Hörtherapie nach Erkenntnissen von Dr. A. Tomatis

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Dirk Beckedorf
Warum Mozart? – Hörtherapie nach Erkenntnissen von
Dr. A. Tomatis (vollständig überarbeitete Version)
1. Hören und Kommunizieren
Warum Mozart? - Diese Frage beantworte ich Ihnen erst ganz
zum Schluss.
Sie sehen auf Abb. 1 eine Auswahl von Ausdrucksmöglichkeiten in der Kommunikation ohne Anspruch auf
Vollständigkeit.
Stimme
Sprache
Körperhaltung
Gestik
Motorik
Gesang
Schrift
Gehör
Dr. A. Tomatis:
"Die gesamte Kommunikation
hat ihre Grundlage
in der Hörfähigkeit."
Abb. 1 Ausdrucksmöglichkeiten der Kommunikation
Das Ohr ist ein Spiegel von all dem. Jeder von uns hat eine
individuelle Hörkurve mit einem charakteristischen Muster.
Diese ist ein Abbild unserer psychischen und physischen
1
Merkmale. Über eine Veränderung der Hörgewohnheiten
können auch die genannten Ausdrucksformen beeinflusst
werden.
Der französische Hals-Nasen-Ohren-Arzt Professor Dr. Alfred
A. Tomatis hat die Wechselwirkungen zwischen Hören, Psyche,
Körper und Stimme in über dreißigjähriger wissenschaftlicher
Arbeit erforscht. Er hat einen neuen Wissenschaftszweig
begründet, die Audio - Psycho - Phonologie (A.P.P.). Aufbauend auf seinen Forschungsergebnissen entwickelte Tomatis
eine Hörtherapie zur Behandlung von Kommunikationsschwierigkeiten und Hörwahrnehmungsstörungen.
Im folgenden Artikel wird nun beschrieben, wie Dr. Tomatis mit
seinen Forschungen ursprünglich begann und wie die
Hörtherapie heute aussieht.
2. Die Anfänge der Hörtherapie: Behandlung von Sängern
Alfred Tomatis startete mit seinen Studien und Experimente
Ende der 40er Jahre. Sein Vater war ein damals bekannter
Opernsänger und über ihn kamen Opernsänger mit
Stimmproblemen zu ihm. Tomatis führte Frequenzanalysen der
Stimmen und des Gehörs durch und fand eine überraschende
Übereinstimmung: Schlecht gehörte Frequenzen waren auch in
der Stimme vermindert enthalten. In einem zweiten Schritt ließ
Tomatis seine Patienten in ein Mikrofon singen, verstärkte die
schlecht gehörten Frequenzen und ließ die Sänger ihre so
korrigierte Stimme hören. Sofort glich sich der Frequenzverlust
in der Stimme aus. Es hatte sich also gar nicht um eigentliche
Stimmprobleme, sondern um Hörprobleme gehandelt. Nach
Durchführung zahlreicher Versuche formulierte Tomatis diese
Ergebnisse in einem 1. und 2. Gesetz (Abb. 2):
2
1. Gesetz
Die Stimme enthält als Obertöne nur
die Frequenzen, die das Ohr hört.
2. Gesetz
Gibt man dem Ohr die Möglichkeit
nicht mehr oder nicht gut
wahrgenommene Frequenzen
wieder korrekt zu hören,
so treten diese augenblicklich
und unbewusst wieder in
der Stimme in Erscheinung.
Abb. 2 Die ersten zwei Tomatis-Gesetze
Sobald die Sänger ohne Kopfhörer und Korrektur sangen,
traten die stimmlichen Schwierigkeiten allerdings wieder auf.
Dies veranlasste Tomatis, tiefer in die Materie einzudringen.
Er suchte nach Kriterien für ein "ideales Gehör". Musiker und
insbesondere Sänger sind für ihn der Prototyp eines Menschen,
dessen Lebenssinn sich in Kommunikation erfüllt. Deren
Hörsinn müsste also demnach in hervorragender Weise
arbeiten. Nach zahlreichen Versuchen konnte Tomatis
definieren, worin sich die Hörkurve eines Sängers und Musikers
von der eines Nichtmusikers oder Menschen mit
Stimmproblemen unterscheidet: (Abb. 3)
3
-20
TOMATIS - hearing level (THL) in dB
-10
0
10
LL
20
30
40
KL
50
60
70
80
90
125
250
500
750
1000 1500 2000 3000 4000 6000 8000
Frequenzen in Hz
Abb. 3 Die ideale Hörkurve
Hohe Frequenzen werden besser gehört als tiefe. Die Hörkurve
zeigt einen kontinuierlich ansteigenden Verlauf von 125 bis
2000 / 4000 Hz, bildet dort ein Plateau, um dann leicht
abzufallen.
Weiterhin ist in dieser "idealen" Hörkurve das Hören über die
Luftleitung (LL, weitergeleitete Vibrationen des Trommelfells)
gleich oder besser als das Hören über die Knochenleitung (KL).
(Anmerkung: Die Audiometereichung unterscheidet sich von
der Eichung der bei Hals-Nasen-Ohrenarzt eingesetzten
Geräte. Vor allem die Sensibilität der Knochenleitung ist im
Sinne eines "Tomatis-Hearing-Level" um 5-10 dB herabgesetzt).
Der Unterschied zwischen dem Gehör eines Basses und dem
eines Tenors liegt lediglich in der Steilheit des Kurvenanstiegs.
Die Kurve eines Bassisten ist viel flacher als die eines Tenors.
