene Massnahmen ergriffen, um die Finanzierung der Diagnosestellung und Behandlung zu verbessern. Im Bereich der Zulas- Aufklärung «Wir wollen den Menschen mit ­seltenen Krankheiten eine optimale Betreuung und damit eine möglichst hohe Lebensqualität ermöglichen.» Pascal Strupler Direktor des Bundesamtes für Gesundheit sung der Arzneimittel durch Swissmedic wurde eine Verbesserung der Therapiesicherheit für eine kleine Anzahl von Patientinnen und Patienten in beiden Etappen der Revision des Heilmittelgesetzes aufgenommen. Der Bund ist bestrebt, Lösungen zu finden, welche der oftmals komplexen Betreuungssituation von Menschen, welche an einer seltenen Krankheit leiden, gerecht werden. Ziel ist, dass die Patienten möglichst rasch richtig diagnostiziert und behandelt werden und die Finanzierung gesichert ist. Bestmögliche Koordination unter medizinischem Fachpersonal,die Unterstützung der Forschung, der optimale Wissenstransfer und die Zusammenarbeit der zuständigen Behörden auf eidgenössischer, kantonaler und internationaler Ebene sind hierfür unerlässliche Voraussetzung. Es ist vorgesehen, dem Bundesrat im zweiten Quartal 2014 einen Schlussbericht zu präsentieren. Das Ziel ist klar: Den Menschen mit seltenen Krankheiten eine optimale Betreuung und damit eine möglichst hohe Lebensqualität zu ermöglichen. «Wirksamkeit muss belegt werden, ist aber bei seltenen Krankheiten schwierig nachzuweisen.» Muskelkrankheiten S. 5 Morbus Pompe S. 9 Forschung und Leben mit Muskelkrankheiten Es ist wichtig die Krankheit bekannter zu machen We make our readers succeed! Seltene Krankheiten Dritte Ausgabe, 28. Februar 2013 Managing Director: Fredrik Colfach Produktions- und Redaktionsleitung: Corinne Zollinger, Michael Müller Layout und Bildbearbeitung: Daniel Stauffer Project Manager: Luigi Kqira Tel.: +41 (0)43 411 73 22 E-Mail: [email protected] Distribution: Tages-Anzeiger Druck: Tamedia Kontakt: Marta Blizniak Tel.: +41 (0)43 540 73 05 E-Mail: [email protected] Folgen Sie uns auf Facebook und Twitter: www.facebook.com/MediaplanetSwitzerland www.twitter.com/MediaplanetCH Das Ziel von Mediaplanet ist, unseren ­Lesern qualitativ hochstehende ­redaktionelle ­Inhalte zu bieten und sie zum Handeln zu ­motivieren. So schaffen wir für unsere Inserenten ­eine Plattform, um Kunden zu pflegen und neue ­zu gewinnen. Eine Themenzeitung von Mediaplanet fact 1 news februar 2013 · 3 es gibt acht NPC-Fälle in der Schweiz Dr. med. phil. Marianne Rohrbach Kinderärztin und Genetikerin, Spezialistin für NPC am Universitätskinderspital Zürich, Mitglied der (SGIEM) und der (SSIEM) Niemann Pick-C (NPC) Forschung Die Erforschung von rund 7000 seltenen­Krankheiten und die ­Entwicklung ­wirksamer Medikamente wird vernachlässigt. Foto: shutterstock Forschung zu seltenen Erkrankungen: Es bewegt sich etwas ■■Frage: Warum fördert die Gebert Rüf Stiftung jährlich Rare DiseasesProjekte in der Höhe von zwei Millionen Franken? ■■Antwort: Weil sie überzeugt ist, dass in diesem Bereich Fortschritte möglich sind, die den Patienten einen raschen Nutzen bringen. Die Gebert Rüf Stiftung (GRS) ist die grösste private Stiftung zur Unterstützung von Wissenschaft und Forschung in der Schweiz. Eines der Förderfelder der Stiftung ist das Programm «Rare Diseases – New Approaches». Das Programm verfolgt das Ziel, neue Wirkstoffe, Diagnoseinstrumente und Therapieansätze für seltene Erkrankungen zu entwickeln. Es läuft seit dem Jahre 2009 und finanziert jährlich, mit einem Budget von zwei Millionen Schweizer Franken, fünf bis sechs Forschungsprojekte an Schweizer Hochschulen. «Unser Ziel ist es, vielversprechende Projekte zu finden und zu fördern. Die Projekte Dr. Pascale Vonmont Stellvertretende Direktorin der Gebert Rüf Stiftung dürfen sich nicht auf die Grundlagenforschung beschränken, sondern sollen auf einen therapeutischen Nutzen abzielen», erklärt Pascale Vonmont, stellvertretende Direktorin der GRS. Mit Gentherapie gegen das Erblinden Eines dieser Projekte wurde im Dezember 2012 am Friedrich Miescher Institut in Basel gestartet.Dort forscht die Gruppe um Botond Roska an einem aussergewöhnlichen Ansatz zur Behandlung von Retinitis Pigmentosa, einer seltenen Netzhauterkrankung, die betroffene Patienten erblinden lässt. Ursache ist das Absterben der Zapfen (Sehzellen). Roskas neue Idee besteht darin, in diese Zapfen die genetische Information für den Bau des Proteins Halorhodopsin gentherapeutisch einzuschleusen und auf diese Weise die Sehtüchtigkeit wiederherzustellen. Bei Mäusen und auch in menschlichen Zellen hat dieser Ansatz bereits funktioniert. Nun geht es darum, diese Technik – Optogenetik genannt – weiterzuentwickeln und in klinischen Versuchen anzuwenden. Derartige Projekte passen ideal zum Rare Diseases Programm der GRS. «Wir wollen mehr als Forschungsförderung betreiben», so Pascale Vonmont. «Mit unserem langjährigen Engagement pu- shen wir die Thematik der seltenen Erkrankungen nicht nur im Bereich der Life Science. Wir bringen die Thematik auch auf die politische Agenda von Behördenvertretern, Gesundheitsorganisationen, Firmen und anderen Stiftungen. Nur so wird ein Durchbruch für die Patienten erreicht.» Seit der Lancierung des GRS Programms hat sich in der Schweiz schon einiges bewegt: In Zürich wurde zum Beispiel im Februar 2013 mit «radiz» (Rare Disease Initiative Zürich) ein neuer klinischer Forschungsschwerpunkt für seltene Erkrankungen eröffnet.Daran beteiligt sind das Kinderspital Zürich, das Universitätsspital Zürich und die Universität Zürich. Auch der Schweizerische Nationalfonds hat die Dringlichkeit des Themas erkannt und beteiligt sich im Jahr 2013 erstmals mit einer Million Franken am europäischen Forschungsnetzwerk E-Rare. Dieses ermöglicht es Forschenden, im Rahmen interdisziplinärer Projekte zusammenzuarbeiten. Internationale Verknüpfung und fachliche Ergänzung der einzelnen Forschungsgruppen sind im Bereich «seltene Erkrankungen» besonders wichtig – zum Beispiel im Hinblick auf die zum Teil winzig kleinen Patientenzahlen. Mit E-Rare haben Schweizer Forschungsgruppen nun einfacheren Zugang zum europäischen Netzwerk. Eine weitere interessante Zusammenarbeit scheint sich in Genf zu ergeben. Dort haben sich Forschende der ehemaligen Biotech-Firma Merck-Serono im Geneva Biotech Center zusammengeschlossen. Der Fokus dieser neuen Startup-Firma liegt auf der Erforschung seltener Erkrankungen im Bereich Neurologie und Entzündungen. Die Zusammenarbeit zwischen dem Geneva Biotech Center und dem Rare Diseases Programm könnte Früchte tragen, denn das Ziel besteht darin, die vielversprechendsten Projekte gemeinsam einen Schritt näher zur Klinik zu bringen. Marco Brandenberger [email protected] Fact ■■ Bislang wurden im Rahmen des Programms «Rare Disease – New Approaches» insgesamt 21 Forschungsprojekte unterstützt. Das Programm läuft seit 2009. Die eingereichten Projekte müssen innovativ, realisierbar und effizient sein. Die Forschung braucht Anreize und einen nationalen Aktionsplan ■■Frage: Gibt es Positives im Bereich der seltenen Krankheiten? ■■Antwort: Aktive Patientenorganisationen wie ProRaris und die IG Seltene Krankheiten. Der Eindruck, dass die Pharma-Firmen die Erforschung der rund 7000 seltenen Krankheiten und die Entwicklung wirksamer Medikamente vernachlässigen, habe zwei Gründe, sagt Thomas B. Cueni, Geschäftsführer der Interpharma, und zwar die wissenschaftliche Komplexität der Materie und den kleinen Markt. In den letzten 20 Jahren habe es jedoch einen eigentlichen Aufschwung in der Erforschung seltener Krankheiten gegeben. Basis waren zum einen das besThomas B. Cueni Geschäftsführer von Interpharma, dem Verband der forschenden pharmazeutischen Firmen der Schweiz sere Verständnis der Ursachen mancher Krankheiten dank neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse, zum andern die Politik, weil erst die USA und dann die EU ökonomische Anreize schufen, die das kleine Marktvolumen kompensierten: «Die USA gewähren sieben Jahre Markt­ exklusivität für neue Medikamente, die EU erlaubt sogar zehn Jahre Schutzzeit. Diese Anreize führten dazu, dass grosse Pharma-Firmen mehr in diese Forschung investieren.» Trittbrettfahrer In der Schweiz seien wir Trittbrettfahrer der USA und der EU, sagt Cueni: «Wir bekommen weder Anreize noch eine Belohnung für forschende Firmen, und wir haben,im Gegensatz zu vielen anderen Ländern, noch nicht einmal einen nationalen Aktionspan für den Umgang mit seltenen Krankheiten. Es ist beschämend!» Umso mehr, als hervorragende Arbeit an Universitätsspitälern, namentlich Universitäts-Kinderkliniken, geleistet werde, aber auch durch Startup-Firmen, etwa im Bereich der Biotechnologie. Und es sei erfreulich, dass Schweizer Pharma-Grössen Medikamente gegen seltene Krankenten auf den Markt bringen konnten. Problembewusste Politiker Wenigstens gibt es nichtstaatliche Initiativen, beispielsweise aktive Patientenorganisationen wie den Dachverband ProRaris, oder die IG Seltene Krankheiten, die von der Aargauer CVP-Nationalrätin