Volkswirtschaftslehre Vorwort Die Volkswirtschaftslehre ist ein vielfältiges Gebiet. Wie kaum ein anderes Schulfach befasst sie sich einerseits mit «grossen» Themen, welche oft die Schlagzeilen beherrschen. Gleichzeitig interessiert sie sich anderseits aber auch für die Entscheide einzelner Menschen. Entsprechend breit sind auch die Fragestellungen: Warum wächst der Lebensstandard in China so rasant an? Lohnt sich für mich eine Weiterbildung ? Wieso ist die Arbeitslosigkeit in der Schweiz relativ tief ? Soll ich Lebensmittel in Frankreich einkaufen? Wie wirken sich hohe Erdölpreise auf Wirtschaftslage und Umwelt aus ? Für die Beantwortung derartiger Fragen bietet die Volkswirtschaftslehre sehr machtvolle Instrumente. Schon wenn man ein paar wenige Konzepte verstanden hat, kann man zu solch unterschiedlichen Themen kompetent mitdiskutieren. Kurz, und gleich schon in der Fachsprache ausgedrückt: Die Grundzüge der Volkswirtschaftslehre zu lernen, ist eine lohnende Investition. In den fünfzehn Jahren, in denen ich in verschiedenen Formen die Grundlagen dieses Faches unterrichtet habe, bestätigte sich eines immer wieder: Vermittelt man das Thema anhand von wenigen Konzepten und – vor allem – mit konkreten Anwendungen auf die Schweizer Realität, so kann man nachhaltig Interesse wecken. Auf Basis dieser Erfahrungen publizierte ich 2006 das Lehrbuch «Volkswirtschaftslehre: Eine Einführung für die Schweiz». Zielpublikum dieses Buches sind vor allem Einsteigerinnen und Einsteiger auf der Stufe Universität oder Fachhochschule sowie das interessierte Publikum. Ich erhielt dafür ermutigende Rückmeldungen verschiedener Lehrpersonen an Mittelschulen, die mir sagten, sie würden das Buch an sich gerne einsetzen, es sei aber für den Unterricht auf ihrer Stufe inhaltlich zu umfassend und in einigen Teilen etwas zu anspruchsvoll. Dies verdeutlichte mir, dass für zahlreiche Lernende heute der erste Kontakt mit der Volkswirtschaftslehre in der Mittelschule erfolgt und nicht – wie das noch zu meiner Schulzeit der Fall war – an der Universität oder in Weiterbildungskursen. Erfreulicherweise werden in den meisten Schulen heute volkswirtschaftliche Themen behandelt. Dies motivierte mich dazu, 2008 die erste Auflage des vorliegenden Lehrmittels zu publizieren, eine deutlich gekürzte, den Leistungszielen einer typischen Schweizer Mittelschule angepasste Version des ausführlicheren Lehrbuchs. Um das Zielpublikum dieses Textes klar abzugrenzen, wurde im Übrigen der Untertitel mit der überarbeiteten 2.Auflage angepasst. Ich möchte allen herzlich danken, die bei der Erarbeitung dieses Lehrmittels eine wichtige Rolle gespielt haben. Von Seiten des Verlags war Beatrice Sager auch bei diesem Buch eine ausgesprochen kompetente und engagierte Projektleiterin. Effizient unterstützt wurde sie dabei von Damian Künzi. Er hat mit zahlreichen substanziellen Kommentaren und Beiträgen sowie mit durchdachten Vorschlägen massgeblich geholfen, das Lehrmittel und seine Begleitmaterialien spürbar zu verbessern. Sehr wertvolle Rückmeldungen erhielt ich von den drei Lehrpersonen, die sich freundlicherweise bereit erklärten, das Projekt als Evaluatoren zu begleiten. Neben Marcel Bühler, dem Autor des Übungsbuches, waren dies Marco Caluori, Wirtschaftslehrer am Gymnasium Kirchenfeld (Bern) und Christian Seewer, Vorsteher der Berufsmaturitätsschule der Gewerblich-Industriellen Berufsschule in Bern. Ihre ausgezeichneten, von der Unterrichtspraxis geprägten Kommentare haben viel dazu beigetragen, den Text noch spezifischer auf das Zielpublikum auszurichten. Wichtige Hinweise erhielt ich auch von meinem ehemaligen Studienkollegen Peter Gees, heute Wirtschaftslehrer am Gymnasium Münchenstein. 3 Volkswirtschaftslehre Anpassungen in der 2. Auflage (2010) Die Neuauflage eines Lehrbuches nach nicht einmal zwei Jahren enthält in der Regel viele kleine Anpassungen und Aktualisierungen. Das ist auch hier der Fall. Wenn die erste Auflage jedoch so gut aufgenommen wurde wie bei diesem Lehrmittel, gibt es normalerweise kaum einen Anlass für grosse inhaltliche Anpassungen. Halten wir uns aber die Ereignisse der letzten beiden Jahre vor Augen, wird klar, dass «normal» ungefähr das letzte Adjektiv ist, das zur Beschreibung der jüngsten Wirtschaftsentwicklung angebracht wäre. Was bei der Abschlussredaktion der ersten Auflage dieses Textes wie eine mittelgrosse Erschütterung des amerikanischen Immobilienmarktes aussah, hat sich in kurzer Zeit zu einer weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise ausgeweitet, wie wir sie seit sehr langer Zeit nicht mehr erlebt haben. Ein derartiges Ereignis kann kein Volkswirtschaftslehrbuch in ein paar Nebensätzen abhandeln. Es stellte sich deshalb nicht die Frage, ob dieses Ereignis in der zweiten Auflage berücksichtigt werden sollte, sondern wie. Zwar hat sich nichts an den grundlegenden volkswirtschaftlichen Zusammenhängen geändert, aber die Krise bietet eine hervorragende Gelegenheit, zahlreiche wichtige Konzepte an einem aktuellen und relevanten Beispiel abzuhandeln. Zudem sollte man nach dieser Erfahrung doch etwas mehr über Finanzmärkte und Banken wissen, als normalerweise in einem Einführungstext zu finden ist. Neben verschiedenen kleineren Einschüben zu diesem Thema wurden deshalb an den dafür geeigneten Stellen des Lehrmittels folgende grössere Anpassungen vorgenommen: I I I I Der neue Abschnitt 5.4 behandelt Banken und die mit ihrem Geschäft verbundenen Risiken. Ein Anhang von Kapitel 5 beschreibt die Entstehung und Verbreitung der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise. Der neue Unterabschnitt 5.8.3 analysiert die Rolle der Schweizerischen Nationalbank bei der Bekämpfung von Finanzkrisen. Eine Box in Kapitel 3 erläutert die konjunkturpolitischen Reaktionen auf die Krise in der Schweiz. Da bei aller Bedeutung der Krise das Lehrmittel nicht grundlegenden verändert werden sollte, sind all diese Anpassungen bewusst knapp gehalten. Auch als Reaktion auf verschiedene Rückmeldungen von Lehrpersonen wurde das Material zur vergleichenden Darstellung der Schweizer Wirtschaft im internationalen Kontext, das in der 1. Auflage in einem Anhang behandelt wurde, an den Anfang von Kapitel 1 gestellt. Dieser Überblick eignet sich gut als Einstieg zu Beginn eines VWL-Kurses, um die Lernenden für die Behandlung dieser Themen in den folgenden Kapiteln zu motivieren. Bewusst wurde dabei darauf verzichtet, alle Begriffe schon an dieser Stelle zu definieren; im Unterricht kann man darauf hinweisen, dass dies alles später im Detail folgt. Der Text wurde ausserdem ergänzt um eine Box zu nachhaltigem Wachstum in Kapitel 3, und die Schweizer Sozialpolitik wird neu in einem eigenen Unterkapitel behandelt. Zudem wurde die Reihenfolge in Kapitel 5 so angepasst, dass zuerst das Geld behandelt wird und erst anschliessend auf dieser Basis die Inflation. 