Themenbeilage «Seltene Krankheiten» Februar 2013

Werbung
Eine Themenzeitung von Mediaplanet
Forschung
Es gibt positive
Veränderungen
3
Betroffenenbericht
Ein Leben mit
Cystischer Fibrose
Krankenkasse
Schwierige
Entscheidungen
seltene
krankheiten
Nr. 3/Februar 2013
facts
zu Seltenen
Krankheiten
Durch Höhen
und Tiefen
Anna Heller mit einer Geschichte, die Mut macht.
Foto: Matthew anderson
Anzeige
Mit wegweisenden Therapien komplexen Erkrankungen begegnen.
Ihr Partner bei seltenen
Erkrankungen
www.genzyme.ch
genzyme_anzeige_290x60_2013-01-22_D_v01_nl.indd 1
24.01.13 15:54
2 · februar 2013
Eine Themenzeitung von Mediaplanet
Editorial
Wir Empfehlen
Seite 10
Paul Rhyn
Leiter Kommunikation von Santésuisse, dem
Branchenverband der schweizerischen Krankenversicherer im Bereich der Grundversicherung
Anders und selten
Keine Krankheit ist zu selten um ihr
keine Beachtung zu schenken.
Foto: shutterstock
Menschen, die von einer seltenen Krankheit betroffen sind, durchleben
zusammen mit ihren Angehörigen oft einen langen Leidensweg, bis sie die
korrekte Diagnose und die richtige Behandlung erhalten. Es mangelt an
wissenschaftlichem und medizinischem Wissen. Der Bundesrat lässt deshalb ein nationales
Konzept zur Behandlung von Menschen mit seltenen Krankheiten erarbeiten, mit dem
die Situation der Betroffenen nachhaltig verbessert werden kann.
Umgang mit seltenen Krankheiten
D
ie obligatorische Krankenpflegeversicherung garantiert allen
Menschen, die in der
Schweiz leben, den Zugang zu einer umfassenden Versorgung
und Pflege. Dieses auf Solidarität aufbauende System hat sich bewährt. Die
Behandlungen und Therapien werden
in hoher Qualität erbracht. Ein Patient,
der an einer seltenen Krankheit leidet,
befindet sich jedoch oft in einer komplexen Situation. Es geht einerseits darum, die Krankheit möglichst rasch und
richtig zu diagnostizieren und zu behandeln. Anderseits soll die Finanzierung der Behandlung gesichert werden.
Wer erkrankt ist, soll nicht zusätzlich
durch offene finanzielle Fragen belastet werden.
Gemeinsam Lösungen suchen
Das Bundesamt für Gesundheit (BAG)
hat an zwei runden Tischen mit Vertretern von Krankenversicherern, Ärzteschaft, Pharmaindustrie, Patientenorganisationen, Politik und Behörden
grundlegende Fragen zum Thema «Ormit freundlicher unterstützung
phan Diseases» diskutiert. Im Mittelpunkt standen die Themenbereiche Diagnostik, Behandlung, Vergütung von
Arzneimitteln sowie Therapien gegen
seltene Krankheiten und der Stand der
Forschung.
Dabei wurden Lösungsansätze besprochen mit dem Bestreben, ein nationales Konzept zur Verbesserung der
gesundheitlichen Situation von Menschen mit seltenen Krankheiten zu
definieren. Der genaue Handlungsbedarf wird in Zusammenarbeit mit der
Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW) überprüft. Die Arbeiten des BAG werden von
der Interessengemeinschaft (IG) Seltene Krankheiten begleitet.
Obwohl das nationale Konzept noch
in Bearbeitung ist, begegnet der Bund
den Herausforderungen im Bereich der
seltenen Krankheiten bereits heute aktiv. Insbesondere im Bereich der Vergütung von Laborleistungen und Arzneimitteln wurden in den letzten zwei
Jahren auf Verordnungsebene Massnahmen ergriffen, um die Finanzierung
der Diagnosestellung und Behandlung
zu verbessern. Im Bereich der Zulas-
Aufklärung
«Wir wollen den
Menschen mit
­seltenen Krankheiten eine optimale
Betreuung und damit eine möglichst
hohe Lebensqualität ermöglichen.»
Pascal Strupler
Direktor des Bundesamtes für Gesundheit
sung der Arzneimittel durch Swissmedic wurde eine Verbesserung der Therapiesicherheit für eine kleine Anzahl von
Patientinnen und Patienten in beiden
Etappen der Revision des Heilmittelgesetzes aufgenommen.
Der Bund ist bestrebt, Lösungen zu
finden, welche der oftmals komplexen
Betreuungssituation von Menschen,
welche an einer seltenen Krankheit leiden, gerecht werden. Ziel ist, dass die
Patienten möglichst rasch richtig diagnostiziert und behandelt werden und
die Finanzierung gesichert ist. Bestmögliche Koordination unter medizinischem Fachpersonal,die Unterstützung
der Forschung, der optimale Wissenstransfer und die Zusammenarbeit der
zuständigen Behörden auf eidgenössischer, kantonaler und internationaler
Ebene sind hierfür unerlässliche Voraussetzung.
Es ist vorgesehen, dem Bundesrat im
zweiten Quartal 2014 einen Schlussbericht zu präsentieren. Das Ziel ist klar:
Den Menschen mit seltenen Krankheiten eine optimale Betreuung und damit
eine möglichst hohe Lebensqualität zu
ermöglichen.
«Wirksamkeit muss
belegt werden, ist
aber bei seltenen
Krankheiten schwierig
nachzuweisen.»
Muskelkrankheiten S. 5
Morbus Pompe
S. 9
Forschung und Leben mit Muskelkrankheiten
Es ist wichtig die Krankheit bekannter zu machen
We make our readers succeed!
Seltene Krankheiten
Dritte Ausgabe, 28. Februar 2013
Managing Director: Fredrik Colfach
Produktions- und Redaktionsleitung:
Corinne Zollinger, Michael Müller
Layout und Bildbearbeitung: Daniel Stauffer
Project Manager: Luigi Kqira
Tel.: +41 (0)43 411 73 22
E-Mail: [email protected]
Distribution: Tages-Anzeiger
Druck: Tamedia
Kontakt: Marta Blizniak
Tel.: +41 (0)43 540 73 05
E-Mail: [email protected]
Folgen Sie uns auf Facebook und Twitter:
www.facebook.com/MediaplanetSwitzerland
www.twitter.com/MediaplanetCH
Das Ziel von Mediaplanet ist, unseren ­Lesern
qualitativ hochstehende ­redaktionelle ­Inhalte
zu bieten und sie zum Handeln zu ­motivieren.
So schaffen wir für unsere Inserenten ­eine
Plattform, um Kunden zu pflegen und neue ­zu
gewinnen.
Eine Themenzeitung von Mediaplanet
fact
1
news
februar 2013 · 3
es gibt acht
NPC-Fälle in
der Schweiz
Dr. med. phil. Marianne Rohrbach
Kinderärztin und Genetikerin, Spezialistin
für NPC am Universitätskinderspital Zürich,
Mitglied der (SGIEM) und der (SSIEM)
Niemann Pick-C (NPC)
Forschung
Die Erforschung von rund 7000
seltenen­Krankheiten und die
­Entwicklung ­wirksamer Medikamente
wird vernachlässigt.
Foto: shutterstock
Forschung zu seltenen Erkrankungen:
Es bewegt sich etwas
■■Frage: Warum fördert die Gebert
Rüf Stiftung jährlich Rare DiseasesProjekte in der Höhe von zwei
Millionen Franken?
■■Antwort: Weil sie überzeugt ist,
dass in diesem Bereich Fortschritte
möglich sind, die den Patienten
einen raschen Nutzen bringen.
Die Gebert Rüf Stiftung (GRS) ist die
grösste private Stiftung zur Unterstützung von Wissenschaft und Forschung
in der Schweiz. Eines der Förderfelder
der Stiftung ist das Programm «Rare
Diseases – New Approaches». Das Programm verfolgt das Ziel, neue Wirkstoffe, Diagnoseinstrumente und Therapieansätze für seltene Erkrankungen zu
entwickeln. Es läuft seit dem Jahre 2009
und finanziert jährlich, mit einem Budget von zwei Millionen Schweizer Franken, fünf bis sechs Forschungsprojekte an Schweizer Hochschulen. «Unser
Ziel ist es, vielversprechende Projekte
zu finden und zu fördern. Die Projekte
Dr. Pascale
Vonmont
Stellvertretende
Direktorin der Gebert
Rüf Stiftung
dürfen sich nicht auf die Grundlagenforschung beschränken, sondern sollen
auf einen therapeutischen Nutzen abzielen», erklärt Pascale Vonmont, stellvertretende Direktorin der GRS.
Mit Gentherapie
gegen das Erblinden
Eines dieser Projekte wurde im Dezember 2012 am Friedrich Miescher Institut
in Basel gestartet.Dort forscht die Gruppe um Botond Roska an einem aussergewöhnlichen Ansatz zur Behandlung
von Retinitis Pigmentosa, einer seltenen Netzhauterkrankung, die betroffene Patienten erblinden lässt. Ursache
ist das Absterben der Zapfen (Sehzellen).
Roskas neue Idee besteht darin, in diese Zapfen die genetische Information
für den Bau des Proteins Halorhodopsin
gentherapeutisch einzuschleusen und
auf diese Weise die Sehtüchtigkeit wiederherzustellen. Bei Mäusen und auch
in menschlichen Zellen hat dieser Ansatz bereits funktioniert. Nun geht es
darum, diese Technik – Optogenetik genannt – weiterzuentwickeln und in klinischen Versuchen anzuwenden.
Derartige Projekte passen ideal zum
Rare Diseases Programm der GRS. «Wir
wollen mehr als Forschungsförderung
betreiben», so Pascale Vonmont. «Mit
unserem langjährigen Engagement pu-
shen wir die Thematik der seltenen Erkrankungen nicht nur im Bereich der
Life Science. Wir bringen die Thematik
auch auf die politische Agenda von Behördenvertretern, Gesundheitsorganisationen, Firmen und anderen Stiftungen. Nur so wird ein Durchbruch für die
Patienten erreicht.»
Seit der Lancierung des GRS
Programms hat sich in der
Schweiz schon einiges bewegt:
In Zürich wurde zum Beispiel im Februar
2013 mit «radiz» (Rare Disease Initiative
Zürich) ein neuer klinischer Forschungsschwerpunkt für seltene Erkrankungen
eröffnet.Daran beteiligt sind das Kinderspital Zürich, das Universitätsspital Zürich und die Universität Zürich.
Auch der Schweizerische Nationalfonds hat die Dringlichkeit des Themas erkannt und beteiligt sich im
Jahr 2013 erstmals mit einer Million Franken am europäischen Forschungsnetzwerk E-Rare. Dieses ermöglicht es Forschenden, im Rahmen
interdisziplinärer Projekte zusammenzuarbeiten. Internationale Verknüpfung und fachliche Ergänzung
der einzelnen Forschungsgruppen
sind im Bereich «seltene Erkrankungen» besonders wichtig – zum Beispiel
im Hinblick auf die zum Teil winzig
kleinen Patientenzahlen. Mit E-Rare
haben Schweizer Forschungsgruppen
nun einfacheren Zugang zum europäischen Netzwerk.
