Ärzteliste | Selbst-Tests

Werbung
Nr. 01
€ 7,90
Was Sie wissen sollten: Ursachen | Diagnosen | Therapien
S
GESUNDHEIT
GESUNDHEIT
Nr. 01
Das Herz
DA S H E R Z
FOCUS-GESUNDHEIT
++ Ärzteliste | Selbst-Tests ++
Cholesterin
Wie Sie Ihre
Blutfettwerte
dauerhaft senken
können
Das Herz
4 192405 307900
Alles über Infarkt, Bluthochdruck,
Cholesterin, Herzschwäche, Herzenge
und Rhythmusstörungen
01
01
Inhalt
FOCUS-GESUNDHEIT – Nr. 1 – Das Herz
85
Der Motor des Menschen
6Die FOCUS-Gesundheit-Grafik
Blutdruck
Auf einen Blick: So funktionieren die
Kammern und Klappen des Herzens
und der Blutkreislauf
86 Übergewicht: Syndrom X
I Diabetes I Cholesterin
Ernährung & Bewegung
Zu Besuch im Hybrid-Operationssaal
des Deutschen Herzzentrums Berlin.
Moderne Technologien krempeln
traditionelle Verfahren um
90 Interview: In Bewegung bleiben
76
10 Interview: Die Herausforderungen
Herzenge
Martin Krassowski
springt dank Gefäßstützen wieder dem
Fußball hinterher
Deutschlands einflussreichste
Herzspezialisten diskutieren über
Perspektiven und aktuelle Trends
ihrer Branche
14 Ein Ort im Dienst des Herzens
Wächter in der Brust
Intelligente Schrittmacher schützen
Patienten, wenn das Herz
aus dem Takt gerät
Wie US-amerikanische Kleinstadtbürger
die Herzforschung revolutioniert haben
Lebensretter
Chirurg
Roland Hetzer
über Organtransplantation
20 Die Geschichte einer Pumpe
In der Antike galt das Herz als Sitz der
Seele. Von der Entdeckung des Blutkreislaufs bis zur ersten Transplantation
25
I
Infarkt
I
43
Kunstherz
32 Tödlicher Verschluss
4
40 Selbsttest
13 Fragen mit Sofort-Auswertung: So
hoch ist Ihr Risiko für einen Herzinfarkt
41 Wissen
Kurzlexikon zu Gefäßverengungen
FOCUS-GESUNDHEIT
Sind die Herz-Ventile zu eng oder
schließen sie nicht mehr richtig, müssen
sie ausgetauscht werden
I
44 Vergrößert und kraftlos
67 Wissen
Gegen die Herzinsuffizienz fehlt das
Patentrezept. Doch die Erfolge einer
neuen Pflegeform lassen aufhorchen
52 Am Abgrund
Rhythmusstörungen
56 Interview: Nachschub benötigt
Der Direktor des Deutschen Herzzentrums in Berlin, Roland Hetzer, über
Schwierigkeiten bei der Organspende
und die Fortschritte seiner Zunft
38 Im Notfall
Wie ein Defibrillator hilft und was beim
Herzinfarkt zu tun ist
I
Transplantation
Herzklappen
I
Immer noch gibt es mehr Bedürftige für
eine Herztransplantation als Spender.
Ein neues Gesetz soll dies ändern
Titel: Mike Owen, Getty Images
70
Narben-Therapie
Lars Eckardt verödet
Gewebe (Bildschirm),
um Herzrhythmusstörungen zu behandeln
Bei einem Herzinfarkt muss es schnell
gehen. Eine rechtzeitig eingesetzte
Gefäßstütze (Stent) kann Leben retten
Fotos: D. Asbach, B. Kraehahn, M. Thelen/alle FOCUS-Magazin, Getty Images
Kardiologin und Gender-Forscherin
Vera Regitz-Zagrosek über
Geschlechtsunterschiede am Herzen
64 Herzklappen-Ersatz
Das schwache Herz
Insuffizienz
26 Erweitern oder umleiten?
31 Interview: Frauen ticken anders
92 Versteckte Gefahr
15 Millionen Deutsche leiden an
Diabetes. Viele wissen nichts davon
95 Selbsttest Diabetes
Acht Fragen zu Ihrem Blutzucker-Risiko
96 Runter mit den Blutfettwerten
Gesunde Ernährung und Medikamente
helfen, den Cholesterin-Spiegel zu senken
99 Tipps gegen Cholesterin
100 Lachen ist gesund
Notfall
Wenn die Herzkranzgefäße sich verengen, müssen Ärzte eingreifen. Katheter
und Bypass-Operation im Vergleich
Der Experte Martin Halle erklärt, wie viel
Sport guttut und wie der Einstieg gelingt
Warum Sport, Gemüse & Co. guttun
Das enge Herz
Herzenge
I
Jeder vierte Deutsche leidet am
Metabolischen Syndrom. Die Kombination aus vier Erkrankungen hat
lebensbedrohliche Folgen für das Herz
8OP der Zukunft
26 56
Das gesunde Herz
58 Neustart mit Ersatzmotor
Ingenieure und Mediziner experimentieren mit Kunstherzen und tierischen
Organspendern
62 Telemedizin
Ärzte betreuen ihre Patienten
erfolgreich per Datenverbindung
FOCUS-GESUNDHEIT
Begriffserklärungen zur Herzinsuffizienz
69
Das taktlose Herz
Schrittmacher
I
I
Psyche & Herz
70 Gefährliches Flimmern
Bei Herzrhythmusstörungen helfen Ärzte
mit neuen Kathetereingriffen
76 Kluge Schutzengel
Herzschrittmacher werden immer kleiner
und immer intelligenter – und eignen sich
neuerdings auch für den Einsatz im MRT
80 Rätsel gebrochenes Herz
Das „Broken-Heart-Syndrom“ gibt
es: Ist der seelische Schmerz zu stark,
kann er das Herz schädigen
82 Wissen
Das Kurzlexikon zu Rhythmusstörungen
Was Herz und Gefäße erfreut: Im Job
kürzertreten, Humor, Kaffee und Sex
102 Das Volksleiden heilen
Ein neues Operationsverfahren verspricht
Hilfe für Menschen mit Bluthochdruck
105 Selbsttest
Elf Fragen: Wie hoch ist Ihr Risiko
für Bluthochdruck?
106 Die 8 goldenen Regeln
Warum Freunde gut fürs Herz sind
und es wichtig ist, ärztliche Anweisungen
zu befolgen; plus weitere Ratschläge
108 Fisch, Salz und Olivenöl
In einer Lehrküche lernen Patienten, was
sie bei der Ernährung beachten sollten
111 Herz-Diäten
Drei Strategien, um Gewicht zu verlieren
und das Organ zu schützen
112 Ärzteliste
Alle führenden Spezialisten fürs Herz
128 Wissen
Das Kurzlexikon der Laborwerte
130 Vorschau / Impressum
5
D e r M oto r des M enschen
d i e F o c u s - G e s u n d h e i t- G r a f i k
Gehirn
Alles
fließt
6
Aorta, Hauptschlagader
zum Körperkreislauf
Lunge
Herz
obere Hohlvene
Leber
Blutstrom
zu den Lungen
Kapillarsysteme
Darm
Niere
Pulmonal-Klappe
von den Lungen
Aortenklappe
arterieller Zustrom
Arterien
sauerstoffreiches Blut
(rot)
venöser Zustrom
Venen
sauerstoffarmes Blut
(blau)
Tricuspidal-Klappe
Mitral-Klappe
linke Herzkammer
Kapillarsysteme
INFOGR AF IK
Was bleiben will, das muss sich ändern. Diesen Gedanken gewinnt unweigerlich, wer das Kreislaufsystem
vor Augen hat. Auf einer Strecke von
100 000 Kilometern, das ist mehr als
der doppelte Erdumfang, erstreckt sich
das Flussbett des Blutes im menschlichen Körper. Die Arterien (rot) bringen
sauerstoff- und nährstoffreiche Flüssigkeit zu den Muskeln, den inneren
Organen und ins Gehirn. Die Venen
(blau) leiten die Stoffwechselprodukte und das Atemgas Kohlendioxid
ab. Zwischen beiden Flusssystemen
liegen die haarfeinen, nur 0,001 Millimeter dünnen Verzweigungen des Kapillarsystems. Rote Blutkörperchen,
die Sauerstofftransporter, sind dort
einzeln hintereinander aufgereiht und
in engstem Kontakt zum Gewebe.
Quelle und Mündung all des Strömens ist das pochende Herz.
Der birnen- oder kegelförmige Hohlmuskel ist rund 300 Gramm schwer
und schlägt in Ruhe 60- bis 90-mal
pro Minute, bei Anstrengung bis zu
200-mal und schneller. Das Herz
gibt es eigentlich gar nicht, es sind
zwei Herzen: Das rechte drückt das
Blut aus seiner Kammer in die Lunge,
wo die Flüssigkeit mit Sauerstoff angereichert wird und daher symbolisch
die Farbe von Blau auf Rot wechselt.
Darauf rinnt es in den linken Vorhof,
weiter in die linke Herzkammer, die es
die Aorta hinaufschiebt. Vom mächtigen Strom der Hauptschlagader zweigen Nebenflüsse Richtung Kopf, Organe und Extremitäten ab.
Das Herz-Kreislauf-System ist Bewegung. „Panta rhei“, hätte der griechische Philosoph Heraklit (520–460
v. Chr.) gesagt, „alles fließt“.
Das menschliche Herz
Die Evolution hat eine
einfache, aber effektive
Konstruktion mit Kammern
und Klappen hervorgebracht, um venöses und
arterielles Blut in zwei
Pump-Kreisläufe zu trennen. Sauerstoffarmes Blut
aus dem Körper (blau)
wird vom rechten Herzen
in die Lungen gepresst.
Das linke Herz versorgt
den Körperkreislauf (rot).
rechte Herzkammer
Blutbahnen
Der Körper ist von einem
100 000 Kilometer langen
Gefäßsystem durchzogen.
Seine feinsten Verzweigungen erreichen,
einem genauen Plan
folgend, alle Gewebe.
FOCUS-GESUNDHEIT
7
D E r M oto r des M enschen
I n t e rv i e w
Mehr Vorbeugung, mehr
Aufklärung
10
Prof. Jochen
Cremer
Prof. Friedrich
Wilhelm Mohr
Prof. Thomas
Meinertz
Prof. Eckart
Fleck
Prof. Felix
Berger
1. Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für
Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie. Direktor der Klinik
für Herz und Gefäßchirurgie
der Uni Schleswig-Holstein
Präsident der Deutschen
Gesellschaft für Thorax-,
Herz- und Gefäßchirurgie.
Direktor der Klinik für
Herzchirurgie am Herzzentrum der Uni Leipzig
Vorstandsvorsitzender der
Deutschen Herzstiftung.
Direktor der Klinik für
Kardiologie und Angiologie
am Universitären
Herzzentrum Hamburg
Sprecher der Deutschen
Gesellschaft für Kardiologie. Direktor der Klinik
für Innere Medizin/Kardiologie am Deutschen Herzzentrum Berlin (DHZB)
Präsident der Deutschen
Gesellschaft für Pädiatrische Kardiologie. Direktor
der Klinik für Angeborene
Herzfehler/Kinderkardiologie am DHZB
FOCUS-GESUNDHEIT
Foto: M. Priske/FOCUS-Magazin
Auf dem Gipfeltreffen der Herzprofis mit FOCUS-Gesundheit nennen die Vorstände
der deutschen Fachgesellschaften die Herausforderungen der Herz-Kreislauf-Medizin
11
I n t e rv i e w
Herzerkrankungen sind seit einem halben
Jahrhundert die häufigste Todesursache.
Meine Herren, Sie repräsentieren die deutsche Herz-Kreislauf-Medizin. Was wollen
Sie dagegen tun?
Meinertz: Es ist richtig, dass die Mor-
talität der Herzerkrankungen sehr hoch
ist. Aber die Entwicklung ist dennoch
erfreulich: Die Herzinfarktsterblichkeit
ist in Deutschland von 2000 bis 2010 um
circa 20 Prozent gesunken. Es gibt heute
pro Jahr 35 000 weniger Herzinfarktopfer
als vor 30 Jahren.
