Nr. 01 € 7,90 Was Sie wissen sollten: Ursachen | Diagnosen | Therapien S GESUNDHEIT GESUNDHEIT Nr. 01 Das Herz DA S H E R Z FOCUS-GESUNDHEIT ++ Ärzteliste | Selbst-Tests ++ Cholesterin Wie Sie Ihre Blutfettwerte dauerhaft senken können Das Herz 4 192405 307900 Alles über Infarkt, Bluthochdruck, Cholesterin, Herzschwäche, Herzenge und Rhythmusstörungen 01 01 Inhalt FOCUS-GESUNDHEIT – Nr. 1 – Das Herz 85 Der Motor des Menschen 6Die FOCUS-Gesundheit-Grafik Blutdruck Auf einen Blick: So funktionieren die Kammern und Klappen des Herzens und der Blutkreislauf 86 Übergewicht: Syndrom X I Diabetes I Cholesterin Ernährung & Bewegung Zu Besuch im Hybrid-Operationssaal des Deutschen Herzzentrums Berlin. Moderne Technologien krempeln traditionelle Verfahren um 90 Interview: In Bewegung bleiben 76 10 Interview: Die Herausforderungen Herzenge Martin Krassowski springt dank Gefäßstützen wieder dem Fußball hinterher Deutschlands einflussreichste Herzspezialisten diskutieren über Perspektiven und aktuelle Trends ihrer Branche 14 Ein Ort im Dienst des Herzens Wächter in der Brust Intelligente Schrittmacher schützen Patienten, wenn das Herz aus dem Takt gerät Wie US-amerikanische Kleinstadtbürger die Herzforschung revolutioniert haben Lebensretter Chirurg Roland Hetzer über Organtransplantation 20 Die Geschichte einer Pumpe In der Antike galt das Herz als Sitz der Seele. Von der Entdeckung des Blutkreislaufs bis zur ersten Transplantation 25 I Infarkt I 43 Kunstherz 32 Tödlicher Verschluss 4 40 Selbsttest 13 Fragen mit Sofort-Auswertung: So hoch ist Ihr Risiko für einen Herzinfarkt 41 Wissen Kurzlexikon zu Gefäßverengungen FOCUS-GESUNDHEIT Sind die Herz-Ventile zu eng oder schließen sie nicht mehr richtig, müssen sie ausgetauscht werden I 44 Vergrößert und kraftlos 67 Wissen Gegen die Herzinsuffizienz fehlt das Patentrezept. Doch die Erfolge einer neuen Pflegeform lassen aufhorchen 52 Am Abgrund Rhythmusstörungen 56 Interview: Nachschub benötigt Der Direktor des Deutschen Herzzentrums in Berlin, Roland Hetzer, über Schwierigkeiten bei der Organspende und die Fortschritte seiner Zunft 38 Im Notfall Wie ein Defibrillator hilft und was beim Herzinfarkt zu tun ist I Transplantation Herzklappen I Immer noch gibt es mehr Bedürftige für eine Herztransplantation als Spender. Ein neues Gesetz soll dies ändern Titel: Mike Owen, Getty Images 70 Narben-Therapie Lars Eckardt verödet Gewebe (Bildschirm), um Herzrhythmusstörungen zu behandeln Bei einem Herzinfarkt muss es schnell gehen. Eine rechtzeitig eingesetzte Gefäßstütze (Stent) kann Leben retten Fotos: D. Asbach, B. Kraehahn, M. Thelen/alle FOCUS-Magazin, Getty Images Kardiologin und Gender-Forscherin Vera Regitz-Zagrosek über Geschlechtsunterschiede am Herzen 64 Herzklappen-Ersatz Das schwache Herz Insuffizienz 26 Erweitern oder umleiten? 31 Interview: Frauen ticken anders 92 Versteckte Gefahr 15 Millionen Deutsche leiden an Diabetes. Viele wissen nichts davon 95 Selbsttest Diabetes Acht Fragen zu Ihrem Blutzucker-Risiko 96 Runter mit den Blutfettwerten Gesunde Ernährung und Medikamente helfen, den Cholesterin-Spiegel zu senken 99 Tipps gegen Cholesterin 100 Lachen ist gesund Notfall Wenn die Herzkranzgefäße sich verengen, müssen Ärzte eingreifen. Katheter und Bypass-Operation im Vergleich Der Experte Martin Halle erklärt, wie viel Sport guttut und wie der Einstieg gelingt Warum Sport, Gemüse & Co. guttun Das enge Herz Herzenge I Jeder vierte Deutsche leidet am Metabolischen Syndrom. Die Kombination aus vier Erkrankungen hat lebensbedrohliche Folgen für das Herz 8OP der Zukunft 26 56 Das gesunde Herz 58 Neustart mit Ersatzmotor Ingenieure und Mediziner experimentieren mit Kunstherzen und tierischen Organspendern 62 Telemedizin Ärzte betreuen ihre Patienten erfolgreich per Datenverbindung FOCUS-GESUNDHEIT Begriffserklärungen zur Herzinsuffizienz 69 Das taktlose Herz Schrittmacher I I Psyche & Herz 70 Gefährliches Flimmern Bei Herzrhythmusstörungen helfen Ärzte mit neuen Kathetereingriffen 76 Kluge Schutzengel Herzschrittmacher werden immer kleiner und immer intelligenter – und eignen sich neuerdings auch für den Einsatz im MRT 80 Rätsel gebrochenes Herz Das „Broken-Heart-Syndrom“ gibt es: Ist der seelische Schmerz zu stark, kann er das Herz schädigen 82 Wissen Das Kurzlexikon zu Rhythmusstörungen Was Herz und Gefäße erfreut: Im Job kürzertreten, Humor, Kaffee und Sex 102 Das Volksleiden heilen Ein neues Operationsverfahren verspricht Hilfe für Menschen mit Bluthochdruck 105 Selbsttest Elf Fragen: Wie hoch ist Ihr Risiko für Bluthochdruck? 106 Die 8 goldenen Regeln Warum Freunde gut fürs Herz sind und es wichtig ist, ärztliche Anweisungen zu befolgen; plus weitere Ratschläge 108 Fisch, Salz und Olivenöl In einer Lehrküche lernen Patienten, was sie bei der Ernährung beachten sollten 111 Herz-Diäten Drei Strategien, um Gewicht zu verlieren und das Organ zu schützen 112 Ärzteliste Alle führenden Spezialisten fürs Herz 128 Wissen Das Kurzlexikon der Laborwerte 130 Vorschau / Impressum 5 D e r M oto r des M enschen d i e F o c u s - G e s u n d h e i t- G r a f i k Gehirn Alles fließt 6 Aorta, Hauptschlagader zum Körperkreislauf Lunge Herz obere Hohlvene Leber Blutstrom zu den Lungen Kapillarsysteme Darm Niere Pulmonal-Klappe von den Lungen Aortenklappe arterieller Zustrom Arterien sauerstoffreiches Blut (rot) venöser Zustrom Venen sauerstoffarmes Blut (blau) Tricuspidal-Klappe Mitral-Klappe linke Herzkammer Kapillarsysteme INFOGR AF IK Was bleiben will, das muss sich ändern. Diesen Gedanken gewinnt unweigerlich, wer das Kreislaufsystem vor Augen hat. Auf einer Strecke von 100 000 Kilometern, das ist mehr als der doppelte Erdumfang, erstreckt sich das Flussbett des Blutes im menschlichen Körper. Die Arterien (rot) bringen sauerstoff- und nährstoffreiche Flüssigkeit zu den Muskeln, den inneren Organen und ins Gehirn. Die Venen (blau) leiten die Stoffwechselprodukte und das Atemgas Kohlendioxid ab. Zwischen beiden Flusssystemen liegen die haarfeinen, nur 0,001 Millimeter dünnen Verzweigungen des Kapillarsystems. Rote Blutkörperchen, die Sauerstofftransporter, sind dort einzeln hintereinander aufgereiht und in engstem Kontakt zum Gewebe. Quelle und Mündung all des Strömens ist das pochende Herz. Der birnen- oder kegelförmige Hohlmuskel ist rund 300 Gramm schwer und schlägt in Ruhe 60- bis 90-mal pro Minute, bei Anstrengung bis zu 200-mal und schneller. Das Herz gibt es eigentlich gar nicht, es sind zwei Herzen: Das rechte drückt das Blut aus seiner Kammer in die Lunge, wo die Flüssigkeit mit Sauerstoff angereichert wird und daher symbolisch die Farbe von Blau auf Rot wechselt. Darauf rinnt es in den linken Vorhof, weiter in die linke Herzkammer, die es die Aorta hinaufschiebt. Vom mächtigen Strom der Hauptschlagader zweigen Nebenflüsse Richtung Kopf, Organe und Extremitäten ab. Das Herz-Kreislauf-System ist Bewegung. „Panta rhei“, hätte der griechische Philosoph Heraklit (520–460 v. Chr.) gesagt, „alles fließt“. Das menschliche Herz Die Evolution hat eine einfache, aber effektive Konstruktion mit Kammern und Klappen hervorgebracht, um venöses und arterielles Blut in zwei Pump-Kreisläufe zu trennen. Sauerstoffarmes Blut aus dem Körper (blau) wird vom rechten Herzen in die Lungen gepresst. Das linke Herz versorgt den Körperkreislauf (rot). rechte Herzkammer Blutbahnen Der Körper ist von einem 100 000 Kilometer langen Gefäßsystem durchzogen. Seine feinsten Verzweigungen erreichen, einem genauen Plan folgend, alle Gewebe. FOCUS-GESUNDHEIT 7 D E r M oto r des M enschen I n t e rv i e w Mehr Vorbeugung, mehr Aufklärung 10 Prof. Jochen Cremer Prof. Friedrich Wilhelm Mohr Prof. Thomas Meinertz Prof. Eckart Fleck Prof. Felix Berger 1. Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie. Direktor der Klinik für Herz und Gefäßchirurgie der Uni Schleswig-Holstein Präsident der Deutschen Gesellschaft für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie. Direktor der Klinik für Herzchirurgie am Herzzentrum der Uni Leipzig Vorstandsvorsitzender der Deutschen Herzstiftung. Direktor der Klinik für Kardiologie und Angiologie am Universitären Herzzentrum Hamburg Sprecher der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie. Direktor der Klinik für Innere Medizin/Kardiologie am Deutschen Herzzentrum Berlin (DHZB) Präsident der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Kardiologie. Direktor der Klinik für Angeborene Herzfehler/Kinderkardiologie am DHZB FOCUS-GESUNDHEIT Foto: M. Priske/FOCUS-Magazin Auf dem Gipfeltreffen der Herzprofis mit FOCUS-Gesundheit nennen die Vorstände der deutschen Fachgesellschaften die Herausforderungen der Herz-Kreislauf-Medizin 11 I n t e rv i e w Herzerkrankungen sind seit einem halben Jahrhundert die häufigste Todesursache. Meine Herren, Sie repräsentieren die deutsche Herz-Kreislauf-Medizin. Was wollen Sie dagegen tun? Meinertz: Es ist richtig, dass die Mor- talität der Herzerkrankungen sehr hoch ist. Aber die Entwicklung ist dennoch erfreulich: Die Herzinfarktsterblichkeit ist in Deutschland von 2000 bis 2010 um circa 20 Prozent gesunken. Es gibt heute pro Jahr 35 000 weniger Herzinfarktopfer als vor 30 Jahren. Im ganzen Land haben wir heute für die Versorgung von Patienten mit unklaren Brustschmerzen spezielle Ambulanzen, die 24 Stunden offen stehen. Diese sogenannten Chest-Pain-Units, CPUs, verfügen über alle modernen Geräte für die Erkennung eines Herznotfalls. Dort hat man die besten Überlebenschancen. In manchen Regionen Deutschlands ist der Infarkt tödlicher: In Sachsen-Anhalt sterben doppelt so viele Menschen daran wie in Hamburg. Woher kommen die großen Unterschiede? Meinertz: Es gibt immer noch deutliche Versorgungsunterschiede im Bundesgebiet. Vor allem in einigen ostdeutschen Landkreisen, etwa in Sachsen-Anhalt und Brandenburg, müssen mehr CPUs eingerichtet werden, um die Sterbeziffer weiter zu senken. Mohr: Die Gründe liegen zum Teil auch in den unterschiedlichen Lebensweisen in den Regionen. Zigarettenkonsum, Fettleibigkeit, Bewegungsmangel und Stress sowie eine ungünstige soziale Situation machen das Auftreten von Infarkten wahrscheinlicher. Doch gibt es auch in städtischen Gebieten mit geringer Arbeitslosigkeit und nahen herzmedizinischen Zentren teilweise überdurchschnittliche Sterbeziffern. Letztlich können wir über die Ursachen nur spekulieren. Im vergangenen Jahr haben Kardiologen genau 881 514 Herzkathetereingriffe vorgenommen, etwa die Hälfte davon zu rein diagnostischem Zweck. Damit liegt Deutschland an der Weltspitze. Wird die belastende Untersuchung zu häufig angewandt? Fleck: Unsere Anzahl diagnostischer Herzkatheter ist etwa vergleichbar mit denen in den USA. Es ist aber richtig, dass wir weniger invasive Alternativen brauchen, wenn es darum geht, eine koronare Herzerkrankung zu beurteilen. 