Der Grundklang unserer Stimme wird durch die Wahrnehmung
der tiefen Frequenzen von 125 - 750 Hz bestimmt, Ein Bass
hört diese viel besser als ein Tenor. Genauso verhält es sich
4
mit dem Gehör eines Kontrabassisten (flacher Kurvenanstieg)
oder dem eines Violinisten oder Flötisten (steiler
Kurvenanstieg).
Nachdem Tomatis nun wusste, wie das Gehör eines Sängers
optimalerweise auszusehen hat, konstruierte er einen Apparat
zur Konditionierung des Ohres, einen Prototyp des jetzt in den
Hörtherapien verwandten "elektronischen Ohres" (Abb. 4).
Kanal A/B
Filter
Verstärker
Kippschalter
Vorverstärker
Mikrofon /
Tonband
Kopfhörer
Feedback - Schleife
Abb. 4 Signalfluss im Elektronischen Ohr (vereinfacht)
Die Stimme trifft über einen Mikrofoneingang auf eine
Kippschaltung. Bei niedriger Stimmlautstärke wird diese über
Kanal A geleitet und über Filter verändert. Ab einem
Schwellenwert gehobener Lautstärke erfolgt die Leitung über
Kanal B, wo wieder ein Filter sitzt.
5
Kanal A
 "schlechte Kurve"
 Entspannung
für die Mittelohrmuskeln
sowie Aktivierung der
Haarzellen im
Tieftonbereich
 passiv
 Hören / "mentales
Abschalten"
dB
+ 50
0
- 50
125
1000
8000 Hz
Abb. 5 Die Wirkung von Kanal A
Im Kanal A (Abb. 5) wird über den Filter eine Verstärkung der
tiefen Frequenzen und Abschwächung der hohen bewirkt, also
eine dem "idealen" Gehör genau entgegengesetzte Hörkurve.
Dies erfolgt wie gesagt bei leiser Stimme und entspricht einem
passiven Entspannungszustand. Er kann auch als Hören
bezeichnet werden.
Kanal B
dB
+ 50
 "ideale Kurve"
 Anspannung
für die Mittelohrmuskeln
sowie Aktivierung der
Haarzellen im
Hochtonbereich
 aktiv
 Hinhören / Horchen
0
- 50
125
1000
8000 Hz
Abb. 6 Die Wirkung von Kanal B
Im Kanal B (Abb. 6) wird nun im Prinzip die entgegengesetzte
"ideale Hörkurve" eingestellt. So hört man sich, wenn man mit
der Stimme einen Schwellenwert von 40 dB überschreitet.
Diesen aktiven Anspannungszustand bezeichnet Tomatis als
6
Horchen. Während der Sing- und Sprechübungen findet ein
dauernder Wechsel dieser polaren Hörweisen statt, je nach
Dynamik des Vortragenden manchmal mehrmals pro Minute.
Dieser Wechsel bringt die entscheidende Veränderung: Es wird
dadurch das alte, festgefügte Muster aufgehoben als
Voraussetzung, dass ein neues entstehen kann. (Dieses
individuelle Hörmuster wird in einem speziellen Hörtest, dem
"psychologischen Hörtest", vor Beginn jeder Therapie
diagnostiziert).
Es kommt durch diese Behandlung zu einer anhaltenden
Veränderung des Gehörs. Tomatis formulierte dies in einem
3. Gesetz (siehe Abb. 7):
3. Gesetz
Die über einen
bestimmten Zeitraum
wiederholte akustische Stimulation
führt zur endgültigen Veränderung
des Gehörs und folglich der Phonation.
Abb. 7 Das dritte Tomatis-Gesetz
3. Pränatales Hören und psychische Entwicklung
Tomatis war im Verlauf seiner Studien bald darauf gestoßen,
dass eine enge Beziehung zwischen der psychischen
Verfassung seiner Klienten und der Hörkurve besteht. Er stellte
die Hypothese auf, dass Grundzüge der individuell
unterschiedlichen Hörmuster in den Anfängen des Hörens in
pränataler Zeit gelegt werden.
7
Drei wesentliche Fragen stellen sich:
 Ab wann kann man pränatal hören?
 Was und wie hört der Embryo/Fetus?
 Was passiert, wenn
pränatale Töne hören?
Kinder
und
Erwachsene
wieder
3.1. Die Entstehung des Gehörs
Nach dem Eisprung (siehe Abb. 8 Entstehung des Gehörs) wird
die Eizelle vom Eileiter aufgefangen. Während ihrer Wanderung
durch den Eileiter kann die Befruchtung erfolgen, was wir als
den 1. Tag im menschlichen Leben bezeichnen. Während der
weiteren Wanderung durch den Eileiter ereignen sich die ersten
Zellteilungen und der noch undifferenzierte Zellhaufen nistet
sich am 8. - 10. Tag in der Gebärmutterschleimhaut ein. Am
21. Tag differenzieren sich die ersten Nervenzellen und in der
Gegend des späteren Ohres wird eine Einstülpung sichtbar, die
Ohrplakode.
Es findet eine rasende Zellteilung und Differenzierung statt. In
der 4. Woche ist der Embryo 6 mm lang und das Innenohr wird
angelegt, zunächst sein vestibulärer Teil. In der 7. - 8. Woche
ist die Differenzierung der Hauptteile des Innenohres abgeschlossen. (Der Embryo ist wenige Zentimeter groß).
Mit 4 1/2 Monaten wird der Hörnerv als erster von allen Nerven
mit einer Myelinscheide versehen und ist damit elektrisch
leitfähig.
