SOLIDARITÄT Zur Geschichte des Islam in Mosambik Islam und Stammesführerschaft Muslimische Führerschaft in Nordmosambik wird historisch als islamische Autorität und Stammesführerschaft in einem verstanden. Durch die ganze koloniale Epoche hindurch verteidigten muslimische Führer ihr Verständnis vom Islam gegen die lokal kaum verankerten Auffassungen von Islam, wie z.B. Sufismus und Wahhabismus. Nach der Unabhängigkeit wurden die Verbindungen zwischen Stammesführerschaft und Islam weniger sichtbar. Dies lag zum einen an der Politik der nachkolonialen Regierung, die afrikanische Stammesführerschaft und Islam als zwei getrennte Sphären ansah. Islam wurde als „organisierter Glaube“ ähnlich wie das Christentum verstanden, während Stammesführer als Repräsentanten der traditionellen afrikanischen Autoritäten angesehen wurden. Von Liazzat J.K. Bonate, Übersetzung von Ulla Rinke V erbindungen zwischen dem Islam und den Führungsclans existieren in Mosambik seit dem achten Jahrhundert, als der Islam seinen Weg an die nordmosambikanische Küste fand und sich mit den dort regierenden Eliten, den Shirazi, verband. Als die Region im 19. Jahrhundert in den internationalen Sklavenhandel verstrickt wurde, sicherten sich die Shirazi Clans Bündnisse mit den mächtigsten Führern im Inland durch Eroberungsund Verwandtschaftsbeziehungen, um Zugang zu den Sklaven im Landesinneren zu haben. Dieser Prozess wurde begleitet von einer massiven Ausbreitung des Islam auch im Hinterland. Die Bündnisse zwischen den Shirazi an der Küste und den Festland-Führern führten zu einem Netzwerk von tonangebenden Chefs und untergebenen muslimischen Sklavenräubern. Dieses Netzwerk diente auch zur Unterscheidung zwischen ihnen selbst als „Maca“ (Moslems und „Zivilisierte“) und den zu Versklavenden (die Völker der Makua und Lomwe: Eine schädliche Kategorie, Wildheit bezeichnend, d.h. „Nicht-Muslime“, „Unzivilisierte“). Begegnungen mit dem Sufismus Als zwei neue Sufi-Orden, die Shadhuliyya Yashrutiyya 1897 und die Qadirriya 34 1905 auf der Insel Mosambik ankamen, war der Rest von Nordmosambik noch politisch instabil, mit Muslimischen Häuptlingen, die einen allgemeinen Widerstand gegen die Portugiesen anführten. Obwohl von Beginn an stark unterdrückt, machte sich dieser Widerstand doch sporadisch bis in die 1930er Jahre bemerkbar. Die Qadiriyya wurde 1905 durch Shayk’issa bin Ahmad al-Ngaziji auf die Ilha de Moçambique gebracht. Er reiste von der Ilha de Moçambique zum Festland, Cabaceira Pequena, und rekrutierte Schüler einer Gruppe von indisch-afrikanischen Moslems, die Nachkommen indischer Immigranten und lokaler afrikanischer Frauen waren. Die Stellung der Indo-Afrikaner wurde im Verhältnis zu den Afrikanern durch die portugiesische Verwaltung auf der Ilha de Moçambique geschützt, aber als die Administration 1896 in den Süden nach Lourenço Marques (heute Maputo) zog, blieb die Gruppe ohne kolonialen Rückhalt. Die gewaltsame Übernahme der Qadiri-Führerschaft der Afro-Inder durch einen Clan der Shirazi hatte einen lange anhaltenden Konkurrenzkampf zwischen den beiden Gruppen zur Folge, der bis zum Ende der kolonialen Ära anhielt und das Aufsplittern der Orden in acht „turuq“ bewirkte. Die Integration der Führer in das koloniale System von Eingeborenen (Indigenato) und die Modernisierungsprozesse, die zwischen den 1930er und den 1970er Jahren stattfanden, konnten weder die Ausbreitung des Islam aufhalten noch auf das Übergewicht der Matrilinearität in Nordmosambik