Editorial Geowissenschaften Rubin 2007 Geowissenschaften an der Ruhr-Universität Bochum Zwei Seiten – ein Ganzes Prof. Dr. Harald Zepp Fakultät für Geowissenschaften 4 D ie Erde ist die Grundlage unseres Lebens. Diese Binsenweisheit rückt schlagartig ins Bewusstsein, wenn irgendwo auf der Welt die ökologische Tragfähigkeit eines Landschaftsraums überstrapaziert worden ist, wenn Katastrophen auftreten. Wir brauchen dabei nicht nur an Erdbeben, Tsunamis, Vulkanausbrüche und Überschwemmungen zu denken; da sind auch die „human hazards“ – menschengemachte Katastrophen: Bodenerosion, Wasser- und Luftverschmutzung, Industriekatastrophen, Kriege, Vertreibungen und Hungerkatastrophen. Häufig lassen uns erst derartige Ereignisse begreifen, dass Natur und Gesellschaft keine abstrakten gekoppelten Systeme sind, sondern konkret vor Ort erfahrbare Wirkungen zeigen. Woher kommt etwa das lebensnotwendige Wasser, das wir in unseren Versorgungssystemen so selbstverständlich und in hoher Qualität erwarten? Woher kommen die Grundstoffe, die in Gebäuden verbaut oder in der industriellen Fertigung vom Kochtopf bis zum Mikrochip verbraucht werden? Welche fossilen, welche regenerativen Energiequellen stehen uns zur Verfügung, wie sind sie über und unter der Erdoberfläche verteilt, wo liegen welche Zukunftschancen? Wie gliedern wir sinnvoll und schadlos die Produkte unseres Wirtschaftens in den (fast) ewigen Kreislauf der Materie ein, ohne Gefahren für die menschliche Gesundheit (s. Beitrag Marschner/Haag/Müller) heutiger und zukünftiger Generationen zu verursachen? In einer Welt, die weitgehend verlernt hat, in langen Zeiträumen zu denken, erinnern Geowissenschaftler daran, dass es andere Zeitmaße (s. Beitrag Stöckhert/Trepmann/Nüchter) gibt als die von Börsenspekulanten, Heuschrecken und Wahlperioden. Geowissenschaftler sind Zeitwissenschaftler, sie untersuchen ebenso Prozesse, die sich über Jahrmilliarden erstrecken – etwa die Abkühlung der Erde oder die plattentektonischen Bewegungen – wie kurzfristig ablaufende wetter- und witterungsgesteuerte Naturkatastrophen. Sie zeigen auf, welche natürlichen und historischen Landschaftsstrukturen Rahmenbedingungen für unser Handeln bilden, sie machen die auch kulturell geprägten Entwicklungspfade von Ländern, Landschaften und Stadtregionen verständlich, die heute Ursache krisenhafter Zustände sein können. Geowissenschafter sind auch Raumwissenschaftler. Sie erforschen die Erde in ihrer dreidimensionalen räumlichen Verschiedenheit. Dreidimensionalität bedeutet Breite, Länge und Höhe, vom Erdkern bis in die höhere Atmosphäre. Landschaften, Regionen, Räume und Orte besitzen ihre spezifischen Qualitäten, die teils naturgesetzlich erklärt, teils kulturwissenschaftlich verstanden werden müssen. Geowissenschaftler untersuchen im Mikromaßstab Kristallstrukturen (s. Beitrag Gies/Magdans) und im regionalen Maßstab Strukturen von Gebirgen (s. Beitrag Maresch/Burchard/ Fockenberg) ebenso wie von Metropolitanregionen und Megacities (s. Beitrag Zepp/Johann/Burak). Im Editorial Geowissenschaften Rubin 2007 globalen Maßstab rekonstruieren sie den Klimawandel in der Erdgeschichte (Beitrag Mutterlose/Immenhauser). Sie interessiert, welche räumlichen Unterschiede die globalen Machtverhältnisse und Akteurskonstellationen zwischen den Ländern verschiedenen wirtschaftlichen Entwicklungsstandes und kultureller Prägung hervorrufen. Geowissenschaftler sind Spezialisten für Maßstäbe. Sie analysieren Strukturen auf Satellitenbildern wie im Elektronenmikroskop. Angesichts der Verschiedenartigkeit der räumlichen Strukturen und Prozesse können die Geowissenschaftler nur durch vernetzendes Denken das System Erde unter den verschiedensten Perspektiven begreifen. Das erfordert interdisziplinären Austausch. Es gibt wohl kaum eine andere Fakultät, in der natur- und sozialwissenschaftliche Forschungs- und Lehrtraditionen so zusammengehen. Dass in dieser Fakultät auch paradigmatische Welten unterschiedlicher Wissenschaftskulturen aufeinanderprallen, das macht einen großen Teil ihres „Landschaften, Regionen, Räume und Orte besitzen ihre spezifische Qualitäten, die teils naturgesetzlich erklärt, teils kulturwissenschaftlich verstanden werden müssen“ Reizes aus. Was nützte es, wenn die Naturwissenschaftler unserer Fakultät physiko-chemische Gesetzmäßigkeiten in den Geosystemen erforschten, gleichzeitig aber nicht erforscht und reflektiert würde, wie Gesellschaften mit der Erde und ihren Teilsystemen umgehen, wie sie Entwicklung in den verschiedensten Winkeln der Welt organisieren und welche Auswirkungen dies auf die Erde insgesamt hat. Das muss immer wieder neu aufgegriffen werden, denn die Welt verändert sich. Die Globalisierung bei gleichzeitigem Bevölkerungszuwachs und Verknappung der natürlichen Ressourcen lässt neue Erscheinungsformen menschlichen Daseins, neuartige Ungleichgewichte entstehen, sie stellt nie gekann- te Herausforderungen an die Geowissenschaften. Sie verlangt neue, aber regional verschiedene Steuerungsinstrumente, um die Grenzen der Belastbarkeit der Natur (der abiotischbiotischen Geosysteme) nicht unsinnig zu strapazieren und um soziale Benachteiligungen abzumildern. Die Geowissenschaften erarbeiten wissenschaftliche Grundlagen, um zu beurteilen, welche Maßnahmen die Forderung nach Nachhaltigkeit am ehesten erfüllen und zeigen Handlungsoptionen auf. Naturwissenschaftliche Arbeiten bilden den Schwerpunkt dieses Heftes sowie Projekte, die die Umwelt analysieren (s. Beiträge Schmitt und Zepp/ Johann/Burak). In Teilbereichen der Geographie verfolgte humanwissenschaftliche Forschungsansätze schließen nahtlos an diese Analysen an. Die Geowissenschaftler an der RuhrUniversität Bochum forschen in vielfältigen Netzwerken, zunächst in den Forschungs- und Lehreinheiten „Institut für Geologie, Mineralogie und Geophysik“ sowie „Geographisches Institut“. Im Sonderforschungsbereich (SFB 526) „Rheologie der Erde“ erforschen seit 1999 Wissenschaftler aus mehreren Fakultäten unter der Federführung der Geowissenschaften das mechanische Verhalten der Materialien der Erde in allen Maßstäben und unter den unterschiedlichsten Bedingungen von der Oberfläche bis in große Tiefen. Das ist Grundlagenforschung pur, die aber durch jüngste Erdbeben und TsunamiKatastrophen einen brennend aktuellen Bezug erhalten. Für uns ist es selbstverständlich, dass wir uns an der Global Change-Initiative der Ruhr-Universität beteiligen. Professoren der geowissenschaftlichen Fakultät sind eingebunden in das Institut für Entwicklungsforschung und Entwicklungspolitik (IEE) und in das Zentrum für interdisziplinäre Ruhrgebietsforschung (ZEFIR). Sie wirken mit im materialwissenschaftlichen SFB „Form-Gedächtnis-Legierungen“ und in Graduiertenkollegs. Die Forschungsstärke der Geowissenschaften in Bochum zeigt sich auch in zahlreichen international vernetzten Forschungsprojekten von der sehr aufwändigen gemeinsam mit griechischen und türkischen Wissenschaftlern betriebenen Analyse der Erdbebentätigkeit in der Ägäis bis zu vielfältigen Kooperationen der einzelnen Forscher in EU-Projekten zur Wasserknappheit oder zur Entwicklung industrieller Brachflächen. Geowissenschaften in Bochum - das bedeutet auch Innovationen in der Lehre. Bundesweit waren die Geowissenschaften Vorreiter bei der Konzeption und Umsetzung der gestuften B.Sc./M.Sc.-Studiengänge. Die Lehrerausbildung ist im Rahmen der 2-Fach-Bachelor/Master-Studiengänge (B.A./M. Ed.) organisiert, an denen sich beide Institute beteiligen. Jüngst ist durch das Studienfach „Regionale Geographie“ im Rahmen des 2-Fach-M.A.-Programms der Kanon der Lehrangebote komplettiert worden. In der Masterphase wählen die Studierenden unter neun klar profilierten Vertiefungsrichtungen. Eine neue, international ausgerichtete und in englischer Sprache angebotene Vertiefungsrichtung im M.Sc.-Programm der Geowissenschaften wird Studierende auf einen Einsatz im Bereich der Rohstoff- und Energieversorgung, von der Erdölexploration bis zur Geothermie vorbereiten. Alle Studiengänge der Fakultät wurden erfolgreich akkreditiert. In Kürze wird es auch einen strukturierten Promotionsstudiengang geben. Lassen Sie sich im Vorgriff auf das durch die UN ausgerufene „International Year of Planet Earth 2008“ schon heute von dem spannenden Fachgebiet der Geowissenschaften faszinieren. Wenn Sie mehr über einzelne Arbeitsgruppen oder Projekte an der Fakultät erfahren möchten – einen Überblick finden Sie am Ende des Magazins – dann nehmen Sie Kontakt mit uns auf, wir freuen uns darauf! 5 Geologie Geowissenschaften Rubin 2007 Abb. 1: Der Campus der Ruhr-Universität Bochum unter Wasser – ganz so weit kommt es wohl nicht. Aber in Bochum hätten in der Kreidezeit Strandkörbe stehen können. Klimawandel in der Erdgeschichte: Kreidezeit war Treibhauswelt Jörg Mutterlose Adrian Immenhauser 6 Steigende CO2-Konzentrationen in der Atmosphäre, globale Erwärmung, Abschmelzen der Polkappen, Überflutung der Küstenebenen – tägliche Schlagzeilen und wohl eine der größten Herausforderungen der Menschheit. Um das künftige Szenario zu beschreiben und zu verstehen, kann ein Rückblick nützen. Paläoozeanographen, Paläontologen und Sedimentologen analysieren das Klima der Erdgeschichte, denn es hat in der Vergangenheit wiederholt ähnliche Treibhausverhältnisse gegeben. Ihr Verständnis kann den Schlüssel zur künftigen Entwicklung liefern. Geologie Geowissenschaften Rubin 2007 sich durch plattentektonische Vorgänge erklären, die durch starken Magmenausfluss am Meeresboden den Meeresspiegel vorübergehend erhöht haben. In einer eisfreien Welt würde Bochum (heute 100-150 m über NN) zwar nicht überflutet werden, wohl aber die Funktion der heutigen Hafenstädte Hamburg oder Bremerhaven übernehmen. Im heutigen Geologischen Garten hätten in der Cenomanzeit Strandkörbe stehen können (s. Abb. 3). Wir setzen unsere Reise im PKW fort; die an der A2 gelegene Mergelgrube dig-kiesigen, küstennahen Ablagerungen von Bochum liegen in Wunstorf küstenferne ozeanische, heute zu Kalkstein verfestigte Ablagerungen vor. Die Wassertiefe muss in der Kreidezeit hier ca. 100 bis 200 m betragen haben. Die Küstenlinie lag 70 km weiter südlich im Raum Bad Gandersheim. Die Kalksteine setzen sich aus den Skeletten winziger Schwebalgen, den Coccolithophoriden, zusammen. Bemerkenswert an der Gesteinsabfolge von Wunstorf sind 15 schwarze Tonsteinbänke von bis zu einem Meter Dicke, die in die Kalksteine eingelagert sind. Diese dunklen Gesteine weisen eine hohe Anreicherung an organischem Kohlenstoff auf (mehr als fünf Prozent), der aus marinen einzelligen Algen besteht, den Coccolithophoriden und den Dinoflagellaten (Abb. 5). Neben einer dritten Algengruppe, den Diatomeen, stellen diese kleinwüchsigen, Photosynthese betreibenden Schwebalgen noch heute die wichtige Grup- Bochum als Hafenstadt Wunstorf (20 km östlich von Hannover) ist unser nächstes Ziel. Im Rahmen eines DFG-Projektes wurde hier im März 2006 eine 80 m tiefe Kernbohrung abgeteuft, um die cenomanzeitlichen Ablagerungen zu erbohren (Abb. 4). Im Gegensatz zu den san- Cenomanzeit (99–93,5 M.J.) Hamburg Emden Elb e 0 50 km Ems Bohrung Wunstorf Rheine er Bielefeld Münster es W Arnheim Lippe Geologischer Garten Kassel Ru hr Köln ein Festland Rh Ma as E ine erdgeschichtliche Phase, die sich durch ein Treibhausklima auszeichnete, ist die Kreidezeit (vor 145-65 Mio. Jahren), deren Erforschung Arbeitsschwerpunkt der Arbeitsgruppen Paläontologie und Sedimentologie der Ruhr-Universität ist. Um die damaligen klimatischen und paläobiologischen Verhältnisse zu verstehen, treten wir einen zeitlichen und geographischen Ausflug an. Von Bochum reisen wir über NordDeutschland bis in die großen Ozeane unserer Erde. Nur zehn Fahrradminuten von der Ruhr-Universität entfernt im Geologischen Garten Bochum machen wir unseren ersten Halt. Hier können wir eine wichtige Beobachtung zu den Treibhausbedingungen der Kreidezeit machen. Über Gesteinen der Karbonzeit (vor 359-299 Mio. J.) liegen hier direkt die ältesten Ablagerungen der Oberkreidezeit, der sog. Cenomanzeit (vor 99-93,5 Mio. J.). Diese Gesteine, in Bochum vertreten durch strandnahe Sande und Kiese, wurden damals in einem flachen Meer abgelagert. Die südliche Küstenlinie eines Nordsee-Vorläufers verlief in der Cenomanzeit etwa über Duisburg – Mülheim – Essen – Bochum – Dortmund – südlich Paderborn (Abb. 2). Ähnlich großräumig verbreitet sind altersgleiche Gesteine in weiten Teilen der Welt (u. a. Polen, Südfrankreich, Russland, Nordamerika). Wissenschaftler sind sich einig, dass der Meeresspiegel vor etwa 93 Mio. Jahren um mindestens 200 m höher gelegen hat als heute. Derartige globale Meeresspiegelanstiege werden u. a. durch das Abschmelzen der polaren Eiskappen infolge einer Erhöhung der CO2-Konzentration erklärt (s. Info 1). Diese Beobachtungen lassen Schlüsse auf unsere Zukunft zu. Die Erwärmung der heutigen Welt wird zu einem Abschmelzen der arktischen und vor allem der antarktischen Eismassen führen; eine eisfreie Welt hätte eine globale Erhöhung des Meeresspiegels um etwa 70 m zur Folge. Die im Vergleich zur Kreidezeit verbleibenden ca. 100-130 m lassen Rheinische Masse flache Meeresbereiche tiefere Meeresbereiche Abb. 2: Paläogeographische Karte Nordwestdeutschlands in der Cenomanzeit (vor 99-93,5 Mio. J.). Der Geologische Garten Bochum nimmt eine küstennahe Position ein, Wunstorf eine küstenferne. (Umgezeichnet nach Geologischem Landesamt NRW 1995) 7 Geologie Geowissenschaften Rubin 2007 info 1 Was das Klima antreibt: Ursache des globalen Temperaturanstiegs in der Kreidezeit Verstärkter Magmenausfluss auf den Ozeanböden setzte CO2 frei und führte zu erhöhten Konzentrationen dieses Klimagases in der Atmosphäre. Gleichzeitig verdrängten die austretenden warmen Magmen am Ozeanboden viel Wasser. Der ansteigende Meeresspiegel verursachte eine weiträumige Überflutung großer Schelfbereiche. Große Wasseroberflächen, wesentlich mehr als heute, standen zur Verfügung. Da Wasser eine höhere Wärmespeicherkapazität hat als Festland, wurde der Treibhauseffekt verstärkt. Gleichzeitig fehlten hohe Gebirge, über deren Verwitterung und Abtragung in den Ozean wieder CO2 in marinen Gesteinen gebunden wird. Das System schaukelte sich so hoch zu extremen Treibhausbedingungen. Umgekehrt betrachtet leben wir seit ca. 40 Mio. Jahren in einer Phase der Abkühlung, da sich mehrere Bedingungen ergänzen: Geringer Magmenausfluss setzt verhältnismäßig wenig CO2 frei. Mit der ersten Eisbildung am Südpol vor 35 Mio. Jahren entstand ein Rückkoppelungseffekt: Weiße Flächen (Eis) strahlen zum einen viel Energie in den Weltraum zurück (=Albedo), was die Abkühlung verstärkt. Die Eisbildung führt zum anderen zu einem niedrigen Meeresspiegel, so dass weniger Wasserflächen zur Verfügung stehen, die Wärme speichern können. Außerdem entstand vor ca. 35 Mio. Jahren das Hochgebirge des Himalaya. Seine intensive Abtragung führt zu einer raschen Bindung von CO2 in marinen Gesteinen in den Ozeanen. pe der sog. Primärproduzenten in den Ozeanen dar. Mit Hilfe von Sonnenenergie, CO2 und mineralischen Nährstoffen (Phosphate, Nitrate) synthetisieren sie einfache organische Bausteine (Zucker); gleichzeitig setzen sie Sauerstoff frei. Diese pflanzlichen Primärproduzenten bilden als Nahrung für alle anderen Organismen die Grundlage unserer Existenz. Die kohlenstoffreichen Gesteine stellen zum einen Erdölmuttergesteine dar, da Erdöl im Wesentlichen aus den Resten mariner Schwebalgen besteht. Sie sind zum anderen ein Zeichen für eine Unterbrechung des biologischen Kreislaufs aus Zeugung, Wachstum, Tod, Zerfall und Abbau. Im Normalfall werden alle organischen Verbindungen wieder in die mineralischen Ausgangskomponenten zerlegt und dem Stoffkreislauf zugeführt. Offenbar konnte bei unserem Beispiel der Kohlenstoff nicht wieder freigesetzt werden, da Mikro- und Makroorganismen, die für die Zersetzung zustän8 dig sind, aufgrund von