Das Gehör ist damit als
funktionsfähig.
erstes Sinnessystem
voll
Das Innenohr hat jetzt seine endgültige Größe wie bei uns
Erwachsenen erreicht!
8
Im 5. Monat vollzieht sich die Myelinisierung des Hörnervs.
Das Gehör ist als erster Sinn voll funktionsfähig.
Abb. 8 Die Entstehung des Ohres
9
Ab 4 1/2 Monaten kann man also hören, dieses entspricht der
allgemein anerkannten wissenschaftlichen Auffassung. Tomatis
hingegen ist aufgrund seiner Versuche der Überzeugung, dass
auditive Signale bereits im ersten Monat in Form eines
"zellulären Gedächtnisses" wahrgenommen und gespeichert
werden.
Zum weiteren Verständnis sind einige Grundkenntnisse über
Anatomie und Physiologie des Gehörs wichtig, die
anschließend folgen.
3.1.1. Anatomie des Ohres
Äußeres
Ohr
Mittelohr
Innenohr
Nervus
vestibulocochle
aris
Trommelfell
vestibuläres
Labyrinth
Gehörgang
Cochlea
(Hörschnecke)
Abb. 9 peripheres Gehör - Übersicht
Sie sehen in Abb. 9 eine schematische Darstellung des
peripheren Gehörs mit seinen drei Hauptteilen - äußeres Ohr,
Mittelohr, Innenohr.
10
Den Übergang zwischen äußerem Ohr und Mittelohr bildet eine
Membran, das Trommelfell. Mit dem Trommelfell verbunden ist
ein Knochen, der Hammer, dem Amboss und Steigbügel folgen.
Der Steigbügel drückt an eine zweite Membran, das ovale
Fenster, mit der das Innenohr beginnt. Äußeres Ohr und
Mittelohr sind luftgefüllt, während sich im Innenohr eine
Flüssigkeit, Lymphe, befindet.
Am Hammer- und Steigbügelknochen sitzt jeweils ein kleiner
Muskel, der durch seinen Tonus die Spannung von Trommelfell
und Innenohrmembran reguliert. Durch die Wechselschaltung
Kanal A/B im Elektronischen Ohr wird nach Tomatis eine
"Mikromassage" auf beide Muskeln ausgeübt. Über eine
Verbindung zum Nasen-Rachenraum, der Eustach‘schen
Röhre, ist ein Druckausgleich im Mittelohr möglich.
Das Innenohr besteht aus 2 Hauptteilen, dem Gleichgewichtsorgan (Vestibulum) und der Hörschnecke (Cochlea).
Das Vestibulum hat die Form dreier senkrecht aufeinander
stehender Bogengänge. Es bildet die Grundlage und
Entsprechung unserer dreidimensionalen Raumwahrnehmung.
In Erweiterungen der Bogengänge, den Ampullen, und dem
gemeinsamen Vorhof, dem Utrikulus, sitzen eingebettet in eine
gallertartige Masse die Sinneszellen, die Haarzellen. In der
Cochlea sitzt auf der Basilarmembran eine Vielzahl ähnlicher
Haarzellen. Vestibulum und Cochlea werden von der gleichen
Flüssigkeit, der Endo- und Perilymphe, erfüllt.
11
3.1.2. Die Schallübertragung
musculus stapedius
Innenohr / Cochlea
Mittelohr / Gehörknöchelchenkette...
Trommelfell, äußerer Gehörgang...
musculus tensor tympani
Abb. 10 Die Schallübertragung
Der Schall, eine Druckschwankung der Luft, dringt durch den
äußeren Gehörgang und versetzt das Trommelfell in
Schwingung. (Abb. 10) Diese Vibrationen werden über die
Gehörknöchelchen und direkt über den Knochen zum Innenohr
weitergeleitet und versetzen über die Membran am ovalen
Fenster die Basilarmembran in Schwingung. Je nach
Wellenlänge des Tones erreicht diese Wanderwelle an einer
bestimmten Stelle in der Cochlea ihr Maximum und an dieser
Stelle werden die Haarzellen erregt.
12
3.1.3. Schallempfindung und energetische Stimulation des
Gehirns
In Abb. 11 finden Sie eine Darstellung der Anordnung der
Haarzellen im Innenohr. An der Stelle der maximalen
Auslenkung der Wanderwelle wird die Tektorialmembran auf
die Haarzellen gedrückt. Die damit verbundene Abscherung der
Haare (Stereozilien) am oberen Pol der Zellen löst eine
elektrische Entladung der Haarzelle aus. Dieser Prozess kann
in einer rasenden Geschwindigkeit und Häufigkeit ablaufen.
Über den Hörnerven werden so bis zu 340 000 Impulse pro
Sekunde zum Gehirn geleitet.
Abb. 11 Haarzellen im Innenohr
Im Innenohr unterscheidet man zwischen äußeren und inneren
Haarzellen (Abb. 11). Prinzipiell kann den äußeren Haarzellen
eine zentral, vom Gehirn gesteuerte Aktivierungs- bzw.
Dämpfungsfunktion für die inneren Haarzellen zugeordnet
werden. (Hellbrück, 1993, S.10) Der Neurophysiologe H. P.