12 in den Kellern, weil es nach genauerer Analyse der Ergebnisse einfach nichts gebracht hat. Welche Alternativen könnten das sein? Fleck: Die bildgebenden Verfahren sind heute auf einem Stand, den wir uns vor zehn Jahren überhaupt nicht vorstellen konnten. Sie werden die kardiologische Diagnostik revolutionieren und viele Herzkatheteruntersuchungen vermeiden helfen. Mit der Computertomografie lässt sich eine Durchblutungsstörung am Herzen schon gut darstellen. Und mit der Magnetresonanztomografie ist es ohne Strahlenbelastung sogar möglich, besonders gefährliche atherosklerotische Plaques in der Gefäßwand zu identifizieren. Diese Methoden sind derzeit aber erst an wenigen Zentren verfügbar. »Wir haben die Sterblichkeit herzkranker Kinder in 30 Jahren um 80 Prozent gesenkt« Felix Berger Kinderkardiologe, Deutsches Herzzentrum Berlin Steht die anfangs so hoffnungsvolle Stammzelltherapie am Herzen ebenso vor dem Aus? Fleck: Die Stammzelltherapie niederzu- machen kommt momentan unter Kollegen gut an. Aber das ist fortschrittsfeindlich. Wir dürfen potenzielle Innovationen nicht vorschnell als Top oder Flop bezeichnen – sonst finden sie nicht statt. Wir wären nicht da, wo wir heute sind, wenn wir uns nicht Dinge getraut hätten, die auch einmal schiefgehen können. Werden experimentelle Therapien, etwa die OP gegen Bluthochdruck, zu schnell beim Patienten angewandt? Meinertz: Neue Verfahren sollten nicht Werden Kathetertherapien Operationen am offenen Brustkorb unnötig machen? Cremer: Die Zahlen der offenen Bypass- Chirugie, der klassischen Behandlung der Herzenge vor den Katheterverfahren, sind rückläufig. Aber nach 40 Jahren Entwicklung handelt es sich dabei um ein optimal etabliertes Verfahren mit inzwischen sehr geringer Sterblichkeit. Sie liegt bei Patienten ohne akute Probleme zwischen 0,5 und 1,5 Prozent. Vergleichbar also mit anderen Opera­ tionen, die bei Älteren häufig vorgenommen werden, etwa einer Hüftoperation. Als Zugang genügt uns oft ein kleiner Schnitt am Brustkorb, und die Operation am schlagenden Herzen ist möglich. Die Risiken sind so niedrig, dass es kein Alterslimit mehr gibt. Wir bieten die OP auch über 90-Jährigen noch an. Herzchirurgen gemeinsam getroffen – im Herzteam. Nur so ist Selbstbedienung durch einzelne Disziplinen zu verhindern. cremer: Vergleichsstudien werden die Entscheidung im Einzelfall weiter präzisieren helfen. Neue Konzepte sind auch gemeinsame Hybrid-Operationen, wo der Chirurg einen Teil der Durchblutungsverbesserung übernimmt und der Kardiologe mit dem Katheter ergänzt. Berger: Im kleinen Fach der Kinderkardiologie haben wir schon immer eng mit Herzchirurgen und Kardiologen zusammengearbeitet. Entscheidende Neuerungen wurden so entdeckt wie die Herz-Lungen-Maschine oder die Katheterbehandlung von verengten Herzklappen. Kooperation hat die Kinderkardiologie zu einer beispielhaften Erfolgsstory gemacht: Wir haben die Sterblichkeit herzkranker Kindern in den vergangenen 30 Jahren um 80 Prozent gesenkt. Ist es ein Trend, dass immer ältere Patienten noch operiert werden? Mohr: Das Durchschnittsalter unserer »Unsere Patienten sind immer älter und kränker. Wir kommen in einen Grenzbereich« Friedrich Wilhelm Mohr Herzchirurg, Herzzentrum Leipzig Patienten ist heute 72 Jahre, vor zehn Jahren lag es noch bei 60. Vor allem bei den Herzklappen hat sich durch die Einführung der minimalinvasiven Methoden ein enormer Wandel vollzogen. Das hohe Alter der Patienten und ihre häufig vorhandenen Begleiterkrankungen stellen eine enorme Herausforderung dar, sowohl für die Chirurgie als auch für die Pflege und die Reha. Wir kommen in einen Grenzbereich, wo wir häufiger sagen müssen: Es bringt nichts mehr, das Risiko ist zu groß – auch mit den Katheterverfahren. Herz-OP oder Katheter, Chirurg oder Kardiologe – wie entscheide ich mich als Patient? Mohr: Die beste Entscheidung im Sinne des Patienten wird von Kardiologen und FOCUS-GESUNDHEIT Spielt es eine Rolle, an welchem Krankenhaus ein Herzpatient operiert wird? Berger: In der Kinderherzchirurgie auf Fotos: M. Priske/FOCUS-Magazin D e r M oto r des M enschen alle Fälle! Wir haben derzeit 35 Herzzentren, die angeborenen Herzfehlern gewidmet sind. Aber nur ein geringer Bruchteil dieser Zentren führt den Hauptteil der Behandlungen durch. Angesichts der enormen Expertise, die notwendig ist, macht es keinen Sinn, im Jahr nur ein oder zwei Herzoperationen bei Kindern durchzuführen. Wir müssen also dringend zentralisieren und um der besten Behandlungsqualität willen auch FOCUS-GESUNDHEIT »Vorbeugung wird Herzkrankheiten nicht ganz verhindern. Eines Tages werden wir alle davon eingeholt« Eckart Fleck Kardiologe, Deutsches Herzzentrum Berlin die Zahl der Kinderherzzentren auf ein vernünftiges Maß reduzieren. Meinertz: Eine vernünftige Anzahl an bestimmten Eingriffen pro Jahr muss sein. Auch gegen die Interessen der Krankenhausträger und Chefärzte müssen sich die Fachgesellschaften für verbindliche Mindestmengen einsetzen. Nicht jede Neuerung hat die Herzmedizin weitergebracht. Was waren die größten Flops der vergangenen Jahre? Meinertz: Rückschläge hat es reichlich gegeben. Der größte war vielleicht der Versuch, die Herzdurchblutung mit dem Schießen von Löchern ins Herz per Laser zu verbessern. Alle Zentren haben es angeboten, wer es nicht tat, galt als rückständig. Auch die Patienten, die davon in den Medien gelesen hatten, wollten es unbedingt. Jetzt verstauben die Geräte gleich auf alle Patienten unkontrolliert losgelassen werden. Man muss Geduld haben, bis die Techniken ausreichend in Registern untersucht sind und der tatsächliche Nutzen bekannt ist. Fleck: Die gute Entwicklung der HerzKreislauf-Medizin hat damit zu tun, dass technische Entwicklungen mit Bedacht und sinnvoll eingesetzt worden sind. Man darf nicht alles, was möglich ist, sofort realisieren wollen. Was werden Sie unternehmen, um die Herzgesundheit weiter zu verbessern? Meinertz: Wir wollen mit der Deutschen Herzstiftung die Prävention stärken. Denn Aufklärung und Vorbeugung ist besser als Behandlung. Schon im Kindes- und Jugendalter müssen Menschen lernen, sich gesund zu verhalten. Wir wollen das Bewusstsein dafür etwa mit Schulprojekten fördern. Dort kommt gesundes Essen auf den Tisch, und die Kinder haben die Möglichkeit, sich mindestens eine halbe Stunde am Tag mit Spaß zu bewegen. Fleck: Vorbeugung ist ein wichtiges Thema – aber sie wird Herzkrankheiten nicht ganz verhindern. Atherosklerose entsteht auch altersabhängig, und wir werden alle eines Tages davon eingeholt. Doch weil wir heute in Prävention und Therapie schon so erfolgreich sind, behandeln wir zunehmend über 90-Jährige, die es früher nicht gegeben hätte. Meinertz: Wir glauben nicht, dass wir das Leben wesentlich verlängern müssen. Aber wir glauben, dass wir die Lebenszeit, die uns gegeben ist, lebenswert erhalten können. Das ist unser Ziel. Interview: Jochen Niehaus 13 Da s enge H e r z I n fa r k t Notfall Herzinfarkt Das dramatische Ereignis trifft viele Patienten unvorbereitet. Der Kampf gegen den Herztod ist ein Wettlauf mit der Zeit Befreiende Therapie Auf dem Weg ins Katheterlabor ist Eile geboten, damit das verstopfte Herzkranzgefäß schnell geöffnet werden kann Erfolgreiche Rettung Todesrate bei Herzinfarkt in Deutschland Gestorbene pro 100 000 Einwohner 160 männlich 150 140 130 120 Foto: F. Heller/FOCUS-Magazin 110 100 90 80 weiblich 77,1 70 60,7 60 50 1980 85 90 95 2000 05 09 Quelle: Herzbericht 2010 32 FOCUS-GESUNDHEIT 33 Da s enge H e r z I n fa r k t I 34 Ernstfall Brustschmerz Ein großes Team von Rettungshelfern und Notarzt arbeitet Hand in Hand, damit der Patient rasch in die Klinik kommt Stabilisierung Ziel der Erstversorgung ist es, Atmung und Kreislauf des Kranken aufrechtzuerhalten – auch während des Transports Fotos: F. Heller/FOCUS-Magazin ch muss mir wohl einen Nerv eingeklemmt haben“, dachte Michael Peplau, 42, als er beim Fußballtraining im TuS Neuenkirchen ein Ziehen in der linken Schulter spürte. „Als ob mir jemand eine lange Nadel von oben in den Oberarmmuskel stechen würde“, beschreibt Peplau seine Schmerzen. Auch seine Fingerspitzen kribbelten. Als die Beschwerden trotz Dehnungsübungen nicht vergingen, setzte sich der Trainer auf die Bank. Schon einige Stunden zuvor hatte er sich „merkwürdig kaputt“ gefühlt. Er rief einen Mitspieler zu sich und sagte noch halb im Spaß: „Jetzt kriege ich bestimmt einen Herzinfarkt.