Sauerstoffarmut im Bodenwasser (anoxische Bedingungen) nicht leben konnten. Derartige dunkle Gesteine der Cenomanzeit und der folgenden Turonzeit (vor 93,5-89 Mio. J.) hat man nicht nur in Deutschland, sondern altersgleich in allen Ozeanen der Welt gefunden. Daher spricht man von einem ozeanischen anoxischen Ereignis (Ocean Anoxic Event; OAE). Ein OAE repräsentiert einen geologisch kurzen Abschnitt von ca. 500.000 Jahren, in dem es zu einer Unterbrechung des Kohlenstoffkreislaufs kam. Bei den Gesteinen des OAE handelt es sich um Kohlenstoffsenken, da in ihnen Kohlenstoff lange gebunden und somit dem Stoffkreislauf entzogen wird. Dieses Phänomen wirkt regulierend auf den erhöhten CO 2Gehalt in der Warmphase. Allerdings beginnt diese Bindung von CO2 erst einige Mio. Jahre verspätet, so dass erst vor ca. 85 Mio. Jahren wieder eine Abkühlung einsetzte. Ein globales OAE weist auf ein vollständig anderes klimatisches Regime als heute für den Zeitraum vor 99 bis vor 89 Mio. Jahren hin. Die ozeanischen Zirkulationsmuster wurden in der Cenomanzeit nicht wie heute durch kalte Tiefenwässer getrieben, die sich bei Island und bei etwa 70° Süd am Rande der Antarktis bilden. Da Polkappenvereisungen fehlten, müssen wir von sehr trägen Ozeanströmungen ausgehen. Die fehlende Zirkulation verursachte vermutlich das Sauerstoffdefizit in den Ozeanbecken. Das ständig auf die Ozeanböden herabrieselnde organische Abb. 3: Geologischer Garten Bochum: Über den verstellten Gesteinen des Karbon liegen horizontal Ablagerungen der Cenomanzeit (vor 99-93,5 Mio. J.). Diese markieren den weitesten Meeresvorstoß in der jüngeren Erdgeschichte. Geologie Geowissenschaften Rubin 2007 Abb. 5: Bohrkern mit kohlenstoffreichen, dunklen Lagen. Die hellen Lagen spiegeln die Normalablagerungen wider. Hierbei handelt es sich um verfestigten Kalkschlamm, der aus Skeletten von Schwebalgen besteht. Material, im Wesentlichen einzellige Schwebalgen, wurde nicht mehr abgebaut. Erste Untersuchungen zur detaillierten Rekonstruktion des kreidezeitlichen Klimas wurden im Mai 2006 an den organischen Verbindungen (Archaebakterien) der kohlenstoffreichen Lagen der Bohrkerne in Kooperation mit dem Ozeanographischen Institut in Texel (Holland) durchgeführt. Der Aufbau bestimmter Kohlenwasserstoffmoleküle in den Membranen von Archaebakterien ist abhängig von der Wassertemperatur; diese stellen somit ein Paläothermometer dar. Die Untersuchungen belegen für Wunstorf unerwartet hohe Oberflächenwassertemperaturen von 34°C – mit Temperaturen über 30°C hatte die Forschung zuvor nicht gerechnet. Bei einer damaligen Breitenlage von etwa 40° Nord für die erbohrten Ablagerungen (heute nach Kontinentalplattenverschiebung etwa 52° Nord) ergeben sich damit tropische Klimaverhältnisse für Nord-Deutschland in der Cenomanzeit. Zum Vergleich: Die mittleren Oberflächenwassertemperaturen in der heutigen Nordsee schwanken von 6°C im Winter bis 16°C im Sommer. Als Tropen wird heute die Region bezeichnet, die durch den nördlichen (23,5° Nord) und den südlichen Wendekreis (23,5° Süd) begrenzt wird, und in der die Sonne mindestens ein- mal im Jahr im Zenit steht. Dieser Bereich ist durch höhere tageszeitliche und geringere jahreszeitliche Temperaturschwankungen gekennzeichnet, Jahreszeiten sind nicht entwickelt. Für unseren nächsten Ausflug fliegen wir fünf bis sechs Stunden Richtung Südosten. Im sonnigen Muskat, der Hauptstadt des Sultanats Oman, steigen wir aus. Ein Geländefahrzeug bringt uns in einem weiteren Tag in die Huqf Wüste an der Ostküste Omans (Abb. 6). In der mittleren Kreidezeit (vor 120 Mio. J.), war auch diese Region von einem flachen Meer bedeckt. Das Wasser, das heute am Südpol die Eisschilde aufbaut, hatte damals auch die Küstenregionen Omans überflutet und bildete das Südufer des UrMittelmeers. Die Ablagerungen aus dem flachen Küstenmeer, die genauso alt sind wie die schwarzen Tonsteinbänke, die wir in Nord-Deutschland kennen gelernt haben, enthalten ganismen aufgenommen werden und nach deren Tod allmählich zerfallen, erlauben es, diese Intervalle zeitlich einzugrenzen. Und tatsächlich scheinen sie die Äquivalente der schwarzen Tonsteine der tieferen Becken zu sein. Wie soll man das erklären? Eine mögliche Analogie findet sich in der modernen Welt. Überall dort, wo wir viele zusätzliche Nährstoffe ins Meer oder in Seen einbringen, wie etwa Dünger aus der Landwirtschaft in den Dümmer (ein See nördlich von Osnabrück), gehen die jeweils vorherrschenden Ökosysteme zugrunde. An ihre Stelle treten Algen und Mikroben, die unter diesen nährstoffreichen Bedingungen prächtig gedeihen. Es ist denkbar, dass während gewisser Zeiten in der Kreidezeit das Klima so feucht-warm war, dass durch starke Regenfälle gewaltige Mengen verwitterten Gesteins und organisches Material vom Festland in Flüssen her- Entwicklung des Lebens zurückgedreht jedoch hier keine organisch-reichen, schwarzen Gesteine: Hier scheint die Entwicklung des Lebens kurzfristig um viele Hundert Mio. Jahre zurückgedreht zu sein. Während unter normalen Bedingungen diese subtropischen Kreide-Küstenmeere vom Leben nur so wimmelten, verschwanden plötzlich die Korallen- und RudistenRiffe (Rudisten sind kreidezeitliche Muscheln). An ihre Stelle traten Lebensformen, die wir aus der Frühzeit der Erde kennen, vor allem Algen und Bakteriengemeinschaften. Nach einigen 100.000 Jahren (etwa 1,5 m im Sediment) war der Spuk vorbei und die Korallen-Rudisten-Riffe traten wieder an ihre gewohnte Stelle. Etwas höher treten die seltsamen Gesteine nochmals auf und verschwinden auch wieder. Hier scheinen Mechanismen am Werk zu sein, die ein ganzes Küsten-Ökosystem kurzfristig kippen können (Abb. 7). Geochemische Datierungsmethoden wie etwa die Messung stabiler Isotope, die während des Lebens von Or- Abb. 4: Forschungsbohrung Wunstorf im März 2006. 9 Geologie Geowissenschaften Rubin 2007 Abb. 6: Auf der Suche nach dem Treibhausklima vergangener Welten in der Wüste von Oman. antransportiert wurden und die Meere überdüngten. Auf ihrem Weg in den Ozean mussten diese Nährstoffe das flache Küstenmeer queren und haben dort die Ökosysteme kurzfristig zerstört. Damit hätte sich die kreidezeitliche Treibhauswelt hier in Form von überdüngten Lebensräumen manifestiert. Ob diese Spekulationen für alle OEA gelten, muss die Forschung erst zeigen. Wir setzen unseren Ausflug in die Treibhauswelt der Cenomanzeit zu Wasser fort. Im Februar/März 2003 führte eine wissenschaftliche Ausfahrt des Bohrschiffes „Joides Resolution“ (Abb. 8) vor die Küste Surinams. Dort Abb. 7: Eine Lokalität in der Wüste Omans, die die Algen-Mikroben Ablagerungen zeigt. Diese verdrängten kurzfristig die normalen Küstenökosysteme infolge von Überdüngung. 10 wurden etwa 200 km östlich von Surinam auf Höhe des Äquators Bohrkerne mit kreidezeitlichen Ablagerungen gewonnen. An fünf Punkten wurden umfangreiche Abfolgen mit hohen Anteilen an organischem Kohlenstoff erbohrt. Sie werden nun in Bochum, den USA, England, Frankreich und Japan geologisch, paläontologisch und paläoozeanographisch untersucht. Die bisherigen Ergebnisse zeigen in allen Bohrkernen etwa 30 bis 60 m dicke kohlenstoffreiche Abfolgen aus der Cenoman- und Turonzeit. Paläotemperaturdaten wurden über das Verhältnis der beiden stabilen Sauerstoffisotope 18O und 16O an gut erhaltenen Kalkschalen von heterotrophen, d.h. sich von organischem Material ernährenden, Einzellern (Foraminiferen) von der Bundesanstalt für Geowissenschaften in Hannover ermittelt. Warmes Wasser enthält weniger 18O als kaltes, so dass das Verhältnis der in die Schalen eingebauten Isotope Rückschlüsse auf die Wassertemperatur erlauben. Dabei ergaben sich Temperaturen von 24-28°C für die Foraminiferen, die am Meeresboden lebten, 30-32°C für die des Oberflächenwassers. Diese Befunde belegen nun generell sehr hohe Wassertemperaturen für den Äquatorbereich in der Cenomanzeit und nur wenig unterschiedliche Temperaturen für das Boden- und das Oberflächenwas- ser. Die hohen Bodenwassertemperaturen lassen sich durch die Bildung von warmen, salzreichen Tiefenwässern bei hoher Verdunstung in dieser Region erklären. Das bereits in Wunstorf eingesetzte „Archaebakterienthermometer“ belegt zudem Oberflächenwassertemperaturen von bis zu 36°C für die kohlenstoffreichen Lagen der Bohrkerne der späten Cenomanzeit. Diese Beobachtungen liegen damit deutlich über den heutigen Werten für den äquatorialen Atlantik (27-29°C). Klimamodellierungen auf der Basis der Paläotemperatur- und paläobiologischen Daten für die CO2-Konzentrationen in der Cenoman- und Turonzeit liegen bei 600 bis 2400 ppm (parts per million, 1 ppm = 0,0001 Prozent), also deutlich höher als heute (365 ppm). Global herrschten in der Cenomanund Turonzeit somit über einen Bereich, der vom Äquator bis 40° N, d.h. in Höhe des heutigen Madrid, reichte, tropisch-warme Klimabedingungen. Die hohen Temperaturen führten zu intensiver Verdunstung und feucht-warmen Bedingungen; Polkappen existierten nicht. Das Temperaturgefälle vom Äquator zu den Polen war mit 35°C (35°C am Äquator, 0°C am Pol) in der Cenomanzeit deutlich geringer als heute mit 75°C (25°C am Äquator, -50°C am Südpol). Es herrschten also global aus- Geologie Geowissenschaften Rubin 2007 geglichene Verhältnisse; aus Nordalaska (75°- 85°N) sind cenomanzeitliche Floren (Farne, Ginkgos, Koniferen, Blütenpflanzen) dokumentiert. Auch Krokodilfunde aus dem Bereich nördlich des Polarkreises belegen diese Vorstellung. Ein extrem hoher Meeresspiegel (über 200 m höher als heute) verursachte eine großräumige Überflutung der flachen Küstenregionen. Im Gegensatz zu den heutigen ozeanischen Strömungssystemen mit warmen, vom Äquator nach Norden bzw. Süden gerichteten Oberflächenströmen (z. B. Golfstrom) und von Nord nach Süd (Arktis > Antarktis) bzw. von Süd nach Nord (Antarktis > Äquator) ausgerichteten kalten Tiefenströmungen herrschte wohl ein genau entgegen gesetztes Strömungssystem, das vom Äquator ausging (Abb. 9). Hier bildeten sich aufgrund der hohen Temperaturen und der starken Verdunstung salzreiche Wässer. Diese sanken aufgrund ihres hohen Gewichtes in die Tiefe und flossen vom Äquator in nördliche und südliche Richtung zu den Polen. Bei hohen CO2Konzentrationen war die Ozeanzirkulation insgesamt eher träge, bei reAbb. 8: Das Bohrschiff „Joides Resolution“ duziertem Wasseraustausch erfolgte dann die Ablagerung der kohlenstoffreichen Gesteine. Die marine Lebenswelt reagierte auf diese Bedingungen mit großer Vielfalt bei gleichzeitig geringer Individuenzahl. Kosmopolitische Elemente, d.h. weltweit verbreitete Arten, dominierten. In der Ökologie werden solche Verhältnisse als stabile Gleichgewichtsbedingungen bezeichnet. In den Szenario auf heutige Verhältnisse übertragbar? Ozeanen blühen pflanzliche und tierische kalkschalige Einzeller (Coccolithophoriden, Foraminiferen) auf, die zu weiträumiger Kalkablagerung auch in den mittleren Breiten führten. Welche Bedeutung hat nun das kreidezeitliche Szenario für die heutige bzw. die zukünftige Welt? Können wir die beschriebenen Lebensbedingungen aus der Treibhauswelt der Kreidezeit auf die Zukunft unseres Planeten übertragen? Wenn sich der seit ca. 1960 dokumentierte Anstieg des CO2-Anteils in unserer Atmosphäre von 310 ppm (1960) auf 365 ppm (2005) weiter fortsetzt, so ist etwa im Jahr 2200 mit kreidezeitlichen CO2-Gehalten (500 ppm1200 ppm je nach Modell) zu rechnen. Über den erhöhten CO2-Gehalt wird ein guter Teil der von der Erde ins Weltall abgestrahlten Energie zur Erde zurückgestrahlt; es kommt zum Treibhauseffekt. Die Temperaturerhöhung wird zum Abschmelzen der Polkappen führen und über höhere Verdunstungsraten den Wasserkreislauf beschleunigen. Ähnlich wie in der Kreidezeit wird das Temperaturgefälle vom Äquator zu den Polen geringer werden, das derzeitige Strömungssystem wird zusammenbrechen. Schwieriger ist es, die Reaktion der Biosphäre abzuschätzen. Es werden sich sicher wieder stabile Gleichgewichtsbedingungen einstellen, die Verbreitung kälteliebender Formen wird signifikant eingeschränkt werden. In den Meeren werden Primärproduzenten mit kieseligem Skelett (Diatomeen) zugunsten von solchem mit kalkigem, also kohlenstoffhaltigem Skelett (Coccolithen) und organisch gewandeten Algen (Dinoflagellaten) zurückgedrängt werden. Es würde also eine ganz andere Struktur der Nahrungsketten in den Meeren entstehen. Geologie kaltes nordatlantisches Wasser Geowissenschaften Rubin 2007 warmes MittelmeerAusflusswasser kaltes antarktisches Wasser Eis 0 2 Antarktis Wassertiefe (km) 1 3 4 5 a 90° N 60° 30° 0° Breite 30° warmes subtropisches Wasser 60° 90° S kühles antarktisches Wasser 1 Antarktis Wassertiefe (km) 0 2 3 4 5 b 90° N 60° 30° 0° Breite 30° 60° 90° S Abb. 9: Ozeanische Strömungssysteme. a) Heute: Kalte Tiefenwasserbildung an den Polen. b) In der mittleren Kreidezeit: Warme Tiefenwasserbildung in den Tropen. Bei nach wie vor vielen Unsicherheiten, Ungenauigkeiten und Fehlern bei der Erfassung und dem Verständnis des kreidezeitlichen Systems bietet diese Zeitscheibe ein gutes Analogon für die mögliche Entwicklung unseres Planeten. Erkenntnisse über vergangene Klimaphasen können z.B. mit Modellierungen der künftigen Klimaentwicklung abgeglichen werden. Vielleicht ist es für Politiker und andere an der Klimadiskussion Beteiligte beruhigend, dass aus der erdgeschichtlichen Perspektive der derzeitige, anthropogen verursachte CO2Ausstoß nicht erheblich ist. Es hat in der Vergangenheit viel extremere Klimabedingungen gegeben, die sich später, aufgrund langfristiger geologischer Prozesse, wieder verändert haben. Auf die Lebens- und Überlebensbedingungen einzelner Organismengruppen haben sich diese Veränderungen aber erheblich ausgewirkt. Prof. Dr. Jörg Mutterlose, Prof. Dr. Adrian Immenhauser, Institut für Geologie, Mineralogie und Geophysik, Sediment- und Isotopengeologie/Geobiologie Anzeige getriebe für den Bereich Wind, Bergbau, Schiffbau, Steine / Erden / Zement, Chemie, Zucker und andere Industrien bis 225 to Stückgewicht Jahnel-Kestermann Getriebewerke GmbH & Co. KG. , 44789 Bochum Tel.: + 49 (0) 234 339-238, email: [email protected] - www.jake-gear.com 12 Geographie Geowissenschaften Rubin 2007 Damit der Salat nicht so schwer im Magen liegt: Schadstoffe im Boden festsetzen Abb. 1: Die eine oder andere Handvoll Boden wandert schon mal in den Mund. Rita Haag Bernd Marschner Ingo Müller Die dreijährige Lena hilft ihrer Oma bei der Salaternte. Die eine oder andere Handvoll Erde wandert dabei in den Mund. Halb so schlimm, denkt die Oma, das haben wir alle früher gemacht. Sie putzt den Salat gründlich und freut sich auf die vitaminreiche Beilage. Doch der Salat enthält nicht nur Gutes, und auch die Erde ist nicht harmlos: Schwermetalle, vor allem Blei und Cadmium kommen mitunter in hohen Konzentrationen im Boden vor. Wie man sie dingfest macht, ohne gleich den ganzen Boden abzutragen, erforschen Bodenökologen der RUB. 13 Geographie Geowissenschaften Rubin 2007 G erade im Ruhrgebiet gibt es viele Schrebergärten, die zur eigenen Versorgung mit Gemüse beitragen. Ist der Verzehr von Produkten aus eigenem Anbau bei der vorliegenden Umweltbelastung denn überhaupt noch gesund? Ist es schädlich für Kinder, wenn beim Spielen im Garten Boden über Mund oder Atemwege aufgenommen wird, fragen viele besorgte Gartenbesitzer. Denn auch wenn Gemüse aus eigenem Anbau sicherlich frischer und oft geschmackvoller als aus dem Supermarkt ist, kann es auch unerwünschte Stoffe enthalten. Hierzu gehören beispielsweise Schwermetalle, vor allem Blei und Cadmium, die sich besonders im Ruhrgebiet in hohen Konzentrationen im Boden nachweisen lassen und von den Pflanzen aufgenommen werden können. Schwermetalle gelangen bei der Bodenbildung je nach Ausgangsgestein auf natürliche Weise in die Böden – mitunter stark ergänzt um Einträge aufgrund menschlicher Tätigkeit, z.B. aus der Schwerindustrie oder dem Autoverkehr. Böden