Zenner bezeichnet dies als "Schallvorverarbeitung durch die
13
äußeren Haarzellen". (Zenner, 1994, S.44) Anders ausgedrückt
entscheidet das Gehirn, welche Frequenzen betont gehört bzw.
welche ausgeblendet werden sollen. Dieser Prozess läuft
unbewusst ab. Bei einer guten Funktion dieses "Filtersystems
des Innenohres" können wir uns gut auf wechselnde
Klangquellen einstellen und uns auch in Räumen mit vielen
Hintergrundgeräuschen zurechtfinden.
Neuere Forschungsergebnisse weisen daraufhin, dass die
Hörtherapie mit der Wechselschaltung des "elektronischen
Ohres" und den weiter unten beschriebenen Filterfunktionen
(Abschnitt 4: Hörtherapie) gerade an dieser Stelle aktiv wird
und die "Filterfunktion der Innenohres" durch Aktivierung der
äußeren Haarzellen fördert.
Die Haarzellen sind auf der Cochlea über den gesamten
Verlauf der Basilarmembran gleichmäßig verteilt. (Wright et al.)
Die Elastizität und damit die Schwingungsfähigkeit der
Basilarmembran ist jedoch nahe dem Mittelohr, wo die hohen
Frequenzen die Haarzellen aktivieren, viel höher als am Ende
der Basilarmembran, wo tiefe Töne die elektrische Entladung
der Haarzellen hervorrufen.
Daher können Töne gleicher Lautstärke im HochfrequenzBereich eine viel stärkere elektrische Aktivität in der Cochlea
(und damit auch des Gehirns) hervorrufen als im Tieftonbereich.
So können wir neurophysiologisch eine wichtige empirische
Erkenntnis von Tomatis erklären: Das Hören hoher Frequenzen
erzeugt eine geistige Wachheit und besondere Form der
Aufmerksamkeit.
Tomatis
nennt
das
immer
wieder
"energetische Aufladung" des Gehirns.
Was hört ein Kind im Mutterleib?
Tomatis hat sich diese Frage Mitte der fünfziger Jahre gestellt.
In einer experimentellen Anordnung simulierte er das pränatale,
14
aquarine Milieu in einem Behälter, installierte Sender und
Empfänger und zeichnete die Ergebnisse auf. Er fand eine
Veränderung der Klänge durch die Schallübertragung in
salzhaltiger Flüssigkeit. Davon ausgehend, unternahm Tomatis
in den folgenden 15 Jahren zahllose Versuche mit der Wirkung
gefilterter Musik und gefilterter menschlicher Stimme auf
Menschen. Die prinzipiellen Ergebnisse sind in Abb. 12
aufgeführt.
16 - 1.000 Hz
einschläfernd auf die Psyche,
stimulierend auf die Motorik
1.000 - 3.000 Hz
stimulierend auf die Sprache
3.000 - 8.000 Hz
belebend, vitalisierend
oberhalb von 8.000 Hz
Einnehmen von ...
Embryonalstellungen,
regressive Tendenzen,
Anhänglichkeit,
Träume,
Bilder mit uterinen Symbolen,
starke psychische Auswirkungen,
veränderte Bewusstseinszustände
Abb. 12 Auswirkungen gefilterte Töne
Das Hören von Musik im Bereich 16 – 1.000 Hz wirkt dämpfend
auf die Psyche, hingegen stimulierend auf die Motorik. Vor
allem rhythmisch betonte tiefe Frequenzen lösen eine Art
Mitreaktion des vestibulären Systems aus, z.B. Bewegungsimpulse oder auch ein intensiviertes Körperempfinden. Tomatis
stellte die Hypothese auf, dass tieffrequente Töne direkt die
Haarzellen im Vestibulum erregen und auf diesem Weg über
die neuronale Verschaltung im Stammhirn das motorische
System stimulieren. Neuere Forschungen legen nahe, dass
dieser Effekt eher durch neuronale Rückkopplungen im Gehirn
hervorgerufen wird. (Jourdain)
15
Besonders aufregende Auswirkungen
Filtrierung über 8.000 Hz:
zeigten
sich
bei
Es kommt in der Zeit des Hörens zu regressiven Tendenzen.
Erwachsene nehmen mitunter Embryonalstellung ein. Kinder
werden anhänglich, besonders an die Mutter, benutzen
Spielzeug aus früheren Jahren, wollen sich wieder füttern
lassen etc. Bei den meisten fällt eine deutliche Steigerung des
Kommunikations-Bedürfnisses verbal und nonverbal auf. Es
heißt häufig: "Der Mund steht nicht mehr still."
Viele Kinder und auch Erwachsene, die vorher nie oder nur
selten gemalt haben, fangen während des Hörens an zu malen.
In den Bildern zeigen sich vermehrt uterine Symbole. Häufig
werden wässrige Farben verwandt, es tauchen Unterwassermotive auf, Höhlen etc. Eine vergleichbare Reaktion findet sich
in den Träumen.
Es kommt zu starken psychischen Veränderungen und
Fortschritten in der Sprachentwicklung. Bei der Therapie von
Adoptivkindern tauchten Sprachbrocken auf, die sie nur in der
vorgeburtlichen Zeit wahrgenommen haben konnten. Eine
spanisch sprechende Venezuelanerin kam mit einem
12-jährigen Adoptivsohn zu Tomatis. Der Junge sprach kaum.
