Studienarbeit Farag

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Hausarbeit
5. Semester, DIdI-Fernstudium über den Islam
„Übergang der ägyptischen Gesellschaft vom Schiitentum zum
Sunnitentum unter Salahuddin (ca. 1170 n.Chr.)
und Übergang der persischen Gesellschaft und des persischen
Staats vom Sunnitentum zum Schiitentum unter dem
Safawidenherrscher Ismail I (ca. 1500) – Ein Überblick“
Name der Studentin: Laura (Lamees) Farag
Matrikelnummer: 245
Betreuer: Samir Mourad
Köln, 31.07.2014
Abb.1
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung................................................................................................................................5
2. Spaltung der Muslime in Sunniten und Schiiten.....................................................................7
2.1 Voraussagen bezüglich der Spaltung und kommender Herrschaftsformen aus Koran und
Sunna......................................................................................................................................7
3. Die Schiitische Gruppe der Ismailiten und Gründung des Fatimiden-Kalifats.....................11
3.1 Glaube der Ismailiten.....................................................................................................11
3.2 Abdullah, der Gründer des Fatimidischen Kalifats........................................................12
3.3 Die ägyptische Gesellschaft unter der Fatimiden Herrschaft.........................................13
4. Übergang der ägyptischen Gesellschaft vom Schiitentum zum Sunnitentum unter
Salahuddin.................................................................................................................................16
4.1 Die Gesamtsituation der Muslime im 12. Jahrhundert...................................................16
4.2 Die Eroberung des Fatimiden Reiches durch Assad ad-deen Schirkuh und Salahuddin
..............................................................................................................................................17
4.3 Umwandlung Ägyptens zum sunnitischen Staat............................................................20
5. Übergang der persischen Gesellschaft und des persischen Staats vom Sunnitentum zum
Schiitentum...............................................................................................................................26
5.1. Entwicklung der Islamischen Welt bis zum 16. Jahrhundert, insbesondere in Persien.26
5.2 Die Derwisch-Gemeinschaft der Safawiyeh..................................................................29
5.3 Wahl der zwölferschiitischen Staatsreligion...................................................................30
5.4 Umwandlung Irans in einen schiitischen Staat...............................................................32
6. Auswirkungen der Geschichte auf die Gegenwart – Iran und Ägypten heute......................36
7. Resumé..................................................................................................................................39
8. Schlusswort...........................................................................................................................40
2
Abkürzungsverzeichnis
Abb.
Abbildung
arab.
Arabisch (in arabischer Sprache)
Aufl.
Auflage
bzw.
beziehungsweise
Ebd.
Ebenda (zitiert von der gleichen/ zuvor genannten Stelle)
erw.
erweiterte
ff.
fort folgende (Seiten)
gest.
gestorben
r.
radiAllahu anhu/ anha (Allah möge mit ihm/ ihr zufrieden sein)
reg.
Regierungszeit
S.
Seite
s.a.s.
sallAllahu alaihi wa salam (Allahs Segen und Frieden sein auf
ihm)
u.a.
unter anderem
usw.
und so weiter
verb.
verbesserte
vergl.
vergleiche
z.B.
zum Beispiel
zit. n.
Zitiert nach
Glossar
Ummah
Islamische Gemeinschaft
ibn
Sohn von/ des
Wesir
Minister
Sunna
alles was der Prophet Muhammad s.a.s. tat, sagte oder
stillschweigend billigte
Scheich
alter, ehrwürdiger Mann
Schah
persisches Wort für König
Imam (sunnitisch) Vorbeter (Vorbild, Anführer)
Imam (schiitisch)
unfehlbarer spiritueller Führer der Ummah
3
Abbildungsverzeichnis
Abb. 1, Deckblatt:
Karte „Middle East“, Google Maps. www.google.de, Karte „Ayyubid dynasty“,
Wikipedia, www.wikipedia.org und „Safavid dynasty“, Wikipedia, www.wikipedia.org,
Zusammenstellung und farbliche Bearbeitung: Laura (Lamees) Farag
Anmerkung zu den Begriffen Iran und Persien
Die Vorderasiatische Region des heutigen Iran hatte im Laufe ihrer Geschichte viele
Bezeichnungen. Schon in frühester Zeit wurde das Land von seiner Bevölkerung Iran
genannt. In Europa nannte man dieses Land Persien nach dem Volk der dort lebenden Perser. In der vorliegenden Arbeit werden die Begriffe synonym verwendet.
Anmerkung zu den Jahreszahlen
Die Jahresangaben werden jeweils zuerst in der islamischen Zeitrechnung n.H.
(nach Hidschra) in Mondjahren und danach in der christlichen Zeitrechnung n.Ch.
(nach Christi) in Sonnenjahren angegeben. Wenn in den verwendeten Quellen nur
eine Angabe gemacht wurde, sind die Jahre von der Autorin umgerechnet worden.
Falls nur die Jahreszahl ohne genauer Monat bekannt ist, ist die umgerechnete
Jahreszahl in ca. angegeben. Ohnehin verwenden einige Historiker zu verschiedenen Ereignissen unterschiedliche Jahreszahlen, da sich nicht immer exakt festmachen lässt, zu welchem Zeitpunkt genau z.B. ein Dynastiewechsel stattfand.
4
1. Einleitung
Die Muslime leben seit über 1.300 Jahren gespalten in Sunniten und Schiiten. Dies
führte bereits zu vielen Glaubens- und Machtkämpfen in der islamischen Geschichte,
bei denen sich Schiiten und Sunniten bis auf den Tod bekriegten. Darauf folgten
lange Phasen, in denen die beiden muslimischen Hauptströmungen friedlich
miteinander zusammen lebten. Dies hängt oft davon ab, ob Muslime sich an den
Grundsatz halten, dass ein Muslim keinen anderen Muslim (und auch sonst keinen
Menschen ohne Grund) töten darf, oder es als wichtiger angesehen wird, den
islamischen Glauben in seiner reinen Form zu bewahren und Neuerungen in der
Religion (arab. Bida') zu bekämpfen.
In jüngster Zeit haben sich die Fronten wieder verhärtet. In Syrien ist ein Krieg
ausgebrochen, der damit begann, dass die schiitische (alivitische) Regierung
sunnitische Demonstrationen (welche nach dem Vorbild des Arabischen Frühlings
demonstrierten) blutig niederschoss. Seitdem kämpfen unterschiedliche Gruppen der
Bevölkerung gegen die Regierung und auch gegeneinander. Die Gruppe IS „Islamic
State“ (auch bekannt als ISIS oder Da'isch), welche ebenfalls im syrischen
Bürgerkrieg groß wurde, versucht nun, ein sunnitisches Kalifat zu errichten, welches
insbesondere den jetzigen schiitischen Machthaber Maliki im Irak absetzen soll. Die
Methoden die ihnen zugeschrieben werden sind zum großen Teil nicht mit dem
sunnitischen Islam vereinbar (z.B. Selbstmordanschläge, Gräueltaten an der
Zivilbevölkerung, Schiiten und nicht-islamischen Minderheiten) und werden von
sunnitischen Gelehrten verurteilt.
Der schiitische Hauptakteur ist Iran, das einzige Land, in dem der schiitische Islam
Staatsreligion ist. Sowohl im Irak als auch in Syrien unterstützt das Land die
Regierungen von Maliki und Assad. Was viele Menschen nicht wissen ist, dass der
Iran bzw. Persien früher einmal ein Zentrum des sunnitischen Islams war, welches
große sunnitische Gelehrte wie Imam Muslim (gest. 261/857) oder Al-Ghazali (gest.
505/1111) hervor brachte.
Auf der anderen Seite war das sunnitische Land Ägypten mit der berühmten sunniti5
schen Al-Azhar-Universität lange Zeit ein schiitischer Staat und die Al-Azhar-Universität selbst wurde gegründet, um die schiitische (ismailitische) Lehre zu verbreiten.
Die vorliegende Arbeit soll einen Überblick darüber geben, wie es dazu kam, dass
Ägypten sunnitisch wurde und Iran schiitisch. Besonders wurde versucht die Methoden aufzuzeigen, mit welchen es gelang, die Gesellschaft umzuwandeln.
Zu Beginn wird noch einmal kurz dargestellt, wie es überhaupt zur Spaltung der Muslime in Sunniten und Schiiten kam, bevor dann im Hauptteil auf Ägypten unter
Salahuddin und Persien unter Schah Ismail I eingegangen wird. Zusätzlich wird versucht, dem Leser immer einen Gesamtüberblick über die historische Entwicklung der
islamischen Gemeinschaft zu geben, sowie einen abschließenden Blick auf die Entwicklung beider Länder in der Gegenwart.
Der Islamische Staat fördert an sich eine pluralistische Gesellschaft, in dem
besonders Juden und Christen, aber auch andere Religiöse Minderheiten ihre
Religion frei ausleben können. Sie können ihre Gotteshäuser und Lehranstalten
bauen und alle Staatsämter bis auf das des Staatsoberhauptes bekleiden. Niemand
darf gezwungen werden, Muslim zu werden. An dieser Stelle wird allerdings nicht das
Verhältnis von Muslimen zu Andersgläubigen behandelt. (Siehe für diese Thematik:
Feisal Maulawi: Die Schariagrundlagen für das Verhältnis zwischen Muslimen und
Nichtmuslimen, aus dem Arabischen von Samir Mourad, Karlsruhe, 2006) In dieser
Arbeit geht es jeweils um Muslime und ihren Umgang mit anderen Muslimen, welche
– jeweils aus der Sicht des anderen – vom wahren Islam abgewichen sind.
6
2. Spaltung der Muslime in Sunniten und Schiiten
2.1 Voraussagen bezüglich der Spaltung und kommender
Herrschaftsformen aus Koran und Sunna
'Auf ibn Malik r. berichtet, dass der Prophet Muhammad s.a.s. sagte:
„Die Juden werden sich in 71 Gruppen spalten, eine davon ist im Paradies und (die
anderen) 70 sind im Höllenfeuer. Die Christen werden sich in 72 Gruppen spalten,
71 davon werden im Höllenfeuer sein und (nur) eine im Paradies. Bei dem in dessen
Hand die Seele Muhammads ist, meine Ummah wird sich in 73 Gruppen spalten,
eine davon wird im Paradies sein und (die anderen) 72 im Höllenfeuer.“ Er (s.a.s)
wurde gefragt: „Oh Gesandter Allahs, wer sind sie?“ Er (s.a.s.) sagte: „Al-Jamaa'ah“.1
In Sure 8 „Die Verderblichkeit des Krieges“ (arab. Al-Anfal) sagt Allah t. in Vers 25:
Und macht euch auf eine Prüfung (arab. Fitna) gefasst, die keineswegs
ausschließlich diejenigen von euch treffen wird, die freveln!