“ Niemals hätte der kerngesunde Sportler da angenommen, dass er tatsächlich 20 Minuten später bewusstlos zusammenbrechen würde. Ein Blutgerinnsel verstopfte seine Herzkranzarterie und raubte dem Organ den Sauerstoff. Sein Herz flimmerte und pumpte kein Blut mehr. Peplau war klinisch tot. Dass er heute, drei Wochen nach dem Infarkt, wieder arbeiten und Fußball spielen kann, hält er für sein „ganz privates Wunder“. 800 Menschen täglich erleiden in Deutschland einen Herzinfarkt. Selten verläuft der Gefäßverschluss so glimpflich wie bei Michael Peplau: 30 Prozent der Infarktopfer sterben, bevor sie die Klinik erreichen. Zwar sinkt die Zahl der Herzinfarkte seit 25 Jahren. Doch 2010 starben daran noch über 59 000 Menschen – die Bevölkerung einer mittelgroßen Stadt. „Wir können heute viel mehr Herzinfarktopfer vor Tod oder dauerhaften Beschwerden bewahren“, ist Uwe Kreimeier überzeugt. Schließlich, so der Ärztliche Leiter des Rettungsdienstes in München, habe sich die Akutversorgung nach Gefäßverschlüssen am Herzen enorm verbessert. Ärzte können in immer mehr Herznotfall-Ambulanzen rund um die Uhr verengte Gefäße sofort wieder öffnen, sagt Anästhesist Kreimeier. Doch dann formuliert er das größte Problem beim Herzinfarkt: „Noch immer rufen die meisten Patienten den Notarzt viel zu spät – und verlieren das Rennen gegen die Zeit.“ Wer da- FOCUS-GESUNDHEIT gegen schon bei den ersten Symptomen 112 wählt, hat die besten Aussichten, ohne bleibende Schäden am Herzen zu überleben, sagt Kreimeier. „Das kann aber nur, wer die Zeichen eines Infarkts kennt und ernst nimmt“ (s. S. 38). Michael Peplau verdankt sein Leben womöglich einem Erste-Hilfe-Kurs, den er vor einigen Wochen im Betrieb absolvierte. „Da habe ich gelernt, dass Schulterschmerzen ein Alarmzeichen für Herzinfarkt sein können“, so der Karosseriebauer. Deshalb war er einverstanden, dass sein Freund sofort den Notarzt rief. „Wer weiß, was sonst aus mir geworden wäre?“ 60 Prozent der wertvollen Zeit bis zur Eröffnung der verstopften Arterie gehen verloren, weil Patienten zu spät den Rettungsdienst alarmieren. Die Gründe dafür kennt der Anästhesist Stephan Prückner. „Einige Patienten verharmlosen die Beschwerden oder warten, bis sie unerträglich werden“, bedauert der leitende Notfallmediziner am Uniklinikum Großhadern in München. Andere Infarktopfer wollen niemanden belästigen. „Bei Herzschmerzen in der Nacht warten manche lieber einige Stunden, bis am Morgen die Praxis ihres Hausarztes öffnet“, sagt Prückner. Zudem seien Infarkte nicht immer mit starken Schmerzen verbunden, etwa dann, wenn durch Diabetes feinste Schmerzrezeptoren in den Geweben um das Herz abgestorben seien. Untypische Symptome würden oft auch als Magenbrennen oder Halsweh verkannt. Durchschnittlich später als andere rufen jene Patienten den Notarzt, die weniger gebildet oder älter sind oder allein leben. Frauen sorgen zwar häufig dafür, dass ihr Ehemann bei Herzinfarkt rechtzeitig vom Notarzt behandelt wird. Sie selbst neigen indes dazu, eigene Symptome zu ignorieren. Studien belegen, dass viele Frauen den Herzinfarkt ganz anders als männliche Patienten erleben: Typische Brustschmerzen fehlen oft. Dafür spüren sie viel häufiger Schmerzen in Rücken oder Bauch, Herzklopfen oder Übelkeit. Probleme sehen Notfallmediziner aber auch beim Rettungsdienst. „Bei Verdacht auf Herzinfarkt ist es ganz wichtig, dass nicht das nächste gute Krankenhaus angefahren wird“, mahnt Prückner, „sondern das nächste, in dem sofort eine FOCUS-GESUNDHEIT Herzkatheter-Therapie erfolgen kann.“ In Kliniken ohne spezielle HerznotfallAmbulanz verstreichen womöglich viele lebenswichtige Minuten ungenutzt. Knapp die Hälfte aller Herzinfarktopfer trifft das lebensbedrohliche Ereignis völlig unvorbereitet. Einige hielten sich zuvor gar für kerngesund oder schenkten Risikofaktoren für Herzinfarkt keine Aufmerksamkeit. Wie Michael Peplau: Sein Vater hatte mit Mitte 50 eine Verengung seiner Herzkranzgefäße. Zudem rauchte Peplau bis vor Kurzem zwei Päckchen Zigaretten am Tag. „Gelegentlich ist der Infarkt das erste spürbare Zeichen einer chronisch-entzündlichen Gefäßerkrankung“, erläutert Christian Kupatt, Kardiologe am Klinikum Großhadern. Zum akuten Verschluss einer Herzkranzarterie käme Herztod ist im Osten häufiger Regionale Unterschiede im Lebenswandel und bei der Verteilung von Herznotfall-Ambulanzen beeinflussen das Risiko, am Herzinfarkt zu sterben. Tod durch Infarkt relatives Risiko, an einem Herzinfarkt zu sterben (2009) –52 % –20 % 0% +20 % bis –20 % bis 0% bis +20 % bis +126 % Kiel Rostock Schleswig-Holstein Mecklenburg-Vorpommern Hamburg Bremen BERLIN Niedersachsen Hannover Magdeburg Münster Frankfurt (Oder) Sachsen-Anhalt Brandenburg Dortmund Essen Leipzig Nordrhein-Westfalen Köln Hessen Koblenz Erfurt Dresden Sachsen Thüringen Frankfurt/ Main RheinlandPfalz Nürnberg Saarland Stuttgart Bayern Baden-Württemberg München Freiburg Quelle: Herzbericht 2010 35 Da s enge H e r z I n fa r k t es, wenn deren Wandauskleidung sekundenschnell wie eine Tapete einreiße, so Kupatt. Wie an eine Wunde lagern sich an den Riss Blutplättchen an. So entsteht ein Thrombus, der die Arterie verstopft. Muskelgewebe hinter der Engstelle bekommt weder Sauerstoff noch Nährstoffe. Der Stoffwechsel der Zelle kommt zum Erliegen, und die Zelle droht abzusterben. „Eine Rückkehr zur früheren Pumpfunktion ist nur möglich“, so Kupatt, „wenn das verstopfte Gefäß innerhalb der ersten Stunde nach einem Infarkt wieder durchlässig ist und der Muskel erneut durchblutet wird.“ Als das Rettungsteam bei Michael Peplau ankam, saß er in der Umkleidekabine und zwinkerte seiner herbeigeeilten Frau noch aufmunternd zu. Doch als der Notarzt ihn gerade untersuchte, wurde Peplau schwindlig. Er sackte zusammen und verlor das Bewusstsein. Seine Atmung stoppte, sein Herz stand still. „Hätte mir da niemand geholfen, wäre ich sicher gestorben“, sagt Peplau. Sofort begannen die Retter mit der Herzdruckmassage. Doch erst der Defibrillator schaffte es, Peplaus flimmerndes Herz neu zu starten. Beim zweiten Elektroschock kam er wieder zu sich. Herzinfarkte sind die häufigste Ursache von plötzlichem Herztod. Dazu kommt es, wenn Sauerstoffnot jene Stellen am Risiko-Kombination Vervielfachung der Infarktgefahr Quotenverhältnis alle Risikofaktoren zusammen 334 Rauchen, Diabetes, Bluthochdruck, hohes Cholesterin u. Stress 183 Rauchen, Diabetes, Bluthochdruck und hohes Cholesterin Rauchen, Diabetes und Bluthochdruck 69 42 Rauchen, Diabetes, Bluthochdruck, hohes Cholesterin und dicker Bauch Quelle: Interhear t-Studie 13 hohes Cholesterin 3,5 Rauchen 3,0 Diabetes 2,5 Bluthochdruck 2,0 Explosive Mischung In der Kombination steigern Risikofaktoren die Gefahr für Herzinfarkt auf das bis zu 334-Fache Herzen schädigt, wo die elektrischen Impulse des Herzschlags entstehen. Fallen sie aus, flimmert das Herz, schlägt unkoordiniert und befördert kaum noch Blut. Wenn es gelingt, die Herzelektrik mit Elektroschocks wieder in Takt zu bringen, stehen die Chancen auf Überleben gut. Auch Laien können mit automatisierten externen Defibrillatoren (AED) auf Anhieb Sterbende retten. Allerdings sollte die Therapie unbedingt innerhalb von fünf Minuten einsetzen. In den USA bewähren sich AEDs seit Langem: Am Flughafen von Chicago retteten die Geräte laut einer Studie drei von vier damit Behandelten das Leben. Im Münchner U-Bahn-Netz, wo derzeit 50 Defibrillatoren hängen, beträgt die Überlebensrate 58 Prozent. Zehn Menschen wurden damit bereits erfolgreich ins Leben zurückgeholt. Perfektes Timing: 45 Minuten nach dem Infarkt kam der Rettungswagen mit Peplau in der Klinik an – nach einer Fahrstrecke von immerhin 50 Kilometern. Ohne weitere Verzögerung wurde er auf den Behandlungstisch des Katheterlabors gelegt und steril abgedeckt. Zwei Röntgenröhren waren auf seine Brust gerichtet. Sie lieferten Aufnahmen der Herzkranzgefäße aus verschiedenen Perspektiven. Peplau war wach, beo­ bachtete sein Herz auf den drei Monito- 36 Sonde ins Herz Über einen Zugang in der Leiste schieben Ärzte unter Röntgenkontrolle einen dünnen Draht (Katheter) bis an die verschlossene Stelle im Kranzgefäß vor. Der Patient ist dabei wach. Ballon-Dilatation An der Spitze des Herzkatheters spannt ein Ballon ein dünnes Metallgitter (Stent) im Gefäß auf. Das weiche Blutgerinnsel des Infarkts und die Wandplaque werden dabei zur Seite gedrängt. Freie Bahn Das Metallgitter hält das Kranzgefäß nun offen, der Blutfluss ist wiederhergestellt. Wenn der Eingriff in der ersten Stunde nach dem Verschluss gelingt, erholt sich der Herzmuskel. FOCUS-GESUNDHEIT Fotos: F. Heller/FOCUS-Magazin Die große Chance der ersten Stunden: Koronar-Stent Ernstfall Arterienverschluss Über Jahre hat sich durch Einfluss der Risikofaktoren in der Gefäßwand Plaque-Material gesammelt. Reißt die dünne Schicht darüber ein, gerinnt das Blut. Das Gefäß verstopft. hemmer auf dem Metallgitter verhindern ein rasches Zuwuchern mit Bindegewebszellen. Nach einer Katheter-Prozedur verbringen die Patienten einige Stunden auf der Wachstation. Bereits vier Tage nach seinem Infarkt und Herzstillstand durfte Michael Peplau die Klinik verlassen, um seine Mannschaft zu besuchen. „Nur die Rippen taten mir in Folge der Herzdruckmassage noch einige Tage furchtbar weh“, so Peplau. Nun folgen drei Wochen zur intensivierten Nachsorge in einer Reha-Einrichtung. Er hat sich für eine ambulante Therapie entschieden, „in der ich viel Sport machen will“. Peplau beabsichtigt auch, seinen Körper besser kennen zu lernen und ein Nichtrauchertraining zu absolvieren. „Wer einmal einen Infarkt hatte, bleibt lebenslang anfällig für einen weiteren“, warnt Herzspezialist Christian Kupatt. Daher ist die Vorbeugung vor erneuten Verschlüssen lebensnotBereitschaft Notarzt und der Sanitäter, der das Einsatzwendig. Nur der richtige Lebenswandel, gesunde fahrzeug lenkt, entspannen sich im Dienstzimmer, bis die Leitstelle sie zum nächsten Notfall schickt Ernährung, moderne Medikamente und regelmäßige Kontrolluntersuchungen können die Gefahr für weitere Infarkte minimieren. „Wenn das richtige Verhalten zwei, drei Wochen lang eingeübt und immer wieder erklärt wird, so ist die Chance hoch, dass die Patienten dies in ihren Alltag übernehmen“, unterstreicht Menschen täglich Kupatt seine Forderung nach intensiviererleiden in Deutschland ter Nachsorge. einen Herzinfarkt. Im Verein TuS Neuenkirchen sind alle glücklich, dass es ihrem Freund wieder Über Leben und gutgeht. Herzinfarkt kann jeden treffen Tod entscheidet die – aus heiterem Himmel und in jungen Jahren. Diese Lektion haben jetzt alle rechtzeitige Therapie Spieler kapiert. Der Vorstand hat sich entschieden, demnächst einen Defibrillator für das Vereinsheim zu kaufen. Verdacht auf Infarkt Bei Herzschmerzen werden meist Kliniken mit Katheterlabors angesteuert ren, ließ sich die Engstelle in seiner Arterie zeigen. „Ich war aufgeregt und redete den Ärzten ein wenig zu viel“, erinnert er sich. „Immerhin erfuhr ich, dass das implantierte Metallröhrchen drei Millimeter dick und einen Zentimeter lang war.