Organklage der Ökologisch-Demokratischen Partei (ödp)

Werbung
Organklage
der Ökologisch-Demokratischen Partei (ödp)
Eingereicht beim Bundesverfassungsgericht am 3.9.2002
Bevollmächtigter: Prof. Dr. Hans Herbert von Arnim
Gliederung
I.
Gegenstand des Verfahrens
II. Zulässigkeit des Antrags
III. Begründetheit des Antrags
1. Der strenge Gleichheitssatz als Maßstab
2.
Bedeutung und Gefährdung der Offenheit des politischen Prozesses und der
Chancengleichheit der Parteien
3. Inadäquanz des Mindestquorums nach dem Systemwechsel bei der staatlichen
Parteienfinanzierung
4. Anerkennung der ödp als Partei
5. Politische "Ernsthaftigkeit" der ödp
6. Weizsäcker-Kommission – Verdoppelung des Quorums durch den Gesetzgeber
7. Drei-Länder-Quorum
8. Fünfprozent-Quorum
9. Verstoß gegen das Übermaßverbot
Anhang
(hiernicht
enthalten)
Anlage 1:
Staatliche Teilfinanzierung für das Jahr 2001 (Tabelle 1
Anlage 2:
Rechenschaftsbericht 2000 der ödp
Anlage 3:
Pressmitteilung des Bundeswahlleiters vom 12.7.2002
Anlage 4: Übersicht über die steuerbegünstigten politischen Parteien
Anlage 5: Satzung der ödp
Anlage 6: Bundespolitisches Programm der ödp
Anlage 7: Ergebnisse der jeweils letzten Bundestagswahl, Europawahl und Landtagswahlen (Tabelle
2)
Anlage 8:
Staatsfinanzierung der politischen Parteien (Schaubild)
Prof. Dr. Hans Herbert von Arnim
Im Oberkämmerer 26
67346 Speyer
Tel. 06232/98123
An das Bundesverfassungsgericht
Postfach 1771
76006 Karlsruhe
Organklage der ödp gegen den Deutschen Bundestag und den Bundesrat
Hiermit beantrage ich im Namen und im Auftrag der Ökologisch-Demokratischen Partei (ödp) –
Antragstellerin – festzustellen, dass der Deutsche Bundestag und der Bundesrat – Antragsgegner –
durch das Achte Gesetz zur Änderung des Parteiengesetzes vom 28. Juni 2002 (BGBl. S. 2268)
gegen Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG und Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen haben, indem sie in Artikel 3 die
Voraussetzungen für die Teilnahme von Parteien an der staatlichen Finanzierung in Form der
Zuschläge auf Zuwendungen massiv verschärft und statt bisher 1 Prozent der Wählerstimmen bei der
letzten Landtagswahl eines Bundeslandes nunmehr 5 Prozent oder ein Prozent bei den letzten
Landtagswahlen von drei Bundesländern verlangen.
Vollmacht ist beigefügt.
I.
Gegenstand des Verfahrens
Am 19. April 2002 beschloss der Deutsche Bundestag das Achte Gesetz zur Änderung des
Parteiengesetzes.1 Der Bundesrat stimmte dem Gesetz am 31. Mai 2002 zu.2 Das Gesetz wurde
ausgefertigt und am 29. Juni 2002 im Bundesgesetzblatt verkündet.3 Durch dieses Gesetz wurden die
Regelungen betreffend die Parteienfinanzierung in mehreren Punkten geändert. Insbesondere enthält
das neue Gesetz in seinem Artikel 3 eine enorme Verschärfung der Voraussetzungen, die kleineren
Parteien erfüllen müssen, um an wesentlichen Teilen der staatlichen Parteienfinanzierung beteiligt zu
werden. Nach der neu eingeführten, ab dem Jahre 2005 geltenden "Drei-Länder-Grenze" muss eine
Partei (die bei Bundestags- oder Europawahlen nicht mindestens 0,5 Prozent der Zweitstimmen
erlangt) bei den letzten Landtagswahlen in mindestens drei Ländern 1 Prozent der Stimmen erreicht
haben, um den Staatszuschuss auf Beiträge und Spenden in Höhe von 38 Cent je Euro Zuwendung
zu erhalten (§ 18 Abs. 4 Satz 3 Parteiengesetz n.F.). Alternativ dazu reicht es auch aus, in einem
Land mindestens 5 Prozent der Stimmen erlangt zu haben. Die Verschärfung tritt zum 1.1.2005 in
Kraft (Art. 6 Abs. 3 des Änderungsgesetzes). Bisher reichte 1 Prozent bei der letzten Landtagswahl in
einem Bundesland. Die Neuregelung bedeutet in der einen Alternative somit eine Verschärfung der
Voraussetzungen auf das Dreifache (1 Prozent bei drei Landtagswahlen statt bisher bei einer
Landtagswahl), in der anderen Alternative bedeutet sie eine Verschärfung der Voraussetzungen auf
das Fünffache (5 Prozent bei einer Landtagswahl statt bisher 1 Prozent).
1
Deutscher Bundestag, 14. Wahlperiode, 231. Sitzung am 19. April 2002, S. 22989.
2
Bundesrat, Stenografischer Bericht, 776. Sitzung vom 31.5.2002, S. 280.
3
BGBl. S. 2268, ausgegeben am 29. Juni 2002.
II.
Zulässigkeit des Antrags
Der Antrag ist statthaft. Die ödp ist ein Beteiligter im Sinne des Art. 93 Abs. 1 Ziff. 1 GG, der durch das
Grundgesetz mit eigenen Rechten ausgestattet ist. Die ödp ist eine politische Partei und damit nach
Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG und Art. 3 Abs. 1 GG berechtigt, an der politischen Willensbildung des
Volkes, gleichberechtigt mit anderen Parteien, mitzuwirken.
Die ödp macht gemäß § 64 Abs. 1 BVerfGG geltend, durch eine Maßnahme des Bundestags und des
Bundesrats in den genannten, durch das Grundgesetz übertragenen Rechten unmittelbar gefährdet zu
sein. Das Achte Änderungsgesetz zum Parteiengesetz stellt eine Maßnahme der Antragsgegner dar.
Die darin enthaltene Verschärfung der Voraussetzungen für eine Beteiligung kleinerer Parteien an der
staatlichen Parteienfinanzierung in der Form des Zuschusses auf Zuwendungen gefährdet die
genannten Rechte der Antragstellerin. Die Verschärfung droht die Antragstellerin massiv zu
benachteiligen. Denn die Antragstellerin erhielt in der Vergangenheit bei Landtagswahlen in Bayern
regelmäßig mehr als 1 Prozent der Stimmen und nahm somit an der staatlichen Bezuschussung von
Beiträgen und Spenden teil. Sie hat die Einprozent-Schwelle aber regelmäßig nur in Bayern, nicht
auch bei Landtagswahlen in zwei oder mehr weiteren Bundesländern überschritten. Die Neuregelung
droht ihr deshalb einen großen Teil ihrer bisherigen Einnahmen zu entziehen, nämlich den gesamten
Zuwendungsanteil der Staatsfinanzierung. Das wären nach bisherigem Recht mehr als neun Zehntel
ihrer staatlichen Mittel und rund ein Viertel ihrer Gesamteinnahmen.4 Das Achte Änderungsgesetz
zum Parteiengesetz hat das Verhältnis zwischen Wählerstimmen und Zuwendungsanteil zu Lasten
des letzteren geändert. Danach betrüge – auf Grund einer überschlägigen Rechnung und auf der
Basis der 2001 vorliegenden Zuwendungen und Wählerstimmen – der Zuwendungsanteil fast sechs
Siebtel ihrer staatlichen Mittel von insgesamt etwa 512.000 Euro, also immer noch ein knappes Viertel
ihrer Gesamteinnahmen. In jedem Fall würde die angegriffene Regelung, falls sie Bestand hätte, zu
einer dramatischen Einnahmeneinbuße der ödp führen, die ihre Handlungsfähigkeit aufs Schwerste
beeinträchtigten müsste.5 Das liefe auf eine massive Einschränkung der Wettbewerbskraft der ödp
hinaus und könnte für sie letztlich geradezu die Existenzfrage stellen.
Die Gefährdung ist auch unmittelbar. Das Gesetz ist ausgefertigt und verkündet und damit rechtsgültig
zustande gekommen. Alle am Gesetzgebungsverfahren Beteiligten haben das ihre zum
Zustandekommen des Gesetzes beigetragen. Die verschärfende Vorschrift ist allerdings noch nicht in
Kraft. Das Gesetz sieht aber ausdrücklich ihr Inkrafttreten zum 1. Januar 2005 vor. Zu diesem
Zeitpunkt wird die Vorschrift somit wirksam, ohne dass es noch eines weiteren Aktes des
Gesetzgebers bedarf. Damit ist die Unmittelbarkeit der Gefährdung gegeben. Dass der Eingriff
endgültig erst später eintritt, ist unerheblich. Davon geht auch die verfassungsrechtliche Literatur aus.