Ruth Humbel präsidiert wird. «Das Problem ist bis vor ein paar Jahren ignoriert worden, doch jetzt sind die Politiker problembewusster geworden», erklärt Thomas Cueni. Nachdem das Bundesgericht 2011 urteilte,dass die Krankenkassen das Medikament gegen die seltene Krankheit Morbus Pompe nicht bezahlen müssen, forderte Ruth Humbel in einem Postulat die Übernahme der Kosten bei seltenen Krankheiten. SVP-Nationalrat Guy Parmelin (VD) doppelte letztes Jahr nach und forderte einen nationalen Aktionsplan. «Das führte zweimal zu einem runden Tisch des Bundesamts für Gesundheit (BAG) mit allen Interessierten», berichtet Cueni. Der grösste Schweizer Krankenversicherer Helsana schuf mit dem BAG und den Herstellern ein Modell für die Bewertung des Nutzens von Medikamenten, das implizit oder explizit von anderen Krankenkassen übernommen wurde. «Über den Preis im Verhältnis zum Nutzen kann man reden», so Cueni, «aber der Patient soll nicht betroffen sein.» Doch die Botschaft des Bunderates vom November 2012 zum Heilmittelgesetz enthält kaum Anreize für die Erforschung seltener Krankheiten. Im Februar gab es Hearings in der Gesundheitskommission des Nationalrats. Thomas Cueni hofft, dass dieser Mangel korrigiert wird und es dann endlich vorwärts geht mit Anreizen für die Forschung und einer nationalen Strategie. Das lange Warten auf die Diagnose ■■Frage: Mit welchen Schwierigkeiten sehen sich Niemann Pick-C Patienten konfrontiert? ■■Antwort: Neben der Hilflosigkeit und der Ungewissheit, die NPC mit sich bringt, braucht es Zeit und Geduld, um zahlreiche bürokratische Hürden zu meistern. Am Anfang steht die Ungewissheit. Bis die Diagnose Niemann Pick-C fest steht, haben die Betroffenen oftmals eine jahrelange Odyssee hinter sich. «Die Situation ist für die Betroffenen und Angehörigen extrem belastend und in den meisten Fällen haben sie einen langen Ärztemarathon hinter sich. Ein Grund dafür ist, dass die klinischen Symptome von NPC nicht einfach einzuordnen sind», erklärt Dr. Marianne Rohrbach, Kinderärztin und Spezialistin für NPC. Jeder Fall ist anders Nicht selten vergehen deshalb bis zu 15 Jahre, bis die Diagnose gestellt wird. Steht dann endlich die Diagnose NPC, sind die Betroffenen im ersten Moment dankbar, dass ihre Krankheit endlich einen Namen hat. «Gleichzeitig sehen sich die Patienten und Angehörigen aber einer grossen Hilflosigkeit ausgeliefert. Wie wird die Krankheit verlaufen und wie wird sie für den Patienten ausgehen?», so Rohrbach. Denn die Krankheit verläuft zwar in jedem Fall anders, endet aber immer tödlich. Neben den Ängsten und der Ungewissheit, welche die Krankheit mit sich bringt, steht den Betroffenen meist ein Kampf mit den Behörden bevor. «Bis die gewünschten Hilfsmittel genehmigt werden, braucht es viel Zeit und Geduld.Gleiches gilt für das derzeit einzige Medikament, das die Krankheit hinauszögert und stabilisieren kann. Dieses ist sehr teuer und die Rückerstattung der Medikamentenkosten durch Krankenkassen und die IV ist deshalb ein enormes Problem», weiss die Spezialistin. Hoffnung aus den USA «Ein Hoffnungsschimmer ist eine in den USA jetzt laufende Studie mit dem Wirkstoff Cyclodextrin. Dieser schon lange vor allem in der Lebensmittelindustrie verwendete Wirkstoff bindet Cholesterin. In NPC ist der Cholesterintransport innerhalb der Zelle gestört und in ersten Studien konnte im Tiermodel gezeigt werden, dass Cholesterin einen günstigen Einfluss hat und Betroffene mit NPC länger und besser überleben.» Bei der aktuellen Studie wird bei etwa 30 Patienten der Wirkstoff direkt ins Zentralnervensystem gespritzt – also dorthin, wo sich die Krankheit vorwiegend manifestiert. «Wir hoffen, dass in einer späteren Phase auch in Zürich ein Studienzentrum eröffnet werden kann und die Behandlung mit Cyclodextrin dann auch für Schweizer Patienten zugänglich wird», so Rohrbach abschliessend. Anna Birkenmeier Gisela Blau [email protected] [email protected] 4 · februar 2013 Eine Themenzeitung von Mediaplanet fact 2 inspiration 80 prozent genetischen ursprungs Therapie 1. CF-Betroffene müssen täglich eine Vielzahl von Medikamenten einnehmen, um gegen ihre Krankheit zu kämpfen. 2. Zur Behandlung von CF gehört auch eine angepasste Atemphysiotherapie. 1 2 Foto: ZVG Ich möchte gerne noch ein paar Jahre anhängen Reto Weibel leidet an der angeborenen, unheilbaren Cystischen Fibrose. Jetzt überlegt er sich eine Lungen-Transplantation. ■■ Reto Weibel, wie wurde Ihre Krankheit entdeckt? Ich hatte das Glück, dass der Kinderarzt, zu dem mich meine Mutter brachte, als ich acht Wochen alt war, seine Dissertation über Cystische Fibrose (CF) geschrieben hatte. So bemerkte er, dass meine Symptome wie Bauchweh und Reto Weibel Auf dem Foto mit seiner Lebenspartnerin Husten typisch für CF waren. Das Neugeborenen-Screening wurde in der Zwischenzeit um CF erweitert. ■■ Kann ein Kind mit dieser Krankheit umgehen? Alle Kinder werden ausgebildet, noch bevor sie eingeschult sind, selber zweimal täglich Physiotherapie und Atemübungen zu machen, zu inhalieren, den Schleim zu mobilisieren. Die meisten CF-Kinder besuchen den Turnunterricht; Sport ist Teil der Therapie. Die einzige Einschränkung sind die häufigen Infekte, die stark schwächen. ■■ Treiben Sie selber Sport? Ich ging als Kind mit dem Vater joggen, auch als Erwachsener, doch das schaffe ich jetzt nicht mehr. Tennis ist mein Lieblingssport, aber in letzter Zeit geht das nur mit einer Sauerstoffflasche in einem Rucksack. Auch beim Skifahren mit meinen Söhnen muss der Rucksack mit. Ich versuche, trotz allem dran zu bleiben. ■■ Konnten Sie einen Beruf erlernen? Ich absolvierte zuerst eine Lehre als Maschinenzeichner, dann das Lehrerseminar und wurde Lehrer. ■■ Hatten Sie immer ein verständnisvolles Umfeld? Ich konnte ganz normal aufwachsen, meine Eltern behandelten mich nie als Sonderfall, die Krankheit war ein Teil von mir, ich habe mich nicht dagegen aufgelehnt. Meine zwei Jahre jüngere Schwester ist gesund. Erst in einem Lager mit anderen CF-Kindern sah ich Gleichaltrige, die schlecht dran waren und nicht herumrennen konnten wie ich.Ich schloss Freundschaften mit Leidensgefährten, doch als ich 20 war, starben viele meiner Freunde. Das war eine schlimme Zeit für mich. ■■ Sind Ihre Söhne gesund? Beide Kinder sind gesund, aber sie sind Träger und könnten CF weitergeben. Ihre Partnerinnen müssen dereinst ihr Erbgut abklären lassen.Auch meine (Ex-)Frau und ich liessen testen, ob sie Trägerin der Krankheit ist und wir gesunde Kinder haben würden. Die Buben sind jetzt 11 und 9 und sie wissen Bescheid. Im Moment geht es mir nicht mehr so gut,wir führen dieses Gespräch im Spital.Letztes Jahr erlebte ich einen schweren Einbruch, kann schon länger nicht mehr arbeiten und bin nun viel öfter im Spital als früher; im letzten Jahr mehr als 12 Wochen. ■■ Wie alt sind Sie? Ich bin 42; von meinem Jahrgang leben nur noch vier Prozent. Das Endstadium meines Lebens nähert sich, das sehe ich ganz klar, aber ich gebe nicht auf und befasse mich mit dem Thema einer Lungentransplantation. Ich war bereits zu ersten Gesprächen im Transplantationszentrum des Universitätsspitals Zürich. Ich bin optimistisch, habe sehr intensiv und bewusst gelebt. Wäre ich kein Kämpfer, wäre ich nicht mehr hier; ich habe manches Tief mit positivem Denken durchgestanden. Ich möchte gern noch ein paar Jahre mit guter Lebensqualität anhängen; ich erhoffe es mir. Gisela Blau [email protected] Anzeige Wir kämpfen gegen Cystische Fibrose Wir unterstützen Menschen mit der unheilbaren Erbrankheit Cystische Fibrose. Dazu gehört auch die Förderung von Forschungsprojekten, die uns der Heilung näher bringen. Helfen Sie uns, zu helfen. www.cfch.ch, [email protected] Tel. 031 313 88 45 Spendenkonto: PC 30-7800-2 Eine Themenzeitung von Mediaplanet februar 2013 · 5 news Leben mit der Muskelkrankheit SMA Typ III ■■Bis die Diagnose «Spinale Muskelathrophie Kugelberg Welander (SMA III)» bei Peter F. Keller gestellt wurde, vergingen Jahre. Die Krankheit verläuft progressiv und ist unheilbar. Medikamente gibt es keine. Peter F. Keller arbeitete während 40 Jahren in den Bereichen Verkauf/Marketing/Kommunikation. Heute lebt er als Schriftsteller mit seiner Frau Sylvia in Adliswil. GEHHILFE Für viele Muskelkranke unumgänglich. Foto: shutterstock Entwicklung der Forschung auf dem Gebiet der neuromuskulären Erkrankungen ■■Frage: Wie sieht der Entwicklungsstand der Forschung auf dem Gebiet der neuromuskulären Erkrankungen aus? ■■Antwort: Dank der molekularen Biologie hat in den letzten 25 Jahren die Erforschung der Muskelkrankheiten sehr grosse Fortschritte erzielt. Die «Myopathien» oder «neuromuskulären Erkrankungen» sind seltene Krankheiten, die weniger als eine von 2000 Personen betreffen. Viele dieser Erkrankungen sind genetisch bedingt, fortschreitend und zum jetzigen Zeitpunkt nicht behandelbar. Der Schwund von Skelettmuskulatur und eine womöglich einhergehende Schwäche der Atem- und Herzmuskulatur können tödlich verlaufen. Diese Erkrankungen