َ ‫ُ ِ َ ن ا ِذ نَ َظ َ ُ و ْا ِ ُ ْم‬
ً َ ْ ِ ‫َوا ُو ْا‬
Und der Gesandte Allahs s.a.s. hat gesagt:
“Unter euch wird das Prophetentum weilen, solange Allah es will; dann wird Er es
1 Sunan Ibn Maja Nr. 3982 zit. n. www.islamfatwa.de Das Wort „Al-Jamaa'ah“ wird in Englisch als
„The main body“ übersetzt und bedeutet soviel wie die größte Gruppe der Gemeinschaft
Arabischer Text: Sunan Ibn Maja, Buch 36, Hadith 4127 zit. n. sunnah.com. Der Hadith ist als
hasan „gut“ klassifiziert
7
hinweg nehmen, wenn Er es will. Danach wird es ein rechtschaffenes Kalifat auf
dem Weg des Prophetentums geben, welches solange unter euch weilen wird,
solange Allah es will; dann wird Allah es hinweg nehmen, wenn Er es will. Dann wird
es ein Königtum geben, in dem viele Ungerechtigkeiten und Unterdrückung
vorkommen und welches solange unter euch weilen wird, solange Allah es will;
dann wird Allah es hinweg nehmen, wenn Er es will. Dann wird es eine tyrannische
Herrschaft geben, welche solange unter euch weilen wird, solange Allah es will; dann
wird Allah sie hinweg nehmen, wenn Er es will. Danach wird es ein
rechtschaffenes Kalifat auf dem Weg des Prophetentums geben.” Dann schwieg
er.2
‫م ون‬
‫إذا ء أن ر‬
‫ء أن ون م ر‬
‫ون ا وة م‬
‫م ون‬
‫إذا ء أن ر‬
‫ء أن ون م ر‬
‫ج ا وة ون‬
‫م ون‬
‫إذا ء أن ر‬
‫ء أن ون م ر‬
‫! ون‬
‫ج‬
‫م ون‬
‫إذا ء أن ر‬
‫ء أن ون م ر‬
‫ون‬
‫"ر‬
‫ ت‬$ ‫ا وة م‬
2.2 Die Nachfolgeregelung des Propheten Muhammad s.a.s. und die
Spaltung der Muslime in Sunniten und Schiiten
Obwohl der Prophet Muhammad s.a.s. insgesamt 13 Ehefrauen hatte, hinterließ er
bei seinem Tod (10/632) keinen einzigen Sohn, sondern nur Töchter. Auch bestimmte
er nicht eindeutig einen Nachfolger (arab. Kalif). Eine Gruppe der führenden Männer
der Gefährten einigte sich (in Abwesenheit von Ali r.3) auf Abu Bakr r., den der Prophet s.a.s. während der Krankheit vor seinem Tod als seinen Stellvertreter für die
Freitagspredigt bestimmt hatte. Die Wahl wurde durch einen Treueeid (arab. Bai'a)
aller Männer (inkl. Ali r.) bestätigt. Abu Bakr r. bestimmte Umar r. als nächsten Kalif
und Umar r. benannte ein Gremium aus den führenden politischen Persönlichkeiten
(inkl. Ali r.), die den Kalif aus ihrer Mitte bestimmen sollten. Die Wahl fiel auf Uthman
r.4
2 Dies berichtete Ahmad (4/273). Albani klassifiziert den Hadith als mindestens hasan „gut“ zit. n.
Mourad, Samir: Islamische Geschichte: Eine analytische Einführung, Karlsruhe, 2007, S. 434
Nach allgemeiner Auslegung wird das rechtschaffene Kalifat bis Ali r. gezählt, das Kalifat welches
bis 1924 bestand, war das Königtum und die heutige Zeit ist der Phase der Tyrannei. Somit warten
Muslime auf die Rückkehr des rechtschaffenen Kalifats, vergl. Mourad, Samir, Karslruhe, 2007, S.
435
3 Ali ibn Abu Talib r. war ein Cousin des Propheten Muhammad s.a.s. und einer seiner Schwiegersöhne. Er war verheiratet mit der Prophetentochter Fatima r., aus deren Ehe die beiden Söhne
Hassan r. und Hussain r. hervorgingen.
4 Ahmad, Fazl: Die Rechtgeleiteten Kalifen, Herausgegeben von Ibn Rassoul, Köln, 1994, S. 162-164
8
Das Islamische Reich breitete sich immer weiter aus. Viele Menschen hatten in kurzer Zeit den Islam angenommen, aber nicht bei allen war der Glaube auch verinnerlicht. So verteilte sich der neu gewonnene große Reichtum nicht auf die beste Weise
und viele Menschen waren unzufrieden. Man schob die Schuld auf den Kalifen.
Schließlich tötete eine Gruppe von Männern, welche sich Ali r. als Kalif wünschten,
Uthman r. in seinem Haus in Medina. Ali r. hatte mit dieser Untat nichts zu tun, hatte
er doch im Gegenteil eigens seine Söhne Hassan r. und Hussain r. angewiesen, vor
Uthmans Haus Wache zu halten, welche das Attentat allerdings nicht verhindern
konnten.
Ali r. wollte das Kalifen-Amt unter diesen Umständen auch zunächst nicht annehmen,
doch ließ er sich dann doch den Treueeid geben. So wurde er der vierte Kalif.5
Der mächtige Gouverneur von Damaskus, Muawiya r., welcher wie Uthman r. dem
Familien-Clan der Umayya angehörte, wollte Ali r. allerdings nicht als Kalifen anerkennen, da er Ali r. Vorwarf, Uthmans Tod nicht gerächt zu haben und auf der Seite
der Mörder zu stehen. Ali r. hatte zu dem Zeitpunkt aber gar keine Möglichkeit zur
Vergeltung gehabt, da Medina quasi in der Hand der Aufständischen war und er zunächst die Staatsführung sichern wollte.6 Doch sah es jede Partei von ihrer Seite.
Es ging um unterschiedliche Auffassungen darüber, wie man mit dem islamischen
Recht (arab. Schari'a) umgeht. Es kam zum Bürgerkrieg. Aus der Partei (arab. Schia)
Alis sind die Schiiten hervor gegangen.
Die Sunniten stehen ebenfalls auf Alis Seite, da sie sagen, dass Ali r. damals mehr
Recht hatte und sie sehen Ali r. als vierten (und letzten) rechtschaffenen Kalifen.
Allerdings folgern die Sunniten nicht daraus, dass die Kalifen vor Ali r. und alle die im
Bürgerkrieg nicht auf Alis Seite standen, schlecht sind7 oder sogar verflucht werden
sollen (Siehe 5.4).
Ali r. wurde 40/661 von einer muslimischen Sekte Namens Hawaridsch ermordet,
welche sowohl Ali r. als auch Muawiya r. töten wollten um den Bürgerkrieg zu beenden.8 Das Attentat an Muawiya missglückte allerdings. Alis ältester Sohn Hassan r.
5
6
7
8
Ebd. S. 221-229
Mourad, Samir, 2007, S. 433
Ebd.
Ahmad, Fazl, 1994, S. 274-275
9
wurde Kalif, trat das Kalifen-Amt allerdings an Muawiya ab, welcher sich nach Alis
Tod selbst zum Kalifen ausgerufen hatte. Durch diesen Schritt gelang es Hassan r.,
die Muslime – eine Zeit lang – wieder zu vereinen und Frieden zu stiften.
Muawiya machte allerdings den Fehler, seinen Sohn Yazid als seinen Nachfolger zu
bestimmen, welcher nicht der geeignetste für dieses Amt war.
Der zweite Sohn Alis, Hussain r. wollte Yasid nicht als Kalifen akzeptieren. Als seine
Anhänger in Kufa (Irak) ihn baten, zu ihnen zu kommen, wurden er und seine Familie
auf dem Weg dorthin am Tag von Aschura9 auf grausame Weise in Kerbela (Irak)
niedergemetzelt. Der Kalif Yasid distanzierte sich von dieser Gräueltat.10
Das Kalifat wurde fortan von den Familienangehörigen der Banu Umayya von
Damaskus aus weiter geführt.
Im Jahre 132/750 wurde das sunnitische Umayyaden-Kalifat von den sunnitischen
Abbasiden in Bagdad abgelöst.
9 Der Tag von Aschura ist der 10. Tag des islamischen Monats Muharram.
10 Ibn Kathir Geschichte, Band 8, S. 588 zit. n. Mourad, Samir, Karlsruhe 2007, S. 442
10
3. Die Schiitische Gruppe der Ismailiten und Gründung des
Fatimiden-Kalifats
3.1 Glaube der Ismailiten
Ismailiten sind Schiiten. Sie glauben, dass der Prophet Muhammad s.a.s. vor seinem
Tod seinen Cousin und Schwiegersohn Ali r. zu seinem Nachfolger bestimmt hatte11
oder bestimmen wollte12 und die ersten drei Kalifen Ali r. um dieses Amt betrogen
haben.
Ihrer Überzeugung nach kann der spirituelle Führer (Imam) der Ummah nicht gewählt
werden, sondern wird durch Designation (arab. nass) bestimmt und auf den nächsten
Imam geht dann das spirituelle Wissen (arab. ilm) über. Dieses Wissen macht den
Imam unfehlbar in seinen Aussagen und es befähigt ihn außerdem, den Menschen
die innere Bedeutung der islamischen Botschaft zu übermitteln.13 Denn nach ismailitischem Glauben gibt es zu jedem Koranvers (arab. aya) noch eine „versteckte“ tiefere
Bedeutung, die nur der Imam deuten kann. Der erste Imam war nach schiitischer
Auffassung Ali r. und danach seine Söhne Hassan r. und Hussain r., gefolgt von ihren
Söhnen.
Die Ismailiten spalteten sich von anderen Schiiten ab, als Ismail, der Sohn des 6.
Imams, Djafar as-Sadiq, vor seinem Vater starb. Die Zwölfer-Schiiten führen die
11 Als Grundlage dafür, dass Muhammad s.a.s. Ali r. zu seinem Nachfolger bestimmt hatte, nennen
die Schiiten u.a. folgenden Hadith: Der Prophet Muhammad s.a.s. sagte: „Der, dessen Herr (arab.
Maula) ich bin, dessen Herr (arab. Maula) ist auch Ali.“ (Tirmidhi Nr. 6082, Sahih „gesund“ nach
den Kriterien von Tirmidhi) zit. n. Islamhelpline.net
Sunniten sagen, dass dies zwar eine besondere Ehrung für Ali r. ausdrückt, aber nicht gleichbedeutend mit einer Ernennung zu seinem (einzig möglichen) Nachfolger ist.
12 Als Argument dafür, dass Muhammad s.a.s. Ali r. zu seinem Nachfolger bestimmen wollte, sehen
Schiiten einen Hadith welcher in Sahih Bukhari, al-Shurut, Kap. Al Shurut fi al Jihad, Band 2, S.
122 aufgeführt wird und darüber berichtet, dass der Prophet s.a.s. in den letzten Tagen seiner tödlichen Krankheit nach Stift und Schreibunterlage verlangte um etwas aufschreiben zu lassen. Umar
r. sagte, man solle ihn in Ruhe lassen, denn er rede schon im Delirium, worauf eine Diskussion unter den Gefährten ausbrach und es nicht mehr dazu kam, dass etwas aufgeschrieben wurde. Die
Schiiten meinen, der Prophet s.a.s. habe die Ernennung Alis r. zu seinem Nachfolger aufschreiben
wollen und Umar r. hätte dies verhindern wollen. Zit. n. Dr. Muhammad al-Tijani al-Samawi: Then I
was Guided, Newington, (Ohne Jahreszahl) S. 73
13 Aziz Esmail und Azim Nanji: The Isma'ilis in History. In: S.H. Nasr, Hrsg, Isma'ili Contributions to
Islamic Culture, Tehran, 1977, S. 238 zit. n. Jiwa, Shainool: Torwards a Shi'i Mediterranean Emprie:
Fatimid Egypt and the Founding of Cairo, in der Einleitung zu ihrer Übersetzung von Al-Maqrizi,
Taqi al-Din Abu'l Abbas Ahmad ibn Ali: Itti'az al-hunafa' bi-akhbar al-a'imma al-Fatimyyin al-khulafa,
London, 2009, S. 3
11
Imam-Linie weiter über as-Sadiqs zweiten Sohn Musa, doch sagen die Ismailiten,
dass Ismail designiert wurde und darum sein Sohn Muhammad ibn Ismail der 7.
Imam ist. Dieser musste allerdings aufgrund der abbasidischen Verfolgung in den
Untergrund gehen und starb etwa im Jahre 179/795-796.14 Er wird bzw. wurde als
„Mahdi“15 (der Rechtgeleitete) zurück erwartet.16
Die ismailitische Auslegung des islamischen Glaubens ist eine mit gnostischen Spekulationen, später auch neuplatonischen Elementen durchsetzte Geheimlehre.17 Sie
sprach viele Intellektuelle an, welche durch die griechische Philosophie, die im 2./8.
Jahrhundert ins Arabische übersetzt wurde, beeinflusst waren.18 Ihr Ziel war der Sturz
des abbasidischen Kalifats und, seit 1055, der Kampf gegen die sunnitischen
Seldschuken-Sultane.19
3.2 Abdullah, der Gründer des Fatimidischen Kalifats
Im 3./9. Jahrhundert trat ein Mann Namens Abdullah auf, welcher als Kopf der ismailitischen Werber (arab. Dai') zunächst in Syrien eine hoch disziplinierte Untergrundbewegung aufbaute und später das Fatimiden-Kalifat gründete.
Im Jahr 286/899 erklärte Abdullah öffentlich, dass er selbst der erwartete Imam sei.