Unter den gefilterten Tönen fing er an zu plappern, äußerte
aber portugiesische Sprachbrocken, mit denen er bisher nie in
Berührung gekommen war. Tomatis hatte nur eine Erklärung:
Die unbekannte leibliche Mutter musste Brasilianerin sein (denn
dort wird portugiesisch gesprochen). (Tomatis 1992)
3.3 Was hört der Fetus?
Während der Embryonalentwicklung entstehen zuerst in der
8. - 10. Schwangerschaftswoche die Haarzellen, die die
höchsten Frequenzen aufnehmen. (Tomatis 1992)
16
Tomatis stellt die Hypothese auf, dass diese ersten Haarzellen
die Schwingungen der sie umgebenden Flüssigkeit (Brownsche
Molekularbewegung) wahrnehmen und sie in einem "zellulären
Gedächtnis" speichern. Diese individuelle Schwingung als eine
der ersten Wahrnehmungen überhaupt nennt Tomatis den
"Klang des Lebens". Alle späteren Klänge und Geräusche sind
Modulationen dieses Klanges. In diesem Zusammenhang ist
interessant, dass inzwischen nachgewiesen wurde, dass das
Innenohr selbst Töne produziert, die spontanen otoakustischen
Emissionen.
Welche Klangwelt erlebt der Fetus nun, nachdem Mittelohr und
äußeres Ohr fertiggestellt sind und die Myelinisierung vom
Hörnerven abgeschlossen ist?
Die immer wieder auftretenden eindrucksvollen Reaktionen von
Kindern und Erwachsenen unter der Hörtherapie mit
Hochfilterung ab 8.000 Hz führte Tomatis zu der Aussage: Der
Fetus nimmt die hohen Frequenzen deutlich intensiver
wahr als die mittleren und tiefen. (Und unter der
Hörtherapie setzt eine Wiedererinnerung an diese
pränatalen Klangerfahrungen ein.)
An experimentellen Belegen für diese Aussage gibt es
Untersuchungen in einer Klinik in Vesoul unter Leitung von Dr.
Klopfenstein. (Tomatis, 1994) Danach reagiert das Kind im
Mutterleib auf Frequenzen unterhalb von 1.500 Hz praktisch
nicht mehr. Andere Untersucher kommen zu entgegengesetzten Ergebnissen: Wenn man mit einem Mikrofon in der
Fruchtwasserhöhle die Schallwellen aufzeichnet, fallen die
Frequenzen ab 1.000 Hz stark ab, werden demnach also nur
noch gering übertragen! (Ptok und Ptok, 1996) Übereinstimmend mit der Auffassung von Tomatis kommt die
Mutterstimme deutlich lauter durch als andere Stimmen oder
Körpergeräusche.
17
Tomatis erklärt die Hörwahrnehmung im Mutterleib (und damit
die Diskrepanz seiner Forschungsergebnisse zu anderen
Untersuchungen) folgendermaßen:
Die Bauchdecke ist ein starker Schalldämmer: Erst Geräusche
von mehr als ungefähr 60 dB werden direkt übertragen.
Äußeres Ohr und Mittelohr sind voller Fruchtwasser. Dadurch
werden die Trommelfellschwingungen erheblich vermindert und
der Fetus hört die Geräusche vor allem über die
Knochenleitung, die Skelettvibrationen.
Die Resonanzeigenschaften des Skelettsystems wirken aber
wie ein Frequenzmodulator. Tiefe Frequenzen vor allem
unterhalb von 1.500 Hz werden gedämpft und hohe
Frequenzen besser weitergeleitet. Die Körpergeräusche wie
Herzschlag, Darmbewegungen (Blähungen), Blutstrom in der
Aorta und den kleineren Gefäßen, Atemfluss, Gallenblasenkontraktionen, die mit einem "Grundrauschen" von ca. 60 dB
eigentlich sehr laut sind und einen eher maschinenähnlichen
Charakter haben, sind überwiegend tieffrequent. Durch die
Filterwirkung des Knochens werden sie zu einem großen Teil
ausgeblendet. Deshalb unterscheidet sich die Klangwahrnehmung im Gehirn des Fetus so sehr von der Klangkulisse im
Bauchraum.
Die Stimme der Mutter ist Aufgrund der Dominanz der fetalen
Knochenleitung reich an höheren Frequenzen. Sie wird über die
Wirbelsäule in den Bauchraum und das Becken weitergeleitet
wird und durch die halbkugelige Form des weiblichen Beckens
in den hohen Frequenzen noch 2,5-fach verstärkt. Tomatis hat
hierzu bemerkt: "Das Becken einer Frau funktioniert wir ein
Kontrabass". Hinzu kommen die Außengeräusche (andere
Stimmen, der Vater, Musik etc.), die jedoch den Weg über das
Trommelfell der Mutter und ihre Knochenvibrationen nehmen
müssen und daher sehr viel leiser im Gehirn des Fetus
ankommen als die Mutterstimme. Insgesamt hat die mütterliche
Stimme also eine herausragende Stellung in der
18
vorgeburtlichen Klangwelt.
3.4. Die Bedeutung der Mutterstimme
Der Austausch von Kind und Mutter vollzieht sich über viele
Kanäle: So z.B. über die Bewegungen der Mutter, das Tasten
des Kindes, die Hormone, die über den mütterlichen
Blutkreislauf zum Kind fließen und eben auch die Mutterstimme.
Der in dem Klang und Rhythmus der Mutterstimme vermittelte
emotionale Gehalt teilt sich dem Kind mit. Die Stimme kann
inhaltlich nicht verstanden werden und doch enthält sie eine
Fülle von Botschaften. Das Kind reagiert und es entsteht ein
erstes Hör-Kommunikations- und Verhaltensmuster, auf dem
alle späteren aufbauen.