haben ein langes Gedächtnis: Auch nach dem weitgehenden Verschwinden der Belastungsquellen bleiben die Schwermetalle in An Bodenpartikel gebundene Stoffe Futterpflanzen Nahrungspflanzen Oberflächengewässer Nachbarflächen Gelöste Stoffe Grundwasser Abb. 2: Wirkungspfade von Schadstoffen aus den Böden. erhöhten Konzentrationen dem Boden erhalten. Auch hier gilt dosis facet venenum (Die Menge macht das Gift): Erhöhte Schwermetallgehalte können auf Mensch und Umwelt schädlich wirken. Blei etwa kann Nervenschäden hervorrufen und bei Kindern die Gehirnentwicklung beeinträchtigen. Cadmium schädigt Leber und Niere. Seit 1999 gibt es mit dem BundesBodenschutzgesetz (BBodSchG) sowie der dazugehörigen Verordnung (BBodSchV) bundeseinheitliche Re- gelungen zu Schadstoffgehalten in Böden (s. Info 1). Schadstoffe wie Schwermetalle können auf unterschiedlichen Wegen in den menschlichen Körper gelangen und dort Schäden verursachen (s. Abb. 2). Beim so genannten „Direktpfad“ gelangen die Schadstoffe direkt mit dem belasteten Boden beim Verschlucken oder Hautkontakt in den Körper. Dies kann besonders bei Kleinkindern eine Rolle spielen. Indirekte Schadstoffwege führen über info1 Den Boden gesund halten – Gesetzliche Regelungen 14 Ziel des Bundes-Bodenschutzgesetzes (BBodSchG) ist es, nachhaltig die Funktionen des Bodens zu sichern oder wiederherzustellen (§ 1). Der Boden erfüllt im Sinne des § 2 natürliche Funktionen als Lebensgrundlage und Lebensraum für Menschen, Tiere, Pflanzen und Bodenorganismen durch seine Wasser- und Stoffkreisläufe sowie als Abbauund Ausgleichsmedium für Schadstoffe, aufgrund seiner Filter-, Puffer- und Stoffumwandlungseigenschaften, die insbesondere auch zum Schutz des Grundwassers beitragen. verpflichtet (§ 4). Das bedeutet aber nicht, dass Kleingärtner dazu verpflichtet sind, Bodenuntersuchungen durchführen zu lassen. In dem untergesetzlichen Regelwerk, der BundesBodenschutz- und Altlastenverordnung (BBodSchV) sind für verschiedene Schadstoffe konkrete Werte aufgeführt, um schädliche Bodenveränderungen zu beurteilen. Die Überschreitung von Vorsorgewerten deutet dabei auf ein mögliches Entstehen einer schädlichen Bodenveränderung bei weitergehend ungebremster Schadstoffzufuhr hin. Jeder hat sich so zu verhalten, dass schädliche Bodenveränderungen gar nicht erst entstehen können (§ 7, Vorsorgeprinzip). Eine schädliche Bodenveränderung bedeutet dabei die Beeinträchtigung oder Schädigung der genannten Bodenfunktionen. Droht eine schädliche Bodenveränderung oder liegt sie bereits vor, so sind Verursacher, Grundstückseigentümer und –nutzer gleichsam zur Gefahrenabwehr Werden bei Bodenuntersuchungen Prüfwerte überschritten, erfolgt eine weitergehende einzelfallbezogene Untersuchung, die zur Entscheidung führt, ob eine schädliche Bodenveränderung vorliegt. Bei Überschreitung von Maßnahmenwerten liegt in der Regel eine schädliche Bodenveränderung vor und es sind Maßnahmen zur Gefahrenabwehr zu ergreifen. Geographie Geowissenschaften Rubin 2007 Nahrungsmittel wie Obst, Gemüse oder Fleisch und vom Grundwasser über das Trinkwasser zum Menschen. Kleingärtner in Gebieten mit höherer Schadstoffbelastung sind somit mehreren potenziellen Belastungspfaden ausgesetzt. Dabei kann gerade der Verzehr von Produkten aus eigenem Anbau eine –unsichtbare – Belastung darstellen: Gut gewachsenem Gemüse ist es nicht anzusehen, ob in den Pflanzen Schwermetalle angereichert sind (Abb. 3). Die bodenschutzrechtlichen Bewertungsmaßstäbe sind in Bezug auf den Wirkungspfad differenziert. So finden sich Werte für die Beurteilung der direkten Bodenaufnahme z.B. durch spielende Kinder, des Transfers vom Boden in Nahrungsund Futterpflanzen oder der Verlagerung in das Grundwasser. Stoffliche Belastungen von Kulturböden umfassen in Nordrhein-Westfalen meist größere Flächen. Daher scheiden übliche großtechnische Sanierungen, beispielsweise durch Abtragung des kontaminierten Bodens, in der Regel aus. Die Maßnahmen beschränken sich oft auf Restriktionen im Hinblick auf die Flächennutzung, wie Einschränkungen oder Verbote beim Pflanzenanbau. Daher ist man auf der Suche nach alternativen Lösungen. Einen Erfolg versprechenden Ansatz stellt dabei die Inaktivierung von Schwer- Abb. 3: Der Schein kann trügerisch sein: Auch Gemüse, das appetitlich aussieht, kann stark belastet sein. metallen dar. Denn die Aufnahme von Schadstoffen in die Pflanzen ist nicht direkt von ihren Gesamtgehalten in den Böden abhängig, sondern von den mobilen, pflanzenverfügbaren Anteilen der Schwermetalle. Verschiedene chemische Reaktionen steuern die Verteilung von Schwermetallen zwischen Bodenlösung und -festphase und sind somit auch für die Pflanzenverfügbarkeit verantwortlich: Eine Fällung von Schwermetallen tritt ein, wenn das chemische Löslichkeitsprodukt der entsprechenden Schwermetallverbindung überschrit- ten wird. Die Übertragung bekannter Löslichkeitsprodukte aus wässrigen Lösungen auf den Boden ist aber nur bedingt möglich, da die physikalischchemischen Bedingungen in Böden sehr variabel sind. Sorptionsreaktionen, d.h. die Anlagerung von Schwermetallen an und in Bodenpartikel, sind entscheidend für die Bindungsprozesse im Boden. Sorptionsprozesse sind teilweise reversibel und werden deshalb in die dauerhafte, so genannte spezifische, und die weniger persistente unspezifische Sorption untergliedert. Vor Anzeige $ # # """! 15 Geographie Geowissenschaften Rubin 2007 Blei Bleigehalte der Pflanzen in mg/kg Frischmasse Pflanze Kopfsalat 04 Porree Endivie Spinat Sellerie Kopfsalat 06 Chinakohl 0,6 0,5 0,4 0,3 mg/kg Höchstgehalt für Blattgemüse sowie Sellerie 0,3 0,2 0,1 mg/kg Höchstgehalt für anderes Gemüse (Porree) 0,1 0,0 Duisburg Wuppertal Cadmiumgehalte der Pflanzen in mg/kg Frischmasse Cadmium Pflanze Kopfsalat 04 Porree Endivie Spinat Sellerie Kopfsalat 06 Chinakohl 0,6 0,5 0,4 0,3 0,2 mg/kg Höchstgehalt für Blattgemüse sowie Sellerie 0,2 0,1 0,0 Duisburg Wuppertal 0,05 mg/kg Höchstgehalt für anderes Gemüse (Porree) Abb. 4: Blei- (oben) und Cadmiumgehalte (unten) der Pflanzen in den Gärten ohne Zusatz von Materialien sowie die Angaben zu Höchstgehalten nach der EU-Kontaminanten-Verordnung. Alle Angaben beziehen sich auf mg Schwermetall pro kg Frischmasse. Kleingarten- anlage Anzahl Gärten allem die unspezifische Sorption ist stark abhängig vom pH-Wert und dem Redox-Potential in den Böden. Der pH-Wert hat einen wesentlichen Einfluss auf die Mobilität von Schwermetallen. Im zunehmend sauren Bereich nimmt die Löslichkeit für Schwermetalle stark zu. Dabei gibt es Unterschiede zwischen den einzelnen Schwermetallen. Während sich bei Cadmium bereits eine Mobilisierung bei leicht saurem pH-Wert von 6,5 zeigt, wird Blei erst ab pH-Werten von 4,0 mobilisiert. Arsen zeigt hingegen ein Mobilitätsmaximum bei pH 6,5 bis 7. Der optimale pH-Wert, der bei zu sauren Böden über Kalkung erreicht werden kann, sollte also an die vorhandenen Schadstoffe angepasst werden. Eine Komplexbildung, durch die Schwermetalle immobilisiert werden können, findet man bei organischen und anorganischen Substanzen. Es treten vor allem Komplexe zwischen Schwermetallen und organischer Substanz auf, deren starke Bindung durch funktionelle Gruppen von Fulvo- und Huminsäuren verursacht werden. Phosphat, Carbonat, Sulfat und Chlorid sind anorganische Komplexbildner. Da die Komplexe aber gerade in Gartenböden durch die hohe biologische Aktivität abgebaut werden können, eignen sich organische Zusätze nicht für die dauerhafte Fixierung von Schwermetallen in Böden. Durch bestimmte Bodenzusätze lassen sich diese verschiedenen Reaktionen im Boden beeinflussen. Zu den Arsen (As) Cadmium (Cd) Feierabend 6 (Duisburg) 98 ± 38 Zink (Zn) pH-Wert 41 < 25 ± 9 2360 ± 930 6,6 ± 0,1 Varresbeck 6 (Wuppertal) 63 < 2 < 25 ± 5 990 ± 450 6,7 ± 0,1 PW / MW 4002 20002 40/1001 Blei (Pb) 1001 * Prüf- und Maßnahmenwerte der BBodSchV im Hinblick auf: 1 Pflanzenqualität bzw. 2 Wachstumsbeeinträchtigungen Tab. 1: „Mobile“ Stoffgehalte im Oberboden (NH4NO3-Extrakt) und ihre Bewertung nach BbodSchV: Alle Angaben in μg Schwermetall/Metalloid pro kg Boden (Trockenmasse). 16 Abb. 5: Metasorb® – ausgebracht vor der Einarbeitung in das Gartenbeet. Materialien mit hohem und dauerhaftem Immobilisierungspotential gehören Tonminerale, Aluminium-Silikate wie Metasorb® und Zeolith, Phosphate, Kiesschlämme sowie Eisen-, Aluminium- oder Mangan-Oxide. Im Rahmen eines praxisorientierten Projekts der Abteilung Bodenkunde/Bodenökologie des Geographischen Instituts der Ruhr-Universität, das vom nordrhein-westfälischen Ministerium für Umwelt und Naturschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz gefördert wird, haben wir verschiedene Materialien auf ihre Fähigkeit, Schwermetalle im Boden zu fixieren, getestet. Für den Einsatz der Substanzen im Freiland wurden Gärten von jeweils zwei Kleingartenanlagen in Duisburg und Wuppertal ausgewählt, bei denen sowohl in den Pflanzen, als auch in den Böden erhöhte Schwermetallgehalte vorlagen (s. Abb. 4). In einer Wuppertaler Kleingartenanlage stammen die Schadstoffe vor allem aus einer unter den Gärten gelegenen ehemaligen Abfalldeponie. In Duisburg sind vor allem die Staubeinträge aus der Schwerindustrie (z.B. Zinkerzaufbereitung) für die Belastung verantwortlich. In beiden Städten traten in den untersuchten Proben für Cadmium und Blei Überschreitungen auf (s. Tab. 1), und vor allem in Blattsalaten wie Endivie Geographie Geowissenschaften Rubin 2007 Abb. 6: Zwei verschieden Zusatzstoffe und Kontrolle, bepflanzt mit Kopfsalat und Porree (oben) sowie Sellerieernte (rechts). und Kopfsalat variierten die Belastungen stark. In Duisburg lagen z.B. die mittleren Cadmiumgehalte des Porrees und des Selleries über dem zulässigen Höchstgehalt. Pflanzen zeigen unterschiedlich starke Akkumulation, Wurzelgemüse lagern beispielsweise besonders viele Schadstoffe ein. Um die Wirksamkeit verschiedener Bodenzusätze auf die Schwermetallverfügbarkeit zu prüfen, wurden zunächst rund 30 Substanzen im Labor Blattsalat stark belastet getestet. Bodenproben aus den Gärten wurden mit den Zusätzen versetzt und nach drei Wochen der pflanzenverfügbare Schadstoffgehalt gemessen. Die sechs Zusätze, die im Labor die besten Ergebnisse erzielten, wurden dann in den Gärten in einem dreijährigen Feldversuch eingesetzt. Für den Feldversuch qualifizierten sich Wasserwerksschlamm (WS), der beim Kontakt von stark eisenhaltigem Grundwasser mit Sauerstoff durch die Bildung von Eisenoxiden entsteht und deshalb bei der Trinkwasseraufbereitung in großen Mengen als Restprodukt vorliegt; Zeolith (ZEO), ein Mineral, das als Waschmittelzusatz eingesetzt wird; Metasorb ® (MESO, Abb. 5), ein im Handel erhältliches Produkt, das ursprünglich bei der Kohlenrestverwertung anfiel und heute industriell hergestellt wird; Phosphat mit Kalk (P), mit dem vor allem Blei unlösliche Verbindungen bildet; TMT, ein für die Rauchgaswäsche oder zur Behandlung von metallhaltigem Abwasser eingesetztes Trinatriumsalz; Tonmehl (TON) sowie Kombinationen dieser Zusatzstoffe. Die Zusätze wurden intensiv in die obersten 30 cm der Gartenböden eingearbeitet. In jedem Garten wurde ein Teil der Fläche zur Kontrolle unbehandelt gelassen. Da Pflanzen ein stoff-spezifisches Aufnahmeverhalten zeigen, wurden für die Bepflanzung ortstypische Gemüsesorten ausgewählt, von denen teilweise eine Schwermetallanreiche- rung bekannt ist. Im Laufe der Versuchsdauer wurden zweimal Kopfsalat und je einmal Endiviensalat, Sellerie, Spinat, Porree und Chinakohl angebaut (Abb. 6). Nach der Ernte wurde das Gemüse küchenfertig aufgearbeitet und auf seine Schwermetallgehalte untersucht. Durch die Zusätze ließ sich eine Verminderung des Schwermetalltransfers in die Pflanzen um bis zu 50 Prozent erreichen. Allerdings zeigte sich eine große Variabilität innerhalb der Varianten und nicht alle Bodenzusätze erfüllten im Freiland die in sie gesetzten Erwartungen. Beispielsweise verursachte Zeolith (ZEO) eine zusätzliche Schadstoffmobilisierung, vor allem bei Blei (Abb. 7). Für Cadmium und Blei zeigten der Zusatz Wasserwerksschlamm (WS) und Phosphat mit Wasserwerksschlamm (P+WS) relativ gute Erfolge. Parallel zu den Untersuchungen der Pflanzen wurden zur Ernte Boden17 Geographie Geowissenschaften Rubin 2007 Cadmiumgehalte der Pflanzen im Vergleich zur Kontrolle Cadmium Pflanze 140 Kopfsalat Spinat 120 Kontrolle 100 80 60 40 20 0 KO MESO P+WS TON WS ZEO Variante Bleigehalte der Pflanzen im Vergleich zur Kontrolle Blei Pflanze 250 Kopfsalat Spinat 200 150 100 Kontrolle 50 0 MESO P+WS TON WS ZEO Variante Abb. 7: Relative Cadmium- (oben) und Bleigehalte (unten) der Pflanzen im Vergleich zur unbehandelten Kontrolle (=100 Prozent). Abb. 8: „Mobile“, durch Pflanzen aufnehmbare relative Cadmium- (links) und Arsengehalte (rechts) nach Zugabe verschiedener Zusätze im Vergleich zur unbehandelten Kontrolle. „Mobile“ Cadmiumgehalte des Bodens proben entnommen und analysiert, um beide Parameter miteinander in Beziehung setzen zu können. Denn die Pflanzenverfügbarkeit anorganischer Schadstoffe wird nicht nur durch die Schadstoffgesamtgehalte und die Schadstoffeigenschaften bestimmt, sondern auch durch Bodeneigenschaften wie Mineralbestand, pH-Wert und Humusgehalt. Es zeigte sich, dass sich durch die Zusätze die Schwermetallmobilität auch im Boden um bis zu 50 Prozent verringern ließ. Allerdings fand sich eine deutlich größere Variabilität als bei den vorangegangenen Laborversuchen (s. Abb. 8). Die Zusätze Wasserwerksschlamm (WS) und Phosphat mit Metasorb® (P + MESO) verringerten die pflanzenverfügbaren Cadmiumgehalte um bis zu über 40 Prozent. Aber nicht alle Schwermetallmobilitäten wurden gleichermaßen positiv durch die Zusätze verändert: Phosphat in dem Zusatz „P + MESO“ verursachte etwa eine Mobilisierung des Arsens im Mittel um bis zu 120 Prozent. Zink konnte hingegen durch den gleichen Zusatz um über 60 Prozent in seiner Verfügbarkeit verringert werden. Um die Mobilität schädlicher Schwermetalle im menschlichen Körper nach der Bodenbehandlung bei direkter Aufnahme des Bodens über die Verdauung zu testen, analysierten wir zusätzlich im Labor die so genannte Resorptionsverfügbarkeit der Schwerme„Mobile“ Arsengehalte des Bodens 120 250 100 Kontrolle 200 80 150 60 100 40 50 20 0 MESO P+MESO P+WS Variante 18 WS ZEO 0 MESO P+MESO P+WS Variante WS ZEO talle im Vergleich zur unbehandelten Bodenprobe. An einem künstlichen chemischen Magen-Darm-Modell (Abb. 9) konnte die potenzielle Resorptionsmenge von Schwermetallen in den unterschiedlichen Verdauungsabschnitten getestet werden. Dabei zeigte sich, dass durch die Zusätze Im künstlichen MagenDarm-Modell getestet die mögliche Aufnahme von Schwermetallen über den Darm in den Körper bis zu 48 Prozent gesenkt werden konnte. In dem dargestellten Beispiel (Abb. 10) sind die im Darm resorbierbaren Gehalte, links von Cadmium und rechts von Blei dargestellt. In beiden Fällen zeigte TMT die höchste Abnahme der Resorptionsverfügbarkeit um 36 Prozent bei Cadmium und um 48 Prozent bei Blei. Aber auch Eisenoxide (FE), Metasorb® (MESO) und Wasserwerksschlamm (WSL) zeigten Verminderungen der Bleiverfügbarkeit von über 30 Prozent. Die Bindungsformen in den Böden wurden durch die Zusätze also so stark verändert, dass die Wirkung bezüglich des Direktpfads, also die orale oder dermale Aufnahme, abnahm – gute Nachrichten also für besorgte Gärtner. Um mögliche Risiken und weitere Wirkungspfade einschätzen zu können, werden zusätzlich Untersuchungen zum Eintrag der Schwermetalle in das Grundwasser sowie zum Einfluss der Zusätze auf Bodenorganismen durchgeführt. Insgesamt zeigt sich aus den bisherigen Ergebnissen, dass Möglichkeiten zur Immobilisierung von Schwermetallen durch verschiedene Zusätze durchaus gute ErgebKontrolle nisse erzielen, vor allem in Bezug auf die direkte Aufnahme von Boden, etwa durch Kinder. Aber auch bei der indirekten Aufnah- Geographie