Dies führte wiederum zur ersten Spaltung der Ismailiten, da ein Teil Abdullah als den
7. Imam Muhammad ibn Ismail anerkannte, ein anderer Teil aber Abdullah nur als
Stellvertreter des verborgenen Imams ansah, welcher immer noch am Leben sei und
als der Mahdi wiederkehren werde. Diese ismailitische Gruppe wurde bekannt unter
14 Jiwa, Shainool: Torwards a Shi'i Mediterranean Emprie: Fatimid Egypt and the Founding of Cairo,
in der Einleitung zu ihrer Übersetzung von Al-Maqrizi, Taqi al-Din Abu'l Abbas Ahmad ibn Ali: Itti'az
al-hunafa' bi-akhbar al-a'imma al-Fatimyyin al-khulafa, London, 2009, S. 4
15 Die Sunniten erwarten ebenfalls einen Mahdi, denn es gibt zahlreiche Hadithe in denen der Prophet Muhammad s.a.s. dies angekündigt hat. Dazu zählen: Abu Sa`id Al-Khudri r. berichtete, dass
der Gesandte Allahs s.a.s. sagte: "Am Ende der Zeit meiner Ummah erscheint der Mahdi. Allah
wird Regen mit ihm senden, die Erde wird Früchte hervorbringen, er wird große Mengen Geld verteilen, das Vieh wird sich vermehren und die Ummah wird wachsen. Er wird für sieben oder acht
Jahre herrschen." (Mustadrak Al-Hakim, 4/557-558, Al-Albani sagte: dies ist ein sahih Sanad (eine
gesunde Überlieferungskette) ) und Umm Salamah r. sagte: "Ich hörte den Gesandten Allahs s.a.s.
sagen: 'der Mahdi ist von meiner Abstammung und Familie, von den Nachkommen von Fatimah.'"
(Sunan Abu Dawud 11/373; Sunan Ibn Majah 2/1368. sahih „gesund“ nach Al-Albani, Sahih AlJami` ist 6734, zit. n. ahlu-sunnah.com
16 Gronke, Prof. Monika, 2009, S. 47
17 Ebd.
18 Jiwa, Shainool, 2009, S.5
19 Gronke, Prof. Monika, 2009, S. 47
12
dem Namen Qaramita nach ihrem Anführer Hamdan Qarmat (der sich allerdings
selbst wieder Abdullah zugewandt haben soll).20 Eine weitere Abspaltung der ismailitischen Gruppe der Nizariten erfolgte später. (Siehe hierzu unter 4.3, Fußnote 59)
Im Jahr 297/910 besetzte Abdullah mit seinen Truppen Nordafrika und regierte mit
den Titeln Imam, Kalif und Mahdi in dem Gebiet von Marokko bis zur Grenze
Ägyptens. Seine Abstammung führte er auf die Prophetentochter Fatima r. zurück,
weshalb das von ihm begründete Kalifat als Fatimiden-Kalifat bekannt wurde. Ob er
allerdings wirklich ein Nachfahre von Fatima r. war, ist nicht belegt.
Der berühmte Gelehrte und Geschichtsschreiber Adh-Dhahabi schreibt über seine
Abstammungslinie:
„Nach Aussagen von Gelehrten war sein Vater unbekannt (..)21
Seine Anhänger gaben ihm göttliche Attribute. So hieß es z.B. dass er das Wissen
des Verborgenen (arab. al-ghaib) besitze.22 Für viele Zeitgenossen wurden die Ismailiten daher gar nicht mehr als Muslime angesehen, da sie die vom Islam gesetzten
Grenzen als eindeutig überschritten ansahen.23
3.3 Die ägyptische Gesellschaft unter der Fatimiden Herrschaft
Der vierte fatimidische Imam-Kalifen al-Mu'izz li-Din Allah eroberte schließlich
Ägypten, welches das Kerngebiet der Fatimiden wurde. Die Fatimiden gründeten
noch im Jahr ihrer Machtergreifung ca. 358/969 die Stadt Kairo (arab. al-Qahira). Die
Stadt wurde als Palaststadt für die ismailitischen Imam-Kalifen und Lager ihrer
Truppen konzipiert. „Ihre besondere Funktion zeigt sich bis heute daran, dass sich
dort nie das typische Kennzeichen orientalisch-islamischer Städte, der Suq, das dem
Handwerk und Gewerbe vorbehaltene Viertel, wie man es etwa aus Damaskus,
20 Jiwa, Shainool, 2009, S.5
21 Adh-Dhahabi, Shams ad-Deen Abu 'Abdullah Muhammad ibn Ahmad ibn 'Uthman: Siyar A'lam anNubala', Mu'salat ar-Risalah, 1990, Band 15. S. 142 zit. n. Sallabi, Dr. Ali M., 2010, Band 1, S. 206
Englischer Quellentext:„According to scholars, his father was not known (...)“
22 Sallabi, Dr. Ali M., 2010, Band 1, S. 208 vergleiche hierzu Quran 27:65: „Sag: Die im Himmel und
auf Erden sind, haben (alle) keine Kenntnis vom Verborgenen, außer Allah. (...)“
23 Gronke, Prof. Monika, 2009, S. 47
13
Aleppo oder Fes kennt, entwickelt hat.“ (Halm, Prof. Heinz, 2014, S. 314) Der Suq
war stattdessen im mauerlosen Fustat Misr, welches durch unbebautes Gelände gut
zwei Kilometer von Kairo getrennt war.24
Durch gute Ernteerträge im fruchtbaren Nil-Delta, die geographische Lage als Handelsknotenpunkt (insbesondere mit einem Seehandelszugang nach Fernost) sowie
ein gut strukturiertes Verwaltungssystem, brachten es die Fatimiden zu großem
Reichtum.
Sie bauten die Al-Azhar-Moschee25 und -Universität in welcher sie ismailitische Imame ausbildeten, die sowohl im Landesinneren als auch als Werber in der islamischen
Welt die ismailitische Glaubensrichtung propagierten.
Außer den vielen Prachtbauten förderten sie auch verschiedene Künste mit denen
sie vor allem ihre Überlegenheit dem Abbasidischen Kalifat gegenüber demonstrieren wollten. So stifteten sie noch schönere und noch kostbare Schmuckbezüge
(arab. Kiswa) für die Ka'ba,26 ließen noch schönere Koran-Exemplare anfertigen usw.
Das Volk musste für diesen Luxus viele Steuern und Abgaben zahlen. Es gab so
ziemlich auf alles Gebühren, sogar dafür, Wasser aus dem Nil zu trinken.27 Die Fatimiden gingen bei der Steuereintreibung so extrem vor, dass jeder, der sie nicht bezahlen konnte, hart bestraft wurde.28
Die Fatimiden führten schiitische Feste ein und errichteten verschiedene PilgerSchreine.29 Dennoch blieb die ismailitische Glaubenslehre, trotz der öffentlichen
Lehrsitzungen (arab. magalis al-hikma) die ganze Zeit über eine Sache der Minderheit. Die Überwiegende Bevölkerung in Ägypten blieb sunnitisch und christlich.30
24 Halm, Prof. Heinz: Kalifen und Assassinen: Ägypten und der Vordere Orient zur Zeit der ersten
Kreuzzüge, München: C.H. Beck, 2014, S. 314
25 Der Name „Azhar“ nimmt Bezug auf die Prophetentochter mit ihrem Ehrennahmen Fatima
Az-Zahra
26 Halm, Prof. Heinz, 2014, S. 30
27 Sallabi, Dr. Ali M., 2010, Band 2, S. 46
28 Ebd.
29 Halm, Prof. Heinz, 2014, S. 85
30 Ebd. S. 324
14
Die Fatimidenherrschaft dauerte über 280 Jahre an und es gab 14 Imam-Kalifen. Der
Gelehrte Ibn Kathir (gest. 774/1373) schreibt über die Fatimiden:
„Die Fatimiden waren die reichsten und wohlhabendsten aller Kalifen, und die
tyrannischsten und unterdrückendsten, die schlimmsten der Könige in
Gesinnung und innerer Boshaftigkeit. Neuerungen und Schlechtigkeiten traten
unter ihrer Herrschaft auf; die Zahl der schlechten Leute stieg an und die Zahl
der Rechtschaffenen, Gelehrten und Asketen nahm ab.“31
Hierzu soll erwähnt werden, dass der ungeheure Reichtum der Fatimidenherrscher
von vielen Quellen bezeugt wurde. Mit der „schlimmen Gesinnung“ und
„Boshaftigkeit“ meinte der sehr orthodoxe sunnitische Gelehrte Ibn Kathir wohl die
Verbreitung der ismailitischen Lehre sowie die Bekämpfung des sunnitischen
(abbasidischen) Kalifats und sunnitischer Gelehrter.
31 Ibn Kathir al-Qurashi, al-Hafeedh 'Imad ad-Deen Abul-Fida' Isma'eel: Al-Bidayah wan-Nihayah,
1998, Band 16, S. 457 zit. n. Sallabi, Dr. Ali M., 2010, Band 1, S. 278, Englischer Quellentext: „The
Fatimids were the richest and walthiest of caliphs, and the most tyrannical and oppressive, the
worst of kings in conduct and the most inwardly evil. Innovations and eviils appeard during their
rule, the numbers of evil people became greater and the numbers of righteous people, scholars
and ascetics declined.“
15
4. Übergang der ägyptischen Gesellschaft vom Schiitentum
zum Sunnitentum unter Salahuddin
4.1 Die Gesamtsituation der Muslime im 12. Jahrhundert
Seit dem Jahr 132/750 hatten die sunnitischen Abbasiden die sunnitischen Umayyaden abgelöst und das Kalifat saß nun in Bagdad und nicht mehr in Damaskus. Unter
dem Abbasidischen Kalifat entwickelte sich ein sunnitisches Sultanat.32 Das heißt,
dass diejenigen, welche für den Kalifen Teile seines Reiches verwalten sollten, als
Sultane mit solcher Macht ausgestattet wurden (bzw. ihre Macht so weit ausbauen
konnten), dass sie selbst die eigentlichen Herrscher waren und den Kalifen nur noch
formell anerkannten.
Das wichtigste Symbol der Macht des abbasidischen Kalifen bestand darin, dass
sein Name in allen Freitagspredigten des islamischen Reiches genannt wurde. Dies
hatten die Abbasiden eingeführt, da der Kalif verpflichtet ist, das Freitagsgebet in der
Hauptstadt zu leiten und auch die beiden Festgebete. Er selbst ernannte also
Imame, die als seine Stellvertreter die Freitagspredigt in den weiten Teilen des Reiches hielten und nach der Lobpreisung Allahs und Segenswünschen für Seinen Propheten Muhammad s.a.s. musste der Name des amtierenden Kalifen genannt werden, damit diese Predigt auch in seinem Namen gelte.33
Ein weiterer wichtiger politischer Schritt unter den Abbasiden war die Entstehung des
Amtes des Großwesirs, welcher die Regierungsgeschäfte leitete.34
Von ca. 431/1040 bis 485/ca.1092 waren die türkischen Seldschuken die
eigentlichen Machthaber. Nach dem Tod des dritten Seldschuken-Sultan Malikschah
breitete sich allerdings ein solcher Machtkampf aus, dass die islamische Welt auf
eine vorher ungekannte Weise zerstückelt wurde.35
Der Abbasidische Kalif konnte gegen diese Zersplitterung nicht viel unternehmen und
32 Sallabi, Dr. Ali M., 2010, Band 1, S . 152
33 Siddiqi, Dr. Amir Hasan: Caliphate and Sultanate in Medieval Persia: Neu Delhi, Adam Publishers &
Distributors, 2006, S. 25
34 Ebd. S. 31
35 Mourad, Samir, 2007, S. 467
16
auch nicht dagegen, dass sich zwei weitere Kalifate gebildet hatten, die ebenfalls für
sich beanspruchten, Führer aller Gläubigen zu sein.
Der Prophet Muhammad s.a.s. hatte gesagt, dass wenn es gleichzeitig zwei Kalifen
gibt, einer getötet werden soll, um die Einheit der Ummah zu wahren. Allerdings
musste sich der Abbasidische Kalif dieser Situation fügen und so gab es noch das
schiitische Fatimiden-Kalifat in Ägypten und das sunnitische Umayyaden-Kalifat in
Spanien.36
Zu dieser inneren Zersplitterung kam dann ein äußerer Feind hinzu, welcher die
Schwäche der Muslime gut nutzen konnte: die Kreuzritter.
Im 5./11. Jahrhundert hatte sich die verarmte und unterdrückte Bevölkerung Europas
aufgemacht, um im Namen des christlichen Kreuzes die muslimische Welt und insbesondere Jerusalem zu erobern. Die Kreuzzüge waren religiös, strategisch und
wirtschaftlich motivierte Kriege und es gelang den Europäern zunächst, eine Stadt
nach der nächsten zu erobern.37
Der Erste, der erfolgreiche Schritte unternahm, um sowohl die Muslime unter dem
Banner des Abbasidischen Kalifats zu einen als auch die von den Kreuzfahrern eroberten Gebiete zurück zu gewinnen, war der Türke 'Imad ad-deen Zangi, der Stadthalter von Mossul.