betreffen ungefähr 10 000 Kinder und Erwachsene in der Schweiz. Die bekanntesten kindlichen neuromuskulären Erkrankungen sind die Muskeldystrophie Duchenne und die spinale Muskelatrophie. Der Forschungsstand In den letzten 25 Jahren hat die Erforschung der Muskelkrankheiten sehr grosse Forschritte erzielt, die der molekularen Biologie zu verdanken sind. Diese erlaubte die Entschlüsselung der genetischen Ursache vieler Muskelerkrankungen, was wiederum zum besseren Verständnis der Physiologie des normalen und des erkrankten Muskels führte. Diese Einsichten ermöglichten die Entwicklung neuer Therapiestrategien, welche gezielt auf die zugrundeliegende pathophysiologischen Mechanismen wirken. Die Entdeckung des Dystrophin-Gens zum Beispiel, dessen Mutationen zu der häufigen und Prof. Dr. med. Dr. phil. Michael Sinnreich Leiter Neuromuskuläres Zentrum, Departement Neurologie und Biomedizin, am Universitätsspital Basel ■■ Was waren die ersten Anzeichen der Krankheit? Peter F. Keller: Ich hinkte schon als Knirps den andern hinterher. Bei Turnund Sportwettbewerben in der Schule war ich jeweils nur besser klassiert als die Disqualifizierten! Das fiel auf. Die Eltern machten sich Sorgen. Lehrer, Ärzte und Physiotherapeuten rätselten. Irgendetwas stimmte nicht. Niemand wusste, was. Es blieb die Hoffnung, in mir stecke ein Spätzünder. Mich hat’s nicht interessiert. Meine Jugend war weitgehend unbeschwert. ■■ Wie haben Sie den Weg bis zur endgültigen Diagnose erlebt? Anfänglich war sanfte Gymnastik angesagt. Ohne Erfolg. Also prügelte man mich zu intensiver Leibesertüchtigung. Parallel wurde ich eingedeckt mit Vitaminbomben,Eisen,Kreatin,und wie das Zeug sonst noch hiess. Alles wirkungslos. Und einen Doctor Fuentes gab es nicht! Mit dem Erreichen der Volljährigkeit war ich dann ein voll entwickelter Nichtsportler. Und kam prompt zu einem Erfolgserlebnis: Bei der Rekrutenaushebung klatschte ein Adjutant Unteroffizier den Stempel ›untauglich‹ in mein Dienstbüchlein. Das hat mich gefreut. Ich bin Pazifist. Die Muskelbiopsie eines Patienten mit einer Dysferlinopathie: Das Bild degenerierende und regenerierende Muskelfasern, grosse Muskelfaserkaliberschwankungen, MyophaFoto: ZVG gien und entzündliche Infiltrate. schwer verlaufenden Muskeldystrophie Duchenne führen, geschah erst in den späten 1980er- Jahren. Durch das Studium der Funktionsweise des DystrophinProteins auf biochemischer und zellulärer Ebene sowie in Tiermodellen wurden Therapien entwickelt,welche zur Zeit in klinischen Studien an Patienten getestet werden. Ebenso wurden die molekularen Mechanismen vieler anderer Muskelerkrankungen in den letzten Jahren aufgedeckt, was die Entwicklung krankheitsspezifischer Therapien ermöglicht hat. Die grossen Fortschritte beschränken sich jedoch nicht nur auf genetisch bedingte Muskelerkrankungen,sondern beinhalten auch erworbene, entzündliche neuromuskuläre Erkrankungen, die heutzutage durch Immunmodulation gut behandelbar sind. Die Situation in der Schweiz In der Schweiz wird die Forschung auf dem Gebiet der neuromuskulären Erkrankungen von verschiedenen Institutionen finanziert: dem Schweizerischen Nationalfonds, der Gebert-Rüf-Stiftung, der Association Française contre les Myopathies, der Schweizerischen Stiftung für die Erforschung der Muskelkrankheiten (SSEM) und anderen. Die SSEM ist die wichtigste Finanzierungsquelle für die neuromuskuläre Forschung in der Schweiz. Seit ihrer Gründung im Jahre 1985 hat die SSEM 62 Forschungsgruppen, die in allen medizinischen Fakultäten unseres Landes arbeiten, mit einem Gesamtbetrag von 21 Millionen Franken unterstützt. Um den wissenschaftlichen Austausch unter den Forschern in der Schweiz zu fördern, organisiert die SSEM zudem zweijährlich ein Seminar über Muskelkrankheiten in Magglingen. Herrn Dr. Jacques Rognon wurde das Ehrendoktorat der Universität Bern für die Gründung dieser Stiftung verliehen. Ihm und Herrn Prof. Dr. Denis Monard, Präsident des wissenschaftlichen Beirates der SSEM, gebührt grossen Dank für die Verdienste um muskelkranke Menschen in der Schweiz. Marco Brandenberger [email protected] ■■ Wie hat sich Ihr Leben nach der Diagnose verändert? Vorerst blieb alles beim Alten. Es ging mir ja gut und immer nur ein ganz klein wenig weniger gut. Die Behinderung hatte nun einfach einen Namen: Spinale Muskelathrophie Kugelberg Welander (SMA III). Verlauf progressiv. Unheilbar. Punkt. Meine Freundin und heutige Ehefrau Sylvia hat die Diagnose mit souveräner Gelassenheit aufgenommen. Was auf uns zukommen würde,wussten wir, und planten die gemeinsame Zukunft mit Weitsicht. Solange es meine physischen Kräfte zuliessen, reisten wir im Auto quer durch Europa. Später kamen die Hilfsmittel, vom Gehstock bis zum Elektrorollstuhl. Das Ziel der Selbstbestimmung und Unabhängigkeit stand immer im Vordergrund. Heute trägt meine Frau die Hauptlast der Behinderung. Ohne sie wäre ich ein kostspieliger Pflegefall. Dass sie – und alle andern Menschen in ähnlicher Lage – für ihre immensen Hilfeleistungen rund um die Uhr, oft bis an die Erschöpfungsgrenze, keinerlei Entschädigung bekommt, ist dem Wohlfahrtsstaat Schweiz unwürdig. ■■ Welche Therapiemöglichkeiten gibt es? Keine. Und auch keine Medikation. Geforscht wird mit angezogener Hand- bremse. Muskelbehinderte sind für die Pharmaindustrie wirtschaftlich unrentabel. Umso wichtiger ist für die Betroffenen eine gefestigte mentale Verfassung. Die Psyche wird durch eine SMA III enorm strapaziert. Psychologisch geführte Gespräche mit einer Fachperson sind zweifellos wertvoll und inspirierend. Sie können verborgene Ressourcen ins Bewusstsein rufen. Stärken, die aus Schwächen generiert werden, sind Energiequellen für die Lebensbewältigung, sofern man sie intelligent nutzt. ■■ Wie hat Ihr soziales Umfeld auf die Diagnose reagiert? «Das isch scho no veruckt», hörten wir immer wieder. Viel mehr lag gar nicht drin. Was SMA III bedeutet, können nur direkt Betroffene und ihnen sehr Nahestehende richtig einschätzen. Nur sie erfahren im Alltag, dass unsere Hochleistungsgesellschaft kein Tummelfeld für Menschen mit Handicap ist. Wer nicht ins Schema passt, muss seinen Boden unter oft titanischem Kraftaufwand selbst beackern. ■■ Welche Herausforderung bringt die Krankheit in Bezug auf Ihre berufliche Tätigkeit mit sich? Meine Mobilität ist seit zehn Jahren auf ein Minimum eingeschränkt. Sie verunmöglicht eine geregelte Berufsausübung. Zuvor war ich langjähriger Texter und Kadermitglied in einer grossen Werbeagentur und verdiente mein gutes Geld. Genau gleich wie meine Ehefrau: Sie arbeitete im selben Betrieb als Direktionsassistentin. Dort lernten wir uns auch kennen. Unsere Ersparnisse haben wir vorsorglich angelegt. Sie verschafften uns den Freiraum, den wir heute mit Lebensinhalt und -freude ausfüllen können. ■■ Woraus schöpfen Sie Kraft, um neue Projekte zu realisieren? Was für andere die grosse weite Welt der Reiseprospekte, ist für meine Frau und mich die kleine grosse Welt der anspruchsvollen Genügsamkeit. Unkäuflich. In unseren völlig unterschiedlichen familiären Hintergründen und 30 Jahren gemeinsamer Lebenserfahrung offenbaren sich immaterielle Rohstoffe. Sie wahrzunehmen und aus ihnen intellektuelle Werte zu schöpfen, ist äusserst ergiebig – ganz unspektakulär lustvoll. ■■ Welche Momente sind für Sie im Umgang mit der Erkrankung besonders schwierig? Die kafkaesk funktionierenden Sozialbehörden sind zuweilen erniedrigend. Oft geht es nicht ohne beharrlichen Rechtsbeistand. Aber auch die unabänderliche Tatsache,nicht mehr Herr über meinen eigenen Körper zu sein, drückt generell auf das Gemüt. Mit allen geistigen Kräften dagegenzuhalten, gelingt mir nur dank der vorbehaltlosen und wunderbaren Nähe meiner Ehefrau.Die Besinnung auf das Sein im Augenblick und dessen Reichtum ist ein guter Ratgeber. Dazu gehören Traurigkeit ebenso wie Heiterkeit und Humor. Anna Birkenmeier [email protected] Anzeige Helfen Sie mit, die Erforschung von Muskelkrankheiten voranzutreiben: • Seit Gründung der SSEM vor über 25 Jahren hat die Stiftung128 Helfen via SMS Senden an die Nr. 339, Stichwort «SSEM», gefolgt vom Betrag Forschungsstipendien in der Höhe von 21 Mio. Franken finanziert, davon 64 Prozent in den Universitäten Bern, Basel und Zürich. Herzlichen Dank! • Die Fortschritte im Bereich der Erforschung von Muskelkrankheiten www.ssem.ch PC-Konto: 30-13114-3 ermöglichen heute klinische Studien mit Betroffenen. Helfen Sie mit, muskelkranken Menschen ihren Alltag zu erleichtern. Unterstützen Sie uns. www.muskelgesellschaft.ch PC-Konto: 80-29554-4 6 · februar 2013 Eine Themenzeitung von Mediaplanet inspiration Anna Heller* war Ende dreissig, als ein bösartiger und sehr seltener ­Tumor in der Bauch­speichel­drüse diagnostiziert und operativ entfernt wurde. Sie war g­ eschieden, ohne Kinder und in e­ iner ­Managementposition tätig. Heute, nach acht Jahren, arbeitet sie zu 100 Prozent und engagiert sich für Patienten mit s­ eltenen Krankheiten, damit sie möglichst selbständig in ihr