LEBEN & GESUNDHEIT Krankenhaus Graz, Standort Eggenberg Häufige Erkrankung, seltene Diagnose PatientInnen leiden durchschnittlich siebeneinhalb Jahre an oft nur leichten Beschwerden, bis eine Zöliakie diagnostiziert wird. Wird die Autoimmunerkrankung aber nicht therapiert, drohen bösartige Folgeerkrankungen. TEXT: PRIMARIUS DR. GERHARD REICHT, EVA TERLER Z öliakie ist eine Autoimmunerkrankung, bei der es zu einer Entzündung der Dünndarmschleimhaut kommt. In der Folge verplumpen und schrumpfen die für die Nährstoffaufnahme so wichtigen Darmzotten, bis sie schließlich nicht mehr sichtbar sind. Auslöser für diese Veränderungen ist die Reaktion der Darmschleimhaut auf das Klebereiweiß (Gluten) verschiedener Getreidesorten. Basis für das Entstehen dieser Entzündung ist bei vielen PatientInnen eine vererbte Veranlagung, die dazu führt, dass das Klebereiweiß die Dünndarmzellen leichter passieren kann. Daneben spielen weitere Faktoren wie zum Beispiel Infektionen, Medikamente und Stillgewohnheiten für den Beginn der Erkrankung eine Rolle. WEITERE INFOS Österreichische Arbeitsgemeinschaft Zöliakie Die Patientenorganisation bietet weitere Informationen, dort ist auch das ZöliakieHandbuch inkl. dreier Broschüren, in denen 10.000 glutenfreie Produkte aufgelistet sind, erhältlich. Internet: www.zoeliakie.or.at 4 granat apfel 4|2014 In Österreich sollen laut internationalen Studien 40.000 bis 80.000 Menschen an Zöliakie leiden bzw. gefährdet sein, im Laufe ihres Lebens daran zu erkranken. Die Patientenorganisation „Österreichische Arbeitsgemeinschaft für Zöliakie“ hat ca. 6.000 Mitglieder registriert. Man geht davon aus, dass es pro einem neu diagnostizierten Patienten acht bisher noch unerkannte Zöliakie-PatientInnen gibt. Die Diagnosestellung erfolgt durchschnittlich 7,4 Jahre nach Auftreten der ersten Beschwerden. Unterschiedliche Beschwerden Die Beschwerden sind mannigfaltig und sehr unterschiedlich ausgeprägt. Die klassische Zöliakie mit Durchfällen, Fettstühlen, Gewichtsverlust und Mangelerscheinungen wird immer seltener gesehen. Wesentlich häufiger geben die PatientInnen nur wenige und oft auch nur leicht ausgeprägte Beschwerden an. Es gibt auch eine stumme Zöliakie ohne jegliche Beschwerden, die erst dann diagnostiziert wird, wenn erstgradig Verwandte eines Patienten im Rahmen eines Screenings untersucht werden. Als Autoimmunerkrankung kann die Zöliakie auch andere Organsysteme betreffen wie beispielsweise Haut, Gehirn (Epilepsie), Blut (Eisenmangelanämie), Lunge, Herz, Leber, Gelenke und Nieren. Aber auch Depressio- ZÖLIAKIE Fragebogen Ein dringender Verdacht auf Zöliakie besteht, wenn mindestens je ein Punkt aus Abschnitt 1, 2 und 3 zutrifft. An Zöliakie zu denken ist bei einem Punkt aus Abschnitt 1 oder 2 und zusätzlich einem Punkt aus Abschnitt 3. Abschnitt 1 Seit einigen Jahren stehen relativ genaue Antikörpertests aus dem Blut zur Verfügung. Die Sicherung der Diagnose erfolgt bei entsprechenden Beschwerden und Antikörperbefund im Rahmen einer Gastroskopie. Ganz wichtig ist es, dass dabei mehrere Gewebeproben mit einer kleinen Biopsiezange aus dem Zwölffingerdarm entnommen werden, denn die endgültige Man geht davon aus, Diagnose kann nur aus dass es pro einem neu dem Mikroskopiebefund der Dünndarmschleimhaut diagnostizierten Patienten acht noch unerkannte gestellt werden. Wird die Zöliakie nicht Zöliakie-PatientInnen gibt. behandelt, steigt neben den Folgeerscheinungen von Mangelzuständen auch das Risiko bösartiger Erkrankungen. Positiv ist allerdings zu vermerken, dass unter strikter glutenfreier Ernährung dieses Risiko wieder vollständig verschwindet. Glutenfreie Ernährung Die Standardtherapie bei Zöliakie ist eine lebenslange strikte glutenfreie Ernährung. ­ Diese Diät sollte jedoch erst nach Absiche- « Foto: ikonoklast_hh/Fotolia.com Diagnose durch Antikörpertests Beschwerden mindestens einmal pro Woche seit drei Monaten: Blähungen Magenkrämpfe Durchfälle Verstopfung Gelenkschmerzen oder Taubheits­gefühl in Armen oder Beinen Juckende Hautveränderungen Andauernde unerklärliche Müdigkeit Häufige