“ In dem Moment, in dem sich die Gefäßstütze im verstopften Gefäß entfaltete und das Blut wieder floss, ließ der Schmerz in seiner Brust nach. „Ich war total erleichtert“, sagt der 42-Jährige. „Verschlossene Gefäße können wir in mehr als 95 Prozent aller Behandelten wieder öffnen“, sagt Kardiologe Kupatt. Fast immer bekommt der Patient dann eine Metallstütze eingesetzt, um das Gefäß dauerhaft frei zu halten. „Mit diesen Stents erreichen wir eine Verbesserung der Pumpfunktion und eine Verringerung der Sterblichkeit nach Herzinfarkt“, so der Experte. Erfahrungen hätten gezeigt, dass die früher übliche Auflösung des Blutgerinnsels mit Medikamenten oder die alleinige Aufdehnung mit dem Ballon den erneuten Verschluss nicht ebenso effektiv verhindern konnte wie Stents. Meistens entscheiden sich Ärzte heute für Stents, deren Maschenwerk mit Medikamenten beschichtet ist. Damit behandelte Patienten müssen zwar deutlich länger Tabletten zur Blutverdünnung schlucken. Dafür stehen ihre Aussichten besser, dass das Gefäß für immer offen bleibt, denn die WachstumsFOCUS-GESUNDHEIT 800 Regina Albers / Jochen Niehaus 37 da s S c h wac h e H e r z I n t e rv i e w: O r g a n s p e n d e »Wir brauchen 1000 Herzen« »Patienten über 70 Jahre bekommen bislang kein Spenderherz, das ist ein ungeschriebenes Gesetz« Der Chirurg Roland Hetzer erzählt über die Fortschritte seiner Zunft, warum Lebenretten heute einfacher ist, aber der Tod auch für ihn ein Rätsel bleibt Wagen Sie einen Blick in die Zukunft: Wird man für unsere überalternde Gesellschaft künftig noch mehr Spenderorgane brauchen? Ich habe mal einen Berliner Dirigenten an der Aorta operiert. Dafür musste ich seinen Körper auf 16 Grad herunter­ kühlen und den Blutfluss lahmlegen. Der Mann hatte 50 Minuten keine Hirn­ durchblutung mehr, war also klinisch tot. Drei Monate später erlebte ich ihn bei einem Konzert in der Philharmonie. Wie er da die Neunte von Beethoven diri­ gierte, das hat mich echt gerührt. Es hat mir gezeigt, was heute alles möglich ist. Patienten über 70 Jahre bekommen bis­ lang kein Spenderherz. Das ist ein un­ geschriebenes Gesetz unter uns Trans­ plantationsmedizinern . . . Was war für Sie der größte Fortschritt während Ihrer Karriere? Die Antwort ist einfach: Es überleben sehr viel mehr Menschen eine Herzoperation. Als ich in den 70er-Jahren anfing, war sie sehr riskant. Fast jeder Fünfte starb bei oder nach der OP. Heute sind es höchs­ tens ein bis fünf Prozent, je nach Schwere der Erkrankung. Aus dem kleinen experi­ mentellen Fachgebiet ist eine große Ver­ sorgungsdisziplin geworden – auch mit Hilfe vieler technischer Entwicklungen. Vor einem Vierteljahrhundert verwendeten Sie erstmals Pumpen, die ein schwaches Herz unterstützen. Wie lange können einen die kleinen Maschinen am Leben halten? Ich betreue noch Patienten, denen ich vor acht Jahren eine Unterstützungspumpe eingesetzt habe. Einige leben damit als Dauerlösung, weil sie gut damit klarkom­ men. Aber langfristig ist ein Spenderherz die bessere Wahl. Es bietet mehr Lebens­ qualität. Kürzlich kam ein Patient wieder, den ich bereits vor 26 Jahren ein Herz transplantiert habe. Jetzt musste ich eine Klappe am Ersatzorgan reparieren. 56 . . . das ist hart . . . . . . ja, aber zwingend, wegen der ge­ ringen Zahl der Spender. Die Überle­ benschance in dieser Altersgruppe ist deutlich schlechter, und es gibt zu viele junge Patienten mit Herzversagen, die ein Organ dringend brauchen. Ältere Patienten versorgen wir mit einem der zahlreichen Unterstützungssysteme. Damit überleben auch rund die Hälfte die ersten fünf Jahre. Das zeigen unsere Der Retter der Herzen Roland Hetzer Vor 25 Jahren übernahm der Herzchirurg das damals neue Deutsche Herzzentrum in Berlin. Bis heute ist er sein Direktor. Mit seinem Team hat er in seiner Karriere über 2000 Herzen transplantiert und 1800 Unterstützungssysteme eingepflanzt. Eine erfolgreiche Hilfspumpe, das Berlin Heart, hat er mit entwickelt. neuen Daten. Unser ältester Patient mit so einer Herzpumpe ist jetzt 82 Jahre alt. Ein 90-Jähriger in San Diego spielt mit einer Hilfspumpe seit Jahren begeis­ tert Golf. Glauben Sie, dass in naher Zukunft Schweineherzen die fehlenden Organe ersetzen können? Die Xenotransplantation ist meiner Mei­ nung nach noch in weiter Ferne. Roland Hetzer, 67 Direktor des Deutschen Herzzentrums in Berlin Haben Sie eine Idee, wie sich Deutsche zu mehr Organspenden überreden lassen? Gesunde Herzen von Hirntoten werden immer nur sehr begrenzt verfügbar sein. Im Moment können wir hierzulande 350 Herzen pro Jahr transplantieren. 1000 bräuchten wir, um viele unglückliche Schicksale zu retten. Der aktuelle Vor­ schlag von Gesundheitsminister Daniel Bahr ist ein Schritt in eine gute Rich­ tung. Jeder Kassenpatient soll künftig auf seiner elektronischen Gesundheits­ karte freiwillig angeben, ob er Organe spenden will oder nicht. Verstehen Sie das Zögern der Menschen, Organspender zu werden? Im Grunde schon. Viele Angehörige fra­ gen sich: „Ist dieser Mensch wirklich tot?“ – obwohl der Hirntod mit großer Akribie festgestellt wird. Aber eigentlich verstehen wir alle auf dieser Erde den Tod nicht. Er ist ein dunkles Kapitel, das immer Anlass für Zweifel und Ängste geben wird. Selbst für Sie, der den Tod in der täglichen Arbeit immer wieder hautnah erlebt? Ich habe auch keine Antwort auf die große Frage, was danach kommt. Interview: Claudia Gottschling FOCUS-GESUNDHEIT Foto: B. Kraehahn/FOCUS-Magazin Seit 41 Jahren operieren Sie kranke Herzen, um Menschen das Leben zu retten. Welche Geschichte hat Sie besonders beeindruckt? 57 Da s S c h wac h e H e r z »Nun kann ich endlich wieder mit meinem Sohn im Garten spielen« Neustart mit Ersatzmotor Matthew Green, 40 Der Patient lebt in Großbritannien mit einem kompletten Kunstherzen. Den sechs Kilogramm schweren Antriebsmotor außerhalb des Körpers trägt seine Frau in einer Tasche Der Austausch des menschlichen Herzens ist ein großer Traum von Ärzten. Im Team mit Ingenieuren und Tierärzten schicken sie nun neue Modelle in die Testphase Fotos: action press, ALLARD/REA/laif M 58 Kunstherz an will es unwillkürlich anfassen und streicheln. Das erste intelligente Herz. Hunderttausenden soll es das Leben retten. Wenn alles gutgeht. Warm und hart fühlt es sich an. Unter der gummiartigen Haut spürt man die Kraft, den Puls. 60-mal in der Minute zuckt der künstliche Muskel auf der Testvorrichtung im Labor. Nur das metallische Surren bei jedem Schlag irritiert und erinnert an einen Spielzeugroboter. „Im Körper wird man das Geräusch später nicht hören“, versichert Patrick Coulombier, Geschäftsführer der französischen Start-up-Firma Carmat. Die Zeit des Tüftelns ist passé. Der Countdown für den Start einer neuen Ära der Herztherapie hat begonnen. Noch vor Ende des Jahres wollen französische Ärzte ihre revolutionäre Maschine aus Plastik, Metall und Rinderzellen zum ersten Mal in einen Menschen transplantieren. Schon jetzt rufen jeden Tag verzweifelte Herzkranke im Sekretariat der Firma im Pariser Vorort Vélizy an und wollen sich für die ersten Tests bewerben. Sie sind todkrank, haben nur noch eine Hoffnung: ein neues Herz. Doch menschliche Ersatzorgane sind weltweit Mangelware. In Deutschland ist der Bedarf an Spenderherzen mehr als doppelt so hoch wie das Angebot. Das Missverhältnis schafft Pionieren wie Coulombier eine riesige Marktlücke für ihr 160 000 Euro teures High-TechProdukt. Andere Forscher stellen eine biotechnologische Lösung des Problems in Aussicht: die Herzen von mehrfach transgenen Schweinen. FOCUS-GESUNDHEIT Mechanische Schöpfung Patrick Coulombier ist Geschäftsführer der französischen Start-up-Firma Carmat. In seinen Händen hält er einen Prototypen des Kunstherzens, das diesen Herbst zum ersten Mal einem Patienten eingesetzt werden soll Ein komplettes Kunstherz ziehen Ärzte erst in Betracht, wenn das Herz so stark geschädigt ist, dass beide Herzkammern ihren Dienst versagen. Dann können auch Unterstützungspumpen meist nicht mehr helfen. „Unser Ziel ist, dass künftig Ärzte einfach ein vorgefertigtes Herz aus dem Regal nehmen können, um Menschen damit das Leben zu retten“, sagt Ingenieur Coulombier. Das 750 Gramm schwere Carmat-Kunstherz soll eine langfristige Alternative bieten zum Spenderherzen eines Toten. Ärzte arbeiten schon lange am Traum des Austauschmotors. In den 60erJahren des vergangenen Jahrhunderts wurde der erste – erfolglose – Versuch unternommen, die köpereigene Pumpe durch eine Maschine zu ersetzen. Überlebt hat bis heute nur ein System aus den USA namens Syncardia. Es ist eine Weiterentwicklung des legendären JarvikHerzens der 80er-Jahre und kommt als Notlösung zum Einsatz – bis ein Spenderherz zur Verfügung steht. Denn im Unterschied zum französischen Modell ist bei dem amerikanischen System der Motor nicht integriert. Ein pneumatisches Antriebssystem außerhalb des Körpers steuert den Blutfluss. Patienten konnten mit diesem Kunstherz-Klassiker bisher kaum das Krankenhaus verlassen, weil ein kleiner Rollschrank mit der Technik ihr ständiger Begleiter war. Das ändert sich nun. Eine modernisierte Variante des Syncardia-Herzens hat im Juni der 40-jährige Brite Matthew Green im Papworth Hospital in Cambridgeshire implantiert bekommen. Beide Herzkammern des 59 Da s s c h wac h e H e r z Kunstherz Das intelligente Kunstherz 60 derungen haben wir schon eingeführt, um die Abstoßungsreaktion zu unterbinden“, sagt Wolf. Noch ein oder zwei weitere sind geplant, bis Schweineherzen vom Körper des Patienten toleriert werden. „Im Moment ist die Xenotransplantation noch zu unsicher“, räumt Reichart ein. Auch Kunstherzexperte Körfer ist vorsichtig, warnt vor übereilten Versuchen am Menschen: „Ich freue mich über Fortschritte, aber nicht um jeden Preis.