Geowissenschaften Rubin 2007 Abb. 9: Im Magen-Darm-Modell wurde die Schadstoffaufnahme über die Verdauung im Labor getestet. me über Pflanzen können bestimmte Zusätze über mehrere Jahre hinweg zu deutlichen Verringerungen der Schwermetallgehalte führen. Als vielversprechende Zusätze erwiesen sich vor allem Wasserwerksschlamm und TMT. Nach abschließender Auswertung der Daten und Diskussionen mit Betroffenen, Herstellern und den verantwortlichen Umweltbehörden wird sich zeigen, ob es zur Weiterentwicklung dieser potenziellen Immobilisierungsprodukte zur Praxisreife und damit zur Verfügbarkeit im Handel kommen wird. Zurzeit kann sich zwar theoretisch jeder an ein Wasserwerk wen- den und dort nach den anfallenden Schlämmen fragen, allerdings liegen sie dort meist mit sehr hohem Wassergehalt vor, der Transport und Einarbeitung erschwert. Des Weiteren muss man die örtlichen Schwermetallgehalte des Wasserwerksschlamms berücksichtigen, damit man keine zusätzliche Belastung seines Gartenbodens verursacht. In jedem Fall wird es weiterhin notwendig sein, die Standorteigenschaften und die örtliche Belastungssituation bei der Wahl eines geeigneten Bodenzusatzes zu berücksichtigen, da nicht jeder Zusatz auf jedes Schwer- metall und die Akkumulation im Gemüse die gleiche Wirkung zeigt. Optimal angepasste Zusätze sind auch für andere Anwendungen interessant, z.B. auf landwirtschaftlichen Flächen. Prof. Dr. Bernd Marschner, Dipl. Geogr. Rita Haag, Dr. Ingo Müller, Geographisches Institut, Bodenkunde und Bodenökologie Abb. 10: Im Darm resorbierbare relative Cadmium- (links) und Bleigehalte (rechts) von behandelten Böden im Vergleich zur unbehandelten Kontrolle (Mittelwerte). Cadmium-Resorption im Darm Blei-Resorption im Darm 110 110 100 Kontrolle -12 % 90 -16 % -21 % 80 100 Kontrolle 90 -16 % -18 % -18 % -24 % -27 % -27 % 70 -30 % 70 -36 % 60 60 50 50 -20 % -22 % 80 -23 % -33 % -35 % -32 % -48 % TMT FE P WSIMET P WS TMT TMT Variante WS MESO WSL P WS TMT FE P WSIMET P WS TMT TMT WS MESO WSL P WS Variante 19 Geographie Geowissenschaften Rubin 2007 Qualitätstourismus auf Mallorca: „Ballermann“ war besser Thomas Schmitt Ballermann, Betonburgen, Billigtourismus: Von diesem Negativimage will Mallorca weg, hin zum umweltverträglicheren, hochwertigen und teuren Qualitätstourismus auf einer grünen behüteten Insel. Aber ist der Qualitätstourismus tatsächlich verträglicher als der Massentourismus? Langjährige Studien zur Landschaftsveränderung auf Mallorca zeigen das Gegenteil. Abb. 1: Massentourismus auf Mallorca – Ballermann, Betonburgen und Urlauberschwemme am Strand. Geographie Geowissenschaften Rubin 2007 Abb. 2 links: Bettenburgen säumen die Küsten und prägen das Image der Insel negativ: „Balearisierung“ ist das Phänomen. Abb. 2 rechts: Idyllische Ferienvilla mit eigenem Pool. Das lassen sich Touristen etwas kosten, so hofft man. D ie Urlauberschwemme, die Mallorca seit Beginn der 1960er Jahre in immer größerem Ausmaß überflutete, löste seinen unkontrollierten Bauboom aus. Allein in der Anfangsphase des Tourismus verachtfachte sich die Zahl der Urlauber auf Mallorca von 360.000 (1960) auf über 2,8 Mio. (1973, s. Abb. 3). Die Ölkrise (1973) brachte diese Entwicklung kurzzeitig zum Stillstand; zu Beginn der 1980er Jahre setzte dann die zweite Wachstumsphase mit einer weiteren Verdopplung der Touristenzahlen ein. Die von der Urlauberflut betroffenen Küstenregionen büßten einen großen Teil ihrer Natur- und traditionellen Kulturlandschaft unwiederbringlich ein. Betonburgen säumen die Küsten und repräsentieren diesen Prozess der Landschaftszerstörung, der in der spanischen Fachliteratur als „Balearisierung“ traurige Berühmtheit erlangt hat. Fortgesetzte, auf Billigangebote ausgerichtete Fehlentwicklungen in der Erschließung und Bebauung der Insel lockten eine besondere Urlauberklientel mit gesellschaftlich wenig akzeptierten Umgangsformen an und sorgten dafür, dass Mallorca international zunehmend auf ein „Sonne, Sex und Suff“-Image reduziert wurde. Die Balearenregierung sah dem Imageverlust Mallorcas lange untätig zu. Sie betrieb eine absolute Vorrangpolitik für den Tourismus, aus dem ca. 80 Prozent des Bruttoinlandproduktes der Insel stammen. Ein Umdenken begann erst, als in den ausgehenden 1980er Jahren die Inflation in den Herkunftsländern der Touristen und die wachsende Stärke der spanischen Währung für eine Verteu- erung des Urlaubs auf der Insel und so für ein jähes Ende des Booms sorgte. Der Sturz der Wirtschaftsbilanz weckte den politischen Willen zur Begrenzung des Massentourismus und zur Etablierung von gehobenen, teuren Tourismusformen. Der erste Schritt zu einer umweltverträglicheren touristischen Landschaftserschließung ließ noch bis 1991 auf sich warten, als ein Gesetz zur Bauordnung in speziell ausgewiesenen Schutzgebieten erlassen wurde. Es erscheint zeitgleich mit der Absicht der balearischen Regierung, Kapital aus der Schönheit der noch nicht erschlossenen inneren Inselteile zu schlagen und dort andere, vermeintlich landschaftsschonendere Arten des Tourismus zu etablieren. Seither versucht die balearische Tourismuspolitik mit den Leitmotiven „Naturschutz“ und „Qualitätstourismus“ dem Urlauber ein neues Image zu verkaufen: das einer grünen, naturnahen, behüteten Insel. Doch der Reformprozess wurde vom Zeitgeschehen überrollt: Politische Krisen im östlichen Mittelmeergebiet (z.B. Golfkrise, Balkankrieg) und der eröffnete Markt in den neuen Bundesländern führten ab 1991 zu einer starken Zunahme der Touristenzahlen (vgl. Abb. 3). Erst im Jahr 2000 endete der neue Boom. Mitverantwortlich dafür war sicher die schlechte Presse, die Mallorca aufgrund der Einführung der geringfügigen Ökosteuer erhielt. Sie sollte in Maßnahmen zur Erhaltung von Natur-, Landschaftund Umweltqualität fließen. Es zeigte sich, dass auch und gerade auf Mallorca fromme Wünsche an harten Ökosteuer weg – wieder mehr Touristen wirtschaftlichen Realitäten, Lobbyismus und kurzzeitigem Profitdenken scheitern. Die für die Einführung der Ökosteuer verantwortliche Regierung wurde angesichts der sinkenden Urlauberzahlen abgewählt, die neue Regierung nahm die Steuer umgehend zurück und tatsächlich stiegen die Touristenzahlen wieder an. Handelt es sich bei der vielbeschworenen Absicht zur Abkehr vom Mas21 Geographie Geowissenschaften Rubin 2007 Anstieg der Touristenzahlen Mio. 9,0 30% 8,5 8,0 20% 7,5 7,0 6,5 Touristenzahl 5,5 5,0 0% 4,5 4,0 3,5 Wachstumsrate 10% 6,0 -10% 3,0 2,5 2,0 -20% 1,5 1,0 0,5 -30% 0,0 60 62 64 66 68 70 72 74 76 78 80 82 84 86 88 90 92 94 96 98 00 02 04 jährliche Wachstumsrate Jahr Touristenzahl Abb. 3: In den vergangenen 45 Jahren sind die Touristenzahlen auf Mallorca explodiert. Rückgänge waren vorübergehend durch die Ölkrise (1973), durch wirtschaftliche Entwicklungen in Europa Ende der 1980er Jahre und bei Einführung der Ökosteuer im Jahr 2000 zu verzeichnen. sentourismus etwa nur um ein Lippenbekenntnis? Wenn ja, welchen Sinn könnte es haben? Die planlose Bautätigkeit, die das Negativimage der Insel mitbestimmte, führte in den touristischen Ausbauzonen nicht nur zur Bedrohung und Vernichtung der Umweltqualität, sondern damit auch zur Zerstörung der touristischen Qualität. Dem begegnete man mit der Erschließung neuer Räume von noch hoher Güte und integrierte so immer größere Teile der Insel in den zerstörerischen Kreislauf „Erschließung – Qualitätsverlust – massentouristisches Billigziel“. Die touristische Überprägung von weiten Teilen ihrer Insel hat bei der mallorquinischen Bevölkerung in den 1980er und 1990er Jahren ein ausgeprägtes Bewusstsein für die notwendige Begrenzung des Tourismus geschaffen. Die Einbeziehung neuer Räume in die 22 touristische Erschließung – eine unausweichliche Notwendigkeit bei der Etablierung des Qualitätstourismus – konnte in der Bevölkerung nur Rückhalt finden, wenn der Eindruck vermittelt wurde, dass dies ein probates Mittel zur Begrenzung des Massentourismus ohne finanzielle Einbußen ist. Sollte hier der Sinn des Lippenbekenntnisses liegen? Das Konzept des in den 1990er Jahren aufstrebenden mallorquinischen Qualitätstourismus baut auf die Erneuerung und größere Vielfalt des Urlaubsangebotes mit abwechslungsreichen Angeboten abseits des klassischen Badetourismus und verfolgt die Dezentralisierung des Tourismus. Das neue Angebot ist qualitativ hochwertig, d.h. vor allem teuer: Die Anlage von Golfplätzen (Golftourismus), Yachthäfen (Nautischer Tourismus) und Zweitwohnsitzen (Residenzial- tourismus) gehen mit der die Entwicklung eines hochrangigen Hotellerie- und Gastgewerbes einher. Aber ist diese Art des touristischen Angebots wirklich umweltschonender? Unsere intensiven Studien zum Landschaftswandel auf Mallorcazeichnen ein anderes Bild: Es handelt sich ganz im Gegenteil um eine hochgradig landschaftsverändernde und ökologisch nachteilige Form des Tourismus mit höchsten Flächenansprüchen. Da sich die bestehenden massentouristischen Zentren für einen Qualitätstourismus nur begrenzt eignen, greift die Etablierung des Angebots zwangsläufig auf noch nicht erschlossene Räume über. Dabei entfaltet der Nautische Tourismus sein zerstörerisches Potenzial hauptsächlich in den Meeres- und Küstenökosystemen. Hafenanlagen mit weit ins Meer hineinragenden Molen verändern natürliche Strömungen und führen zur Erosion von Sandstränden. Durch den Golf-, vor allem aber durch den Residenzialtourismus steigt der Landschaftsverbrauch drastisch an: Während sich der Bau von Zweitwohnsitzen in den 1980er Jahren noch fast ausschließlich auf die Küsten konzentrierte, ist heute die intensive residenzielle Erschließung des landwirtschaftlich geprägten Inselinnern und des Gebirges (Serra Tramuntana) unverkennbar. Der Residenzialtourismus ist unter ökologischen Aspekten und aus Sicht des Landschafts- und Naturschutzes die wohl aggressivste Tourismusform auf Mallorca und zugleich die einzige, die noch immer völlig ohne Planung verläuft. Allein marktwirtschaftliche Gesetze von Angebot und Nachfrage bestimmen seine Entwicklung und bedingen eine exzessive Zunahme an Zweitresidenzen mit einem entsprechenden Verbrauch der Umweltressourcen Landschaft, Boden und Wasser. Die Volkszählung 2001 erbrachte, dass die Anzahl der Zweitwohnsitze in einigen Gemeinden die der Hauptwohnsitze übersteigt (Abb. 4). Verständlicherweise wächst in der einheimischen Bevölkerung sicht- und hörbar die Ablehnung gegen den „Ausverkauf Mallor- Geographie Geowissenschaften Rubin 2007 cas“ und gegen eine weitere kulturelle Überfremdung ihrer Gemeinden. Ein repräsentatives Beispiel für den hohen Landschaftsverbrauch durch den Residenzialtourismus ist die Gemeinde Calvia im Südwesten der Insel (Abb. 5a u. b). Hier lassen sich mit dem Golf- und dem Nautischen Tourismus zwei weitere Formen des Qualitätstourismus identifizieren. Der gravierende Landschaftswandel nahm etwa 1990 mit der Anlage des ersten Golfplatzes und dem Ausbau von Zweitwohnsitzen seinen Anfang. Bis 2004 entstanden in der Gemeinde Calvia fünf der insgesamt 18 Golfplätze Mallorcas und über 20.000 Zweitwohnsitze. Der Landschaftsverbrauch macht sich bemerkbar im Verlust von typischen Elementen und Biotopen des klassischen mallorquinischen Landschaftsbildes, z.B. von Kiefernwäldern, Garrigue (Strauchheiden), Macchie (Gebüschformationen) und traditionellen landwirtschaftlichen 2°30‘ ö.L. Nutzflächen (z.B. Oliven- und Mandelhaine) sowie von natürlichen Steilküsten (Abb. 6). An ihre Stelle sind bebaute Flächen und urbane Freiflächen getreten. Die Erholungsfunktion der Landschaft (touristisches Potenzial) sowie ihre Lebensraumfunktion für Zahl bedrohter Arten steigt Flora und Fauna (Naturschutzpotential) sind in allen vom Residenzialtourismus geprägten Arealen der Insel nachweislich drastisch zurückgegangen. Dadurch sinkt die Biodiversität der Insel und die Roten Listen der gefährdeten und vom Verlust bedrohten Biotope, Tier- und Pflanzenarten wachsen sprunghaft an. Aber damit nicht genug: Auch auf eine Vielzahl anderer Umweltaspekte wirkt sich der Qualitätstourismus negativ aus. Dies gilt insbesondere für die Wasserressourcen. Trotz 3°00‘ ö.L. der bereits in den 1980er Jahren sehr angespannten Trinkwassersituation sind die beiden folgenden Jahrzehnte durch einen steten Anstieg von Förderung und Verbrauch gekennzeichnet. Die Höhe des Wasserverbrauchs korreliert eng mit dem touristischen Erschließungsgrad der Gemeinden und der vorherrschenden Tourismusform. Viele der ländlichen Gemeinden verzeichnen nur einen Pro-KopfVerbrauch von weit weniger als 100 l Wasser pro Tag (Abb. 7), während der Konsum in zahlreichen touristischen Gemeinden, so auch in Calvia mit seinen vielen Zweitwohnsitzen, auf mehr als 250 l pro Kopf und Tag ansteigt und gelegentlich sogar über 400 l liegt (z.B. in Alcudia und Son Servera, wo, wie in vielen Küstengemeinden auf Mallorca Massen- und Qualitätstourismus nebeneinander existieren). Zwar liegen keine exakten Daten über den Anteil des Qualitätstourismus am Wasserverbrauch vor, aber 3°30‘ ö.L. Anteil der Zweitwohnsitze in Prozent < 30 30-40 40-50 50-60 >60 39°30‘ ö.B. 39°30‘ ö.B. Gemeindegrenze 0 5 10 km Datengrundlage: Govern de Illes Balears 2002 Abb. 4: In Gemeinden wie Calvia und Andratx im Südwesten der Insel liegt der Anteil von Zweitwohnsitzen bei über 60 Prozent. Nach einer internen Studie der Universität der Balearen ist durch den Verkauf von Zweitwohnsitzen bereits ein Fünftel der Inselfläche in ausländisches, überwiegend deutsches Eigentum gelangt. In vielen Gemeinden beträgt der Anteil von europäischen Ausländern an der Wohnbevölkerung zwischen 10 und 15 Prozent, in Gemeinden der Küste sogar bis zu 20 Prozent und mehr. 23 Geographie Geowissenschaften Rubin 2007 1990 1968 Abb. 5a: Ein Vergleich von Luftbildern vom Puig de sa Sirvi (Gemeinde Calvia) südlich von Santa Ponsa aus den Jahren 1968, 1990 und 2004 (S. 25) lässt auf den ersten Blick das Schrumpfen der Natur- und Kulturlandschaft zugunsten des Qualitätstourismus erkennen. Inselverwaltung und Forscher sehen ihn als erheblich an. Besonders kritisch sind Residenzial- und Golftourismus. Vor allem die bei Zweitwohnsitzen üblichen Poolanlagen und die ganzjährige Gartenbewässerung, aber auch die Bewässerung von Golfplät- zen führen zu einem Pro-Kopf-Verbrauch der Residenzial- und Golftouristen, der weit über dem Wasseranspruch „herkömmlicher Touristen“ liegt. So entspricht der tägliche Wasserbedarf eines Golfplatzes von bis zu 2000 cbm dem Tagesverbrauch eines Biotoptypen 0,1 0,0 Flachküsten 21,5 18,1 Steilküsten Triften, Garigue und Macchie Wälder 89,8 38,4 landwirtschaftl. Nutzflächen 0,0 0,3 3,1 Brachflächen/Ödland 10,0 15,2 Urbane Freiflächen 31,6 14,8 Bebaute Flächen 74,7 0,4 2,5 Freizeitflächen 1968 in ha 1998 in ha 47,5 29,6 0 10 20 30 40 50 60 70 80 ha 90 100 Abb. 6: Der Vergleich der Biotoptypen am Puig de sa Sirvi zwischen 1968 und 1998 zeigt einen deutlichen Rückgang natürlicher Elemente wie Wälder, Steilküsten, Garrigue (Strauchheiden) und Macchie (Gebüschformationen) zugunsten bebauter Flächen und urbaner Freiflächen wie z.B. Grünanlagen, Spielplätze, Golfplätze. 