4 Volkswirtschaftslehre Neuauflagen haben oft die Tendenz, ein Lehrbuch zu verlängern. Um dem entgegenzuwirken, wurden bewusst einige Teile gekürzt oder ganz gestrichen. Dies betrifft vor allem die Behandlung der Wohlfahrtseffekte von Steuern und des internationalen Handels anhand von Konsumenten- und Produzentenrenten. Wir beschränken uns neu darauf, in einer Box in Kapitel 2 das Konzept und seine Relevanz zu beschreiben. Für Lehrpersonen, welche diese Vertiefungen behandeln möchten, sind die in der Neuauflage gestrichenen Teile in einem eigenen Dokument auf der Website des Verlages zu finden. Für die grosse, engagierte und sehr kompetente Unterstützung bei der Erarbeitung dieser 2. Auflage möchte ich Manuel Schär, dem Projektleiter des Verlags, herzlich danken. Sehr wertvolle Hinweise erhielt ich zudem von Sven Michal. Anpassungen in der 3. Auflage (2011) Um bezüglich Daten und wirtschaftspolitischer Entwicklung möglichst aktuell zu sein, wird das Lehrmittel jedes Jahr neu aufgelegt. Die Anpassungen sind dabei in der Regel deutlich weniger weitgehend, als in der durch die Finanz- und Wirtschaftskrise geprägten 2. Auflage. In der vorliegenden 3. Auflage wurden lediglich die Daten aktualisiert, einige wenige sprachliche Anpassungen vorgenommen sowie im Anhang zu Kapitel 5 kurze Ergänzungen zur Entwicklung der Finanz- und Wirtschaftskrise integriert. Zum Inhalt und zu den Zusatzmaterialien Zu Beginn fragen wir uns, anhand welcher Daten man den wirtschaftlichen Zustand eines Landes beurteilen kann, und stellen dann die wichtigsten Konzepte der Volkswirtschaftslehre vor, die in den folgenden Kapiteln verwendet werden (Kapitel 1). Anschliessend diskutieren wir, wie eine Marktwirtschaft funktioniert, und zeigen die Rolle staatlicher Regulierungen und der Wirtschaftspolitik auf; ausführlich beleuchten wir dabei die Wettbewerbspolitik und die Umweltpolitik (Kapitel 2). Die nächsten vier Kapitel sind entlang der wichtigsten gesamtwirtschaftlichen Ziele aufgebaut. Wir beginnen mit dem Ziel des wirtschaftlichen Wohlstands und damit der Erklärung von Wachstum und Konjunktur (Kapitel 3). Dann wenden wir uns dem Ziel einer hohen Beschäftigung zu und behandeln die Hintergründe der Arbeitslosigkeit (Kapitel 4). Anschliessend diskutieren wir das Ziel der Preisstabilität und lernen Geld, Banken und Inflation kennen (Kapitel 5). Abschliessend befassen wir uns mit dem Ziel einer nachhaltigen Staatsfinanzierung und behandeln dabei Steuern, staatliche Verschuldung sowie die Sozialpolitik (Kapitel 6). Zuletzt beleuchten wir die internationale Dimension der Volkswirtschaftslehre und befassen uns mit der Aussenwirtschaft und der globalen Arbeitsteilung (Kapitel 7). In allen Kapiteln steht die Anwendung der erlernten Begriffe und Konzepte auf die Schweizer Volkswirtschaft im Zentrum. 5 Volkswirtschaftslehre Das Lehrmittel ist mit Elementen angereichert, die das Lernen und den Einsatz im Schulunterricht vereinfachen sollen. So beginnen alle Kapitel mit einer Liste konkreter Lernziele. Sie schliessen jeweils mit einer Zusammenfassung, die Punkt für Punkt diesen Lernzielen folgt, und Repetitionsfragen. Die Antworten zu diesen Fragen finden sich auf der Website des Werkes. Zahlreiche Boxen vertiefen interessante Aspekte und immer wieder sind zusammenfassende Übersichtsgrafiken eingestreut. Gezielt ausgewählte Fotos und Karikaturen lockern den Text auf. Verschiedene Zusatzmaterialien unterstützen den Einsatz des Lehrmittels im Unterricht. Marcel Bühler, Wirtschaftslehrer am Bildungszentrum für Wirtschaft in Weinfelden, hat für das vorliegende Buch einen reichhaltigen Übungsband konzipiert; dieser wird durch ein separat publiziertes Lösungsbuch ergänzt. Für die Lehrpersonen stehen zudem Power-Point-Präsentationen aller Kapitel zur Verfügung sowie eine Auswahl Zeitungsartikel, die zum Teil Bearbeitungsfragen und Lösungen enthalten. Gezielte Vertiefungen erlaubt interessierten Lehrkräften zudem mein Volkswirtschaftslehrbuch für die Universitäten und Fachhochschulen, in dem die meisten Gebiete ausführlicher behandelt sind, das aber auch zahlreiche Themen enthält, die hier bewusst ausgelassen wurden. Ein Dokument auf der Website des Werkes erläutert Lehrpersonen für jedes Kapitel die Vertiefungsvorschläge auf Basis der Behandlung im ausführlicheren Lehrbuch. Es liegt mir viel daran, dass dieses Lehrmittel ein Instrument für den Schulunterricht darstellt; dies war ja für mich die Motivation, überhaupt erst eine Version für die Sekundarstufe II und die Weiterbildung zu verfassen. Gerne würde ich mit interessierten Lehrerinnen und Lehrern auch weiterhin einen Dialog führen, wie sich der Text und seine Zusatzmaterialien verbessern lassen. Ich bin deshalb ausgesprochen dankbar für jede Art von Rückmeldung. Inhaltsübersicht 1 Themen und Konzepte der Volkswirtschaftslehre 13 2 Die Marktwirtschaft und die Rolle des Staates 51 3 Wachstum und Konjunktur 87 4 Beschäftigung und Arbeitslosigkeit 131 5 Geld, Banken und Inflation 155 6 Staatsfinanzen 199 7 Internationale Arbeitsteilung 229 Glossar und Stichwortverzeichnis 265 6 Volkswirtschaftslehre Inhaltsverzeichnis 1 Themen und Konzepte der Volkswirtschaftslehre 13 1.1 Wie beurteilt man die wirtschaftliche Situation eines Landes? 16 1.2 Die Schweizer Volkswirtschaft als Fallbeispiel 1.2.1 Wohlstand: Reiche, aber nicht sehr dynamische Schweiz 1.2.2 Beschäftigung: Tiefe Schweizer Arbeitslosigkeit 1.2.3 Preisstabilität: Stabiles Schweizer Preisniveau 1.2.4 Staatsverschuldung: Moderate Schweizer Staatsschulden 17 18 20 22 24 1.3 Was wird in der Volkswirtschaftslehre analysiert? 