In dieser primären Zwei-Einheit von Fetus und Mutter entwickelt
der Fetus erste Rudimente eines "Ich‘s", einer späteren
Persönlichkeit. Die erste Grundlage für ein Urvertrauen oder
auch ein Urmisstrauen bildet sich. Es entwickelt sich im Kind
eine Bereitschaft, hören und auch kommunizieren zu wollen,
wenn es das, was es von der Mutter wahrnimmt und hört,
überwiegend als angenehm, wohltuend und sicherheitsgebend
empfindet.
Die Stimulation durch die Mutterstimme stellt zudem einen Reiz
zur Differenzierung und Myelinisierung des zentralen
Nervensystems dar. Sie fördert die Entwicklung der
Körpermotorik und Lautbildung.
Bei Frauen, deren soziales Umfeld ihnen nicht ermöglicht, zu
entspannen, bei denen eine depressive Stimmungslage
vorherrscht, wiederholte Abtreibungsgedanken auftauchen oder
starke partnerschaftliche Spannungen bestehen, kann das Kind
reagieren mit einem unbewussten Nicht-hören-wollen, Nichtkommunizieren-wollen, einem Sich-verschließen.
19
Wie kann ich mich auditiv verschließen?
In der späteren, postnatalen Zeit nach Auffassung von Tomatis
unter anderem durch den Tonus der beiden Mittelohrmuskeln.
Durch diesen wird bestimmt, in welchem Verhältnis ich hohe,
mittlere und tiefe Frequenzen höre und wie das Verhältnis von
Luft- und Knochenleitung zueinander ist. Je geringer ich beide
Muskeln anspanne, desto schlechter höre ich über die Luftleitung und desto mehr verschließe ich mich gegen die
Außenwelt. Der Spannungszustand der beiden Muskeln folgt
einem unbewussten Kommunikationsmuster, das seine
Wurzeln in der pränatalen Zeit hat.
Bereits im Mutterleib kann der Fetus sich verschließen, indem
er den Kontakt zum Knochen der Mutter vermeidet. In den
letzten Monaten der Schwangerschaft ist die Kommunikation
zwischen Mutter und Kind durch die Verankerung des
kindlichen Schädels im Becken besonders intensiv möglich. Bei
z.B. einer Steißlage fehlt dieser Kontakt.
Die Resonanz- und Leitungseigenschaften des Skelettsystems
sind besser, je aufrechter die Körperhaltung ist und je stärker
Gelenke und Bänder tonisiert sind. So kann es z.B. bei
bettlägerigen Frauen (vorzeitige Wehentätigkeit etc.) oder
depressiver Körperhaltung zu einer geringeren Stimulation des
ZNS kommen. Hier kann eine wesentliche Mitursache für
allgemeine, sprachliche und motorische Retardierungen,
Verhaltensstörungen und Wahrnehmungsstörungen liegen.
20
4. Gehör und Lateralität
Auf Abb. 13 sehen Sie den Verlauf der Hörbahn vom linken Ohr
bis zur Hörrinde.
Hörfeld
in der linken
Großhirnrinde
Hörfeld
in der rechten
Großhirnrinde
Von 5 Nervenfasern aus dem
Innenohr bleiben 2 auf der
gleichen Seite und kreuzen
3 auf die andere Seite.
linkes Ohr
Abb. 13 Der Verlauf der Hörbahn
Es wird deutlich, dass es sowohl gleichseitige wie auf die
Gegenseite kreuzende Verläufe der Nervenbahnen gibt. Von
fünf Nervenfasern aus dem Innenohr bleiben zwei auf der
gleichen und kreuzen drei auf die andere Seite. Die Zuordnung
von Tönen verschiedener Frequenzen auf die rechte und linke
Seite muss im Verlauf der frühkindlichen Entwicklung erlernt
werden. In einigen Hörtests findet man vor allem bei der
Knochenleitung eine fehlerhafte räumliche Zuordnung. So wird
z.B. ein auf den linken Mastoidknochen dargebotener Ton
rechts oder in der Mitte gehört oder es ist gar keine Lokalisation
möglich. Nach Tomatis ist dies auch eine Form von auditiver
Wahrnehmungsstörung. Insbesondere Verwechslungen in den
tiefen Frequenzen gehen einher mit Verunsicherungen in dem
Erfassen von Raum/Zeitstrukturen. Eine Beeinträchtigung der
21
Körpermotorik oder des Körperschemas oder der Erfassung
mathematischer Zusammenhänge kann die Folge sein.
In den ersten Lebensjahren entwickelt sich eine auditive
Lateralität. Vergleichbar den Augen, bei denen eines führend
wird, ein Auge zum "Zielauge" wird, wird auch ein Ohr zum
"Ziel-Ohr". Gleiches ereignet sich bei den Extremitäten, wo eine
Hand oder ein Fuß mehr oder weniger konstant in den
verschiedenen Anforderungen dominant benutzt wird. Fast alle
von Tomatis untersuchten professionellen Sänger und die
Mehrzahl der Musiker sind auditiv rechtsdominant.
linke
Gehirnhälfte
rechte
Gehirnhälfte
motorisches
Sprachzentrum
(Broca)
Wernickesches
Sprachzentrum
Das rechte Ohr ist schneller als das linke Ohr
Abb. 14 Auditive Dominanz
Das Sprachzentrum ist bei Rechtshändern fast immer und bei
Linkshändern in ca. 30 - 50% überwiegend in der linken
Gehirnhälfte lokalisiert. Informationen des rechten Ohres
erreichen bei diesen Menschen über die kreuzende Hörbahn
direkt und viel schneller das Sprachzentrum als über das linke
Ohr. Der Weg über linkes Ohr, rechte Hörrinde und Balken
verzögert die bewusste Wahrnehmung des Tons so lange, als
22
wäre man von der Schallquelle bis zu 120 m weiter entfernt.