Eine weitere interessante Zusammenarbeit scheint sich in Genf zu ergeben. Dort haben sich Forschende der
ehemaligen Biotech-Firma Merck-Serono im Geneva Biotech Center zusammengeschlossen. Der Fokus dieser
neuen Startup-Firma liegt auf der Erforschung seltener Erkrankungen im Bereich Neurologie und Entzündungen.
Die Zusammenarbeit zwischen dem
Geneva Biotech Center und dem Rare Diseases Programm könnte Früchte
tragen, denn das Ziel besteht darin, die
vielversprechendsten Projekte gemeinsam einen Schritt näher zur Klinik zu
bringen.
Marco Brandenberger
[email protected]
Fact
■■ Bislang wurden im Rahmen des
Programms «Rare Disease – New
Approaches» insgesamt 21 Forschungsprojekte unterstützt. Das
Programm läuft seit 2009. Die eingereichten Projekte müssen innovativ,
realisierbar und effizient sein.
Die Forschung braucht Anreize
und einen nationalen Aktionsplan
■■Frage: Gibt es Positives im Bereich der seltenen Krankheiten?
■■Antwort: Aktive Patientenorganisationen wie ProRaris und die IG
Seltene Krankheiten.
Der Eindruck, dass die Pharma-Firmen
die Erforschung der rund 7000 seltenen
Krankheiten und die Entwicklung wirksamer Medikamente vernachlässigen,
habe zwei Gründe, sagt Thomas B. Cueni,
Geschäftsführer der Interpharma, und
zwar die wissenschaftliche Komplexität der Materie und den kleinen Markt.
In den letzten 20 Jahren habe es jedoch
einen eigentlichen Aufschwung in der
Erforschung seltener Krankheiten gegeben. Basis waren zum einen das besThomas B. Cueni
Geschäftsführer
von Interpharma,
dem Verband der
forschenden
pharmazeutischen
Firmen der Schweiz
sere Verständnis der Ursachen mancher
Krankheiten dank neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse, zum andern die Politik, weil erst die USA und dann die EU
ökonomische Anreize schufen, die das
kleine Marktvolumen kompensierten:
«Die USA gewähren sieben Jahre Markt­
exklusivität für neue Medikamente, die
EU erlaubt sogar zehn Jahre Schutzzeit.
Diese Anreize führten dazu, dass grosse Pharma-Firmen mehr in diese Forschung investieren.»
Trittbrettfahrer
In der Schweiz seien wir Trittbrettfahrer der USA und der EU, sagt Cueni: «Wir
bekommen weder Anreize noch eine
Belohnung für forschende Firmen, und
wir haben,im Gegensatz zu vielen anderen Ländern, noch nicht einmal einen
nationalen Aktionspan für den Umgang
mit seltenen Krankheiten. Es ist beschämend!» Umso mehr, als hervorragende Arbeit an Universitätsspitälern,
namentlich Universitäts-Kinderkliniken, geleistet werde, aber auch durch
Startup-Firmen, etwa im Bereich der
Biotechnologie. Und es sei erfreulich,
dass Schweizer Pharma-Grössen Medikamente gegen seltene Krankenten auf
den Markt bringen konnten.
Problembewusste Politiker
Wenigstens gibt es nichtstaatliche Initiativen, beispielsweise aktive Patientenorganisationen wie den Dachverband
ProRaris, oder die IG Seltene Krankheiten, die von der Aargauer CVP-Nationalrätin Ruth Humbel präsidiert wird.
«Das Problem ist bis vor ein paar Jahren ignoriert worden, doch jetzt sind
die Politiker problembewusster geworden», erklärt Thomas Cueni. Nachdem
das Bundesgericht 2011 urteilte,dass die
Krankenkassen das Medikament gegen
die seltene Krankheit Morbus Pompe
nicht bezahlen müssen, forderte Ruth
Humbel in einem Postulat die Übernahme der Kosten bei seltenen Krankheiten. SVP-Nationalrat Guy Parmelin (VD) doppelte letztes Jahr nach und
forderte einen nationalen Aktionsplan.
«Das führte zweimal zu einem runden
Tisch des Bundesamts für Gesundheit
(BAG) mit allen Interessierten», berichtet Cueni. Der grösste Schweizer Krankenversicherer Helsana schuf mit dem
BAG und den Herstellern ein Modell für
die Bewertung des Nutzens von Medikamenten, das implizit oder explizit
von anderen Krankenkassen übernommen wurde. «Über den Preis im Verhältnis zum Nutzen kann man reden», so
Cueni, «aber der Patient soll nicht betroffen sein.»
Doch die Botschaft des Bunderates
vom November 2012 zum Heilmittelgesetz enthält kaum Anreize für die Erforschung seltener Krankheiten. Im
Februar gab es Hearings in der Gesundheitskommission des Nationalrats.
Thomas Cueni hofft, dass dieser Mangel korrigiert wird und es dann endlich
vorwärts geht mit Anreizen für die Forschung und einer nationalen Strategie.
Das lange Warten
auf die Diagnose
■■Frage: Mit welchen Schwierigkeiten sehen sich Niemann
Pick-C Patienten konfrontiert?
■■Antwort: Neben der Hilflosigkeit und der Ungewissheit, die
NPC mit sich bringt, braucht es
Zeit und Geduld, um zahlreiche
bürokratische Hürden zu meistern.
Am Anfang steht die Ungewissheit.
Bis die Diagnose Niemann Pick-C fest
steht, haben die Betroffenen oftmals
eine jahrelange Odyssee hinter sich.
«Die Situation ist für die Betroffenen
und Angehörigen extrem belastend
und in den meisten Fällen haben sie
einen langen Ärztemarathon hinter
sich. Ein Grund dafür ist, dass die klinischen Symptome von NPC nicht
einfach einzuordnen sind», erklärt
Dr. Marianne Rohrbach, Kinderärztin und Spezialistin für NPC.
Jeder Fall ist anders
Nicht selten vergehen deshalb bis
zu 15 Jahre, bis die Diagnose gestellt
wird. Steht dann endlich die Diagnose NPC, sind die Betroffenen im
ersten Moment dankbar, dass ihre Krankheit endlich einen Namen
hat. «Gleichzeitig sehen sich die Patienten und Angehörigen aber einer
grossen Hilflosigkeit ausgeliefert.
Wie wird die Krankheit verlaufen
und wie wird sie für den Patienten
ausgehen?», so Rohrbach. Denn die
Krankheit verläuft zwar in jedem
Fall anders, endet aber immer tödlich. Neben den Ängsten und der
Ungewissheit, welche die Krankheit mit sich bringt, steht den Betroffenen meist ein Kampf mit den
Behörden bevor. «Bis die gewünschten Hilfsmittel genehmigt werden,
braucht es viel Zeit und Geduld.Gleiches gilt für das derzeit einzige Medikament, das die Krankheit hinauszögert und stabilisieren kann.
Dieses ist sehr teuer und die Rückerstattung der Medikamentenkosten
durch Krankenkassen und die IV
ist deshalb ein enormes Problem»,
weiss die Spezialistin.
Hoffnung aus den USA
«Ein Hoffnungsschimmer ist eine
in den USA jetzt laufende Studie mit
dem Wirkstoff Cyclodextrin. Dieser
schon lange vor allem in der Lebensmittelindustrie verwendete Wirkstoff bindet Cholesterin. In NPC ist
der Cholesterintransport innerhalb der Zelle gestört und in ersten
Studien konnte im Tiermodel gezeigt werden, dass Cholesterin einen günstigen Einfluss hat und Betroffene mit NPC länger und besser
überleben.»
Bei der aktuellen Studie wird bei
etwa 30 Patienten der Wirkstoff direkt ins Zentralnervensystem gespritzt – also dorthin, wo sich die
Krankheit vorwiegend manifestiert. «Wir hoffen, dass in einer späteren Phase auch in Zürich ein Studienzentrum eröffnet werden kann
und die Behandlung mit Cyclodextrin dann auch für Schweizer Patienten zugänglich wird», so Rohrbach
abschliessend.
Anna Birkenmeier
Gisela Blau
[email protected]
[email protected]
4 · februar 2013
Eine Themenzeitung von Mediaplanet
fact
2
inspiration
80 prozent
genetischen
ursprungs
Therapie
1. CF-Betroffene müssen täglich
eine Vielzahl von Medikamenten
einnehmen, um gegen ihre Krankheit
zu kämpfen.
2. Zur Behandlung von CF gehört auch
eine angepasste Atemphysiotherapie.
1
2
Foto: ZVG
Ich möchte gerne noch
ein paar Jahre anhängen
Reto Weibel leidet an der angeborenen, unheilbaren Cystischen Fibrose. Jetzt überlegt er sich eine
Lungen-Transplantation.
■■ Reto Weibel, wie wurde Ihre
Krankheit entdeckt?
Ich hatte das Glück, dass der Kinderarzt,
zu dem mich meine Mutter brachte, als
ich acht Wochen alt war, seine Dissertation über Cystische Fibrose (CF) geschrieben hatte. So bemerkte er, dass
meine Symptome wie Bauchweh und
Reto Weibel
Auf dem Foto
mit seiner
Lebenspartnerin
Husten typisch für CF waren. Das Neugeborenen-Screening wurde in der Zwischenzeit um CF erweitert.
■■ Kann ein Kind
mit dieser Krankheit umgehen?
Alle Kinder werden ausgebildet, noch
bevor sie eingeschult sind, selber zweimal täglich Physiotherapie und Atemübungen zu machen, zu inhalieren, den
Schleim zu mobilisieren. Die meisten
CF-Kinder besuchen den Turnunterricht; Sport ist Teil der Therapie. Die einzige Einschränkung sind die häufigen
Infekte, die stark schwächen.
■■ Treiben Sie selber Sport?
Ich ging als Kind mit dem Vater joggen,
auch als Erwachsener, doch das schaffe ich jetzt nicht mehr. Tennis ist mein
Lieblingssport, aber in letzter Zeit geht
das nur mit einer Sauerstoffflasche in
einem Rucksack. Auch beim Skifahren
mit meinen Söhnen muss der Rucksack
mit. Ich versuche, trotz allem dran zu
bleiben.
■■ Konnten Sie
einen Beruf erlernen?
Ich absolvierte zuerst eine Lehre als
Maschinenzeichner, dann das Lehrerseminar und wurde Lehrer.
■■ Hatten Sie immer
ein verständnisvolles Umfeld?
Ich konnte ganz normal aufwachsen,
meine Eltern behandelten mich nie als
Sonderfall, die Krankheit war ein Teil
von mir, ich habe mich nicht dagegen
aufgelehnt. Meine zwei Jahre jüngere Schwester ist gesund. Erst in einem
Lager mit anderen CF-Kindern sah ich
Gleichaltrige, die schlecht dran waren
und nicht herumrennen konnten wie
ich.Ich schloss Freundschaften mit Leidensgefährten, doch als ich 20 war, starben viele meiner Freunde. Das war eine
schlimme Zeit für mich.
■■ Sind Ihre Söhne gesund?
Beide Kinder sind gesund, aber sie sind
Träger und könnten CF weitergeben. Ihre Partnerinnen müssen dereinst ihr Erbgut abklären lassen.Auch meine (Ex-)Frau
und ich liessen testen, ob sie Trägerin der
Krankheit ist und wir gesunde Kinder haben würden. Die Buben sind jetzt 11 und
9 und sie wissen Bescheid. Im Moment
geht es mir nicht mehr so gut,wir führen
dieses Gespräch im Spital.Letztes Jahr erlebte ich einen schweren Einbruch, kann
schon länger nicht mehr arbeiten und bin
nun viel öfter im Spital als früher; im letzten Jahr mehr als 12 Wochen.