Nach seinem Tod 541/ca.1147 übernahm diese Ziele sein Sohn Nurredin Zengi, welcher in Syrien regierte.
4.2 Die Eroberung des Fatimiden Reiches durch Assad ad-deen
Schirkuh und Salahuddin
Nurredin Zengi nahm den jungen Kurden Salahuddin al-Ayubi in seinen Dienst, dessen Vater und Onkel bereits unter Imad ad-deen Zangi gedient hatten und ebenfalls
in seiner Armee waren.38
36 Ebd. S. 460
37 Mourad, Samir, 2007, S. 472
38 Sallabi, Dr. Ali M., 2010, Band 2, S. 28-29
17
Ein Ziel von Nurredin war es Ägypten zu erobern und dem ismailitischem Kalifat dort
ein Ende zu bereiten.
Doch auch der Kreuzfahrer-König Almaric I von Jerusalem wollte Ägypten erobern.
Dr. Ali M. Sallabi beschreibt im ersten Band seines dreibändigen Werkes über
Salahuddin ausführlich die verschiedenen Feldzüge von Almaric I
und Nureddin
Zengi gegen das Fatimiden-Kalifat und wie es den Fatimiden, die als einziger ismailitischer Staat keine natürlichen Verbündeten hatten, gelang, bei einem Angriff jeweils
den einen Feind gegen den anderen zu Hilfe zu holen und am Ende doch beide
Truppen wieder von ägyptischem Boden los zu werden.
Bei seinem dritten Feldzug gegen die Fatimiden war Nureddin Zengi allerdings erfolgreich.
564/1169 war es wieder einmal so, dass die Kreuzfahrer (Franken) versuchten,
Ägypten einzunehmen. Für 45 Tage brannten die Ortschaften, die die Franken
erobert hatten und sie belagerten Kairo.39
Der Imam-Kalif al-'Adid schickte darauf einen Hilferuf an Nureddin Zengi in Damaskus. In seinen Brief legte er einige Frauenhaare und schrieb: „Dies sind die Haare
von meinen Palast-Frauen, welche dich um Hilfe bitten um sie vor den Franken zu
beschützen.“40
Für die Hilfe versprach er ihnen u.a., dass Nureddins militärischer Führer Assad addeen Schirkuh, der Onkel von Salahuddin, in Ägypten bleiben dürfe.41
Nureddin schickte seine Truppen unter dem Befehl von Assad ad-deen Schirkuh in
Begleitung seines Neffens Salahuddin nach Kairo. Salahuddin zog nun schon zum
dritten Mal gegen Ägypten.
39 Sallabi, Dr. Ali M., 2010, Band 1, S. 256
40 Al-Kamil fit-Tareekh, zit. n. An-Nasir, Muhammad Hamid: Al-Jihad wat-Tajdeed, Riad, S. 202 zit n.
Sallabi, Dr. Ali M. 2010, Band 1, S. 332 englischer Quellentext: „These are the hairs of my womenfolk in my palace, who are seeking your help to save them from the Franks.“
41 Taqqoosh, Muhammad Suhayl: Tareekh al-Fatimiyeen, S. 495 zit. n. Sallabi, Dr. Ali M., 2010, Band
1. p. 256
18
Nachdem die Kreuzritter abgezogen waren zog Schirkuh in den Palast von Kairo ein,
wo der junge fatimidische Imam-Kalif al-'Adid ihn zum Wesir ernennen musste.
Als Schirkuh aber schon zwei Monate später verstarb, wurde sein Neffe, Salahuddin,
Wesir. Al-'Adid selbst hatte ihn gewählt, wahrscheinlich weil Salahuddin mit 31 Jahren der Jüngste unter den Emiren war.42
Seine Ernennung zum Wesir des Fatimiden-Kalifats wurde in der üblichen Weise
zelebriert:
„Der Wesirornat bestand aus einem weißen Turban aus Tinnis mit
goldgewebter Inschrift (tiraz), einem Gewand aus Dabiqi(-Leinen) mit
goldenem tiraz, einem langärmeligen Obergewand (gubba) und darunter
einem aus Seidenbrokat (saqlatun), jeweils mit goldenem tiraz, und mit einer
ausgeschnittenen Stola (tailasan) aus Dabiqi mit goldenem tiraz. Dazu das
juwelengeschmückte Halsband im Wert von 10 000 Dinar und das mit
Edelsteinen besetzte Schwert im Wert von 5000 Dinar. (Er ritt) eine falbe
Zuchtstute aus dem Marstall al-'Adids, die 8000 Dinar wert war – die
schnellste in ganz Ägypten –, mit gold- und edelsteinbesetztem Halsband,
Sattel und Schabracke. Um den Hals trug die Stute einen weißen Gurt, am
Kopf zweihundert Edelsteine und um die Beine vier juwelenbesetzte Bänder.
Auf dem Kopf hatte sie ein aufragendes juwelenbesetztes Rohr, in dem eine
edelsteinbesetzte Palme steckte, am Kopf weißes Riemenzeug mit goldenen
Emblemen und weißes Riemenzeug mit goldenem Besatz. Vor ihm her trug
man Bündel verschiedener Gewänder; auch führte man am Zügel eine Anzahl
Pferde und anderes; ferner – in weißen Atlas gehüllt – die Urkunde der
Ernennung zum Wesir.“43
Der Asket und fromme Sunnit Salahuddin war zum Machthaber Ägyptens geworden
und als Wesir auch Chef der ismailitischen Propaganda-Organisation. Als Wohnort
diente ihm der Wesir-Palast.
Salahuddin blieb loyal zu seinem Befehlshaber Nureddin Zengi in Damaskus und
dem Kalifen in Bagdad. Doch während der Kalif und Nureddin auf einen sofortigen
Umsturz des Fatimiden-Kalifats drängten und vor allem wollten, dass der Name des
abbasidischen Kalifs in den Freitagspredigten genannt wird, wollte sich Salahuddin
mit diesen Veränderungen Zeit lassen. Denn auch wenn es bereits viele Sunniten in
Ägypten gab, befürchtete er dennoch einen Aufstand des Volkes.
42 Sallabi, Dr. Ali M., 2010, Band 1,S. 259
43 Maqrizi, Ahmad ibn Ali, 1971, Band 3, S. 309 mit anderen Quellen, zit n. Halm, Prof. Heinz, 2014
S.283
19
4.3 Umwandlung Ägyptens zum sunnitischen Staat
Das fatimidische Kalifat mitsamt seinem Imam-Kalifen und dessen Armee bestand
noch. Zudem waren die Kreuzfahrer nicht weit entfernt und warteten nur auf eine Gelegenheit, Ägypten einzunehmen.
Salahuddin unternahm folgende Schritte um seine Macht zu festigen:
–
Er sicherte sich die Autorität über sämtliche Staatsgeschäfte
–
Er machte sich beim Volk beliebt indem er viel Geld für es ausgab und
sämtliche Steuern und Gebühren ersatzlos abschaffte
–
Er übernahm die Kontrolle über Assad ad-deens Mamluken-Truppen
–
Er bekam weitere militärische Truppen von Nureddin Zengi und sein Bruder
Schams ad-deen kam ebenfalls mit Soldaten nach Ägypten44
Als nächstes machte sich Salahuddin an die Zerschlagung seiner Gegner.
Nachdem der Chef-Eunuch und Befehlshaber der Sudanesischen-Regierungstruppen sich mit König Almaric I verbünden wollte und einen Putsch gegen Salahuddin
plante, welcher durch einen geheimen Brief im Schuh eines Botschafters aufgedeckt
wurde, konnte Salahuddin sich seiner entledigen (ihn töten lassen). Er entließ
außerdem alle sudanesischen Palast-Bediensteten.45
Etwa 5.000 sudanesische Regierungssoldaten bekämpften daraufhin Salahuddin
zwischen Kairos Palästen, doch die syrische Armee besiegte sie. Die armenische
Armee, welche das zweitgrößte fatimidische Soldaten-Regiment stellte, hatte sich
ebenfalls an den Kämpfen beteiligt und wurde darum aus ihren Häusern vertrieben
und nach Ober-Ägypten verbannt.46
Es folgte eine gemeinsame Attacke von 50.000 Kreuzrittern und Byzantinern. Sie belagerten Damietta und Nureddin Zengi schickte Salahuddin noch mehr Soldaten,
44 Taqqoosh, Muhammad Suhayl, S. 509 mit Ibn Kathir Geschichte, 1998, Band 16, S. 433 zit. n.
Sallabi, Dr. Ali M., 2010, Band 1, S. 260
45 Sallabi, Dr. Ali M., 2010, Band 1, S. 261
46 Al-Asqalani, Ibn Hajar: Al-Qadi al-Fadil 'Abd ar-Raheem al-Baysani, S. 133 zit. n. Sallabi, Dr. Ali M.,
2010, Band 1, S. 263
20
sodass sie die Christen besiegten.
Salahuddin konnte dadurch dem ägyptischen Volk zeigen, dass er fähig war, Ägypten
zu verteidigen, was ihm viel Bewunderung einbrachte.47
Es wurde auch klar, dass der Wesir Salahuddin bereits ganz allein Ägypten regierte
und weder der Kalif al-'Adid noch eine andere Person der alten Herrschaft ein Mitspracherecht hatten.
Der Abbasidische Kalif und Nurredin Zengi drängten Salahuddin daraufhin den
Namen des Abbasidischen Kalifs in der Freitagspredigt zu nennen. Nureddin schrieb:
„Dies ist ein Befehl, der sofort ausgeführt werden muss, so dass wir diesen
wertvollen und noblen Schritt getan haben, bevor der Tod uns ereilt und wir die
Belohnung dafür verpassen. Besonders, wenn der Kalif unser Zeit – alMustanjid – große Hoffnungen darauf setzt und es einer seiner wichtigsten
Wünsche ist.“48
Trotz dieses eindringlichen Befehls, ließ sich Salahuddin mit dessen Umsetzung Zeit
und ging schrittweise vor. Er begann mit der Etablierung eines sunnitischen Staates
auf folgende Weise:
–
Er tauschte alle schiitischen Richter gegen sunnitische Richter der
schafiitischen Rechtsschule (arab. madhab) aus
–
Er verbot die Verbreitung schiitischer Lehren und entfernte alle schiitischen
Symbole
–
Die Freitagspredigt wurde seit ca. 565/1170 wieder im Namen der vier
rechtgeleiteten Kalifen Abu Bakr, Umar, Uthman und Ali gehalten. Der Kalif
al-'Adid li-Din Allah („Der Gottes Religion stärkt“) wurde nicht mehr mit
direktem Namen genannt, sondern der Imam sagte zweideutig: „Gott, schenke
Gedeihen dem, der Gottes Religion stärkt“, womit auch der abbasidische Kalif
gemeint sein konnte49
47 Sallabi, Dr. Ali M., 2010, Band 1, S.269
48 Al-Maqdisi, Shihab ad-Deen: Kitab ar-Rawdatayn fee Akhbar ad-Dawlatayn, 1997, Band 1, zit. n.
An-Nasir: al-Jihad wat-Tajdeed, 1998, S. 209, zit. n. Sallabi, Dr. Ali M., 2010, Band 1, S.272 englischer Quellentext: „This is a command which must be implemented immediately, so that we may
attain this great virtue and noble task before death comes and we miss out on rewards, especially
when the caliph of our era – al-Mustanjid – has pinned great hopes on it and it is one of his most
important wishes.“
49 Maqrizi, Ahmad ibn Ali, 1991, Band 3, S. 317 zit n. Halm, Prof. Heinz, 2014, S. 289
21
Erst zwei Jahre später, im Jahr 567/1171-1172, wurde der Name des fatimidischen
Imam-Kalifen komplett aus der Predigt gestrichen und stattdessen der abbasidische
Kalif aus Bagdad genannt.
Der junge Kalif al-'Adid wurde schwer krank und verstarb kurz darauf im Alter von 21
Jahren.50 Salahuddin sagte, wenn er gewusst hätte, dass al-'Adid innerhalb weniger
Tage sterben würde, hätte er seinen Namen nicht aus der Freitagspredigt entfernt.
Sein Berater Al-Qadi al-Fadil lachte und sagte: „O mein Herr, hätte er gewusst, dass
Ihr seinen Namen nicht aus der Predigt streichen würde, wäre er nicht gestorben!“51
Weitere Maßnahmen Salahuddins zur Umwälzung Ägyptens
–
Zweckentfremdung der Fatimidischen Paläste:
Die Paläste samt dem Personal und seinen Schatzkammern wurden nach
dem Tod al-'Adids nun Salahuddins Eigentum.