Im ganzen Land haben wir heute für die
Versorgung von Patienten mit unklaren
Brustschmerzen spezielle Ambulanzen,
die 24 Stunden offen stehen. Diese sogenannten Chest-Pain-Units, CPUs, verfügen über alle modernen Geräte für die
Erkennung eines Herznotfalls. Dort hat
man die besten Überlebenschancen.
In manchen Regionen Deutschlands ist
der Infarkt tödlicher: In Sachsen-Anhalt
sterben doppelt so viele Menschen daran
wie in Hamburg. Woher kommen die
großen Unterschiede?
Meinertz: Es gibt immer noch deutliche
Versorgungsunterschiede im Bundesgebiet. Vor allem in einigen ostdeutschen
Landkreisen, etwa in Sachsen-Anhalt
und Brandenburg, müssen mehr CPUs
eingerichtet werden, um die Sterbeziffer
weiter zu senken.
Mohr: Die Gründe liegen zum Teil auch
in den unterschiedlichen Lebensweisen
in den Regionen. Zigarettenkonsum,
Fettleibigkeit, Bewegungsmangel und
Stress sowie eine ungünstige soziale
Situation machen das Auftreten von Infarkten wahrscheinlicher. Doch gibt es
auch in städtischen Gebieten mit geringer Arbeitslosigkeit und nahen herzmedizinischen Zentren teilweise überdurchschnittliche Sterbeziffern. Letztlich können wir über die Ursachen nur
spekulieren.
Im vergangenen Jahr haben Kardiologen
genau 881 514 Herzkathetereingriffe
vorgenommen, etwa die Hälfte davon zu rein
diagnostischem Zweck. Damit liegt Deutschland an der Weltspitze. Wird die belastende
Untersuchung zu häufig angewandt?
Fleck: Unsere Anzahl diagnostischer
Herzkatheter ist etwa vergleichbar mit
denen in den USA. Es ist aber richtig,
dass wir weniger invasive Alternativen
brauchen, wenn es darum geht, eine koronare Herzerkrankung zu beurteilen.
12
in den Kellern, weil es nach genauerer
Analyse der Ergebnisse einfach nichts
gebracht hat.
Welche Alternativen könnten das sein?
Fleck: Die bildgebenden Verfahren sind
heute auf einem Stand, den wir uns vor
zehn Jahren überhaupt nicht vorstellen konnten. Sie werden die kardiologische Diagnostik revolutionieren und
viele Herzkatheteruntersuchungen vermeiden helfen. Mit der Computertomografie lässt sich eine Durchblutungsstörung am Herzen schon gut darstellen.
Und mit der Magnetresonanztomografie ist es ohne Strahlenbelastung
sogar möglich, besonders gefährliche
atherosklerotische Plaques in der Gefäßwand zu identifizieren. Diese Methoden sind derzeit aber erst an wenigen
Zentren verfügbar.
»Wir haben die
Sterblichkeit herzkranker Kinder
in 30 Jahren um
80 Prozent gesenkt«
Felix Berger
Kinderkardiologe, Deutsches
Herzzentrum Berlin
Steht die anfangs so hoffnungsvolle Stammzelltherapie am Herzen ebenso vor dem Aus?
Fleck: Die Stammzelltherapie niederzu-
machen kommt momentan unter Kollegen gut an. Aber das ist fortschrittsfeindlich. Wir dürfen potenzielle Innovationen
nicht vorschnell als Top oder Flop bezeichnen – sonst finden sie nicht statt.
Wir wären nicht da, wo wir heute sind,
wenn wir uns nicht Dinge getraut hätten,
die auch einmal schiefgehen können.
Werden experimentelle Therapien, etwa
die OP gegen Bluthochdruck, zu schnell beim
Patienten angewandt?
Meinertz: Neue Verfahren sollten nicht
Werden Kathetertherapien Operationen am
offenen Brustkorb unnötig machen?
Cremer: Die Zahlen der offenen Bypass-
Chirugie, der klassischen Behandlung
der Herzenge vor den Katheterverfahren, sind rückläufig. Aber nach 40 Jahren Entwicklung handelt es sich dabei
um ein optimal etabliertes Verfahren
mit inzwischen sehr geringer Sterblichkeit. Sie liegt bei Patienten ohne akute
Probleme zwischen 0,5 und 1,5 Prozent.
Vergleichbar also mit anderen Opera­
tionen, die bei Älteren häufig vorgenommen werden, etwa einer Hüftoperation.
Als Zugang genügt uns oft ein kleiner
Schnitt am Brustkorb, und die Operation am schlagenden Herzen ist möglich.
Die Risiken sind so niedrig, dass es kein
Alterslimit mehr gibt. Wir bieten die
OP auch über 90-Jährigen noch an.
Herzchirurgen gemeinsam getroffen –
im Herzteam. Nur so ist Selbstbedienung durch einzelne Disziplinen zu verhindern.
cremer: Vergleichsstudien werden die
Entscheidung im Einzelfall weiter präzisieren helfen. Neue Konzepte sind auch
gemeinsame Hybrid-Operationen, wo
der Chirurg einen Teil der Durchblutungsverbesserung übernimmt und der
Kardiologe mit dem Katheter ergänzt.
Berger: Im kleinen Fach der Kinderkardiologie haben wir schon immer eng
mit Herzchirurgen und Kardiologen zusammengearbeitet. Entscheidende Neuerungen wurden so entdeckt wie die
Herz-Lungen-Maschine oder die Katheterbehandlung von verengten Herzklappen. Kooperation hat die Kinderkardiologie zu einer beispielhaften Erfolgsstory
gemacht: Wir haben die Sterblichkeit
herzkranker Kindern in den vergangenen 30 Jahren um 80 Prozent gesenkt.
Ist es ein Trend, dass immer ältere
Patienten noch operiert werden?
Mohr: Das Durchschnittsalter unserer
»Unsere Patienten
sind immer älter
und kränker. Wir
kommen in einen
Grenzbereich«
Friedrich Wilhelm Mohr
Herzchirurg,
Herzzentrum Leipzig
Patienten ist heute 72 Jahre, vor zehn
Jahren lag es noch bei 60. Vor allem bei
den Herzklappen hat sich durch die Einführung der minimalinvasiven Methoden ein enormer Wandel vollzogen.
Das hohe Alter der Patienten und ihre
häufig vorhandenen Begleiterkrankungen stellen eine enorme Herausforderung dar, sowohl für die Chirurgie
als auch für die Pflege und die Reha.
Wir kommen in einen Grenzbereich, wo
wir häufiger sagen müssen: Es bringt
nichts mehr, das Risiko ist zu groß – auch
mit den Katheterverfahren.
Herz-OP oder Katheter, Chirurg oder Kardiologe – wie entscheide ich mich als Patient?
Mohr: Die beste Entscheidung im Sinne
des Patienten wird von Kardiologen und
FOCUS-GESUNDHEIT
Spielt es eine Rolle, an welchem Krankenhaus ein Herzpatient operiert wird?
Berger: In der Kinderherzchirurgie auf
Fotos: M. Priske/FOCUS-Magazin
D e r M oto r des M enschen
alle Fälle! Wir haben derzeit 35 Herzzentren, die angeborenen Herzfehlern
gewidmet sind. Aber nur ein geringer Bruchteil dieser Zentren führt den
Hauptteil der Behandlungen durch. Angesichts der enormen Expertise, die notwendig ist, macht es keinen Sinn, im
Jahr nur ein oder zwei Herzoperationen
bei Kindern durchzuführen. Wir müssen
also dringend zentralisieren und um der
besten Behandlungsqualität willen auch
FOCUS-GESUNDHEIT
»Vorbeugung wird
Herzkrankheiten
nicht ganz verhindern. Eines Tages
werden wir alle
davon eingeholt«
Eckart Fleck
Kardiologe, Deutsches
Herzzentrum Berlin
die Zahl der Kinderherzzentren auf ein
vernünftiges Maß reduzieren.
Meinertz: Eine vernünftige Anzahl an
bestimmten Eingriffen pro Jahr muss
sein. Auch gegen die Interessen der
Krankenhausträger und Chefärzte müssen sich die Fachgesellschaften für verbindliche Mindestmengen einsetzen.
Nicht jede Neuerung hat die Herzmedizin
weitergebracht. Was waren die größten
Flops der vergangenen Jahre?
Meinertz: Rückschläge hat es reichlich
gegeben. Der größte war vielleicht der
Versuch, die Herzdurchblutung mit dem
Schießen von Löchern ins Herz per Laser
zu verbessern. Alle Zentren haben es angeboten, wer es nicht tat, galt als rückständig. Auch die Patienten, die davon in
den Medien gelesen hatten, wollten es
unbedingt. Jetzt verstauben die Geräte
gleich auf alle Patienten unkontrolliert
losgelassen werden. Man muss Geduld
haben, bis die Techniken ausreichend
in Registern untersucht sind und der
tatsächliche Nutzen bekannt ist.
Fleck: Die gute Entwicklung der HerzKreislauf-Medizin hat damit zu tun, dass
technische Entwicklungen mit Bedacht
und sinnvoll eingesetzt worden sind.
Man darf nicht alles, was möglich ist,
sofort realisieren wollen.
Was werden Sie unternehmen, um die
Herzgesundheit weiter zu verbessern?
Meinertz: Wir wollen mit der Deutschen
Herzstiftung die Prävention stärken. Denn
Aufklärung und Vorbeugung ist besser als
Behandlung. Schon im Kindes- und Jugendalter müssen Menschen lernen, sich
gesund zu verhalten. Wir wollen das Bewusstsein dafür etwa mit Schulprojekten
fördern. Dort kommt gesundes Essen
auf den Tisch, und die Kinder haben die
Möglichkeit, sich mindestens eine halbe
Stunde am Tag mit Spaß zu bewegen.
Fleck: Vorbeugung ist ein wichtiges
Thema – aber sie wird Herzkrankheiten
nicht ganz verhindern. Atherosklerose
entsteht auch altersabhängig, und wir
werden alle eines Tages davon eingeholt. Doch weil wir heute in Prävention
und Therapie schon so erfolgreich sind,
behandeln wir zunehmend über 90-Jährige, die es früher nicht gegeben hätte.
Meinertz: Wir glauben nicht, dass wir
das Leben wesentlich verlängern müssen. Aber wir glauben, dass wir die Lebenszeit, die uns gegeben ist, lebenswert
erhalten können. Das ist unser Ziel. 
Interview: Jochen Niehaus
13
Da s enge H e r z
I n fa r k t
Notfall
Herzinfarkt
Das dramatische Ereignis trifft viele Patienten unvorbereitet.
Der Kampf gegen den Herztod ist ein Wettlauf mit der Zeit
Befreiende Therapie
Auf dem Weg ins Katheterlabor ist Eile geboten,
damit das verstopfte
Herzkranzgefäß schnell
geöffnet werden kann
Erfolgreiche Rettung
Todesrate bei Herzinfarkt in Deutschland
Gestorbene pro 100 000 Einwohner
160
männlich
150
140
130
120
Foto: F. Heller/FOCUS-Magazin
110
100
90
80
weiblich
77,1
70
60,7
60
50
1980
85
90
95
2000
05
09
Quelle: Herzbericht 2010
32
FOCUS-GESUNDHEIT
33
Da s enge H e r z
I n fa r k t
I
34
Ernstfall Brustschmerz
Ein großes Team von
Rettungshelfern und Notarzt
arbeitet Hand in Hand,
damit der Patient rasch
in die Klinik kommt
Stabilisierung
Ziel der Erstversorgung
ist es, Atmung und
Kreislauf des Kranken aufrechtzuerhalten – auch
während des Transports
Fotos: F. Heller/FOCUS-Magazin
ch muss mir wohl einen Nerv eingeklemmt haben“, dachte Michael
Peplau, 42, als er beim Fußballtraining im TuS Neuenkirchen ein
Ziehen in der linken Schulter spürte.
„Als ob mir jemand eine lange Nadel
von oben in den Oberarmmuskel stechen würde“, beschreibt Peplau seine
Schmerzen. Auch seine Fingerspitzen
kribbelten. Als die Beschwerden trotz
Dehnungsübungen nicht vergingen,
setzte sich der Trainer auf die Bank.