So schreibt Klaus Stern:
"Es steht (...) nichts entgegen, zwischen Verkündung und Inkrafttreten eines Gesetzes (...) eine
unmittelbare Gefährdung anzunehmen".6
Dies bestätigt auch Thomas Clemens:
4
Das ergibt eine Rechnung aufgrund der Staatszuwendungen für das Jahr 2001 (siehe Tabelle 1 im Anhang). Danach betrug
der Wähleranteil der Staatsmittel der ödp 72.396,84 Euro, der Zuwendungsanteil betrug 699.159,83 Euro. Der Zuwendungsanteil betrug
somit 90,6 Prozent der gesamten Staatszuschüsse. Die Beträge wurden aufgrund der absoluten Obergrenze zwar für alle Parteien (und
damit auch für die ödp) gekürzt, so dass sich für die ödp 579.099,85 Euro (= 1.132.620,88 DM) an staatlichen Mitteln ergeben. Die
proportionale Kürzung verändert die Relation zwischen Wähleranteil und Zuwendungsanteil jeder der Parteien (und damit auch der ödp)
aber nicht. Berücksichtigt man, dass die staatlichen Mittel mit rund 1,13 Millionen Mark etwa ein Viertel der Gesamteinnahmen der ödp
von voraussichtlich rund 4,4 Millionen Mark – so die Gesamteinnahmen im Jahr 2000 (siehe Rechenschaftsbericht, Anlage 2), die
Angaben für 2001 liegen noch nicht vor – ausmachen, so bedeutet der Wegfall von neun Zehntel der staatlichen Mittel den Ausfall von
etwa einem Viertel der Gesamteinnahmen der Partei.
5
Die ödp müsste ihre hauptberuflichen Mitarbeiter abbauen und ihre Ausgaben für den laufenden Geschäftsbetrieb, die
allgemeine politische Arbeit und für Wahlkämpfe massiv einschränken.
6
Klaus Stern, Zweitbearbeitung des Art. 93 TT (1982), in: Bonner Kommentar, Rdnr. 180.
"Ob die Rechtsbeeinträchtigung zeitlich noch fern ist, ist (...) unerheblich."7
Nach anderen Formulierungen liegt eine unmittelbare Gefährdung eines Rechts dann vor, wenn seine
"Verletzung, falls dem nicht entgegengetreten wird, mit großer Wahrscheinlichkeit zu erwarten steht
und sich bereits – sachlich und zeitlich – so konkretisiert hat, dass von einer konkreten Streitigkeit
gesprochen werden kann."8
Diese Voraussetzungen sind gegeben: Die Verletzung der Rechte der Antragstellerin ist – angesichts
des bereits beschlossenen und verkündeten Gesetzes und angesichts der seit langem stabilen
Verhältnisse der ödp – mit großer Wahrscheinlichkeit zu erwarten. Sie hat sich – angesichts der
unmissverständlichen gesetzlichen Regelung – auch bereits derart sachlich konkretisiert und –
angesichts des feststehenden Zeitpunkts des Inkrafttretens – auch derart zeitlich konkretisiert, dass
von einer konkreten Streitigkeit gesprochen werden kann. Das unaufhaltsame Näherrücken des
Zeitpunkts, an dem der ödp große Teile ihrer Mittel genommen werden, hat schon jetzt gewaltige
Vorwirkungen: Die ödp muss praktisch ab sofort Vorkehrungen treffen, um dem ab 2005 drohenden
Ausfall großer Teile ihrer Einnahmen zu begegnen. Das heißt, sie muss schon jetzt Einsparungen
vornehmen, um zum Beispiel für die im Jahr 2006 stattfindenden Bundestagswahlen gerüstet zu sein.
Das aber beeinträchtigt ihre Schlagkraft bei den zahlreichen, zwischenzeitlich stattfindenden Wahlen,
etwa auch der bayerischen Landtagswahl im Jahre 2003. Dass Parteien ein elementares Interesse
haben, sich auf derart einschneidende Regelungen vorbereiten zu können, erkennt auch der
Gesetzgeber selber an, indem er die verschärfende Regelung erst in zweieinhalb Jahren in Kraft setzt.
In der Begründung des Gesetzentwurfs heißt es dazu:
"Die Verschärfung der Voraussetzungen für die Teilnahme an staatlichen Zuschüssen auf
Zuwendungen "tritt erst am 1. Januar 2005 in Kraft, um den betroffenen Parteien Gelegenheit zu
geben, sich auf die veränderte Situation einzustellen."9
Das gleiche massive Interesse der betroffenen Parteien, insbesondere der ödp, an rechtzeitiger
Klarheit besteht natürlich auch hinsichtlich der Frage, ob die Regelung verfassungswidrig ist und
deshalb keinen Bestand hat. Auch darüber muss die ödp, um sich darauf einstellen zu können,
möglichst rasch Klarheit erhalten: Die Regelung hat gewaltige Vorwirkungen und beeinträchtigt die
politische Schlagkraft der ödp ganz erheblich – lange bevor die Regelung wirklich in Kraft tritt.
Die Antragsfrist von sechs Monaten (§ 64 Abs. 3 BVerfGG) ist ebenfalls gewahrt. Das angegriffene
Gesetz ist mit seiner Verkündung im Bundesgesetzblatt am 29. Juni 2002 ins Leben getreten und der
Antragstellerin ab diesem Zeitpunkt im Sinne der genannten Vorschrift bekannt geworden.
Die Zulässigkeit des Antrags wird im Übrigen auch durch folgende Überlegung voll bestätigt: Wollte
man – entgegen den vorstehenden Ausführungen – annehmen, die Zulässigkeit des Antrags sei zu
verneinen, weil die Verschärfung erst im Jahre 2005 in Kraft tritt und deshalb jetzt noch keine
unmittelbare Gefährdung der Rechte des Antragstellers vorliege, so könnte die Antragstellerin
überhaupt nicht mehr unmittelbar gegen das Gesetz vorgehen. Denn im Jahre 2005 wird die
Sechsmonatsfrist für den Antrag gemäß § 64 Abs. 3 BVerfGG verstrichen sein.
III.
Begründetheit des Antrags
1.
Der strenge Gleichheitssatz als Maßstab
7
Thomas Clemens, in: Dieter C. Umbach/Thomas Clemens (Hg.), Bundesverfassungsgerichtsgesetz, Mitarbeiterkommentar
und Handbuch, 1992, §§ 63, 64, Rdnr. 145.
8
Ernst Benda/Eckart Klein, Verfassungsprozessrecht. Ein Lehr- und Handbuch, 2. Aufl., 2001, Rdnr. 1029.
9
Gesetzentwurf, Bundestagsdrucksache 14/8778, S. 20.
Der Ausschluss der ödp von der staatlichen Bezuschussung der Mitgliedsbeiträge und Spenden und
damit des größten Teils ihrer staatlichen Mittel verstößt gegen Art. 21 Abs. 1 GG in Verbindung mit
Art. 3 Abs. 1 GG. Er verletzt den Grundsatz der Chancengleichheit der Parteien. Nach Einführung der
staatlichen Parteienfinanzierung haben grundsätzlich alle politischen Parteien Anspruch darauf, daran
in gleicher Weise beteiligt zu werden. Dies gilt für beide Teile der staatlichen Teilfinanzierung: für die
Wählerstimmenbezuschussung und für die Bezuschussung der Zuwendungen. Bei der gesetzlichen
Regelung der Parteienfinanzierung gilt – genau wie bei Wahlgesetzen – der strenge Gleichheitssatz,
der sehr viel höhere Anforderungen an die Zulässigkeit der Ungleichbehandlung von Parteien stellt als
das herkömmliche Willkürverbot: Der Gesetzgeber muss, wie das Bundesverfassungsgericht betont,
bei der Regelung der staatlichen Parteienfinanzierung "beachten, dass ihm auf diesem Gebiet
besonders enge Grenzen gezogen sind und ihm jede verschiedene Behandlung der Parteien
verfassungskräftig versagt ist, die sich nicht durch einen besonders zwingenden Grund rechtfertigen
lässt."10 Ausnahmen sind somit nur in sehr engen Grenzen zulässig und bedürfen eines zwingenden
Grundes. Als solchen zwingenden Grund hat das Bundesverfassungsgericht nur Maßnahmen
anerkannt, die dazu dienen, die Ernsthaftigkeit des Bestrebens der Partei, sich an der politischen
Willensbildung zu beteiligen,11 zu gewährleisten und "den Missbrauch zu verhindern, dass sich kleine
Splittergruppen nur deshalb am Wahlkampf beteiligen, weil er vom Staat finanziert wird."12
Insbesondere dürfen Mindestquoren für die Beteiligung von Parteien an der Staatsfinanzierung nicht
mit dem Hinweis gerechtfertigt werden, "Wahlen sollten funktionsfähige Parlamente schaffen."13
Diesem Ziel dienen bereits die bestehenden 5-Prozent-Sperrklauseln bei Wahlen. Würde man es bei
der Parteienfinanzierung abermals heranziehen, ergäbe sich eine unzulässige Kumulierung der
Wirkung solcher Sperrklauseln. Deshalb hat das Bundesverfassungsgericht das Quorum für die
Beteiligung an der früheren staatlichen Wahlkampfkostenerstattung auf maximal 0,5 Prozent der
gültigen Wählerstimmen bei Bundestags- oder Europawahlen herabgesetzt.14
2. Bedeutung und Gefährdung der Offenheit des politischen Prozesses und der Chancengleichheit der
Parteien
Die Rechtsprechung hat den strengen Gleichheitssatz für Regelungen, die den politischen
Wettbewerb betreffen, entwickelt, weil die Chancengleichheit hier besonders wichtig, zugleich aber
auch besonders gefährdet ist.15 Denn einerseits hängt von der Chancengleichheit die Legitimation
des ganzen Systems ab. "Dem Ergebnis der politischen Willensbildung, der Mehrheitsentscheidung,
sind alle unterworfen, auch diejenigen, die nicht die Parteien der Mehrheit unterstützt haben."16 Von
diesen aber kann die Akzeptierung der Mehrheitsentscheidungen nur bei strikter Einhaltung des
Grundsatzes der Chancengleichheit erwartet werden. Andererseits entscheiden bei Fragen der
Politikfinanzierung die Parteien in den Parlamenten "in eigener Sache".17 Das
Gesetzgebungsverfahren ermangelt "in diesem Bereich regelmäßig des korrigierenden Elements
gegenläufiger politischer Interessen".18 Die Parteien im Parlament sind deshalb versucht, die
Regelungen zu ihrem Vorteil und zum Nachteil ihrer Konkurrenten zu treffen. Diese Gefährdung zeigt
nichts deutlicher als die Geschichte der Mindestquoren selbst. Immer wieder musste das
10
BVerfGE 24, 300 (341) – 1968. Siehe auch BVerfGE 8, 51 (64 f.) – 1958.