25 1.4 Entscheide in Knappheitssituationen Box Der Kobra-Effekt oder die zentrale Bedeutung von Anreizen 27 29 1.5 Die Nachfrage 1.5.1 Bedürfnisse und Konsumentenverhalten Box Die Bedürfnispyramide 1.5.2 Die Nachfragekurve Box Das Gesetz des abnehmenden Grenznutzens 1.5.3 Verschiebung der Nachfragekurve 30 30 31 32 32 33 1.6 Das Angebot 1.6.1 Die Angebotskurve 1.6.2 Verschiebung der Angebotskurve 36 36 36 1.7 Der Markt 1.7.1 Das Marktgleichgewicht 1.7.2 Veränderung des Marktgleichgewichts Box Vollständige Konkurrenz 1.7.3 Die Elastizität 38 39 40 41 42 1.8 Der Wirtschaftskreislauf 1.8.1 Der einfache Wirtschaftskreislauf 1.8.2 Der erweiterte Wirtschaftskreislauf 43 43 44 2 51 Die Marktwirtschaft und die Rolle des Staates 2.1 Wirtschaftsordnungen: Marktwirtschaft oder Planwirtschaft? Box Der Homo oeconomicus oder die Rolle der Eigeninteressen 54 55 2.2 Die zentrale Rolle der Preise Box Adam Smith Box Die Messung der Effizienz: Konsumenten- und Produzentenrenten 56 57 2.3 Was der Staat zum Funktionieren einer Marktwirtschaft beiträgt 2.3.1 Garantie der Eigentums- und Vertragsrechte 2.3.2 Effiziente Regulierungen 61 61 62 59 7 Volkswirtschaftslehre 2.3.3 Korrektur von Marktversagen Box Asymmetrische Informationen Box Arten von Gütern 62 63 64 2.4 Wirtschaftspolitik 2.4.1 Die Zielgrössen der Wirtschaftspolitik 2.4.2 Magische Vielecke der Wirtschaftspolitik 66 66 66 2.5 Staatsversagen: Die politische Ökonomie 2.5.1 Anreize für Politik und Verwaltung 2.5.2 Interessengruppen und das Streben nach politisch geschaffenen Vorteilen 68 68 2.6 Korrektur von Marktversagen I: Die Wettbewerbspolitik 2.6.1 Volkswirtschaftliche Kosten von Monopolen 2.6.2 Marktzutrittsschranken und die Wettbewerbspolitik 2.6.3 Schweizer Wettbewerbspolitik Box Hochpreisinsel Schweiz 70 70 72 73 74 2.7 Korrektur von Marktversagen II: Die Umweltpolitik 2.7.1 Volkswirtschaftliche Kosten externer Effekte 2.7.2 Ansätze der Umweltpolitik 2.7.3 Schweizer Umweltpolitik 2.7.4 Internationale Umweltpolitik: Das Kyoto-Protokoll 76 76 77 79 81 3 87 Wachstum und Konjunktur 69 3.1 Die Messung des wirtschaftlichen Wohlstands 3.1.1 Das Bruttoinlandprodukt (BIP) als international vergleichbares Mass Box Wohlstand oder Wohlfahrt? 3.1.2 Die Berechnung des Bruttoinlandproduktes Box Ist das BIP ein geeignetes Mass zur Beurteilung des Wohlstands? 3.1.3 Das BIP der Schweiz Box Messung der Verteilung 90 3.2 Die Analyse von Wachstum und Konjunktur 3.2.1 Angebot und Nachfrage in der Makroökonomie 3.2.2 Ein einfaches makroökonomisches Konzept 96 96 97 3.3 Wachstum: Der langfristige Trend 3.3.1 Die Bedeutung des Trendwachstums 3.3.2 Produktionsfaktoren und die Quellen des Wachstums 3.3.3 Die entscheidende Rolle des technischen Fortschritts Box Nachhaltiges Wachstum 3.3.4 Strukturwandel 8 90 90 91 93 94 95 99 99 100 103 104 104 Volkswirtschaftslehre 3.4 Wachstumspolitik Box Die Wachstumschancen von Entwicklungsländern 106 108 3.5 Konjunktur: Die kurzfristigen Schwankungen 3.5.1 Was ist ein Konjunkturzyklus? 3.5.2 Ursachen von Konjunkturzyklen 3.5.3 Konjunkturbeobachtung und Konjunkturprognose 109 109 110 112 3.6 Konjunkturpolitik 3.6.1 Antizyklische Konjunkturpolitik Box John Maynard Keynes 3.6.2 Probleme der antizyklischen Konjunkturpolitik Box Nachfrage- versus Angebotsökonomie 3.6.3 Automatische Stabilisatoren 114 114 116 118 119 120 3.7 Schweizer Wachstums- und Konjunkturpolitik 3.7.1 Schweizer Wachstumspolitik 3.7.2 Schweizer Konjunkturpolitik Box Die Schweizer Konjunkturpolitik in der Finanz- und Wirtschaftskrise 121 121 123 4 131 Beschäftigung und Arbeitslosigkeit 125 4.1 Die Messung der Arbeitsmarktsituation Box Unterschiedliche Ansätze zur Messung der Arbeitslosenquote 134 135 4.2 Formen der Arbeitslosigkeit 136 4.3 Konjunkturelle Arbeitslosigkeit 139 4.4 Strukturelle Arbeitslosigkeit Box Geht uns die Arbeit aus? 140 141 4.5 Hintergründe der strukturellen Arbeitslosigkeit 4.5.1 Regulierungen des Arbeitsmarkts Box Produktivität und Löhne 4.5.2 Aus- und Weiterbildung 143 144 145 146 4.6. Schweizer Arbeitsmarktpolitik 4.6.1 Regulierung des Schweizer Arbeitsmarktes 4.6.2 Die Arbeitslosenversicherung 147 147 148 5 155 Geld, Banken und Inflation 5.1 Die Messung der Preisstabilität Box Warum sind die Krankenkassenprämien im Landesindex der Konsumentenpreise (LIK) nicht enthalten? 158 5.2 Was ist Geld? 5.2.1 Wozu ist Geld notwendig? 5.2.2 Geldmengen 160 160 161 159 9 Volkswirtschaftslehre 5.3 Die Entstehung von Geld 5.3.1 Wie bringt die Zentralbank Geld in Umlauf ? Box Was bedeutet die Aussage «Die Zentralbank senkt die Zinsen»? 5.3.2 Der Geldschöpfungsmultiplikator 163 163 5.4 Banken 5.4.1 Finanzmärkte und Banken Box Übersicht zu den wichtigsten Bankgeschäften 5.4.2 Die volkswirtschaftliche Rolle von Banken 5.4.3 Die Risiken des Bankgeschäfts 166 167 168 169 170 5.5 Der Zusammenhang zwischen Geld und Inflation Box Inflation im einfachen Makro-Schema 172 173 5.6 Wieso sind Inflation und Deflation schädlich? 5.6.1 Kosten der Inflation 5.6.2 Kosten der Inflationsbekämpfung 5.6.3 Kosten der Deflation 174 174 176 177 5.7 Geldpolitische Strategien 5.7.1 Orientierung am Wechselkurs 5.7.2 Orientierung an der Geldmenge Box Wechselkurs und Geldpolitik 5.7.3 Orientierung an der Inflation 180 180 181 182 182 5.8 Schweizer Geldpolitik 5.8.1 Die Schweizerische Nationalbank (SNB) 5.8.2 Das geldpolitische Konzept der SNB Box Repo-Geschäfte der SNB 5.8.3 Stabilität des Finanzsystems als Ziel der SNB 183 183 184 187 187 6 165 165 Anhang: Die Entstehung der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise Box Chronologie der wichtigsten Ereignisse 189 190 Staatsfinanzen 199 6.1 Die Messung der Staatsfinanzen 6.1.1 Wichtigste Grössen und ihre Zusammenhänge 6.1.2 Anwendung am Beispiel der Schweiz Box Der ausgeprägte Schweizer Finanzföderalismus 202 202 203 205 6.2 Steuern 6.2.1 Formen von Staatseinnahmen Box Die Inflationssteuer 6.2.2 Kosten der Besteuerung und die Rolle der Elastizität 6.2.3 Wer bezahlt die Steuern? Box Wer zahlt eine «Luxussteuer»? 