24 Ortes mit ca. 8000 Einwohnern. Die Grundwasserentnahme hat zwischen 1989 und 1999 mit 20 Mio. cbm um 23 Prozent zugenommen mit heute noch steigender Tendenz. Ein Vergleich der Luftbilder (s. Abb. 5a) verdeutlicht den Beitrag des Residenzialtourismus an dieser Entwicklung. Er zeigt nicht nur die enorme Zunahme an zu bewässernder Gartenfläche, sondern auch die Zunahme der Zahl der Pools von 173 im Jahr 1990 auf 634 im Jahr 2004. Residenzialund Golftourismus sind maßgeblich dafür verantwortlich, dass der Wasserverbrauch in der Gemeinde Calvia in den Monaten Juli/August mit fast 3000 cbm etwa doppelt so hoch ist wie in den Wintermonaten (Abb. 8). Das ökologische Gleichgewicht von Grundwasserneubildung und Grundwasserentnahme ist auf Mallorca auf lange Sicht verloren. Die Ausbeute des Grundwassers führte bereits in den 1990er Jahren zur Absenkung des Grundwasserspiegels und Einsickerungen von Meerwasser ins Grundwasser. In der Folge liegt der Salzgehalt des Wassers aus den Brunnen im gesamten Becken von Palma und auch andernorts bei bis zu 5000 mg/L (Der WHO-Grenzwert für gesundheitlich unbedenkliches Wasser liegt Geographie Geowissenschaften Rubin 2007 2004 Abb. 5 b): Der erste Golfplatz in Santa Ponsa, 1990: Heute ist die Zufahrtsstraße vierspurig und Zweitwohnsitze reihen sich entlang der Straße. Anzeigen &ALCK (ERRMANN -OHRMANN 7IRTSCHAFTSPRàFER 3TEUERBERATER &ACHANWALTFàR 3TEUERRECHT "AHNHOFSTRAE (ERNE 4ELn &AXn INFO HERNESTEUERNDE WWWHERNESTEUERNDE 25 Geographie Geowissenschaften Rubin 2007 2°30‘ ö.L. 3°00‘ ö.L. 3°30‘ ö.L. Wasserverbrauch in Liter pro Kopf/Tag < 100 100-149 150-199 200-249 250-299 ≥ 300 39°30‘ ö.B. 39°30‘ ö.B. Gemeindegrenze 0 5 10 km Datengrundlage: Blazquez et al. 2002 Abb. 7: Während der Wasserverbrauch in einigen ländlichen Gebieten des Inselinneren bei weniger als 100 Liter pro Kopf und Tag liegt, beträgt er in Gemeinden mit vielen Zweitwohnsitzen und Golfplätzen z.T. mehr als das Dreifache. bei 250-500 mg/L, bis 1000 mg/L ist Wasser noch trinkbar. Danach bestehen Gefährdungen für den Wasserund Stoffhaushalt der Zellen). Die seit 2000 in der Bucht von Palma betriebene Meerwasserentsalzungsanlage entschärft zwar die Situation. Man darf aber nicht vergessen, dass die Versorgung mit dem elementarsten „Lebensmittel“ in Abhängigkeit von einer Hightech-Anlage geraten ist. Ökologisch sinnvoll und raumplanerisch verantwortungsvoll wäre es, die Wassersituation als natürlichen Wasserverbrauch Wassereinspeisung x 1000 cbm 3.000 2.500 2.000 1.500 1.000 500 0 Januar/ Februar März/ April Mai/ Juni Juli/ August September/ November/ Oktober Dezember Abb. 8: Der Tourismus sorgt dafür, dass der Wasserverbrauch in der Gemeinde Calvia in den Sommermonaten doppelt so hoch ist wie im Winter. 26 begrenzenden Faktor der Bevölkerungs- und Beherbergungskapazität Mallorcas anzusehen. Unter diesem Aspekt hätte die Bevölkerungsund Siedlungsentwicklung auf Mallorca ihre Grenzen längst erreicht. Aber angetrieben von den vermeintlich lockenden hohen Gewinnen aus dem Qualitätstourismus sehen die im März 1999 erlassenen Richtlinien zur Raumordnung eine Bebauungsdichte vor, die eine potentielle Einwohnerzahl von 4,2 Mio. ermöglicht. Derzeit beträgt die Einwohnerkapazität Mallorcas, d.h. die Zahl der permanenten und temporären Bewohner 1,45 Mio. Die angestrebte Bebauungsdichte kalkuliert also mit einer maximal möglichen Bevölkerungskapazität, die das Sechsfache der aktuellen permanenten Bevölkerung und das Dreifache der gegenwärtigen Einwohnerkapazität beträgt. Bei vollständiger Umsetzung der Bebauungsrichtlinie hätte Mallorca somit eine potentielle Bevölkerungsdichte von 800 EW/ qkm. Die Insel würde damit mitteleuropäische Länder wie Deutschland Geographie Geowissenschaften Rubin 2007 (230 EW/qkm) oder die Niederlande (380 EW/qkm) bei weitem übertreffen. Diese „Planung“, die sich weder an der sozialen Tragfähigkeit der Insel noch an der ökologischen orientiert, birgt für Mallorca die realistische Gefahr des tiefen ökonomischen Einbruchs, wenn nicht sogar des Zusammenbruchs. Unterzieht man den mallorquinischen Qualitätstourismus also einer kritischen Bewertung, zeigt sich deutlich, dass es sich hierbei mit Ausnahme des Agrotourismus (Ferien auf dem Bauernhof) absolut nicht wie stets propagiert um eine umweltverträgliche Alternative zum Massentourismus handelt. Der Begriff „Qualität“ bezieht sich nicht auf die Berücksichtigung von Belangen des Naturund Umweltschutzes in der Tourismusplanung, sondern charakterisiert allein das Prestige und die Finanzkraft dieser Urlaubsform. Die Anfang der 1990er Jahre unter dem Motto „Förderung eines Qualitätstourismus“ begonnene Begrenzungspolitik bestand in Absichtserklärungen zur Limitierung der Urlauberzahlen im Billigtourismus, verfolgte aber zu keiner Zeit die dringend notwendige räumliche Begrenzung des Tourismus. Die Fehler der massentouristischen Erschließung werden dabei auf hohem Preis- und Prestigeniveau wiederholt. Vorhaben wie der geplante Ausbau des Flughafens Palma (jähr- liche Abfertigungskapazität ab 2015: 38 Mio. Passagiere), der 133 Mio. Euro teure, von nur 6,9 Prozent der Bevölkerung gebilligte Bau der Autobahntrasse Inca-Manacor, die Anlage eines zweiten Autobahnrings um Palma und die Aufhebung des Bauverbots in besonders geschützten Inselteilen versetzen die Insel zurück in die 60er Jahre. Die mallorquinische Fehler auf hohem Niveau wiederholt Tourismuswirtschaft ist dabei, ihr grundlegendes Wirtschaftsgut und -kapital, die Insellandschaft mit ihrem Natur- und Erholungspotenzial, ersatzlos zu verspielen. Es drängt sich die Frage auf, zahlt sich diese unverantwortliche Vorgehensweise wirtschaftlich aus? Nein! Die Mehreinnahmen aus dem Qualitätstourismus stehen in keinem Verhältnis zu den monetären und ökologischen Kosten ihrer Etablierung. Die Wirtschaftbilanz der Balearen belegt für 2001 einen Anteil des Golftourismus von 1,9 Prozent und des Nautischen Tourismus von 4,4 Prozent am Gesamteinkommen aus dem Tourismus. Für den Residenzialtourismus liegen keine Daten vor, es ist aber von ähnlichen Größenordnungen auszugehen. Der große Unterschied zwischen traditionellem Massen- und neuem Prestigetourismus besteht da- rin, dass der Massentourismus sehr viel höhere Einnahmen bei gleichzeitig sehr viel geringerem Landschaftsverbrauch erzielt. Unter ökologischen Aspekten war der pure Massentourismus aufgrund seiner räumlichen Beschränkung eindeutig umweltverträglicher als das mallorquinische Modell des Qualitätstourismus, das landschaftlich und ökologisch zerstörerisch wirkt und daher auch ein enormes ökonomisches Schadpotenzial in sich birgt. Eine bessere Lösung als die Erschließung immer neuer Gebiete für den Tourismus wäre die Qualitätsverbesserung in bestehenden Gebieten mit dem Ziel gleich bleibender Gästezahlen. Optische Verbesserungen im Ortsbild und die Aufwertung der Hotelqualität könnten die bisherigen Massenziele wieder attraktiver machen. Gelingt es nicht, auch den „Qualitätstourismus“ rasch und räumlich möglichst eng zu begrenzen, dann könnte es sein, dass Mallorca keine Zukunft hat, sondern nur eine Gegenwart, die sich sehr schnell in eine dunkle Vergangenheit verwandeln könnte. Prof. Dr. Thomas Schmitt, Geographisches Institut, Landschaftsökologie und Biogeographie Anzeigen +500,5.'3+Ä(,%2 $ORTMUND :UM,ONNENHOF 4ELEFON 4ELEFAX %-AILINFO WEGIMADE )NTERNETWWWWEGIMADE 27 Mineralogie Geowissenschaften Rubin 2007 Abb. 1a: Tropfsteinhöhlenpracht – über Jahrtausende hinweg hat das Wasser Kalkstein aus Gesteinsformationen herausgelöst und in dieser Höhle bizarre Formen bildend wieder abgeschieden. Effektiver läuft das unter den Druck- und Temperaturbedingungen in der Tiefe ab (s. Abb. 1b ). Von hohen Löslichkeiten in tiefer Erde: Des Wassers steinerne Fracht Walter V. Maresch Michael Burchard Thomas Fockenberg 28 Noch bevor Gestein in großer Erdtiefe zur heißen Schmelze wird, kann seine Löslichkeit in Wasser extrem zunehmen. Ob wässrige Lösungen möglicherweise fließfähige Kanäle verursachen können, die sich Hunderte von Kilometern unter den großen Faltengebirgen dahinziehen, ist heute noch Spekulation. Mit aufwändigen technischen Verfahren erkennen Mineralogen anhand winziger Kristalle im Laboratorium Schritt für Schritt die tatsächlichen Bedingungen in Erdtiefen, in die keine Bohrung reicht. Mineralogie Geowissenschaften Rubin 2007 „S teter Tropfen höhlt den Stein“: Diese Volksweisheit ist beim Anblick der tiefen Klamm eines Gebirgsbachs nicht von der Hand zu weisen. Steht man jedoch in einer Tropfsteinhöhle, liegt die Sache anders. Von der Decke wachsen Stalaktiten den Stalagmiten vom Boden entgegen. Der Tropfen, der sich gelegentlich von oben löst, „höhlt“ aber nicht, er scheidet gelösten Kalkstein (Kalziumkarbonat, CaCO3) ab. Diese Fracht hat das langsam sickernde Wasser über viele Jahre bis Jahrtausende entlang von Rissen und Spalten aus dem umgebenden Kalkstein herausgelöst und hierher gebracht. Als gesättigte Lösung könnte das Wasser eine maxi- mehr als das kalte Wasser des Atlantiks. Für viele Feststoffe gilt, dass die Löslichkeit in Wasser mit der Temperatur steigt. Die meisten Gesteine der Erdkruste bestehen aber nicht aus Kalkstein oder Salz, sondern aus wenigen Arten so genannter gesteinsbildender Silikatminerale. Deren atomares Gerüst ist vor allem aus Silizium (Si) und Sauerstoff (O) aufgebaut. So erreicht der Anteil an SiO2 (Siliziumdioxid) in den Gesteinen der kontinentalen Kruste mehr als 70 Gewichtsprozent. Wasser tritt in solchen Gesteinen nicht nur als tatsächlich freies H2O in Hohlräumen und als dünne Wasserschichten von wenigen Moleküllagen an Korngrenzen zwischen Abb. 1 b: Hier erreichte die Löslichkeit des Minerals ein Vielfaches des Kalksteins an der Erdoberfläche: Bruchstück eines mit dem Mineral Disthen (Al2SiO5) gefüllten Gangs im Schiefer. Der bläuliche Disthen kristallisierte in der Tiefe aus einer heißen wässrigen Lösung aus, die eine Kluft im Gestein (schematisch dargestellt) durchströmte. male Menge an CaCO3 mit sich führen, doch bei Höhlentemperaturen lösen sich höchstens 0,01 bis 0,02 Gewichtsprozent des Kalziumkarbonats. Das sind 1 bis 2 Tausendstel Gramm pro Liter Wasser. Zum Vergleich: in einem Liter Cola wirken 110 Gramm Zucker (11 Gewichtsprozent!) auf die Zähne ein. Warmes Meerwasser aus dem Pazifik kann bis zu 36 Gramm Salze pro Liter (3,6 Gewichtsprozent) enthalten und damit deutlich Mineralkörnern auf, „Bruchstücke“ von H2O-Molekülen (wie OH-) können auch in das Atomgitter der Silikatminerale selbst eingebaut werden. Mit zunehmender Erdtiefe steigen Druck und Temperatur. Die Gesteine werden weniger porös. Das freie Wasser sammelt sich, wandert meist nach oben und durchfließt seichtere Gesteinsverbände. Minerale mit „eingebautem“ Wasser werden mit zunehmender Erdtiefe instabil, auch dieses Wasser wird freigesetzt. Silikatminerale sind unter Oberflächenbedingungen viel weniger löslich als das Kalziumkarbonat der Kalksteine, aber wie wird die Löslichkeit silikatischer Gesteine mit zunehmender Erdtiefe durch steigende Temperaturen und Drücke beeinflusst? Wir wissen heute mit einiger Zuverlässigkeit, wo wir Wasser und wässrige Lösungen auch in größeren Tiefen erwarten können (s. Abb. 2), besitzen bislang Wo in der Tiefe Wasser ist aber nur rudimentäre Kenntnisse über die Löslichkeiten der Silikatminerale. Wie setzen sich die wässrigen Lösungen je nach vorliegendem Gestein zusammen und wie ist ihre atomare Struktur? In welchem Maße kann Gestein in der Erdtiefe gelöst und von einem Ort zum anderen transportiert werden? Diesen Fragen geht unsere Arbeitsgruppe im Rahmen des Sonderforschungsbereichs 526 „Rheologie der Erde: von der Kruste bis in die Subduktionszone“ nach (s. Profil, S. 64). Die Rheologie beschreibt das Verformungs- und Fließverhalten von Gestein in der Tiefe. So kann sich Granit bei den Druck- und Temperaturbedingungen in 10 bis 15 Kilometer Tiefe plastisch verhalten und langsam mit Geschwindigkeiten von bis zu Zentimetern pro Jahr „fließen“, obwohl sich das gleiche Gestein etwa als Arbeitsplatte durch besondere Härte auszeichnet und unter Einwirkung eines Hammers spröde in Bruchstücke zerspringen würde. Der Fließvorgang ist auf atomarer Ebene hochkomplex und wird durch wässrige Lösungen entscheidend beeinflusst. Er hinterlässt oft deutliche Verformungsspuren, aber beteiligte wässrige Lösungen sind nicht mehr nachweisbar, wenn das Gestein an die Erdoberfläche gelangt. Dennoch austretende Lösungen haben ihre gelöste Fracht unter immer geringer werdenden Temperaturen und Drücken auf dem Weg zur Oberfläche verloren. Da Bohrungen gerade 10 bis 12 km Tiefe erreichen können, ist eine direkte 29 Mineralogie Geowissenschaften Rubin 2007 Kontinent – Kontinent Kollision Tiefgreifende Störungszone Gebirge Kreislauf von wässrigen Lösungen wässrige Lösungen Ozean – Kontinent Kollision Magmenaufstieg Erdkruste 0 km Erdmantel bi s8 wässrige Lösungen und die wir als Erdbeben wahrnehmen können, auf die rheologischen Eigenschaften der Gesteine zurück. Bei der Erforschung des Verformungs- und Fließverhaltens der Gesteine in der Erdtiefe stellt das Verständnis der Beschaffenheit wässriger Lösungen einen wichtigen Baustein dar. Die größten Quellen wässriger Lösungen in der Erdtiefe sind in den Kollisionszonen Kontinent/Kontinent und Kontinent/Ozean, wo oberflächennahe Gesteine in die Erde abtauchen, und in tiefgreifenden Störungszonen (z.B. 00 Abb. 3: Die Löslichkeit von Kalifeldspat (KAlSi3O8) in Abhängigkeit von Druck und Temperatur. Die Linien stellen eine mathematische Anpassung an die experimentellen Datenpunkte dar. Löslichkeit Kalifeldspat Experimenteller Fehler 2.0 2.5 4 350 o00 oC C 24 450 o C 28 500 o C 20 300 o C Ferndiagnose in unerreichbare Tiefen San-Andreas-Verwerfung, S. 36) zu erwarten (s. Abb. 2). In der Erdkruste sind Hohlräume mit freiem Wasser nur in der spröden Oberkruste bis zu Tiefen von 10-15 km vorhanden. Darunter verhält sich das Gestein eher plastisch („fließfähig“): Die Hohlräume schließen sich, die wässrigen Lösungen werden quasi als bewegliche Wasserfilme entlang den Grenzen der Mineralkörner des Gesteins herausgequetscht. In den Kollisionszonen (Abb. 2) schiebt sich wieder frisches, wasserreicheres Gesteinsmaterial von oben in die Tiefe. So können komplexe aufwärts/abwärts Kreisläufe von wässrigen Lösungen ablaufen. Zur theoretischen Beschreibung und Vorhersage der Eigenschaften wässriger Lösungen in unerreichbaren Erdtiefen können spezielle ModellVerfahren in Kombination mit empi- 550 o C Untersuchung darunter befindlicher wässriger Lösungen nicht möglich. Die konkrete Beschaffenheit dieser „flüchtigen Verdächtigen“ kann somit nur durch Analogexperimente im Labor herausgefunden werden. Letztendlich gehen die Plattenbewegungen der äußeren Erde, von denen die „Drift“ der Kontinente oder die großen Gebirgszüge der Welt zeugen Abb. 2: Wasser wird bevorzugt an Kontinent/Kontinent- und Kontinent/Ozean-Kollisionszonen in die Tiefe verfrachtet. In tiefgreifenden Störungszonen können sich „abwärts/aufwärts“ Strömungskreisläufe bilden. 600 oC ozeanische Kruste innerer Erdkern Gew-% Feldspat obere kontinentale Kruste 30 äußerer Erdkern 51 Ki untere kontinentale Kruste 29 00 lo Tie m fe et i er n n 8 Erdmantel Vulkankette 16 12 8 4 0 0 0.5 1.0 1.5 Druck (Gpa) 3.0 Mineralogie Geowissenschaften Rubin 2007 35 30 0 0,02 3,6 1 2 11 3 Al2O3 (1,5 GPa/600oC) 5 SiO2 (1,5 GPa/600oC) 10 SiO2 (1 bar/25oC) 15 Cola 20 0,0006 2,8 0,003 4 5 6 Kalifeldspat (1,5 GPa/600oC) 30 25 Meerwasser Dabei liegt das besondere Augenmerk auf kleinsten Gewichtsänderungen im Mikrogrammbereich von Kristallen vor und nach den Hochdrucklösungsversuchen. Wir haben bislang die Löslichkeiten ausgehend von einfach zusammengesetzten Mineralen bis zu zunehmend komplexeren Verbindungen sowie Gemengen von mehreren Mineralen (als Modell für natürliche Gesteine mit mehreren Mineralphasen) systematisch bestimmt. Die Experimente wurden bis 5 GPa Druck (50.000facher Atmosphärendruck/entspricht rund 165 km Erdtiefe) und Temperaturen bis zu 850°C durchgeführt. Derzeit liegen Löslichkeitsdaten für zehn Mineralarten vor: vom chemisch einfachen Quarz (SiO2) bis hin zu komplexen Mineralphasen wie Tremolit (Ca2Mg5Si8O22(OH)2). Manche Minerale erwiesen sich als kaum löslich. So enthält etwa Wasser im Kontakt mit Korund (Al2O3) bei allen untersuchten Druck-Temperatur-Bedingungen nur wenige Tausendstel Gramm Al2O3 pro Liter (< 0,02 Gewichtsprozent). Dies sollte für alle Träger von Saphir- bzw. Rubinschmuck - beide sind Varietäten von Korund - beruhigend sein. Aus Quarz lösen sich bei Raumtemperatur und Atmosphärendruck gerade noch 0,006 Gramm je Liter (0,0006 Gewichtsprozent SiO2). Damit können auch unsere Fensterscheiben und Trinkgläser - SiO2 ist Hauptbestand- studien (Abb. 4). Bei 600°C und 1,5 GPa lösen sich im Wasser nur 0,003 Gewichtsprozent Al2O3, bereits 2,8 Gewichtsprozent SiO2, aber 30 Gewichtsprozent Kalifeldspat, obwohl dieser vorwiegend aus Al2O3 und SiO2 besteht. Offensichtlich lassen sich die Löslichkeiten der einzelnen Bestandteile nicht einfach addieren, um die Zusammensetzung einer wässrigen Lösung zu bestimmen. Bereits der mit Disthen (Al2SiO5) gefüllte kleine Gang in Abb. 1b lässt erahnen, dass Löslichkeiten im Vergleich Höhlenwasser 1000faches des Höhlenwassers in Erdtiefe gelöst teil von Glas – keinen Schaden nehmen! Ein überraschend anderes Bild zeigt sich bei den Kalifeldspäten (KAlSi3O8, s. Abb. 3), einer Varietät der Feldspäte, die eine der wichtigsten Mineralgruppen überhaupt darstellen und bis zu zwei Drittel des Volumens der Erdkruste aufbauen. Die Löslichkeit des Kalifeldspats steigt bei 600°C und 1.5 GPa (15.000facher Atmosphärendruck/ entspricht etwa 50 km Erdtiefe) auf beeindruckende 30 Gewichtsprozent oder 300 Löslichkeit (Gew. %) rischen Gleichungen benutzt werden. Doch diese Ansätze sind nur bei sehr niedrigen Drücken anwendbar. Für eine alternative Modellierung zum herkömmlichen Verfahren fehlte bislang ein zuverlässiger experimenteller Datensatz. Aufgrund langjähriger Erfahrungen mit Hoch- und Höchstdruckuntersuchungen bis 7 Gigapascal (ca. 70.000facher Atmosphärendruck/entspricht ca. 250 km Erdtiefe) am Lehrstuhl für Petrologie konnten wir die dafür erforderlichen Versuche in Angriff nehmen, und haben dabei zugleich Neuland betreten (s Info 1). 