■■ Wie alt sind Sie?
Ich bin 42; von meinem Jahrgang
leben nur noch vier Prozent. Das
Endstadium meines Lebens nähert
sich, das sehe ich ganz klar, aber ich
gebe nicht auf und befasse mich mit
dem Thema einer Lungentransplantation. Ich war bereits zu ersten Gesprächen im Transplantationszentrum des Universitätsspitals Zürich.
Ich bin optimistisch, habe sehr intensiv und bewusst gelebt. Wäre ich
kein Kämpfer, wäre ich nicht mehr
hier; ich habe manches Tief mit positivem Denken durchgestanden. Ich
möchte gern noch ein paar Jahre mit
guter Lebensqualität anhängen; ich
erhoffe es mir.
Gisela Blau
[email protected]
Anzeige
Wir kämpfen gegen Cystische Fibrose
Wir unterstützen Menschen mit der unheilbaren
Erbrankheit Cystische Fibrose. Dazu gehört auch
die Förderung von Forschungsprojekten, die uns
der Heilung näher bringen.
Helfen Sie uns, zu helfen.
www.cfch.ch, [email protected]
Tel. 031 313 88 45
Spendenkonto: PC 30-7800-2
Eine Themenzeitung von Mediaplanet
februar 2013 · 5
news
Leben mit der Muskelkrankheit SMA Typ III
■■Bis die Diagnose «Spinale Muskelathrophie Kugelberg Welander
(SMA III)» bei Peter F. Keller gestellt
wurde, vergingen Jahre. Die Krankheit verläuft progressiv und ist unheilbar. Medikamente gibt es keine.
Peter F. Keller
arbeitete während 40
Jahren in den Bereichen Verkauf/Marketing/Kommunikation. Heute lebt er als
Schriftsteller mit
seiner Frau Sylvia in
Adliswil.
GEHHILFE
Für viele Muskelkranke unumgänglich.
Foto: shutterstock
Entwicklung der Forschung
auf dem Gebiet der
neuromuskulären Erkrankungen
■■Frage: Wie sieht der Entwicklungsstand der Forschung auf dem
Gebiet der neuromuskulären
Erkrankungen aus?
■■Antwort: Dank der molekularen
Biologie hat in den letzten
25 Jahren die Erforschung der
Muskelkrankheiten sehr
grosse Fortschritte erzielt.
Die «Myopathien» oder «neuromuskulären Erkrankungen» sind seltene Krankheiten, die weniger als eine von 2000
Personen betreffen. Viele dieser Erkrankungen sind genetisch bedingt, fortschreitend und zum jetzigen Zeitpunkt
nicht behandelbar. Der Schwund von
Skelettmuskulatur und eine womöglich
einhergehende Schwäche der Atem- und
Herzmuskulatur können tödlich verlaufen. Diese Erkrankungen betreffen ungefähr 10 000 Kinder und Erwachsene
in der Schweiz. Die bekanntesten kindlichen neuromuskulären Erkrankungen
sind die Muskeldystrophie Duchenne
und die spinale Muskelatrophie.
Der Forschungsstand
In den letzten 25 Jahren hat die Erforschung der Muskelkrankheiten sehr
grosse Forschritte erzielt, die der molekularen Biologie zu verdanken sind.
Diese erlaubte die Entschlüsselung der
genetischen Ursache vieler Muskelerkrankungen, was wiederum zum besseren Verständnis der Physiologie des
normalen und des erkrankten Muskels
führte. Diese Einsichten ermöglichten
die Entwicklung neuer Therapiestrategien, welche gezielt auf die zugrundeliegende pathophysiologischen Mechanismen wirken. Die Entdeckung
des Dystrophin-Gens zum Beispiel, dessen Mutationen zu der häufigen und
Prof. Dr. med. Dr.
phil. Michael
Sinnreich
Leiter Neuromuskuläres Zentrum, Departement Neurologie und Biomedizin,
am Universitätsspital
Basel
■■ Was waren die
ersten Anzeichen der Krankheit?
Peter F. Keller: Ich hinkte schon als
Knirps den andern hinterher. Bei Turnund Sportwettbewerben in der Schule
war ich jeweils nur besser klassiert als
die Disqualifizierten! Das fiel auf. Die Eltern machten sich Sorgen. Lehrer, Ärzte und Physiotherapeuten rätselten.
Irgendetwas stimmte nicht. Niemand
wusste, was. Es blieb die Hoffnung, in
mir stecke ein Spätzünder. Mich hat’s
nicht interessiert. Meine Jugend war
weitgehend unbeschwert.
■■ Wie haben Sie den Weg bis zur
endgültigen Diagnose erlebt?
Anfänglich war sanfte Gymnastik angesagt. Ohne Erfolg. Also prügelte man
mich zu intensiver Leibesertüchtigung.
Parallel wurde ich eingedeckt mit Vitaminbomben,Eisen,Kreatin,und wie das
Zeug sonst noch hiess. Alles wirkungslos. Und einen Doctor Fuentes gab es
nicht! Mit dem Erreichen der Volljährigkeit war ich dann ein voll entwickelter
Nichtsportler. Und kam prompt zu einem Erfolgserlebnis: Bei der Rekrutenaushebung klatschte ein Adjutant Unteroffizier den Stempel ›untauglich‹ in
mein Dienstbüchlein. Das hat mich gefreut. Ich bin Pazifist.
Die Muskelbiopsie eines Patienten mit einer Dysferlinopathie: Das Bild degenerierende und regenerierende Muskelfasern, grosse Muskelfaserkaliberschwankungen, MyophaFoto: ZVG
gien und entzündliche Infiltrate.
schwer verlaufenden Muskeldystrophie
Duchenne führen, geschah erst in den
späten 1980er- Jahren. Durch das Studium der Funktionsweise des DystrophinProteins auf biochemischer und zellulärer Ebene sowie in Tiermodellen wurden
Therapien entwickelt,welche zur Zeit in
klinischen Studien an Patienten getestet werden. Ebenso wurden die molekularen Mechanismen vieler anderer Muskelerkrankungen in den letzten Jahren
aufgedeckt, was die Entwicklung krankheitsspezifischer Therapien ermöglicht
hat. Die grossen Fortschritte beschränken sich jedoch nicht nur auf genetisch
bedingte Muskelerkrankungen,sondern
beinhalten auch erworbene, entzündliche neuromuskuläre Erkrankungen, die
heutzutage durch Immunmodulation
gut behandelbar sind.
Die Situation in der Schweiz
In der Schweiz wird die Forschung
auf dem Gebiet der neuromuskulären Erkrankungen von verschiedenen Institutionen finanziert: dem
Schweizerischen Nationalfonds, der
Gebert-Rüf-Stiftung, der Association
Française contre les Myopathies, der
Schweizerischen Stiftung für die Erforschung der Muskelkrankheiten
(SSEM) und anderen. Die SSEM ist die
wichtigste Finanzierungsquelle für
die neuromuskuläre Forschung in der
Schweiz. Seit ihrer Gründung im Jahre
1985 hat die SSEM 62 Forschungsgruppen, die in allen medizinischen Fakultäten unseres Landes arbeiten, mit einem Gesamtbetrag von 21 Millionen
Franken unterstützt. Um den wissenschaftlichen Austausch unter den Forschern in der Schweiz zu fördern, organisiert die SSEM zudem zweijährlich
ein Seminar über Muskelkrankheiten
in Magglingen. Herrn Dr. Jacques Rognon wurde das Ehrendoktorat der Universität Bern für die Gründung dieser Stiftung verliehen. Ihm und Herrn
Prof. Dr. Denis Monard, Präsident des
wissenschaftlichen Beirates der SSEM,
gebührt grossen Dank für die Verdienste um muskelkranke Menschen in der
Schweiz.
Marco Brandenberger
[email protected]
■■ Wie hat sich Ihr Leben
nach der Diagnose verändert?
Vorerst blieb alles beim Alten. Es ging
mir ja gut und immer nur ein ganz klein
wenig weniger gut. Die Behinderung
hatte nun einfach einen Namen: Spinale Muskelathrophie Kugelberg Welander (SMA III). Verlauf progressiv.
Unheilbar. Punkt. Meine Freundin und
heutige Ehefrau Sylvia hat die Diagnose mit souveräner Gelassenheit aufgenommen. Was auf uns zukommen
würde,wussten wir, und planten die gemeinsame Zukunft mit Weitsicht. Solange es meine physischen Kräfte zuliessen, reisten wir im Auto quer durch
Europa. Später kamen die Hilfsmittel, vom Gehstock bis zum Elektrorollstuhl. Das Ziel der Selbstbestimmung
und Unabhängigkeit stand immer im
Vordergrund. Heute trägt meine Frau
die Hauptlast der Behinderung. Ohne
sie wäre ich ein kostspieliger Pflegefall.
Dass sie – und alle andern Menschen in
ähnlicher Lage – für ihre immensen Hilfeleistungen rund um die Uhr, oft bis an
die Erschöpfungsgrenze, keinerlei Entschädigung bekommt, ist dem Wohlfahrtsstaat Schweiz unwürdig.
■■ Welche
Therapiemöglichkeiten gibt es?
Keine. Und auch keine Medikation. Geforscht wird mit angezogener Hand-
bremse. Muskelbehinderte sind für die
Pharmaindustrie wirtschaftlich unrentabel. Umso wichtiger ist für die
Betroffenen eine gefestigte mentale
Verfassung. Die Psyche wird durch eine SMA III enorm strapaziert. Psychologisch geführte Gespräche mit einer
Fachperson sind zweifellos wertvoll
und inspirierend. Sie können verborgene Ressourcen ins Bewusstsein rufen.
Stärken, die aus Schwächen generiert
werden, sind Energiequellen für die Lebensbewältigung, sofern man sie intelligent nutzt.
■■ Wie hat Ihr soziales
Umfeld auf die Diagnose reagiert?
«Das isch scho no veruckt», hörten wir
immer wieder. Viel mehr lag gar nicht
drin. Was SMA III bedeutet, können nur
direkt Betroffene und ihnen sehr Nahestehende richtig einschätzen. Nur sie
erfahren im Alltag, dass unsere Hochleistungsgesellschaft kein Tummelfeld
für Menschen mit Handicap ist. Wer
nicht ins Schema passt, muss seinen
Boden unter oft titanischem Kraftaufwand selbst beackern.
■■ Welche Herausforderung
bringt die Krankheit in Bezug auf
Ihre berufliche Tätigkeit mit sich?
Meine Mobilität ist seit zehn Jahren auf
ein Minimum eingeschränkt. Sie verunmöglicht eine geregelte Berufsausübung. Zuvor war ich langjähriger Texter und Kadermitglied in einer grossen
Werbeagentur und verdiente mein gutes Geld. Genau gleich wie meine Ehefrau: Sie arbeitete im selben Betrieb
als Direktionsassistentin. Dort lernten
wir uns auch kennen. Unsere Ersparnisse haben wir vorsorglich angelegt.
Sie verschafften uns den Freiraum, den
wir heute mit Lebensinhalt und -freude
ausfüllen können.
■■ Woraus schöpfen Sie Kraft,
um neue Projekte zu realisieren?