„Der Sultan Salah ad-Din (Saladin) Yusuf ibn Ayyub übernahm das Schloss
mit allen Schatzkammern, Diwanen und allem Geld und Kostbarkeiten, die
jeder Beschreibung spotten. Er ließ sich die Sklavinnen und Sklaven, die darin
waren, vorführen; die Freien ließ er laufen, die übrigen verschenkte er oder
nahm sie selbst in Dienst. Alles – alt wie neu – gab er zum Verkauf frei; der
Verkauf der im Schloss vorgefundenen Ausstattung zog sich zehn Jahre hin.
Er leerte die Schlösser von ihren Bewohnern und schloss die Tore; später gab
er sie seinen Offizieren zu Besitz.“52
–
Vernichtung der Bücher:
Salahuddin beschlagnahmte alle Bücher der Kairoer Bibliothek, die Bücher
über
die
ismailitisch-schiitische
Glaubenslehre
ließ
er
wahrscheinlich
verbrennen. Was sicher ist ist, dass er an die 100.000 Bände an seinen
Freund und Berater Qadi Al-Fadil schenkte, der sie der einer Rechtsschule
vermachte, und dass Salahuddin einen weiteren beachtlichen Teil an Büchern
verkaufen ließ.53
50 Der Orientalist Prof. Heinz Halm kommentiert dazu: „Sein Tod zu einem so opportunen Zeitpunkt
mag verdächtig erscheinen, doch gibt es für eine gewaltsame Beseitigung keine ernsthaften Zeugnisse.“(2014, S. 291)
51 Al-Asqalani, Ibn Hajar, S. 139 zit. n. Sallabi, Dr. Ali M., 2010, Band 1, S. 275 englischer Quellentext: „O my master, if he knew that you would not erase his name from the khutbahs, he would not
have died!“
52 Abu Sama, 'Abdarrahim ibn Isma'il: Kitab ar-raudatain fi ahbar ad-daulatain, Damaskus,
1956/1962, S. 495 und S. 506 f., zit. n. Halm, Prof. Heinz, 2014, S. 293
53 Halm, Prof. Heinz, 2014, S.294
22
–
Verbot schiitischer Feste
–
Isolation der fatimidischen Prinzen und ihrer Familien:
Die Fatimiden wurden von Salahuddin mit sonst nicht üblicher Milde
behandelt.54 Er verteilte die Angehörigen auf drei Paläste (Männer und Frauen
getrennt) und versorgte sie dort mit allem was sie brauchten, allerdings waren
sie in diesen Palästen gefangen.55
–
Schwächung der Fatimidischen Hauptstadt Kairo:
Der frühe Historiker Al-Maqrizi (gest. 845/1442) bedauerte: „Kairo wurde zu
einem Wohnort, nachdem es eine mächtige Palaststadt gewesen war.“56
–
Besetzung der Regierungsposten mit seinen Familienangehörigen
Ein Kreis aus den alten Eliten des Fatimidenreiches versuchte im Jahr 569/1174
noch einmal einen Umsturz um die alten Verhältnisse wieder herzustellen, doch
Salahuddin war durch sein Spionagenetz über ihre Pläne informiert.
Die Verschwörer hatten unter sich einen neuen Fatimiden-Kalifen und Wesir gewählt
und folgenden Plan zusammen mit dem Kreuzfahrer-König Almaric ausgearbeitet:
Während Salahuddin außer Landes sei, sollten die Kreuzfahrer ihm den Weg zurück
abschneiden.
Im Landesinneren
würden
dann
die
bestehenden Teile
der
Sudanesischen- und Armenischen Armee sowie alle Ismailiten revoltieren und die
Familienangehörigen Salahuddins sowie alle neuen Regierungsbeamten töten.57
Sie schickten auch einen Brief an Raschid ad-Din Sinan, den „Alten vom Berge“58,
mit Bezug auf ihr gemeinsames ismailitisches Bekenntnis und der Bitte einen
54 Halm, Prof. Heinz, 2014, S.291
55 Sallabi, Dr. Ali M., 2010, Band 1, S. 295
56 Al-Maqrizi, Ahmad ibn Ali, 1967-1973, zit n. Sayyid, Ahmad Fu'ad, 2002 zit. n. Sallabi. Dr. Ali M.,
2010, Band 1, S. 295-296, englischer Quellentext: „Cairo became a residential city after it had been
a mighty fortress.“
57 Sallabi, Dr. Ali M., 2010, Band 1, S. 279 ff. und Halm, Prof. Heinz, 2014, S. 294 ff.
58 Raschid ad-Din Sinan, „der Alte vom Berge“ war das Oberhaupt einer weiteren Abspaltung der Ismailiten, genannt Nizariten, Batiniten oder Assassinen. Sie hielten am Imamat des ca. 488/1095
getöteten Prinzen Nizar fest und erkannten seine Nachkommen als die rechtmäßigen Kalifen an
und nicht die weiteren Kalifen in Kairo. Daher wurden sie von den Fatimiden als Bedrohung eingestuft. Raschid ad-Din Sinan lebte auf der Burg Alamut und auch die weiteren Nizariten lebten in
Burgen in Persien. Die Assasinen wurden berüchtigt durch ihre Meuchelmöder, die sie für Attentate
aus sandten und dabei in Kauf nahmen, selbst getötet zu werden. Daher das englische Wort
„assasinate“ für den Meuchelmord. Prof. Heinz Halm beschreibt ihre Geschichte in seinem Buch
„Kalifen und Assassinen“, 2014.
23
Meuchelmörder auszusenden, der Salahuddin töten möge.
Die Verschwörung scheiterte, da König Almaric I nicht kam. Es kamen allerdings 200
Kriegsschiffe aus Sizilien in Alexandria an, wobei nicht klar ist, ob die Fatimidischen
Verschwörer sie direkt oder über Almaric kontaktiert hatten. Die Flotte wurde von den
Muslimen besiegt.59
Salahuddin, der die Verschwörer durch seine Spione genau kannte, ließ jeden
einzelnen vor ihn kommen und alle gestanden. Salahuddin rief daraufhin die
Gelehrten und bat sie um ein Rechtsgutachten (arab. Fatwa) in diesem Fall. Sie
urteilten, dass die Männer getötet werden sollten.
Salahuddin ließ sie daraufhin erhängen und anschließend kreuzigen.60 Er bestrafte
nur die Rädelsführer hart, die Truppen wurden geschont und nach Ober-Ägypten
verbannt.61
Noch im selben Jahr sammelten sich diese Truppen erneut unter der Führung des
Gouverneurs von Aswan mit dem Titel „Schatz des Reiches“ (arab. Kanz ad-Daula)
und gleichzeitig erhob sich in der Ortschaft Tud ein weiterer Aufständischer.
Salahuddins Bruder al-Malik al-'Adil konnte die Unruhen allerdings mit seinen Truppen niederschlagen.62
Danach kehrte vergleichsweise Ruhe im Land ein. Darüber, ob dies bedeutet, dass
die Ägyptische Bevölkerung mit dem Ende des Fatimiden-Reiches und ihrem neuen
Machthaber Salahuddin zufrieden war, lassen sich nur Vermutungen anstellen.
Im Jahr 584/1188 zogen eines Nachts zwölf Männer mit dem Schlachtruf der Schiiten
„O Sippe Alis“ (arab. „ya 'ahl 'Ali“) durch die Gassen von Kairo.
„Sie glaubten, die Bewohner der Stadt würden ihrem Aufruf Folge leisten, mit
ihnen einen Aufstand beginnen, die Dynastie der Leute im Schloss
wiedererrichten, die Inhaftierten herausholen und sich zu Herren der Stadt
machen. Doch niemand kümmerte sich um sie, ihr Aufruf verhallte ungehört,
und als sie das merkten, bekamen sie es mit der Angst zu tun und verliefen
sich.“63
59 Al-Hayara, Mustafa: Salah ad-Deen al-Qa'id wa A'sruhu, 1994, S. 168, zit. n. Sallabi, Dr. Ali M.
2010, S. 172
60 Koranisches Strafmaß für „Verderbenstiften auf Erden“ vergl. Sure 5:33
61 Halm, Prof. Heinz, 2014, S.297
62 Ebd.
63 Ibn Wasil, Muhammad ibn Salim: Muffarring al-kurub fi ahhbar Bani Ayyub, Band 2, Kairo, 1953 zit
24
Das Bemerkenswerte an Salahuddin war, dass er für sich selbst nie Reichtum wollte
und noch nicht einmal ein eigenes Reittier besaß. „Er ritt nie auf einem Pferd von
Wert, ohne dass es nicht bereits verschenkt oder jemand anderem versprochen
war.“64
Er beherrschte ein Gebiet, welches von Ost-Libyen bis über den oberen Tigris hinaus
bis nach Kurdistan reichte65, dennoch hinterließ er bei seinem Tod nichts außer 47
Dirhams und ein einzelnes Goldstück.66
Bei den Kreuzfahrern war ihr Feind bekannt für seine absolute Vertragstreue und
Milde.67
Nach dem Tod Nureddin Zengis nahm Salahuddin auch die Herrschaft über Syrien
für sich ein und einte somit die Muslime wieder in einem großen Reich, so wie 'Imad
ad-deen Zengi und Nureddin Zengi es begonnen hatten. Salahuddin kämpfe viele erfolgreiche Schlachten gegen die Kreuzfahrer, wobei sein – aus muslimischer Sicht –
größter Verdienst die Zurückeroberung Jerusalems im Jahr 583/1187 war.
n. Halm, Heinz, 2014, S. 298
64 Taqqoosh, Muhammad, 1999, S. 221 zit. n. Sallabi, Dr. Ali M., 2010, Band 2, S. 51, englischer
Quellentext: „He did not have any valuable horse that he rode but it was already given or promised
to someone else.“
65 Halm, Heinz, 2014, S. 302
66 Ibn Shaddad, Baha' ad-Deen: An-Nawadir al-Sultaniyah wal-Mahasin al-Yoosufeeyah, Syrien,
2003, S. 70 zit. n. Sallabi, Dr. Ali M., 2010, Band 2, S. 49
67 Halm, Heinz, 2014, S. 304
25
5. Übergang der persischen Gesellschaft und des
persischen Staats vom Sunnitentum zum Schiitentum
5.1. Entwicklung der Islamischen Welt bis zum 16. Jahrhundert,
insbesondere in Persien
Die Kreuzfahrer bildeten ab 690/1291 keine Gefahr mehr, als auch die letzten von
ihnen endgültig aus dem Nahen Osten vertrieben wurden.68
Dafür ereignete sich nur kurze Zeit nach dem Tod Salahuddins der größte Einschnitt
in der islamischen Geschichte seit Entsendung des Propheten Muhammad s.a.s. bis
zum Ende des Kalifats ca.1342/1924: der Mongolensturm.
Das Reiter- und Hirtenvolk aus Zentralasien hatte innerhalb kürzester Zeit die Herrschaft über Aserbaidschan, Turkistan, Samarkand, Afghanistan und den Irak eingenommen. ca.628/1231 regierten sie Iran und zerstörten dort die wichtigen Zentren
wie Naisabur69 (Geburtsort der großen sunnitischen Hadith-Gelehrten Imam Muslim
gest. 261/ca.875, al-Hakim gest. 405/ca.1015 und al-Baihaqi gest. 458/ca.106670).
656/1258 löschten sie das abbasidische Kalifat in Bagdad aus und auch die Burgen
der ismailitischen Nazariten (Assassinen) wurden durch die Mongolen vernichtet.71
Nachdem die Mamluken das abbasidische Kalifat nach Ägypten transferiert und von
dort aus weiter erhalten hatten, kam das Kalifen-Amt nach der Eroberung
Konstantinopels (heute: Istanbul) im Jahr ca.857/1453 in die Hände der Osmanen,
welche ihr Osmanisches Reich errichteten.