“ Die Rechnung würden Patienten mit dem Leben bezahlen. Ein Risiko bei Kunstherzen seien Thrombosen, die entstehen, wenn Blut mit mechanischen Bauteilen in Kontakt gerät. Dieses Problem wollten die französischen Kunstherz-Pioniere geschickt umgehen: Vor 18 Jahren tat sich einer der Erfinder von biologischen Herzklappen, Alain Carpentier, mit Ingenieuren der Firma Matra, heute eine Tochter Claudia Gottschling FOCUS-GESUNDHEIT Pulmonalklappe Trikuspidalklappe Herzkammern Mitralklappe Kunststoffgehäuse biologische Membran Materialmix elektronische Steuerung mit Sensoren Ein Blick ins Innere zeigt die verschiedenen Kompartimente: Das Blut fließt nur durch die zellbeschichteten Membranen der Herzkammern. Außerhalb des Kunststoffgehäuses liegen zwei elektrohydraulische Pumpen. Sie bewegen indirekt, über ein Silikonöl, die Memb­ranen. Sensoren regulieren das System. Schließlich umhüllt die ganze Technik eine gummiartige Haut. Motoren Kabeleingang Herzkammern, mit Rinderzellen beschichtet Blut Stromkabel unter der Haut In Aktion Je nach körperlicher Anstren­ gung pumpen die Motoren vier bis neun Liter pro Minute durch das Herz. Das Blut kommt nicht mit den Motoren in Kontakt. Diese neue Konstruktionsweise soll Schwerkräfte und damit ein Verklumpen verhindern. Strömungsexperten aus dem Flugzeugbau haben die wellenförmigen Bewegungen der beiden Herzkammern optimiert. Motoren Kunstherz Akku 1 INF OGR AF IK Herzen vom Bauernhof Transplantationschirurg Bruno Reichart (l.) und der Veterinärmediziner Eckhard Wolf erforschen die Xenotransplantation. Ihre Vision: Ein Schweineherz unterstützt das kranke Organ des Menschen des Luft- und Raumfahrtkonzerns EADS, zusammen. Der renommierte Pariser Herzchirurg hatte die Idee, alle Kunststoffteile, die mit Blut in Kontakt kommen, mit Rinderzellen auszukleiden. Eine Technik, die sich bei künstlichen Herzklappen bewährt hat, weil das Blut so weniger leicht verklumpt. Heute produziert die „Fab­ rik der Herzen“ unter dem Namen Carmat in einem Gewerbegebiet, nicht weit von Versailles. Der sterile Reinraum ist ein umgebautes Büro und nicht größer als ein Klassenzimmer. Carmat zählt nur 35 Mitarbeiter. Doch rund 25 weitere Firmen liefern Bauteile zu. Aus der Flugzeugtechnik stammen die Bewegungs- und Drucksensoren im Kunstherzen. Mit deren Daten passt es die Leistung an die Bedürfnisse seines Besitzers automatisch an. Beim Schlafen pumpt es langsamer, beim Treppensteigen schneller. Erstmals sei somit ein Herz entwickelt, das „mitfühlt“ und erkennt, wie heftig es schlagen muss, erklärt Coulombier. Aber auch mit diesem Kunstherzen werden die ersten Testpatienten sechs Kilo schwere Akkus herumtragen, die sie alle fünf Stunden austauschen müssen. Bis es auf den Markt kommt – wenn alles klappt im Jahr 2013 – soll sich das Gewicht auf 1,5 Kilo reduzieren. Ob die Pariser Kunstpumpe im Körper ebenso gut schlägt wie bei den unzähligen Belastungstests im Labor, ist offen. In Tierversuchen wurde das nur für Menschen konzipierte Herz nicht getestet. Die ersten sechs Patienten sollen in französischen Hospitälern operiert werden. Dann folgen weitere 16 Kandidaten, unter anderem auch in Deutschland. Der 78-jährige Alain Carpentier wird mit am OP-Tisch stehen, wenn sein Lebenswerk die Bewährungsprobe erfährt. „Das ist, wie wenn ein neues Flugzeug zum ersten Mal abhebt – es muss einfach sofort optimal funktionieren“, sagt er. Foto: W. Heider-Sawall/FOCUS-Magazin Familienvaters hatten versagt. Monatelang lag er im Krankenhaus. Herzchirurgen entfernten sein erschlafftes Organ und setzten ihm die Doppelkammer aus Kunststoff ein. Ein dicker Plastikschlauch führt durch die Bauchdecke zu dem verkleinerten Antriebssystem. Er kann es in einer Tasche umhertragen. So darf er die Klinik verlassen und zu Hause im Kreis seiner Familie auf ein Spenderherz warten. „Zuvor konnte ich kaum noch laufen“, erzählte Green der BBC, „jetzt gehe ich wieder unter Leute und war sogar schon im Pub.“ Das Ersatzteil habe sein „Leben revolutioniert“. Am Deutschen Herzzentrum in Berlin wartet ebenfalls ein Patient mit einem solchen Trage­ taschenherz auf einen Spender. An einem neuen, voll implantierbaren Kunstherzen made in Germany arbeitet der Transplantationschirurg Reiner Körfer vom Klinikum Niederrhein in Duisburg zusammen mit Technikern der RWTH Aachen. „Den Prototyp namens ReinHeart haben wir bereits in Kälbern und Schweinen erfolgreich getestet“, sagt Körfer. Schweine könnten künftig auch direkt als Lebensretter dienen. Für Bruno Reichart ist die Xenotransplantation eine attraktive Alternative zum Kunstherzen. Der vor Kurzem emeritierte Chef der Herzchirurgie am Uniklinikum München Großhadern hat die Vision, dass Schwerkanke ein Herz vom Schwein transplantiert bekommen – zur Unterstützung des geschwächten eigenen Muskels. „Huckepack“ nennt er das anspruchsvolle Operationsverfahren. So wird der kranken Pumpe Arbeit abgenommen, bis ein Spenderorgan eintrifft. Lange Jahre waren die Studien an Pavianen entmutigend: Nach spätestens drei Wochen hatte ihr Immunsystem das Schweineherz abgestoßen. Doch nun ist Reichart optimistisch: „Uns ist zum ersten Mal gelungen, die Abstoßungsreaktion in Schach zu halten.“ Ein Tier hätte deutlich länger mit dem Fremdorgan überlebt, so Reichart. Ein Erfolg, der mit Hilfe der Gentechnologie gelang. Auf einem unscheinbaren alten Bauernhof im Norden von München perfektioniert Reicharts Mitstreiter, der Veterinärmediziner und Klonexperte Eckhard Wolf von der LMU München, die Organspender. Er verändert das Erbgut von Schwäbisch-Hällischen Landschweinen auf eine Weise, die das Immunsystem des Menschen austrickst. „Drei genetische Verän- Ein Team aus Raumfahrtingenieuren, Ärzten und Medizintechnikern hat ein Kunstherz entwickelt, das der Anatomie der natürlichen Pumpe sehr ähnlich ist. Ende des Jahres be­ kommen es die ersten Patienten in Frankreich transplantiert. Es ersetzt ihr krankes Herz und soll eine lang­ fristige Alternative zu einem Spen­ derherzen bieten. Eine Besonderheit ist die intelligente Steuerung der Pumpen mit Hilfe von Sensoren. Sie messen die Bewegungen (Treppen­ steigen) oder die Position (Schlafen) des Trägers und passen den Blut­ druck an. Um das Thromboserisiko zu senken, wurden die Herzkammern mit Zellen aus dem Herzbeutel von Rindern ausgekleidet, inspiriert durch die Erfolge mit biologischen Herzklappen. Aortenklappe Kontrollgerät Akku 2 Mensch mit Maschine Die Herzmotoren verbrauchen viel Strom. Diesen liefern zwei ca. 1,5 Kilogramm schwere Akkus, die der Patient unterm Arm trägt. Das Verbindungskabel führt nicht wie üblich am Bauch in den Körper, sondern durch den Schädelknochen hinterm Ohr. Das verringert die Infektionsgefahr. Mit dem Kontrollgerät kann der Patient telemedizinisch überwacht werden. Da s s c h wac h e H e r z Herzklappen Die Ventil- Tüftler Innovationen bei dem Ersatz von Herzklappen ermöglichen es heute Chirurgen, auch älteren Patienten zu helfen. Nun warten die Experten auf Langzeitergebnisse W »Vermehrt reparieren wir heute beschädigte Herzklappen, statt neue einzusetzen« 64 Fotos: S. Doering/FOCUS-Magazin Klaus Matschke, Direktor der Herzchirurgie an der Universitätsklinik Dresden, erholt sich von den Anstrengungen einer Operation. Der Kardiologe setzt verstärkt auf sanfte Methoden, um kranke Herzen zu heilen FOCUS-GESUNDHEIT FOCUS-GESUNDHEIT enn Benny Levenson sein Stethoskop auf die Brust legt, hört er nicht nur ein Pochen, sondern ein ganzes Konzert. Jeden Tag lauscht der Berliner Herzspezialist Dutzenden Kompositionen seiner Patienten. Ein kräftiger Basston entsteht, wenn der Hohlmuskel sich beim Schlag verengt und das Blut gegen die geschlossenen Herzklappen prallt. Heller, lauter dann der zweite Herzton, bei dem das Blut nach dem Schluss der Aortenklappe in den Gefäßen schwingt. „Jede Herzerkrankung hat ihren eigenen Sound“, erklärt Levenson, Vorstandsmitglied des Berufsverbands der niedergelassenen Kardiologen. Geschädigte Herzklappen stören den Rhythmus. „Wenn Kalk etwa die Mitralklappe verengt, gibt sie beim Öffnen einen leisen Klick von sich. Dann folgt meist das typische tieffrequente Rumpeln bei der Passage des Blutes an der Engstelle.