Schon einige Stunden zuvor hatte er
sich „merkwürdig kaputt“ gefühlt. Er
rief einen Mitspieler zu sich und sagte
noch halb im Spaß: „Jetzt kriege ich
bestimmt einen Herzinfarkt.“ Niemals
hätte der kerngesunde Sportler da angenommen, dass er tatsächlich 20 Minuten später bewusstlos zusammenbrechen
würde. Ein Blutgerinnsel verstopfte seine
Herzkranzarterie und raubte dem Organ den Sauerstoff. Sein Herz flimmerte
und pumpte kein Blut mehr. Peplau
war klinisch tot. Dass er heute, drei Wochen nach dem Infarkt, wieder arbeiten
und Fußball spielen kann, hält er für sein
„ganz privates Wunder“.
800 Menschen täglich erleiden in
Deutschland einen Herzinfarkt. Selten
verläuft der Gefäßverschluss so glimpflich wie bei Michael Peplau: 30 Prozent
der Infarktopfer sterben, bevor sie die
Klinik erreichen. Zwar sinkt die Zahl der
Herzinfarkte seit 25 Jahren. Doch 2010
starben daran noch über 59 000 Menschen – die Bevölkerung einer
mittelgroßen Stadt.
„Wir können heute viel mehr
Herzinfarktopfer vor Tod oder
dauerhaften Beschwerden bewahren“, ist Uwe Kreimeier
überzeugt. Schließlich, so der
Ärztliche Leiter des Rettungsdienstes in München, habe
sich die Akutversorgung nach
Gefäßverschlüssen am Herzen
enorm verbessert. Ärzte können
in immer mehr Herznotfall-Ambulanzen rund um die Uhr verengte Gefäße sofort wieder öffnen, sagt Anästhesist Kreimeier.
Doch dann formuliert er das
größte Problem beim Herzinfarkt: „Noch immer rufen die
meisten Patienten den Notarzt
viel zu spät – und verlieren das
Rennen gegen die Zeit.“ Wer da-
FOCUS-GESUNDHEIT
gegen schon bei den ersten Symptomen
112 wählt, hat die besten Aussichten,
ohne bleibende Schäden am Herzen zu
überleben, sagt Kreimeier. „Das kann
aber nur, wer die Zeichen eines Infarkts
kennt und ernst nimmt“ (s. S. 38).
Michael Peplau verdankt sein Leben
womöglich einem Erste-Hilfe-Kurs, den
er vor einigen Wochen im Betrieb absolvierte. „Da habe ich gelernt, dass
Schulterschmerzen ein Alarmzeichen
für Herzinfarkt sein können“, so der
Karosseriebauer. Deshalb war er einverstanden, dass sein Freund sofort den
Notarzt rief. „Wer weiß, was sonst aus
mir geworden wäre?“
60 Prozent der wertvollen Zeit bis zur
Eröffnung der verstopften Arterie gehen verloren, weil Patienten zu spät den
Rettungsdienst alarmieren. Die Gründe
dafür kennt der Anästhesist Stephan
Prückner. „Einige Patienten verharmlosen die Beschwerden oder warten,
bis sie unerträglich werden“, bedauert der leitende Notfallmediziner am
Uniklinikum Großhadern in München.
Andere Infarktopfer wollen niemanden belästigen. „Bei Herzschmerzen in
der Nacht warten manche lieber einige
Stunden, bis am Morgen die Praxis ihres
Hausarztes öffnet“, sagt Prückner. Zudem seien Infarkte nicht immer mit starken Schmerzen verbunden, etwa dann,
wenn durch Diabetes feinste Schmerzrezeptoren in den Geweben um das Herz
abgestorben seien. Untypische Symptome würden oft auch als Magenbrennen oder Halsweh verkannt.
Durchschnittlich später als andere rufen jene Patienten den Notarzt, die weniger gebildet oder älter sind oder allein leben. Frauen sorgen zwar häufig
dafür, dass ihr Ehemann bei Herzinfarkt
rechtzeitig vom Notarzt behandelt wird.
Sie selbst neigen indes dazu, eigene
Symptome zu ignorieren. Studien belegen, dass viele Frauen den Herzinfarkt
ganz anders als männliche Patienten
erleben: Typische Brustschmerzen fehlen oft. Dafür spüren sie viel häufiger
Schmerzen in Rücken oder Bauch, Herzklopfen oder Übelkeit.
Probleme sehen Notfallmediziner aber
auch beim Rettungsdienst. „Bei Verdacht
auf Herzinfarkt ist es ganz wichtig, dass
nicht das nächste gute Krankenhaus angefahren wird“, mahnt Prückner, „sondern das nächste, in dem sofort eine
FOCUS-GESUNDHEIT
Herzkatheter-Therapie erfolgen kann.“
In Kliniken ohne spezielle HerznotfallAmbulanz verstreichen womöglich viele
lebenswichtige Minuten ungenutzt.
Knapp die Hälfte aller Herzinfarktopfer trifft das lebensbedrohliche Ereignis
völlig unvorbereitet. Einige hielten sich
zuvor gar für kerngesund oder schenkten Risikofaktoren für Herzinfarkt keine
Aufmerksamkeit. Wie Michael Peplau:
Sein Vater hatte mit Mitte 50 eine Verengung seiner Herzkranzgefäße. Zudem rauchte Peplau bis vor Kurzem zwei
Päckchen Zigaretten am Tag.
„Gelegentlich ist der Infarkt das erste
spürbare Zeichen einer chronisch-entzündlichen Gefäßerkrankung“, erläutert Christian Kupatt, Kardiologe am
Klinikum Großhadern. Zum akuten Verschluss einer Herzkranzarterie käme
Herztod ist im Osten häufiger
Regionale Unterschiede im Lebenswandel und bei der Verteilung von
Herznotfall-Ambulanzen beeinflussen das Risiko, am Herzinfarkt zu sterben.
Tod durch Infarkt
relatives Risiko, an einem
Herzinfarkt zu sterben (2009)
–52 %
–20 %
0%
+20 %
bis –20 %
bis
0%
bis +20 %
bis +126 %
Kiel
Rostock
Schleswig-Holstein
Mecklenburg-Vorpommern
Hamburg
Bremen
BERLIN
Niedersachsen
Hannover
Magdeburg
Münster
Frankfurt
(Oder)
Sachsen-Anhalt
Brandenburg
Dortmund
Essen
Leipzig
Nordrhein-Westfalen
Köln
Hessen
Koblenz
Erfurt
Dresden
Sachsen
Thüringen
Frankfurt/
Main
RheinlandPfalz
Nürnberg
Saarland
Stuttgart
Bayern
Baden-Württemberg
München
Freiburg
Quelle: Herzbericht
2010
35
Da s enge H e r z
I n fa r k t
es, wenn deren Wandauskleidung sekundenschnell wie eine Tapete einreiße,
so Kupatt. Wie an eine Wunde lagern
sich an den Riss Blutplättchen an. So
entsteht ein Thrombus, der die Arterie
verstopft. Muskelgewebe hinter der
Engstelle bekommt weder Sauerstoff
noch Nährstoffe. Der Stoffwechsel der
Zelle kommt zum Erliegen, und die Zelle
droht abzusterben. „Eine Rückkehr zur
früheren Pumpfunktion ist nur möglich“,
so Kupatt, „wenn das verstopfte Gefäß
innerhalb der ersten Stunde nach einem
Infarkt wieder durchlässig ist und der
Muskel erneut durchblutet wird.“
Als das Rettungsteam bei Michael
Peplau ankam, saß er in der Umkleidekabine und zwinkerte seiner herbeigeeilten Frau noch aufmunternd zu. Doch
als der Notarzt ihn gerade untersuchte,
wurde Peplau schwindlig. Er sackte zusammen und verlor das Bewusstsein.
Seine Atmung stoppte, sein Herz stand
still. „Hätte mir da niemand geholfen,
wäre ich sicher gestorben“, sagt Peplau.
Sofort begannen die Retter mit der Herzdruckmassage. Doch erst der Defibrillator schaffte es, Peplaus flimmerndes
Herz neu zu starten. Beim zweiten Elektroschock kam er wieder zu sich.
Herzinfarkte sind die häufigste Ursache
von plötzlichem Herztod. Dazu kommt
es, wenn Sauerstoffnot jene Stellen am
Risiko-Kombination
Vervielfachung der Infarktgefahr
Quotenverhältnis
alle
Risikofaktoren
zusammen
334
Rauchen,
Diabetes, Bluthochdruck, hohes
Cholesterin u. Stress
183
Rauchen,
Diabetes,
Bluthochdruck
und hohes
Cholesterin
Rauchen,
Diabetes und
Bluthochdruck
69
42
Rauchen,
Diabetes,
Bluthochdruck,
hohes
Cholesterin
und dicker
Bauch
Quelle:
Interhear t-Studie
13
hohes Cholesterin 3,5
Rauchen 3,0
Diabetes 2,5
Bluthochdruck 2,0
Explosive Mischung In der Kombination
steigern Risikofaktoren die Gefahr für
Herzinfarkt auf das bis zu 334-Fache
Herzen schädigt, wo die elektrischen Impulse des Herzschlags entstehen. Fallen
sie aus, flimmert das Herz, schlägt unkoordiniert und befördert kaum noch Blut.
Wenn es gelingt, die Herzelektrik
mit Elektroschocks wieder in Takt zu
bringen, stehen die Chancen auf Überleben gut. Auch Laien können mit automatisierten externen Defibrillatoren
(AED) auf Anhieb Sterbende retten. Allerdings sollte die Therapie unbedingt
innerhalb von fünf Minuten einsetzen. In den USA bewähren sich AEDs
seit Langem: Am Flughafen von Chicago
retteten die Geräte laut einer Studie
drei von vier damit Behandelten das
Leben. Im Münchner U-Bahn-Netz, wo
derzeit 50 Defibrillatoren hängen, beträgt die Überlebensrate 58 Prozent.
Zehn Menschen wurden damit bereits
erfolgreich ins Leben zurückgeholt.
Perfektes Timing: 45 Minuten nach
dem Infarkt kam der Rettungswagen mit
Peplau in der Klinik an – nach einer
Fahrstrecke von immerhin 50 Kilometern. Ohne weitere Verzögerung wurde
er auf den Behandlungstisch des Katheterlabors gelegt und steril abgedeckt.
Zwei Röntgenröhren waren auf seine
Brust gerichtet. Sie lieferten Aufnahmen
der Herzkranzgefäße aus verschiedenen
Perspektiven. Peplau war wach, beo­
bachtete sein Herz auf den drei Monito-
36
Sonde ins Herz
Über einen Zugang in der Leiste
schieben Ärzte unter Röntgenkontrolle einen dünnen Draht
(Katheter) bis an die verschlossene Stelle im Kranzgefäß vor.
Der Patient ist dabei wach.
Ballon-Dilatation
An der Spitze des Herzkatheters
spannt ein Ballon ein dünnes
Metallgitter (Stent) im Gefäß auf.
Das weiche Blutgerinnsel des
Infarkts und die Wandplaque
werden dabei zur Seite gedrängt.
Freie Bahn
Das Metallgitter hält das Kranzgefäß nun offen, der Blutfluss
ist wiederhergestellt. Wenn der
Eingriff in der ersten Stunde
nach dem Verschluss gelingt,
erholt sich der Herzmuskel.
FOCUS-GESUNDHEIT
Fotos: F. Heller/FOCUS-Magazin
Die große Chance der ersten Stunden: Koronar-Stent
Ernstfall Arterienverschluss
Über Jahre hat sich durch
Einfluss der Risikofaktoren in
der Gefäßwand Plaque-Material
gesammelt. Reißt die dünne
Schicht darüber ein, gerinnt
das Blut. Das Gefäß verstopft.
hemmer auf dem Metallgitter verhindern ein rasches
Zuwuchern mit Bindegewebszellen.
Nach einer Katheter-Prozedur verbringen die Patienten einige Stunden auf
der Wachstation. Bereits
vier Tage nach seinem Infarkt und Herzstillstand
durfte Michael Peplau die
Klinik verlassen, um seine
Mannschaft zu besuchen.