einwirken. Individuelle Unterlagen der Führer der drei nördlichen Provinzen Mosambiks, die von den Portugiesen zwischen 1954 und 1974 gesammelt wurden, zeigen, dass die Mehrzahl der Führer Moslems waren und meist ihre Position und ihren Titel von mütterlicher Seite geerbt hatten, in der Regel von einem Onkel mütterlicherseits. Muslimische Führungsclans unterstützten in den frühen 1960ern die Befreiungsbewegung, zum Teil wegen der harschen antimuslimischen Politik Portugals und teils weil die mosambikanische Befreiungsbewegung unter dem Patronat der von Moslems unterstützten TANU (Tanganyika African National Union) stand. Zwischen 1965 und 1967 setzten die Portugiesen konsequent solche Führer ab, die die Befreiungsbewegung unterstützten. Viele wurden eingesperrt, ermordet und durch solche, die nicht mit Mosambik-Rundbrief Nr. 75 • Mai 2008 ihnen verwandt waren, ersetzt. Gleichzeitig untersuchte die Kolonialregierung akribisch die Zusammenhänge zwischen Islam und den „traditionellen Autoritäten“. Muslimische Führerschaft und Unabhängigkeit (1975-1983) Das sozio-politische Ansehen der nordmosambikanischen muslimischen Führerschaft wurde nach der Unabhängigkeit bis ins Innerste erschüttert. 1977 übernahm die FRELIMO den Marxismus und „wissenschaftlichen Sozialismus“ und suchte eine weite Vielfalt sozialer Praktiken und Überzeugungen zu eliminieren, die sie als „obskur“, „rückwärtsgewandt“ und deshalb entgegengesetzt zu den modernen Normen des revolutionären „wissenschaftlichen“ Sozialismus ansah. Diese Praktiken beinhalteten die Initiationsriten und traditionelles Heilen ebenso wie Zeremonien der Ahnenverehrung, die alle für die Legitimation und Autorität traditioneller Führerschaft entscheidend waren. Religion wurde überhaupt als ein „obskurantistisches Element“ angesehen und das Nach-Unabhängigkeitsregime verbannte jeglichen Religionsunterricht aus den Schulen und schikanierte und verfolgte religiöse Institutionen und deren Führer. Dadurch verloren die muslimischen Führer im Norden Mosambiks einen weiteren Pfeiler ihrer Macht, den des Islam. 1976 ächtete ein Regierungsdekret alle Vereinigungen, einschließlich der religiösen, und verschlimmerte damit auch die Lage der nordmosambikanischen Moslems. Um dieser Entwicklung entgegenzutreten, traf sich die Wahhabi-Gruppe , geleitet von Abubacar Ismael „Mangira“ am 23. Dezember 1978 in der Anuaril Isslamo Moschee in Maputo, um eine neue Strategie zu entwerfen, besonders, weil es sich bei Anuaril Isslamo ja auch um eine Vereinigung handelte. Sie beschlossen, dass angesichts der neuen Umstände ein landesweites Organ geschaffen werden müsse, das alle Moslems repräsentiere. So nutzten die Wahhabis das Regierungsverbot von Vereinigungen, um ihre Position als legitime Körperschaft Islamischer Autorität zu schaffen und ihre historischen Rivalen im Norden ein für alle Mal auszu- Mosambik-Rundbrief Nr. 75 • Mai 2008 schalten. Der Grundstock der zukünftigen nationalen Moslemorganisation wurde zu diesem Zeitpunkt gelegt und als solcher der Regierung präsentiert. Eine landesweite Islamische Organisation, genannt der Islamische Rat von Mosambik (Conselho Islámico de Moçambique) wurde bei einem Treffen zwischen der Regierung und einer Gruppe von Imams von Maputo im Januar 1981 eingerichtet und Abubacar Ismael „Mangira“ wurde als ihr Koordinator und später als ihr erster nationaler Sekretär für den Islamischen Rat gewählt. Da die nordmosambikanischen Moslems bei Gründung des Rates