Was für andere die grosse weite Welt
der Reiseprospekte, ist für meine Frau
und mich die kleine grosse Welt der anspruchsvollen Genügsamkeit. Unkäuflich. In unseren völlig unterschiedlichen familiären Hintergründen und 30
Jahren gemeinsamer Lebenserfahrung
offenbaren sich immaterielle Rohstoffe. Sie wahrzunehmen und aus ihnen
intellektuelle Werte zu schöpfen, ist
äusserst ergiebig – ganz unspektakulär
lustvoll.
■■ Welche Momente sind für
Sie im Umgang mit der Erkrankung
besonders schwierig?
Die kafkaesk funktionierenden Sozialbehörden sind zuweilen erniedrigend.
Oft geht es nicht ohne beharrlichen
Rechtsbeistand. Aber auch die unabänderliche Tatsache,nicht mehr Herr über
meinen eigenen Körper zu sein, drückt
generell auf das Gemüt. Mit allen geistigen Kräften dagegenzuhalten, gelingt
mir nur dank der vorbehaltlosen und
wunderbaren Nähe meiner Ehefrau.Die
Besinnung auf das Sein im Augenblick
und dessen Reichtum ist ein guter Ratgeber. Dazu gehören Traurigkeit ebenso
wie Heiterkeit und Humor.
Anna Birkenmeier
[email protected]
Anzeige
Helfen Sie mit, die Erforschung von
Muskelkrankheiten voranzutreiben:
• Seit Gründung der SSEM vor über 25 Jahren hat die Stiftung128
Helfen via SMS
Senden an die
Nr. 339, Stichwort
«SSEM», gefolgt
vom Betrag
Forschungsstipendien in der Höhe von 21 Mio. Franken finanziert,
davon 64 Prozent in den Universitäten Bern, Basel und Zürich.
Herzlichen Dank!
• Die Fortschritte im Bereich der Erforschung von Muskelkrankheiten
www.ssem.ch
PC-Konto: 30-13114-3
ermöglichen heute klinische Studien mit Betroffenen.
Helfen Sie mit, muskelkranken
Menschen ihren Alltag zu
erleichtern. Unterstützen Sie uns.
www.muskelgesellschaft.ch
PC-Konto: 80-29554-4
6 · februar 2013
Eine Themenzeitung von Mediaplanet
inspiration
Anna Heller* war Ende dreissig, als ein bösartiger und sehr seltener ­Tumor in der
Bauch­speichel­drüse diagnostiziert und operativ entfernt wurde. Sie war g­ eschieden, ohne
Kinder und in e­ iner ­Managementposition tätig. Heute, nach acht Jahren, arbeitet sie zu
100 Prozent und engagiert sich für Patienten mit s­ eltenen Krankheiten, damit sie möglichst
selbständig in ihr Leben zurück­finden.
Erfrischende Ideen
von Betroffenen
Seltener Tumor
schweiz
■■ Anna Heller*, warum tragen Sie
auf der Foto eine schwarze Nase?
Es ist gar nicht lustig, mit einer seltenen Krankheit leben zu müssen.Mit der
schwarzen Nase gebe ich Betroffenen
ein Gesicht - auf witzige Art.
■■ Suchten Sie den Arzt wegen Beschwerden auf?
Ich hatte verschiedene Beschwerden
und spürte, dass sie zusammenhingen. Doch die Fachärzte mochten keinen Zusammenhang herstellen und
beschränkten sich auf die Behandlung der Symptome. Danach ging ich
zwei Jahre lang nicht mehr zum Arzt.
■■ Wie war Ihr Weg bis zur Diagnose eines neuroendokrinen Tumors
(NET) in der Bauchspeicheldrüse?
Beim Joggen spürte ich etwas Hartes
im Bauch – es war der faustgrosse Tumor. Da mein Hausarzt die Praxis aufgegeben hatte, musste ich einen anderen finden. «Das gefällt mir gar nicht»,
meinte der Neue und überwies mich
ins nahe Spital. Dort behielt man mich
gleich für Untersuchungen, und eine
kreidebleiche Schwester erklärte mir
am Ende des Tages,dass mir mein Hausarzt Bescheid geben würde.Nur war die-
ser auf dem Sprung in die Ferien. Ich erfuhr die Diagnose erst beim Chirurgen,
der sich viel Zeit nahm, um mir die
komplizierte Operation zu erläutern.
Auf dem Nachhauseweg informierte ich
meine Chefin und meine Angehörigen.
■■ Was geschah anschliessend?
Nach zehn Tagen Spitalaufenthalt gab
es für meinen Fall keine geeignete RehaKlinik. Ich hatte noch immer grosse
Schmerzen im Bauch, vor allem, sobald ich etwas ass. Ich war abgemagert
und so geschwächt, dass ich kaum stehen konnte. Ich hatte das grosse Glück,
dass meine Eltern mich aufnahmen
und meine Mutter mich pflegte. Da
wurde mir erst bewusst, dass ich eine
seltene Krankheit hatte: Es fehlte an
kompetenten Ansprechpartner für die
Diagnose und Behandlung nach dem
Spitalaufenthalt.
■■ Wie ging Ihr Umfeld mit Ihrer
Krankheit um?
Meine Familie und meine Freunde waren einfach wunderbar! Sie unterstützten und motivierten mich auch bei
weiteren Spitalaufenthalten. Glücklicherweise hatte ich eine verständnisvolle und grosszügige Chefin. Und mein
Team nahm allen Druck von mir und erledigte auch meine Arbeit. Ich bin diesen Menschen sehr dankbar.
■■ Übernahm Ihre Krankenkasse
die Behandlungskosten?
Mit meiner Krankenkasse bin ich wirklich zufrieden. Allerdings ist das System, dass Patienten sämtliche Rechnungen an die Privatadresse zugestellt
erhalten,diese kontrollieren und weiter
an die Krankenkasse schicken müssen,
eine Zumutung zu einer Zeit,in der man
alle Kraft braucht, wieder auf die Beine
zu kommen.
■■ Ist mit dem Tumor nun auch
der Krebs aus Ihrem Körper
verschwunden?
Der Chirurg verstand zum Glück sein
Handwerk und erwischte alle Tumorzellen. Dafür musste er viel herausschneiden. Mein Körper brauchte eine
Weile,bis er sich mit den übrig gebliebenen Bauchteilen zurecht fand.
■■ Benötigen Sie
eine Nachbehandlung?
Der Vitaminspiegel wird regelmässig
kontrolliert, weil ich nicht mehr so gut
alle Nahrungsbestandteile aufnehmen
kann. Bei Bedarf müssen mir Vitamine
gespritzt werden.
■■ Sind Sie wieder arbeitsfähig?
Manchmal arbeit ich sogar wieder
mehr als 100 Prozent... Nach der ersten
Operation war ich drei Monate arbeits-
unfähig, danach erhöhte ich das Pensum auf 80 Prozent. Ein Jahr nach der
zweiten Operation war ich wieder voll
arbeitsfähig.
■■ Gab es finanzielle Einbussen?
Nein, mein damaliger Arbeitgeber hatte eine hervorragende Vorsorge im
Krankheitsfall. Doch mit jedem Stellenwechsel werde ich von den Versicherungen aufs Neue beurteilt, und
wenn in den Akten das Wort Pankreaskrebs auftaucht, werde ich als so
gut wie gestorben taxiert, auch wenn
die Ärzte mich als geheilt bezeichnen.
Aber es gibt auch Versicherungen, die
ich gerne weiterempfehle, weil sie mit
sich reden lassen.
■■ Was wünschen Sie sich von der
Medizin undder Politik im Hinblick
auf seltene Krankheiten?
Ich wünsche mir, dass mehr Hausärzte
sich über seltene Krankheiten weiterbilden, damit die Chancen für eine frühe Diagnose steigen. Ferner dass Fachärzte über ihren Schatten springen
und interdisziplinär nach Lösungen
suchen, wenn sie allein nicht weiterkommen. In der Forschung – vermute
ich - liegen Erkenntnisse brach, die genutzt werden könnten. Pharmakonzerne sollten solche Erkenntnisse für Therapien weiterentwickeln.
Von der Politik wünsche ich mir,
dass sie die Brücke von der geförderten Spitzenmedizin zur Gesellschaft
schlägt: Dank der Medizin überleben
mehr Menschen schwere Krankheiten, aber in der (Leistungs-)Gesellschaft werden unbekannte, seltene
Krankheiten stigmatisiert. Die Politik
soll mit einem definierten Rahmen
den Spielraum ermöglichen, damit
Menschen mit einer Krankheitsgeschichte möglichst selbständig leben können. Mir gefällt der «Bottomup-Ansatz», nach dem Betroffene ihre
Ideen einbringen, die oft unkompliziert und erfrischend sind.
■■ Hat sich Ihr Leben verändert?
Die Krankheit war ein tiefer Einschnitt
und eine Chance. Heute ziehe ich aus
den Hochs und Tiefs im Leben Kraft,
und ich lasse mich nicht mehr so leicht
einschüchtern oder entmutigen. Ich
muss zwar meine Kräfte besser einteilen. Aber ich möchte meine Lebensenergie in Tätigkeiten einbringen, die
Sinn stiftend sind. Deshalb engagiere
ich mich für Menschen mit seltenen
Krankheiten dank meinem Knowhow
und meinen Erfahrungen.
* Name der Redaktion bekannt
Gisela Blau
[email protected]
spinas | gemperle
Anzeige
8 Mal die Ferien verschoben.
2 Mal Weihnachten nicht gefeiert.
1 neuen Wirkstoff gegen Krebs entdeckt.
Mit Ihrer Spende fördern wir engagierte Forscherinnen und Forscher.
Damit immer mehr Menschen von Krebs geheilt werden. PK 30-3090-1
KFS_Fuellerins_Pass_290x146_d_4c_Ztg.indd 1
19.10.2010 15:30:46 Uhr
Eine Themenzeitung von Mediaplanet
februar 2013 · 7
facts
Von seltener Krankheit
spricht man, wenn weniger
als 5 Patienten pro 10 000 Einwohner betroffen sind. Etwa 80 Prozent
der seltenen Erkrankungen sind
genetisch bedingt. Seltene Krankheiten sind oft lebensbedrohlich
oder chronisch invalidisierend
und bedürfen einer spezifischen
Behandlung.
Seltene Krankheiten sind
nicht so selten. Heute sind 6bis 8000 seltene Krankheiten bekannt. Wöchentlich kommen neue
hinzu. Gemäss Hochrechnungen
sind in der Schweiz rund 500 000
Menschen von einer seltenen
Krankheit betroffen. Insgesamt
leiden alleine in Europa schätzungsweise mehr als 30 Millionen
Menschen an einer seltenen
Krankheit.
Seltene Krankheiten sind so
selten, dass ein Allgemeinmediziner im Laufe seiner Berufskarriere nie oder ein einziges Mal damit konfrontiert werden. Deshalb
dauert es oft mehrere Jahre, bis ein
Patient die richtige Diagnose erhält.
Weltweit sind heute rund 160
Medikamente
(Orphan
Drugs) gegen seltene Krankheiten
zugelassen. Von der swissmedic in
der Schweiz zugelassen sind 61 Orphan Drugs, 23 davon sind nicht in
der Spezialitätenliste des BAG geführt und somit nicht vergütungspflichtig.
In vielen europäischen Ländern existieren nationale
Massnahmenpläne für den Umgang mit seltenen Krankheiten.