„Nur die Rippen taten mir
in Folge der Herzdruckmassage noch einige Tage
furchtbar weh“, so Peplau.
Nun folgen drei Wochen zur
intensivierten Nachsorge in
einer Reha-Einrichtung. Er
hat sich für eine ambulante
Therapie entschieden, „in
der ich viel Sport machen
will“. Peplau beabsichtigt
auch, seinen Körper besser
kennen zu lernen und ein
Nichtrauchertraining zu absolvieren.
„Wer einmal einen Infarkt
hatte, bleibt lebenslang
anfällig für einen weiteren“, warnt Herzspezialist
Christian Kupatt. Daher ist
die Vorbeugung vor erneuten Verschlüssen lebensnotBereitschaft Notarzt und der Sanitäter, der das Einsatzwendig. Nur der richtige
Lebenswandel, gesunde
fahrzeug lenkt, entspannen sich im Dienstzimmer,
bis die Leitstelle sie zum nächsten Notfall schickt
Ernährung, moderne Medikamente und regelmäßige
Kontrolluntersuchungen
können die Gefahr für weitere Infarkte
minimieren. „Wenn das richtige Verhalten zwei, drei Wochen lang eingeübt
und immer wieder erklärt wird, so ist die
Chance hoch, dass die Patienten dies in
ihren Alltag übernehmen“, unterstreicht
Menschen täglich
Kupatt seine Forderung nach intensiviererleiden in Deutschland
ter Nachsorge.
einen Herzinfarkt.
Im Verein TuS Neuenkirchen sind alle
glücklich, dass es ihrem Freund wieder
Über Leben und
gutgeht. Herzinfarkt kann jeden treffen
Tod entscheidet die
– aus heiterem Himmel und in jungen
Jahren. Diese Lektion haben jetzt alle
rechtzeitige Therapie
Spieler kapiert. Der Vorstand hat sich
entschieden, demnächst einen Defibrillator für das Vereinsheim zu kaufen. 
Verdacht auf Infarkt
Bei Herzschmerzen werden
meist Kliniken mit
Katheterlabors angesteuert
ren, ließ sich die Engstelle in seiner Arterie zeigen. „Ich war aufgeregt und redete
den Ärzten ein wenig zu viel“, erinnert
er sich. „Immerhin erfuhr ich, dass das
implantierte Metallröhrchen drei Millimeter dick und einen Zentimeter lang
war.“ In dem Moment, in dem sich die
Gefäßstütze im verstopften Gefäß entfaltete und das Blut wieder floss, ließ der
Schmerz in seiner Brust nach. „Ich war
total erleichtert“, sagt der 42-Jährige.
„Verschlossene Gefäße können wir
in mehr als 95 Prozent aller Behandelten wieder öffnen“, sagt Kardiologe
Kupatt. Fast immer bekommt der Patient dann eine Metallstütze eingesetzt,
um das Gefäß dauerhaft frei zu halten.
„Mit diesen Stents erreichen wir eine
Verbesserung der Pumpfunktion und
eine Verringerung der Sterblichkeit
nach Herzinfarkt“, so der Experte. Erfahrungen hätten gezeigt, dass die früher
übliche Auflösung des Blutgerinnsels
mit Medikamenten oder die alleinige
Aufdehnung mit dem Ballon den erneuten Verschluss nicht ebenso effektiv verhindern konnte wie Stents.
Meistens entscheiden sich Ärzte
heute für Stents, deren Maschenwerk
mit Medikamenten beschichtet ist. Damit behandelte Patienten müssen zwar
deutlich länger Tabletten zur Blutverdünnung schlucken. Dafür stehen ihre
Aussichten besser, dass das Gefäß für
immer offen bleibt, denn die WachstumsFOCUS-GESUNDHEIT
800
Regina Albers / Jochen Niehaus
37
da s S c h wac h e H e r z
I n t e rv i e w: O r g a n s p e n d e
»Wir brauchen
1000 Herzen«
»Patienten
über 70 Jahre
bekommen
bislang kein
Spenderherz,
das ist ein ungeschriebenes
Gesetz«
Der Chirurg Roland Hetzer erzählt über die Fortschritte seiner Zunft,
warum Lebenretten heute einfacher ist, aber der Tod auch für ihn ein Rätsel bleibt
Wagen Sie einen Blick in die Zukunft:
Wird man für unsere überalternde
Gesellschaft künftig noch mehr Spenderorgane brauchen?
Ich habe mal einen Berliner Dirigenten
an der Aorta operiert. Dafür musste ich
seinen Körper auf 16 Grad herunter­
kühlen und den Blutfluss lahmlegen. Der
Mann hatte 50 Minuten keine Hirn­
durchblutung mehr, war also klinisch tot.
Drei Monate später erlebte ich ihn bei
einem Konzert in der Philharmonie. Wie
er da die Neunte von Beethoven diri­
gierte, das hat mich echt gerührt. Es hat
mir gezeigt, was heute alles möglich ist.
Patienten über 70 Jahre bekommen bis­
lang kein Spenderherz. Das ist ein un­
geschriebenes Gesetz unter uns Trans­
plantationsmedizinern . . .
Was war für Sie der größte Fortschritt
während Ihrer Karriere?
Die Antwort ist einfach: Es überleben sehr
viel mehr Menschen eine Herzoperation.
Als ich in den 70er-Jahren anfing, war sie
sehr riskant. Fast jeder Fünfte starb bei
oder nach der OP. Heute sind es höchs­
tens ein bis fünf Prozent, je nach Schwere
der Erkrankung. Aus dem kleinen experi­
mentellen Fachgebiet ist eine große Ver­
sorgungsdisziplin geworden – auch mit
Hilfe vieler technischer Entwicklungen.
Vor einem Vierteljahrhundert verwendeten
Sie erstmals Pumpen, die ein schwaches
Herz unterstützen. Wie lange können einen
die kleinen Maschinen am Leben halten?
Ich betreue noch Patienten, denen ich vor
acht Jahren eine Unterstützungspumpe
eingesetzt habe. Einige leben damit als
Dauerlösung, weil sie gut damit klarkom­
men. Aber langfristig ist ein Spenderherz
die bessere Wahl. Es bietet mehr Lebens­
qualität. Kürzlich kam ein Patient wieder,
den ich bereits vor 26 Jahren ein Herz
transplantiert habe. Jetzt musste ich eine
Klappe am Ersatzorgan reparieren.
56
. . . das ist hart . . .
. . . ja, aber zwingend, wegen der ge­
ringen Zahl der Spender. Die Überle­
benschance in dieser Altersgruppe ist
deutlich schlechter, und es gibt zu viele
junge Patienten mit Herzversagen, die
ein Organ dringend brauchen. Ältere
Patienten versorgen wir mit einem
der zahlreichen Unterstützungssysteme.
Damit überleben auch rund die Hälfte
die ersten fünf Jahre. Das zeigen unsere
Der Retter
der Herzen
Roland Hetzer
Vor 25 Jahren übernahm
der Herzchirurg das damals
neue Deutsche Herzzentrum
in Berlin. Bis heute ist er sein
Direktor. Mit seinem Team
hat er in seiner Karriere über
2000 Herzen transplantiert
und 1800 Unterstützungssysteme eingepflanzt. Eine erfolgreiche Hilfspumpe, das Berlin
Heart, hat er mit entwickelt.
neuen Daten. Unser ältester Patient mit
so einer Herzpumpe ist jetzt 82 Jahre
alt. Ein 90-Jähriger in San Diego spielt
mit einer Hilfspumpe seit Jahren begeis­
tert Golf.
Glauben Sie, dass in naher Zukunft
Schweineherzen die fehlenden Organe
ersetzen können?
Die Xenotransplantation ist meiner Mei­
nung nach noch in weiter Ferne.
Roland Hetzer, 67
Direktor des Deutschen
Herzzentrums in Berlin
Haben Sie eine Idee, wie sich
Deutsche zu mehr
Organspenden überreden lassen?
Gesunde Herzen von Hirntoten werden
immer nur sehr begrenzt verfügbar sein.
Im Moment können wir hierzulande 350
Herzen pro Jahr transplantieren. 1000
bräuchten wir, um viele unglückliche
Schicksale zu retten. Der aktuelle Vor­
schlag von Gesundheitsminister Daniel
Bahr ist ein Schritt in eine gute Rich­
tung. Jeder Kassenpatient soll künftig
auf seiner elektronischen Gesundheits­
karte freiwillig angeben, ob er Organe
spenden will oder nicht.
Verstehen Sie das Zögern der Menschen,
Organspender zu werden?
Im Grunde schon. Viele Angehörige fra­
gen sich: „Ist dieser Mensch wirklich
tot?“ – obwohl der Hirntod mit großer
Akribie festgestellt wird. Aber eigentlich
verstehen wir alle auf dieser Erde den
Tod nicht. Er ist ein dunkles Kapitel, das
immer Anlass für Zweifel und Ängste
geben wird.
Selbst für Sie, der den Tod in der täglichen
Arbeit immer wieder hautnah erlebt?
Ich habe auch keine Antwort auf die
große Frage, was danach kommt.

Interview: Claudia Gottschling
FOCUS-GESUNDHEIT
Foto: B. Kraehahn/FOCUS-Magazin
Seit 41 Jahren operieren Sie kranke Herzen,
um Menschen das Leben zu retten.
Welche Geschichte hat Sie besonders
beeindruckt?
57
Da s S c h wac h e H e r z
»Nun kann ich
endlich wieder
mit meinem
Sohn im Garten
spielen«
Neustart mit
Ersatzmotor
Matthew Green, 40
Der Patient lebt in Großbritannien mit einem kompletten
Kunstherzen. Den sechs Kilogramm schweren Antriebsmotor
außerhalb des Körpers trägt
seine Frau in einer Tasche
Der Austausch des menschlichen Herzens ist ein großer Traum von Ärzten.
Im Team mit Ingenieuren und Tierärzten schicken sie nun neue Modelle in die Testphase
Fotos: action press, ALLARD/REA/laif
M
58
Kunstherz
an will es unwillkürlich
anfassen und streicheln.
Das erste intelligente Herz.
Hunderttausenden soll es
das Leben retten. Wenn alles gutgeht.
Warm und hart fühlt es sich an. Unter der
gummiartigen Haut spürt man die Kraft,
den Puls. 60-mal in der Minute zuckt
der künstliche Muskel auf der Testvorrichtung im Labor. Nur das metallische
Surren bei jedem Schlag irritiert und erinnert an einen Spielzeugroboter. „Im
Körper wird man das Geräusch später
nicht hören“, versichert Patrick Coulombier, Geschäftsführer der französischen
Start-up-Firma Carmat.
Die Zeit des Tüftelns ist passé. Der
Countdown für den Start einer neuen
Ära der Herztherapie hat begonnen.
Noch vor Ende des Jahres wollen französische Ärzte ihre revolutionäre Maschine
aus Plastik, Metall und Rinderzellen zum
ersten Mal in einen Menschen transplantieren. Schon jetzt rufen jeden Tag
verzweifelte Herzkranke im Sekretariat
der Firma im Pariser Vorort Vélizy an und
wollen sich für die ersten Tests bewerben. Sie sind todkrank, haben nur noch
eine Hoffnung: ein neues Herz.
Doch menschliche Ersatzorgane sind
weltweit Mangelware. In Deutschland
ist der Bedarf an Spenderherzen mehr
als doppelt so hoch wie das Angebot.
Das Missverhältnis schafft Pionieren
wie Coulombier eine riesige Marktlücke
für ihr 160 000 Euro teures High-TechProdukt. Andere Forscher stellen eine
biotechnologische Lösung des Problems
in Aussicht: die Herzen von mehrfach
transgenen Schweinen.
FOCUS-GESUNDHEIT
Mechanische Schöpfung
Patrick Coulombier ist
Geschäftsführer der französischen Start-up-Firma Carmat.