Die Mongolen hatten keine Hauptstadt, sondern regierten von ihrem beweglichen
Hoflager aus. Ihre wichtigste Residenzstadt war Tabriz im Iran. Im Jahr ca.694/1295
nahmen die mongolischen Herrscher selbst den sunnitischen Islam an – die Religion
68 Mourad, Samir, 2007, S. 502
69 Gronke S. 50
70 Mourad, Samir und Roula: Islamische Literaturkunde und Gelehrtenbiographien, Karlsruhe, 2007,
S. 152, S. 167, S. 171
71 Halm, Heinz, 2014, S. 336-337
26
ihrer iranischen und türkischen Untertanen.72
Sie behielten allerdings unislamische Steuern bei. Durch die Nomadisierung Irans
wurde immer mehr Ackerland zu Weideland, was zusammen mit der großen Verwüstung, die die Mongolen bei ihrer Eroberung angerichtet hatten, zu einem drastischen
Rückgang der landwirtschaftlichen Erträge führte.73
Unter den katastrophalen Lebensverhältnissen der Mongolen entwickelte sich seit
dem 7./13. Jahrhundert in der persischen Bevölkerung eine wachsende Bewegung
der Volksfrömmigkeit, welche bis dahin nur eine Randerscheinung gewesen war.74
Der Begriff „Volksislam“, welcher von Orientalisten geprägt wurde, ist etwas
problematisch, da es zum einen nicht nur das Volk betraf, sondern auch viele
Angehörige der Reichen, Gebildeten, Militärführer und Herrscher selbst,75 und zum
anderen waren die Praktiken teilweise so unislamisch, dass Muslime selbst es eher
als Aberglaube anstatt als Islam bezeichnen würden.
Zu
den
Praktiken,
die
vom
orthodoxen
Islam
abweichen,
zählen
z.B.
Heiligenverehrung, Gräberkult und Pilgerfahrten zu anderen Orten als Mekka,
Medina und Jerusalem.76
Ausdrücke der islamischen Mystik finden sich in den Ghaselen der großen Persischen Dichter Dschelaladdin Rumi (gest. ca.672/1273) und Hafis von Schiras (gest.
ca.791/1389)77
Die Mystiker, wegen ihres einfachen Wollgewands auch „Sufis“ oder wegen ihrer
Armut „Derwische“ genannt, lehren einen mystischen Pfad, auf dem der Gläubige
sein eigenes Ich überwindet, einen Zustand innerer Läuterung erreicht und von seiner Gottesliebe getrieben sein ganzes Dasein Allah hingibt oder – in einer extremen
Form – sogar meint, seine Seele verschmelze mit Allah.
Zu den Ausdrucksformen des Sufismus gehört das gemeinsame Wiederholen von
Gottesgedenken (arab. Dhikr) und Tanz.78
72
73
74
75
76
77
Gronke, Monika, 2009, S. 57
Ebd. S. 53
Ebd. S. 57
Ebd. S. 58
Ebd. S. 57-58
Schimmel, Annemarie: Nimm eine Rose und nenne sie Lieder: Frankfurt am Main und Leipzig,
2004, S. 13
78 Gronke, Monika, 2009, S. 58
27
Der Sufismus ist, bis auf seine extremen Auswüchse und Neuerungen (arab. Bida')
Teil des sunnitischen Islams. Schon im 5./11. Jahrhundert hatte der persische
Gelehrte al-Ghazali viele an den Sufismus angelehnte Werke geschrieben, die die
Muslime durch Charakterreinigung zu edleren Menschen erziehen sollten. Allerdings
hatte al-Ghazali auch ein Studium der schafiitischen Rechtsschule abgeschlossen
und war ein strenger Gegner der Schia.
Von seinen Werken waren sunnitische Führer wie Imad ad-deen Zengi, Nureddin
Zengi und Salahuddin beeinflusst.79
Manche sufistische Gruppen gingen allerdings ins Extrem, indem sie das klassische
Studium von Koran und Sunna in den Hintergrund rückten, da sie meinten, dass man
den Glauben nicht intellektuell erfassen, sondern nur erfahren könne.
Im Iran war der Sufismus im 7./13. und 8./14. Jahrhundert zu einer Massenbewegung geworden, welche nicht mehr viel mit dem orthodoxen sunnitischen Glauben zu
tun hat und auch nicht mit dem Sufismus von al-Ghazali zu vergleichen ist. Die
Derwisch-Führer
wurden
zunehmend
als
eigentliche
Repräsentanten
des
islamischen Glaubens angesehen. Ihnen wurden Wunderkräfte zugeschrieben und
ihre Gräber wurden Pilgerorte, zu denen die Leute in Scharen strömten.80
Um die Mitte des 8./14. Jahrhunderts war die Mongolenherrschaft im Iran endgültig
zu Ende und das Land zerfiel in verschiedene Kleinstaaten,81 wobei die turkmenische
Stammesföderation Aq Qoyunlu nach mehreren Kämpfen mit anderen Stämmen die
größte Macht in der Region darstellte.
Die Derwisch-Gemeinschaften hatten es durch Spenden und Stiftungen ihrer
Anhänger zu wachsendem Wohlstand gebracht und organisierten sich mehr und
mehr zu militanten Verbänden, welche auch immer wieder politische Macht
ausübten. Exemplarisch für diese Entwicklung war die Derwisch-Gemeinschaft der
Safawiyeh, aus der die Dynastie der Safawiden (ca.907-1134/1501-1722) hervor
ging.82
79 Swaidan, Dr. Tarek: Prophetengeschichten und Biographien von den Imamen Malik, Abu Hanifa,
Schafii und Ahmad ibn Hanbal, Riad, zit. n. Mourad, Samir, 2007, S. 502
80 Gronke, Prof. Monika, 2009, S. 59
81 Gronke, Prof. Monika, 2009, S. 54
82 Ebd. S. 59
28
5.2 Die Derwisch-Gemeinschaft der Safawiyeh
Die damals eindeutig sunntisch ausgerichtete Derwisch-Gemeinschaft der Safawiyeh
wurde etwa um ca.699/1300 in der iranischen Stadt Ardabil von Safi a-Din gegründet.
Safi ad-Din war eine typische Gestalt des Volksislams, der von seinen Anhängern als
Heiliger verehrt wurde und dem vielerlei Wunder nachgesagt wurden. Er brachte den
Orden zu beachtlichem Reichtum und seinen Nachfolgern gelang es, diesen
Reichtum noch zu vermehren und ihre zahlreichen Anhänger systematisch militärisch
zu organisieren.83
Die Anhänger der Safawiyeh bestanden hauptsächlich aus turkmenischen Nomaden.
Die Kölner Professorin für Islamwissenschaft mit Schwerpunkt Iranistik, Monika
Gronke, schreibt:
„Obgleich nominell Muslime, neigten die Turkmenen zu extremen religiösen
Ansichten, so daß [sic!] ihr islamischer Glaube mit einigem Recht als ein nur
oberflächliches islamisiertes Heidentum gedeutet worden ist, das seine in den
innerasiatischen Steppen beheimateten schamanistischen Traditionen unter
dem dünnen Überzug des Islams noch deutlich erkennen läßt [sic!]. Die seit
langem bestehende enge Bindung dieser Nomaden an das Sufitum,
verbunden mit ihrem Enthusiasmus für den bewaffneten Glaubenskampf, ließ
die Turkmenen in hellen Scharen der Safawiyeh zuströmen.“84
Die Turkmenen, deren Gebiete zum Teil schon zum Osmanischen Reich gehörten,
sträubten sich außerdem gegen die Osmanische Herrschaft, der sie weder Steuern
bezahlen, noch Soldaten entsenden wollten. Als Nomaden waren sie es bis dahin
nicht gewöhnt gewesen, von der Regierung behelligt zu werden.85
Die Safawiyeh-Gemeinde wurde zu einer gut bewaffneten Opposition zum Osmanischen Reich.
Aufgrund ihrer roten Kopfbedeckungen wurden sie bekannt als Kizilbasch,
„Rotköpfe“.86
Der junge Anführer der Safawiden, Ismail I wurde von den Kizilbasch als göttlich
verehrt.87 Ismails Großvater Junaid soll sich selbst als Gott bezeichnet haben und
83
84
85
86
87
Ebd. S. 66
Ebd. S. 66 - 67
Ebd. S. 67
Robin, Francis: Islamic World, Cambrige Illustrated History, Cambrige University Press, 1996, S. 72
Ebd.
29
seinen Sohn Haiar als Sohn Gottes.88
Ismail wurde bereits in einen Machtkampf zwischen dem Sufi-Orden der Safawiden
und den Herrschenden Aq Qoyunlu hinein geboren. Sein Vater, Scheich Haidar,
Anführer der Safawiden bei ihrem Ahnenschrein in Ardabil, und sein älterer Bruder
Sultan Ali wurden beide von den Aq Qoyunlu getötet. Als etwa Sechsjähriger wurde
Ismail einsperrt und eine Zeit lang lebte er zusammen mit seinem zweiten Bruder
Ibrahim versteckt bei ihren Anhängern.
Als 902/1497 der Herrscher Rustum Aq Qoyunlu starb und 905/1499-1500 auch sein
zweiter Bruder Ibrahim, hatte Ismail einen Eroberungstraum und im Alter von etwa 13
Jahren kehrte er nach Ardabil zurück89 und versammelte dort seine Anhänger zum
Kampf.
Im Jahr ca.907/1501 nahm er die „natürliche Hauptstadt“ Tabriz ein und nahm, in
Wiederaufnahme der alten iranischen Königstradition, den Titel Schahanscha, „König
der Könige“ an. Innerhalb der nächsten neun Jahre eroberte er mit seinen KizilbaschTruppen ganz Iran, Mesopotamien und West-Afghanistan. Erst ca.920/1514 wurden
sie gestoppt, als die Osmanen den etwa 27-Jährigen Ismail I im östlichen
Aserbaidschan besiegen konnten.90 Die Herrschaft, die die Safawiden errichteten,
glich nicht dem Vorbild der früheren muslimischen Kalifen, wie es die Osmanen
taten, sondern dem Vorbild der früheren persischen Könige, wie sich bereits an dem
gewählten Regierungstitel „Schah“ anstatt „Kalif“ erkennen lässt.91
5.3 Wahl der zwölferschiitischen Staatsreligion
Gleich nach der Einnahme von Tabriz verkündete Schah Ismail I die Zwölferschia als
Staatsreligion. Warum er dies tat konnten Historiker bis heute nicht ganz aufklären.
Die Zwölferschiiten glauben, dass nach dem 6. Imam Djafar as-Sadiq (siehe 3.1.)
88 Khunji, Fazl-Allah b. Ruzbihan: Tarikh-i-'alam-ara-yi Amini, London, 1992, S. 259-309 zit. n.
Babayan, Kathryn: Sufis, Dervishes and Mullas: the Controversy over Spiritual and Temporal
Dominion in Seventeenth-Century Iran. In: Savavid Persia, Cambrige, Center of Middle Eastern
Studies, 1996, S. 118
89 Morton, A.H.: The Early Years of Shah Ismai'il in the Afzal al-tavarikh and Elsewhere. In: Savavid
Persia, New York, 1996, S. 34-38
90 Gronke, Prof. Monika, 2009, S. 69
91 Kamrava, Mehran: The Modern Middle East: A Political History since the First World War, Los
Angeles, 2005, S. 29
30
sein zweiter Sohn Musa das Imanat übertragen bekommen hat und seine Nachkommen die weiteren unfehlbaren Imame sind. Der zwölfte Imam ist allerdings entrückt
und wird als Mahdi wieder kehren.
Die Vorfahren von Ismail I waren sunnitische Sufis, Ismail selbst hatte in seinen
jungen Jahren einen Gedichtband (arab. Diwan) in Türkisch, der Sprache seiner
Anhänger, verfasst, welcher mit der orthodoxen Zwölferschia nichts zu tun hat. 92 Er
beschreibt sich selbst als Inkarnation göttlicher Substanz und auch als Mahdi.93
Die Safawiden beanspruchten vom 7. Imam Musa al-Kazim abzustammen. Dies ist
zwar nicht zu beweisen, aber schon ältere Quellen zur Vorgeschichte der Safawiden
behaupten, dass sie Abkömmlinge der Prophetenfamilie seien. Innerhalb ihrer
Anhängerschaft wurde diese Herkunft als wahr anerkannt und verlieh ihnen ein
hohes religiöses Ansehen. Die safawidischen Könige (Schahs) hatten somit einen
universalen Herrschaftsanspruch sowohl auf religiöser als auch auf weltlicher Ebene,
wie es ihn seit den Abbasiden nicht mehr gegeben hatte.94
Historiker nehmen verschiedene Gründe dafür an, warum Ismail I die Zwölferschia
als Staatsreligion wählte. Zum einen wird angenommen, dass Ismail I eine Schariageordnete Religion für sein neu erobertes Reich brauchte, welche das Land eint und
ordnet, entweder sunnitischer- oder schiitischer Islam.95 Dass er den schiitischen
Islam wählte könnte daran gelegen haben, dass er sich somit von seinen größten
Feinden, den Osmanen, abgrenzen konnte. Die Schia schien auch wegen seiner
beanspruchten Abstammung von den schiitischen Imamen und deren Verehrung
besser zu ihm zu passen.