Dies äußert sich bei "Linksohrigen" häufig in einem
langsameren und stockenderen Sprachfluss und einer
Schwierigkeit, den Gefühlen einen sprachlichen Ausdruck
verleihen zu können.
Für verschiedene Funktionen, z.B. Lesen, ist die Koordination
von Auge und Ohr erforderlich. Bei auditiver Links-Dominanz
und visueller Rechts-Dominanz kann der resultierende zeitliche
Unterschied in der Wahrnehmung zu Problemen führen. Bei der
Hörtherapie nach den Grundlagen von Dr. Tomatis führen wir in
den meisten Fällen im Verlauf der Therapie zunehmend eine
stärkere Beschallung des rechten Ohres durch. Wir wollen
dadurch eine auditive Rechtsdominanz erreichen. Einige
entwickeln nachfolgend auch eine visuelle und selten auch eine
körperliche Rechts-Dominanz.
5.
Die ANALYTISCHE HÖRTHERAPIE nach den
Grundlagen von Dr. Alfred A. Tomatis
Zu Beginn jeder Therapie wird mittels Anamnese und
speziellem Hörtest eine Diagnose gestellt.
Die Kinder und Erwachsenen hören dann in einer
Grunddynamisierung an fünfzehn aufeinanderfolgenden Tagen
täglich zwei Stunden elektronisch veränderte Musik. Es wird
ausschließlich Musik von W. A. Mozart und Gregorianischer
Gesang verwandt. Die Musik wird über Kopfhörer mit einem
zusätzlichen Vibrator für die Knochenleitung gehört. Die
Therapie wird individuell konzipiert nach den Ergebnissen im
Hörtest und nach den Symptomen des Patienten.
Häufig ist zu Beginn zunächst ein Ausgleich des vegetativen
Nervensystems und eine psychische Harmonisierung hilfreich.
Dies wird durch das Spielen von nichtgefilterter Mozartmusik
und Gregorianik über die Kippschaltung des Elektronischen
23
Ohres erreicht. Wir führen nach Vorstellung von Tomatis so
eine "Mikromassage" der Mittelohrmuskeln durch, um deren
festgefügtes, unbewusstes Anspannungsmuster zu lösen, und
stimulieren das "Filtersystem des Innenohres". (s. Abschnitt
3.1.3, S. 13)
Die Therapie verläuft dann prinzipiell in fünf Phasen. Es
werden
in
diesen
fünf
Phasen
die
wichtigen
Entwicklungsschritte der Hörwahrnehmung und damit auch der
psychischen Entwicklung nachvollzogen.
Phase 1 - die Rückführung in das vorgeburtliche Klangmilieu:
Die Musik von Mozart wird Stufe für Stufe gefiltert, bis nur noch
die Frequenzen oberhalb von 8.000 Hz vorhanden sind.
Phase 2 - die Wiederholung der pränatalen Hörzeit: Wenn die
leibliche
Mutter
noch
lebt,
wird
meistens
eine
Tonbandaufnahme der Mutterstimme eingesetzt. Sie liest dazu
dreißig Minuten einen ausgewählten Text vor. Man hört die
Stimme durch die Filtrierung so, wie man sie im Mutterleib
gehört hat. Sie ist inhaltlich nicht zu verstehen und doch
unverwechselbar wie ein Fingerabdruck. Es kommt zum
Wiedererleben von Emotionen und Empfindungen aus
vorgeburtlicher und frühkindlicher Zeit. Andere Reaktionen sind
z.B. eine verstärkte Traumaktivität und eine erweitertes freies
Assoziieren. Diese hochgefilterte Musik führt den Hörer aus der
"normalen" zielgerichteten Denkaktivität in einen eher
"schwebenden" geistigen Raum, in dem vermehrt Aktivitäten
des Unbewussten wahrgenommen werden.
Viele malen und über die Bilder bekommen wir einen tiefen
Einblick in die ablaufenden seelischen Prozesse. Andere finden
z.B. Ausdrucksformen wie das Schreiben von Gedichten. In
begleitenden Therapiesitzungen werden die Bilder gemeinsam
betrachtet und auch besprochen. Ihre Wirkung haben sie schon
dadurch, dass Verdrängtem eine Gestalt verliehen werden
konnte.
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Die verbale Durcharbeitung der häufig zunächst bewusstseinsfernen Gefühle und Empfindungen macht den
therapeutischen Prozess verständlicher und hilft, diese
Erfahrungen zu integrieren. Es können starke Spannungen im
Erleben und in den Bildern auftreten. Es handelt sich dabei
dann in aller Regel um ein Durchgangsstadium. Gerade an
diesen Punkten der Hörtherapie ist die Begleitung durch den
Therapeuten besonders wichtig.
Die Bedeutung der Mutterstimme und gefilterten Musik kann
auch in einem psychischen Nachreifen, einem "Nachbrüten"
bestehen. Viele erleben gerade entgegengesetzt ihren
Erwartungen Glückszustände und ozeanisches Eintauchen. Bei
Kindern mit hirnorganischen Schädigungen beobachtete
Tomatis auch einen stimulierenden Effekt auf die Myelinisierung
des ZNS, also ein physisches "Nachreifen".