205 205 207 208 209 210 6.3 Defizite und Staatsverschuldung 6.3.1 Effekte der Staatsverschuldung im Inland und im Ausland 6.3.2 Vor- und Nachteile der Staatsverschuldung 211 211 212 10 Volkswirtschaftslehre 6.4 Schweizer Staatsfinanzen 6.4.1 Die wichtigsten Schweizer Steuern 6.4.2 Übersicht zu den Schweizer Staatsfinanzen 6.4.3 Die Schuldenbremse 214 214 215 216 6.5 Schweizer Sozialpolitik 6.5.1 Verteilung versus Effizienz 6.5.2 Formen der Umverteilung 6.5.3 Die drei Säulen der Schweizer Altersvorsorge 6.5.4 Die demografische Herausforderung für die AHV Box Die Demografie in der 2.Säule 218 218 218 220 221 222 7 229 Internationale Arbeitsteilung 7.1 Die Messung der internationalen Verflechtung 232 7.2 Spezialisierung und komparative Vorteile 7.2.1 Spezialisierung und Marktgrösse 7.2.2 Das Prinzip des komparativen Vorteils 234 235 236 7.3 Globalisierung 7.3.1 Zunahme der globalen Arbeitsteilung 7.3.2 Gründe für die Zunahme der Globalisierung 237 238 239 7.4 Protektionismus und Handelsliberalisierung 7.4.1 Formen des Protektionismus 7.4.2 Warum gibt es Protektionismus? 7.4.3 Formen der Handelsliberalisierung 7.4.4 Die WTO 241 241 243 244 245 7.5 Regionale Handelsabkommen (Integration) 7.5.1 Wohlfahrtseffekte von Integrationsräumen 7.5.2 Formen von regionalen Abkommen 7.5.3 Die Europäische Union 247 247 248 249 7.6 Schweizer Aussenwirtschaftspolitik 7.6.1 Stark international ausgerichtete Schweiz 7.6.2 Grundpfeiler der Schweizer Aussenwirtschaftspolitik 7.6.3 Schweizer Integrationspolitik Box Wirtschaftliche Effekte eines EU-Beitritts 254 254 257 258 259 Glossar und Stichwortverzeichnis 265 Glossar 267 Stichwortverzeichnis 275 Bildnachweis 279 11 1 Themen und Konzepte der Volkswirtschaftslehre «Die erste Lektion der Volkswirtschaftslehre ist die Knappheit: Es gibt nie genug, um alle Wünsche aller zu befriedigen. Die erste Lektion der Politik ist, die erste Lektion der Volkswirtschaftslehre nicht zu beachten.» Thomas Sowell, amerikanischer Ökonom und Publizist ( * 1930) 1.1 Wie beurteilt man die wirtschaftliche Situation eines Landes? 16 1.2 Die Schweizer Volkswirtschaft als Fallbeispiel 17 1.3 Was wird in der Volkswirtschaftslehre analysiert? 25 1.4 Entscheide in Knappheitssituationen 27 1.5 Die Nachfrage 30 1.6 Das Angebot 36 1.7 Der Markt 38 1.8 Der Wirtschaftskreislauf 43 U lernziele Nachdem Sie dieses Kapitel gelesen haben, sollten Sie in der Lage sein, 1 die vier wichtigsten Grössen zu nennen, an denen sich der wirtschaftliche Erfolg eines Landes messen lässt; 2 die wirtschaftliche Situation der Schweiz im internationalen Vergleich zu beschreiben; 3 zu erklären, mit welchen drei grundlegenden Themen sich die Volkswirtschaftslehre befasst; 4 das Problem der Knappheit zu beschreiben und die Rolle von Anreizen, Opportunitätskosten und Preisen für das Verhalten von Menschen darzulegen; 5 die Nachfrage nach einem Gut in einem Diagramm darzustellen sowie zu erklären, wie sich die Nachfragekurve verschieben kann; 6 das Angebot eines Gutes in einem Diagramm darzustellen sowie zu erklären, wie sich die Angebotskurve verschieben kann; 7 einen Markt grafisch darzustellen sowie zu erklären, wieso der Schnittpunkt der Angebots- und Nachfragekurve ein Gleichgewicht darstellt; 8 den Begriff der Elastizität zu erläutern und zu analysieren, wie sich unterschiedliche Preiselastizitäten auswirken; 9 den einfachen und den erweiterten Wirtschaftskreislauf darzustellen und zu interpretieren. 1 Themen und Konzepte der Volkswirtschaftslehre Die Volkswirtschaftslehre befasst sich ohne Zweifel mit ausserordentlich relevanten Fragen. Die Wirtschaftslage zählt in Umfragen regelmässig zu den Themen, welche die Menschen besonders stark beschäftigen. Und Wahlen entscheiden sich oft an volkswirtschaftlichen Grössen wie der Entwicklung der Arbeitslosigkeit oder der Konjunktur. Nicht erst seit dem Ausbruch der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise kann man kaum eine Zeitung aufschlagen, ohne direkt mit volkswirtschaftlichen Fragen konfrontiert zu werden. In diesem Kapitel geht es in einem ersten Schritt darum, diese zentralen Themen kennenzulernen, mit denen sich die Volkswirtschaftslehre befasst. Wollen wir volkswirtschaftliche Zusammenhänge aber nicht nur beschreiben, sondern auch verstehen, so benötigen wir Instrumente, mit denen wir diese analysieren können. In einem zweiten Schritt werden wir deshalb die wichtigsten Konzepte erläutern, die wir für unsere weiteren Analysen benötigen. Dabei sehen wir, dass die Volkswirtschaftslehre mit vereinfachten Darstellungen der Wirklichkeit, sogenannten Modellen, arbeitet. Auch wenn dies auf den ersten Blick abstrakt wirken mag, müssen diese Konzepte keineswegs kompliziert oder gar mathematisch sein. Der grosse Vorteil solcher Konzepte ist, dass man verschiedenste Fragestellungen mit dem gleichen Instrument behandeln kann. Hat man einmal die Grundideen erfasst, lässt sich mit diesen einfachen Denkmodellen viel mehr vom Wirtschaftsgeschehen verstehen und einordnen, als wenn man Hunderte von Seiten mit wirtschaftlichen Fakten auswendig lernen würde. Das Kapitel ist wie folgt aufgebaut: 1.1 zeigt, anhand welcher Grössen der wirtschaftliche Erfolg eines Landes messbar ist. 1.2 beschreibt die wirtschaftliche Entwicklung der Schweiz im internationalen Vergleich. 1.3 diskutiert die Untersuchungsgegenstände der Volkswirtschaftslehre und verdeutlicht, worum es bei der Mikroökonomie und der Makroökonomie geht. 1.4 erläutert das Knappheitsproblem, das im Zentrum der volkswirtschaftlichen Analyse steht. Dabei lernen wir die beiden wichtigen Konzepte «Anreize» und «Opportunitätskosten» kennen. 1.5 erklärt, wie aus den Bedürfnissen der Menschen die Nachfrage entsteht. Daraus leiten wir die Nachfragekurve ab, die den Zusammenhang zwischen dem Preis eines Gutes und der Nachfrage nach diesem Gut abbildet. 1.6 erläutert die Rolle der Produktionskosten für die Analyse des Angebots. Daraus leiten wir die Angebotskurve ab, die den Zusammenhang zwischen dem Preis eines Gutes und dessen Angebot darstellt. 1.7 führt Angebot und Nachfrage zusammen und erläutert, wie ein Markt funktioniert. 1.8 schliesslich präsentiert als einfache Darstellung der Gesamtwirtschaft den sogenannten Wirtschaftskreislauf. Dieser zeigt die Güter- und Geldflüsse zwischen Haushalten, Unternehmen, dem Staat und dem Ausland. 15 Wie beurteilt man die wirtschaftliche Situation eines Landes? 