Die Schweiz hat hier Nachholbedarf. Nationalrätin Ruth Humbel,
Präsidentin der IG seltene Krankheiten, fordert in einem parlamentarischen Vorstoss den Bundesrat
auf, einen nationalen Massnahmenplan vorzulegen. Die IG unterstützt das Bundesamt für Gesundheit (BAG) bei dessen Erarbeitung.
FREIHEIT UND KRAFT
Beides wird durch eine
seltene Krankheit stark
beeinträchtigt.
Foto: Shutterstock
Anzeige
Wir kennen 30 000 Krankheiten.
Darum
forschen wir.
Erst jede vierte kann
wirksam behandelt werden.
Seltene Erkrankungen –
eine Volkskrankheit
Eine Informationsbroschüre der forschenden
pharmazeutischen Firmen der Schweiz
Diese Broschüre können Sie kostenlos bestellen:
www.interpharma.ch (Service)
Verband der forschenden
pharmazeutischen Firmen der Schweiz
Petersgraben 35, Postfach, CH-4003 Basel
+41 (0)61 264 34 00, www.interpharma.ch
V
8 · februar 2013
Eine Themenzeitung von Mediaplanet
Expertenmeinung
Haben Sie schon einmal von einem neuroendokrinen Tumor gehört?
Nein? Dann vielleicht eher von einem Bauchspeicheldrüsenkarzinom? So oder so, beides
sind seltene Tumorerkrankungen der menschlichen Verdauungsorgane. Sie entstehen
aus endokrinen (hormonproduzierenden) Zellen, die überall im Verdauungs­system oder
damit zusammenhängenden Körperstellen vorkommen.
Seltene Tumore des Verdauungssystems
Chirurgische behandlung
Medikamentöse behandlung
«Durch die Nähe des Organs zu
lebenswichtigen Gefässen handelt
es sich um eine grosse, komplexe
Operation.»
«Die neuen Medikamente sind
trotz Nebenwirkungen besser
verträglich.»
Prof. Dr. Med. Kaspar Z’graggen
Facharzt FMH für Viszeralchirurgie und Chirurgie, Kernkompetenzen:
Tumorchirurgie, Laparoskopische Chirurgie und Pankreas/Bauchspeicheldrüse
Dr. med. Ralph Winterhalder
Leitender Arzt medizinische Onkologie am Luzerner Kantonsspital, zertifiziertes
Pankreas-Zentrum
Neuroendokriner
Tumor
Bauchspeicheldrüsen­ Neuroendokriner
karzinom
Tumor
■■In welchem Fall kann ein
neuroendokriner Tumor pankreatischen Ursprungs operiert werden?
■■In welchem Fall kann ein Bauchspeicheldrüsenkarzinom operiert werden?
Prof. Dr. Med. Kaspar Z’graggen: Der primäre neuroendokrine Tumor der Bauchspeicheldrüse
kann fast immer und sollte auch entfernt werden.
Die lokal verursachten Symptome verschwinden daraufhin. Die Risiken der Operation sind
in geübten Händen und in einer entsprechend
spezialisierten Institution vertretbar. Selbst bei
vorliegen von Metastasen muss beim neuroendokrinen Tumor die Entfernung des Haupttumors
ernsthaft in Betracht gezogen werden.
■■Was sind die besonderen Schwierigkeiten bei einer solchen Operation?
Prof. Dr. Med. Kaspar Z’graggen: Durch die Nähe
des Organs zu lebenswichtigen Gefässen handelt
es sich um eine grosse,komplexe Operation.Nicht
nur muss man die technischen Fertigkeiten und
die Erfahrung besitzen,diese Gefässe zu entfernen,
sondern die Gefässrekonstruktion auch sicher vornehmen können. Es handelt sich dabei um Gefässnähte, Gefässplastiken und Gefässersatz von
Pfortader und den wichtigen Baucharterien. Fehler bei der Gefässrekonstruktion können zu Mangeldurchblutung in lebenswichtigen Organen und
schweren,auch tödlichen Komplikationen führen.
Ausserdem müssen die Verbindungen unter den
Organen wieder hergestellt werden, sodass eine
weitgehend normale Verdauung möglich ist.
■■Wie stehen die Heilungschancen?
Prof. Dr. Med. Kaspar Z’graggen: Bei neuroendokrinen Pankreastumoren sind die Heilungschancen gut,sofern der Tumor komplett entfernt wird
und keine Metastasen vorliegen. Selbst bei Metastasen leben die Patienten zum Teil viele Jahre
und wir verfügen über neue innovative Therapien, die den Verlauf günstig beeinflussen können.
Eine Behandlung der tumor-induzierten Symptome (zum Beispiel Durchfälle,sog.Flushs) durch
Medikamente oder nuklearmedizinische wie
auch onkologische Behandlungen gelingt häufig.
Prof. Dr. Med. Kaspar Z’graggen: Beim Bauchspeicheldrüsenkarzinom liegt zum Zeitpunkt der Diagnose bei mehr als drei Vierteln (ca.80 Prozent ) der
Patienten bereits eine (meist ausgedehnte) Fernmetastasierung vor. Im Gesamtrahmen und in
Anbetracht der schlechten Prognose ist eine grosse Pankreasoperation meist nicht sinnvoll. Das
Gleichgewicht zwischen Risiko und Nutzen kippt
zu Ungunsten der Operation. Bei den Patienten
mit nicht-metastasierten Pankreaskarzinomen
sollte aber eine chirurgisch radikale Operation in
einem spezialisierten Zentrum angestrebt werden.
■■Was sind die besonderen Schwierigkeiten bei einer solchen Operation?
Prof.Dr.Med.Kaspar Z’graggen: Durch die Nähe des
Organs zu lebenswichtigen Gefässen, handelt es
sich um eine grosse,komplexe Operationen.Nicht
nur muss man die technischen Fertigkeiten und
die Erfahrung besitzen diese Gefässe zu entfernen,
sondern die Gefässrekonstruktion auch sicher vornehmen können. Es handelt sich dabei um Gefässnähte, Gefässplastiken und Gefässersatz von
Pfortader und den wichtigen Baucharterien. Fehler bei der Gefässrekonstruktion können zu Mangeldurchblutung in lebenswichtigen Organen und
schweren,auch tödlichen Komplikationen führen.
Ausserdem müssen die Verbindungen unter den
Organen wieder hergestellt werden, sodass eine
weitgehend normale Verdauung möglich ist.
■■Wie stehen die Heilungschancen?
Prof. Dr. Med. Kaspar Z’graggen: Bei den «normalen» Pankreaskarzinomen stehen die Überlebenschancen leider deutlich schlecht. Bei radikaler
Operation und der heute fast immer empfohlenen zusätzlichen Systemtherapie/Chemotherapie
können 20–25 Prozent der Betroffenen fünf Jahre überleben. Dies in Abhängigkeit vom primären
Tumorstadium. Dieses gibt Auskunft über die Aggressivität des Krebses beziehungsweise der Metastasen/Ableger in Lymphstrukturen und Gefässen. Betrachtet man aber die Gesamtgruppe, also
alle Patienten inkl. der 80 Prozent, die bereits bei
Diagnose Metastasen aufweisen, so ist ein langes
Überleben die Ausnahme.Bei der Chirurgie geht es
deshalb vor allem um die lokale Kontrolle des Tumors und langfristige palliative Aspekte.
Kathrin Fink
[email protected]
■■Frage: Wieso verzeichnet die Statistik
mehr NET-Erkrankungen?
■■Antwort: Verbesserte Diagnose­
möglichkeiten sind wahrscheinlich der
Hauptgrund.
«Viele neuroendokrine Tumore (NET) der
Bauchspeicheldrüse zeigen leider lange Zeit
nur wenige und unspezifische Symptome», sagt
Ralph Winterhalder, Leitender Arzt der medizinischen Onkologie am Luzerner Kantonsspital.
«NET sind Tumoren mit unterschiedlicher Biologie und klinischer Präsentation, oft symptomarm, langsam wachsend; die Patienten spüren vielleicht nur vage Magen-Darm-Probleme.
Aber es gibt auch aggressive, schnell wachsende
neuroendokrine Tumore.»
Bis 40 Prozent der NET der Bauchspeicheldrüse produzieren eigene Hormone, die zu schweren Durchfällen,Magengeschwüren oder im
Falle einer Insulinproduktion zu Zeichen der
Unterzuckerung bis hin zu Bewusstlosigkeit
führen können. Leider werden viele Krankheiten erst entdeckt, wenn schon Fernmetastasen
zu Beschwerden führen.
Bessere Diagnostik
In den letzten Jahren ist ein Anstieg der Erkrankungen festzustellen, wie eine grosse, drei
Jahrzehnte umfassende Studie aus den USA
zeigt. Aber es sei durchaus möglich, sagt Dr.
Winterhalder, dass vor allem eine verbesserte Diagnostik für die Zunahme der Häufigkeit
verantwortlich ist. Auch die Pathologen können diese Art der Tumore besser unterscheiden.
Behandlung
Vom Stadium der Erkrankung hängt die Behandlung ab. Bei einem lokalisierten Tumor
im Pankreas, noch ohne Ableger, ist die Operation die Therapie der Wahl. Kann nicht mehr
operiert werden, gelangen symptomatische
Therapie, vor allem Somatostatin-Analoga
zum Einsatz, die an spezifischen Rezeptoren
andocken, die zu Symptomen führende Hormonproduktion drosseln und auch das Wachstum zu beeinflussen scheinen. Gibt es Ableger
in der Leber, kann in einzelnen Fällen auch die
Metastasierung operiert werden. Ist dies nicht
möglich, bleibt eine medikamentöse Behandlung die Therapie der Wahl. Zur Verfügung stehen neben klassischer Chemotherapie auch
neue, sogenannte zielgerichtete Medikamente wie Affinitor und Sutent. Diese Therapie
bringen den Patienten vielfach eine Linderung der Beschwerden und eine Stabilisierung
der Krankheit. Bei vielen NET könnendie Somatostatinanaloga mit Radio-Isotopen für eine gezielte Strahlentherapie im Tumor selber
kombiniert werden. Das Institut für Nuklearmedizin in Basel besitzt in der Schweiz die
grösste Erfahrung mit dieser, DOTATOC genannten Therapie.
Bauchspeichel­­drüsen­karzinom
■■Frage: Ist das Pankreaskarzinom
(Bauchspeicheldrüsenkrebs) heilbar?
■■Antwort: Ja, aber leider nur in einem
kleinen Prozentsatz. Die meisten Patienten
können nicht operiert werden und erhalten
eine medikamentöse Therapie.
Das Pankreas-Karzinom ist nach wie vor eine der
heimtückischsten Krebsarten, die häufig keine
frühen Symptome zeigt. Typische Beschwerden,
meist im fortgeschrittenen Stadium, sind gürtelförmig ausstrahlende Rückenschmerzen, Gewichtsverlust und Verdauungsprobleme. Nicht
selten ist bei Tumoren im Pankreaskopf ein sogenannter schmerzloser Ikterus (Gelbsucht) die erste Manifestation. Die Diagnose wird durch eine
radiologische Untersuchung (Computertomigraphie oder MRI) gestellt.
Der Onkologe Ralph Winterhalder, Leitender
Arzt der medizinischen Onkologie am Luzerner
Kantonsspital,erklärt,dass das Pankreaskarzinom
aus praktischen Gründen in drei Stadien eingeteilt
wird : Eine frühe Form, die operiert werden kann,
ein lokal fortgeschrittenes Stadium noch ohne Ableger (Metastasen), bei dem eine Operation nicht
möglich ist,und drittens das Stadium mit Metastasen und einer mittleren Lebenserwartung von drei
bis sechs Monaten.