“ Erkrankungen der vier Herzklappen erkennt der Arzt mit seinem Stethoskop bereits am Geräusch. Die Arbeit des Herzens steigt enorm, wenn es das Blut durch klemmende Ventile pressen muss. Schließen die Klappen nicht mehr richtig, läuft der Körpersaft sinnlos hin und her. „Anfangs kann der Muskel die erhöhte Druck- und Volumenbelastung noch ausgleichen“, weiß Levenson. „Aber früher oder später entwickelt sich doch eine Herzschwäche.“ Die Durchblutung von Körperkreislauf und Lungen sinkt ab. Patienten mit schweren Klappendefekten fühlen sich krank, sie sind müde und schwach. Hilfe bietet nur die Reparatur oder der Ersatz der schadhaften Ventile bei einer Operation. Fast jeder fünfte der jährlich wegen eines schwachen Herzens stationär behandelten Patienten leidet an defekten Klappen. Für sie gibt es Hoffnung. Denn neue operative Verfahren haben die Herzklappenchirurgie verbessert. Von den Innovationen profitieren vor allem ältere Patienten, welche die Chirurgen vorher nur sehr schwer therapieren konnten. Seit dem Jahr 2000 sind die Behandelten im Durchschnitt zehn Jahre älter. Dies ließ auch die Zahl der Eingriffe steigen – 2010 um knapp sieben Prozent gegenüber dem Vorjahr. „Aber die Erfolge sind geblieben, trotz der kränkeren und älteren Patienten“, freut sich Friedrich Mohr, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie (DGTHG). Angesichts der Bevölkerungsentwicklung erwartet der Leipziger Klinikdirektor, dass der Trend die kommenden Jahre anhält. Eine der Entwicklungen betrifft die Operation des „Einlassventils“ im Herzen zwischen linkem Vorhof und linker Herzkammer, der Mitralklappe. Hier hat sich die chirurgische Wiederherstellung des defekten Gewebes etab­ liert. Laut einer Studie der DGTHG (Leistungsstatistik 2010) liegt der Anteil von Herzklappenpatienten, bei denen eine defekte Mitralklappe noch repariert werden kann, bei 64 Prozent. Die anderen Betroffenen bekommen eine neue, künstliche Herzklappe. 65 Da s Ta k t lose H e r z rhythmusstörungen »Schluss mit dem Flimmern« Vorhof-Narben Lars Eckardt Kommt das Herz regelmäßig aus dem Tritt, drohen Leistungsabfall und sogar Schlaganfall oder plötzlicher Herztod. Ärzte können mit Medikamenten und neuartigen Kathetereingriffen helfen 70 FOCUS-GESUNDHEIT Foto: M. Thelen/FOCUS-Magazin An der Uniklinik Münster führt der Mediziner Eingriffe mit dem Katheter durch. Dabei orientierte er sich an dem 3-D-Bild des linken Vorhofs. Die weißen Punkte markieren die Stellen, an denen er mit Strom Narben gesetzt hat. Diese schotten die Lungenvenen elektrisch ab, da von ihnen oft Flimmerattacken ausgehen. 71 da s Ta k t lose H e r z rhythmusstörungen D ass ausgerechnet sein Herz ihm Probleme bereiten würde, damit konnte Reiner Meyer nicht rechnen. Der 51-jährige Berufsfeuerwehrmann betreibt seit über 30 Jahren Ausdauersport. Trotzdem spielte sein Herz vor sechs Jahren beim Training verrückt. „Während des Laufens war plötzlich Feierabend“, erzählt Meyer. „Die Brust zog sich zusammen, ich bekam keine Luft mehr.“ Sein Puls sprang wie wild zwischen 70 und 200. Die Ursache des Leistungseinbruchs lag in Meyers Herzvorhöfen, sagten die Ärzte. Sie zuckten völlig unkoordiniert mehr als 300-mal pro Minute: Vorhofflimmern. Die Krankheit ist mit einer Million Betroffenen in Deutschland die häufigste Herzrhythmusstörung. Bei fast jedem Menschen gerät der Kreislaufmotor mindestens einmal im Leben ins Stottern. Die fein abgestimmte Choreografie aus elektrischen Impulsen am Herzen, die dafür sorgt, dass sich zuerst die Vorhöfe und dann die Kammern zusammenziehen, ist störanfällig. Normalerweise geht die Erregung von einem zentralen Taktgeber, dem Sinusknoten, aus. Einzelne Zellen, die ebenfalls ein Erregungspotenzial erzeugen können, sitzen aber auch verstreut im Herzmuskel. Feuern diese Nebenzentren außer der Reihe, gerät der Puls ins Stolpern. Daneben können auch Veränderungen der Gewebestruktur die Pumpe aus dem Takt werfen. Dabei sind einzelne Extraschläge meist harmlos. Als krankhaft betrachten Mediziner nur Unregelmäßigkeiten, die über einen gewissen Zeitraum anhalten. Bei Reiner Meyer wollte das Vorhofflimmern nicht mehr aufhören. „Wenn ich die Kellertreppe hochgegangen bin, hat sich das angefühlt, als wäre ich auf den Kölner Dom gestiegen.“ Wenige Tage nach seinem abgebrochenen Training setzten Ärzte das Herz mit einem Elektroschock wieder in den gewohnten Takt. Bei vielen Vorhofflimmer-Patienten beruhigt sich der Achterbahn fahrende Puls von allein. Auch häufige Beschwerden wie Herzklopfen oder Schwindel verschwinden zunächst nach Minuten oder Stunden. 70 Prozent aller Vorhofflimmer-Anfälle verlaufen unregistriert. Die Berlinerin Marianne Logé ist wegen Herzrasen seit fünf Jahren in kardiologischer Behandlung. Erst im Februar 2011 entdeckte der Arzt Unregelmäßigkeiten im Elektrokardiogramm (EKG): Anzeichen ihrer flimmernden Vorhöfe. „Ich habe davon nie etwas gemerkt“, berichtet die 59-Jährige. Charakteristischerweise fehlt in den Herzstromkurven der Ausschlag, der beim Zusam- menziehen der Vorkammern entsteht („P-Welle“, s. Grafik S. 75). Darüber hinaus wechselt der Abstand zwischen zwei Ausschlägen ständig. Vor der Therapie sollte der Arzt die Herzrhythmusstörungen mindestens einmal im EKG nachweisen. Welche Art der Untersuchung folgt, hängt davon ab, wie häufig die unregelmäßigen Schläge auftreten und wie lange sie anhalten. Meist kehren die Anfälle wieder. „Das Vorhofflimmern verändert die elektrische Erregbarkeit des Vorhofs“, erklärt Dietrich Andresen vom Berliner Klinikum am Urban. Im überlasteten Gewebe entstehen kleine Narben, welche die Herzströme, anders als die Muskel­ zellen, nicht übertragen. So verändert sich das Reizleitungsmuster, und die Gefahr einer chronischen Rhythmusstörung steigt. „Man muss den Teufelskreis früh unterbrechen“, mahnt Lars Eckardt, der die Abteilung für Rhythmologie am Uniklinikum Münster leitet. Gegen den unregelmäßigen Takt helfen Medikamente. Diese sogenannten Antiarrhythmika stellen den geordneten Herzschlag wieder her. Je nachdem, wie gesund das Herz ist, kann der Arzt zwischen verschiedenen Präparaten wählen. Das wirksamste ist Amiodaron, es führt jedoch auch häufiger zu Nebenwirkungen als andere Mittel. Bei Wie der richtige Rhythmus entsteht Eine fein orchestrierte Erregung bewirkt, dass sich die Zellen des Herzmuskels koordiniert kontrahieren. Bei Vorhofflimmern kann ein Kathetereingriff helfen. 72 obere Hohlvene Sinusknoten AV-Knoten rechter Herzvorhof rechte Herzkammer Lungenvenen linker Herzvorhof linke Herzkammer Nervenfasern untere Hohlvene erhitzte Katheterspitze Lungenarterie Herz (Schnitt) Vorhofscheidewand kreisförmige Verödung um die Lungenvenen (einzeln oder paarweise) rechter Herzvorhof Katheter wird über die Leistenvene eingeführt linker Herzvorhof untere Hohlvene Herz (Schnitt) FOCUS-GESUNDHEIT Fotos: D. Asbach/FOCUS-Magazin Im Herzen sitzen Schrittmacher, also Muskelzellen, von denen eigenständig eine elektrische Entladung ausgeht. Die wichtigsten heißen: Sinusknoten und AV(Atrioventrikular-)Knoten. Grafik ganz rechts: Bei der Ablation wird ein Katheter ins Herz eingeführt, der einen Schrittmacher verödet, wenn dieser ein Vorhofflimmern verursacht. Patient Meyer griff das im Medikament enthaltene Jod die Schilddrüse an; 2009 musste sie entfernt werden. Arzneimittel zur Frequenzkontrolle wie etwa Betablocker senken den Puls. Bei schwach ausgeprägten Symptomen und bei Menschen über 65 Jahren ist es Arzt und Patient überlassen, nur die Herzfrequenz zu senken und keine Rhythmusmedikamente einzusetzen. Flimmern die Vorhöfe dauerhaft, ist die Kardioversion das Mittel der Wahl. So heißt der Einsatz von Elektroschocks, welche den Herzschlag wieder normalisieren. Bleiben diese allerdings wirkungslos, helfen häufig auch Antiarrhythmika nicht mehr. Die Medikamente unterdrücken die Symptome und verlängern den Zeitraum, bis Vorhofflimmern chronisch wird. Für viele ältere Patienten, den Großteil aller Betroffenen, ist das erFOCUS-GESUNDHEIT »Beim Laufen war Feierabend. Ich kriegte keine Luft mehr« Reiner Meyer, 51 Der Berufsfeuerwehrmann litt mehr als fünf Jahre unter Vorhofflimmern. Zeitweilig war er so schwach, dass er sich bei Spaziergängen von Golden Retriever July ziehen lassen musste. Nach erfolgreicher Ablation rennt und radelt der passionierte Ausdauersportler heute wieder träglich, denn wenn das Herz selbst wieder ruhig schlägt, gewöhnen sich viele Patienten an die zitternden Vorkammern. „Bei Patienten unter 60 Jahren und wenn die Symptome besonders stark sind, besteht der Wunsch nach Beseitigung der Störung“, weiß Kardiologe Andresen. Dauerhafte Beschwerdefreiheit verspricht nur eine Ablation, bei der die Quellen des elektrischen Störfeuers unschädlich gemacht werden. Reiner Meyer fiel die Entscheidung für den Eingriff nicht schwer. Weder Elekt­ roschocks, zeitweilig mit nur wenigen Wochen Abstand, noch Medikamente halfen dauerhaft. Anfang 2009 lag er zum ersten Mal auf dem Kathetertisch. Bei dem Eingriff wird unter örtlicher Betäubung ein dünner Schlauch durch die Leistenvene zum rechten Vorhof geschoben. Über einen kleinen Schnitt in der Vorhofscheidewand gelangt das Gerät in den linken Vorhof. Mit der Katheterspitze vermessen die Ärzte genau, auf welchem Weg die Erregung durch das Gewebe fließt. Beim Flimmern stammen die Fehlzündungen häufig aus den Lungenvenen. Um die Mündungen dieser Gefäße in den Vorhof zieht der Arzt eine Linie, indem er das Gewebe mit der Katheterspitze erhitzt oder erfriert. Die Narben stoppen die Störsignale wie eine Isolierschicht (s. Grafik l. u.). Nach der ersten Verödung bleiben etwa 60 Prozent der Patienten beschwerdefrei. Jeder vierte benötigt eine weitere