1.1 Wie beurteilt man die wirtschaftliche Situation eines Landes? Nehmen wir an, Sie hätten den wirtschaftlichen Zustand eines Landes anhand einiger weniger Informationen zu beurteilen. Sie müssten also etwas unheimlich Komplexes – die Situation einer Gemeinschaft von Millionen Menschen – auf ein paar wenige Daten verdichten. Und diese sollten so ausgewählt sein, dass sie ein einigermassen informatives Bild über das wirtschaftliche Wohlergehen der Bürgerinnen und Bürger zeichnen. Die wichtigste Voraussetzung zur Lösung dieser Aufgabe ist, zu definieren, was eigentlich den wirtschaftlichen Erfolg eines Landes ausmacht. Und über die Kriterien, anhand derer dies gemessen werden soll, sollte dabei nicht nur eine gewisse Einigkeit herrschen, sondern sie müssen auch einigermassen klar definiert und messbar sein. Wenn wir vom Einzelnen ausgehen, so sind es vor allem zwei Dinge, die sein wirtschaftliches Wohlbefinden entscheidend beeinflussen, nämlich der materielle Wohlstand und die Beschäftigungssituation. Erstens wird die Lage dann positiv beurteilt, wenn man sich möglichst viele und qualitativ hochstehende materielle und andere Güter leisten kann und wenn sich die Situation in dieser Hinsicht über die Zeit verbessert. Damit sind die Höhe und das Wachstum des Einkommens von Bedeutung. Zweitens ist die Möglichkeit, überhaupt ein Einkommen zu erzielen, wichtig. Diese hängt entscheidend davon ab, ob Arbeitswillige tatsächlich eine Stelle finden können. Betrachten wir also eine Volkswirtschaft insgesamt, so sind der durchschnittliche Wohlstand und die Beschäftigungssituation ohne Zweifel bedeutende Kriterien zur Beurteilung ihres Erfolges. Sie stellen auch insofern unbestrittene Ziele dar, als kaum jemand ein tieferes Einkommen oder eine höhere Arbeitslosigkeit als positiv beurteilen würde. Wie bedeutend die beiden Kriterien sind, lässt sich an einem bekannten Beispiel illustrieren: Den Ausgang der amerikanischen Präsidentschaftswahl kann man mit zwei Informationen praktisch sicher prognostizieren, nämlich dem Wirtschaftswachstum und der Arbeitslosigkeit im Wahljahr. Entwickeln sich diese beiden Grössen in die gewünschte Richtung, so kann der Präsident bzw. der Kandidat seiner Partei so gut wie sicher damit rechnen, gewählt zu werden. Die Entwicklung von Wohlstand und Beschäftigung bestimmt also sehr stark, wie die Situation in einem Land beurteilt wird. Daneben fliessen in die Beurteilung des wirtschaftlichen Erfolgs eines Landes in der Regel zwei weitere Faktoren ein, die direkter auf die Wirtschaftspolitik der Behörden zurückzuführen sind: einerseits die Preisstabilität und andererseits der Zustand der öffentlichen Finanzen. In normalen Zeiten sind diese beiden Faktoren bei der Beurteilung sicher weniger bedeutend als Wohlstand und Beschäftigung. Laufen aber die Preisstabilität oder die öffentlichen Finanzen aus dem Ruder, so erhalten sie rasch grosse Wichtigkeit. Ist die Preisstabilität nicht gewährleistet, dann kann das die Wirtschaftstätigkeit in einem Land empfindlich stören. Besonders drastisch sind etwa die Effekte einer Hyperinflation, also einer sehr raschen Entwertung des Geldes; erlebt ein Land eine solche Situation, so wird die Preisstabilität sofort zum alles überragenden wirtschaftspolitischen Ziel. Ähnlich drastisch können die Effekte einer Zerrüttung der Staatsfinanzen sein, dann nämlich wenn ein Staat über Jahre ein Defizit erwirtschaftet und sich dadurch die Staats- 16 1 Themen und Konzepte der Volkswirtschaftslehre verschuldung – und damit die Kosten ihrer Finanzierung – stark erhöht. Die dramatische Situation Griechenlands im Frühjahr 2010 zeigte die Kosten zerrütteter Staatsfinanzen deutlich auf. Aus dieser Diskussion folgt, dass man die wirtschaftliche Situation eines Landes anhand von vier Grössen, die relativ direkt messbar sind, schon ziemlich gut abschätzen kann: ¨ Wohlstand Materieller Lebensstandard in einer Volkswirtschaft. ¨ Beschäftigung Anteil der Personen im erwerbsfähigen Alter, die einer bezahlten Arbeit nachgehen. ¨ Preisstabilität Situation, in der die Preise aller Güter weder übermässig steigen (Inflation) noch fallen (Deflation). ¨ Staatsverschuldung Alle Schulden der öffentlichen Haushalte. 1.2 I I I I Wohlstand, Beschäftigung, Preisstabilität, Staatsverschuldung. In allen vier Fällen ist dabei nicht nur der momentane Zustand von Bedeutung, sondern auch die Entwicklung über die Zeit, beim Wohlstand also etwa das Wirtschaftswachstum. Im weiteren Verlauf des Buches werden wir uns vertieft mit diesen vier Themen auseinandersetzen. Jedem ist dabei ein eigenes Kapitel gewidmet. Kapitel 3 («Wachstum und Konjunktur») befasst sich mit dem Wohlstand, Kapitel 4 («Beschäftigung und Arbeitslosigkeit») mit der Beschäftigung, Kapitel 5 («Geld, Banken und Inflation») mit der Preisstabilität und Kapitel 6 («Staatsfinanzen») mit der Staatsverschuldung. Wir werden dabei auch sehen, dass zwischen der Entwicklung dieser Grössen starke Zusammenhänge bestehen: Wirtschaftlich erfolgreiche Länder sind meist in allen vier Dimensionen erfolgreich. Die Schweizer Volkswirtschaft als Fallbeispiel Um das Ganze etwas konkreter zu machen, wollen wir zum Einstieg an einem Beispiel illustrieren, wie sich die wirtschaftliche Situation eines Landes anhand der genannten vier Kriterien beurteilen lässt. Dazu betrachten wir die längerfristige Entwicklung der Schweizer Volkswirtschaft und vergleichen diese mit anderen Ländern. Wir werden dabei nicht alles im Detail erklären, sondern eine illustrative Übersicht – einen ersten Einstieg also – zu den Themen geben, die uns in den folgenden Kapiteln vertieft beschäftigen werden. Alle Begriffe und Konzepte, die wir hier nur anschneiden, werden später genauer definiert und erläutert. Wir betrachten in den folgenden Abschnitten immer zuerst die Situation in der Schweiz und stellen dann diese der Lage in drei Vergleichsländern – Deutschland, Österreich und den USA – gegenüber. 