11
BVerfGE 85, 264 (293) – 1992.
12
BVerfGE 20, 56 (118) - 1966. Siehe auch BVerfGE 24, 300 (341 f.).
13
BVerfGE 24, 300 (341 f.).
14
BVerfGE 24, 300 (342).
15
Siehe auch Hans Herbert von Arnim, Der strenge und der formale Gleichheitssatz, DÖV 1984, S. 85 (86).
16
BVerfGE 8, 51 (67). Hervorhebung auch im Original.
17
BVerfGE 40, 296 (327) – 1975.
18
BVerfGE 85, 264 (292).
Bundesverfassungsgericht einschreiten und die Offenheit und Chancengleichheit gegen politische
Kartellierungstendenzen verteidigen.
Ursprünglich hatten die Parteien im Parlament die staatliche Finanzierung allein für sich selbst
reserviert. In den Genuss der Staatsmittel kamen nur die Parteien, die im Parlament vertreten waren,
also die 5 Prozent-Hürde überwunden hatten. Das galt zunächst für die indirekte Staatsfinanzierung
durch Steuervergünstigungen auf Spenden und Beiträge, später auch für die Finanzierung durch
direkte Zuschüsse.
Die Beschränkung der Steuervergünstigung auf Parlamentsparteien erklärte das Gericht 1957 für
"evident" verfassungswidrig.19 Der "Ausschluss bestimmter Parteien von der Steuervergünstigung
(sei) nicht zu rechtfertigen."20 Seitdem steht die Steuervergünstigung den Mitgliedern und Spendern
aller politischen Parteien im Sinne des § 2 PartG offen und ist nicht mehr an ein von der Partei zu
erreichendes Quorum an Wählerstimmen gebunden.
Die Reservierung der direkten staatlichen Parteienfinanzierung für Parteien im Parlament erklärte das
Bundesverfassungsgericht 1966 für verfassungswidrig: Das Quorum für die Beteiligung an der
Staatsfinanzierung müsse "erheblich unterhalb der 5 v.H.-Grenze liegen."21 Daraufhin wurde das
Quorum im Parteiengesetz von 1967 bei 2,5 Prozent der Zweitstimmen festgelegt.
Diese Regelung erklärte das Bundesverfassungsgericht in einer weiteren Entscheidung von 1968
ebenfalls für verfassungswidrig: Das Quorum dürfe nicht höher als 0,5 Prozent der Zweitstimmen
betragen. Es dürfe allein dazu dienen, die Ernsthaftigkeit des Bestrebens der jeweiligen Partei, an der
politischen Willensbildung mitzuwirken, zu belegen und den Missbrauch zu verhindern, dass Parteien
sich nur deshalb an der Willensbildung beteiligen, um in den Genuss der Staatsfinanzierung zu
kommen.22
Die etablierten Parteien im Parlament haben die vom Bundesverfassungsgericht erzwungene
Einbeziehung der kleinen Parteien in die Staatsfinanzierung aber dadurch im Ergebnis in einigem
Umfang unterlaufen, dass sie nunmehr große Teile der zusätzlichen Zahlungen ihren
Schwesterorganisationen (Parlamentsfraktionen und parteinahe Stiftungen) oder ihren Amtsträgern
(etwa durch Ausstattung der Abgeordneten mit Mitarbeitern) zuleiten. Diese Zahlungen, von denen die
Parteien zumindest indirekt durchaus profitieren und von denen die kleinen außerparlamentarischen
Parteien natürlich ausgeschlossen sind, wurden seit den Sechzigerjahren in unglaublichem Umfang
erhöht.23
3. Inadäquanz des Mindestquorums nach dem Systemwechsel bei der staatlichen
Parteienfinanzierung
Das Gericht hat das Mindestquorum von 0,5 Prozent für die Wahlkampfkostenerstattung entwickelt.
Es ist schon sehr zweifelhaft, ob diese Konstruktion auch nach der völligen Umstellung des staatlichen
Parteienfinanzierungssystems auf die nunmehr gewährten staatlichen Zuschüsse auf Zuwendungen
überhaupt noch passt. Zuwendungen an Parteien werden seit dem Systemwechsel von 1994 doppelt
begünstigt, bei der Partei und beim zuwendenden Mitglied oder Spender:
Die Partei erhält darauf den besagten Zuschlag von bisher nominell 50 Prozent und nunmehr (nach
dem Achten Änderungsgesetz) von nominell 38 Prozent.
19
BVerfGE 6, 273 (279-281) – 1957.
20
BVerfGE 6, 273 (280 f.).
21
BVerfGE 20, 56 (118).
22
BVerfGE 24, 300 (340-343). Siehe auch schon oben unter 1.
23
Siehe unten 5.
Der Spender oder das Mitglied erhält für seine Zuwendung nach § 34g EStG eine Minderung seiner
Steuerschuld in Höhe von 50 Prozent der Zuwendung. Begünstigt sind Spenden und Beiträge bis zur
Höhe von jährlich bisher 3.000 Mark (6.000 Mark für zusammenveranlagte Verheiratete). Nach dem
Achten Änderungsgesetz sind es 1.650 Euro (3.300 Euro). Hinzu kommt die Steuervergünstigung
nach § 10b EStG. Danach können Mitglieder und Sympathisanten von Parteien ihre Beiträge und
Spenden, soweit sie höher als die genannten Beträge sind (also 1.650 bzw. 3.300 Euro übersteigen),
bis zur Höhe von 1.650 (3.000) Euro von der steuerlichen Bemessungsgrundlage abziehen.
Insgesamt sind also Zuwendungen an Parteien bis zur Höhe von 3.300 Euro bzw. 6.600 Euro beim
Mitglied oder Spender steuerlich begünstigt.
Das für unser Thema Entscheidende ist nun Folgendes:
Auch die steuerliche Begünstigung von Spenden und Beiträgen ist eine Form der staatlichen
Parteienfinanzierung. Indem der Gesetzgeber Zuwendungen an politische Parteien in der
dargestellten Weise für steuerlich abzugsfähig erklärt, verzichtet der Staat auf den Teil der
Einkommensteuer, der an sich auf die Beträge entfallen würde.24 Dieser Steuerverzicht versetzt
Spender und Mitglieder in die Lage, (bis zu den Obergrenzen für die Begünstigung) ihre
Zuwendungen praktisch zu verdoppeln, ohne dafür aus eigenen Mitteln einen höheren Betrag
aufwenden zu müssen.25 Das bedeutet, "dass der Staat mittelbar in Höhe des ihm verloren
gegangenen Steueranteils an der Finanzierung der politischen Parteien teilnimmt."26
Für diese Form der staatlichen Parteienfinanzierung gibt es keinerlei Mindest-Quoren. Alle Parteien
sind begünstigt. Sie alle haben an der steuerlichen Begünstigung von Beiträgen und Spenden teil und
dürfen entsprechende Spendenquittungen ausstellen. Sie müssen nur überhaupt Parteien im Sinne
des § 2 PartG sein, also "eine ausreichende Gewähr für die Ernsthaftigkeit" ihres Willens bieten, im
Bund oder einem Land "auf die politische Willensbildung Einfluss (zu) nehmen und an der Vertretung
des Volkes im Deutschen Bundestag oder einem Landtag mit(zu)wirken." Partei im Sinne dieser
Vorschrift kann eine Organisation selbst dann sein, wenn sie sich nur an einer Landtagswahl beteiligt
und dort nur wenige Stimmen erhalten hat. Sie kann – ausweislich § 2 Abs. 2 PartG – sogar fast sechs
Jahre lang nicht an Parlamentswahlen teilnehmen und verliert dennoch ihren Parteistatus nicht, so
dass Mitglieder und Spender also weiterhin die volle Steuervergünstigung auf ihre Beiträge und
Spenden erhalten.