Leben zurück­finden. Erfrischende Ideen von Betroffenen Seltener Tumor schweiz ■■ Anna Heller*, warum tragen Sie auf der Foto eine schwarze Nase? Es ist gar nicht lustig, mit einer seltenen Krankheit leben zu müssen.Mit der schwarzen Nase gebe ich Betroffenen ein Gesicht - auf witzige Art. ■■ Suchten Sie den Arzt wegen Beschwerden auf? Ich hatte verschiedene Beschwerden und spürte, dass sie zusammenhingen. Doch die Fachärzte mochten keinen Zusammenhang herstellen und beschränkten sich auf die Behandlung der Symptome. Danach ging ich zwei Jahre lang nicht mehr zum Arzt. ■■ Wie war Ihr Weg bis zur Diagnose eines neuroendokrinen Tumors (NET) in der Bauchspeicheldrüse? Beim Joggen spürte ich etwas Hartes im Bauch – es war der faustgrosse Tumor. Da mein Hausarzt die Praxis aufgegeben hatte, musste ich einen anderen finden. «Das gefällt mir gar nicht», meinte der Neue und überwies mich ins nahe Spital. Dort behielt man mich gleich für Untersuchungen, und eine kreidebleiche Schwester erklärte mir am Ende des Tages,dass mir mein Hausarzt Bescheid geben würde.Nur war die- ser auf dem Sprung in die Ferien. Ich erfuhr die Diagnose erst beim Chirurgen, der sich viel Zeit nahm, um mir die komplizierte Operation zu erläutern. Auf dem Nachhauseweg informierte ich meine Chefin und meine Angehörigen. ■■ Was geschah anschliessend? Nach zehn Tagen Spitalaufenthalt gab es für meinen Fall keine geeignete RehaKlinik. Ich hatte noch immer grosse Schmerzen im Bauch, vor allem, sobald ich etwas ass. Ich war abgemagert und so geschwächt, dass ich kaum stehen konnte. Ich hatte das grosse Glück, dass meine Eltern mich aufnahmen und meine Mutter mich pflegte. Da wurde mir erst bewusst, dass ich eine seltene Krankheit hatte: Es fehlte an kompetenten Ansprechpartner für die Diagnose und Behandlung nach dem Spitalaufenthalt. ■■ Wie ging Ihr Umfeld mit Ihrer Krankheit um? Meine Familie und meine Freunde waren einfach wunderbar! Sie unterstützten und motivierten mich auch bei weiteren Spitalaufenthalten. Glücklicherweise hatte ich eine verständnisvolle und grosszügige Chefin. Und mein Team nahm allen Druck von mir und erledigte auch meine Arbeit. Ich bin diesen Menschen sehr dankbar. ■■ Übernahm Ihre Krankenkasse die Behandlungskosten? Mit meiner Krankenkasse bin ich wirklich zufrieden. Allerdings ist das System, dass Patienten sämtliche Rechnungen an die Privatadresse zugestellt erhalten,diese kontrollieren und weiter an die Krankenkasse schicken müssen, eine Zumutung zu einer Zeit,in der man alle Kraft braucht, wieder auf die Beine zu kommen. ■■ Ist mit dem Tumor nun auch der Krebs aus Ihrem Körper verschwunden? Der Chirurg verstand zum Glück sein Handwerk und erwischte alle Tumorzellen. Dafür musste er viel herausschneiden. Mein Körper brauchte eine Weile,bis er sich mit den übrig gebliebenen Bauchteilen zurecht fand. ■■ Benötigen Sie eine Nachbehandlung? Der Vitaminspiegel wird regelmässig kontrolliert, weil ich nicht mehr so gut alle Nahrungsbestandteile aufnehmen kann. Bei Bedarf müssen mir Vitamine gespritzt werden. ■■ Sind Sie wieder arbeitsfähig? Manchmal arbeit ich sogar wieder mehr als 100 Prozent... Nach der ersten Operation war ich drei Monate arbeits- unfähig, danach erhöhte ich das Pensum auf 80 Prozent. Ein Jahr nach der zweiten Operation war ich wieder voll arbeitsfähig. ■■ Gab es finanzielle Einbussen? Nein, mein damaliger Arbeitgeber hatte eine hervorragende Vorsorge im Krankheitsfall. Doch mit jedem Stellenwechsel werde ich von den Versicherungen aufs Neue beurteilt, und wenn in den Akten das Wort Pankreaskrebs auftaucht, werde ich als so gut wie gestorben taxiert, auch wenn die Ärzte mich als geheilt bezeichnen. Aber es gibt auch Versicherungen, die ich gerne weiterempfehle, weil sie mit sich reden lassen. ■■ Was wünschen Sie sich von der Medizin undder Politik im Hinblick auf seltene Krankheiten? Ich wünsche mir, dass mehr Hausärzte sich über seltene Krankheiten weiterbilden, damit die Chancen für eine frühe Diagnose steigen. Ferner dass Fachärzte über ihren Schatten springen und interdisziplinär nach Lösungen suchen, wenn sie allein nicht weiterkommen. In der Forschung – vermute ich - liegen Erkenntnisse brach, die genutzt werden könnten. Pharmakonzerne sollten solche Erkenntnisse für Therapien weiterentwickeln. Von der Politik wünsche ich mir, dass sie die Brücke von der geförderten Spitzenmedizin zur Gesellschaft schlägt: Dank der Medizin überleben mehr Menschen schwere Krankheiten, aber in der (Leistungs-)Gesellschaft werden unbekannte, seltene Krankheiten stigmatisiert. Die Politik soll mit einem definierten Rahmen den Spielraum ermöglichen, damit Menschen mit einer Krankheitsgeschichte möglichst selbständig leben können. Mir gefällt der «Bottomup-Ansatz», nach dem Betroffene ihre Ideen einbringen, die oft unkompliziert und erfrischend sind. ■■ Hat sich Ihr Leben verändert? Die Krankheit war ein tiefer Einschnitt und eine Chance. Heute ziehe ich aus den Hochs und Tiefs im Leben Kraft, und ich lasse mich nicht mehr so leicht einschüchtern oder entmutigen. Ich muss zwar meine Kräfte besser einteilen. Aber ich möchte meine Lebensenergie in Tätigkeiten einbringen, die Sinn stiftend sind. Deshalb engagiere ich mich für Menschen mit seltenen Krankheiten dank meinem Knowhow und meinen Erfahrungen. * Name der Redaktion bekannt Gisela Blau [email protected] spinas | gemperle Anzeige 8 Mal die Ferien verschoben. 2 Mal Weihnachten nicht gefeiert. 1 neuen Wirkstoff gegen Krebs entdeckt. Mit Ihrer Spende fördern wir engagierte Forscherinnen und Forscher. Damit immer mehr Menschen von Krebs geheilt werden. PK 30-3090-1 KFS_Fuellerins_Pass_290x146_d_4c_Ztg.indd 1 19.10.2010 15:30:46 Uhr Eine Themenzeitung von Mediaplanet februar 2013 · 7 facts Von seltener Krankheit spricht man, wenn weniger als 5 Patienten pro 10 000 Einwohner betroffen sind. Etwa 80 Prozent der seltenen Erkrankungen sind genetisch bedingt. Seltene Krankheiten sind oft lebensbedrohlich oder chronisch invalidisierend und bedürfen einer spezifischen Behandlung. Seltene Krankheiten sind nicht so selten. Heute sind 6bis 8000 seltene Krankheiten bekannt. Wöchentlich kommen neue hinzu. Gemäss Hochrechnungen sind in der Schweiz rund 500 000 Menschen von einer seltenen Krankheit betroffen. Insgesamt leiden alleine in Europa schätzungsweise mehr als 30 Millionen Menschen an einer seltenen Krankheit. Seltene Krankheiten sind so selten, dass ein Allgemeinmediziner im Laufe seiner Berufskarriere nie oder ein einziges Mal damit konfrontiert werden. Deshalb dauert es oft mehrere Jahre, bis ein Patient die richtige Diagnose erhält. Weltweit sind heute rund 160 Medikamente (Orphan Drugs) gegen seltene Krankheiten zugelassen. Von der swissmedic in der Schweiz zugelassen sind 61 Orphan Drugs, 23 davon sind nicht in der Spezialitätenliste des BAG geführt und somit nicht vergütungspflichtig. In vielen europäischen Ländern existieren nationale Massnahmenpläne für den Umgang mit seltenen Krankheiten. Die Schweiz hat hier Nachholbedarf. Nationalrätin Ruth Humbel, Präsidentin der IG seltene Krankheiten, fordert in einem parlamentarischen Vorstoss den Bundesrat auf, einen nationalen Massnahmenplan vorzulegen. Die IG unterstützt das Bundesamt für Gesundheit (BAG) bei dessen Erarbeitung. FREIHEIT UND KRAFT Beides wird durch eine seltene Krankheit stark beeinträchtigt. Foto: Shutterstock Anzeige Wir kennen 30 000 Krankheiten. Darum forschen wir. Erst jede vierte kann wirksam behandelt werden. Seltene Erkrankungen – eine Volkskrankheit Eine Informationsbroschüre der forschenden pharmazeutischen Firmen der Schweiz Diese Broschüre können Sie kostenlos bestellen: www.interpharma.ch (Service) Verband der forschenden pharmazeutischen Firmen der Schweiz Petersgraben 35, Postfach, CH-4003 Basel +41 (0)61 264 34 00, www.interpharma.ch V 8 · februar 2013 Eine Themenzeitung von Mediaplanet Expertenmeinung Haben Sie schon einmal von einem neuroendokrinen Tumor gehört? Nein? Dann vielleicht eher von einem Bauchspeicheldrüsenkarzinom? So oder so, beides sind seltene Tumorerkrankungen der menschlichen Verdauungsorgane. Sie entstehen aus endokrinen (hormonproduzierenden) Zellen, die überall im Verdauungs­system oder damit zusammenhängenden Körperstellen vorkommen. Seltene Tumore des Verdauungssystems Chirurgische behandlung Medikamentöse behandlung «Durch die Nähe des Organs zu lebenswichtigen Gefässen handelt es sich um eine grosse, komplexe Operation.» «Die neuen Medikamente sind trotz Nebenwirkungen besser verträglich.» Prof. Dr. Med. Kaspar Z’graggen Facharzt FMH für Viszeralchirurgie und Chirurgie, Kernkompetenzen: Tumorchirurgie, Laparoskopische Chirurgie und Pankreas/Bauchspeicheldrüse Dr. med. Ralph Winterhalder Leitender Arzt medizinische Onkologie am Luzerner Kantonsspital, zertifiziertes Pankreas-Zentrum Neuroendokriner Tumor Bauchspeicheldrüsen­ Neuroendokriner karzinom Tumor ■■In welchem Fall kann ein neuroendokriner Tumor pankreatischen Ursprungs operiert werden? ■■In welchem Fall kann ein