17 Die Schweizer Volkswirtschaft als Fallbeispiel 1.2.1 Wohlstand: Reiche, aber nicht sehr dynamische Schweiz Als Erstes betrachten wir den wirtschaftlichen Wohlstand der Schweiz und seine Entwicklung über die Zeit. Man misst dies mit dem sogenannten Bruttoinlandprodukt (BIP) pro Kopf der Bevölkerung. Diese Grösse weist aus, wie viele Güter und Dienstleistungen in der Schweiz während einem Jahr pro Einwohner produziert werden. Die Schweiz galt lange Zeit zu Recht als reichstes Land der Erde. Obwohl in den letzten Jahrzehnten dieser Wohlstandsvorsprung geschmolzen ist, gehört die Schweiz nach wie vor zu den wohlhabendsten Ländern. zeigt die langfristige Entwicklung des realen Schweizer Bruttoinlandproduktes (BIP) pro Kopf. Zunächst lässt sich hier zweierlei feststellen: Erstens stieg das Bruttoinlandprodukt während des gesamten 20. Jahrhunderts tendenziell an, und zweitens verlief die Entwicklung nicht gleichmässig, sondern wies bedeutende Schwankungen auf. Wir erkennen hier zwei grundlegende Phänomene der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung jeder Volkswirtschaft: Abbildung 1.1 I I Das Trendwachstum: Langfristig erhöht sich das Bruttoinlandprodukt stetig. Die Konjunkturschwankungen: Kurzfristig verläuft dieses Wachstum ungleichmässig. Für die Wohlstandsentwicklung eines Landes sind die Konjunkturschwankungen weniger wichtig als das langfristige Trendwachstum. Betrachtet man Abbildung 1.1, so scheint es sozusagen ein Naturgesetz zu sein, dass das reale Bruttoinlandprodukt pro Kopf stetig wächst. Tatsache ist aber, dass das BIP pro Kopf bis etwa zu Beginn des 19. Jahrhunderts über Jahrtausende hinweg in der Schweiz und den anderen heutigen Industrieländern kaum gewachsen ist, sondern über sehr lange Zeit praktisch unverändert geblieben war. Erst seit der industriellen Revolution weist das BIP diesen expliziten Trend nach oben auf. Für die in Abbildung 1.1 abgetragene Periode von 1899 bis 2006 können wir in der Schweizer Wirtschaftsentwicklung ganz grob drei Phasen unterscheiden: Während der ersten Phase bis Mitte der 1940er-Jahre beobachten wir ein relativ geringes Wachstum, das sich nach dem Ersten Weltkrieg etwas beschleunigte, bevor es nach dem weltweiten Börsencrash von 1929 zurückging und dann einer längeren Stagnation Platz machte. Der Wachstumstrend verlangsamte sich damals in den meisten Ländern deutlich. Eine zweite Phase begann nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, Mitte der 1940er-Jahre. Während dieser Zeit beschleunigte sich das Wachstum spürbar: Das Durchschnittswachstum lag viel höher als in der Phase zuvor. Diese Wachstumsphase dauerte bis zum Beginn der 1970er-Jahre. Die dritte Phase ab Anfang der 1970er-Jahre begann mit einem scharfen Einbruch. Über die ganze Periode betrachtet, handelte es sich nur um einen kurzen Zeitabschnitt, doch in diesen Jahren wurde der BIP-Rückgang als ein einschneidendes Ereignis empfunden. Allgemein lässt sich feststellen, dass Konjunktureinbrüche in einer langfristigen Betrachtung lediglich kleine, von Auge kaum wahrnehmbare Rückgänge eines trendmässig wachsenden BIP darstellen. Während der Rezessions18 1 Themen und Konzepte der Volkswirtschaftslehre Abb. 1.1 Reales BIP pro Kopf der Schweiz zu Preisen von 2000 (in CHF) 70 000 60 000 50 000 40 000 30 000 20 000 10 000 2009 2004 1999 1994 1989 1984 1979 1974 1969 1964 1959 1954 1949 1944 1939 1934 1929 1924 1919 1914 1909 1904 1899 0 Quelle: Maddison, Angus; www.ggdc.net /maddison phase selbst jedoch beherrscht der temporäre Einbruch die wirtschaftspolitische Debatte. Bis Ende der 1980 er-Jahre wuchs die Schweizer Wirtschaft dann nach wie vor, aber von blossem Auge ist erkennbar, dass die Wachstumsrate tiefer lag als in den Nachkriegsjahren. Dieser Rückgang der Wachstumsdynamik verstärkte sich in den 1990er-Jahren, bevor sich dann aber im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrtausends das Wachstum erhöhte. Die Effekte der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise zeigen sich an der deutlich negativen Wachstumsentwicklung im Jahr 2009. Wie nimmt sich nun der Schweizer Wohlstand im internationalen Vergleich aus? Abbildung 1.2 zeigt uns für 2008 das reale Bruttoinlandprodukt pro Kopf der Schweiz im Vergleich zu unseren beiden wichtigsten Handelspartnern (Deutschland und die USA) sowie zu unserem ähnlich grossen Nachbarland Österreich. Um das tatsächliche Wohlstandsniveau vergleichen zu können, wird das BIP pro Kopf einerseits in eine Währung umgerechnet (US-Dollar ) und andererseits kaufkraftbereinigt. Mit der Kaufkraftbereinigung wird berücksichtigt, dass die Preise der Güter und Dienstleistungen in den verschiedenen Ländern unterschiedlich hoch sind. Für die Schweiz mit ihrem hohen Preisniveau bedeutet dies, dass mit dem in Dollar ausgedrückten Einkommen weniger gekauft werden kann als in den anderen Ländern. Mit der Kaufkraftbereinigung ist das Schweizer BIP im internationalen Vergleich tiefer, als wenn wir es einfach in Dollar ausdrücken würden. Wie Abbildung 1.2 zeigt, ist die Schweiz auch unter Berücksichtigung der hohen Preise ein reiches Land. Selbst in dieser Gruppe besonders wohlhabender Länder belegt sie einen Spitzenplatz. Einzig die USA weisen ein höheres kaufkraftbereinigtes BIP pro Kopf auf, die anderen betrachteten Länder lässt die Schweiz dagegen hinter sich. 19 Die Schweizer Volkswirtschaft als Fallbeispiel Abb. 1.2 Reales BIP pro Kopf 2008, kaufkraftbereinigt (in US-$) 50 000 45 000 40 000 35 000 30 000 25 000 20 000 15 000 10 000 Deutschland 5 000 Österreich USA 0 Quelle: OECD Der Wohlstandsvorsprung der Schweiz hat in den letzten Jahrzehnten schrittweise abgenommen. Grund dafür ist das im Quervergleich tiefere Wachstum der Schweizer Wirtschaft seit Beginn der 1970 er-Jahre. 