Aus den erhaltenen Gedichten Ismails geht hervor, dass er ein starkes religiöses
Sendungsbewusstsein hatte. Man muss auch die Möglichkeit offen halten, dass er
aus echter innerer Überzeugung zum Zwölferschiit wurde, jedoch sind sich die
Historiker einig, dass sein Wissen über die orthodoxe Lehre der Zwölferschiiten sehr
92 Gronke, Monika, 2009, S. 78
93 Wie in Fußnote 15 erläutert, glauben Sunniten wie Schiiten an die Wiederkehr eines Mahdis. Die
Vorstellung, dass eine Inkarnation göttlicher Substanz auf der Erde weilt, ist allerdings nur im
Volksislam zu finden.
94 Gronke, Monika, 2009, S. 73-74
95 Babayan, Kathryn, 1996, S. 123
31
gering und verschwommen war.96
Trotzdem gelang es Ismail I den Iran bis in die Gegenwart in einen schiitischen Staat
umzuwandeln.
5.4 Umwandlung Irans in einen schiitischen Staat
Die zwölferschiitische Staatsreligion stieß bei der mehrheitlich sunnitischen Bevölkerung Irans auf große Ablehnung und konnte nur durch Zwangsmaßnahmen verbreitet
werden.97
Zu den Methoden Ismails gehörten:
–
Der Import zwölferschiitischer Gelehrter:
Ismail I lud Gelehrte aus den schiitischen Zentren Bahrain, Südlibanon und
Südirak ein, sich in seinem Herrschaftsgebiet niederzulassen, um der
Bevölkerung die Schia nahe zu bringen. Diese Gelehrten bekämpften die
Elemente des Volksglaubens und einwickelten die noch bis heute gültige
zwölferschiitische Orthodoxie. Die Gelehrten richteten sich somit vor allem
gegen die Sufis und die Kizilbasch selbst wurden Opfer von Verfolgung.98 Für
die Gelehrten der schiitischen Scharia waren die meisten Sufis wie auch der
Dichter Rumi Abweichler vom rechten Glauben.99
Vielen Gelehrten war auch Schah Ismail selbst zu unorthodox und einige
weigerten sich sogar, seiner Einladung zu folgen und unter seinem Patronat
die Zwölferschia zu lehren.100 Er wurde auch nie als der Mahdi akzeptiert, als
den er sich selbst bezeichnet hatte, jedoch ließen sie es gelten, dass Ismail
ein Abkömmling des 7. Imams Musa und somit der einzig legitime
Repräsentant des verborgenen zwölften Imams auf Erden sei.101 Einer der
wichtigsten Gelehrten war der Libanese Nureddin Ali al-Karaki (gest.
ca.940/1534) welcher in den Iran gekommen war. Er verfasste umfangreiche
96 Kamrava, Mehran, 2005, S. 29 und Gronke, Monika, 2009, S. 78
97 Gronke, Monika, 2009, S. 79
98 Ebd.
99 Babayan, Kathryn, 1996, S. 126
100 Ebd. S. 119
101 Gronke, Monika, 2009, S. 81
32
und einflussreiche Werke zur Erhebung der Schia als Staatsreligion und half
so den Safawiden ihr Reich zu ordnen.102
–
Errichtung schiitischer Lehranstalten (arab. madrasse)103
–
Einführung des Staatsamtes des Sadr, „Oberhaupt“, welcher die Aufgabe
hatte, die zwölferschiitische Lehre zu verbreiten und gegen Abweichungen zu
verteidigen.104
–
Zerstörung sunnitischer Moscheen:
Der portugiesische Diplomat Tome Pires, welcher Iran ca.917-918/1511-1512
besuchte, berichtet: „Er (i.e. Šah Esma'il) reformiert unsere Kirchen, zerstört
die Häuser aller Mauren die (der Sunna von) Muhammad folgen und
verschont niemals das Leben eines Juden.“105
–
Ermordung und Verfolgung sunnitischer Gelehrter:
Viele, die sich nicht dem zwölferschiitischen Bekenntnis beugen wollten,
verloren ihr Leben.106 Viele Sufis flohen nach Indien, was in der Literatur als
„Die Karawane nach Indien“ bezeichnet wurde.107
–
Verfolgung der schiitischen Ismailiten:
Die Nizariten (Assassinen) im Iran bestanden noch, auch wenn ihre Burgen
von den Mongolen zerstört und viele Ihrer Mitglieder getötet worden waren.
Unter Schah Ismail I musste ihr 31. Imam, Schah Tahir, ca.962/1520 wie die
sunnitischen Gelehrten nach Indien fliehen. Um ihr Überleben und ihren
Glauben zu sichern bedienten sich die Ismailiten im Iran der „Taqiya“, das
heißt, sie gaben sich äußerlich als Zwölferschiiten oder Sufis aus, blieben in
Wahrheit aber ihrer Lehre treu.108109
102 Hourani, Albert: Die Geschichte der arabischen Völker: Von den Anfängen des Islam bis zum
Nahostkonflikt unserer Tage, Frankfurt am Main, 2006, S. 299
103 Calmard, Jean: Shi'i Rituals and Power II, The Consolidation of Safavid Shi'ism: Folklore and
Popular Religion, In: Savavid Persia, New York, 1996, S. 140
104 Gronke, Monika, 2009, S. 80
105 Tomé Pires: The Suma Oriantal: 1512-1515, London 1944, Band 1, S. 27 zit. n. Yeroushalmi,
David: The Judeo-Persian Poet 'Emrani & his Book of Tresure, Die Deutsche Bibliothek, Leiden,
1995, S. 20, englischer Quellentext: „He (i.e. Šah Esma'il) reforms our churches, destroys the
houses of all Moors who follow (the Sunna of) Muhammad and never spares the life of any Jew.“
106 Gronke, Monika, 2009, S. 79
107 Robin, Francis, 1996, S. 72
108 Halm, Heinz, 2014, S. 341-342
109 Die nizaritischen Ismailiten gibt es bis heute. Ihr 49. Imam Karim Aga Khan IV hat seinen Sitz im
33
–
Verfluchung der ersten drei Kalifen:
Schah Ismail I ging so sehr ins schiitische Extrem, dass er von allen
Untertanen als Zeichen ihrer schiitischen Einstellung erwartete, dass sie die
ersten drei Kalifen Abu Bakr, Umar und Uthman öffentlich verfluchten.110 Es
gab Staatsangestellte deren Beruf es war, die drei Kalifen zu verfluchen und
dies in Zeremonien mit dem Volk auszuführen. Weil dies zu enormen
Spannungen mit dem Osmanischen Reich führte, wurde das Amt 962/1555
eingestellt.111
–
Zerstörung des Sufi-Schreins von Abu Muslim in Naisabur112
–
Verbot von Verbreitung sufistischer Traditionen wie den Abu-Muslim-Namas113
–
Einführung schiitischer Feiern:
Zu diesen zählen die Freudenfeste: Ghadir Khumm (Tag an dem Ali r. von
Muhammad s.a.s. als sein Nachfolger bestimmt worden sein soll) 18. Dhul-lHidscha und der Geburtstag des Propheten Muhammad s.a.s., welcher
zusammen mit dem Geburtstag des 6. Imams Djafar as-Sadiq am 17. Rabi 'alavval gefeiert wird.
Die schiitischen Trauerfeiern werden am 21. Ramadan zum Märtyrertod Alis
und in mindestens den ersten zehn Tagen von Muharram mit seinem
Höhepunkt am Tag von Aschura abgehalten.114 Am Tag von Aschura wurde
Hussain r. mit seiner Familie in Kerbela hingerichtet. Unter Ismails
Nachfolgern entwickelten sich die Trauerfeiern zu Aschura und die damit
verbundene Selbstgeißelung in immer größerem Ausmaß.115
Unter Schah Abbas I (reg. ca.995-1038/1587-1629) wurde auch ein Fest
eingeführt, bei der die Ermordung Umars r. (durch einen Perser) gefeiert
Schloss Aiglemont bei Paris. Die Spur der fatimidischen Ismailiten versiegte zum Ende der
Mamluken-Zeit. (Halm, Heinz, 2014, S. 345-346 und S. 325)
110 Gronke, Monika, 2009, S 78
111 Carlmard, Jean, 1996, S. 161
112 Babayan, Kathryn, 1996, S. 124
113 Carlmard, Jean, 1996, S. 140
114 Ebd.
115 Jean Calmard hat hierzu die Reiseberichte von Europäern gesammelt, welche die schiitischen
„Passionsspiele“ beschreiben, bei denen Hussain in sämtlichen Szenen dargestellt wird, Männer
mit Steinen auf einander einschlagen, Frauen ihr Blut spritzen lassen und Betteljungen schwarz
angemalt werden (S. 139 ff.)
34
wurde. Zum Abschluss von „'Eid-i 'Umar-kushan“ wurde der zweite Kalif.
symbolisch verbrannt.116
Schah Ismail starb mit nur etwa 37 Jahren und hatte es geschafft, Iran grundlegend
zu verändern und zu einem schiitischen Staat inmitten sunnitischer Nachbarn umzuwandeln, welcher er bis heute geblieben ist. Es dauerte etwa ein Jahrhundert bis es
gelungen war, dass der Großteil der Bevölkerung den schiitischen Glauben angenommen hatte.117 Die Kizilbasch, die ihn zur Macht gebracht hatten, bestanden trotz
ihrer Verfolgung noch bis zum Ende der Safawiden-Herrschaft als Sufi-Gemeinschaft
weiter, allerdings nur als kleine Gruppe.118
116 Donaldson, B.A.: The wild rue, London, 1938 zit. n. Carlmard, Jean, 1996, S. 161
117 Babayan, Kathryn, 1996, S. 120
118 Morton, A.H: Chub-i tariq and Qizilbash Ritual in Safavid Persia, Paris, 1993, zit. n. Carlmard,
Jean, 1996, S. 166
35
6. Auswirkungen der Geschichte auf die Gegenwart – Iran
und Ägypten heute
Der Gelehrte Ibn Taimija hat gesagt: „Gott erhält einen Staat, der gerecht ist, auch
wenn es ein ungläubiger Staat ist, und Gott lässt einen ungerechten Staat niedergehen, auch wenn es ein gläubiger d.h. muslimischer Staat ist.“119
Die islamischen Länder haben ihre Vormachtstellung in der Welt an die bürgerlichkapitalistischen Länder des christlichen Westens (das sind insbesondere die USA
und Europa) verloren.
Durch die wirtschaftliche und militärische Überlegenheit sowie wissenschaftlichen
Fortschritt war es den Engländern im 12./19. Jahrhundert gelungen, den Iran ökonomisch von Europa abhängig zu machen. Durch die Erlangung von Konzessionen um
im Iran ein Telegraphennetz zu bauen, die Infrastruktur zu modernisieren, Kreditbanken zu gründen sowie die Errichtung eines Tabak-Monopols und Sicherung von
Fischerei-Rechten wurde die Wirtschaft Irans in erheblichem Maß den englischen
und russischen „Entwicklungshelfern“ unterstellt, welche dadurch auch politisch
Einfluss auf das Land nahmen.120
Der schiitischen Geistlichkeit fiel gewissermaßen die „nationale“ Rolle zu, die Belange der muslimischen iranischen Bevölkerung gegen die ausländische Einflussnahme
zu verteidigen.121
Auch als sich der Schah Muhammad Reza in den 1960er und 1970er Jahren immer
weiter von der Bevölkerung entfernte, welche sich in einer sozialen und
wirtschaftlichen Krise befand, war die Religion die identitätsstiftende Konstante,
welche es zur islamischen Revolution kommen ließ, sodass 1979 die islamische
Republik Iran gegründet wurde, welche wir heute kennen.122
Als 2013 Hassan Rohani zum neuen Präsidenten Irans gewählt wurde betonten die
Medien, dass die eigentliche Macht im Land beim religiösen Oberhaupt Ayatollah Ali
119 Ibn Taimija, Taqī ad-Dīn Ahmad, zit. n. Mourad, Samir, 2007, S. 468
120 Gronke, Monika, 2009, S. 91-92
121 Gronke, Monika, 2009, S. 93
122 Ebd. S. 104-105
36
Chamenei liegt, der der mächtigste Mann im Iran ist.123 Er wird vom Militär, der
Polizei und dem Wächterrat unterstützt. Der Wächterrat, welcher u.a. die Übereinstimmung neuer Gesetze mit dem Islam gewährleisten soll, bestimmt, wer überhaupt
für das Präsidenten-Amt kandidieren darf.124
Auch Ägypten öffnete sich im 12./19. Jahrhundert dem ausländischen Unternehmertum. Fabriken entstanden und das Land wurde praktisch zu einer Baumwollplantage,
dessen Erträge für den englischen Markt bestimmt waren.125 Ca.1299/1882 besetzte
England Ägypten mit seinem Militär. Der Orientalist Albert Hourani (gest.
ca.1416/1995), ehemaliger Direktor des „Middle East Centers“ in Oxford, schreibt:
„Den Vorwand für das Eingreifen der Briten lieferte die Behauptung, die
Regierung rebelliere gegen die legitime Autorität, und die Ordnung im Land sei
zusammengebrochen. Die meisten zeitgenössischen Zeugen bestätigen diese
Behauptung nicht. Der wahre Grund war der Drang nach Macht, den Staaten
in einer Zeit der Expansion entwickeln und den die Sprecher der europäischen
Finanzinteressen noch verstärkten.“126
Ca.1332/1914 wurde Ägypten zu einem britischen Protektorat erklärt. Die muslimische Religion blieb auch hier identitätsstiftend für große Teile der
Bevölkerung.