Bauchspeicheldrüsenkarzinom operiert werden? Prof. Dr. Med. Kaspar Z’graggen: Der primäre neuroendokrine Tumor der Bauchspeicheldrüse kann fast immer und sollte auch entfernt werden. Die lokal verursachten Symptome verschwinden daraufhin. Die Risiken der Operation sind in geübten Händen und in einer entsprechend spezialisierten Institution vertretbar. Selbst bei vorliegen von Metastasen muss beim neuroendokrinen Tumor die Entfernung des Haupttumors ernsthaft in Betracht gezogen werden. ■■Was sind die besonderen Schwierigkeiten bei einer solchen Operation? Prof. Dr. Med. Kaspar Z’graggen: Durch die Nähe des Organs zu lebenswichtigen Gefässen handelt es sich um eine grosse,komplexe Operation.Nicht nur muss man die technischen Fertigkeiten und die Erfahrung besitzen,diese Gefässe zu entfernen, sondern die Gefässrekonstruktion auch sicher vornehmen können. Es handelt sich dabei um Gefässnähte, Gefässplastiken und Gefässersatz von Pfortader und den wichtigen Baucharterien. Fehler bei der Gefässrekonstruktion können zu Mangeldurchblutung in lebenswichtigen Organen und schweren,auch tödlichen Komplikationen führen. Ausserdem müssen die Verbindungen unter den Organen wieder hergestellt werden, sodass eine weitgehend normale Verdauung möglich ist. ■■Wie stehen die Heilungschancen? Prof. Dr. Med. Kaspar Z’graggen: Bei neuroendokrinen Pankreastumoren sind die Heilungschancen gut,sofern der Tumor komplett entfernt wird und keine Metastasen vorliegen. Selbst bei Metastasen leben die Patienten zum Teil viele Jahre und wir verfügen über neue innovative Therapien, die den Verlauf günstig beeinflussen können. Eine Behandlung der tumor-induzierten Symptome (zum Beispiel Durchfälle,sog.Flushs) durch Medikamente oder nuklearmedizinische wie auch onkologische Behandlungen gelingt häufig. Prof. Dr. Med. Kaspar Z’graggen: Beim Bauchspeicheldrüsenkarzinom liegt zum Zeitpunkt der Diagnose bei mehr als drei Vierteln (ca.80 Prozent ) der Patienten bereits eine (meist ausgedehnte) Fernmetastasierung vor. Im Gesamtrahmen und in Anbetracht der schlechten Prognose ist eine grosse Pankreasoperation meist nicht sinnvoll. Das Gleichgewicht zwischen Risiko und Nutzen kippt zu Ungunsten der Operation. Bei den Patienten mit nicht-metastasierten Pankreaskarzinomen sollte aber eine chirurgisch radikale Operation in einem spezialisierten Zentrum angestrebt werden. ■■Was sind die besonderen Schwierigkeiten bei einer solchen Operation? Prof.Dr.Med.Kaspar Z’graggen: Durch die Nähe des Organs zu lebenswichtigen Gefässen, handelt es sich um eine grosse,komplexe Operationen.Nicht nur muss man die technischen Fertigkeiten und die Erfahrung besitzen diese Gefässe zu entfernen, sondern die Gefässrekonstruktion auch sicher vornehmen können. Es handelt sich dabei um Gefässnähte, Gefässplastiken und Gefässersatz von Pfortader und den wichtigen Baucharterien. Fehler bei der Gefässrekonstruktion können zu Mangeldurchblutung in lebenswichtigen Organen und schweren,auch tödlichen Komplikationen führen. Ausserdem müssen die Verbindungen unter den Organen wieder hergestellt werden, sodass eine weitgehend normale Verdauung möglich ist. ■■Wie stehen die Heilungschancen? Prof. Dr. Med. Kaspar Z’graggen: Bei den «normalen» Pankreaskarzinomen stehen die Überlebenschancen leider deutlich schlecht. Bei radikaler Operation und der heute fast immer empfohlenen zusätzlichen Systemtherapie/Chemotherapie können 20–25 Prozent der Betroffenen fünf Jahre überleben. Dies in Abhängigkeit vom primären Tumorstadium. Dieses gibt Auskunft über die Aggressivität des Krebses beziehungsweise der Metastasen/Ableger in Lymphstrukturen und Gefässen. Betrachtet man aber die Gesamtgruppe, also alle Patienten inkl. der 80 Prozent, die bereits bei Diagnose Metastasen aufweisen, so ist ein langes Überleben die Ausnahme.Bei der Chirurgie geht es deshalb vor allem um die lokale Kontrolle des Tumors und langfristige palliative Aspekte. Kathrin Fink [email protected] ■■Frage: Wieso verzeichnet die Statistik mehr NET-Erkrankungen? ■■Antwort: Verbesserte Diagnose­ möglichkeiten sind wahrscheinlich der Hauptgrund. «Viele neuroendokrine Tumore (NET) der Bauchspeicheldrüse zeigen leider lange Zeit nur wenige und unspezifische Symptome», sagt Ralph Winterhalder, Leitender Arzt der medizinischen Onkologie am Luzerner Kantonsspital. «NET sind Tumoren mit unterschiedlicher Biologie und klinischer Präsentation, oft symptomarm, langsam wachsend; die Patienten spüren vielleicht nur vage Magen-Darm-Probleme. Aber es gibt auch aggressive, schnell wachsende neuroendokrine Tumore.» Bis 40 Prozent der NET der Bauchspeicheldrüse produzieren eigene Hormone, die zu schweren Durchfällen,Magengeschwüren oder im Falle einer Insulinproduktion zu Zeichen der Unterzuckerung bis hin zu Bewusstlosigkeit führen können. Leider werden viele Krankheiten erst entdeckt, wenn schon Fernmetastasen zu Beschwerden führen. Bessere Diagnostik In den letzten Jahren ist ein Anstieg der Erkrankungen festzustellen, wie eine grosse, drei Jahrzehnte umfassende Studie aus den USA zeigt. Aber es sei durchaus möglich, sagt Dr. Winterhalder, dass vor allem eine verbesserte Diagnostik für die Zunahme der Häufigkeit verantwortlich ist. Auch die Pathologen können diese Art der Tumore besser unterscheiden. Behandlung Vom Stadium der Erkrankung hängt die Behandlung ab. Bei einem lokalisierten Tumor im Pankreas, noch ohne Ableger, ist die Operation die Therapie der Wahl. Kann nicht mehr operiert werden, gelangen symptomatische Therapie, vor allem Somatostatin-Analoga zum Einsatz, die an spezifischen Rezeptoren andocken, die zu Symptomen führende Hormonproduktion drosseln und auch das Wachstum zu beeinflussen scheinen. Gibt es Ableger in der Leber, kann in einzelnen Fällen auch die Metastasierung operiert werden. Ist dies nicht möglich, bleibt eine medikamentöse Behandlung die Therapie der Wahl. Zur Verfügung stehen neben klassischer Chemotherapie auch neue, sogenannte zielgerichtete Medikamente wie Affinitor und Sutent. Diese Therapie bringen den Patienten vielfach eine Linderung der Beschwerden und eine Stabilisierung der Krankheit. Bei vielen NET könnendie Somatostatinanaloga mit Radio-Isotopen für eine gezielte Strahlentherapie im Tumor selber kombiniert werden. Das Institut für Nuklearmedizin in Basel besitzt in der Schweiz die grösste Erfahrung mit dieser, DOTATOC genannten Therapie. Bauchspeichel­­drüsen­karzinom ■■Frage: Ist das Pankreaskarzinom (Bauchspeicheldrüsenkrebs) heilbar? ■■Antwort: Ja, aber leider nur in einem kleinen Prozentsatz. Die meisten Patienten können nicht operiert werden und erhalten eine medikamentöse Therapie. Das Pankreas-Karzinom ist nach wie vor eine der heimtückischsten Krebsarten, die häufig keine frühen Symptome zeigt. Typische Beschwerden, meist im fortgeschrittenen Stadium, sind gürtelförmig ausstrahlende Rückenschmerzen, Gewichtsverlust und Verdauungsprobleme. Nicht selten ist bei Tumoren im Pankreaskopf ein sogenannter schmerzloser Ikterus (Gelbsucht) die erste Manifestation. Die Diagnose wird durch eine radiologische Untersuchung (Computertomigraphie oder MRI) gestellt. Der Onkologe Ralph Winterhalder, Leitender Arzt der medizinischen Onkologie am Luzerner Kantonsspital,erklärt,dass das Pankreaskarzinom aus praktischen Gründen in drei Stadien eingeteilt wird : Eine frühe Form, die operiert werden kann, ein lokal fortgeschrittenes Stadium noch ohne Ableger (Metastasen), bei dem eine Operation nicht möglich ist,und drittens das Stadium mit Metastasen und einer mittleren Lebenserwartung von drei bis sechs Monaten. Nur in etwa 20 Prozent der neudiagnostizierten Fälle liegt ein operables Stadium vor. Die Operation ist aufwändig und schwierig und sollte deshalb in spezialisierten Zentren durchgeführt werden. Nur im operablen Stadium bestehen mit den gegenwärtigen Behandlungsmethoden Heilungschancen, aber nahezu 80 Prozent der operierten Patienten erleiden einen Rückfall. Um das Rückfallrisiko zu verkleinern, erhalten diese Patienten eine Nachbehandlung mit einer Chemotherapie über die Zeitdauer von sechsMonaten. Kann der Tumor nicht operiert werden,benötigt man eine Gewebeprobe zur Diagnosebestätigung. Behandelt werden die Patienten mit einer Chemotherapie mit dem Ziel,die Lebenszeit zu verlängern und die Lebensqualität zu verbessern. Der bisherige Standard ist eine Chemotherapie mit Gemcitabin. Fortschritte zeigen sich erfreulicherweise durch Kombinationsmöglichkeiten mit neuen Substanzen. Vorsorgeunteruchungen Breit gestreute Vorsorgeuntersuchungen werden beim Bauchspeicheldrüsenkrebs nicht empfohlen, hingegen bei Personen mit deutlich erhöhtem Risiko für ein Pankreaskarzinom (seltene familiäre, vererbte Formen) wird Vorsorge mittels Endosonographie oder MRI in Studien untersucht. «Beim Pankreas-Karzinom gibt es nach Jahren eher ernüchternder Forschung in letzter Zeit wieder Fortschritte», sagt Winterhalder, «die hoffentlich zu einer Verbesserung des Überlebens und der Lebensqualität unserer Patienten führen werden.» Gisela Blau [email protected] Eine Themenzeitung von Mediaplanet februar 2013 · 9 news Therapie Morbus Pompe – Was ist das? Morbus Pompe (MP) ist eine seltene Erkrankung, welche zu einem Verlust des Muskelgewebes und damit zu einer zunehmenden generellen Muskelschwäche führt. Es gibt Behandlungsmöglichkeiten, durch die der Krankheitsverlauf gestoppt werden kann – heilen kann man die Krankheit aber nicht, sodass eine lebenslange Behandlung notwendig wird. Tabletten-Revolution vor 10 Jahren ■■Frage: Wie lange soll nach einer GIST-Operation die adjuvante Therapie zur Senkung des Rückfallsrisikos fortgesetzt werden? ■■Antwort: Laut einer Studie mindestens drei Jahre. Der GIST (gastrointestinaler Stromatumor) ist ein selten auftretender Weichteilkrebs, meist im Bereich des Magens (60 Prozent) oder des Darmtraktes. Er tritt etwa zehn Mal auf eine Million Einwohner auf; die Schweiz verzeichnet im Jahr etwa 70 bis 80 Neuentdeckungen, sagt Dr. med. Donat Dürr, leitender Arzt der Onkologie/Hämatologie am Zürcher Stadtspital Triemli, einem der drei Schweizer GIST-Kompetenzzentren. Patientinnen und Patienten suchen den Arzt auf, weil sie Blut im Stuhl entdecken, oder wegen Atemnot, Müdigkeit, unspezifischen Bauchschmerzen. GIST ist keine Wohlstandserkrankung infolge ungesunden Lebenswandels. Bis vor etwa 30 Jahren war es nicht einfach, GIST von anderen Weichteiltumoren zu unterscheiden, weil moderne, spezifische Untersuchungsmethoden wie die Immunhistochemie den Pathologen noch nicht zur Verfügung standen. Dank den Bildgebungs-Techniken wie der Computer-Tomografie (CT) oder der Magnetresonanz-Tomografie (MRI) kann GIST häufig frühzeitig entdeckt werden, manchmal sogar dann, wenn Patienten ohne entsprechende Beschwerden und aus anderen Gründen untersucht werden. Eine Gewebeprobe führt zur Diagnose, und es wird untersucht, ob der Tumor etwa bereits in anderen Körperteilen Ableger verursacht hat. Beurteilung des Rückfallrisikos Zeigt die Bildgebung keine Ableger, so ist eine Operation angezeigt. Mit der Entfernung eines Teils des Magens oder des Dünndarms wird zwar der gesamte Tumor entfernt, es ist aber dennoch nicht sicher, ob nicht bereits auf dem Blutweg bösartige Zellen gestreut wurden. Postoperativ lässt sich das Rückfallrisiko zum Beispiel mit dem Miettinen-Index berechnen. Das heisst: Je grösser der Tumor war, desto eher müssen bösartige Zellen in der Blutbahn vermutet werden. Auch die Lokalisierung spielt eine Rolle: «Das Rückfallrisiko bei einem GIST im Magen ist deutlich kleiner als zum Beispiel im Dünndarm», sagt Donat Dürr. Im Weiteren spielt die Wachstumsgeschwindigkeit (mitotischer Index) eine Dr. med. Donat Dürr Leitender Arzt Onkologie/Hämatologie am Zürcher Stadtspital Triemli «Die Herausforderung bei der Diagnosestellung von MP ist, dass die Ärzte oft nicht daran denken», sagt Experte Prof. Dr. med. Kai Rösler. «Um möglichst früh mit der Behandlung beginnen zu können, ist es wichtig, die Krankheit bekannter zu machen, damit die Ärzte diese Erkrankung als mögliche Ursache der Patientenbeschwerden in Betracht ziehen.» MP ist eine erblich bedingte Stoffwechselerkrankung, die sich durch eine Beeinträchtigung der Muskulatur bemerkbar macht. Als Folge einer defekten Erbanlage kann in Muskelzellen die Zuckerstärke nicht richtig abgebaut werden. Die Muskelzellen werden dadurch dauerhaft zerstört, was zu einer fortschreitenden Muskelschwäche führt. Die Symptome und der Schweregrad der Erkrankung sind von Person zu Person stark unterschiedlich. Meist kommt es zu einer Schwäche von Armen und Beinen,sodass das Gehen oder manuelle Tätigkeiten behindert sind. Es können aber auch die Atemmuskeln betroffen sein, sodass der Patient unter Atemnot leidet.Bei besonders schweren Formen,die schon im Säuglingsalter beginnen,ist auch der Herzmuskel mitbetroffen. Herz- und Atemschwäche führen bei solchen kleinen Patienten zum frühen Tod, wenn ihre Ursache nicht rasch erkannt und behandelt wird. Es gibt Behandlungsmöglichkeiten PET-Untersuchung: Hell aufleuchtende, aktive Leber-Absiedlung eines GIST vor Behandlung. Unter wirksamer Behandlung verliert die Lebermetastase an Stoffwech­ Fotos: Prof.Dr.Prior ( Nuklearmedizin CHUV Lausanne ), Dr. Montemurro selaktivität (kleines Bild). wichtige Rolle bezüglich des Rückfallrisikos. «Bei hohem Rückfallrisiko entscheiden wir uns für eine adjuvante Therapie mit Tabletten, um das Risiko für einen Rückfall zu senken», erklärt der Onkologe. «Bei mittleren Risiken wägen wir ab, ob wir diese Nachbehandlung beginnen, weil wir die betreffenden Patienten nicht unnötig durch Nebenwirkungen belasten wollen.» Mögliche Nebenwirkungen sind Übelkeit, Durchfall, Müdigkeit, Blutbildveränderungen und Wassereinlagerungen in der Augenregion. Letzteres kann besonders für junge Frauen eine Belastung sein. «Die Übelkeit können wir mit einem Trick aushebeln», so Donat Dürr,«indem wir den Patienten raten, die Tabletten abends einzunehmen. Im Schlaf werden sie die Übelkeit deutlich weniger wahrnehmen.» Vielleicht länger als drei Jahre Skandinavische Studien haben gezeigt, dass die adjuvante, also zur Operation ergänzende Therapie mit Tabletten mindestens drei Jahre lang durchgeführt werden sollte. Diese Zeitspanne verspricht eine bessere Überlebenschance.Dürr: «Ob eine noch längere Therapie etwas bringt, wissen wir noch nicht,weil hier noch Studien im Gang sind.Die meisten Onkologen neigen allerdings dazu, weil wir sehen, dass ein gewisser Prozentsatz der Patienten einen Rückfall erleidet,sobald die Tabletten abgesetzt werden.» Die Behandlung und Nachbehandlung von GIST erfolgt im Spital durch ein interdisziplinäres Team, das sich ausser Onkologen auch aus Pathologen, Radiologen und Chirurgen zusammensetzt.Gemeinsam werden Chancen und Risiken erwogen und die Therapien festgelegt, von der Operation bis zur adjuvanten Nachbehandlung. Die adjuvante Nachbehandlung unterscheidet sich von der palliativen Nachbehandlung. Wenn eine Heilung nicht möglich ist, stehen mehrere moderne Tabletten, sogenannte Multikinase-Inhibitoren, zur Verfügung. Für die adjuvante Senkung des Rückfallrisikos gibt es eine einzige Tablette namens Imatinib, die vor zehn Jahren einer Revolution gleichkam. Seitdem kann,anders als bei einer flächendeckenden Chemotherapie,gezielt bei relativ erträglichen Nebenwirkungen auf den Tumor eingewirkt werden. Die Patienten tragen durch ihre Therapietreue, also die durch den Arzt empfohlene ,regelmässige und wie Medikamenteneinnahme,entscheidend zum Erfolg der Behandlung bei. Gute Information ist wichtig Wer sich einer adjuvanten Therapie unterzieht, ist in regelmässigem Kontakt mit den Medizinern. Vor dem Start der Therapie soll eine sogenannte Mutationsanalyse durchgeführt werden, mit der untersucht wird, ob der Tumor genetische Veränderungen durchgemacht hat und auf die Therapie anspricht. Dies kommt in 80 Prozent der Fälle vor.Neben der medikamentösen Therapie gehören auch regelmässige Bildgebungen zur Behandlung, obwohl deren optimales zeitliches Intervall noch unklar ist. Als sehr wichtig erachtet Dr. Dürr die GIST-Gruppe Schweiz, eine Vereinigung, die GIST-Patienten umfassend informiert: «Wer mit der GIST-Gruppe in Kontakt getreten ist, weiss häufig sehr viel über diese Krankheit.» Gisela Blau [email protected] Es ist eigentlich nicht schwierig, die Krankheit zu diagnostizieren. «Die Symptome ähneln zwar vielen anderen Muskelerkrankungen, doch mittels einer einfachen Blutuntersuchung kann die Diagnose eindeutig gestellt werden»,sagt Prof.Rösler.Einmal festgestellt,ist der Befund für viele Betroffene einerseits ein Schock. Andererseits sind Patienten oft Anzeige Prof. Dr. med. Kai Rösler Leitender Arzt Universitätsklinik für Neurologie in Bern, Leiter Muskelzentrum aber auch erleichtert,denn die Diagnosestellung beendet Jahre der Ungewissheit über die Ursache ihrer zunehmenden Muskelschwäche, und es eröffnet sich die Möglichkeit einer Behandlung.Seit einigen Jahren steht ein Medikament zur Verfügung,welches an den Universitätsspitälern und grösseren Kantonsspitälern der Schweiz angeboten wird.Da diese Behandlung aufwändige Tests der Muskelkraft notwendig macht, und weil das Medikament kurz vor der Eingabe vor Ort zubereitet werden muss, ist die Überwachung durch ein Expertenteam notwendig. Das Wissen eines Hausarztes reicht dafür nicht aus. Die Therapie ist komplex Seit 2008 steht eine Enzymersatztherapie (ERT) zur Verfügung, welche es erlaubt, die Stoffwechselstörung beim MP zu behandeln. Das fehlende Enzym, welches zum Abbau von Stärke nötig ist, wird dem Patienten dabei alle zwei Wochen mit einer Infusion im Spital verabreicht. Durch das Ersetzen des Enzyms wird bei vielen Pompe-Patienten das Fortschreiten des Muskelverlusts gestoppt oder mindestens verlangsamt. Gerade bei den ganz besonders schweren Fällen bei Kleinkindern führt diese Behandlung oft zur völligen Beschwerdefreiheit, sodass diese Kinder normal aufwachsen und ein praktisch normales Leben führen können.Ergänzend zur ERT nehmen unterstützende Behandlungen