1.2.2 Beschäftigung: Tiefe Schweizer Arbeitslosigkeit Das zweite zentrale Kriterium zur Beurteilung der wirtschaftlichen Situation betrifft die Lage auf dem Arbeitsmarkt und hier insbesondere die Entwicklung der Arbeitslosigkeit. Gemessen wird dies mit der sogenannten Arbeitslosenquote, die ausweist, welcher Prozentsatz der erwerbswilligen Personen keine Arbeit findet. Auch in Bezug auf die Arbeitslosigkeit war die Schweiz im internationalen Vergleich während langer Zeit ein ausgeprägter Sonderfall im positiven Sinne; und sie ist es weitgehend auch heute noch. zeigt, dass die Arbeitslosenquote der Schweiz seit Beginn der 1970erJahre einen bemerkenswerten Verlauf nahm. In der Zeit vor den 1990er-Jahren überschritt die Arbeitslosigkeit in der Schweiz kaum je die 1% -Grenze. Eine solche Arbeitslosenquote ist im internationalen Vergleich ungewöhnlich tief. In den meisten Ländern würde man hier von massiver Überbeschäftigung sprechen, ist es doch in einer arbeitsteiligen und dynamischen Wirtschaft normal, dass sich immer ein gewisser Teil der Erwerbsbevölkerung auf Stellensuche befindet. Abbildung 1.3 Zu Beginn der 1990er-Jahre beobachten wir dann aber einen deutlich erkennbaren Bruch. Anders als in der Rezession der 1970er-Jahre wirkte sich der gesamtwirtschaftliche Rückgang diesmal massiv auf die Beschäftigung aus. Innerhalb kurzer Zeit, etwa von 1990 bis 1992, schoss die Arbeitslosenquote in die Höhe, von unter 1% auf beinahe 5 %. Dies entspricht einer Verfünffachung – im internationalen Vergleich ein ungewöhnlicher Vorgang. Zwar darf man bei 5 % immer noch von einer vergleichsweise moderaten Arbeitslosenquote sprechen. Aufgrund der starken Zunahme empfand die Schweizer Bevölkerung diese Arbeitsmarktverschlechterung jedoch als einschneidendes Ereignis. 20 Schweiz 1 Themen und Konzepte der Volkswirtschaftslehre Die Arbeitslosigkeit verharrte dann bis etwa 1997 auf hohem Niveau, und es gab Phasen, während denen die 5 %-Marke sogar überschritten wurde. Bemerkenswert ist aber, dass die Arbeitslosigkeit anschliessend wieder stark zurückging. Dazu genügte bereits ein relativ unspektakulärer wirtschaftlicher Aufschwung. Zwischen 1997 und Ende 1999 sank die Arbeitslosenquote von über 5 % auf weniger als 2 % – was fast ebenso aussergewöhnlich war wie der vorhergehende starke Anstieg. Viele Beobachter hatten der Schweiz Mitte der 1990er-Jahre prophezeit, dass die tiefen Arbeitslosenquoten Sache der Vergangenheit seien und man sich auf «europäische» Quoten von 5 % und höher einstellen müsse. Das hat sich mit der Entwicklung von 1997 bis 2000 als falsch erwiesen. Der Schweizer Arbeitsmarkt hat gezeigt, dass er wirksam neue Arbeitsplätze schaffen kann und dass die durchschnittliche Arbeitslosigkeit in der Schweiz nach wie vor relativ tief liegt. Seit 2001 ist die Arbeitslosigkeit allerdings wieder angestiegen. Sie hat zwar nicht die Rekordwerte der 1990er-Jahre erreicht, hielt sich aber bis Ende 2005 bei knapp 4 %, bis sie sich dann im Gefolge der sehr guten Konjunkturentwicklung wieder spürbar zurückbildete. Die Effekte der Finanz- und Wirtschaftskrise sehen wir am deutlichen Anstieg der Arbeitslosigkeit im Jahr 2009. zeigt für die bereits angesprochene Ländergruppe, dass die Schweiz im internationalen Vergleich eine ausgesprochen tiefe Arbeitslosenquote aufweist. Die grossen Nachbarländer der Schweiz – hier durch Deutschland vertreten – haben bereits seit Langem mit hartnäckig hohen Arbeitslosenquoten von gegen 10 % zu kämpfen. Auf der anderen Seite sind in den angelsächsischen Ländern wie den USA, aber auch in Österreich die Arbeitslosenquoten ähnlich tief wie in der Schweiz. Die Zahlen in den Abbildungen 1.3 und 1.4 lassen sich übrigens nicht direkt vergleichen, da die international vergleichbare Arbeitslosigkeit etwas anders gemessen wird als die offiziellen nationalen Arbeitslosenquoten. Abbildung 1.4 Abb. 1.3 Arbeitslosenquote in der Schweiz 1971– 2009 (in Prozent) 6 5 4 3 2 1 2009 2007 2005 2003 2001 1999 1997 1995 1993 1991 1989 1987 1985 1983 1981 1979 1977 1975 1973 1971 0 Quelle: Bundesamt für Statistik (BFS) 21 Die Schweizer Volkswirtschaft als Fallbeispiel Abb. 1.4 Standardisierte Arbeitslosenquote 1992 –2008 (in Prozent) 12 10 8 6 4 2 ■ Deutschland ■ Österreich ■ USA ■ Schweiz Quelle: OECD 1.2.3 Preisstabilität: Stabiles Schweizer Preisniveau Die dritte wirtschaftspolitisch bedeutende Grösse ist die Preisstabilität und damit die Entwicklung der gemessenen Inflation. Gemeint ist hier nicht die Stabilität einzelner Preise, sondern die Stabilität aller Preise. Diese werden mit dem sogenannten Konsumentenpreisindex gemessen, der die Preise eines repräsentativen Warenkorbs ausweist. Steigt diese Grösse, so spricht man von Inflation. zeigt die Inflationsentwicklung für die Schweiz und drei Vergleichsländer in der Periode von 1971 bis 2009. Abbildung 1.5 Wie die Arbeitslosigkeit weist auch die Inflation in der Schweiz eine markante Entwicklung auf. Die Inflationsrate ist heute im Durchschnitt wesentlich tiefer und schwankt weniger stark als noch vor einigen Jahren. Wir sehen, dass von 1971 bis noch zu Beginn der 1990er-Jahre die Inflationsrate mehrmals die 5 %-Marke überstieg und einmal fast 10 % erreichte. Während dieser Periode war die Inflation also relativ hoch und schwankte stark. Mitte der 1970er-Jahre sank sie von fast 10 % auf unter 2 %, um dann gegen Ende der 1980er-Jahre wieder auf 6 % anzuwachsen und Mitte der 1980er-Jahre auf unter 1% zu sinken. Beim letzten grösseren Aufbäumen der Inflation Ende der 1980er-Jahre erhöhte sie sich dann erneut auf beinahe 6 %. Im Verhältnis zu anderen industrialisierten Staaten wies die Schweiz aber auch während inflationären Phasen eine vergleichsweise tiefe Inflationsrate auf. Mit dem Beginn der 1990er-Jahre wurde dann eine neue Periode eingeläutet, in der die Inflationsrate wesentlich tiefer lag und deutlich stabiler blieb. Es überrascht nicht, dass gerade Anfang der 1990er-Jahre die Inflation dermassen sank. Ein starker Wirtschaftseinbruch und eine steigende Arbeitslosigkeit, wie man sie in dieser Periode zu verzeichnen hatte, sind regelmässig mit tiefer Inflation verbunden. Wir sehen aber, dass diese Preisstabilität nicht nur während der rezessiven 22 2008 2007 2006 2005 2004 2003 2002 2001 2000 1999 1998 1997 1996 1995 1994 1993 1992 0 1 Themen und Konzepte der Volkswirtschaftslehre Phase in der ersten Hälfte der 1990er-Jahre anhielt, sondern dass die Inflationsrate auch nachher die 2 %-Marke nicht mehr überschritt. Eine solche Preisstabilität, wie sie nun seit mehr als zehn Jahren über alle Konjunkturzyklen hinweg herrscht, ist bemerkenswert. Dieses Phänomen beschränkt sich aber, wie wir in Abbildung 1.5 erkennen können, nicht auf die Schweiz, sondern lässt sich in den meisten reichen Ländern beobachten. Seit der Nachkriegszeit und bis zu Beginn der 1990er-Jahre waren Perioden mit hohen Inflationsraten durchaus üblich, selbst zweistellige Inflationsraten waren in jener Zeit