7 Abb. 4: Säulendiagramm zum Vergleich von Löslichkeiten bei oberflächennahen Bedingungen (Höhlenwasser, Meerwasser, Cola, SiO2) und bei Bedingungen der Erdtiefe (SiO2 , Al2O3 , Kalifeldspat). Gramm des Gesteins pro Liter Wasser an, d.h. in dieser Lösung ist dreimal soviel Stoff gelöst wie Zucker in Coca Cola und mehr als das Tausendfache des im Höhlenwasser gelösten Kalziumkarbonats. Mit dem Bild der Tropfsteinhöhle vor Augen stellt sich das potentielle Lösungsvermögen von Wasser gegenüber feldspatreichen Gesteinen in diesen Tiefen als enorm heraus. Der direkte Vergleich der Ergebnisse für Korund (Al2O3), Quarz (SiO2), und Kalifeldspat (KAlSi3O8) bei gleichen Druck- und Temperaturbedingungen veranschaulicht eines der wichtigsten Ergebnisse der Löslichkeits- selbst bei geringer Al2O3-Löslichkeit die Mutterlösung reich an Al2O3 gewesen sein muss. Unsere Ergebnisse mit Kalifeldspat zeigen nun eindeutig, dass sich Löslichkeiten - wie hier von Al2O3 und SiO2 durch Kalium - durch andere Lösungsbestandteile drastisch erhöhen können. Der Grund: Wässrige Lösungen sind keine Ansammlungen chaotisch durcheinander „schwimmender“ atomarer Teilchen. Lösungsmittel und gelöstes Gestein bilden bevorzugte Cluster oder Komplexe aus - Strukturen, die noch näher zu analysieren sind (s. Info 2). Wir wissen derzeit nicht, wie solche K-Al-Si-(H2O)-Cluster im 31 Mineralogie Geowissenschaften Rubin 2007 info1 Löslichkeit mit „Hochdruck“ bestimmen Die systematische Bestimmung der Löslichkeiten von Silikat-Mineralen bei hohen Drücken wurde in Stempelzylinderpressen durchgeführt. Mit solchen Apparaturen lassen sich die Bedingungen von Druck und Temperatur in der Erdtiefe simulieren: bis ca. 7 GPa (70.000facher Atmosphärendruck/rund 230 km Tiefe) und weit über 1000°C. Die komplexen Versuchstechniken gehen auf jahrzehntelange Erfahrungen zurück. Für Löslichkeitsversuche wird eine Goldkapsel mit 12 mm Durchmesser verwendet, die aus zwei passgenauen Teilen zusammengeschoben und zugeschweißt wird. In der Kapsel befinden sich ein Kornfragment (10 - 20 Milligramm) und Wasser in genau definiertem Mengenverhältnis. Die Goldkapsel wird wiederum eingeschlossen in ein kleines Stahlrohr mit einer Kochsalz-Ummantelung. Dieses Aggregat kommt schließlich in die Bohrung des Hartmetallkerns einer Matrize aus Stahlringen. In einer 630-Tonnen-Presse wird dann in diese Bohrung ein Hartmetallstempel hineingedrückt, um den Versuchsdruck aufzubauen. Unter diesen Bedingungen fließt das Kochsalz und überträgt den hohen Druck gleichmäßig auf die Goldkapsel. Indem Strom durch 32 das innere Stahlrohr im Kochsalzmantel geleitet wird, heizt sich die Kapsel auf die gewünschte Temperatur auf. Während der Versuchdauer von bis zu 200 Stunden löst sich das Kornfragment im Wasser auf, bis die Lösung gesättigt ist. Am Ende des Versuchs wird durch Abschalten des Heizstroms die Goldkapsel innerhalb weniger Sekunden abgekühlt. Das gelöste Material in der wässrigen Lösung der Kapsel fällt als feines, meist gelartiges Gemenge aus und kann nach öffnen der Kapsel vom angelösten Kornfragment getrennt werden. Der Gewichtsverlust in Mikrogramm erlaubt dann die Berechnung der Löslichkeit bei den Druck- und Temperaturbedingungen des Versuchs. Derartige Löslichkeitsexperimente werden weltweit an zwei Laboratorien erfolgreich durchgeführt. Mineralogie Geowissenschaften Rubin 2007 Detail aussehen, doch die Löslichkeitsdaten zeigen, dass es bevorzugte Komplexe in wässrigen Lösungen geben muss. Solche sog. gelösten Spezies bilden heute mit einer unglaublichen Fülle von Daten ein weites Forschungs- und Anwendungsfeld in der Chemie und in den Umweltwissenschaften, allerdings fast ausschließlich bei sehr niedrigen Drücken. Dagegen zeigen unsere Ergebnisse für hohe Drücke eine neue Welt auf, bei deren Erforschung des atomaren Aufbaus dieser Lösungen wir erst am Anfang stehen (s. Info 2). Da die gelösten Spezies bei Druckentlastung sofort zerfallen oder sich verändern, ist ihre Untersuchung schwierig. Hier bieten sich aber komplexe theoretische Methoden an, mit denen Strukturen und Stabilitäten im „virtuellen Labor“ oder im „Computer- experiment“ bestimmt und mit dem realen experimentellen Befund interaktiv verglichen werden können (s. Info 2). Oberstes Ziel der Erforschung wässriger Lösungen in der tiefen Erde muss es sein, eine allgemeingültige Beschreibung für die chemischen und physikalischen Eigenschaften zu entwickeln und zur Vorhersage zu nutzen. Erst wenn wir auch wissen, welche wässrigen Lösungen in der Tiefe vorhanden sind, lassen sich Grenzwerte für das Verformungs- und Fließverhalten der Gesteine - das nicht zuletzt Plattenbewegungen, Gebirgsbildung und Erdbeben beeinflusst - ableiten. Wir arbeiten mit „Hochdruck“ daran, die bereits gewonnenen experimentellen Daten optimal zu nutzen, Datenlücken zu schließen und erste Prognosemodelle zu erstellen. Auch wenn es nicht möglich sein wird, alle Zusammensetzungen von wässrigen Lösungen in der Natur rein experimentell zu In den Gesteinsstrukturen lesen modellieren, so hoffen wir doch, dass wir für eine entsprechende Systematik bei fortschreitenden experimentellen und theoretischen Methoden nicht mehr 35 Jahre brauchen werden, wie dies für die Systematik fester Minerale in Gesteinen der Fall war. Bereits die vorliegenden Löslichkeitsdaten lassen eine Reihe von wichtigen Schlüssen zu. Da wir nicht wie die Abenteurer bei Jules Verne die betreffenden Teile der tiefen Erde direkt besichtigen können, sind wir auf indirekte Beweisführung und logische Argumentation auf der Basis des Anzeige 33 Mineralogie jeweils vorhandenen Wissens angewiesen. Abb. 5 zeigt eine Gesteinsprobe aus der unteren kontinentalen Kruste (s. Abb. 1). Die Ausrichtung und Anordnung der Mineralkörner deutet auf eine plastische Verformung hin. Auffallend sind die großen Kristalle des Kalifeldspats, die im festen Zustand im Gestein gewachsen sind. Vielerorts werden solche Großkristalle in exhumierten Gesteinen der unteren Kruste gefunden und von zahlrei- Geowissenschaften Rubin 2007 chen Fachkollegen auf die Zufuhr von K2O und Al2O3 in das Gestein in der Tiefe zurückgeführt. Das Gegenargument war stets die geringe Löslichkeit von Al2O3, die den nötigen Materialtransport unrealistisch erscheinen lässt. Da nach unseren Ergebnissen die gelöste Fracht in den wässrigen Lösungen wesentlich höher sein dürfte, greift dieses Argument nicht mehr. Zudem lassen sich in vielen Gesteinsvorkommen Gänge nach- info2 gelb = Si, rot = O, grau = H „Komplexe“ Simulationen Wässrige Lösungen sind keine strukturlosen Ansammlungen von Atomen und Ionen. Die Wassermoleküle bilden mit den gelösten Stoffen größere Komplexe oder Spezies aus. Besonders günstige und energetisch bevorzugte Konstellationen können die Löslichkeiten bestimmter Stoffe wie z.B. Al2O3 deutlich erhöhen. Da die Komplexe unter verschiedenen Druck- und Temperaturbedingungen sich sehr schnell verändern bzw. zerfallen können, ist ihre Identifizierung äußerst schwierig. Computersimulationen auf der Basis der Quantenmechanik („ab initio“ oder „first principles simulations“) sind hier Erfolg versprechend. Erste Simulationen verschiedener Komplexe von reinem SiO 2 in Wasser wurden in einem interdisziplinären Projekt im Rahmen des SFB 526 (s. Profil, S. 64) gemeinsam mit der Arbeitsgruppe N.L. DOLTSINIS, Theoretische Chemie der Ruhr-Universität, durchgeführt. Während bei niedrigen Drücken Monomere (SiO4H4) die stabilen gelösten Spezies darstellen, zeigen erste Simulationen, dass bei hohen Drücken Dimere (Si2O7H6) an Bedeutung gewinnen. Die Abbildung zeigt schematisch ein Monomer (s. Abb. links oben) mit einem Dimer (s. Abb. rechts unten) vor einem Netzwerk aus H2O-Molekülen in „Bumerang-Form“ (Simulation bei 1,5 GPa, entspricht 15.000fachem Atmosphärendruck). 34 weisen (s. Abb. 1), die in der Erdtiefe wässrige Lösungen durchströmten. Auf ihrem Weg an die Oberfläche kristallisierten die Lösungen aus und die Gänge enthalten auffallend große Mengen an Al2O3. Der Nachweis „Schmiermittel“ großer Gesteinsbewegungen hoher Al2O3-Löslichkeiten unter erhöhten Drücken enträtselt nun solche Vorkommen. Unsere Ergebnisse stützen Modellvorstellungen, nach denen in der tiefen Erde ein erheblicher Lösungstransport stattfindet. Großräumige Umschlagplätze dürften hauptsächlich in Kollisions- und Störungszonen zu erwarten sein (Abb. 2). Auch das Verformungs- und Fließverhalten von Gesteinen unterliegt wie alle geologischen Prozesse auf der Erde den gleichen Regeln, unabhängig davon, wann sie in der Erdgeschichte ablaufen (Prinzip des Aktualismus, s. Seite 40). Die physikalischen Gesetze des Fließens von Gesteinen in der Erdtiefe sind heute auf atomarer Ebene in ihren Grundprinzipien bekannt. Doch es fehlen noch immer genaue Daten, um diese Gleichungen quantitativ umsetzen zu können. Die „Fließgesetze“ sagen aus, dass wässrige Lösungen das Gestein schwächen und leichter und schneller „fließen“ lassen. Sie betonen aber auch die Bedeutung der Zusammensetzung der Lösung. Je höher der Anteil an gelöster Gesteinsmaterie ist, desto „fließfreudiger“ sollte das Gestein in der Tiefe sein. Hier kann derzeit im Einzelnen nur spekuliert werden: Sicherlich werden wässrige Lösungen als „Schmiermittel“ bei den gewaltigen Gesteinsbewegungen der Gebirgsbildung (z.B. Alpen) eine wichtige Rolle spielen. Interessant ist etwa, dass einige Wissenschaftler der Ansicht sind, dass sich kilometermächtige „fließfähige“ Kanäle in der unteren Erdkruste über Hunderte von Kilometern unter den durch Kontinentkollision gestauchten Gebirgszügen (z.B. Himalaya) hinziehen. Die aufgetürmten Gebirge könnten demnach infolge des eigenen Gewichts „seit- Mineralogie Geowissenschaften Rubin 2007 lich zerfließen“. Auch wenn der zusätzliche und überlagernde Effekt von beginnender Schmelzbildung in den Gesteinen in dieser Tiefe nicht außer Acht gelassen werden darf, so bietet sich der Einfluss von wässrigen Lösungen als probates „Schmiermittel“ an. Hier zeigt sich eine Besonderheit geowissenschaftlicher Forschung: Es müssen stets gleichzeitig unzählige Parameter und Einflüsse berücksichtigt werden. Jeder Mosaikstein ist wichtig, aber nur die Gesamtheit der Forschungsergebnisse führt zum umfassenden Verständnis des Systems Erde. Abb. 5: Gestein der unteren kontinentalen Kruste. Die durch „Fließen“ verursachte Deformation ist anhand der Einordnung und Ausrichtung der Mineralkörner erkennbar. Helle, große Kristalle von Kalifeldspat (KAlSi3O8) sind im Gestein gewachsen und bezeugen Stoffzufuhr durch wässrige Lösungen. Anzeigen KNF_Image_83x132_2c_RZ_003 27.10.2006 INNOVATIVE TECHNOLOGIE WELTWEIT 15:08 Uhr NEUBERGER Membranpumpentechnologie vom Feinsten... �Ob für Gase, Dämpfe oder Flüssigkeiten – KNF Neuberger bietet ein breites Angebot an Pumpen und Systemen. �Für unverfälschtes Fördern, Dosieren, Komprimieren und Evakuieren. Als OEM- oder tragbare Ausführungen. �Mit einem variablen Produktprofil für kundenspezifische Lösungen. ... für anspruchsvolle Anwendungen z.B. in den Bereichen: � Medizintechnik � Analysetechnik � Verfahrenstechnik � Lebensmitteltechnik � Reprotechnik � Energietechnik � Forschung w w w. k n f . d e Prof. Dr. Walter V. Maresch, Dr. Michael Burchard, Dr. Thomas Fockenberg, Institut für Geologie, Mineralogie und Geophysik, Mineralogie – Petrologie KNF Neuberger GmbH � Alter Weg 3 � D 79112 Freiburg Tel. 07664/5909-0 � Fax 07664/5909-99 � E-Mail [email protected] 35 Seite Geologie Geowissenschaften Rubin 2007 Erdbebenschäden in über zehn Kilometern Tiefe: Gesteine mit Erinnerungsvermögen Bernhard Stöckhert, Claudia Trepmann, Jens Nüchter Nicht nur an der Erdoberfläche haben die ruckartigen Verschiebungen bei Erdbeben verheerende Folgen. Auch in die tieferen Stockwerke der Erdkruste werden Spannungen in Sekundenschnelle umverteilt. Im dort zäh fließenden Gestein bauen sie sich über Monate bis Jahrhunderte ab – aber nicht mit gleicher Geschwindigkeit über Jahrmillionen hinweg, wie man bislang glaubte. Damit schreiben Steine nun eine andere Geschichte, die Geologen nutzen wollen, um die Vorgänge bei und nach Erdbeben zukünftig besser eingrenzen zu können. Abb. 1: Erdbeben treten an Störungszonen wie dem „San-Andreas-Graben“ auf. 36 Geologie Geowissenschaften Rubin 2007 N ach dem Erdbeben ist vor dem Erdbeben. Die Erde arbeitet, getrieben durch Konvektionsbewegungen im Erdmantel (Abb. 2). In der Erdkruste führen meist regelmäßig wiederkehrende ruckartige Verschiebungen ~300oC an den Bruchflächen (Störungen) zu Erdbeben mit den bekannten Auswirkungen an der Erdoberfläche. Eine Verschiebung findet innerhalb von Sekunden statt und erreicht ~500oC ein Ausmaß von einigen Metern bis zu mehr als zehn Metern bei sehr großen Beben (Abb. 3). Aber das ist nicht alles. Neben den spektakulären und zum Teil verheerenden ruckartigen Verschiebungen an den Störungsflächen während des Bebens ist auch eine viel langsamere und räumlich nicht so eng begrenzte Verformung der Erdkruste an der Erdoberfläche messbar. Mit modernen Verfahren der Geodäsie können heute Verschiebungen der Erdoberfläche von Millimetern bis Zentimetern pro Jahr erfasst werden. Diese Bewegungen sind im Umfeld von Störungen häufig nach Erdbeben zunächst besonders schnell und klingen dann mit der Zeit ab. Offenbar werden dabei durch irreversible Verformung im Erdinneren Spannungen abgebaut, die Erdkruste 20 ... 70 km (Kontinente) 4 ... 