Ablation. Feuerwehrmann Meyer musste sogar viermal auf den Kathetertisch, immer wieder kam das Vorhofflimmern nach Tagen oder Wochen zurück. Besonders anstrengend fand er es, lange ruhig zu liegen, einmal mehr als vier Stunden. Jetzt schlägt sein Herz seit über einem halben Jahr wieder normal. Während führende Kardiologen dafür plädieren, gegen Vorhofflimmern vor einer Ablation zumindest ein Antiarrhythmikum zu probieren, ist die Katheterbehandlung gegen andere Beschwerden längst erste Wahl. „Die Ursache für die meisten Rhythmusstörungen können wir heute genau lokalisieren und dauerhaft heilen“, sagt Lars Eckardt. Bei Vorhofflattern handelt es sich um eine meist in der rechten Vorkammer kreisende, regelmäßige, schnelle Erregung. Um den Kreisstrom zu unterbrechen, ziehen Ärzte eine Narbenlinie von der 73 unteren Hohlvene bis zur Trikuspidalklappe, dem Ventil zwischen rechtem Vorhof und Hauptkammer. In vielen Fällen von Herzrasen existiert eine überzählige Muskelbahn. Sie wirkt wie ein Kabel, über das Signale zwischen Vorhof und Herzkammer zirkulieren. Ist die Leitung verödet, hört das Pulsrennen auf. Auch wenn Vorhofflimmern und -flattern keine akute Gefahr bedeuten – das Risiko von lebensbedrohlichen Schlaganfällen und Embolien steigt, wenn das Blut in den zuckenden Vorkammern stockt. „Gerade mit Vorhofflimmern verbundene Schlaganfälle sind besonders schwer“, sagt Stefan Hohnloser, Elektrophysiologe am Uniklinikum Frankfurt. Das Blut flüssig zu halten ist daher ein zentrales Ziel der Behandlung. Bislang standen dafür nur sogenannte Cumarine zur Verfügung, in Deutschland hauptsächlich die Wirkstoffe Mar74 »Ich hatte von meinem Vorhofflimmern nie etwas bemerkt« Marianne Logé, 59 Die Hausfrau kann sich auf die Arbeit in ihrem Garten wieder freuen. Gerade erst wurden ihre unkoordiniert zuckenden Vorhöfe verödet. Ihre Rhythmusstörung war ihr nicht einmal aufgefallen, doch die daraus erwachsenden Risiken waren immer da. Sie hofft nun darauf, durch den Eingriff keine Medikamente mehr zu benötigen cumar und Falithrom. „Weder der Arzt noch der Patient liebt Marcumar“, gesteht Hohnloser. Wer die Tabletten einnimmt, muss in kurzen Abständen seine Gerinnungswerte überprüfen lassen. Außerdem hebeln viele Vitamin-K-haltige Lebensmittel die Blut verdünnende Wirkung aus. Komplikationen können auch in Kombination mit anderen Arzneien auftreten. Zudem ist das Risiko von Gehirnblutungen leicht erhöht. Wegen der Schwierigkeiten verzichten Ärzte bei fast der Hälfte der Patienten, bei denen es angezeigt wäre, auf die wichtigen Anti-Klumpen-Medikamente. Eine Reihe von Gerinnungshemmern, die direkten Thrombin-Hemmer, werden gerade erst zugelassen oder stehen kurz vor der Freigabe. Sie bieten gegenüber Cumarinen Vorteile: Patienten müssen nicht mehr regelmäßig zum Blutcheck, es sind keine Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten und Lebensmitteln bekannt, und bei gleicher Effektivität wie Marcumar ist das Blutungsrisiko geringer. „Wir begrüßen die Entwicklung neuer Antikoagulantien“, erklärt Kardiologe Andresen. Er will damit insbesondere Patienten helfen, bei denen man bisher Blutverdünner nur schlecht einsetzen konnte. „Bei gut auf Marcumar eingestellten Patienten würde ich derzeit nicht zu den neuen Wirkstoffen wechseln.“ Noch, so betont er, wisse man wenig über die Langzeitwirkung der Präparate. Ob Patienten die Blutverdünner auch nach erfolgreicher Ablation ein Leben lang einnehmen sollten, darüber herrscht Uneinigkeit. Eine 2008 veröffentlichte Untersuchung der New Yorker Columbia University zeigte, dass fünf Jahre nach dem Eingriff ein Viertel der Behandelten wieder Vorhofflimmern aufwies. Eine alternative Schlaganfall-Prophylaxe, auch für Menschen, die keine Blutverdünner vertragen, ist der Verschluss des linken Vorhofohres. In der etwa zwei Zentimeter langen Ausbuchtung entstehen neun von zehn der gefürchteten Blutgerinnsel. Der Eingriff kann stattfinden, wenn sowieso eine Herzoperation ansteht. Unkomplizierter ist eine Katheter-Therapie, bei der ein Schirm in der Aussackung platziert wird. Laut einer Studie aus dem Jahr 2009 traten bei so behandelten Patienten nach dem Eingriff weniger SchlaganFOCUS-GESUNDHEIT Fotos: S. Jaenicke/FOCUS-Magazin, Kompetenznetz Vorhof flimmern (AFNET) d a s Ta k t l o s e H e r z fälle, Embolien und Todesfälle auf als in einer Vergleichsgruppe mit Blutverdünnung. Allerdings kam es beim Einsetzen zu Komplikationen. Bei jedem 20. Patienten trat ein Bluterguss im Herzbeutel auf, in einem von 100 Fällen ein Schlaganfall. Anders als durch die Taktlosigkeit in den Vorhöfen besteht bei Rhythmusstörungen der Herzkammern akute Lebensgefahr. Beim Kammerflattern erhöht sich die Frequenz bis auf über 250 Schläge pro Minute. Kammerflimmern dagegen bezeichnet das unkoordinierte Zucken des Herzmuskels. In beiden Fällen bleibt zwischen zwei Schlägen zu wenig Zeit, damit das Blut nachfließen kann. Die Folge: Der Kreislauf bricht zusammen, die Patienten werden innerhalb von Sekunden bewusstlos. Bis zu 150 000 Menschen sterben pro Jahr in Deutschland am plötzlichen Herztod, in vier von fünf Fällen ist eine Herzrhythmusstörung die Ursache. Nur eine rasch begonnene Herzdruckmassage kann die Zeit bis zum Eintreffen des Notarztes überbrücken. Um den Herzrhythmus wieder in den Normalzustand zu versetzen, hilft allein ein Elektroschock aus einem Defibrillator (mehr dazu: Notfallmaßnahmen S. 38 und 39). Hat ein Patient einen Herzstillstand überlebt, soll ihn ein implantierter Defibrillator (ICD) vor weiteren Stillständen bewahren. „Ein ICD ist bei diesen Menschen zwingend“, sagt Stefan Hohnloser. Das Gerät erkennt zuverlässig, wenn der Herztakt ausreißt, und gibt dann einen normalisierenden Impuls ab. Zusätzlich sollen Medikamente die Zahl der belastenden Attacken verringern. Ist das Herz bereits schwer geschädigt, etwa nach einem großen Herzinfarkt, werden ICDs wegen des erhöhten Risikos von Kammerflimmern heute bereits prophylaktisch eingesetzt. Patienten erscheint es oft, als würden Herzrhythmusstörungen wie aus heiterem Himmel auftreten. Doch die Taktverluste bahnen sich lange an, und viele Ursachen sind bekannt. „Häufig ist ein schlecht eingestellter Blutdruck Auslöser für Vorhofflimmern“, erläutert Dietrich Andresen. Auch Herzschwäche steigert die Anfälligkeit für Fehlschläge. 80 Prozent der Patienten mit lebensgefährlichen Kammerstörungen haben eine Verengung der Herzkranzgefäße, die sich FOCUS-GESUNDHEIT Vorsorge Der Patient auf dem Ergometer lässt bei der Ärztin ein Belastungselektrokardiogramm (EKG) anfertigen. Bei jedem Schlag läuft ein schwacher elektrischer Strom über das Herz, welchen die am Brustkorb angebrachten Elektroden erfassen (siehe unten). Die Form des EKGs erlaubt Rückschlüsse auf koronare Herzerkrankungen, Bluthochdruck, Herzrhythmusstörungen oder die Belastbarkeit nach einem Infarkt. Kurven-Medizin Der normale Verlauf des Elektrokardiogramms (EKG) bei gesunden Patienten Vorhöfe pumpen Blut in die Herzkammern („P-Welle“) Herzkammern ziehen sich zusammen Die Herzkammern kehren in den Ausgangszustand zurück r h y th m usst ö r ungen meist über Jahre oder Jahrzehnte entwickelt. Auch größere Mengen Alkohol können das Herz aus dem Takt werfen. „Rhythmusstörungen kann man in vielen Fällen verhindern oder verzögern, wenn man die Grunderkrankung rechtzeitig und konsequent behandelt“, sagt Intensivmediziner Andresen. Wer nahe Verwandte hat, die früh an Herzrhythmusstörungen erkrankt sind oder gar einen plötzlichen Herztod erlitten haben, sollte besonders aufmerksam sein. Bei etwa zehn bis 20 Prozent der Vorhofflimmer-Patienten tritt die Krankheit in der Familie gehäuft auf. Bislang sind etwa 15 Varianten im Erbgut entdeckt, die auch bei Menschen ohne familiäre Vorbelastung das Risiko für Vorhofflimmern steigern. „Doch die Forschung zur Genetik von Vorhofflimmern steht noch am Anfang“, gesteht Daniela Husser-Bollmann vom Herzzentrum Leipzig. Mehr wissen die Experten über seltene angeborene Rhythmusstörungen. Beim Long-QT-Syndrom sind Ionenkanäle im Herzmuskel gestört, Träger einer entsprechenden Genvariante erleiden häufig vor dem 30. Lebensjahr Ohnmachten, weil ihr Herz den Takt verliert. HusserBollmann betreut etwa 200 Familien mit solchen Leiden. „Long-QT-Patienten erhalten bei uns eine genetische Diagnostik. Damit können wir Aussagen über das Risiko und den Therapieerfolg machen.