In seinen Händen hält er
einen Prototypen des Kunstherzens, das diesen Herbst
zum ersten Mal einem Patienten
eingesetzt werden soll
Ein komplettes Kunstherz ziehen Ärzte
erst in Betracht, wenn das Herz so stark
geschädigt ist, dass beide Herzkammern ihren Dienst versagen. Dann können auch Unterstützungspumpen meist
nicht mehr helfen. „Unser Ziel ist, dass
künftig Ärzte einfach ein vorgefertigtes
Herz aus dem Regal nehmen können,
um Menschen damit das Leben zu retten“, sagt Ingenieur Coulombier. Das
750 Gramm schwere Carmat-Kunstherz
soll eine langfristige Alternative bieten
zum Spenderherzen eines Toten.
Ärzte arbeiten schon lange am Traum
des Austauschmotors. In den 60erJahren des vergangenen Jahrhunderts
wurde der erste – erfolglose – Versuch
unternommen, die köpereigene Pumpe
durch eine Maschine zu ersetzen. Überlebt hat bis heute nur ein System aus den
USA namens Syncardia. Es ist eine Weiterentwicklung des legendären JarvikHerzens der 80er-Jahre und kommt als
Notlösung zum Einsatz – bis ein Spenderherz zur Verfügung steht.
Denn im Unterschied zum französischen Modell ist bei dem amerikanischen System der Motor nicht integriert.
Ein pneumatisches Antriebssystem außerhalb des Körpers steuert den Blutfluss. Patienten konnten mit diesem
Kunstherz-Klassiker bisher kaum das
Krankenhaus verlassen, weil ein kleiner
Rollschrank mit der Technik ihr ständiger Begleiter war. Das ändert sich nun.
Eine modernisierte Variante des Syncardia-Herzens hat im Juni der 40-jährige
Brite Matthew Green im Papworth Hospital in Cambridgeshire implantiert bekommen. Beide Herzkammern des
59
Da s s c h wac h e H e r z
Kunstherz
Das intelligente
Kunstherz
60
derungen haben wir schon eingeführt, um
die Abstoßungsreaktion zu unterbinden“,
sagt Wolf. Noch ein oder zwei weitere sind
geplant, bis Schweineherzen vom Körper
des Patienten toleriert werden. „Im Moment ist die Xenotransplantation noch zu
unsicher“, räumt Reichart ein.
Auch Kunstherzexperte Körfer ist vorsichtig, warnt vor übereilten Versuchen
am Menschen: „Ich freue mich über Fortschritte, aber nicht um jeden Preis.“ Die
Rechnung würden Patienten mit dem Leben bezahlen. Ein Risiko bei Kunstherzen seien Thrombosen, die entstehen,
wenn Blut mit mechanischen Bauteilen
in Kontakt gerät. Dieses Problem wollten
die französischen Kunstherz-Pioniere geschickt umgehen: Vor 18 Jahren tat sich
einer der Erfinder von biologischen Herzklappen, Alain Carpentier, mit Ingenieuren der Firma Matra, heute eine Tochter
Claudia Gottschling
FOCUS-GESUNDHEIT
Pulmonalklappe
Trikuspidalklappe
Herzkammern
Mitralklappe
Kunststoffgehäuse
biologische
Membran
Materialmix
elektronische Steuerung
mit Sensoren
Ein Blick ins Innere zeigt die
verschiedenen Kompartimente:
Das Blut fließt nur durch die
zellbeschichteten Membranen
der Herzkammern. Außerhalb
des Kunststoffgehäuses liegen
zwei elektrohydraulische
Pumpen. Sie bewegen indirekt,
über ein Silikonöl, die Memb­ranen. Sensoren regulieren
das System. Schließlich
umhüllt die ganze Technik
eine gummiartige Haut.
Motoren
Kabeleingang
Herzkammern, mit
Rinderzellen beschichtet
Blut
Stromkabel
unter der Haut
In Aktion
Je nach körperlicher Anstren­
gung pumpen die Motoren vier
bis neun Liter pro Minute durch
das Herz. Das Blut kommt nicht
mit den Motoren in Kontakt.
Diese neue Konstruktionsweise
soll Schwerkräfte und damit
ein Verklumpen verhindern.
Strömungsexperten aus dem
Flugzeugbau haben die wellenförmigen Bewegungen der
beiden Herzkammern optimiert.
Motoren
Kunstherz
Akku 1
INF OGR AF IK
Herzen vom Bauernhof
Transplantationschirurg Bruno
Reichart (l.) und der Veterinärmediziner Eckhard Wolf erforschen
die Xenotransplantation. Ihre Vision:
Ein Schweineherz unterstützt
das kranke Organ des Menschen
des Luft- und Raumfahrtkonzerns EADS, zusammen. Der renommierte Pariser Herzchirurg hatte die
Idee, alle Kunststoffteile,
die mit Blut in Kontakt
kommen, mit Rinderzellen
auszukleiden. Eine Technik, die sich bei künstlichen
Herzklappen bewährt hat,
weil das Blut so weniger
leicht verklumpt.
Heute produziert die „Fab­
rik der Herzen“ unter dem
Namen Carmat in einem
Gewerbegebiet, nicht weit
von Versailles. Der sterile
Reinraum ist ein umgebautes Büro und nicht größer als ein Klassenzimmer.
Carmat zählt nur 35 Mitarbeiter. Doch rund 25 weitere Firmen liefern Bauteile
zu. Aus der Flugzeugtechnik stammen die Bewegungs- und Drucksensoren
im Kunstherzen. Mit deren
Daten passt es die Leistung
an die Bedürfnisse seines Besitzers automatisch an. Beim Schlafen pumpt es langsamer, beim Treppensteigen schneller.
Erstmals sei somit ein Herz entwickelt, das
„mitfühlt“ und erkennt, wie heftig es
schlagen muss, erklärt Coulombier.
Aber auch mit diesem Kunstherzen
werden die ersten Testpatienten sechs
Kilo schwere Akkus herumtragen, die
sie alle fünf Stunden austauschen müssen. Bis es auf den Markt kommt – wenn
alles klappt im Jahr 2013 – soll sich das
Gewicht auf 1,5 Kilo reduzieren.
Ob die Pariser Kunstpumpe im Körper
ebenso gut schlägt wie bei den unzähligen Belastungstests im Labor, ist offen.
In Tierversuchen wurde das nur für Menschen konzipierte Herz nicht getestet.
Die ersten sechs Patienten sollen in französischen Hospitälern operiert werden.
Dann folgen weitere 16 Kandidaten, unter anderem auch in Deutschland.
Der 78-jährige Alain Carpentier wird
mit am OP-Tisch stehen, wenn sein Lebenswerk die Bewährungsprobe erfährt.
„Das ist, wie wenn ein neues Flugzeug
zum ersten Mal abhebt – es muss einfach
sofort optimal funktionieren“, sagt er. 
Foto: W. Heider-Sawall/FOCUS-Magazin
Familienvaters hatten versagt. Monatelang lag er im Krankenhaus. Herzchirurgen entfernten sein erschlafftes Organ
und setzten ihm die Doppelkammer aus
Kunststoff ein. Ein dicker Plastikschlauch
führt durch die Bauchdecke zu dem verkleinerten Antriebssystem. Er kann es in
einer Tasche umhertragen. So darf er die
Klinik verlassen und zu Hause im Kreis
seiner Familie auf ein Spenderherz warten. „Zuvor konnte ich kaum noch laufen“, erzählte Green der BBC, „jetzt gehe
ich wieder unter Leute und war sogar
schon im Pub.“ Das Ersatzteil habe sein
„Leben revolutioniert“. Am Deutschen
Herzzentrum in Berlin wartet ebenfalls
ein Patient mit einem solchen Trage­
taschenherz auf einen Spender.
An einem neuen, voll implantierbaren
Kunstherzen made in Germany arbeitet
der Transplantationschirurg Reiner Körfer
vom Klinikum Niederrhein in Duisburg
zusammen mit Technikern der RWTH Aachen. „Den Prototyp namens ReinHeart
haben wir bereits in Kälbern und Schweinen erfolgreich getestet“, sagt Körfer.
Schweine könnten künftig auch direkt als
Lebensretter dienen. Für Bruno Reichart
ist die Xenotransplantation eine attraktive
Alternative zum Kunstherzen. Der vor Kurzem emeritierte Chef der Herzchirurgie
am Uniklinikum München Großhadern
hat die Vision, dass Schwerkanke ein Herz
vom Schwein transplantiert bekommen –
zur Unterstützung des geschwächten eigenen Muskels. „Huckepack“ nennt er
das anspruchsvolle Operationsverfahren.
So wird der kranken Pumpe Arbeit abgenommen, bis ein Spenderorgan eintrifft.
Lange Jahre waren die Studien an Pavianen entmutigend: Nach spätestens
drei Wochen hatte ihr Immunsystem das
Schweineherz abgestoßen. Doch nun ist
Reichart optimistisch: „Uns ist zum ersten
Mal gelungen, die Abstoßungsreaktion in
Schach zu halten.“ Ein Tier hätte deutlich länger mit dem Fremdorgan überlebt,
so Reichart. Ein Erfolg, der mit Hilfe der
Gentechnologie gelang.
Auf einem unscheinbaren alten Bauernhof im Norden von München perfektioniert Reicharts Mitstreiter, der Veterinärmediziner und Klonexperte Eckhard Wolf
von der LMU München, die Organspender. Er verändert das Erbgut von Schwäbisch-Hällischen Landschweinen auf eine
Weise, die das Immunsystem des Menschen austrickst. „Drei genetische Verän-
Ein Team aus Raumfahrtingenieuren,
Ärzten und Medizintechnikern hat
ein Kunstherz entwickelt, das der
Anatomie der natürlichen Pumpe
sehr ähnlich ist. Ende des Jahres be­
kommen es die ersten Patienten in
Frankreich transplantiert. Es ersetzt
ihr krankes Herz und soll eine lang­
fristige Alternative zu einem Spen­
derherzen bieten. Eine Besonderheit
ist die intelligente Steuerung der
Pumpen mit Hilfe von Sensoren. Sie
messen die Bewegungen (Treppen­
steigen) oder die Position (Schlafen)
des Trägers und passen den Blut­
druck an. Um das Thromboserisiko
zu senken, wurden die Herzkammern
mit Zellen aus dem Herzbeutel von
Rindern ausgekleidet, inspiriert
durch die Erfolge mit biologischen
Herzklappen.
Aortenklappe
Kontrollgerät
Akku 2
Mensch mit Maschine
Die Herzmotoren verbrauchen viel Strom. Diesen liefern
zwei ca. 1,5 Kilogramm schwere Akkus, die der Patient
unterm Arm trägt. Das Verbindungskabel führt nicht
wie üblich am Bauch in den Körper, sondern durch
den Schädelknochen hinterm Ohr. Das verringert die
Infektionsgefahr. Mit dem Kontrollgerät kann der Patient
telemedizinisch überwacht werden.
Da s s c h wac h e H e r z
Herzklappen
Die Ventil-
Tüftler
Innovationen bei dem Ersatz von Herzklappen ermöglichen
es heute Chirurgen, auch älteren Patienten zu helfen.
Nun warten die Experten auf Langzeitergebnisse
W
»Vermehrt
reparieren
wir heute
beschädigte
Herzklappen,
statt neue
einzusetzen«
64
Fotos: S. Doering/FOCUS-Magazin
Klaus Matschke, Direktor
der Herzchirurgie an der
Universitätsklinik Dresden,
erholt sich von den Anstrengungen einer Operation.
Der Kardiologe setzt verstärkt
auf sanfte Methoden,
um kranke Herzen zu heilen
FOCUS-GESUNDHEIT
FOCUS-GESUNDHEIT
enn Benny Levenson sein
Stethoskop auf die Brust
legt, hört er nicht nur ein
Pochen, sondern ein ganzes Konzert. Jeden Tag lauscht der Berliner Herzspezialist Dutzenden Kompositionen seiner Patienten. Ein kräftiger
Basston entsteht, wenn der Hohlmuskel
sich beim Schlag verengt und das Blut
gegen die geschlossenen Herzklappen
prallt. Heller, lauter dann der zweite
Herzton, bei dem das Blut nach dem
Schluss der Aortenklappe in den Gefäßen schwingt.