Auf die direkten staatlichen Zuschüsse auf Mitgliedsbeiträge und Spenden passt denn auch die
überkommene Rechtfertigung des Mindestquorums nicht mehr. Das Quorum soll verhindern, "dass
sich kleine Splittergruppen nur deshalb am Wahlkampf beteiligen, weil er vom Staat finanziert wird."27
Nach der Umstellung des Systems mag diese Argumentation noch für den Wähleranteil der
staatlichen Teilfinanzierung zutreffen, dessen Verfassungsmäßigkeit hier nicht bestritten wird. Für den
Zuwendungsanteil, um den es in diesem Verfahren geht, macht das Wählerstimmenquorum (und die
das Quorum tragende Argumentation) dagegen keinen Sinn mehr: Einer Partei vorzuhalten, dass sie
nur deshalb Spenden und Beiträge einwerbe, um an die Staatszuschüsse zu kommen, wäre abwegig.
Denn die von ihr erhaltenen Spenden und Beiträge werden ja gerade auch deshalb steuerlich
gefördert, weil sie als Ausdruck der Verwurzelung der Parteien in der Bevölkerung angesehen werden.
Und das gilt, wie dargelegt, auch für sehr kleine Parteien. Deshalb ist die steuerliche Begünstigung
von Spenden und Beiträgen nicht an irgendein Mindestquorum gebunden. In ihren Genuss kommen
Parteien auch dann, wenn sie nicht die Quoren für die direkte Staatsfinanzierung erreichen. Dass die
Parteien auf die Zuwendungen – zusätzlich zur Steuerbegünstigung der Mitglieder und Spender –
noch Staatszuschüsse erhalten, dient demselben Zweck: Zuwendungen als Ausdruck der
Verwurzelung der Parteien in der Bevölkerung zu prämieren.28 Dasselbe Verhalten, das der
24
BVerfGE 8, 51 (62).
25
BVerfGE 8, 51 (66).
26
BVerfGE 8, 51 (62).
27
Siehe oben Fußn. 12.
28
BVerfGE 85, 264 (292 ff.); Bundespräsidialamt (Hg.), Empfehlungen der Kommission unabhängiger Sachverständiger zur
Parteienfinanzierung, 1994, 56 f.
Gesetzgeber gezielt steuerlich prämiert, nämlich das Einwerben von Spenden bei Sympathisanten
und von Beiträgen bei Mitgliedern, kann aber nicht gleichzeitig ein missbräuchliches Verhalten sein,
wenn es um die staatliche Bezuschussung der Partei geht, zumal diese ja genau dasselbe Ziel
verfolgt.
Hinsichtlich der staatlichen Zuschüsse auf Spenden und Beiträge macht die überkommene
Rechtfertigung eines Mindestquorums und damit auch das Mindestquorum selbst also keinen Sinn
mehr. Es liegt deshalb nahe, für Zuschüsse auf Spenden und Beiträge überhaupt kein Quorum
festzulegen und dieses allein auf die Zuschüsse für Wählerstimmen zu beschränken.
4. Anerkennung der ödp als Partei
Es lässt sich gegenüber der ödp auch nicht einwenden, sie sei keine Partei im Sinne des § 2 PartG.
Die Prüfung der Parteieigenschaft erfolgt zweispurig. Für die Teilnahme an Wahlen liegt die Prüfung
jeweils in der Hand von Wahlausschüssen, zum Beispiel für Bundestagswahlen beim
Bundeswahlausschuss (§ 18 BWahlG). So hat zum Beispiel für die Bundestagswahl vom 22.
September 2002 der Bundeswahlausschuss in seiner Sitzung am 12. Juli 2002 festgestellt, dass 31
Vereinigungen für die Wahl des 15. Deutschen Bundestags als "Parteien" anzuerkennen seien.29
Dazu gehört natürlich auch die ödp. Dreiundzwanzig der zugelassenen 31 Parteien sind nicht im
Bundestag oder in einem Landtag vertreten und müssen deshalb für ihre Wahlvorschläge
Unterstützungsunterschriften von Wahlberechtigten beibringen: 200 Unterschriften von
Wahlberechtigten des jeweiligen Wahlkreises für jeden Kreiswahlvorschlag und 1 v.T. der
Wahlberechtigten des jeweiligen Landes, jedoch höchstens 2.000, für jeden Landeslistenvorschlag.
Auch dies ist der ödp in den acht größten Bundesländern und in 40 Wahlkreisen gelungen.
Die Prüfung der Parteieigenschaft von Vereinigungen als Voraussetzung für die Bejahung der
Steuerbegünstigung von Beiträgen und Spenden liegt in der Hand der Finanzbehörden. Diese haben
zum Beispiel für das Jahr 2001 über 90 politische Organisationen als Parteien anerkannt (Anlage 4).
Dazu gehört selbstverständlich auch die ödp. Auch sie ist berechtigt, Spendenquittungen im Sinn der
§§ 10b, 34g EStG auszustellen, und dies seit ihrer Gründung.
5. Politische "Ernsthaftigkeit" der ödp
Es lässt sich gegenüber der ödp auch nicht einwenden, bei Anerkennung von Vereinigungen als
Parteien würden die Voraussetzungen des Parteibegriffs nicht sorgfältig geprüft, so dass es
insbesondere zur steuerlichen Spendenbegünstigung zugelassene Parteien gebe, die es mit der
Beteiligung an der politischen Willensbildung in Wahrheit gar nicht ernst meinten. Dieser Einwand
scheint deshalb nahezuliegen, weil die Diskrepanz zwischen den steuerlich anerkannten Parteien und
den Parteien, die direkt staatliche Mittel erhalten, ins Auge sticht: Während für das Jahr 2001 über 90
politische Organisationen als Parteien im Sinne der Steuerbegünstigung anerkannt waren (Anlage 5),
kamen im selben Jahr lediglich 17 Parteien in den Genuss der staatlichen Teilfinanzierung (Anlage 1).
Könnte diese Diskrepanz aber nicht vielleicht umgekehrt daran liegen, dass schon die bisherigen
Kriterien für die Teilnahme an der direkten staatlichen Finanzierung zu streng sind und sich
verfassungsrechtlich nicht rechtfertigen lassen? Und weiter: Könnten die zu strengen
Voraussetzungen vielleicht sogar darin ihre Erklärung finden, dass der Ausschluss kleiner Parteien
von den staatlichen Direktzahlungen – auf Grund des feststehenden Gesamtvolumens – unmittelbar
den anderen Parteien zugute kommt (und nicht dem Fiskus) und die Parlamentsparteien die
Regelungen in eigener Sache (und deshalb zu ihren Gunsten) getroffen haben?
Sollte es sich dennoch – und entgegen den vorstehenden Überlegungen – erweisen, dass die Prüfung
der steuerlichen Anerkennung von Parteien zu lax erfolgt, müsste dem dann in der Tat durch
schärfere Kontrollen bei der Anerkennung als steuerbegünstigte Partei abgeholfen werden und nicht
durch eine weitere Verschärfung der Kriterien für die staatliche Teilfinanzierung. Hinsichtlich der ödp
würde jedenfalls auch eine strenge Kontrolle bei Anerkennung von Vereinigungen als Parteien
ergeben, dass sie zweifellos alle Voraussetzungen des Parteibegriffs des § 2 PartG in vollem Umfang
erfüllt und deshalb berechtigt ist, die Steuervergünstigung und die direkte Staatsfinanzierung in
29
Siehe Pressemitteilung des Bundeswahlleiters vom 12.7.2002, in der die zugelassenen Parteien namentlich aufgeführt sind
(Anlage 3).
Anspruch zu nehmen. Der Parteibegriff des Parteiengesetzes verlangt die Ernsthaftigkeit der
Beteiligung an der politischen Willensbildung des Volkes. Diese Ernsthaftigkeit kann bei der ödp nicht
zweifelhaft sein.
Die ödp verfügt selbstverständlich über eine Satzung, in der alle politische Parteien konstituierende
Merkmale niedergelegt sind (Anlage 5). Die ödp wirbt für ein umfassendes bundespolitisches
Programm, das in der jüngsten (am 13./14. April 2002 in Halberstadt beschlossenen) Fassung beiliegt
(Anlage 6).