7 km (Ozeane) 0 Obere Kruste (spröde, bruchhafte Verformung, Erdbeben) Erdmantel (Magnesium-Silikate; fest) 10 langsame Konvektion (cm bis dm/Jahr) 20 2889 km Untere Kruste (duktil, langsam fließende Verformung) Äußerer Erdkern (Eisen-Nickel-Legierung; geschmolzen) 30 Oberer Mantel 5154 km 40 Innerer Erdkern km 6371 km (Eisen-Nickel-Legierung; fest) Abb. 2: Schalenbau der Erde. Im Vergleich zum Durchmesser der Erde hat die Erdkruste die Dicke der Schale eines Apfels. Sie ist unter Kontinenten zwischen etwa 20 und 70 km (letzteres nur unter hohen Gebirgen) und unter Ozeanen rund 4 bis 7 km dick. Erdbeben (Info 1) entstehen durch ruckartige Verschiebung an Bruchflächen in der kühlen und spröden oberen Erdkruste. Die kontinentale Erdkruste kann sich schon bei Temperaturen oberhalb von etwa 300°C sehr langsam fließend verformen. Temperaturen von 300°C werden meist in 10 bis 20 km Tiefe erreicht, in der tieferen Kruste bei höheren Temperaturen gibt es daher in der Regel keine Erdbeben. Abb. 3: Modell der Schädigung der Kruste in 10 bis 15 km Tiefe bei großen Erdbeben. Die Schäden in Folge der ruckartigen Verschiebung und Spannungsumverteilung lassen sich nicht direkt analysieren, da selbst die tiefsten Bohrungen die mittlere Erdkruste nicht erreichen. Nur Verschiebungen (mm/Jahr) an der Erdoberfläche als Auswirkungen eines langsamen Spannungsabbaus und des Ausheilens der Schäden in der Tiefe sind mit hochauflösenden geodätischen Verfahren (GPS; InSAR) heute messbar. Erdbeben post-seismisches Kriechen Verschiebung um Meter Verschiebung um Millimeter Geländestufe 0 km 10 km ~300oC Hypozentrum des Erdbebens geschädigte Zone Sekunden Spannungsabau und Ausheilen hunderte bis tausende von Jahren 37 Geologie Geowissenschaften Rubin 2007 0 km 10 km ~ 300oC Abb. 4: Verschiebung an einer Störung (Bruchfläche) und ihre Auswirkungen: Geländestufe an der Erdoberfläche auf Kreta (oben), die in Sekunden bei einem Erdbeben während der letzten Eiszeit entstanden ist. Beispiel für eine geschädigte Zone im Gestein auf der Insel Euböa (rechts). Das Gestein lag in rund 10 km Tiefe, als sich vor Millionen von Jahren an einer darüber liegenden Störung ein Erdbeben ereignete. Während des Erdbebens bildeten sich zahlreiche Risse, die sich anschließend geöffnet und mit Quarz (weiß) verfüllt haben. Die Geländestufe (oben) ist bereits unmittelbar nach dem Erdbeben sichtbar. Die geschädigte Zone (rechts) in der mittleren Erdkruste erreicht dagegen erst nach Millionen von Jahren und Abtragung von 10 km Gestein die Erdoberfläche (Skizze: grüne Fläche). während des Erdbebens aus dem spröden oberen Stockwerk der Erdkruste in die tieferen Stockwerke der Erde umverteilt wurden. Dort erlauben höhere Temperaturen ein zähes Fließen der Gesteine (Abb. 2). Aber was passiert dort genau? Aus der an der Erdoberfläche messbaren langsamen Verformung und ihrer Abhängigkeit von der Zeit könnte man auf die Prozesse in der Tiefe zurück schließen, wenn man geeignete Modelle zum Materialverhalten zur Verfügung hätte. Aber wie verhält sich das Gestein in der Tiefe bei plötzlicher Belastung durch ein Erdbeben und während des nachfolgen38 den langsamen Spannungsabbaus? Die Vorhersage ist nicht einfach, da Gesteine komplizierte Systeme darstellen und zudem auch noch die fluide Phase im Porenraum für das mechanische Verhalten eine große Rolle spielt. Besonders komplex sind die Verhältnisse in der mittleren Erdkruste. Im Tiefenbereich von etwa 10 bis 20 km wird die spröde auf Bruchflächen (Störungen) lokalisierte ruckartige Verformung (Erdbeben) zunehmend von einer zeitabhängigen fließenden Verformung abgelöst (s. Abb. 2, 3). Aufgrund der ruckartigen Verschiebungen bei Erdbeben in der darüber liegenden spröden Erdkruste muss der Spannungszustand hier zyklischen Veränderungen unterliegen. Während Verschiebungen an der Erdoberfläche sofort offenkundig sind (s. Abb. 3 u. 4), lassen sich die folgenden zeitabhängigen Verformungsprozesse in der mittleren Erdkruste nicht unmittelbar studieren. Selbst die tiefste Bohrung auf der Erde (12 km) erreicht diesen Bereich nicht. Auch wenn dies zukünftig der Fall sein sollte, fehlten immer noch geeignete Experimente, die Aussagen für ein großes, heterogen zusammengesetztes Volumen der Erdkruste ermöglichen würden. So bleiben zunächst die an der Erdoberfläche geodätisch messbaren Verschiebungen nach dem Erdbeben. Deren Interpretation erfordert vor allem geeignete Modelle für das Verhalten der mittleren Erdkruste. Wir gewinnen die erforderlichen Informationen - angelehnt an die Materialwissenschaft - aus dem „Schadensbild“ von Gesteinen, die heute in Gebirgen an die Erdoberfläche treten (Abb. 4). Bei diesem Ansatz kommt das in den Geowissenschaften fundamentale Prinzip des Aktualismus zur Anwendung (s. Info 2). Es besagt, dass alle Prozesse auf der Erde den gleichen Regeln gehorchen, unabhängig davon, wann sie im Verlauf der Erdgeschichte stattfinden. Demzufolge gewinnen wir das Verständnis für die langsame Verformung der Erdkruste aus Gesteinen, die sich zur Zeit, in der sich das Erdbeben in der kühleren spröden Erdkruste ereignete, darunter lagen - in Tiefen von 10 bis Geologie Geowissenschaften Rubin 2007 20 km. Erst nach Millionen von Jahren sind diese Gesteine an der Erdoberfläche zugänglich. Ihr Schadensbild gibt Auskunft über die Prozesse, die sich damals in diesem Gestein abgespielt haben. Nach dem Prinzip des Aktualismus gehen wir davon aus, dass sich diese Prozesse heute in Gesteinen in unzugänglicher Tiefe ebenso abspielen (s. Abb. 3). Gesteine dokumentieren ihre Geschichte in einer ungeheuren Vielfalt von Strukturen und Gefügen in allen Geologische Vergangenheit ist geologische Zukunft Längenskalen. Auf der Basis von theoretischen Betrachtungen und von Laborexperimenten lesen wir aus diesen Dokumenten etwa den früher herrschenden Spannungszustand, die Geschwindigkeit und die Mechanismen der Verformung, den Druck in den beteiligten Flüssigkeiten, Gasen oder fluiden Phasen in Poren und Rissen im Gestein oder die zeitliche Abfolge von Prozessen heraus. Traditionell betrachten Geowissenschaftler die in den tieferen Stockwerken der Erdkruste bei hohen Temperaturen durch plastisches Fließen entstandenen Strukturen und Gefüge von Gesteinen als Produkt lang anhaltender und dementsprechend langsamer Verformungsprozesse. Dass große Erdbeben dramatische Änderungen im Spannungsfeld auch in der unteren Erdkruste bewirken können, wurde nicht in Betracht gezogen. In diesem Fall müsste die fließende Verformung insbesondere in der mittleren Erdkruste eher episodisch und nicht mit annähernd konstanter Geschwindigkeit ablaufen. In der Tat zeigen unsere Ergebnisse der letzten Jahre in vielen Fällen, dass die Gefüge der Gesteine häufig eine episodische oder bei sich wiederholenden Erdbeben auch eine zyklische Verformung abbilden und kein gleichmäßiges langsames Fließen über Jahrmillionen hinweg (Abb. 5, 6, 7). Die detaillierte Schadensanalyse zeigt eine plötzliche Belastung (hohe Spannungen), die auch in einem in längeren Zeiträumen langsam fließendem Gestein zu Rissbildung führen kann, gefolgt von einer sich verlangsamenden fließenden Verformung unter Abbau der Spannungen. Dabei liegt die Gesamtverformung in der Regel unter einem Prozent, obwohl sehr hohe, bisher nicht für möglich gehaltene Spitzen-Spannungen erreicht werden. Dies zeigt, dass die in menschlichen Zeitmaßstäben immer noch langsamen Prozesse in geologischen Zeitmaßstäben sehr schnell ablaufen und kurzfristige Episoden darstellen. Als Ursache für die im Gestein abgebildeten drastischen Änderungen im Spannungszustand kommen nur große Erdbeben an Störungen in Betracht. Die fließende Verformung unter abneh- menden Spannungen spiegelt sich mit hoher Wahrscheinlichkeit in den heute nach Erdbeben geodätisch messbaren Verschiebungen, dem so genannten postseismisches Kriechen, an der Erdoberfläche wieder. Die Natur der Erdbeben-Prozesse in der mittleren Erdkruste ist vielfältig und erfordert eine großräumige Schadensanalyse und geophysikalische Feldversuche (Längenskalen im Meter- bis Kilometerbereich) sowie die mikroskopische Schadensanalyse und das Laborexperiment (Millimeter- bis Nanometerbereich). Zwei aktuelle Studien zur Schadensanalyse veranschaulichen exemplarisch dieses Vorgehen: Auf der griechischen Insel Euböa analysieren wir das Schadens- info1 „Erdbeben-Einmaleins“ Die meisten Erdbeben beruhen auf einer ruckartigen Verschiebung an einer Trennfläche in der Erdkruste. Sie tritt ein, sobald die Haftreibung überwunden wird. Damit werden zuvor langsam aufgebaute Spannungen und elastische Verformung abgebaut. Spannungen im Erdinneren werden durch langsame Konvektion im festen Erdmantel erzeugt, die die Bewegung der Lithosphärenplatten mit Geschwindigkeiten von Zentimetern pro Jahr antreibt (Plattentektonik). Die Entstehung von Rissen und der Abbau von Spannungen sind nur möglich, wenn sich das Material spröde verhält, also nach elastischer Verformung schließlich bricht. Dies ist in den oberen etwa 10 bis 20 km der Erdkruste der Fall, wo unter Kontinenten die Temperaturen unterhalb von etwa 300°C liegen. Bei höheren Temperaturen in der mittleren bis tieferen Erdkruste können die Gesteine sehr langsam plastisch fließen. Die Tiefenverteilung der Erdbebenherde im Bereich der Kontinente spiegelt diese Änderung im mechanischen Verhalten der Gesteine wieder. Die Untergrenze für Erdbebenherde liegt dort, wo die prognostizierten Temperaturen etwa 300 bis 350°C erreichen - in Mitteleuropa in rund zehn Kilometern Tiefe. Bei einer ruckartigen Bewegung an einer Trennfläche im Erdinneren (Erdbeben) wird ein Teil der Energie in Form seismischer Wellen abgestrahlt, die sich durch das Erdinnere und an der Erdoberfläche ausbreiten. An der Erdoberfläche verursachen diese Wellen die bekannten Schäden, größtenteils dadurch, dass Bauwerke den Beschleunigungen nicht standhalten. Ein anderer Teil der bei einem Erdbeben umgesetzten Energie wird unmittelbar in Wärme umgewandelt, ein weiterer im Gestein als Schädigung in Form von Kristallbaufehlern und Rissen im Umfeld der Bruchfläche gespeichert. Besonders intensiv ist die Schädigung dort, wo die Verschiebung am unteren Ende der Bruchfläche in der mittleren Kruste in wärmerem in längeren Zeiten plastisch verformbaren Material ausläuft. Dort treten die höchsten Spannungen im Erdinneren auf. 39 Geologie Geowissenschaften Rubin 2007 bild natürlicher Gesteine aus der mittleren Kruste in Längenskalen von Metern bis Mikrometern. In Laborexperimenten an Quarz erzeugen wir Schadensbilder unter kontrollierten Bedingungen und analysieren die Gefüge in Spannungsdifferenz und Fluid-Druck Vergleich: experimentell und natürlich verformter Quarz Erdbeben post-seismisches Kriechen ruck -D Fluid Span nung sdiffe renz Zeit Längenskalen von Mikrometern bis Nanometern. Schließlich vergleichen wir die experimentell erzeugten Gefüge mit denen des natürlich verformten Quarzes aus einer Bohrung in Kalifornien. Auf der Insel Euböa haben wir auf Hunderten von Quadratkilometern Strukturen identifiziert, die den von Abb. 5: Entwicklung der Quarzgänge in 10 km Tiefe, abgeleitet aus der Form, dem mikroskopischen Gefüge des Quarzes und mikroskopisch kleinen Einschlüssen der fluiden Phase, aus denen der Quarz in der sich öffnenden Spalte im Gestein kristallisierte. Durch Spannungsaufbau während des Erdbebens bildete sich ein Riss, der sich während des anschließenden Spannungsabbaus öffnete und mit aus einer heißen wässrigen Lösung auskristallisiertem Quarz füllte (s. Abb. 3). Vom Rand des Ganges zur Mitte dokumentieren das Quarzgefüge und winzige Einschlüsse die zeitliche Entwicklung der Bedingungen. info2 Aktualismus: „The present is the key to the past“ Geologische Prozesse laufen in vielen Fällen in Zeitskalen ab, die für menschliche Begriffe extrem lang sind. Daher sieht ein menschlicher Beobachter oft nur eine Momentaufnahme, also das Produkt eines über geologische Zeiträume abgelaufenen Prozesses. Aus diesem scheinbar statischen Bild müssen Geowissenschaftler die Natur des vorangegangenen Prozesses ableiten und verstehen. Ein wichtiger Schritt für die Geowissenschaften war daher die Erkenntnis, die der schottische Geologe James Hutton im Jahr 1795 erstmals formulierte, und die ein Zeitgenosse in folgendem Satz zusammenfasste: The present is the key to the past. Hutton schlug vor, dass alle Prozesse, die in der geologischen Vergangenheit abgelaufen sind, in gleicher Form auch heute ablaufen. Für dieses Prinzip steht der Begriff uniformitarianism, im Deutschen “Aktualismus”. Es wird auch heute nicht in Frage gestellt, wenn man von langfristigen steti- 40 gen Veränderungen der Erde, zum Beispiel in ihrem Wärmehaushalt oder der Entwicklung der Atmosphäre, und von kurzzeitigen katastrophalen Ereignissen, etwa Meteoriteneinschlägen, absieht. Mehr noch, das Prinzip lässt sich auch in umgekehrter Form anwenden. Um die heute an der Erdoberfläche zu beobachtenden Verschiebungen bei und nach Erdbeben zu verstehen, braucht man detaillierte Informationen über Prozesse in Tiefen, die dem Menschen nicht direkt zugänglich sind. Diese Informationen lassen sich aus Gesteinen gewinnen, die solche Prozesse früher in der Tiefe “erlebt” haben und heute an der Erdoberfläche vorliegen. Nach dem Prinzip des Aktualismus laufen in den betreffenden Tiefen heute die gleichen Vorgänge ab, die diese Gesteine vor Millionen von Jahren dort unten aufgezeichnet haben. Für unsere Fragestellung gilt daher: The past is the key to the present. Geologie Geowissenschaften Rubin 2007 Experimentell verformter Quarz Deformationsapparatur Erdbeben kontrollierten Spannungsund Verformungszyklus in der mittleren Kruste in beispielhafter Weise abbilden (Abb. 3): Gänge mit aus wässriger Lösung ausgefälltem Quarz, verfüllte geöffnete Risse, haben sich als hervorragende Dokumente erhalten (s. Abb. 4). Die Form der Gänge, das mikroskopische Gefüge des Quarzes, die Dichte der nur wenige Mikrometer messenden Einschlüsse der wässrigen Lösung, aus der der Quarz kristallisierte, zeigen uns die Geschichte des Gesteins (Schema: Abb. 5): In der mittleren Erdkruste entstehen in Folge der innerhalb von Sekunden durch ein Erdbeben umverteilten Spannungen Risse, die sich im MillisekundenBereich ausbreiten. Sie kommen aber sofort wieder zum Stillstand, da der Druck in der fluiden Phase in den Poren der Gesteine abfällt, wenn das Porenvolumen durch die Rissbildung zunimmt. Die während des Erdbebens in Sekunden aufgebauten hohen Span- 8 mm 6,5 mm Experimentell verformter und bei 900°C ausgeheilter Quarz Abb. 6: Apparatur zur Verformung kleiner Gesteinsproben bei sehr hohen Spannungen (Umschließungsdruck bis 4 GPa; Differentialspannung bis 2,5 GPa) und mikroskopische Gefüge von experimentell verformtem Quarz. Die beiden oberen Bilder zeigen das Gefüge einer im Laborexperiment kurzzeitig verformten (rechts) und einer zusätzlich anschließend bei hohen Temperaturen ausgeheilten (links) Quarzprobe im Polarisationsmikroskop. Die beiden unteren Bilder zeigen Details des Gefüges und der Orientierung der Quarzkristalle in den oben gezeigten Proben, aufgenommen mit dem Rückstreuelektronendiffraktionsverfahren im Rasterelektronenmikroskop. Aus den Gefügen lässt sich auf die Prozesse bei der Verformung und beim Ausheilen schließen. nungen werden danach durch langsame viskose Verformung der Gesteine („Kriechen“) wieder abgebaut. Dabei öffnen sich die Risse und die wässrige fluide Phase strömt durch sie hindurch, wobei Quarz ausgefällt wird (Abb. 5). Dieser Vorgang dauert wahrscheinlich Monate bis Jahrhunderte. Aus dem Riss wird ein so genannter Gang (s. Abb. 4), an dem wir Millionen Jahre später die Verformung während des Erdbebenzyklus studieren können. Aus der Dichte winziger Einschlüsse der wässrigen Lösung im Quarz lesen wir den Wiederanstieg des Druckes in der fluiden Phase während der Öffnung des Risses ab. Diese Daten liefern uns un41 Geologie Geowissenschaften Rubin 2007 info 3 Mit „Focussed-Ion-Beam“ in die Nano-Welt Die Präparation der nur 1/10 000 mm dicken Folien zur Durchstrahlung im Transmissions-Elektronenmikroskop aus experimentell verformten Proben erfordert aufgrund der inneren Spannungen einen besonders großen Aufwand. In einer gemeinsamen Initiative der Sonderforschungsbereiche SFB 459 (Formgedächtnislegierungen) und SFB 526 (Rheologie der Erde, s. Profil, S. 64) wurde für diesen Zweck - gefördert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft - eine Focussed-Ion-Beam-Apparatur aufgebaut. Für die Untersuchung der bei der Verformung entstandenen Schäden und Kristallbaufehler im Transmissions-Elektronenmikroskop können hier mithilfe eines Ionenstrahls an gewünschter Position und in gewünschter Orientierung Proben von 20 Mikrometer Kantenlänge und 0,1 Mikrometer Dicke herausgeschnitten werden. Der Vergleich der Gefüge im Nanometer-Bereich