„Jede Herzerkrankung hat ihren eigenen Sound“, erklärt Levenson, Vorstandsmitglied des Berufsverbands der
niedergelassenen Kardiologen. Geschädigte Herzklappen stören den Rhythmus. „Wenn Kalk etwa die Mitralklappe
verengt, gibt sie beim Öffnen einen leisen Klick von sich. Dann folgt meist das
typische tieffrequente Rumpeln bei der
Passage des Blutes an der Engstelle.“
Erkrankungen der vier Herzklappen erkennt der Arzt mit seinem Stethoskop
bereits am Geräusch.
Die Arbeit des Herzens steigt enorm,
wenn es das Blut durch klemmende Ventile pressen muss. Schließen die Klappen
nicht mehr richtig, läuft der Körpersaft
sinnlos hin und her. „Anfangs kann der
Muskel die erhöhte Druck- und Volumenbelastung noch ausgleichen“, weiß
Levenson. „Aber früher oder später entwickelt sich doch eine Herzschwäche.“
Die Durchblutung von Körperkreislauf und Lungen sinkt ab. Patienten mit
schweren Klappendefekten fühlen sich
krank, sie sind müde und schwach. Hilfe
bietet nur die Reparatur oder der Ersatz
der schadhaften Ventile bei einer Operation. Fast jeder fünfte der jährlich wegen eines schwachen Herzens stationär
behandelten Patienten leidet an defekten Klappen.
Für sie gibt es Hoffnung. Denn neue
operative Verfahren haben die Herzklappenchirurgie verbessert. Von den
Innovationen profitieren vor allem ältere
Patienten, welche die Chirurgen vorher
nur sehr schwer therapieren konnten.
Seit dem Jahr 2000 sind die Behandelten
im Durchschnitt zehn Jahre älter. Dies
ließ auch die Zahl der Eingriffe steigen –
2010 um knapp sieben Prozent gegenüber dem Vorjahr. „Aber die Erfolge
sind geblieben, trotz der kränkeren
und älteren Patienten“, freut sich Friedrich Mohr, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie (DGTHG). Angesichts der
Bevölkerungsentwicklung erwartet der
Leipziger Klinikdirektor, dass der Trend
die kommenden Jahre anhält.
Eine der Entwicklungen betrifft die
Operation des „Einlassventils“ im Herzen zwischen linkem Vorhof und linker
Herzkammer, der Mitralklappe. Hier
hat sich die chirurgische Wiederherstellung des defekten Gewebes etab­
liert. Laut einer Studie der DGTHG
(Leistungsstatistik 2010) liegt der Anteil von Herzklappenpatienten, bei denen eine defekte Mitralklappe noch
repariert werden kann, bei 64 Prozent.
Die anderen Betroffenen bekommen
eine neue, künstliche Herzklappe.
65
Da s Ta k t lose H e r z
rhythmusstörungen
»Schluss mit dem
Flimmern«
Vorhof-Narben
Lars Eckardt
Kommt das Herz regelmäßig aus dem Tritt,
drohen Leistungsabfall und sogar Schlaganfall oder
plötzlicher Herztod. Ärzte können mit Medikamenten
und neuartigen Kathetereingriffen helfen
70
FOCUS-GESUNDHEIT
Foto: M. Thelen/FOCUS-Magazin
An der Uniklinik Münster
führt der Mediziner Eingriffe
mit dem Katheter durch.
Dabei orientierte er sich an
dem 3-D-Bild des linken
Vorhofs. Die weißen Punkte
markieren die Stellen, an
denen er mit Strom Narben
gesetzt hat. Diese schotten
die Lungenvenen elektrisch
ab, da von ihnen oft Flimmerattacken ausgehen.
71
da s Ta k t lose H e r z
rhythmusstörungen
D
ass ausgerechnet sein Herz
ihm Probleme bereiten würde,
damit konnte Reiner Meyer
nicht rechnen. Der 51-jährige Berufsfeuerwehrmann betreibt seit
über 30 Jahren Ausdauersport. Trotzdem
spielte sein Herz vor sechs Jahren beim
Training verrückt. „Während des Laufens war plötzlich Feierabend“, erzählt
Meyer. „Die Brust zog sich zusammen,
ich bekam keine Luft mehr.“ Sein Puls
sprang wie wild zwischen 70 und 200.
Die Ursache des Leistungseinbruchs
lag in Meyers Herzvorhöfen, sagten die
Ärzte. Sie zuckten völlig unkoordiniert
mehr als 300-mal pro Minute: Vorhofflimmern. Die Krankheit ist mit einer
Million Betroffenen in Deutschland die
häufigste Herzrhythmusstörung.
Bei fast jedem Menschen gerät der Kreislaufmotor mindestens einmal im Leben
ins Stottern. Die fein abgestimmte Choreografie aus elektrischen Impulsen am
Herzen, die dafür sorgt, dass sich zuerst
die Vorhöfe und dann die Kammern zusammenziehen, ist störanfällig. Normalerweise geht die Erregung von einem
zentralen Taktgeber, dem Sinusknoten,
aus. Einzelne Zellen, die ebenfalls ein
Erregungspotenzial erzeugen können,
sitzen aber auch verstreut im Herzmuskel. Feuern diese Nebenzentren außer
der Reihe, gerät der Puls ins Stolpern.
Daneben können auch Veränderungen
der Gewebestruktur die Pumpe aus dem
Takt werfen. Dabei sind einzelne Extraschläge meist harmlos. Als krankhaft
betrachten Mediziner nur Unregelmäßigkeiten, die über einen gewissen Zeitraum anhalten.
Bei Reiner Meyer wollte das Vorhofflimmern nicht mehr aufhören. „Wenn
ich die Kellertreppe hochgegangen
bin, hat sich das angefühlt, als wäre
ich auf den Kölner Dom gestiegen.“
Wenige Tage nach seinem abgebrochenen Training setzten Ärzte das Herz
mit einem Elektroschock wieder in den
gewohnten Takt.
Bei vielen Vorhofflimmer-Patienten
beruhigt sich der Achterbahn fahrende
Puls von allein. Auch häufige Beschwerden wie Herzklopfen oder Schwindel
verschwinden zunächst nach Minuten
oder Stunden. 70 Prozent aller Vorhofflimmer-Anfälle verlaufen unregistriert.
Die Berlinerin Marianne Logé ist wegen Herzrasen seit fünf Jahren in kardiologischer Behandlung. Erst im Februar
2011 entdeckte der Arzt Unregelmäßigkeiten im Elektrokardiogramm (EKG):
Anzeichen ihrer flimmernden Vorhöfe.
„Ich habe davon nie etwas gemerkt“,
berichtet die 59-Jährige. Charakteristischerweise fehlt in den Herzstromkurven der Ausschlag, der beim Zusam-
menziehen der Vorkammern entsteht
(„P-Welle“, s. Grafik S. 75). Darüber
hinaus wechselt der Abstand zwischen
zwei Ausschlägen ständig.
Vor der Therapie sollte der Arzt die
Herzrhythmusstörungen mindestens einmal im EKG nachweisen. Welche Art der
Untersuchung folgt, hängt davon ab, wie
häufig die unregelmäßigen Schläge auftreten und wie lange sie anhalten.
Meist kehren die Anfälle wieder. „Das
Vorhofflimmern verändert die elektrische Erregbarkeit des Vorhofs“, erklärt
Dietrich Andresen vom Berliner Klinikum am Urban. Im überlasteten Gewebe entstehen kleine Narben, welche
die Herzströme, anders als die Muskel­
zellen, nicht übertragen. So verändert
sich das Reizleitungsmuster, und die
Gefahr einer chronischen Rhythmusstörung steigt. „Man muss den Teufelskreis früh unterbrechen“, mahnt Lars
Eckardt, der die Abteilung für Rhythmologie am Uniklinikum Münster leitet.
Gegen den unregelmäßigen Takt helfen Medikamente. Diese sogenannten
Antiarrhythmika stellen den geordneten Herzschlag wieder her. Je nachdem,
wie gesund das Herz ist, kann der Arzt
zwischen verschiedenen Präparaten
wählen. Das wirksamste ist Amiodaron, es führt jedoch auch häufiger zu
Nebenwirkungen als andere Mittel. Bei
Wie der richtige Rhythmus entsteht
Eine fein orchestrierte Erregung bewirkt, dass sich die Zellen des Herzmuskels koordiniert kontrahieren.
Bei Vorhofflimmern kann ein Kathetereingriff helfen.
72
obere Hohlvene
Sinusknoten
AV-Knoten
rechter
Herzvorhof
rechte
Herzkammer
Lungenvenen
linker
Herzvorhof
linke Herzkammer
Nervenfasern
untere
Hohlvene
erhitzte
Katheterspitze
Lungenarterie
Herz
(Schnitt)
Vorhofscheidewand
kreisförmige
Verödung
um die
Lungenvenen
(einzeln oder
paarweise)
rechter
Herzvorhof
Katheter
wird über die
Leistenvene
eingeführt
linker
Herzvorhof
untere Hohlvene
Herz
(Schnitt)
FOCUS-GESUNDHEIT
Fotos: D. Asbach/FOCUS-Magazin
Im Herzen sitzen Schrittmacher, also Muskelzellen,
von denen eigenständig eine
elektrische Entladung ausgeht. Die wichtigsten heißen:
Sinusknoten und AV(Atrioventrikular-)Knoten.
Grafik ganz rechts: Bei der
Ablation wird ein Katheter
ins Herz eingeführt, der
einen Schrittmacher verödet,
wenn dieser ein Vorhofflimmern verursacht.
Patient Meyer griff das im Medikament
enthaltene Jod die Schilddrüse an; 2009
musste sie entfernt werden.
Arzneimittel zur Frequenzkontrolle
wie etwa Betablocker senken den Puls.
Bei schwach ausgeprägten Symptomen
und bei Menschen über 65 Jahren
ist es Arzt und Patient überlassen, nur
die Herzfrequenz zu senken und keine Rhythmusmedikamente einzusetzen.
Flimmern die Vorhöfe dauerhaft, ist die
Kardioversion das Mittel der Wahl. So
heißt der Einsatz von Elektroschocks,
welche den Herzschlag wieder normalisieren. Bleiben diese allerdings wirkungslos, helfen häufig auch Antiarrhythmika nicht mehr.
Die Medikamente unterdrücken die
Symptome und verlängern den Zeitraum, bis Vorhofflimmern chronisch
wird. Für viele ältere Patienten, den
Großteil aller Betroffenen, ist das erFOCUS-GESUNDHEIT
»Beim Laufen
war Feierabend. Ich
kriegte keine
Luft mehr«
Reiner Meyer, 51
Der Berufsfeuerwehrmann
litt mehr als fünf Jahre unter
Vorhofflimmern. Zeitweilig
war er so schwach, dass
er sich bei Spaziergängen
von Golden Retriever July
ziehen lassen musste.
Nach erfolgreicher Ablation
rennt und radelt der
passionierte Ausdauersportler heute wieder
träglich, denn wenn das Herz selbst
wieder ruhig schlägt, gewöhnen sich
viele Patienten an die zitternden Vorkammern. „Bei Patienten unter 60 Jahren und wenn die Symptome besonders
stark sind, besteht der Wunsch nach
Beseitigung der Störung“, weiß Kardiologe Andresen. Dauerhafte Beschwerdefreiheit verspricht nur eine Ablation, bei
der die Quellen des elektrischen Störfeuers unschädlich gemacht werden.
Reiner Meyer fiel die Entscheidung für
den Eingriff nicht schwer. Weder Elekt­
roschocks, zeitweilig mit nur wenigen
Wochen Abstand, noch Medikamente
halfen dauerhaft. Anfang 2009 lag er
zum ersten Mal auf dem Kathetertisch.
Bei dem Eingriff wird unter örtlicher
Betäubung ein dünner Schlauch durch
die Leistenvene zum rechten Vorhof
geschoben. Über einen kleinen Schnitt
in der Vorhofscheidewand gelangt das
Gerät in den linken Vorhof. Mit der Katheterspitze vermessen die Ärzte genau,
auf welchem Weg die Erregung durch
das Gewebe fließt. Beim Flimmern stammen die Fehlzündungen häufig aus den
Lungenvenen. Um die Mündungen dieser Gefäße in den Vorhof zieht der Arzt
eine Linie, indem er das Gewebe mit der
Katheterspitze erhitzt oder erfriert. Die
Narben stoppen die Störsignale wie eine
Isolierschicht (s. Grafik l. u.).