Die ödp hat seit ihrem Bestehen regelmäßig die nach dem Parteiengesetz für Parteien vorgesehenen
und vom Präsidenten des Bundestags veröffentlichten jährlichen Rechenschaftsberichte vorgelegt und
auf ihrem Parteitag erörtert. Das ist deshalb hervorzuheben, weil viele der als steuerbegünstigt
anerkannte Parteien diese gesetzlichen Pflichten nicht erfüllen.30
Die ödp erzielte in Bayern bei den letzten drei Landtagswahlen jeweils weit über 1 Prozent der
Stimmen: 1990 1,7%, 1994 2,2% und 1998 1,8%.31
Diese Ergebnisse müssen im Licht der Verhältnisse beurteilt werden, die in der Bundesrepublik
Deutschland bestehen und die es kleineren Parteien besonders schwer machen, Wahlerfolge zu
erzielen. Hier fallen vor allem die indirekten Auswirkungen der 5 Prozent-Sperrklausel ins Gewicht:
Kleinere Parteien erhalten – nach zuverlässigen Erfahrungssätzen der Wahlforschung32 – tendenziell
weniger Stimmen als sie erhielten, wenn es keine Sperrklausel gäbe. Viele Wähler, die an sich bereit
wären, eine bestimmte kleine Partei zu wählen, lassen sich davon nämlich schließlich doch abhalten,
weil sie befürchten, die bevorzugte Partei werde die 5 Prozent-Hürde nicht überspringen mit der
Folge, dass die für die kleine Partei abgegebenen Stimmen verfallen. Die im Parlament vertretenen
Parteien pflegen diesen Effekt im Wahlkampf auch groß herauszustreichen, um die Wähler gezielt
davon abzuhalten, ihre kleineren Konkurrenten zu wählen. Auf Grund dieser massiven zusätzlichen
indirekten Beeinträchtigung der Chancengleichheit kleiner Parteien ist die Unterstützung, die eine
Partei in der Wählerschaft genießt, in Wahrheit oft erheblich größer, als die von ihr bei der Wahl
erreichten Stimmenprozente vorgeben.
Hinzu kommt, dass die in den Parlamenten vertretenen Parteien sehr viel bessere Möglichkeiten
besitzen, öffentlich auf sich aufmerksam zu machen. Sie entsenden beispielsweise auch Personen in
die Aufsichtsgremien der öffentlich-rechtlichen Rundfunk- und Fernsehanstalten und haben Einfluss
auf die Besetzung der wichtigen Positionen in den Anstalten. Das schlägt sich der Tendenz nach auch
in deren Berichterstattung nieder, in der die etablierten Parteien und ihre Repräsentanten völlig
dominieren.
Darüber hinaus macht die staatliche Parteienfinanzierung im engeren Sinne tatsächlich nur einen Teil
der staatlichen Parteienfinanzierung im weiteren Sinne aus.33 Zur staatlichen Parteienfinanzierung im
weiteren Sinne gehören auch die staatliche Finanzierung der Parlamentsfraktionen, der parteinahen
Stiftungen, der Abgeordneten und ihrer Mitarbeiter. Die etablierten Parteien im Parlament haben die
entsprechenden Zahlungen in eigener Sache in großem Umfang angehoben, nachdem das
Bundesverfassungsgericht der staatlichen Parteienfinanzierung im engeren Sinne in der zweiten
Hälfte der 60er Jahre Grenzen gezogen und zudem die Einbeziehung der kleinen Parteien erzwungen
30
Siehe Bundestagsdrucksache 13/4303.
31
Ein umfassender Überblick über die Ergebnisse der ödp bei Landtags-, Bundestags- und Europawahlen findet sich in:
Raphael Mankau (Hg.), 20 Jahre ödp. Anfänge, Gegenwart und Perspektiven ökologisch-demokratischer Politik, 1999, 172 f.
32
Dieter Roth, Empirische Wahlforschung, 1998, 29 f.
33
Siehe auch Rudolf Streinz, in: von Mangoldt/Klein/Starck, 4. Aufl., 2000, Art. 21 Abs. 1, Rdnr 193: "Die Parteienfinanzierung
ist nur ein Teil der 'Politikfinanzierung'. (...) Mit der Parteinähe ist die Gefahr verbunden, dass diese Formen der Politikfinanzierung als
Nebenwege einer versteckten Parteienfinanzierung missbraucht werden. Dies verletzt auch die Chancengleichheit, da solche Formen
der Politikfinanzierung nicht allen Parteien offen stehen. (...) Der Ansatz, durch sparsame Finanzzuweisungen und strikte Zweckbindung
die Fraktionen von der Umleitung von Mitteln auf die Parteien abzuhalten, ist zwar prinzipiell richtig. Angesichts des rapiden Wachstums
der Fraktionszuschüsse und anderen Leistungen ist aber zumindest zweifelhaft, ob diese Gebote beachtet werden."
hatte.34 Die staatlichen Zuwendungen an die Parteistiftungen wurden seitdem fast verfünfzigfacht, die
an die Bundestagsfraktionen mehr als verdreißigfacht, so dass allein die Fraktionen und
Parteistiftungen heute sehr viel mehr Geld aus der Staatskasse erhalten, als die eigentlichen
Parteien.35 Alle diese Leistungen an Schwesterorganisationen der Parteien stärken die Rolle und
das Gewicht der jeweiligen Mutterparteien, erhöhen ihre Präsenz in der Öffentlichkeit und vollenden
damit ihre Dominanz. Von allen diesen Formen der staatlichen Parteienfinanzierung im weiteren Sinne
sind kleinere Parteien wie die ödp, die nicht im Parlament vertreten sind, ausgeschlossen.
In diesem – von den etablierten Parteien weitgehend in ihrem Sinne gestalteten – öffentlichen Umfeld
der Politik als kleiner Außenseiter überhaupt "ein Bein auf den Boden" zu bekommen und sich Gehör
zu verschaffen, ist besonders schwierig. Die tatsächlich erlangten Wählerstimmen können die
Ernsthaftigkeit des Bestrebens einer kleinen Partei, an der politischen Willensbildung gestaltend
mitzuwirken, deshalb nur unzureichend zum Ausdruck bringen. Über ein Prozent der Stimmen in
einem großen Land wie Bayern zu erreichen, ist für eine Außenseiterpartei besonders schwierig und
belegt in jedem Fall ihre Ernsthaftigkeit.
Die Ernsthaftigkeit der ödp, an der politischen Willensbildung teilzunehmen, wird darüber hinaus auch
durch folgende Fakten belegt:
Die ödp beteiligte sich seit ihrer Gründung auf Bundesebene im Jahre 1982 an insgesamt
47 Parlamentswahlen (Bundestags-, Europa- und Landtagswahlen), davon allein im Jahr 2002 und
den beiden vorangehenden Jahren bisher an acht Parlamentswahlen.
Die ödp war bei Kommunalwahlen in zahlreichen Gemeinden, Städten und Landkreisen erfolgreich.
Insgesamt haben derzeit 328 Männer und Frauen der ödp Mandate in Volksvertretungen von
Kommunen inne, und zwar36
in Bayern: 244 (einschließlich 12 Mandaten für ödpler auf anderen Listen)
in Baden-Württemberg
:47 (einschließlich 19 Mandaten für ödpler auf anderen Listen)
in Rheinland-Pfalz
:21 (einschließlich 2 ödpler über Mehrheitswahl)
in Nordrhein-Westfalen :12
in Hessen
:1
in Thüringen: 1
in Brandenburg
:2
___________________________
Summe
328
Die ödp hat sich an mehreren Volksgesetzgebungsverfahren mit Erfolg beteiligt. Das Volksbegehren
und den Volksentscheid vom 8. Februar 1998, durch den schließlich der Bayerische Senat
abgeschafft wurde, hatte ursprünglich die ödp allein initiiert; später schlossen sich andere Parteien
und Gruppierungen an.37[37] Auch bei wichtigen Verfassungsprozessen war die ödp erfolgreich. So
34
Siehe schon oben 2.
35
Hans Herbert von Arnim, Das System, 2001, 112 ff. mit weiteren Nachweisen.
36
Umfassende Angaben über die Erfolge der ödp bei Kommunalwahlen in Mankau, a.a.O., 180 ff.
37
Urban Mangold, Wie die ödp die CSU das Fürchten lehrte, in: Mankau, a.a.0., 185 ff.; Gabriela Schimmer, Schlanker Staat
ohne Senat. Erfolg am Beispiel Memmingen, in: Mankau, a.a.O., 191 ff.
beruhte die Beseitigung der verfassungswidrigen Fünfprozenthürde bei Kommunalwahlen in
Nordrhein-Westfalen durch das Urteil des dortigen Verfassungsgerichtshofs vom 6. Juni 1999 auf
einer von der ödp angestrengten Klage und den von ihr in Auftrag gegebenen Gutachten.38
Die ödp hat laut ihrem Rechenschaftsbericht für das Jahr 2000, also dem zuletzt eingereichten,
6.533 Mitglieder (Stand: 31.12.2000).
Die ödp verfügt über Geschäftsstellen in Würzburg (Bundesgeschäftsstelle), Passau (Landesverband
Bayern), Mainz (Landesverband Rheinland-Pfalz), Stuttgart (Landesverband Baden-Württemberg) und
Bottrop (Landesverband Nordrhein-Westfalen). Sie hat in vielen Gliederungen hauptberufliche
Angestellte, so zum Beispiel im Bundesverband (3 volle Stellen, 2 halbe Stellen, 1 drei viertel Stelle),
in Bayern (2 volle Stellen, 1 drei viertel Stelle), in Baden-Württemberg (1 drei viertel Stelle) und in
Nordrhein-Westfalen (1 halbe Stelle).