Immer wird ein Hörtag abgeschlossen durch ein Band
nichtgefilterter Musik oder Gregorianik. Diese bilden ein
Gegengewicht zu den in einigen Fällen zunächst aufwühlenden
gefilterten Tönen. Die seelischen Veränderungen und Prozesse
zeigen sich durch Veränderungen in den immer wieder
durchgeführten Hörtestkontrollen und diese sind ein weiteres
wichtiges Mittel, die ablaufenden Prozesse zu verstehen und
mit den Hörenden zu besprechen.
Phase 3 - die "akustische Geburt": Wenn sich im Verhalten der
Kinder und Erwachsenen eine anhaltende Öffnung zeigt, ein
Wille, zu kommunizieren sichtbar wird und sich positive
Veränderungen in den Hörtests stabilisieren, kann eine
"akustische Geburt" durchgeführt werden.
Stunden bis Tage nach der physiologischen Geburt verbleibt
zunächst noch Flüssigkeit im Mittelohr und damit ein Rest des
uterinen Klangmilieus. Wenn sich die Flüssigkeit über die
Eustach‘sche Röhre entleert, kommt es zu einem plötzlichen
"akustischen Loch". Der Säugling nimmt vorübergehend kaum
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akustische Reize wahr, verbunden mit einem Abfall des
Körpertonus. Er muss lernen, seine Mittelohrmuskeln und das
Trommelfell anzuspannen und sich allmählich eine neue
akustische Welt zu erschließen. Während der akustischen
Geburt werden stufenweise tiefere Frequenzen wieder
eingeblendet in Musik und Mutterstimme. Perinatale
Erinnerungen können wieder empfunden werden.
Es ist beeindruckend, wie in Bildern Details der Geburt, von
denen der Malende bewusst keine Kenntnisse hatte, z.B. eine
doppelte Nabelschnurumschlingung, sichtbar werden.
Phase 4 und 5 - die vorsprachliche Phase und die Sprachphase: In den ersten drei Hörphasen wird die unbewusste und
bewusste innere Einstellung zum Hören erweitert und
verbessert. Hör- und Kommunikationsblockaden werden in
vielen Fällen bereits geöffnet. Die Hörverarbeitung kann dann
rascher und harmonischer ablaufen.
In der vorsprachlichen Phase und besonders der Sprachphase
wird jetzt die Hörwahrnehmung aktiv trainiert und weiter
differenziert.
Man liest, summt, singt oder spricht in ein Mikrofon und hört
sich wieder im Wechsel zwischen einem passiven Hören und
einem idealen Horchen (siehe Seite 6). Es geht dabei um die
verbesserte Wahrnehmung der eigenen Stimme. Die hohen
Frequenzanteile unserer Stimme verteilen sich aufgrund
physikalischer Eigenschaften nicht so diffus im Raum wie die
mittleren und tiefen und erreichen unser Ohr daher relativ
vermindert. Wir hören uns selbst also normalerweise tiefer, als
wir eigentlich sprechen, was wiederum unseren Stimmklang
beeinflusst. Man verbessert durch die aktiven Übungen der
Sprechphase die Wahrnehmung der eigenen Stimme.
Kinder z.B. mit Lese- / Rechtschreibproblemen hören besser
zu, d.h. sie erkennen besser, wenn sie etwas falsch oder
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undeutlich aussprechen oder schreiben. Sänger erweitern das
Klangspektrum ihrer Stimme und die Obertonfülle.
Es bleibt noch eine Frage: Warum Mozart?
Jede Musik hat einen inneren Rhythmus. Er entsteht durch die
Betonung, die Intensität, durch das periodische An- und
Abschwellen der Musik. Bei vielen Komponisten gibt es einen
jeweils typischen inneren Rhythmus. Bei Mozart beträgt dieser
innere Rhythmus 0,5 Sekunden (Abb. 15). Dies entspricht
einem Herzschlag von 120 pro Minute und ähnelt dem eines
Säuglings. Er kommt dem Herzschlag des Fetus vor der Geburt
nahe. Dieser innere Rhythmus von Mozart erinnert uns an
diese frühe Zeit und eignet sich daher besonders gut zum Hervorrufen pränataler und frühkindlicher Erinnerungen.
Abb. 17 Wolfgang Amadeus Mozart
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Bei Wagner sehen wir eine sehr breite Klangfülle und wenig
stabilen inneren Rhythmus (Abb. 16).
Abb.18 Richard Wagner
Beethoven ist langsamer, 0,8 s und die Musik ist viel gewaltiger
(Abb. 17).
Abb. 19 Ludwig van Beethoven
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Haydn kommt Mozart am nächsten (Abb. 18).
Abb.20 Joseph Haydn
Haydn sagte, er sei immer auf der Suche nach seiner inneren
Melodie gewesen. Als er im Alter den jungen Mozart hörte,
sagte er: "Jetzt habe ich sie gefunden."
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Literaturverzeichnis
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Pathologie.", Hogrefe, Göttingen 1993
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"Die Entwicklung des Hörens."
Sprache, Stimme, Gehör 20 (1-5)
Thieme, Stuttgart 1996
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"Der Klang des Lebens."
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Tomatis, A. A.
"Klangwelt Mutterleib."
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Tomatis, A. A.
"Das Ohr und das Leben."
Walter-Verlag, Düsseldorf 1995
Zenner H. P.
"Hören: Physiologie, Biochemie, Zellund Neurobiologie."
Thieme, Stuttgart 1994
Wright, A. et. al.
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cochlea."
Acta oto-Laryngologica suppl. 444 (4-34)
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