Nach der ersten Verödung bleiben
etwa 60 Prozent der Patienten beschwerdefrei. Jeder vierte benötigt eine weitere Ablation. Feuerwehrmann Meyer
musste sogar viermal auf den Kathetertisch, immer wieder kam das Vorhofflimmern nach Tagen oder Wochen zurück. Besonders anstrengend fand er es,
lange ruhig zu liegen, einmal mehr als
vier Stunden. Jetzt schlägt sein Herz seit
über einem halben Jahr wieder normal.
Während führende Kardiologen dafür
plädieren, gegen Vorhofflimmern vor einer Ablation zumindest ein Antiarrhythmikum zu probieren, ist die Katheterbehandlung gegen andere Beschwerden
längst erste Wahl. „Die Ursache für die
meisten Rhythmusstörungen können wir
heute genau lokalisieren und dauerhaft
heilen“, sagt Lars Eckardt. Bei Vorhofflattern handelt es sich um eine meist
in der rechten Vorkammer kreisende,
regelmäßige, schnelle Erregung. Um
den Kreisstrom zu unterbrechen, ziehen Ärzte eine Narbenlinie von der
73
unteren Hohlvene bis zur Trikuspidalklappe, dem Ventil zwischen rechtem
Vorhof und Hauptkammer. In vielen Fällen von Herzrasen existiert eine überzählige Muskelbahn. Sie wirkt wie ein
Kabel, über das Signale zwischen Vorhof
und Herzkammer zirkulieren. Ist die Leitung verödet, hört das Pulsrennen auf.
Auch wenn Vorhofflimmern und -flattern keine akute Gefahr bedeuten – das
Risiko von lebensbedrohlichen Schlaganfällen und Embolien steigt, wenn das
Blut in den zuckenden Vorkammern
stockt. „Gerade mit Vorhofflimmern verbundene Schlaganfälle sind besonders
schwer“, sagt Stefan Hohnloser, Elektrophysiologe am Uniklinikum Frankfurt.
Das Blut flüssig zu halten ist daher
ein zentrales Ziel der Behandlung. Bislang standen dafür nur sogenannte
Cumarine zur Verfügung, in Deutschland hauptsächlich die Wirkstoffe Mar74
»Ich hatte von
meinem Vorhofflimmern
nie etwas
bemerkt«
Marianne Logé, 59
Die Hausfrau kann sich auf
die Arbeit in ihrem Garten
wieder freuen. Gerade erst
wurden ihre unkoordiniert
zuckenden Vorhöfe verödet.
Ihre Rhythmusstörung war
ihr nicht einmal aufgefallen,
doch die daraus erwachsenden
Risiken waren immer da.
Sie hofft nun darauf, durch
den Eingriff keine Medikamente mehr zu benötigen
cumar und Falithrom. „Weder der Arzt
noch der Patient liebt Marcumar“, gesteht Hohnloser. Wer die Tabletten einnimmt, muss in kurzen Abständen seine
Gerinnungswerte überprüfen lassen.
Außerdem hebeln viele Vitamin-K-haltige Lebensmittel die Blut verdünnende
Wirkung aus. Komplikationen können
auch in Kombination mit anderen Arzneien auftreten. Zudem ist das Risiko von
Gehirnblutungen leicht erhöht. Wegen
der Schwierigkeiten verzichten Ärzte bei
fast der Hälfte der Patienten, bei denen
es angezeigt wäre, auf die wichtigen
Anti-Klumpen-Medikamente.
Eine Reihe von Gerinnungshemmern,
die direkten Thrombin-Hemmer, werden
gerade erst zugelassen oder stehen kurz
vor der Freigabe. Sie bieten gegenüber
Cumarinen Vorteile: Patienten müssen
nicht mehr regelmäßig zum Blutcheck,
es sind keine Wechselwirkungen mit
anderen Medikamenten und Lebensmitteln bekannt, und bei gleicher Effektivität wie Marcumar ist das Blutungsrisiko geringer.
„Wir begrüßen die Entwicklung neuer
Antikoagulantien“, erklärt Kardiologe
Andresen. Er will damit insbesondere
Patienten helfen, bei denen man bisher
Blutverdünner nur schlecht einsetzen
konnte. „Bei gut auf Marcumar eingestellten Patienten würde ich derzeit nicht
zu den neuen Wirkstoffen wechseln.“
Noch, so betont er, wisse man wenig
über die Langzeitwirkung der Präparate.
Ob Patienten die Blutverdünner auch
nach erfolgreicher Ablation ein Leben
lang einnehmen sollten, darüber herrscht
Uneinigkeit. Eine 2008 veröffentlichte
Untersuchung der New Yorker Columbia
University zeigte, dass fünf Jahre nach
dem Eingriff ein Viertel der Behandelten
wieder Vorhofflimmern aufwies.
Eine alternative Schlaganfall-Prophylaxe, auch für Menschen, die keine Blutverdünner vertragen, ist der Verschluss
des linken Vorhofohres. In der etwa
zwei Zentimeter langen Ausbuchtung
entstehen neun von zehn der gefürchteten Blutgerinnsel. Der Eingriff kann
stattfinden, wenn sowieso eine Herzoperation ansteht. Unkomplizierter ist eine
Katheter-Therapie, bei der ein Schirm in
der Aussackung platziert wird.
Laut einer Studie aus dem Jahr 2009
traten bei so behandelten Patienten
nach dem Eingriff weniger SchlaganFOCUS-GESUNDHEIT
Fotos: S. Jaenicke/FOCUS-Magazin, Kompetenznetz Vorhof flimmern (AFNET)
d a s Ta k t l o s e H e r z
fälle, Embolien und Todesfälle auf als
in einer Vergleichsgruppe mit Blutverdünnung. Allerdings kam es beim Einsetzen zu Komplikationen. Bei jedem 20.
Patienten trat ein Bluterguss im Herzbeutel auf, in einem von 100 Fällen ein
Schlaganfall.
Anders als durch die Taktlosigkeit in
den Vorhöfen besteht bei Rhythmusstörungen der Herzkammern akute Lebensgefahr. Beim Kammerflattern erhöht sich
die Frequenz bis auf über 250 Schläge
pro Minute. Kammerflimmern dagegen bezeichnet das unkoordinierte Zucken des Herzmuskels. In beiden Fällen
bleibt zwischen zwei Schlägen zu wenig
Zeit, damit das Blut nachfließen kann.
Die Folge: Der Kreislauf bricht zusammen, die Patienten werden innerhalb von
Sekunden bewusstlos.
Bis zu 150 000 Menschen sterben pro
Jahr in Deutschland am plötzlichen
Herztod, in vier von fünf Fällen ist eine
Herzrhythmusstörung die Ursache. Nur
eine rasch begonnene Herzdruckmassage kann die Zeit bis zum Eintreffen
des Notarztes überbrücken. Um den
Herzrhythmus wieder in den Normalzustand zu versetzen, hilft allein ein Elektroschock aus einem Defibrillator (mehr
dazu: Notfallmaßnahmen S. 38 und 39).
Hat ein Patient einen Herzstillstand
überlebt, soll ihn ein implantierter Defibrillator (ICD) vor weiteren Stillständen
bewahren. „Ein ICD ist bei diesen Menschen zwingend“, sagt Stefan Hohnloser.
Das Gerät erkennt zuverlässig, wenn der
Herztakt ausreißt, und gibt dann einen
normalisierenden Impuls ab. Zusätzlich
sollen Medikamente die Zahl der belastenden Attacken verringern. Ist das
Herz bereits schwer geschädigt, etwa
nach einem großen Herzinfarkt, werden
ICDs wegen des erhöhten Risikos von
Kammerflimmern heute bereits prophylaktisch eingesetzt.
Patienten erscheint es oft, als würden
Herzrhythmusstörungen wie aus heiterem Himmel auftreten. Doch die Taktverluste bahnen sich lange an, und viele
Ursachen sind bekannt. „Häufig ist ein
schlecht eingestellter Blutdruck Auslöser
für Vorhofflimmern“, erläutert Dietrich
Andresen. Auch Herzschwäche steigert
die Anfälligkeit für Fehlschläge. 80 Prozent der Patienten mit lebensgefährlichen Kammerstörungen haben eine Verengung der Herzkranzgefäße, die sich
FOCUS-GESUNDHEIT
Vorsorge
Der Patient auf dem Ergometer lässt
bei der Ärztin ein Belastungselektrokardiogramm (EKG) anfertigen. Bei jedem Schlag läuft ein schwacher elektrischer Strom über das Herz, welchen die
am Brustkorb angebrachten Elektroden
erfassen (siehe unten). Die Form des
EKGs erlaubt Rückschlüsse auf koronare Herzerkrankungen, Bluthochdruck,
Herzrhythmusstörungen oder die Belastbarkeit nach einem Infarkt.
Kurven-Medizin
Der normale Verlauf des
Elektrokardiogramms (EKG) bei
gesunden Patienten
Vorhöfe
pumpen Blut
in die Herzkammern
(„P-Welle“)
Herzkammern ziehen
sich zusammen
Die Herzkammern
kehren in den Ausgangszustand zurück
r h y th m usst ö r ungen
meist über Jahre oder
Jahrzehnte entwickelt.
Auch größere Mengen
Alkohol können das
Herz aus dem Takt werfen. „Rhythmusstörungen kann man in vielen
Fällen verhindern oder
verzögern, wenn man die
Grunderkrankung rechtzeitig und konsequent
behandelt“, sagt Intensivmediziner Andresen.
Wer nahe Verwandte
hat, die früh an Herzrhythmusstörungen erkrankt
sind oder gar einen
plötzlichen Herztod erlitten haben, sollte besonders aufmerksam sein. Bei etwa zehn
bis 20 Prozent der Vorhofflimmer-Patienten tritt die Krankheit in der Familie
gehäuft auf. Bislang sind etwa 15 Varianten im Erbgut entdeckt, die auch bei
Menschen ohne familiäre Vorbelastung
das Risiko für Vorhofflimmern steigern.
„Doch die Forschung zur Genetik von
Vorhofflimmern steht noch am Anfang“,
gesteht Daniela Husser-Bollmann vom
Herzzentrum Leipzig.
Mehr wissen die Experten über seltene
angeborene Rhythmusstörungen. Beim
Long-QT-Syndrom sind Ionenkanäle im
Herzmuskel gestört, Träger einer entsprechenden Genvariante erleiden häufig vor dem 30. Lebensjahr Ohnmachten,
weil ihr Herz den Takt verliert. HusserBollmann betreut etwa 200 Familien mit
solchen Leiden. „Long-QT-Patienten erhalten bei uns eine genetische Diagnostik. Damit können wir Aussagen über
das Risiko und den Therapieerfolg machen.“ Je nachdem, welches Gen und
damit welcher Ionenkanal betroffen
ist, schlagen Betablocker gut an oder
ist ein implantierter Defibrillator nötig.
Die Rhythmologin hofft, dass es in Zukunft gelingen wird, auch für häufigere
Rhythmusstörungen „die Therapie auf
die DNA zuzuschneiden“.
Reiner Meyer läuft nach seiner erfolgreichen Behandlung wieder zwei- bis
dreimal pro Woche zehn Kilometer. Auf
eine gute Zeit legt er dabei keinen Wert
mehr, seitdem er erleben musste, wie
langsam sein Körper sein kann.
n
PAUL KLAMMER
75
Da s TA k t lose H e r z
schrittmacher
Anschub mit
Köpfchen
Die einst simplen Impulsgeber sind komplexe Überwachungsgeräte geworden. Implantierte Defibrillatoren
retten täglich Menschen vor dem plötzlichen Herztod
76
derungen der Stromleitung auf, schlagen Alarm, wenn es mit der Batterie
zu Ende geht. Bei Patienten mit Herzinsuffizienz registrieren die Geräte gar,
ob sich Flüssigkeit in Lunge und Brust
eingelagert hat. Das träge Herz unterstützen sie außerdem nur dann, wenn es
nötig ist. „Heute sind alle Geräte Bedarfsschrittmacher“, erklärt Joachim Winter
von der Klinik für Kardiovaskuläre Chirurgie der Universitätsklinik Düsseldorf.