Nach alldem ist die politische Ernsthaftigkeit der ödp unseres Erachtens völlig unbestreitbar.
6. Weizsäcker-Kommission – Verdoppelung des Quorums durch den Gesetzgeber
Selbst wenn man – entgegen den vorstehenden Ausführungen – nicht überhaupt auf ein Quorum für
staatliche Zuschüsse auf Zuwendungen verzichtet, sollte das Quorum in jedem Fall niedrig sein. Das
Bundesverfassungsgericht hat die von ihm für die Beteiligung kleiner Parteien an der
Wahlkampfkostenerstattung entwickelten Grundsätze in seiner Entscheidung von 1992 auch auf das
neue System für entsprechend anwendbar erklärt.39 Was damit genau gemeint ist, bleibt allerdings
unklar.40 Die herrschende Auffassung interpretiert das Bundesverfassungsgericht dahin, ein gewisses
Quorum sei auch für staatliche Zuschüsse auf Zuwendungen zulässig. Die alte Konstruktion wird
unbesehen auch auf das neue System angewendet, ohne von Grund auf zu überprüfen, ob sie auf
den Zuwendungszuschuss noch passt. Irgendwie scheint die Problematik einer solchen
Vorgehensweise aber doch insofern durchzuschlagen, als jedenfalls nur für ein geringes Quorum
eingetreten wird. So hat die von Weizsäcker-Kommission vorgeschlagen, das Quorum für eine
Beteiligung am Zuwendungsanteil auf 0,5 Prozent der Wählerstimmen auch bei einer Landtagswahl
festzulegen. Die Kommission empfahl,
"das Mindestquorum für die Beteiligung der Parteien an der staatlichen Finanzierung sollte (...) das
Gleiche bleiben wie bisher, nämlich 0,5 v.H. der abgegebenen Wählerstimmen. Danach werden die
Stimmen, die eine Partei bei einer Parlamentswahl erlangt hat, staatlich bezuschusst, wenn bei der
betreffenden Wahl für die Partei mindestens 0,5 v.H. der Wählerstimmen abgegeben worden sind. Ein
anderes Quorum für die staatliche Bezuschussung der Beiträge und Spenden festzulegen (hielt) die
Kommission nicht für sinnvoll. An der Bezuschussung der Beiträge und Spenden sollten diejenigen
Parteien teilnehmen können, die bei einer Parlamentswahl mindestens 0,5 v.H. der Stimmen erlangt
haben; die Beteiligung an der Bezuschussung gilt für die Dauer der Wahlperiode des zu wählenden
Parlaments."41
Der Gesetzgeber hat sich allerdings nicht an die Empfehlungen der Kommission gehalten, sondern
das Quorum für Landtagswahlen auf 1 Prozent festgesetzt und damit verdoppelt, ohne dass diese
Verschärfung im Gesetzentwurf irgendwie begründet worden wäre. Dort heißt es lediglich:
Im Gesetzentwurf "wird differenziert zwischen dem erforderlichen Quorum bei der Teilnahme an
Europa- und Bundestagswahlen einerseits (0,5 vom Hundert) und an den einzelnen Landtagswahlen
andererseits (1,0 vom Hundert) (...) Zahlungen für Wählerstimmen werden dabei nur für diejenige
38
Claudius Moseler, in: Mankau, a.a.O., 163 (174).
39
BVerfGE 85, 264 (294).
40
Das Gericht geht zwar auch unter dem neuen System von einem "zu fordernden Mindeststimmenanteil" aus (BVerfGE 85,
264 [294]). Es wird jedoch nicht deutlich, ob das geforderte Quorum sich nur auf den Wählerstimmenanteil der Staatsfinanzierung oder
auch auf den Zuwendungsanteil bezieht.
41
59.
Bundespräsidialamt (Hg.), Empfehlungen der Kommission unabhängiger Sachverständiger zur Parteienfinanzierung, 1994,
Wahl geleistet, bei der die Partei das jeweils erforderliche Quorum erreicht hat. Zahlungen für Beiträge
und Spenden werden bereits geleistet, wenn bei einer Wahl das erforderliche Quorum von der Partei
erreicht wurde."42
7. Drei-Länder-Quorum
Nach den vorstehenden Ausführungen ist eigentlich überhaupt kein Quorum für die staatliche
Bezuschussung von Spenden und Beiträgen zulässig; schon gar nicht darf das Quorum bei einer
Landtagswahl höher als 0,5 Prozent oder allenfalls 1 Prozent sein.
Nur für den Fall, dass das Gericht den vorstehenden Ausführungen nicht folgen sollte, soll im
Folgenden – lediglich eventualiter und als Hilfsargumentation – aufgezeigt werden, dass jedenfalls die
Verschärfung des Quorums, die das Achte Gesetz zur Änderung des Parteiengesetzes gebracht hat
(Ersetzung des bisherigen "Ein-Land-Quorum" durch ein "Drei-Länder-Quorum" bzw. Heraufsetzung
des Ein-Land-Quorums von 1 Prozent auf 5 Prozent), verfassungswidrig ist.
Die Erweiterung des bisherigen "Ein-Land-Quorums" auf ein "Drei-Länder-Quorum" verstößt gegen
die Grundsätze der Offenheit des politischen Prozesses und der Chancengleichheit der politischen
Parteien. Sie erschwert das Aufkommen neuer Parteien, die sich häufig zunächst in einem Land
bilden, in unangemessener Weise. Sie benachteiligt darüber hinaus auch Regionalparteien, die ihren
Schwerpunkt in dem einen oder anderen Land haben.
Angesichts der strengen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Offenheit des
politischen Wettbewerbs und der Chancengleichheit der politischen Parteien hatten auch die von der
von Wedel-Kommission beauftragten Gutachter Martin Morlok und Hans Hugo Klein übereinstimmend
vor jeder Verschärfung der Voraussetzungen für die Teilhabe von Parteien an der staatlichen
Parteienfinanzierung gewarnt. So schreibt Martin Morlok:43
"Einer Erhöhung des Teilhabequorums für die staatliche Parteienfinanzierung von 0,5 % der für Listen
abgegeben gültigen Stimmen bei der letzten Europa- oder Bundestagswahl oder 1,0 % bei einer
Landtagswahl (§ 18 IV PartG) sind enge verfassungsrechtliche Grenzen gesetzt, ist durch eine solche
Voraussetzung doch stets rechtfertigungsbedürftig in die Chancengleichheit der Parteien eingegriffen
(...). Teilweise wird beklagt, dass der partielle Wahlerfolg in einem sehr kleinen Land wie Bremen
ausreiche, um bundesweit in den Genuss des Zuwendungsanteils nach § 18 III S. 1 Nr. 3 PartG zu
kommen. Sieht man den Sinn des Mindestquorums aber in der Indikation der Ernsthaftigkeit einer
Partei, ihren Aufgaben nach § 1 II PartG nachzukommen, ist eine Verschärfung des Kriteriums nicht
angezeigt. Den beiden verfassungsrechtlich legitimen Zwecken, nämlich dem Gebot fiskalischer
Sparsamkeit und der Zielsicherung staatlicher Parteienfinanzierung, ist nach der bestehenden
Rechtslage hinreichend Genüge getan. Insbesondere ist zu besorgen, dass die Realisierung von
Forderungen nach einem bundesweit zu berechnenden Stimmenanteil (etwa 0,1 % aller
Wahlberechtigten) sich zulasten von Regionalparteien und zunächst lokal begrenzt erfolgreichen
Neugründungen auswirkt. Die finanziellen Effekte solcher Restriktionen sind zudem für den Staat
relativ gering, sodass hier im Zweifel für die Chancengleichheit zu optieren ist."
Und Hans Hugo Klein ergänzt:44
"Von Änderungen im Bereich des § 18 Abs. 4 PartG rate ich ab. Zwar kann eine Partei auch bei
einem – in absoluten Zahlen gemessen – äußerst niedrigen Stimmenanteil in einem einzigen Land
erreichen, dass sie an der staatlichen Teilfinanzierung teilnimmt. Soweit es sich dabei um den
Wähleranteil handelt, muss die Partei die im Gesetz genannten Voraussetzungen allerdings bei der
jeweiligen (!) Wahl erfüllen. Eine Partei, die im Land X. 1,0 v.H. der Stimmen erzielt, bei allen anderen
Landtagswahlen darunter bleibt und bei Europa- und Bundestagswahlen nicht auf 0,5 v.H. der
Stimmen kommt, erhält staatliche Mittel gem. § 18 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 PartG also nur in diesem einen
42
Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP vom 28.9.1993, Bundestagsdrucksache 12/5774.
43
Martin Morlok, Gutachten, Bundestagsdrucksache 14/6711, S. 64 f.
44
Hans Hugo Klein, Gutachten/Ergänzung, Bundestagsdrucksache 14/6711, S. 45.