Kopfschmerzen/Migräne Abschnitt 2 Bisherige Diagnosen: Reizdarm Ekzem/unklare Dermatitis Fibromyalgie Chronisches Müdigkeitssyndrom Reizmagen/Dyspepsie nach Peter HR Green, Director Celiac Disease Center, Columbia University, USA nen oder unerfüllter Kinderwunsch können ein Hinweis auf diese Erkrankung sein. Einige Geschäfte bieten heute auch glutenfreie Backwaren an. Abschnitt 3 Weitere Diagnosen: Laktoseintoleranz Osteopenie/Osteoporose Autoimmunerkrankungen (Diabetes mellitus, Schilddrüse etc.) Polyneuropathie Non-Hodgkin-Lymphom Dünndarmkrebs Depressionen Eisenmangelanämie Unerfüllter Kinderwunsch 5 LEBEN & GESUNDHEIT Krankenhaus Graz, Standort Eggenberg « rung der Diagnose beginnen, weil sonst möglicherweise die Untersuchungsergebnisse nicht eindeutig bewertbar sind und wieder eine Glutenbelastung nötig wird. Gluten ist das Klebereiweiß im Weizen, Dinkel, Grünkern, Kamut, Emmer, Einkorn, Roggen, Gerste und weiteren Getreidederivaten. Ein großer Diskussionspunkt in den letzten Jahren war die mögliche Unschädlichkeit von Hafer. Dazu gibt es inzwischen mehrere Studien, die bei den meisten PatientInnen eine Unschädlichkeit nachweisen. Bei etwa fünf Prozent kann jedoch eine verstärkte Sensibilität bestehen. Deshalb und auch wegen der stark kontaminierten Haferprodukte, die im Handel erhältlich sind, kann eine Verwendung von Hafer für die glutenfreie Ernährung noch nicht allgemein empfohlen werden. Primarius Dr. Gerhard Reicht ist Facharzt für Innere Medizin, Gastroenterologie und Hepatologie und Abteilungsleiter Innere Medizin II am Krankenhaus Graz, Standort Eggenberg. Versteckte Gluten Eva Terler ist Diät­ologin am Krankenhaus Graz, Standort Eggenberg sowie Landesleitung Steiermark & Diätberatung der Österreichischen Arbeitsgemeinschaft Zöliakie. Nahrungsmittel, die offensichtlich Gluten enthalten, wie Brot, Backwaren, Mehlspeisen, Teigwaren, mit Mehl gebundene oder panierte Speisen, Getreideflocken etc. kann man ganz klar erkennen. Ein weitaus größeres Problem sind versteckte Gluten in den Lebensmitteln. Aber für Zöliakie-PatientInnen bleiben noch viele hochwertige glutenfreie Grundnah- rungsmittel übrig: Reis, Mais, Hirse, Buchweizen, Amaranth, Quinoa, Kartoffeln, Gemüse, Hülsenfrüchte, Salate, Obst, Nüsse, Milchund Sauermilchprodukte, Käse, Fleisch, Geflügel, Fisch, Eier, Fette, Öle, Bohnenkaffee, Tee und diverse Getränke. Auch beinahe alle Wurstwaren dürfen laut Österreichischem Lebensmittel-Codex keine Gluten enthalten. Das internationale Glutenfrei-Symbol wird als sicheres Markenzeichen für glutenfreie Lebensmittel von den nationalen ZöliakieGesellschaften vergeben. Diese Produkte müssen einer Glutenanalyse unterzogen werden. Nach den aktuellen Codex-Alimentarius-Vorschriften ist bei glutenfreien Lebensmitteln ein Gehalt von weniger als 20 mg Gluten/Kilogramm Lebensmittel gefordert. Die Entwicklung neuer glutenfreier Produkte ist in den vergangenen Jahren rasant angestiegen. Heute gibt es praktisch zu jedem glutenhältigen Lebensmittel auch ein glutenfreies Ersatzprodukt. Ein Problem stellt die Verunreinigung von glutenfreien Lebensmitteln, speziell von glutenfreien Getreideprodukten, in Industriemühlen, Abfüllanlagen und Produktionsgeräten dar. Andererseits kann es bei vielen glutenfreien Lebensmitteln zu keiner Kontamination kommen, doch viele Hersteller drucken trotzdem aus haftungsrechtlichen Gründen sogenannte Vorsichtsdeklarationen („kann Spuren von Gluten enthalten“) auf die Verpackung. Die häufigsten Ernährungsfehler entstehen durch einen versteckten Glutengehalt und verunreinigte Produkte. Im Zweifelsfalle sollte ein Nahrungsmittel nicht gegessen werden. Eine vollständige Aufklärung über das Krankheitsbild und eine ausführliche Ernährungs­ beratung durch eine Diätologin oder einen Diätologen ermöglicht dem Patienten einen positiven und richtigen Umgang mit der neuen und ungewohnten Situation. Damit fällt die Umstellung auf eine konsequente und lebenslange glutenfreie Ernährung leichter. Polenta auf Salat: So schmackhaft kann glutenfreie Ernährung sein! 6 granat apfel 4|2014 Foto: Hetizia/Fotolia.com «