Ca.1346/1928 gründete Hasan al-Banna die Muslimbruderschaft (arab. Ichwan almuslimin), eine der einflussreichsten Bewegungen des sunnitischen Islam im Nahen
Osten. Der Grundsatz der Muslimbrüder ist es, dass der Muslim sich zu jeder Zeit an
Koran und Sunna orientieren muss und mit der Moderne geht, indem er alle neuen
Herausforderungen auf der Basis von Koran und Sunna angeht. Ca.1368/1949
wurde Hasan al-Banna auf Anweisung der Britischen Besatzungsmacht (das
Protektorat endete offiziell ca.1355/ 1936) niedergeschossen.127
Der ca.1367/1948 neu entstandene Nachbarstaat Israel im Staatsgebiet des
sunnitischen Palästina ist bei der sunnitischen Ägyptischen Bevölkerung verhasst128,
doch Amerika sorgt seit Präsident Sadat dafür, dass der Frieden zwischen Ägypten
und Israel gewahrt wird, indem es die Armee mit jährlich 1,3 Milliarden US-Dollar
123 Vergl. meta.tagesschau.de 5.10.2013
124 Gronke, Monika, 2009, S. 114
125 Hourani, Albert, 2006, S. 347
126 Ebd. S. 348
127 Mourad, Samir und Roula, 2007, S. 275
128 Ebenso bei der schiitischen Bevölkerung im Iran
37
Militärhilfe finanziert. Rund 2.500 Mitarbeiter der US-Botschaft, darunter zahlreiche
Männer des Geheimdiensts CIA, sorgen dafür, dass Ägypten nach zwei verlorenen
Kriegen nicht noch einmal versucht Israel zu bekämpfen.129
Als 1432/2011 der arabische Frühling in Ägypten ausbrach und das Land von
Massenprotesten überzogen wurde, setzte das Militär den unhaltbar gewordenen
Präsidenten Mubarak ab, der ein marodes Regime am Tropf der Vereinigten Staaten
und dem Internationalen Währungsfonds im permanentem Ausnahmezustand regiert
hatte. Bei Neuwahlen gewannen die Muslimbrüder mit ihrem Kandidaten Muhammad
Mursi. Es gelang Mursi allerdings nicht, den Frieden im Land wieder herzustellen und
die vielen Probleme der armen Bevölkerung Ägyptens zu lösen. Nach nur einem Jahr
setzte daraufhin wiederum das von Amerika finanzierte Militär ihn ab und brachte
durch großteils boykottierte Wahlen und ohne echten Gegenkandidaten ihren
Militärführer Abd al-Fattah as-Sisi an die Macht.
Die Al-Azhar wurde in den 70er Jahren eine moderne Universität, welche allerdings
scharf von der Regierung kontrolliert wird.130 Viele Muslime waren dennoch
geschockt, dass der Scheich al-Azhar den Militärputsch gegen den muslimischen
Präsidenten Mursi unterstützte und der ehemalige Großmufti der al-Azhar, Ali
Gomaa, sogar ein Rechtsgutachten (arab. fatwa) formulierte, welches dem Militär
erlaubt, in die Menge von Demonstranten zu schießen.
Im September 1434/2013 wurde über 55.000 Imame ein Prediger-Verbot verhängt.
Nur noch die Imame, die in der Al-Azhar Universität studiert haben, dürfen
Freitagspredigten halten.131 Somit ist die al-Azhar wieder zum Instrument geworden,
um die religiöse Auffassung der Herrschenden unter dem Volk zu verbreiten. Wobei
Sisi aber keine religiöse Ausbildung hat, sondern eine militärische Ausbildung unter
anderem in England und den USA durchlaufen hat. Über sein Islambild sagt er, dass
den Ägyptern ein modernes, weitgefasstes Verständnis des Islams näher gebracht
werden müsse.132
129 Spiegel Geschichte, „Arabien“ 3/2011
130 Hourani, Albert, 2006, S. 472 und S. 488
131 Islamische Zeitung , 10.09.2013 mit der Katholischen Nachrichtenagentur (KNA) als Referenz
132 Ibrahim, Raymond: General Sisi: Religious Discourse Greatest Challenge Facing Egypt, Middle
East Forum, meforum.org
38
7. Resumé
Wie die Arbeit zeigen konnte, waren die beiden Männer Salahuddin und Ismail I zwei
sehr unterschiedliche Persönlichkeiten, die auch in unterschiedlichen Jahrhunderten
lebten. Während Ismail I seine Anhänger, die ihn an die Macht gebracht hatten, durch
die Wahl des Zwölferschiitentums verriet und die Kizilbasch verfolgen ließ, blieb
Salahuddin dem sunnitischen Islam sein gesamtes Leben lang treu und blieb
ebenfalls loyal zu seinen Vorgesetzten Nureddin Zengi und dem Kalifen von Bagdad.
Salahuddin ging nur gegen die ismailitischen Insititutionen vor und nicht gegen die
ägyptische Bevölkerung, in welcher der ismailitische Glaube ohnehin nicht sehr
verbreitet war. Obwohl es bereits viele Sunniten in Ägypten gab, ging Salahuddin
sachte vor und ließ sich etwa zwei Jahre Zeit, bis er den Namen des ismailitischen
Imam-Kalifen komplett aus der Freitagspredigt strich. Somit gab es dann auch kaum
Widerstand, als die sunnitische Herrschaftsform schließlich offiziell wurde.
Im Iran war der zwölferschiitische Glaube vor Ismail I hingegen fast gar nicht
verbreitet gewesen, weshalb es Ismail I nur durch massiven Druck auf die
Bevölkerung gelang, das neue Glaubensbekenntnis durchzusetzen. Er ließ
diejenigen, die sich nicht zur Zwölferschia bekennen wollten, töten und viele
Menschen flohen nach Indien und in andere Länder. Erst nach etwa 100 Jahren hatte
sich der schiitische Glaube im Iran etabliert.
39
8. Schlusswort
Salahuddin wird in sunnitischen Quellen hoch verehrt. Er zählt zu den großen Helden
der
islamischen
Geschichte
aus
den
Jahrhunderten
nach
den
edlen
Prophetengefährten, und ist auch heute noch für viele Muslime ein Vorbild. Er leistete
der Ummah viele Dienste, von denen in dieser Arbeit nur ein Bruchteil behandelt
werden konnte. Salahuddin wird auch von Orientalisten sehr geachtet, da sie im
Studium über die Kreuzzüge feststellen, dass der größte Feind der Kreuzfahrer einen
edlen Charakter hatte und sie nicht nur militärisch besiegte, sondern auch
charakterlich.
Schah Ismail I hingegen erscheint in deutsch- und englischsprachigen Quellen in
einem sehr negativen Licht. Ich habe die Werke von sechs verschiedenen
Geschichtswissenschaftlern zu Ismail I heran gezogen, welche jedoch keine
positiven Aspekte enthielten, welche ich in dieser Arbeit nicht erwähnt hätte, außer
dass es Schah Ismail I gelang, den Iran als Herrschaftsgebiet zu einen und durch
das
Zwölferschiitentum
vom
Osmanischen
Reich
abzugrenzen.
(Was
aus
sunnitischer Sicht natürlich nicht positiv zu sehen ist, dafür aber aus schiitischer
Sicht). Ich habe auch das „Islamische Zentrum Hamburg“, welches von Iranern
betrieben wird, kontaktiert und sie nach ihrer Beurteilung meiner RechercheErgebnisse befragt. Herr Ramazani von der Pressestelle ließ mich wissen, dass
Schah Ismail I im Iran nicht negativ gesehen wird und sein Mausoleum bei Ardabil
ein beliebter Pilgerort sei. Er wollte mir bis zum 09.08.2014 etwas Schriftliches
schicken, um die Aussage zu belegen, jedoch ist zu diesem Termin leider kein
Schreiben eingetroffen.
Ob eine Gesellschaftsumwandlung letztendlich vom Volk selbst als positiv
aufgenommen wird hängt davon ab, inwieweit die Herzen für die neue Ideologie
gewonnen werden können und ob die Menschen davon ausgehen, dass der Erfolg
einer Gesellschaft nur in diesem Leben zu messen ist, oder auch darüber hinaus im
Jenseits.
40
Zeittafel (Jahresangaben n. Ch.)
632
632-666
661-749
680
750-1258
765
899
969
969
972
1040-1092
1090-1256
1147
1169
1169
1172
1219-1224
1258
1291
1295
1300
1396-1508
1501
1722
1882
1914-1936
1925-1979
1928
1948
1979
1981-2011
2011
2012-2013
2013
2014
Tod des Propheten Muhammad s.a.s.
Rechtschaffenes Kalifat (Abu Bakr, Umar, Uthman, Ali)
Kalifat der Umayyaden, regiert von Damaskus
Martyrium von Hussain r. (dritter schiitischer Imam) in Kerbala, Irak
Kalifat der Abbasiden, regiert von Bagdad, gegründet 762
Tod des 6. schiitischen Imams Djafar as-Sadiq (über die Frage dessen
Nachfolge es zur Abspaltung der Ismailiten kam)
Der ismailitische Werber Abdullah erklärt sich zum Imam und Mahdi
und regiert Nordafrika
Der vierte fatimidische Imam al-Mu'izz li-Din Allah erobert Ägypten
Gründung der Stadt Kairo
Eröffnung Al-Azhar Moschee und Lehranstalt
Seldschuken-Herrschaft (als eigentliche Machthaber im abbasidischen
Kalifat)
Die ismailitischen Nizariten (Assassinen) beherrschen die Burg Alamut
Tod von 'Imad ad-deen Zengi (Herrscher von Mossul, Irak)
3. Feldzug von Nurredin Zengi (Herrscher von Aleppo, Syrien) gegen
die Fatimiden in Ägypten
Salahuddin wird Wesir im fatimidischen Ägypten
Tod des letzten fatimidischen Imam-Kalifen al-'Adid li-Din Allah
Die Mongolen unter Dschingis Chan (gest. 1227) zerstören
Transoxanien und Iran
Sturz des Kalifats von Bagdad durch die Mongolen
Endgültige Vertreibung der Kreuzfahrer aus dem Nahen Osten
Der Ilchan (Mongole) Ghazan (reg. 1295-1304) wird Muslim, der Islam
wird wieder zum Herrschaftsprinzip
Gründung der Derwisch-Gemeinschaft Safawiyeh in Ardabil, Iran
Herrschaft der Aq Qoyunlu im Iran (nach dem Zerfall der
Mongolenherrschaft)
Ismail I erobert Tabriz und verkündet die Zwölferschia als Staatsreligion
Einfall der afghanischen Ghalzay in den Iran, Rücktritt des letzten
Safawiden-Schahs Sultan Hosayn
England besetzt Ägypten
Ägypten unter englischem Protektorat
Dynastie der Pahlavi: Reza Schah (reg. 1925-1941) und Mohammed
Reza Schah (reg. 1941-1979)
Gründung der Muslimbruderschaft
Gründung des Staates Israels
Islamische Revolution und Sturz des Schahs im Iran. 1. April offizielle
Ausrufung der schiitischen Islamischen Republik
Regierungszeit von Husni Mubarak in Ägypten
Arabischer Frühling in Ägypten, Sturz von Husni Mubarak am
11.Februar
Regierungszeit von Muhammad Mursi in Ägypten
Hassan Rohani wird am 14.Juni zu Irans Präsident gewählt
Abd al-Fattah as-Sisi wird am 8. Juni zu Ägyptens Präsident gewählt
41
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