Land. Allerdings kommt sie allgemein in den Genuss des sog. Zuwendungsanteils
(§ 18 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 PartG). Daran etwas ändern zu wollen, wäre aus verfassungsrechtlicher
Sicht mit erheblichen Risiken belastet (vgl. BVerfGE 24, 300)."
Auch die von Wedel-Kommission selbst warnt vor jeder Verschärfung der Voraussetzungen: 45
"Einer Erhöhung des Teilhabequorums für die staatliche Parteienfinanzierung sind (...) enge
verfassungsrechtliche Grenzen gesetzt, weil es um einen Eingriff in die Chancengleichheit der
Parteien geht. Die Offenheit des politischen Wettbewerbs, also auch das Ziel, 'Newcomern' keine allzu
hohen Hürden für eine Teilhabe an der staatlichen Parteienfinanzierung aufzubauen, ist ein hohes
Gut. Die Kommission empfiehlt daher, beim Quorum der Wählerstimmen keine Änderung
vorzunehmen."
Dass kein triftiger Grund besteht, den zentral wichtigen Grundsatz der Offenheit des politischen
Prozesses und der Chancengleichheit der politischen Parteien zurücktreten zu lassen, wird auch
dadurch bestätigt, dass durch derartige Regelungen keinerlei Einsparungen zugunsten des Fiskus zu
erwarten wären. Denn die Summen, die kleine Parteien nach der Neuregelung einbüßen würden,
kämen nicht etwa dem Fiskus zugute, sondern den anderen an der Staatsfinanzierung beteiligten
Parteien. Dies ergibt sich daraus, dass die politischen Parteien aufgrund der absoluten Obergrenze
immer eine fixe Summe von bisher 245 Millionen Mark, in Zukunft 156 Millionen Euro jährlich,
erhalten. Zahlungen, die den kleineren Parteien aufgrund der Neuregelung vorenthalten würden,
kämen damit den anderen Parteien (und eben nicht dem Fiskus) zugute.
8. Fünfprozent-Quorum
Für Regionalparteien ist es auch kein ausreichender Trost, dass sie beim Erreichen von 5 Prozent der
Wählerstimmen in einem Land doch wieder an den staatlichen Zuschüssen für Zuwendungen beteiligt
werden. Diese Klausel war ursprünglich noch nicht vorgesehen und wurde in den Gesetzentwurf erst
eingefügt, nachdem der Sachverständige Ernst Gottfried Mahrenholz in einer Anhörung des
Innenausschusses des Bundestags meinte, man dürfe die "Schill-Partei" nach ihrem Erfolg in
Hamburg, wo sie bei der letzten Bürgerschaftswahl auf Anhieb fast 20 Prozent der Wählerstimmen
erreicht hatte, nicht von den staatlichen Zuschüssen auf Zuwendungen ausschließen.46 Die "SchillPartei" aber ist ein Sonderfall. Es ist nicht zulässig, die Regelung allein auf diesen Sonderfall
zuzuschneiden. Man kann keinesfalls davon ausgehen, dass es neuen Parteien regelmäßig möglich
sei, im ersten Anlauf mehr als 5 Prozent der Wählerstimmen in einem Land und damit die
Voraussetzung für die staatliche Bezuschussung der Zuwendungen zu erreichen. Eine Hürde von
5 Prozent für einen wesentlichen Teil der Staatsfinanzierung der Parteien würde zu einer immensen
Verschärfung der ohnehin schon bestehenden 5-Prozent-Sperrklausel bei Landtagswahlen führen.
Eine solche Verdoppelung der Hürden hat das Bundesverfassungsgericht mit Recht ausdrücklich
ausgeschlossen.47 Das Fünf-Prozent-Quorum für die Beteiligung von Parteien an den staatlichen
Zuschüssen auf Zuwendungen ist also genauso verfassungswidrig wie das Drei-Länder-Quorum.
9. Verstoß gegen das Übermaßverbot
Die vorstehenden Überlegungen haben ergeben, dass eine Erweiterung des Ein-Land-Quorums auf
ein Drei-Länder-Quorum und die Erweiterung des Ein-Prozent-Quorums auf 5 Prozent unter keinen
Umständen in Betracht kommt.
Nur für den Fall, dass das Gericht die vorstehenden Überlegungen nicht teilen sollte, sei hilfsweise
und zusätzlich noch darauf hingewiesen, dass die Neuregelung in jedem Fall übermäßig ist, weil die
vom Gesetzgeber selbst erklärten Ziele entweder illegitim sind oder sich auch auf andere Weise
45
Bericht der Kommission unabhängiger Sachverständiger zu Fragen der Parteienfinanzierung, Bundestagsdrucksache
14/6710, S. 30.
46
Ernst Gottfried Mahrenholz, Protokoll der öffentlichen Anhörung des Innenausschusses des Deutschen Bundestags am
28.2.2002, S. 31.
47
Oben 1. Siehe auch Streinz, a.a.O., Rdnr. 192.
erreichen lassen, die weniger in die Rechte von Parteien wie der ödp eingreift, wenn es nicht ohnehin
an der Proportionalität fehlt.
Einschränkungen des Gleichheitssatzes müssen, wenn sie von so erheblicher Intensität sind wie die
hier in Frage stehende Regelung, den Grundsätzen des Übermaßverbots genügen.48 Das heißt, der
vom Gesetzgeber verfolgte Zweck muss legitim sein und die dafür eingesetzten Mittel müssen den
Grundsätzen der Eignung, der Erforderlichkeit und der Proportionalität entsprechen. Die
vorgenommenen Einschränkungen müssen also geeignet sein, den damit erstrebten legitimen Zweck
zu erreichen, es darf kein milderes Mittel geben, und die Einschränkung darf – im Verhältnis zum
verfolgten Ziel – nicht außerhalb der Proportionalität liegen.
Die mit der Neuregelung verfolgten Zwecke werden in der Begründung des Gesetzentwurfs im
einzelnen dargelegt:
Mit der Neuregelung "wird die staatliche Teilfinanzierung unter bundespolitischen Aspekten
vereinheitlicht. Nach der gegenwärtigen Rechtslage ist das Quorum von 1 % bei Landtagswahlen bei
einer Umrechnung in tatsächliche Wählerstimmen zwischen kleinen und großen Ländern sehr
ungleichgewichtig. Die bisherige Regelung führte insbesondere dazu, dass sich kleine, radikale
Parteien z.B. bewusst die Stadtstaaten für Wahlen ausgesucht haben, um mit möglichst geringem
Aufwand an der staatlichen Teilfinanzierung teilnehmen zu können. Da die Parteien unabhängig von
dem Land, in dem sie sich an der Wahl beteiligen, den gleichen Vorteil bezüglich der bundesweiten
Abrechnung des Zuwendungsanteils haben, ist eine dauerhafte Privilegierung dieses Verhaltens
untragbar." Das "'Drei-Länder-Quorum' wird sicherstellen, dass ein Partei, die an der vollen staatlichen
Teilfinanzierung unter Berücksichtigung ihrer bundesweit erlangten Zuwendungen teilnimmt, auch eine
wahrnehmbare bundespolitische Bedeutung hat."49
Und an anderer Stelle der Gesetzesbegründung heißt es, die Neuregelung zielte darauf ab, "den
Missbrauch der staatlichen Teilfinanzierung durch Parteien zu verhindern, die sich in der
Vergangenheit ausschließlich deshalb in Bundesländern mit wenigen Wählern zur Wahl gestellt
haben, um bundesweit den Zuwendungsanteil abrechnen zu können."50
Der Gesetzgeber verfolgt – ausweislich der Begründung – also drei Zwecke: Einmal wendet er sich
gegen "radikale Parteien", zum zweiten will er es – ganz allgemein – kleinen Parteien verwehren, sich
– in Ausnutzung der großen Unterschiede zwischen großen und kleinen Bundesländern – auf ein sehr
kleines Bundesland zu konzentrieren, um sich dort die relativ wenigen Wählerstimmen, die für das
Erreichen der Ein-Prozent-Marke erforderlich sind, zu sichern und so am Zuwendungsanteil
teilzuhaben. Schließlich will der Gesetzgeber nur Parteien mit bundespolitischer Bedeutung am
Zuwendungsanteil beteiligen, wobei sich der zweite und dritte gesetzgeberische Zweck teilweise
überlagern.
Soweit das Gesetz sich gegen "kleine, radikale Parteien" richtet, kann diese Argumentation die
Beeinträchtigung der Chancengleichheit der Parteien von vornherein nicht rechtfertigen. Ganz
abgesehen davon, dass die ödp zweifellos keine radikale Partei ist, wird mit der Zurückdrängung
radikaler Parteien ein verfassungsrechtlich unzulässiger Zweck verfolgt. Das Parteienprivileg des
Art. 21 Abs. 2 GG verbietet es dem Gesetzgeber, die politische Ausrichtung einer Partei als Argument
für einen Eingriff in die Chancengleichheit zu benutzen. Die Entscheidung, ob eine Partei "radikal" im
Sinne des Grundgesetzes ist und deshalb ihre Rechte verliert, ist von Grundgesetzes wegen dem
Bundesverfassungsgericht vorbehalten. Andernfalls wäre die Gefahr zu groß, dass die etablierten
Parteien sich (mittels ihrer Herrschaft über die Gesetzgebung) unliebsamer Konkurrenten mit der
Behauptung entledigen, sie seien "radikal".