nicht konsultiert, geschweige denn eingeladen wurden, daran teil zu nehmen, stellte diese Gründung einen definitiven Sieg der südlichen afro-indischen Wahhabis in ihrem langen historischen Kampf um die Islamische Vorherrschaft gegen die Kleines Glossar zu wichtigen islamischen Begriffen (gekürzt aus Wikipedia) Der Sufismus gilt allgemein als die islamische Mystik. Die Anhänger des Sufismus sehen ihre Lehre nicht als ein spirituelles Produkt der islamischen Religion, sondern er offenbart lediglich die esoterische Wahrheit des Islam. Über die Jahrhunderte hinweg haben traditionelle Sufis in islamischen Ländern ihre Lehre in einen engen Zusammenhang mit der islamischen Tradition gebracht. Der Sufismus ist in ihren Augen somit Teil des Islam und nicht von ihm getrennt zu betrachten. Aus ihrer Sicht ist ein Sufi somit immer ein Muslim. Einen Anhänger des Sufismus nennt man Sufi oder auch Derwisch. Das arabische Wort Tariqa (arabischer Plural: turuq, deutsch tariqas) bedeutet übersetzt Weg. In Zusammenhang mit dem Sufismus (islamische Mystik) hat es die Bedeutung von Weg, auf dem der Mystiker wandert und wird auch beschrieben als der Pfad, der aus der Schari‘a kommt. Als Tariqa bezeichnet man auch eine Gruppe von Leuten, die gemeinsam auf demselben Weg zu Gott reisen, mit anderen Worten eine Sufi-Bruderschaft bzw. einen Derwisch-Orden. Als Wahhabiten werden die Anhänger der Wahhabiya, einer konservativen und dogmatischen Richtung des sunnitischen Islams bezeichnet. Diese Bewegung geht auf Muhammad ibn Abd al-Wahhab zurück. Die Wahhabiten betrachten Ibn Abd al-Wahhab jedoch nicht als Gründergestalt, sondern als wichtige Autorität in der Auslegung der ursprünglichen Lehre des Islam. Die Anhänger Ibn Abd al-Wahhabs nehmen für sich in Anspruch, die islamische Lehre authentisch zu vertreten. Der Wahhabismus/Salafismus lehnt den Sufismus und die islamische Theologie ab. Er wendet sich auch strikt gegen viele Formen des Volksglaubens, etwa die Verehrung von Heiligen, Wallfahrten zu Gräbern, oder die jährliche Feier des Geburtstags des Propheten. Die meisten Wahhabiten leben in Saudi-Arabien. Sie stellen dort die größte religiöse Gruppe in der Bevölkerung dar, und ihre Lehre ist Staatsreligion. 35 SOLIDARITÄT nordmosambikanische Tariqa-Führerschaft dar. Die Enttäuschung der nordmosambikanischen Führerschaft über den Staat nach der Unabhängigkeit vertiefte sich, als sich die FRELIMO immer mehr mit den Wahhabis verbündete. Die begünstigende Haltung der FRELIMO gegenüber den Wahhabis schien von der Auffassung zu stammen, dass Islam und „traditionelle Autoritäten“ nichts miteinander zu tun hatten, von der unerwiesenen Behauptung, dass die „traditionellen Autoritäten“ mit der Kolonialmacht kollaboriert hätten und deshalb weit weniger nationalistisch wären; eine weitere Rolle spielte vermutlich der modernistische Standpunkt der Wahhabis, die versiert im Arabischen und mit Universitätsgraden ausgestattet waren sowie direkten Kontakt mit der mittelöstlichen Islamischen Kultur hatten. Dementsprechend gründeten 1983 Muslims in Maputo, die mit den Wahhabis nicht übereinstimmten, ihre eigene nationale Organisation, den Islamischen Kongress von Mosambik (Congresso Islâmico de Moçambique), dem sich die meisten prä-kolonialen Vereinigungen und Bruderschaften, einschließlich der Sufi-Orden, anschlossen. Der Rat versuchte den Kongress in den Augen der FRELIMO-Regierung zu denunzieren, indem er die Bruderschaften und Gemeinschaften als unvereinbar mit dem Geist des Islam denunzierte und sie mit der Kolonialmacht und den „traditionellen Autoritäten“ in Verbindung brachte. 