Nur in etwa 20 Prozent der neudiagnostizierten
Fälle liegt ein operables Stadium vor. Die Operation ist aufwändig und schwierig und sollte deshalb
in spezialisierten Zentren durchgeführt werden.
Nur im operablen Stadium bestehen mit den gegenwärtigen Behandlungsmethoden Heilungschancen, aber nahezu 80 Prozent der operierten
Patienten erleiden einen Rückfall. Um das Rückfallrisiko zu verkleinern, erhalten diese Patienten
eine Nachbehandlung mit einer Chemotherapie
über die Zeitdauer von sechsMonaten.
Kann der Tumor nicht operiert werden,benötigt
man eine Gewebeprobe zur Diagnosebestätigung.
Behandelt werden die Patienten mit einer Chemotherapie mit dem Ziel,die Lebenszeit zu verlängern
und die Lebensqualität zu verbessern. Der bisherige Standard ist eine Chemotherapie mit Gemcitabin. Fortschritte zeigen sich erfreulicherweise durch Kombinationsmöglichkeiten mit neuen
Substanzen.
Vorsorgeunteruchungen
Breit gestreute Vorsorgeuntersuchungen werden
beim Bauchspeicheldrüsenkrebs nicht empfohlen,
hingegen bei Personen mit deutlich erhöhtem Risiko für ein Pankreaskarzinom (seltene familiäre,
vererbte Formen) wird Vorsorge mittels Endosonographie oder MRI in Studien untersucht.
«Beim Pankreas-Karzinom gibt es nach Jahren eher ernüchternder Forschung in letzter Zeit wieder Fortschritte», sagt Winterhalder, «die hoffentlich zu einer Verbesserung des
Überlebens und der Lebensqualität unserer Patienten führen werden.»
Gisela Blau
[email protected]
Eine Themenzeitung von Mediaplanet
februar 2013 · 9
news
Therapie
Morbus Pompe – Was ist das?
Morbus Pompe (MP) ist eine
seltene Erkrankung, welche zu
einem Verlust des Muskelgewebes und damit zu einer zunehmenden generellen Muskelschwäche führt. Es gibt Behandlungsmöglichkeiten, durch
die der Krankheitsverlauf gestoppt werden kann – heilen
kann man die Krankheit aber
nicht, sodass eine lebenslange
Behandlung notwendig wird.
Tabletten-Revolution
vor 10 Jahren
■■Frage: Wie lange soll nach einer
GIST-Operation die adjuvante Therapie zur Senkung des Rückfallsrisikos fortgesetzt werden?
■■Antwort: Laut einer Studie mindestens drei Jahre.
Der GIST (gastrointestinaler Stromatumor) ist ein selten auftretender Weichteilkrebs, meist im Bereich des Magens
(60 Prozent) oder des Darmtraktes. Er
tritt etwa zehn Mal auf eine Million Einwohner auf; die Schweiz verzeichnet im
Jahr etwa 70 bis 80 Neuentdeckungen,
sagt Dr. med. Donat Dürr, leitender Arzt
der Onkologie/Hämatologie am Zürcher Stadtspital Triemli, einem der drei
Schweizer GIST-Kompetenzzentren. Patientinnen und Patienten suchen den
Arzt auf, weil sie Blut im Stuhl entdecken, oder wegen Atemnot, Müdigkeit,
unspezifischen Bauchschmerzen. GIST
ist keine Wohlstandserkrankung infolge ungesunden Lebenswandels.
Bis vor etwa 30 Jahren war es nicht
einfach, GIST von anderen Weichteiltumoren zu unterscheiden, weil moderne,
spezifische Untersuchungsmethoden
wie die Immunhistochemie den Pathologen noch nicht zur Verfügung standen.
Dank den Bildgebungs-Techniken wie
der Computer-Tomografie (CT) oder der
Magnetresonanz-Tomografie (MRI) kann
GIST häufig frühzeitig entdeckt werden,
manchmal sogar dann, wenn Patienten
ohne entsprechende Beschwerden und
aus anderen Gründen untersucht werden. Eine Gewebeprobe führt zur Diagnose, und es wird untersucht, ob der Tumor
etwa bereits in anderen Körperteilen Ableger verursacht hat.
Beurteilung des Rückfallrisikos
Zeigt die Bildgebung keine Ableger, so ist
eine Operation angezeigt. Mit der Entfernung eines Teils des Magens oder des
Dünndarms wird zwar der gesamte Tumor entfernt, es ist aber dennoch nicht
sicher, ob nicht bereits auf dem Blutweg bösartige Zellen gestreut wurden.
Postoperativ lässt sich das Rückfallrisiko zum Beispiel mit dem Miettinen-Index berechnen. Das heisst: Je grösser der
Tumor war, desto eher müssen bösartige
Zellen in der Blutbahn vermutet werden.
Auch die Lokalisierung spielt eine Rolle:
«Das Rückfallrisiko bei einem GIST im
Magen ist deutlich kleiner als zum Beispiel im Dünndarm», sagt Donat Dürr.
Im Weiteren spielt die Wachstumsgeschwindigkeit (mitotischer Index) eine
Dr. med. Donat Dürr
Leitender Arzt Onkologie/Hämatologie am
Zürcher Stadtspital
Triemli
«Die Herausforderung bei der Diagnosestellung von MP ist, dass die Ärzte
oft nicht daran denken», sagt Experte Prof. Dr. med. Kai Rösler. «Um möglichst früh mit der Behandlung beginnen zu können, ist es wichtig, die
Krankheit bekannter zu machen, damit die Ärzte diese Erkrankung als
mögliche Ursache der Patientenbeschwerden in Betracht ziehen.»
MP ist eine erblich bedingte Stoffwechselerkrankung, die sich durch eine Beeinträchtigung der Muskulatur
bemerkbar macht. Als Folge einer defekten Erbanlage kann in Muskelzellen die Zuckerstärke nicht richtig abgebaut werden. Die Muskelzellen werden
dadurch dauerhaft zerstört, was zu einer fortschreitenden Muskelschwäche
führt. Die Symptome und der Schweregrad der Erkrankung sind von Person
zu Person stark unterschiedlich. Meist
kommt es zu einer Schwäche von Armen und Beinen,sodass das Gehen oder
manuelle Tätigkeiten behindert sind.
Es können aber auch die Atemmuskeln
betroffen sein, sodass der Patient unter
Atemnot leidet.Bei besonders schweren
Formen,die schon im Säuglingsalter beginnen,ist auch der Herzmuskel mitbetroffen. Herz- und Atemschwäche führen bei solchen kleinen Patienten zum
frühen Tod, wenn ihre Ursache nicht
rasch erkannt und behandelt wird.
Es gibt
Behandlungsmöglichkeiten
PET-Untersuchung: Hell aufleuchtende, aktive Leber-Absiedlung eines GIST vor
Behandlung. Unter wirksamer Behandlung verliert die Lebermetastase an Stoffwech­
Fotos: Prof.Dr.Prior ( Nuklearmedizin CHUV Lausanne ), Dr. Montemurro
selaktivität (kleines Bild).
wichtige Rolle bezüglich des Rückfallrisikos.
«Bei hohem Rückfallrisiko entscheiden wir uns für eine adjuvante Therapie
mit Tabletten, um das Risiko für einen
Rückfall zu senken», erklärt der Onkologe. «Bei mittleren Risiken wägen wir
ab, ob wir diese Nachbehandlung beginnen, weil wir die betreffenden Patienten
nicht unnötig durch Nebenwirkungen
belasten wollen.» Mögliche Nebenwirkungen sind Übelkeit, Durchfall, Müdigkeit, Blutbildveränderungen und Wassereinlagerungen in der Augenregion.
Letzteres kann besonders für junge Frauen eine Belastung sein. «Die Übelkeit
können wir mit einem Trick aushebeln»,
so Donat Dürr,«indem wir den Patienten
raten, die Tabletten abends einzunehmen. Im Schlaf werden sie die Übelkeit
deutlich weniger wahrnehmen.»
Vielleicht länger als drei Jahre
Skandinavische Studien haben gezeigt,
dass die adjuvante, also zur Operation ergänzende Therapie mit Tabletten mindestens drei Jahre lang durchgeführt werden
sollte. Diese Zeitspanne verspricht eine
bessere Überlebenschance.Dürr: «Ob eine
noch längere Therapie etwas bringt, wissen wir noch nicht,weil hier noch Studien
im Gang sind.Die meisten Onkologen neigen allerdings dazu, weil wir sehen, dass
ein gewisser Prozentsatz der Patienten einen Rückfall erleidet,sobald die Tabletten
abgesetzt werden.»
Die Behandlung und Nachbehandlung von GIST erfolgt im Spital durch
ein interdisziplinäres Team, das sich
ausser Onkologen auch aus Pathologen, Radiologen und Chirurgen zusammensetzt.Gemeinsam werden Chancen
und Risiken erwogen und die Therapien
festgelegt, von der Operation bis zur adjuvanten Nachbehandlung.
Die adjuvante Nachbehandlung unterscheidet sich von der palliativen Nachbehandlung. Wenn eine Heilung nicht
möglich ist, stehen mehrere moderne Tabletten, sogenannte Multikinase-Inhibitoren, zur Verfügung. Für die adjuvante
Senkung des Rückfallrisikos gibt es eine
einzige Tablette namens Imatinib, die vor
zehn Jahren einer Revolution gleichkam.
Seitdem kann,anders als bei einer flächendeckenden Chemotherapie,gezielt bei relativ erträglichen Nebenwirkungen auf den
Tumor eingewirkt werden. Die Patienten
tragen durch ihre Therapietreue, also die
durch den Arzt empfohlene ,regelmässige und wie Medikamenteneinnahme,entscheidend zum Erfolg der Behandlung bei.
Gute Information ist wichtig
Wer sich einer adjuvanten Therapie unterzieht, ist in regelmässigem Kontakt
mit den Medizinern. Vor dem Start der
Therapie soll eine sogenannte Mutationsanalyse durchgeführt werden, mit
der untersucht wird, ob der Tumor genetische Veränderungen durchgemacht
hat und auf die Therapie anspricht. Dies
kommt in 80 Prozent der Fälle vor.Neben
der medikamentösen Therapie gehören
auch regelmässige Bildgebungen zur Behandlung, obwohl deren optimales zeitliches Intervall noch unklar ist.
Als sehr wichtig erachtet Dr. Dürr die
GIST-Gruppe Schweiz, eine Vereinigung,
die GIST-Patienten umfassend informiert: «Wer mit der GIST-Gruppe in Kontakt getreten ist, weiss häufig sehr viel
über diese Krankheit.»
Gisela Blau
[email protected]
Es ist eigentlich nicht schwierig, die
Krankheit zu diagnostizieren. «Die Symptome ähneln zwar vielen anderen Muskelerkrankungen, doch mittels einer
einfachen Blutuntersuchung kann die
Diagnose eindeutig gestellt werden»,sagt
Prof.Rösler.Einmal festgestellt,ist der Befund für viele Betroffene einerseits ein
Schock. Andererseits sind Patienten oft
Anzeige
Prof. Dr. med. Kai
Rösler
Leitender Arzt Universitätsklinik für Neurologie in Bern, Leiter
Muskelzentrum
aber auch erleichtert,denn die Diagnosestellung beendet Jahre der Ungewissheit
über die Ursache ihrer zunehmenden
Muskelschwäche, und es eröffnet sich
die Möglichkeit einer Behandlung.Seit einigen Jahren steht ein Medikament zur
Verfügung,welches an den Universitätsspitälern und grösseren Kantonsspitälern der Schweiz angeboten wird.Da diese
Behandlung aufwändige Tests der Muskelkraft notwendig macht, und weil das
Medikament kurz vor der Eingabe vor Ort
zubereitet werden muss, ist die Überwachung durch ein Expertenteam notwendig. Das Wissen eines Hausarztes reicht
dafür nicht aus.