48
BVerfGE 88, 87 (96); 91, 389 (401); 95, 267 (316 f.). Zum Ganzen Bodo Pieroth/Bernhard Schlink, Grundrechte. Staatsrecht
II, 17. Aufl., 2001, Rdnrn. 438 ff. Siehe auch schon Hans Herbert von Arnim, Besteuerung und Eigentum, Veröffentlichungen der
Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer, 1981, Bd. 39, 286 (324 ff.).
49
Gesetzentwurf, Bundestagsdrucksache 14/8778, S. 20.
50
Gesetzentwurf S. 15.
Im Übrigen würde auch die Neuregelung gewisse, als problematisch angesehene Parteien gerade
nicht von staatlichen Zuschüssen auf Zuwendungen ausschließen: Parteien wie die DVU , die NPD
oder Die Republikaner erhielten, selbst wenn die neue Regelung Bestand hätte, voraussichtlich
weiterhin staatliche Zuschüsse auf Zuwendungen, weil sie auch bei den letzten Wahlen mindestens in
drei Bundesländern die 1 Prozent-Klausel übersprungen haben. So hatte die DVU nicht nur in
Brandenburg, Bremen, Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen die 1 Prozent-Marke überschritten,
sondern auch bei der letzten Bundestagswahl 1,22 Prozent der Stimmen bekommen. Die NPD hatte in
Mecklenburg-Vorpommern, in Sachsen und Thüringen die 1 Prozent-Marke überschritten. Die
Republikaner hatten in neun Ländern die 1 Prozent-Marke überschritten und auch bei der
Bundestags- und der Europawahl jeweils über 1 Prozent der Stimmen bekommen.
Soweit die Neuregelung – zweitens – darauf abhebt, dass 1 Prozent der Wählerstimmen "in kleinen
und großen Ländern" zu "sehr ungleichgewichtigen" tatsächlichen Zahlen von Wählerstimmen führt
und der Gesetzgeber verhindern will, dass Parteien sich "bewusst die Stadtstaaten für Wahlen"
aussuchen, "um mit möglichst geringem Aufwand an der staatlichen Teilfinanzierung teilnehmen zu
können", geht es ihm erklärtermaßen darum, "den Missbrauch der staatlichen Teilfinanzierung durch
Parteien zu verhindern, die sich in der Vergangenheit ausschließlich deshalb in Bundesländern mit
wenigen Wählern zur Wahl gestellt haben, um bundesweit den Zuwendungsanteil abrechnen zu
können."
Unabhängig davon, ob es sich in solchen Fällen wirklich um einen "Missbrauch" handelt, werden von
dem Drei-Länder-Quorum jedenfalls auch Parteien wie die ödp getroffen, die in einem großen Land
wie Bayern mehr als 1 Prozent der gültigen Stimmen zu erzielen pflegen, obwohl die Regelung nach
der Intention des Gesetzgebers gar nicht auf sie zielt. Denn 1 Prozent der Wählerstimmen in Bayern
als dem zweitgrößten deutschen Bundesland macht erheblich mehr aus als 1 Prozent der
Wählerstimmen in den sechs kleinsten deutschen Bundesländern zusammen. So ergab 1 Prozent der
gültigen Wählerstimmen zum Beispiel bei den letzten Landtagswahlen in Bayern 61 743 Stimmen. Ein
Prozent der gültigen Wählerstimmen bei den letzten Landtagswahlen in den sechs Ländern Bremen,
Saarland, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Thüringen zusammen ergaben
dagegen nur 50 195 Stimmen (siehe Tabelle 2, Anlage 7), also 11 548 Stimmen weniger.
Es fehlt deshalb offensichtlich an der Erforderlichkeit des Drei-Länder-Quorum zur Erreichung des
erklärten gesetzgeberischen Zwecks. Die Regelung belastet Parteien wie die ödp massiv, ohne dass
dies zur Erreichung des Gesetzeszwecks nötig wäre. Es gibt auch durchaus Wege, wie der
Gesetzgeber sein Ziel – unter Wahrung der Erforderlichkeit – hätte erreichen können: Um zu
verhindern, dass eine Partei sich durch Beteiligung an Wahlen in einem sehr kleinen Bundesland das
erforderliche 1 Prozent der Wählerstimmen verschafft, hätte der Gesetzgeber beispielsweise je nach
Größe der Länder differenzieren können: Er hätte das Drei-Länder-Quorum auf die sechs kleinsten
Länder beschränken können. In mittleren Ländern wie zum Beispiel Schleswig-Holstein, SachsenAnhalt und Berlin51 hätte er ein Zwei-Länder-Quorum einführen können. Und in den größeren
Ländern wie z.B. Nordrhein-Westfalen, Bayern, Baden-Württemberg, Niedersachsen, Hessen,
Sachsen und Rheinland-Pfalz hätte er es bei dem bisherigen Ein-Land-Quorum belassen können. In
jedem einzelnen der zuletzt genannten größeren Länder ist die Zahl der gültigen Wählerstimmen
regelmäßig höher als in den drei kleinsten Ländern (Bremen, Saarland und Hamburg) zusammen
(siehe wiederum Tabelle 2). Auf diese Weise wäre also der Gesetzeszweck, eine Partei nicht schon
nach dem Erreichen relativ weniger Stimmen in einem kleinen Land an den staatlichen Zuschüssen
auf sämtliche Zuwendungen zu beteiligen, voll erreicht worden, ohne dass man auch solche Parteien,
die man erklärtermaßen gar nicht erfassen will, wie die ödp, in gravierender Weise belastet. Da es
also sehr viel mildere Wege gibt, das Ziel des Gesetzgebers zu erreichen, wird durch die angegriffene
Regelung der Grundsatz der Erforderlichkeit verletzt.
Soweit es dem Gesetzgeber – schließlich drittens – darum geht, nur Parteien mit einer
"wahrnehmbaren bundespolitischen Bedeutung" an der Bezuschussung der Zuwendungen teilhaben
zu lassen, fehlt es ebenfalls an der Erforderlichkeit: Wenn die Erlangung von 1 Prozent der
Wählerstimmen in drei kleinen Ländern in den Augen des Gesetzgebers für die Erlangung
wahrnehmbarer bundespolitischer Bedeutung ausreicht, müsste dies erst recht für die Erzielung von
1 Prozent der Wählerstimmen in einem großen Land gelten, wo dafür sehr viel mehr Stimmen
51
Das Zwei-Länder-Quorum würde dann gelten, wenn ein Prozent der Wählerstimmen in zwei mittleren Ländern oder in einem
mittleren und einem kleinen Land erreicht werden.
erforderlich sind. Die Einbeziehung der großen Länder in das Drei-Länder-Quorum war also auch zur
Erreichung dieses Ziels nicht erforderlich.
Darüber hinaus ist auch der Grundsatz der Proportionalität verletzt: Die Verhinderung des angeblichen
Missbrauchs bestimmter Parteien wiegt sehr viel geringer als die massive Benachteiligung der an
diesem angeblichen Missbrauch gar nicht beteiligten ödp. Die kleinen Parteien erhalten insgesamt nur
einen sehr geringen Anteil an der gesamten staatlichen Parteienfinanzierung (siehe Schaubild 1,
Anlage 8). Dies geschieht auch nicht auf Kosten der Steuerzahler, sondern – wegen der Begrenzung
der Gesamtmittel durch die absolute Obergrenze – auf Kosten der anderen Parteien, insbesondere
der im Parlament vertretenen. Diese haben aber – auf Grund der größenabhängigen Gestaltung der
Parteienfinanzierung (im engeren Sinne) und auch auf Grund der nur ihnen zugute kommenden
Parteienfinanzierung im weiteren Sinne52 – ohnehin gewaltigen Vorteile im politischen Wettbewerb,
so dass die relativ geringe Einschränkung durch die den kleinen Parteien zukommenden Anteile an
der staatlichen Parteienfinanzierung im engeren Sinne kaum ins Gewicht fällt. Darüber hinaus ist es
fraglich, ob es überhaupt Sinn macht, die Anteile an der Staatsfinanzierung, die kleinen Parteien auf
Grund des Nichterreichens des Quorums vorenthalten werden, auf die anderen Parteien zu verteilen.
In jedem Fall ist es für die Legitimität des ganzen demokratischen Systems von grundlegender
Bedeutung, dass die Grundsätze der Offenheit und Chancengleichheit des politischen Wettbewerbs
gesichert werden. Deshalb müssen diese Grundsätze strikt eingehalten werden.53 Deshalb hat ihre
Sicherung aber auch Vorrang vor dem – in seiner Berechtigung ohnehin zweifelhaften – Interesse der
größeren Parteien, den Anteil kleiner Parteien auch noch zugeschlagen zu bekommen.
Gezeichnet: von Arnim
52
Siehe oben III 4.
53
Siehe oben III 2.
Herunterladen