Doch damit nicht genug. Die HighTech-Apparate passen sich eigenständig
körperlicher Aktivität an, beschleunigen
ihren Takt, wenn der Patient zum Beispiel
Sport treibt oder Sex hat. Die neueste Errungenschaft der Medizinforscher ist ein
Herzschrittmacher, der sogar eine Untersuchung im Magnetresonanztomografen
aushält. Bislang war dies ein Tabu für die
Patienten. Die Magnetfelder hätten die
Geräte zerstört.
Auch die Handhabung ist einfacher
denn je. Ärzte aktivieren den Schrittmacher mit einem Programmiergerät und
stellen ihn auf die individuellen Bedürfnisse des Patienten ein. Bei Kontrollterminen lesen sie die Aufzeichnungen des
Taktgebers aus und variieren, wenn nötig, die Funktionen. „Manchmal kann ein
Patient, der lange einen sehr langsamen
Herzschlag hatte, mit dem ungewohnt
schnellen Takt nicht einschlafen. Dann
dimmen wir die normale Ruhefrequenz
herunter“, erklärt Herzspezialist Winter.
Je nachdem, welche Unterstützung
das Herz für seine Pumparbeit benötigt, wählt der Kardiologe 1-, 2- oder
3-Kammer-Systeme aus. Das heißt:
Schutzengel im Brustkorb
Deutlich ist im Röntgenbild der Schatten des
Herzschrittmachers mit Batterie und Elektronik
links in der Brust des Patienten zu erkennen.
Es handelt sich dabei um einen sogenannten
3-Kammer-Taktgeber: Je ein Draht einer Elekt-
Foto: Getty Images
D
er Patient war gerettet – doch
der Arzt wurde gefeuert. So
kann es im Medizinbetrieb
dem gehen, der sich nicht an
die Order des Vorgesetzten hält: Der damalige Oberarzt Heinz-Joachim Sykosch
setzte am 6. Oktober 1961 einem Patienten einen Herzschrittmacher ein, obwohl
es ihm sein Chef verboten hatte. „Ich war
überzeugt davon, dass das ständig aussetzende Herz eines 18-jährigen Unfallopfers mit dem Apparat wieder regelmäßig schlagen würde“, erzählt der heute
86-Jährige. Er behielt Recht. Der Mann
lebte noch 25 Jahre, gründete eine Familie und starb an einem Nierenleiden. Der
mutige Arzt war fortan ein Held der Kardiologie – und wurde wieder eingestellt.
Die erste deutsche Schrittmacher-OP
feiert in diesem Jahr ihren 50. Geburtstag, und mittlerweile ist der Eingriff Routine. Rund 100 000-mal pro Jahr setzen
Mediziner Patienten in Deutschland einen Taktgeber fürs Herz ein. Der Schrittmacher sendet Stromimpulse, um einen
langsamen Herzschlag zu beschleunigen
und den natürlichen Rhythmus herzustellen. Für die Operation genügen eine örtliche Betäubung und ein kleiner Schnitt
unter dem Schlüsselbein. Nach weniger
als einer Stunde ist alles erledigt.
Die Schrittmacher von heute sind kleine
Wunderwerke. Sie sind kaum größer als
eine Herrenarmbanduhr, wenige Gramm
schwer und dabei multifunktionale Überwachungszentralen: Langlebige Batterien lassen sie fünf bis zehn Jahre laufen, Mikroprozessoren kontrollieren die
Herzfunktionen. Sie zeichnen Verän-
FOCUS-GESUNDHEIT
rode führt im Bogen an der Aorta vorbei in den
rechten Vorhof und in die rechte Herzkammer.
Ein drittes Kabel entspringt dem Schrittmacher
und erreicht die deutlich geweitete linke Herzkammer. Der Patient leidet an Herzschwäche.
77
Nur eine Elektrode führt in die rechte
Herzkammer, oder zwei gehen in Kammer und Vorhof, oder eine dritte erreicht
zusätzlich die linke Herzkammer. Von
der sogenannten Kardialen Resynchronisationstherapie (CRT) mit drei Elektroden
profitieren Patienten mit Herzinsuffizienz, deren Herzkammern zeitlich verzögert pumpen. „80 Prozent der Patienten
bekommen heute einen 2-KammerSchrittmacher“, erläutert Herzchirurg
Winter. „Ob das Gerät rechts oder links
implantiert wird, ist egal.“ Ein Tennisspieler sollte es nicht auf der Aufschlagseite tragen, den Jäger stört es dort, wo
er anlegt.
Die Schwachstelle der Schrittmachermethode sind die Leitungen ins Herz. Die
Elektroden können sich vom Schrittmacher lösen, die Stromleitung kann
versagen, ihre Isolierung kaputtgehen
oder die feinen Kabel brechen. Kardiologe Winter: „Ein Schrittmacher lässt
sich leicht ausbauen. Aber da die Elekt­
roden mit der Zeit in den Herzmuskel
einwachsen, ist es riskant, sie bei einem
Defekt herauszuholen. Weil sie nur begrenzt halten und die Patienten länger leben, haben wir da ein Langzeitproblem.“
Wird eine neue Elektrode nötig, ziehen
Herzmediziner eine zusätzliche ein – oft
direkt neben der defekten Leitung durch
dieselbe Vene.
Ältere Elektroden verhindern daneben, dass ein Patient beim nächsten
1932
Austausch einen MRT-fähigen Schrittmacher bekommen kann. „Die magnetfähigen Geräte eignen sich nur für
Patienten, die auch die entsprechenden Elektroden haben“, gibt Winter zu
bedenken und warnt auch vor starken
magnetischen Feldern im Alltag. „Wer einen Schrittmacher trägt, sollte sich nicht
direkt neben Lautsprecherboxen stellen.
1957
»Der Herzschrittmacher
ist eine
phänomenale
Erfindung!«
Heinz-Joachim Sykosch, 86
Der heutige Pensionär
setzte 1961 in Deutschland
den ersten Taktgeber ein
Fotos: dpa,, Lüderitz, Medtronik (4), St. Jude Medical
Da s TA k t lose H e r z
Auch für Handys oder MP3-Player gibt
es bessere Plätze als die Brusttasche mit
dem Schrittmacher dahinter“, klärt er
auf. Man müsse mit einem Elektrogerät aber schon auf wenige Zentimeter an
den Schrittmacher herankommen, um
seine Funktion zu stören.
Für die Zukunft verspricht sich der
Experte viel von schnurlosen Schrittmachern. Die Geräte sollen nur die Größe
eines Fingerhuts haben und werden
via Katheter direkt ins Herz bugsiert.
In drei bis vier Jahren könnten sie einsatzbereit sein, vermutet Winter. „Ein
Herzschrittmacher ohne Elektroden wäre
ein riesiger Fortschritt“, hofft er – und
vielleicht auch die Lösung für die kleinen Patienten. „Es gibt bisher keine
speziellen Geräte für Kinder mit extradünnen Elektroden.“ Daneben sei das
Standardprogramm für Erwachsene für
Säuglinge ungeeignet.
Seit den 1980er-Jahren besitzen die
Taktgeber auch eine Defibrillationsfunktion. Ein solcher Implantierbarer Car­
dioverter-Defibrillator, abgekürzt ICD,
beruhigt ein zu schnell schlagendes
Herz, dessen übererregter Rhythmus
sonst zum Herzstillstand führen würde.
Menschen, deren Herz nach einem Infarkt eine Pumpleistung von weniger als
30 Prozent aufweist, oder solche, deren
Muskel nach einer schweren Rhythmusstörung schon einmal stillstand, können
die Ärzte mit einem ICD helfen. Der Ap-
Immer kleiner, immer intelligenter: Maschinen, die das Herz im Rhythmus halten
Impuls durch die Kurbel Der „künstliche
Schrittmacher“ mit Handantrieb
diente zur Wiederbelebung im Notfall.
78
Tragbar Auch in Krankhäusern waren Stromausfälle häufig. Ärzte entwickelten daher kleine
Schrittmacher mit Batterie – wie für dieses Kind.
Durchbruch
Die Miniaturisierung
in der Elektronik
brachte auch bei den
Taktgebern entscheidende Größen- und
Gewichtsvorteile: Der
erste implantierbare
Herzschrittmacher
kam auf den Markt.
Auf Rollen
In der Frühzeit der
Elektronik waren
Herzschrittmacher
groß wie Kommoden.
Dieses Gerät enthielt
eine Batterie und
ließ sich nur außerhalb des Körpers
transportieren.
1958
FOCUS-GESUNDHEIT
1958
FOCUS-GESUNDHEIT
parat soll neuerliches Kammerflimmern
und Herzstillstand verhindern. Immer
häufiger bekommen Risikopatienten,
etwa mit Herzinsuffizienz als Vorsichtsmaßnahme einen „Defi“ eingesetzt.
ICDs geben einen kräftigen Stromstoß
ab, wenn aus einer Rhythmusstörung das
tödliche Kammerflimmern wird. Danach
ist das Herz wieder im Takt. Häufig schlagen die Geräte jedoch grundlos Alarm.
„Unnötige Schocks kommen vor, wenn
ein ICD sich nur nach der Herzfrequenz
richtet. Er kann dann nicht erkennen,
ob die mehr als 180 Schläge pro Minute
harmloses Vorhofflimmern durch Belastung oder unkontrolliertes Kammerflimmern und Todesgefahr bedeuten. Der
Defi geht auf Nummer sicher und gibt
einen Impuls ab“, erklärt der Kardiologe
Christian Mewis vom Herz-Gefäß-Zentrum Nymphenburg.
Ein Stromstoß zur rechten Zeit rettet
Leben, ein unangebrachter ist nicht nur
schmerzhaft, sondern stellt für manche
Patienten eine gravierende psychische
Belastung dar. „Ein Elektroschock ohne
Vorwarnung, den man nicht steuern
oder beeinflussen kann, bereitet den
Menschen Angst“, weiß Denise Fischer,
Psychotherapeutin vom Universitätsklinikum des Saarlandes in Homburg.
Viele ICD-Träger vermeiden daher alles, was das Herz anstrengen könnte:
Reisen, Freizeitsport, Sex. „Sie trauen
sich einfach nicht, normal zu leben“, so
2011
Auch fürs MRT Mit diesem Schrittmacher dürfen Patienten selbst in den
Magnetresonanztomografen (MRT).
schrittmacher
Fischer, die eine Untersuchung über die
Problematik anfertigte. Gegen herzbezogene Ängste, rät sie, kann zum Beispiel
eine kognitive Verhaltenstherapie helfen.
Nähere Informationen halten psychokardiologische Stationen bereit, die einige
Universitätskliniken bereits aufweisen,
oder Selbsthilfegruppen.
Auch beim ICD haben die Ärzte mit
dem Elektrodenproblem zu kämpfen.
Eine neue Entwicklung, der subkutane Defibrillator, ist nach Ansicht von
Kardiologe Mewis nur begrenzt brauchbar. Dem Vorteil, dass die Sonde am
Brustbein entlanggeführt wird und nicht
durch Venen und Herz, steht der Nachteil gegenüber, dass dieses Gerät keine
dauerhafte Schrittmacherleistung bietet.
„Für sehr junge Patienten mit wenigen
Rhythmusstörungen oder solche mit erschwertem venösem Zugang ist der subkutane Defibrillator jedoch eine Alternative“, urteilt der Herzmediziner.
Der 48-jährige Zeljko Ljepojevic aus
Berlin hat von der Implantation eines
Defibrillators massiv profitiert. Er leidet an einer angeborenen Herzmuskel­
erkrankung und freut sich, dass sein
Muskel nun wieder verlässlich funktioniert. „Mein Herz schlägt jetzt 65-mal pro
Minute statt nur 30-mal wie zuvor. Ich
fühle mich zum ersten Mal im Leben wie
ein gesunder Mensch.“

Petra Apfel
Zukunft Die kleine, etwa 0,60 ×
2,50 Zentimeter messende Kapsel
wird ins Herzinnere eingebracht
und fungiert dort als Schrittmacher.
2015?
79
Herunterladen