Die Therapie ist komplex
Seit 2008 steht eine Enzymersatztherapie (ERT) zur Verfügung, welche es erlaubt, die Stoffwechselstörung beim
MP zu behandeln. Das fehlende Enzym,
welches zum Abbau von Stärke nötig ist,
wird dem Patienten dabei alle zwei Wochen mit einer Infusion im Spital verabreicht. Durch das Ersetzen des Enzyms
wird bei vielen Pompe-Patienten das
Fortschreiten des Muskelverlusts gestoppt oder mindestens verlangsamt.
Gerade bei den ganz besonders schweren Fällen bei Kleinkindern führt diese
Behandlung oft zur völligen Beschwerdefreiheit, sodass diese Kinder normal
aufwachsen und ein praktisch normales Leben führen können.Ergänzend zur
ERT nehmen unterstützende Behandlungen wie Physio-,Ergo- und Atemtherapie sowie Diätempfehlungen einen
wichtigen Stellenwert ein.Diese ermöglichen dem Patienten eine zusätzliche
Erleichterung des Alltags, indem sie zu
einem besseren psychischen und körperlichen Befinden beitragen.
Prof. Rösler sieht seine Pompe-Patienten zweimal pro Jahr zu einer allgemeinen Untersuchung, um die
Wirksamkeit der Behandlung auf den
Krankheitsverlauf zu beurteilen.
kathrin fink
[email protected]
10 · februar 2013
Eine Themenzeitung von Mediaplanet
fact
3
Expertenmeinung
Schwierige Entscheidungen
bei der Vergütung
eines unklaren Nutzens
Krankenversicherer müssen
den allgemeinen Zugang zu
zweckmässigen Therapien sichern. Behandlungen für seltene Krankheiten können den
Nachweis der Zweckmässigkeit nicht immer erbringen,
aber sie bedeuten eine Erleichterung des Leidens oder
wenigstens einen Strohhalm
der Hoffnung. Oft übernehmen
Krankenkassen die Kosten aus
ethischen Gründen.
Gibt es keinen allgemeinen Zugang zu
Therapien, würde eine Zweiklassenmedizin entstehen, sagt Rhyn. Wer es
sich leisten kann, könnte sich Behandlungen kaufen, die für Ärmere unerreichbar sind. Aus Sicht der sozialen
Versicherung wäre das nicht angemessen. Im Krankenversicherungsgesetz
(KVG) sind hingegen aber auch die Anforderungen klar definiert, damit Leistungen von den Kassen übernommen
werden: «Therapien müssen wirksam,
zweckmässig und wirtschaftlich sein»,
so Rhyn. «Problematisch bei seltenen
Krankheiten ist, dass häufig zur Beurteilung der Kassenpflicht nur wenige
Daten zur Verfügung stehen.»
Bei seltenen Krankheiten stehen
wir in der Schweiz hinsichtlich des Zugangs zu Therapien im internationalen
Vergleich gut da, freut sich Paul Rhyn.
Gerade bei der beschleunigten Zulassung von Spezialmedikamenten gibt es
viel Offenheit und Flexibilität. Aber aus
Sicht der Krankenversicherer sei es besonders wichtig, dass vermehrt wieder
mit wissenschaftlichen Untersuchungen der Nachweis von Wirksamkeit,
Zweckmässigkeit, Wirtschaftlichkeit
und Nutzen für Patienten erarbeitet
werde, damit Patienten auf eine problemlose Kostenübernahme der Therapie zählen können.
Standards entwickeln
«Leider fehlen vom Bund bisher grundsätzliche Strategien», bedauert Paul
Rhyn. Glücklicherweise habe der Bundesrat mit dem Bundesamt für Gesundheit (BAG), den Patientenorganisationen, den Leistungserbringern, der
Pharmaindustrie und den Versicherern
einen Prozess in Gang gesetzt, um Probleme im Bereich seltener Krankheiten
anzugehen und eine Strategie zu entwickeln. Die Vertrauensärzte der Versicherer beurteilen heute schon auch bei
nicht zugelassenen Medikamenten im
Einzelfall die Therapie und entscheiden, wenn die Voraussetzungen erfüllt
sind und ein grosser Nutzen vorliegt, im
Interesse der Patienten. Oft werde aus
ethischen Gründen ein Medikament
für eine seltene Krankheit bezahlt. Oft
übernehme auch der Pharma-Hersteller einen Teil der Kosten.
Viele Menschen mit seltenen
Krankheiten sehen sich mit der Frage
Anzeige
Paul Rhyn
Leiter Kommunikation von Santésuisse,
dem Branchenverband der schweizerischen
Krankenversicherer im Bereich der Grund­
versicherung
«Die Krankenversicherung ist vom
klassischen Grundsatz geleitet, dass
die Allgemeinheit
Zugang zu Therapien erhalten soll.»
konfrontiert, ob ein unter Umständen
sehr teures Medikament für ihre Therapie von der Krankenkasse übernommen wird oder nicht. Massgebend für
die Kassenpflicht ist grundsätzlich
die Aufnahme eines Medikamentes
auf die sogenannte Spezialitätenliste
des BAG. Etwa 100 Medikamente auf
dieser Liste betreffen seltene Krankheiten. Oft sei ein Medikament zwar
verfügbar, aber es liegt keine Kassenzulassung vor. Unter bestimmten Voraussetzungen kann dieses
Medikament aber trotzdem von der
Krankenkasse übernommen wird.
Voraussetzungen für
Kostenübernahme müssen
erfüllt sein
Die Kostenübernahme durch die Krankenkassen setzt voraus,dass es keine Alternative gibt, die Krankheit schwere
oder lebensbedrohliche Folgen hat und
ein grosser Nutzen der Therapie erwartet werden kann. Dieser Rahmen wird
von den Vertrauensärzten der Krankenversicherer genutzt. Härtefälle lassen
sich trotzdem nicht völlig vermeiden,
erklärt Rhyn. «Eine Ablehnung aufgrund nicht erfüllter Voraussetzungen
ist aus Sicht der betroffenen Patienten
oft schwer verständlich,da sie vielleicht
in dieses eine bestimmte Medikament
alle Hoffnung für eine Genesung gesetzt haben.»
Fünf Prozent oder rund 400 000 Personen der in der Schweiz lebenden Bevölkerung sind von einer der etwa 7000
seltenen Krankheiten betroffen. Die
Medikamente für diese Kranken machen laut der Statistik 3,4 Prozent aller
Medikamentenkosten aus, oder 170 Millionen Franken von insgesamt fünf Milliarden.
Rhyn: «In diesem speziellen Bereich
des Medikamentenmarktes locken hohe Margen und Gewinne. Uns ist wichtig, dass die Preise sich in einem vernünftigen Rahmen bewegen und die
Medikamente bezahlbar bleiben. Wir
möchten uns gerne an Produktionskosten orientieren und nicht jeden Preis
zahlen, der von der Pharmaindustrie
vorgegeben wird. Die Hersteller müssten zu Transparenz verpflichtet werden.» Einzelne Versicherer würden sich
jetzt schon mit einzelnen Herstellern
über deren Preise verständigen.
Gesellschaftliche Probleme lösen
«Der in Gang gekommene Prozess lag
in der Luft», sagt Rhyn, «wegen des medizinischen Fortschritts, dank dem
Diagnosen präziser werden und Therapien gezielter auf die genetische
Disposition einzelner Personen zugeschnitten wird. Eine genaue Diagnose
führt zu einer genauen Therapie und
definiert, welche Patienten für welche
Medikamente in Frage kommen. So positiv diese Entwicklung auch ist, wird
unter Umständen trotz hohem Aufwand ein nur noch sehr geringer therapeutischer Nutzenzuwachs erzielt.
Die Politik muss sich mit den Lichtund Schattenseiten dieser medizinischen Errungenschaften auseinandersetzen. Das Bundesgericht urteilte, als
es 2010 entschied, dass ein sehr teures
Medikament wegen zu geringer Wirkung nicht kassenpflichtig sei, dass
die Politik Regeln bezüglich Finanzierungsgrenzen aufstellen und nicht das
oberste Gericht die Probleme der Gesellschaft lösen muss.»
Entscheidungen bei seltenen Krankheiten sind für alle belastend - insbesondere natürlich für die Betroffenen selber. Werden Kriterien zur
Beurteilung der Kostenübernahme für
Medikamente bei seltenen Krankheiten angewendet, entstehe immer ein
Spannungsfeld, meint Rhyn. Entscheide müssen für oder gegen Patienten, für
oder gegen die Allgemeinheit, für oder
gegen die Umsetzung eines zu wenig
dokumentierten medizinischen Nutzens gefällt werden. Krankenversicherer stehen vor der schwierige Aufgabe,
Grundlagen und Kriterien zu beachten, aber andererseits auch vor der ethischen Anforderung, den Zugang zu einer Behandlung zu ermöglichen. Paul
Rhyn: «Dass die Schweiz laut Studien
in diesem Bereich gut dasteht, heisst
nicht, dass man es nicht auch noch besser machen könnte.»
über 75
prozent der
betroffenen
sind Kinder
hilfe
Menschen mit einer Seltenen Krankheit brauchen häufig eine sehr
intensive Pflege und Unterstützung.
Foto: Shutterstock
Pflege
Für Kinder
rund um die Uhr im Einsatz
■■Frage: Wann kann ein schwer
krankes Kind von der KinderSpitex zu Hause betreut werden?
■■Antwort: Der Austritt aus
dem Spital ist immer ein
gemeinsamer Entscheid des
behandelnden Arztes, der Eltern
und der kispex.
«Auch schwer kranke Kinder sollen,
wenn immer medizinisch vertretbar,
zu Hause in der Geborgenheit der Familie gepflegt werden, da sind sich Fachleute einig», sagt Bea Blaser-Schmucki.
«Dort fühlen sie sich am wohlsten, und
dies wirkt sich positiv auf den Krankheitsverlauf und den Heilungsprozess
aus.» Blaser-Schmucki ist für die private Nonprofit-Organisation Kinder-Spitex (kispex) tätig,die im ganzen Kanton
Zürich Kinder von 0–18 Jahren zu Hause pflegt. Viele dieser Kinder haben ein
chronisches Leiden oder eine seltene
Erkrankung aufgrund eines Geburtsgebrechens und werden über längere Zeit
von kispex betreut.
Professionelle Pflege
Die gut ausgebildeten und u.a. in Pädiatrie erfahrenen kispex-Pflegefachleute
betreuen Kinder mit den unterschiedlichsten Erkrankungen und führen vielfältige Pflegeverrichtungen aus, vom
Verbandswechsel über die Verabreichung von Spritzen bis zur komplexen
Infusionstherapie. Die Pflege vor Ort
dauert unterschiedlich lang, die Einsätze variieren von 30 Minuten bis zu einigen Stunden.Je nach Zustand des Kindes
übernehmen die Pflegefachleute auch
Nachtwachen.