möglich. Diese hohen und schwankenden Inflationsraten verschwanden jedoch in den 1990erJahren und wichen einer Phase aussergewöhnlicher Preisstabilität. Die Inflationsrate der Schweiz lag auch innerhalb der betrachteten Ländergruppe stets relativ tief. Dies gilt auch dann, wenn man den Vergleich auf alle OECDLänder ausdehnt. Die Schweiz gehört weltweit zu den Ländern mit den stabilsten Preisniveaus. Abb. 1.5 Inflation 1971– 2009 (in Prozent) 14 12 10 8 6 4 2 0 ■ Deutschland ■ Österreich ■ USA ■ Schweiz 2009 2007 2005 2003 2001 1999 1997 1995 1993 1991 1989 1987 1985 1983 1981 1979 1977 1975 1973 1971 –2 Quelle: OECD 23 Die Schweizer Volkswirtschaft als Fallbeispiel Staatsverschuldung: Moderate Schweizer Staatsschulden 1.2.4 Der Zustand der Staatsfinanzen stellt die vierte bedeutende gesamtwirtschaftliche Grösse dar. Wir konzentrieren uns dabei auf die Staatsverschuldung als ein Mass für die Nachhaltigkeit der Staatsfinanzierung. Denn laufend wachsende Schulden sind letztlich ein Zeichen dafür, dass ein Land nicht in der Lage ist, seine Staatsausgaben mit ordentlichen Staatseinnahmen zu finanzieren. Die Folge sind permanente Budgetdefizite, die mit Kreditaufnahmen auf dem Kapitalmarkt – also mit zunehmender Verschuldung – gedeckt werden müssen. zeigt die Entwicklung der Verschuldungsquote, also der Staatsschulden in Prozent des BIP für die Schweiz ( Bund, Kantone und Gemeinden zusammengezählt ) und drei Vergleichsländer. Abbildung 1.6 Die Verschuldungsquote war in der Schweiz von 1971 bis Ende der 1980er-Jahre stabil, ja sogar leicht rückläufig. Anfang der 1990er-Jahre wurde eine Verschuldungsquote von etwa 30 % erreicht. Im Verlauf der nächsten zehn Jahre aber erhöhte sich diese Quote stark von 30 % auf mehr als 50 %, was auch auf die schwierige Wirtschaftslage in den 1990er-Jahren zurückzuführen war. Zu dieser Zeit herrschten ja, wie wir bereits gesehen haben, eine Rezession und steigende Arbeitslosigkeit. Eine solche Situation ist typischerweise mit einem Budgetdefizit und folglich mit steigender Verschuldung verbunden. Ende der 1990er-Jahre war mit der Verbesserung der Wirtschaftslage ein leichter Rückgang der Verschuldungsquote zu verzeichnen. Seither scheint der Trend zu steigender Verschuldung gebrochen und die Schweiz bleibt inzwischen deutlich unter der 60 % -Marke. Diese ist im internationalen Vergleich eine wichtige Schwelle. Die Länder, die der Europäischen Währungsunion beitreten wollen, müssen eine Verschuldungs- Abb. 1.6 Verschuldungsquote 1990 – 2009 (Staatsschulden in Prozent des BIP) 90 80 70 60 50 40 30 ■ Deutschland ■ Österreich ■ USA ■ Schweiz Quelle: OECD 24 2009 2008 2007 2006 2005 2004 2003 2002 2001 2000 1999 1998 1997 1996 1995 1994 1993 1992 1991 1990 20 1 Themen und Konzepte der Volkswirtschaftslehre quote von 60 % oder weniger vorweisen. Obwohl diese 60 %-Marke letztlich eine relativ willkürlich gewählte Grösse ist, wird sie heute als eine Art internationaler Benchmark betrachtet, jenseits dessen die Verschuldungssituation als kritisch erachtet wird. Im internationalen Vergleich fällt auf, dass die Schweiz zu Beginn der 1990erJahre die tiefste Verschuldungsquote aufwies. Mit dem Anstieg in den darauf folgenden Jahren verschlechterte sich die relative Situation der Schweiz dann spürbar und stabilisierte sich anschliessend wieder; trotz dieses Anstiegs in den letzten Jahrzehnten liegt die Quote im internationalen Vergleich auch heute noch vergleichsweise tief; in den letzten Jahren war sie gar deutlich rückläufig. Verschuldungsquoten von über 100 % des BIP sind im Übrigen auch in reichen Industrieländern durchaus möglich. Ein problematischer Fall ist beispielsweise Japan, das in der sehr schwierigen Wirtschaftslage der 1990er-Jahre versucht hat, die Wirtschaft massiv mit staatlichen, über Verschuldung finanzierten Programmen zu stimulieren. Die Verschuldung explodierte geradezu und liegt heute bei über 200 % des Bruttoinlandproduktes, was die Staatsfinanzen enorm belastet. Bei einem so hohen Schuldenstand verschlingen bereits die Zinszahlungen einen wesentlichen Teil des staatlichen Budgets. Wie wir in Abbildung 1.6 sehen, führt die Finanz- und Wirtschaftskrise in vielen Ländern – nicht aber in der Schweiz – zu steil ansteigenden Verschuldungsquoten. 1.3 Was wird in der Volkswirtschaftslehre analysiert? ¨ Ressourcen Materielle oder immaterielle Mittel, die für die Produktion von Gütern und Dienstleistungen oder zur Befriedigung von Konsumbedürfnissen verwendet werden können. ¨ Anbieter Wirtschaftliche Akteure, die Güter oder Dienstleistungen auf einem Markt zum Verkauf anbieten. ¨ Nachfrager Wirtschaftliche Akteure, die Güter und Dienstleistungen erwerben möchten und auf einem Markt als Käufer auftreten. Bevor wir uns mit den zentralen Konzepten zu befassen beginnen, müssen wir uns fragen, welche Themen die Volkswirtschaftslehre damit eigentlich behandeln möchte. Das heisst, wir müssen uns zunächst einmal über den Untersuchungsgegenstand im Klaren werden. Vereinfacht kann man dabei drei eng miteinander verbundene Ebenen unterscheiden: I I I Erstens befasst sich die Volkswirtschaftslehre mit den Entscheiden einzelner Menschen, zweitens analysiert sie das Zusammenspiel von Menschen in vielfältigen wirtschaftlichen Beziehungen auf sogenannten Märkten, drittens schliesslich beschäftigt sie sich mit der Gesamtwirtschaft, also mit der zusammengefassten Betrachtung all dieser Entscheide und Märkte. Die Basis jeder wirtschaftlichen Analyse bilden die Entscheide von Einzelnen. Weil wir nicht im Schlaraffenland leben, stehen jeder und jedem von uns nicht unendlich viele Ressourcen zur Verfügung. Wir müssen also laufend zwischen Alternativen entscheiden. Soll ich ins Kino oder ins Restaurant gehen ? Kaufe ich mir einen MP3-Player oder ein paar Bücher ? Soll ich morgen Nachmittag Fussball spielen gehen oder noch zwei Stunden lernen ? Bei derartigen Entscheiden vergleichen wir – bewusst oder unbewusst – Kosten und Nutzen verschiedener Alternativen. Die Volkswirtschaftslehre liefert die Grundlagen für die Analyse solcher Entscheide. Dabei unterscheidet sie zwei Personengruppen: Anbieter und Nachfrager. Die Anbieter müssen sich entscheiden, wie sie ihre Mittel einsetzen, um 25