“ Je nachdem, welches Gen und damit welcher Ionenkanal betroffen ist, schlagen Betablocker gut an oder ist ein implantierter Defibrillator nötig. Die Rhythmologin hofft, dass es in Zukunft gelingen wird, auch für häufigere Rhythmusstörungen „die Therapie auf die DNA zuzuschneiden“. Reiner Meyer läuft nach seiner erfolgreichen Behandlung wieder zwei- bis dreimal pro Woche zehn Kilometer. Auf eine gute Zeit legt er dabei keinen Wert mehr, seitdem er erleben musste, wie langsam sein Körper sein kann. n PAUL KLAMMER 75 Da s TA k t lose H e r z schrittmacher Anschub mit Köpfchen Die einst simplen Impulsgeber sind komplexe Überwachungsgeräte geworden. Implantierte Defibrillatoren retten täglich Menschen vor dem plötzlichen Herztod 76 derungen der Stromleitung auf, schlagen Alarm, wenn es mit der Batterie zu Ende geht. Bei Patienten mit Herzinsuffizienz registrieren die Geräte gar, ob sich Flüssigkeit in Lunge und Brust eingelagert hat. Das träge Herz unterstützen sie außerdem nur dann, wenn es nötig ist. „Heute sind alle Geräte Bedarfsschrittmacher“, erklärt Joachim Winter von der Klinik für Kardiovaskuläre Chirurgie der Universitätsklinik Düsseldorf. Doch damit nicht genug. Die HighTech-Apparate passen sich eigenständig körperlicher Aktivität an, beschleunigen ihren Takt, wenn der Patient zum Beispiel Sport treibt oder Sex hat. Die neueste Errungenschaft der Medizinforscher ist ein Herzschrittmacher, der sogar eine Untersuchung im Magnetresonanztomografen aushält. Bislang war dies ein Tabu für die Patienten. Die Magnetfelder hätten die Geräte zerstört. Auch die Handhabung ist einfacher denn je. Ärzte aktivieren den Schrittmacher mit einem Programmiergerät und stellen ihn auf die individuellen Bedürfnisse des Patienten ein. Bei Kontrollterminen lesen sie die Aufzeichnungen des Taktgebers aus und variieren, wenn nötig, die Funktionen. „Manchmal kann ein Patient, der lange einen sehr langsamen Herzschlag hatte, mit dem ungewohnt schnellen Takt nicht einschlafen. Dann dimmen wir die normale Ruhefrequenz herunter“, erklärt Herzspezialist Winter. Je nachdem, welche Unterstützung das Herz für seine Pumparbeit benötigt, wählt der Kardiologe 1-, 2- oder 3-Kammer-Systeme aus. Das heißt: Schutzengel im Brustkorb Deutlich ist im Röntgenbild der Schatten des Herzschrittmachers mit Batterie und Elektronik links in der Brust des Patienten zu erkennen. Es handelt sich dabei um einen sogenannten 3-Kammer-Taktgeber: Je ein Draht einer Elekt- Foto: Getty Images D er Patient war gerettet – doch der Arzt wurde gefeuert. So kann es im Medizinbetrieb dem gehen, der sich nicht an die Order des Vorgesetzten hält: Der damalige Oberarzt Heinz-Joachim Sykosch setzte am 6. Oktober 1961 einem Patienten einen Herzschrittmacher ein, obwohl es ihm sein Chef verboten hatte. „Ich war überzeugt davon, dass das ständig aussetzende Herz eines 18-jährigen Unfallopfers mit dem Apparat wieder regelmäßig schlagen würde“, erzählt der heute 86-Jährige. Er behielt Recht. Der Mann lebte noch 25 Jahre, gründete eine Familie und starb an einem Nierenleiden. Der mutige Arzt war fortan ein Held der Kardiologie – und wurde wieder eingestellt. Die erste deutsche Schrittmacher-OP feiert in diesem Jahr ihren 50. Geburtstag, und mittlerweile ist der Eingriff Routine. Rund 100 000-mal pro Jahr setzen Mediziner Patienten in Deutschland einen Taktgeber fürs Herz ein. Der Schrittmacher sendet Stromimpulse, um einen langsamen Herzschlag zu beschleunigen und den natürlichen Rhythmus herzustellen. Für die Operation genügen eine örtliche Betäubung und ein kleiner Schnitt unter dem Schlüsselbein. Nach weniger als einer Stunde ist alles erledigt. Die Schrittmacher von heute sind kleine Wunderwerke. Sie sind kaum größer als eine Herrenarmbanduhr, wenige Gramm schwer und dabei multifunktionale Überwachungszentralen: Langlebige Batterien lassen sie fünf bis zehn Jahre laufen, Mikroprozessoren kontrollieren die Herzfunktionen. Sie zeichnen Verän- FOCUS-GESUNDHEIT rode führt im Bogen an der Aorta vorbei in den rechten Vorhof und in die rechte Herzkammer. Ein drittes Kabel entspringt dem Schrittmacher und erreicht die deutlich geweitete linke Herzkammer. Der Patient leidet an Herzschwäche. 77 Nur eine Elektrode führt in die rechte Herzkammer, oder zwei gehen in Kammer und Vorhof, oder eine dritte erreicht zusätzlich die linke Herzkammer. Von der sogenannten Kardialen Resynchronisationstherapie (CRT) mit drei Elektroden profitieren Patienten mit Herzinsuffizienz, deren Herzkammern zeitlich verzögert pumpen. „80 Prozent der Patienten bekommen heute einen 2-KammerSchrittmacher“, erläutert Herzchirurg Winter. „Ob das Gerät rechts oder links implantiert wird, ist egal.“ Ein Tennisspieler sollte es nicht auf der Aufschlagseite tragen, den Jäger stört es dort, wo er anlegt. Die Schwachstelle der Schrittmachermethode sind die Leitungen ins Herz. Die Elektroden können sich vom Schrittmacher lösen, die Stromleitung kann versagen, ihre Isolierung kaputtgehen oder die feinen Kabel brechen. Kardiologe Winter: „Ein Schrittmacher lässt sich leicht ausbauen. Aber da die Elekt­ roden mit der Zeit in den Herzmuskel einwachsen, ist es riskant, sie bei einem Defekt herauszuholen. Weil sie nur begrenzt halten und die Patienten länger leben, haben wir da ein Langzeitproblem.“ Wird eine neue Elektrode nötig, ziehen Herzmediziner eine zusätzliche ein – oft direkt neben der defekten Leitung durch dieselbe Vene. Ältere Elektroden verhindern daneben, dass ein Patient beim nächsten 1932 Austausch einen MRT-fähigen Schrittmacher bekommen kann. „Die magnetfähigen Geräte eignen sich nur für Patienten, die auch die entsprechenden Elektroden haben“, gibt Winter zu bedenken und warnt auch vor starken magnetischen Feldern im Alltag. „Wer einen Schrittmacher trägt, sollte sich nicht direkt neben Lautsprecherboxen stellen. 1957 »Der Herzschrittmacher ist eine phänomenale Erfindung!« Heinz-Joachim Sykosch, 86 Der heutige Pensionär setzte 1961 in Deutschland den ersten Taktgeber ein Fotos: dpa,, Lüderitz, Medtronik (4), St. Jude Medical Da s TA k t lose H e r z Auch für Handys oder MP3-Player gibt es bessere Plätze als die Brusttasche mit dem Schrittmacher dahinter“, klärt er auf. Man müsse mit einem Elektrogerät aber schon auf wenige Zentimeter an den Schrittmacher herankommen, um seine Funktion zu stören. Für die Zukunft verspricht sich der Experte viel von schnurlosen Schrittmachern. Die Geräte sollen nur die Größe eines Fingerhuts haben und werden via Katheter direkt ins Herz bugsiert. In drei bis vier Jahren könnten sie einsatzbereit sein, vermutet Winter. „Ein Herzschrittmacher ohne Elektroden wäre ein riesiger Fortschritt“, hofft er – und vielleicht auch die Lösung für die kleinen Patienten. „Es gibt bisher keine speziellen Geräte für Kinder mit extradünnen Elektroden.“ Daneben sei das Standardprogramm für Erwachsene für Säuglinge ungeeignet. Seit den 1980er-Jahren besitzen die Taktgeber auch eine Defibrillationsfunktion. Ein solcher Implantierbarer Car­ dioverter-Defibrillator, abgekürzt ICD, beruhigt ein zu schnell schlagendes Herz, dessen übererregter Rhythmus sonst zum Herzstillstand führen würde. Menschen, deren Herz nach einem Infarkt eine Pumpleistung von weniger als 30 Prozent aufweist, oder solche, deren Muskel nach einer schweren Rhythmusstörung schon einmal stillstand, können die Ärzte mit einem ICD helfen. Der Ap- Immer kleiner, immer intelligenter: Maschinen, die das Herz im Rhythmus halten Impuls durch die Kurbel Der „künstliche Schrittmacher“ mit Handantrieb diente zur Wiederbelebung im Notfall. 78 Tragbar Auch in Krankhäusern waren Stromausfälle häufig. Ärzte entwickelten daher kleine Schrittmacher mit Batterie – wie für dieses Kind. Durchbruch Die Miniaturisierung in der Elektronik brachte auch bei den Taktgebern entscheidende Größen- und Gewichtsvorteile: Der erste implantierbare Herzschrittmacher kam auf den Markt. Auf Rollen In der Frühzeit der Elektronik waren Herzschrittmacher groß wie Kommoden. Dieses Gerät enthielt eine Batterie und ließ sich nur außerhalb des Körpers transportieren. 1958 FOCUS-GESUNDHEIT 1958 FOCUS-GESUNDHEIT parat soll neuerliches Kammerflimmern und Herzstillstand verhindern. Immer häufiger bekommen Risikopatienten, etwa mit Herzinsuffizienz als Vorsichtsmaßnahme einen „Defi“ eingesetzt. ICDs geben einen kräftigen Stromstoß ab, wenn aus einer Rhythmusstörung das tödliche Kammerflimmern wird. Danach ist das Herz wieder im Takt. Häufig schlagen die Geräte jedoch grundlos Alarm. „Unnötige Schocks kommen vor, wenn ein ICD sich nur nach der Herzfrequenz richtet. Er kann dann nicht erkennen, ob die mehr als 180 Schläge pro Minute harmloses Vorhofflimmern durch Belastung oder unkontrolliertes Kammerflimmern und Todesgefahr bedeuten. Der Defi geht auf Nummer sicher und gibt einen Impuls ab“, erklärt der Kardiologe Christian Mewis vom Herz-Gefäß-Zentrum Nymphenburg. Ein Stromstoß zur rechten Zeit rettet Leben, ein unangebrachter ist nicht nur schmerzhaft, sondern stellt für manche Patienten eine gravierende psychische Belastung dar. „Ein Elektroschock ohne Vorwarnung, den man nicht steuern oder beeinflussen kann, bereitet den Menschen Angst“, weiß Denise Fischer, Psychotherapeutin vom Universitätsklinikum des Saarlandes in Homburg. Viele ICD-Träger vermeiden daher alles, was das Herz anstrengen könnte: Reisen, Freizeitsport, Sex. „Sie trauen sich einfach nicht, normal zu leben“, so 2011 Auch fürs MRT Mit diesem Schrittmacher dürfen Patienten selbst in den Magnetresonanztomografen (MRT). schrittmacher Fischer, die eine Untersuchung über die Problematik anfertigte. Gegen herzbezogene Ängste, rät sie, kann zum Beispiel eine kognitive Verhaltenstherapie helfen. Nähere Informationen halten psychokardiologische Stationen bereit, die einige Universitätskliniken bereits aufweisen, oder Selbsthilfegruppen. Auch beim ICD haben die Ärzte mit dem Elektrodenproblem zu kämpfen. Eine neue Entwicklung, der subkutane Defibrillator, ist nach Ansicht von Kardiologe Mewis nur begrenzt brauchbar. Dem Vorteil, dass die Sonde am Brustbein entlanggeführt wird und nicht durch Venen und Herz, steht der Nachteil gegenüber, dass dieses Gerät keine dauerhafte Schrittmacherleistung bietet. „Für sehr junge Patienten mit wenigen Rhythmusstörungen oder solche mit erschwertem venösem Zugang ist der subkutane Defibrillator jedoch eine Alternative“, urteilt der Herzmediziner. Der 48-jährige Zeljko Ljepojevic aus Berlin hat von der Implantation eines Defibrillators massiv profitiert. Er leidet an einer angeborenen Herzmuskel­ erkrankung und freut sich, dass sein Muskel nun wieder verlässlich funktioniert. „Mein Herz schlägt jetzt 65-mal pro Minute statt nur 30-mal wie zuvor. Ich fühle mich zum ersten Mal im Leben wie ein gesunder Mensch.“ Petra Apfel Zukunft Die kleine, etwa 0,60 × 2,50 Zentimeter messende Kapsel wird ins Herzinnere eingebracht und fungiert dort als Schrittmacher. 2015? 79