wie Physio-,Ergo- und Atemtherapie sowie Diätempfehlungen einen wichtigen Stellenwert ein.Diese ermöglichen dem Patienten eine zusätzliche Erleichterung des Alltags, indem sie zu einem besseren psychischen und körperlichen Befinden beitragen. Prof. Rösler sieht seine Pompe-Patienten zweimal pro Jahr zu einer allgemeinen Untersuchung, um die Wirksamkeit der Behandlung auf den Krankheitsverlauf zu beurteilen. kathrin fink [email protected] 10 · februar 2013 Eine Themenzeitung von Mediaplanet fact 3 Expertenmeinung Schwierige Entscheidungen bei der Vergütung eines unklaren Nutzens Krankenversicherer müssen den allgemeinen Zugang zu zweckmässigen Therapien sichern. Behandlungen für seltene Krankheiten können den Nachweis der Zweckmässigkeit nicht immer erbringen, aber sie bedeuten eine Erleichterung des Leidens oder wenigstens einen Strohhalm der Hoffnung. Oft übernehmen Krankenkassen die Kosten aus ethischen Gründen. Gibt es keinen allgemeinen Zugang zu Therapien, würde eine Zweiklassenmedizin entstehen, sagt Rhyn. Wer es sich leisten kann, könnte sich Behandlungen kaufen, die für Ärmere unerreichbar sind. Aus Sicht der sozialen Versicherung wäre das nicht angemessen. Im Krankenversicherungsgesetz (KVG) sind hingegen aber auch die Anforderungen klar definiert, damit Leistungen von den Kassen übernommen werden: «Therapien müssen wirksam, zweckmässig und wirtschaftlich sein», so Rhyn. «Problematisch bei seltenen Krankheiten ist, dass häufig zur Beurteilung der Kassenpflicht nur wenige Daten zur Verfügung stehen.» Bei seltenen Krankheiten stehen wir in der Schweiz hinsichtlich des Zugangs zu Therapien im internationalen Vergleich gut da, freut sich Paul Rhyn. Gerade bei der beschleunigten Zulassung von Spezialmedikamenten gibt es viel Offenheit und Flexibilität. Aber aus Sicht der Krankenversicherer sei es besonders wichtig, dass vermehrt wieder mit wissenschaftlichen Untersuchungen der Nachweis von Wirksamkeit, Zweckmässigkeit, Wirtschaftlichkeit und Nutzen für Patienten erarbeitet werde, damit Patienten auf eine problemlose Kostenübernahme der Therapie zählen können. Standards entwickeln «Leider fehlen vom Bund bisher grundsätzliche Strategien», bedauert Paul Rhyn. Glücklicherweise habe der Bundesrat mit dem Bundesamt für Gesundheit (BAG), den Patientenorganisationen, den Leistungserbringern, der Pharmaindustrie und den Versicherern einen Prozess in Gang gesetzt, um Probleme im Bereich seltener Krankheiten anzugehen und eine Strategie zu entwickeln. Die Vertrauensärzte der Versicherer beurteilen heute schon auch bei nicht zugelassenen Medikamenten im Einzelfall die Therapie und entscheiden, wenn die Voraussetzungen erfüllt sind und ein grosser Nutzen vorliegt, im Interesse der Patienten. Oft werde aus ethischen Gründen ein Medikament für eine seltene Krankheit bezahlt. Oft übernehme auch der Pharma-Hersteller einen Teil der Kosten. Viele Menschen mit seltenen Krankheiten sehen sich mit der Frage Anzeige Paul Rhyn Leiter Kommunikation von Santésuisse, dem Branchenverband der schweizerischen Krankenversicherer im Bereich der Grund­ versicherung «Die Krankenversicherung ist vom klassischen Grundsatz geleitet, dass die Allgemeinheit Zugang zu Therapien erhalten soll.» konfrontiert, ob ein unter Umständen sehr teures Medikament für ihre Therapie von der Krankenkasse übernommen wird oder nicht. Massgebend für die Kassenpflicht ist grundsätzlich die Aufnahme eines Medikamentes auf die sogenannte Spezialitätenliste des BAG. Etwa 100 Medikamente auf dieser Liste betreffen seltene Krankheiten. Oft sei ein Medikament zwar verfügbar, aber es liegt keine Kassenzulassung vor. Unter bestimmten Voraussetzungen kann dieses Medikament aber trotzdem von der Krankenkasse übernommen wird. Voraussetzungen für Kostenübernahme müssen erfüllt sein Die Kostenübernahme durch die Krankenkassen setzt voraus,dass es keine Alternative gibt, die Krankheit schwere oder lebensbedrohliche Folgen hat und ein grosser Nutzen der Therapie erwartet werden kann. Dieser Rahmen wird von den Vertrauensärzten der Krankenversicherer genutzt. Härtefälle lassen sich trotzdem nicht völlig vermeiden, erklärt Rhyn. «Eine Ablehnung aufgrund nicht erfüllter Voraussetzungen ist aus Sicht der betroffenen Patienten oft schwer verständlich,da sie vielleicht in dieses eine bestimmte Medikament alle Hoffnung für eine Genesung gesetzt haben.» Fünf Prozent oder rund 400 000 Personen der in der Schweiz lebenden Bevölkerung sind von einer der etwa 7000 seltenen Krankheiten betroffen. Die Medikamente für diese Kranken machen laut der Statistik 3,4 Prozent aller Medikamentenkosten aus, oder 170 Millionen Franken von insgesamt fünf Milliarden. Rhyn: «In diesem speziellen Bereich des Medikamentenmarktes locken hohe Margen und Gewinne. Uns ist wichtig, dass die Preise sich in einem vernünftigen Rahmen bewegen und die Medikamente bezahlbar bleiben. Wir möchten uns gerne an Produktionskosten orientieren und nicht jeden Preis zahlen, der von der Pharmaindustrie vorgegeben wird. Die Hersteller müssten zu Transparenz verpflichtet werden.» Einzelne Versicherer würden sich jetzt schon mit einzelnen Herstellern über deren Preise verständigen. Gesellschaftliche Probleme lösen «Der in Gang gekommene Prozess lag in der Luft», sagt Rhyn, «wegen des medizinischen Fortschritts, dank dem Diagnosen präziser werden und Therapien gezielter auf die genetische Disposition einzelner Personen zugeschnitten wird. Eine genaue Diagnose führt zu einer genauen Therapie und definiert, welche Patienten für welche Medikamente in Frage kommen. So positiv diese Entwicklung auch ist, wird unter Umständen trotz hohem Aufwand ein nur noch sehr geringer therapeutischer Nutzenzuwachs erzielt. Die Politik muss sich mit den Lichtund Schattenseiten dieser medizinischen Errungenschaften auseinandersetzen. Das Bundesgericht urteilte, als es 2010 entschied, dass ein sehr teures Medikament wegen zu geringer Wirkung nicht kassenpflichtig sei, dass die Politik Regeln bezüglich Finanzierungsgrenzen aufstellen und nicht das oberste Gericht die Probleme der Gesellschaft lösen muss.» Entscheidungen bei seltenen Krankheiten sind für alle belastend - insbesondere natürlich für die Betroffenen selber. Werden Kriterien zur Beurteilung der Kostenübernahme für Medikamente bei seltenen Krankheiten angewendet, entstehe immer ein Spannungsfeld, meint Rhyn. Entscheide müssen für oder gegen Patienten, für oder gegen die Allgemeinheit, für oder gegen die Umsetzung eines zu wenig dokumentierten medizinischen Nutzens gefällt werden. Krankenversicherer stehen vor der schwierige Aufgabe, Grundlagen und Kriterien zu beachten, aber andererseits auch vor der ethischen Anforderung, den Zugang zu einer Behandlung zu ermöglichen. Paul Rhyn: «Dass die Schweiz laut Studien in diesem Bereich gut dasteht, heisst nicht, dass man es nicht auch noch besser machen könnte.» über 75 prozent der betroffenen sind Kinder hilfe Menschen mit einer Seltenen Krankheit brauchen häufig eine sehr intensive Pflege und Unterstützung. Foto: Shutterstock Pflege Für Kinder rund um die Uhr im Einsatz ■■Frage: Wann kann ein schwer krankes Kind von der KinderSpitex zu Hause betreut werden? ■■Antwort: Der Austritt aus dem Spital ist immer ein gemeinsamer Entscheid des behandelnden Arztes, der Eltern und der kispex. «Auch schwer kranke Kinder sollen, wenn immer medizinisch vertretbar, zu Hause in der Geborgenheit der Familie gepflegt werden, da sind sich Fachleute einig», sagt Bea Blaser-Schmucki. «Dort fühlen sie sich am wohlsten, und dies wirkt sich positiv auf den Krankheitsverlauf und den Heilungsprozess aus.» Blaser-Schmucki ist für die private Nonprofit-Organisation Kinder-Spitex (kispex) tätig,die im ganzen Kanton Zürich Kinder von 0–18 Jahren zu Hause pflegt. Viele dieser Kinder haben ein chronisches Leiden oder eine seltene Erkrankung aufgrund eines Geburtsgebrechens und werden über längere Zeit von kispex betreut. Professionelle Pflege Die gut ausgebildeten und u.a. in Pädiatrie erfahrenen kispex-Pflegefachleute betreuen Kinder mit den unterschiedlichsten Erkrankungen und führen vielfältige Pflegeverrichtungen aus, vom Verbandswechsel über die Verabreichung von Spritzen bis zur komplexen Infusionstherapie. Die Pflege vor Ort dauert unterschiedlich lang, die Einsätze variieren von 30 Minuten bis zu einigen Stunden.Je nach Zustand des Kindes übernehmen die Pflegefachleute auch Nachtwachen. «Wenn es eine Situation erfordert, sind wir auch offen für unkonventionelle Lösungen», sagt die Fachfrau. Die Bea Blaser-Schmucki Pflegeberatung und Projektbegleitung Kinder-Spitex (kispex), Kanton Zürich kispex betreute z.B. ein Kind, das dreimal täglich viele verschiedene Herzmedikamente benötigte. Da seine Mutter nicht lesen konnte, füllten die kispex-Frauen die vorebereiteten Medikamente in drei verschiedenfarbige Boxen mit Symbolen für Morgen, Mittag und Abend ab. «Wenn nötig, sind wir für die Eltern 24 Stunden erreichbar», betont Bea Blaser-Schmucki. «Wir bieten einen Helplinedienst