«Wenn es eine Situation erfordert,
sind wir auch offen für unkonventionelle Lösungen», sagt die Fachfrau. Die
Bea Blaser-Schmucki
Pflegeberatung und
Projektbegleitung
Kinder-Spitex
(kispex),
Kanton Zürich
kispex betreute z.B. ein Kind, das dreimal täglich viele verschiedene Herzmedikamente benötigte. Da seine
Mutter nicht lesen konnte, füllten die
kispex-Frauen die vorebereiteten Medikamente in drei verschiedenfarbige
Boxen mit Symbolen für Morgen, Mittag und Abend ab.
«Wenn nötig, sind wir für die Eltern 24 Stunden erreichbar», betont
Bea Blaser-Schmucki. «Wir bieten einen Helplinedienst an, Eltern können
bei Problemen oder in Krisensituationen jederzeit anrufen und erhalten
von unseren speziell geschulten MitarbeiterInnen sofortige telefonische
Unterstützung.» Parallel zu dieser
Beratung können bei Bedarf auch die
notwendigen Notfallmassnahmen
eingeleitet werden. Für kispex ist die
Zusammenarbeit mit den Ärzten und
den verschiedenen Fachdiensten sehr
wichtig. Bei Problemen wird im interprofessionellen Austausch nach Lösungen gesucht.
Lebensqualität ermöglichen
Ein wichtiges Angebot der kispex ist
die Palliative Care – Pflege, wenn Heilung nicht mehr möglich ist. In dieser Krankheitsphase ist es notwendig,
dass belastende Symptome schnell
erkannt und effizient behandelt werden. «Wir tun alles, um dem Kind und
seiner Familie eine gute Lebensqualität zu ermöglichen », sagt Bea BlaserSchmucki.
Begleitung und Abschied
Der Tod eines Kindes ist für Eltern und
Geschwister vermutlich der schmerzlichste Moment in ihrem Leben. Zum
Palliativ-Pflegekonzept von kispex gehört die Begleitung der Familien während des Sterbens ihres Kindes.Bea Blaser-Schmucki: «Auf Wunsch kann diese
Begleitung auch nach dem Tod des Kindes weitergeführt werden. Dies kann
bei der Trauerarbeit hilfreich sein.»
gisela blau
[email protected]
Eine Themenzeitung von Mediaplanet
februar 2013 · 11
news
Unterstützung
Die Hoffnung und der Wunsch nach
einem unbeschwertem Leben sind
auch für Kinder und Familien mit einer
seltenen Krankheit sehr wichtig.
Patient empowerment:
Uns gemeinsam realistische Ziele
zu setzen, hilft Gesundheits­
kompetenz und Selbstmanagement
bei chronischen Krankheiten zu
Foto: ZVG
fördern.
Foto: zvg
Lebensqualität
trotz seltener
Krankheit
■■Frage: Wie können Menschen mit seltenen Krankheiten optimal unterstützt werden?
■■Antwort: Die grosse Mehrzahl der Betroffenen mit einer seltenen Krankheit leidet nicht
nur unter dem Mangel an Medikamenten. Auch
mangelhafte Unterstützung, Isolation und fehlende Netzwerke erschweren ihnen das Leben.
Dr. Frank Grossmann
Gründer und
Geschäftsleiter
der Forschungsstiftung
Orphanbiotec
Medikamente gegen seltene Krankheiten fehlen oder
sind sehr teuer und für Krankenkassen nicht ohne
weiteres zu finanzieren. Die Forschungsstiftung Orphanbiotec entwickelt neue und finanzierbare Medikamente gezielt für Menschen,die an seltenen Krankheiten leiden. Doch auch der psychische Aspekt darf
nicht vernachlässigt werden. Deshalb ist es wichtig,
Betroffene hier gezielt zu stützen. So verfolgt die Stiftung auch das Ziel, Patienten aktiv einzubinden, damit sie so in Zukunft zur Verbesserung ihrer eigenen
Gesundheit beitragen können. Diese komplexe Problematik erfordert gut durchdachte Lösungen.
Austausch kann
Resignation und Isolation verhindern
Nach der Diagnose einer seltenen Krankheit stellen sich
die Betroffenen viele Fragen,die kompetente Beratung
und Unterstützung erfordern.Häufig ist aber am Ort zu
wenig Wissen über die Krankheit vorhanden,was auch
die Informationsbeschaffung erschwert. Damit dies
verhindert werden kann,muss das wenige Wissen besser vernetzt werden. Bei den Patienten entsteht nach
der Diagnose oft ein Gefühl der Hoffnungslosigkeit
und der Leere.Werden Sie damit alleine gelassen,führt
das zur Resignation.Deshalb brauchen die Betroffenen
nach der Diagnose intensive und kompetente Unterstützung und vertrauenswürdigen Austausch mit anderen,um nicht weiter in eine Isolation zu gelangen.
Trotz Krankheit ein
selbstbestimmtes
Leben führen
Wenn Elfen helfen
In einem ersten Schritt bietet hier das Online-Patientenforum, das auch von Fachärzten betreut
wird, den unkomplizierten Kontakt. Es hilft so den
Betroffenen, sich sehr früh auf der Suche nach Diagnosen oder Informationen untereinander auszutauschen. Das Gesundheitsförderer-Programm
«ELFEN HELFEN» der Stiftung unterstützt die Patienten durch Hilfe zur Selbsthilfe. Es bietet Erkrankten die Möglichkeit, andere Familien und
Betroffene zu treffen und kennenzulernen. Das
Programm versorgt sie mit Informationen und
hilft, die eigene Lebenssituation zu verstehen und
selber zu verbessern. Dieses stiftungseigene Programm hat zwei grosse Kinderspitäler – das Inselspital Bern und das Kinderspital beider Basel – als
Partner gewinnen können. «ELFEN HELFEN» soll
in nächster Zeit mit Hilfe von Gönnern durch ein
Coaching-Programm erweitert werden.
Gemeinsam die
Lebensqualität verbessern
Die Stiftung möchte Wissen zu seltenen Krankheiten vermitteln.Im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit
wurde deshalb die Kampagne «Black Nose» entwickelt.Die gibt Betroffenen ein Gesicht und eine Stimme. Zudem sollen auch Nichtbetroffene motiviert
werden,sich für ihre Mitmenschen einzusetzen.
Ein breites und soziales Engagement kann gezielt
Herausforderungen im Gesundheitsbereich verbessern, dort wo der Staat und Versicherungen zu langsam oder finanziell nicht dazu in der Lage sind. Mit
Spenden, Gönnern und Partnerschaften mit Unternehmen,die ihre soziale Verantwortung in einem besonderem Mass wahrnehmen wollen, baut die Stiftung Projekte auf und entwickelt bereits begonnene
weiter. Das Netzwerk mit Partnern aus verschiedenen Bereichen ist für die Stiftung eine wichtige
Grundlage.So können gemeinsam die Ziele – eine kostengünstige Versorgung der Betroffenen und Verbesserung ihrer Lebensqualität bei Entlastung der Sozialsysteme – erreicht werden.
Salome Kern
[email protected]
■■Frage: Wie können Menschen mit
chronischen und seltenen Krankheiten ihre
Lebensgestaltung aktiv beeinflussen?
■■Antwort: Mit dem Kursangebot Evivo der
Careum Stiftung lernen die Betroffenen, wie
sie ihr Leben gestalten können, und fördert
so das Selbstmanagement. Auch konkrete
Tipps zu Ernährung und Bewegung helfen
ihnen weiter.
Dr. Jörg Haslbeck
Leiter der Careum
Patientenbildung
nen Fragen zur Organisation des Alltags, Vorbereitung des Arztbesuchs, aber auch persönliche
Themen wie eigene Lebensziele diskutiert werden. Im Kurs erhalten die Betroffenen auch Tipps
zur gesunden, genussvollen Ernährung oder zu
Fitnessübungen. Es werden systematisch Techniken eingeübt, die helfen, besser mit der Krankheit umzugehen. Dazu gehören beispielsweise
Atem- und Entspannungsübungen, mit denen
man Schmerzen begegnen kann. Das Besondere
daran ist, dass die Kurse vorwiegend von Personen geleitet werden, die selbst mit chronischen
Krankheiten leben.
Thema beim Careum Congress
Der Gesundheitsmarkt ist ein immer komplexer werdendes System. Damit ein konstruktiver
Dialog entstehen kann, braucht es veränderte und teilweise neue Kompetenzen. Das Stichwort dazu ist Empowerment. Insbesondere bei
Menschen, die mit chronischen und oft auch
seltenen Erkrankungen leben, soll es den Einfluss auf die Gestaltung ihres Lebens verbessern. Die Zürcher Stiftung Careum engagiert
sich dafür, Patientenkompetenz und -beteiligung durch innovative Angebote und handlungsrelevante Gesundheitsinformationen zu
fördern.
Evivo unterstützt dabei,
aktiv mit der Krankheit zu leben
2012 hat in der Schweiz das Kursangebot Evivo für Menschen gestartet, die mit chronischen
aber auch seltenen Krankheiten und Behinderungen leben. Es fördert die Fähigkeit des Selbstmanagements. Ursprünglich wurde Evivo an der
der Stanford Universität (USA) entwickelt und
von Careum für die Schweiz adaptiert. Evivo unterstützt Menschen mit chronischer Krankheit
und ihre Angehörigen, die sich im Kurs strukturiert zu Themen austauschen. Gemeinsam kön-
Zum Engagement von Careum für «patient empowerment» gehört auch der Careum Congress
2014 zum «Machtfaktor Patient 3.0». Mit einem
partizipativen Ansatz wird am 17. und 18. März
2014 in Basel thematisiert, wie Patienten das
Gesicht des Gesundheitswesens verändern. Ein
zentrales Innovationsthema des Kongresses
wird «Leben mit seltenen Krankheiten» sein, um
seine Bedeutung für Patienten, das Gesundheitswesen und die Forschung zu diskutieren sowie
Ansätze zur Verbesserung von Lebensqualität
und Förderung von Selbstmanagement zu identifizieren.
Careum ist eine gemeinnützige Stiftung in
Zürich, die die Bildung im Gesundheitswesen
durch Innovation und Entwicklung fördert. Als
eine der führenden Institutionen für zukunftsorientierte Fragen in der Bildung im Gesundheitswesen will Careum in der Aus- und Weiterbildung neue Akzente setzen. Neben den
Bildungsangeboten fördert die Careum Stiftung durch gezielte Veranstaltungen den Dialog zwischen den verschiedenen Anspruchsgruppen des Gesundheitswesens. Zusammen
mit Pionier-Partnern führt Careum «Evivo» in
der Schweiz und im deutschsprachigen Europa
ein.
Salome Kern
[email protected]
damit seltene krankheiten
noch seltener werden
ELFEN HELFEN hat eine antwort
Gesundheitsförderprogramm für Familien und menschen mit einer
seltenen krankheit. 230’000 kinder sind betroffen.
das können wir dank ihrer Unterstützung gemeinsam ändern.
spendenkonto:
ZkB:konto-nr. 1100.2590.214
iBan: ch65 0070 0110 0025 9021 4
Gemeinnützige & steuerbefreite stiftung nach schweizer recht.
Forschungsstiftung Orphanbiotec
hochstrasse 49, 8044 Zürich
www.orphanbiotec-foundation.com
www.elfenhelfen.ch
Herunterladen