36 Sie wurden als entgegengesetzt zu der „wahren“ und „legitimen“ islamischen Autorität der Ulama mit „angemessener“ religiöser Ausbildung dargestellt. Dies führte jedoch nicht zur Auflösung des Kongresses, wie es der Rat erwartete. Von dieser Zeit an haben die beiden Organisationen unablässig um das Patronat der FRELIMO-Partei gewetteifert, ebenso wie um die finanzielle Unterstützung durch internationale islamische NRO’s. Muslimische Führerschaft und Liberalisierung (1983 – 2006) Anstatt sich auf die kulturell belasteten Begriffe von „Häuptling“ oder „Regulo“ zu beziehen, zog es die FRELIMO-Regierung vor, die Bezeichnung „traditionelle Autoritäten“ zu benutzen, um eine Gruppe zu bezeichnen, die die Führer und ihr Gefolge von Unterführern und Heilern umfasste. Indem sie die soziale Bedeutung dieser Gruppe erkannte, setzte die FRELIMO die „traditionelle Autorität“ 1989 wieder ein, und der Bann über das traditionelle Heilen wurde aufgehoben. Nach der Unterzeichnung des Friedensvertrages 1992, der den Bürgerkrieg mit der RENAMO beendete, erkannte die FRELIMO, dass die „Traditionellen Autoritäten“ das Verhalten der Wähler bei der ersten demokratischen Wahl 1994 machtvoll würden beeinflussen können. Von 1991 bis 1997 ließ die Regierung durch das Ministerium für Staatliche Administration eine Untersuchung über die „traditionellen Autoritäten“ durchführen. 1996 stellte eine Verfassungsänderung die lokalen Autoritäten unter den administrativen Schutz des Staates. Das Landgesetz von 1997 gestand den „traditionellen Autoritäten“ gesetzliche Rechte innerhalb des Staatsrechtes zu, indem es das Recht „lokaler Gemeinschaften“ anerkannte, Land zu nutzen und von der Nutzung in Übereinstimmung mit den üblichen Normen und Praktiken“ zu profitieren. Und schließlich setzte ein Regierungsdekret die „traditionellen Autoritäten“ in Mosambik wieder voll in ihre Rechte ein. Während die Muslimische Führerschaft in Nord-Mosambik mit diesen Gesetzesreformen die „traditionelle“ Seite ihrer Autorität und Macht wieder erlangt zu haben scheint, ist sie noch nicht in der Lage gewesen, ihren Anspruch im Rahmen des Islam wieder durchzusetzen Sie ist noch immer mehr mit der Führerschaft und der afrikanischen Kultur als mit dem Islam verbunden. Deshalb ist sie auch kaum in der Lage, sozio-politischen Einfluss durch eine Islamische Plattform zu gewinnen. Diese Situation ist seit langem die Quelle ihrer andauernden Frustration und ihres Widerstandes gegen die rassisch-kulturelle Diskriminierung, die ihr von der FRELIMO im Verein mit den südlichen Wahhabis, Afro-Indern und Indern entgegenschlägt. Viele Muslimische Führer des Nordens haben es vorgezogen, ihre religiöse Führerschaft durch traditionelle, ererbte Verwandtschaft auszuüben, indem sie so die Bindungen zwischen Islam und Führerschaft aufrecht erhalten. Diese Bindungen, historisch und kulturell auf lokaler Tradition beruhend, erfreuen sich noch immer der Legitimität und Beliebtheit in ländlichen und außerstädtischen Bereichen in Nord-Mosambik. Liazzat Bonate is Dozentin an der geschichtlichen Fakultät der Eduardo Mondlane Universität in Maputo und schreibt derzeit ihre Doktorarbeit über den Islam in Nordmosambik an der University of Cape Town in Südafrika. Der ungekürzte Originalartikel in Englisch erschien 2007 in der Isim Review 19. Mosambik-Rundbrief Nr. 75 • Mai 2008