an, Eltern können bei Problemen oder in Krisensituationen jederzeit anrufen und erhalten von unseren speziell geschulten MitarbeiterInnen sofortige telefonische Unterstützung.» Parallel zu dieser Beratung können bei Bedarf auch die notwendigen Notfallmassnahmen eingeleitet werden. Für kispex ist die Zusammenarbeit mit den Ärzten und den verschiedenen Fachdiensten sehr wichtig. Bei Problemen wird im interprofessionellen Austausch nach Lösungen gesucht. Lebensqualität ermöglichen Ein wichtiges Angebot der kispex ist die Palliative Care – Pflege, wenn Heilung nicht mehr möglich ist. In dieser Krankheitsphase ist es notwendig, dass belastende Symptome schnell erkannt und effizient behandelt werden. «Wir tun alles, um dem Kind und seiner Familie eine gute Lebensqualität zu ermöglichen », sagt Bea BlaserSchmucki. Begleitung und Abschied Der Tod eines Kindes ist für Eltern und Geschwister vermutlich der schmerzlichste Moment in ihrem Leben. Zum Palliativ-Pflegekonzept von kispex gehört die Begleitung der Familien während des Sterbens ihres Kindes.Bea Blaser-Schmucki: «Auf Wunsch kann diese Begleitung auch nach dem Tod des Kindes weitergeführt werden. Dies kann bei der Trauerarbeit hilfreich sein.» gisela blau [email protected] Eine Themenzeitung von Mediaplanet februar 2013 · 11 news Unterstützung Die Hoffnung und der Wunsch nach einem unbeschwertem Leben sind auch für Kinder und Familien mit einer seltenen Krankheit sehr wichtig. Patient empowerment: Uns gemeinsam realistische Ziele zu setzen, hilft Gesundheits­ kompetenz und Selbstmanagement bei chronischen Krankheiten zu Foto: ZVG fördern. Foto: zvg Lebensqualität trotz seltener Krankheit ■■Frage: Wie können Menschen mit seltenen Krankheiten optimal unterstützt werden? ■■Antwort: Die grosse Mehrzahl der Betroffenen mit einer seltenen Krankheit leidet nicht nur unter dem Mangel an Medikamenten. Auch mangelhafte Unterstützung, Isolation und fehlende Netzwerke erschweren ihnen das Leben. Dr. Frank Grossmann Gründer und Geschäftsleiter der Forschungsstiftung Orphanbiotec Medikamente gegen seltene Krankheiten fehlen oder sind sehr teuer und für Krankenkassen nicht ohne weiteres zu finanzieren. Die Forschungsstiftung Orphanbiotec entwickelt neue und finanzierbare Medikamente gezielt für Menschen,die an seltenen Krankheiten leiden. Doch auch der psychische Aspekt darf nicht vernachlässigt werden. Deshalb ist es wichtig, Betroffene hier gezielt zu stützen. So verfolgt die Stiftung auch das Ziel, Patienten aktiv einzubinden, damit sie so in Zukunft zur Verbesserung ihrer eigenen Gesundheit beitragen können. Diese komplexe Problematik erfordert gut durchdachte Lösungen. Austausch kann Resignation und Isolation verhindern Nach der Diagnose einer seltenen Krankheit stellen sich die Betroffenen viele Fragen,die kompetente Beratung und Unterstützung erfordern.Häufig ist aber am Ort zu wenig Wissen über die Krankheit vorhanden,was auch die Informationsbeschaffung erschwert. Damit dies verhindert werden kann,muss das wenige Wissen besser vernetzt werden. Bei den Patienten entsteht nach der Diagnose oft ein Gefühl der Hoffnungslosigkeit und der Leere.Werden Sie damit alleine gelassen,führt das zur Resignation.Deshalb brauchen die Betroffenen nach der Diagnose intensive und kompetente Unterstützung und vertrauenswürdigen Austausch mit anderen,um nicht weiter in eine Isolation zu gelangen. Trotz Krankheit ein selbstbestimmtes Leben führen Wenn Elfen helfen In einem ersten Schritt bietet hier das Online-Patientenforum, das auch von Fachärzten betreut wird, den unkomplizierten Kontakt. Es hilft so den Betroffenen, sich sehr früh auf der Suche nach Diagnosen oder Informationen untereinander auszutauschen. Das Gesundheitsförderer-Programm «ELFEN HELFEN» der Stiftung unterstützt die Patienten durch Hilfe zur Selbsthilfe. Es bietet Erkrankten die Möglichkeit, andere Familien und Betroffene zu treffen und kennenzulernen. Das Programm versorgt sie mit Informationen und hilft, die eigene Lebenssituation zu verstehen und selber zu verbessern. Dieses stiftungseigene Programm hat zwei grosse Kinderspitäler – das Inselspital Bern und das Kinderspital beider Basel – als Partner gewinnen können. «ELFEN HELFEN» soll in nächster Zeit mit Hilfe von Gönnern durch ein Coaching-Programm erweitert werden. Gemeinsam die Lebensqualität verbessern Die Stiftung möchte Wissen zu seltenen Krankheiten vermitteln.Im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit wurde deshalb die Kampagne «Black Nose» entwickelt.Die gibt Betroffenen ein Gesicht und eine Stimme. Zudem sollen auch Nichtbetroffene motiviert werden,sich für ihre Mitmenschen einzusetzen. Ein breites und soziales Engagement kann gezielt Herausforderungen im Gesundheitsbereich verbessern, dort wo der Staat und Versicherungen zu langsam oder finanziell nicht dazu in der Lage sind. Mit Spenden, Gönnern und Partnerschaften mit Unternehmen,die ihre soziale Verantwortung in einem besonderem Mass wahrnehmen wollen, baut die Stiftung Projekte auf und entwickelt bereits begonnene weiter. Das Netzwerk mit Partnern aus verschiedenen Bereichen ist für die Stiftung eine wichtige Grundlage.So können gemeinsam die Ziele – eine kostengünstige Versorgung der Betroffenen und Verbesserung ihrer Lebensqualität bei Entlastung der Sozialsysteme – erreicht werden. Salome Kern [email protected] ■■Frage: Wie können Menschen mit chronischen und seltenen Krankheiten ihre Lebensgestaltung aktiv beeinflussen? ■■Antwort: Mit dem Kursangebot Evivo der Careum Stiftung lernen die Betroffenen, wie sie ihr Leben gestalten können, und fördert so das Selbstmanagement. Auch konkrete Tipps zu Ernährung und Bewegung helfen ihnen weiter. Dr. Jörg Haslbeck Leiter der Careum Patientenbildung nen Fragen zur Organisation des Alltags, Vorbereitung des Arztbesuchs, aber auch persönliche Themen wie eigene Lebensziele diskutiert werden. Im Kurs erhalten die Betroffenen auch Tipps zur gesunden, genussvollen Ernährung oder zu Fitnessübungen. Es werden systematisch Techniken eingeübt, die helfen, besser mit der Krankheit umzugehen. Dazu gehören beispielsweise Atem- und Entspannungsübungen, mit denen man Schmerzen begegnen kann. Das Besondere daran ist, dass die Kurse vorwiegend von Personen geleitet werden, die selbst mit chronischen Krankheiten leben. Thema beim Careum Congress Der Gesundheitsmarkt ist ein immer komplexer werdendes System. Damit ein konstruktiver Dialog entstehen kann, braucht es veränderte und teilweise neue Kompetenzen. Das Stichwort dazu ist Empowerment. Insbesondere bei Menschen, die mit chronischen und oft auch seltenen Erkrankungen leben, soll es den Einfluss auf die Gestaltung ihres Lebens verbessern. Die Zürcher Stiftung Careum engagiert sich dafür, Patientenkompetenz und -beteiligung durch innovative Angebote und handlungsrelevante Gesundheitsinformationen zu fördern. Evivo unterstützt dabei, aktiv mit der Krankheit zu leben 2012 hat in der Schweiz das Kursangebot Evivo für Menschen gestartet, die mit chronischen aber auch seltenen Krankheiten und Behinderungen leben. Es fördert die Fähigkeit des Selbstmanagements. Ursprünglich wurde Evivo an der der Stanford Universität (USA) entwickelt und von Careum für die Schweiz adaptiert. Evivo unterstützt Menschen mit chronischer Krankheit und ihre Angehörigen, die sich im Kurs strukturiert zu Themen austauschen. Gemeinsam kön- Zum Engagement von Careum für «patient empowerment» gehört auch der Careum Congress 2014 zum «Machtfaktor Patient 3.0». Mit einem partizipativen Ansatz wird am 17. und 18. März 2014 in Basel thematisiert, wie Patienten das Gesicht des Gesundheitswesens verändern. Ein zentrales Innovationsthema des Kongresses wird «Leben mit seltenen Krankheiten» sein, um seine Bedeutung für Patienten, das Gesundheitswesen und die Forschung zu diskutieren sowie Ansätze zur Verbesserung von Lebensqualität und Förderung von Selbstmanagement zu identifizieren. Careum ist eine gemeinnützige Stiftung in Zürich, die die Bildung im Gesundheitswesen durch Innovation und Entwicklung fördert. Als eine der führenden Institutionen für zukunftsorientierte Fragen in der Bildung im Gesundheitswesen will Careum in der Aus- und Weiterbildung neue Akzente setzen. Neben den Bildungsangeboten fördert die Careum Stiftung durch gezielte Veranstaltungen den Dialog zwischen den verschiedenen Anspruchsgruppen des Gesundheitswesens. Zusammen mit Pionier-Partnern führt Careum «Evivo» in der Schweiz und im deutschsprachigen Europa ein. Salome Kern [email protected] damit seltene krankheiten noch seltener werden ELFEN HELFEN hat eine antwort Gesundheitsförderprogramm für Familien und menschen mit einer seltenen krankheit. 230’000 kinder sind betroffen. das können wir dank ihrer Unterstützung gemeinsam ändern. spendenkonto: ZkB:konto-nr. 1100.2590.214 iBan: ch65 0070 0110 0025 9021 4 Gemeinnützige & steuerbefreite stiftung nach schweizer recht. Forschungsstiftung Orphanbiotec hochstrasse 49, 8044 Zürich www.orphanbiotec-foundation.com www.elfenhelfen.ch