von natürlichem Quarz mit dem unter kontrollierten Laborbedingungen verformten Quarz erlaubt weit reichende Rückschlüsse auf die Bedingungen und Prozesse in der mittleren Erdkruste bei und nach Erdbeben. ter Zuhilfenahme von Konzepten der linearelastischen Bruchmechanik gleichzeitig Informationen zur Spannungsgeschichte. Mit dem Modellfall auf Euböa gelang erstmals für ein repräsentatives Volumenelement der mittleren Erdkruste eine Rekonstruktion der Entwicklung von Spannung und Porenfluiddruck und damit zugleich die Rekonstruktion der Verformungsgeschichte. Das Volumenelement besitzt quasi ein „Erinnerungsvermögen“ an ein Erdbeben, das sich einst in der darüber liegenden, heute nicht mehr vorhandenen oberen Erdkruste ereignete. Für Laborexperimente erweist sich die Längenskala der dargestellten Riss- und Gangbildung als unge- Focussed-Ion-Beam (FIB) Mikroskop 42 eignet. Hier können nur wesentlich kleinere Systeme untersucht werden. Auch die für menschliche Verhältnisse extrem langsamen geologischen Verformungsprozesse in Millionen von Jahren lassen sich in Labor-Experimenten nicht unter natürlichen Bedingungen untersuchen. In traditioneller Sichtweise mussten daher die experimentellen Resultate für den Vergleich mit den Gefügen natürlicher Gesteine immer um viele Größenordnungen in der Zeit extrapoliert werden. Das ist nach unseren aktuellen Erkenntnissen nun nicht mehr notwendig, weil viele der im Gefüge natürlicher Gesteine abgebildeten fließenden Verformungsprozesse in wesentlich kürzeren Zeiträumen ab- FIB TEM-Folien Präparation laufen. Damit lässt sich die Verformung beim Spannungsaufbau während eines Erdbebens (in Sekunden) und beim anschließenden langsameren Spannungsabbau durch Kriechen (Monate bis Jahrhunderte, bei abnehmender Geschwindigkeit) unter Laborbedingungen untersuchen, die den natürlichen Zeiten weitaus näher kommen, als bislang angenommen. Diese Erkenntnis hat eine neue Philosophie der Labor-Experimente eröffnet, in denen die fließende Verformung in der mittleren Erdkruste unter den im Einflussbereich von Erdbeben zu erwartenden Bedingungen simuliert wird: Dabei werden kleine zylinderförmige Proben aus natürlichem Quarz entsprechend den Bedingungen in der mittleren Erdkruste bei Temperaturen von 300 bis 400°C - zunächst sehr schnell - sehr hohen Spannungen in einer Hochdruckpresse ausgesetzt (s. Abb. 6). Der Quarz wird auf diese Weise um kleine Beträge irreversibel verformt. Das anschließende Ausheilen der Schäden und der Abbau der Spannungen wird bei erhöhten Temperaturen von 800 bis 1000°C quasi im Zeitraffer innerhalb von einigen Stunden im Labor simuliert. Die Analyse der experimentell erzeugten Paradigmenwechsel in der Gesteinsinterpretation Schadensbilder erfolgt mit mikroskopischen Verfahren, wie wir sie auch bei natürlich verformten Proben anwenden: Das Gefüge in Längenskalen von Mikrometern bis zu Millimetern untersuchen wir an 0,03 mm dicken Dünnschliffen im Durchlicht mit experimentell verformter und bei 800°C ausgeheilter Quarz Geologie Geowissenschaften Rubin 2007 dem Polarisationsmikroskop, die Orientierung der einzelnen Kristalle im Gefüge wird mit Elektronenrückstreudiffraktion an polierten Schliffen im Raster-Elektronenmikroskop vermessen (Abb. 6) und die Art und Anordnung von Kristallbaufehlern erfassen wir mit dem Transmissions-Elektronenmikroskop an 0,0001 mm dicken Folien (Abb. 7 und Info 3). Der Vergleich von experimentell erzeugtem Schadensbild im Quarz mit den Gefügen in natürlichen Gesteinen zeigt in vielen wesentlichen Merkmalen eine verblüffende Übereinstimmung. Charakteristische Gefüge von Quarzproben aus einer Tiefbohrung in der Long Valley Caldera, einem aktiven Vulkan in Kalifornien mit hoher seismischer Aktivität, sehen denen aus unseren Laborexperimenten zum Verwechseln ähnlich (s. Abb. 7). Dies bestätigt, dass solche in natürlichen Gesteinen weit verbreiteten Gefüge des Quarzes tatsächlich eine episodische Verformung unter rasch wechselnden Spannungen und nicht die bisher angenommene kontinuierlich fließende Verformung widerspiegeln. Wir erleben damit einen Paradigmenwechsel bei der Interpretation der Gesteinsgefüge, der uns zugleich die Informationen zu den Prozessen und Mechanismen liefert, die für einen großen Teil der Verschiebungen der Erdoberfläche nach Erdbeben – für das „postseismische Kriechen“ – verantwortlich sind. Ein erstes, noch sehr einfaches aus der Schadensanalyse am Quarz abgeleitetes Modell ist bereits für die Abschätzung des Erdbeben-Risikos an der Plattengrenze zwischen Pazifi- natürlich verformter Quarz AZ Oschatz Rubin 28.11.2006 11:25 Uhr Anzeigen Seite 1 Unser Markt ist die Welt Oschatz ist ein innovatives, global operierendes Unternehmen im Anlagenbau, in der Energierückgewinnung und in der Umwelttechnik mit 800 engagierten Mitarbeitern sowie eigenen Produktionsbasen in Istanbul und Nanjing, China. Mit mehr als 150 Jahren Erfahrung ist Oschatz führend in den Produktbereichen Nichteisenmetallurgie, Eisenund Stahlmetallurgie, Umwelt- und Chemietechnik. Das Unternehmen mit Hauptsitz Essen und Niederlassungen und Vertretungen rund um den Globus liefert heute wesentliche Komponenten für die Eisen- und Stahlindustrie sowie die Chemische Industrie in aller Welt. In der Nichteisen-metallurgie entwickelt und produziert Oschatz Abhitze-Systeme. Der Bereich Umwelttechnik entwickelt und baut schlüsselfertige Anlagen zur umweltgerechten Verwertung von Biomassen, Ersatzbrennstoffen und Reststoffen. Oschatz GmbH Westendhof 10-12 · D-45143 Essen · Germany Phone +49 (0) 201/18 02-0 Fax +49 (0) 201/18 02-1 65 [email protected] Unsere Job-Börse finden Sie unter www.oschatz.com scher und Australischer Platte im Einsatz: Unsere langjährige Kooperationspartnerin Dr. Susan Ellis (Institute of Geological and Nuclear Sciences, Lower Hutt, Neuseeland) verwendet es für numerische Simulationen des Erdbebenzyklus an der Alpine Fault, einer großen Störung an der Grenze zwischen Pazifischer und IndischAustralischer Platte. Die Ergebnisse zeigen eine überraschend gute Übereinstimmung mit den in den letzten Jahren geodätisch bestimmten Verschiebungsgeschwindigkeiten an der Erdoberfläche (Abb. 8). Diese Bewegungen stellen „Nachwehen“ eines großen Erdbebens vor etwa 400 bis 450 Jahren dar. Für die erste Zeit nach dem Erdbeben zeigt die Simulation deutlich höhere Verschiebungsgeschwindigkeiten als die heute gemessenen. Nach entsprechender Verfeinerung der Modelle könnten solche Simulationen daher in Zukunft auch für Störungszonen zum Einsatz kommen, an denen Erdbeben nur in großen Abständen – die über den Zeitraum moderner Datenerfassung und Abb. 7: Mit der Focussed-Ion-Beam-Apparatur (S. 42, links) werden 0,0001 mm dicke Folien (S. 42, Mitte) aus experimentell oder natürlich verformtem Quarz zur Untersuchung mit dem Transmissions-Elektronenmikroskop präpariert. Die charakteristischen Gefügemerkmale einer im Laborexperiment verformten Quarzprobe (S. 42, rechts) entsprechen denen einer natürlichen Quarzprobe (s. S. 43) aus einer Bohrung in der Long Valley Caldera in Kalifornien. 43 Geologie Geowissenschaften Rubin 2007 40° Indisch-Australische Platte l ofi ll Pr ode (M 42° 44° 40 lt 38 au eF in p Al Pazifische Platte Südinsel 46° 36 166° 168° 170° 172° 174° Geschwindigkeit relativ zu australischer Platte (mm/Jahr) Geodätisch gemessene Geschwindigkeiten (200 bis 2005) Parallell zur Alpine fault 40 30 20 Modell 1 Modell 2 Modell 3 10 Vertikalgeschwindigkeit (Hebung in mm/Jahr) Prof. Dr. Bernhard Stöckhert, Dr. Claudia Trepmann, Dr. Jens Nüchter, Institut für Geologie, Mineralogie und Geophysik, Endogene Geologie 0 -10 senkrecht zur Alpine fault -20 6 4 Modell 1 Modell 2 Modell 3 2 0 -2 -4 Km 0 50 100 150 Numerische Simulation: Gesamtverformung in der mittleren Kruste durch postseismisches Kriechen Profil 20 km 20 km Modell Indisch-Australische Platte 44 Analyse hinausgehen – auftreten. Durch die Erfassung des mechanischen Zustands dieser Systeme ließe sich damit das mittel- bis langfristige Risiko (Jahrzehnte bis Jahrhunderte) besser einzugrenzen. Spannungen werden während eines Erdbebens in der spröden oberen Erdkruste - wie unsere Schadensanalyse zeigt - innerhalb von Sekunden in die darunter liegenden Schichten umverteilt. Während des postseismischen Kriechens werden sie dort über Monate bis Jahrhunderte hinweg abgebaut. Gleichzeitig wird die Störung wieder belastet, bis sie im nächsten Erdbeben erneut nachgibt und sich der Prozess wiederholt. Die Bedeutung eines besseren Verständnisses der Vorgänge in der mittleren und tieferen Erdkruste – gerade mit Blick auf das Auftreten von Erdbeben und ihre Wiederkehr – liegt auf der Hand. Pazifische Platte Abb. 8: Modell im Einsatz: Die Alpine Fault ist eine große Störung auf der Südinsel von Neuseeland an der Grenze zwischen der Pazifischen und der IndischAustralischen Platte. Richtung und Geschwindigkeit der Relativbewegung der Platten sind durch Pfeile dargestellt. Das letzte große Erdbeben liegt etwa 400 bis 450 Jahre zurück. Die heute in einem Querprofil über die Alpine Fault geodätisch bestimmten Verschiebungsgeschwindigkeiten sind in Abhängigkeit von der Position in den beiden mittleren Diagrammen dargestellt. Das untere Diagramm zeigt die Verteilung der postseismischen Verformung (Profil = senkrechter Schnitt) in der mittleren Kruste in Verlängerung der Alpine Fault (schwarze Linie) in einer numerischen Simulation. Die in der Simulation für die Zeit von etwa 400 Jahren nach einem großen Erdbeben vorhergesagten Verschiebungsgeschwindigkeiten an der Erdoberfläche (farbige Kurven in den beiden mittleren Diagrammen) stimmen gut mit den heute gemessenen Geschwindigkeiten (schwarze Punkte mit Fehlerbalken) überein. Geowissenschaften Rubin 2007 Kristallographie Oberfläche bestimmt Kristalleigenschaften: Gesichtsverlust und Stachelaufbau Hermann Gies Uta Magdans Über ihre Oberfläche „kommunizieren“ Kristalle mit ihrer Umwelt, bei antiken Denkmälern deutlich zu sehen in einem regelrechten „Gesichtsverlust“. Feuchtigkeit und andere Faktoren sorgen für Auflösungsprozesse, die sich durch moderne Mikroskope auf molekularer Ebene beobachten lassen. Aber Minerale werden durch die umgebenden Substanzen nicht nur aufgelöst: Die Umgebung kann auch den Aufbau eines Kristalls steuern. So züchtet der Seeigel seine Stacheln aus sich aufbauenden Kristallen gezielt in die für ihn vorteilhafte Form. Abb. 1: Nicht der Zahn der Zeit, sondern Wasser und Schadstoffe nagen an den Oberflächen von Gesteinen. 45 Kristallographie Geowissenschaften Rubin 2007 B info1 Rasterkraftmikroskopie Das Rasterkraft-Mikroskop (atomic force microscope) tastet Oberflächen mechanisch ab. Das System erinnert an einen Plattenspieler: Eine Tastspitze, die an einer ca. 0,2 mm langen Blattfeder befestigt ist, wird mittels einer genauen Steuerung zeilenweise über die Probenoberfläche bewegt. Die Auslenkung der Feder aufgrund der Struktur der Oberfläche wird über einen reflektierten Laserstrahl mittels einer Photodiode detektiert. Die Verbiegung der Feder kann im Nanometer-Bereich gemessen werden, daher liefert die AFM-Methode Bilder von der Topographie der Oberfläche bis hin zu atomarer Auflösung. Die Auflösung eines AFM hängt Tastspitze des Rasterkraft-Mikroskops zum einen vom Radius der Spitze (10 bis 20 nm) und von der Genauigkeit der Steuerung ab, zum anderen spielen die Parameter der Rasterung (Breite und Abstand der Zeilen) sowie der Abstand zwischen Probe und Spitze eine Rolle. Je nach Rauigkeit der Oberfläche liegt die Auflösung in der Regel zwischen 0,1 und 10 nm. 0 0,5 1,0 0 2,0 4,0 Abb. 2a) Frische Spaltfläche von Calcit. Die Stufenhöhe am Pfeil ist ca. 0,3 nm, was einer atomaren Monolage des Calcits entspricht. Abb. 2b) Dieselbe Spaltfläche nach einer Minute in deionisiertem Wasser (deionisiert, um Effekte aus Fremdionen auszuschließen). Auf der Oberfläche haben sich rhomboedrische Ätzgruben gebildet, die nur eine Monolage tief sind. 46 ei der Beschreibung der Eigenschaften von Gesteinen, die für die Geowissenschaften unter anderem deshalb interessant sind, weil ihre Zusammensetzung ihre Geschichte und Herkunft spiegelt, steht der „Körper“ des Feststoffs im Mittelpunkt. Seine chemische Zusammensetzung, der atomare Aufbau, die chemischen und physikalischen Eigenschaften beschreiben seine charakteristischen Merkmale. Dabei ist es die Oberfläche, mit der der Feststoff mit seiner Umwelt „kommuniziert“. Im Kontakt mit der Luft, einem anderen festen Körper oder einer Flüssigkeit löst sie sich auf, geht chemische Reaktionen ein oder lagert weitere Moleküle an, so dass der Festkörper wächst. Reibung, Haftung, Reaktivität und viele andere Eigenschaften werden von der Oberfläche bestimmt. Im Umfeld der Geowissenschaften spielt die Oberfläche von Festkörpern in zweierlei Hinsicht eine wichtige Rolle. Einerseits ist die Wechselwirkung von Wasser mit Mineralen in Gesteinen und Böden von fundamentaler Bedeutung für unser Leben: Sei es in der Rheologie der Kontinentalplatten im globalen Raum, deren Bewegungen maßgeblich durch ihre Oberfläche beeinflusst werden, sei es im lokalen Wechselspiel zwischen Wasser und Geosphäre bei der Verwitterung beziehungsweise der Aufnahme, dem Transport und der Abscheidung von löslichen Bestandteilen der Böden und des Gesteins. Andererseits ist die Biomineralisation, das heißt die Nutzbarmachung von Mineralen durch Organismen, ein hoch kompliziertes Wechselspiel zwischen biologischer und mineralogischer Materie, das sich an der Grenzfläche zwischen Biosphäre und Geosphäre abspielt. Während die Auswirkungen zum Beispiel der Korrosion oder Verwitterung augenfällig sind (s. Abb. 1), spielen sich die zugrunde liegenden Prozesse auf atomarer Skala ab. Erst in jüngerer Zeit ist es Forschern gelungen, die molekularen Grundlagen der Kommunikation von Mineralen mit ihrer Umgebung zu untersuchen. Maßgeb- Kristallographie Geowissenschaften Rubin 2007 lich sind dabei moderne Verfahren der Mikroskopie, die in den letzten ca. 20 Jahren entdeckt und entwickelt worden sind. So erlaubt es die Kraftmikroskopie, englisch AFM (atomic force microscopy), die Oberflächenstruktur von Kristallen sichtbar zu machen (s. Info 1). Das Mikroskop tastet mit einer spitzen Nadel die Oberfläche in einem Abstand von wenigen Millionstel Millimetern ab. So ist es möglich, in einem eindimensionalen Scan den Verlauf der Oberfläche abzubilden. Durch Aneinanderreihen vieler Scans erhält man ein zweidimensionales Bild der Oberfläche, das ihre Morphologie in atomarer Auflösung zeigen kann. Reiht man wiederum die Einzelbilder zu Filmen aneinander, lässt sich der zeitliche Ablauf einer Auflösungsreaktion im Zeitraffer darstellen. Betrachtet man nun auf diese Weise die Vorgänge bei der Verwitterung, das heißt die über das Lösungsmittel Wasser ablaufende Auflösung eines Minerals, dann sieht man erstaunliche, nach einem Ordnungsmuster ablaufende Prozesse auf der Kristalloberfläche. Am Beispiel des Calcits, das einerseits als Marmor ein gern genutztes Baumaterial, andererseits als ein Gestein bildendes Mineral in der Natur weit verbreitet ist, kann man sehen, dass die makroskopisch perfekt glatte Oberfläche bei genügend hoher Auflösung terrassenartig aufgebaut ist (Abb. 2 a). Die einzelnen Terrassen wiederum haben kleine Gruben in der Fläche. Übertragen auf die atomare Dimension bedeutet dies, dass jeder Terrasse eine Schicht von Atomen zuzuordnen ist; im Calcit sind dies Calcium- und Carbonationen. Die kleinen Löcher stellen Defekte in einer solchen Schicht dar. An solchen Defekten beginnt nun unter Druck und bei erhöhter Temperatur im Kontakt mit Wasser ein Auflösungsprozess. Die Wassermoleküle „füllen die Lücken“ in der Kristallschicht; sie gehen Verbindungen mit den herausschauenden, unbesetzten Molekülenden ein und lösen sie so aus dem Kristallverbund heraus. So schälen sie den Kristall schichtweise von den Terras- Abb. 3: Die Oberfläche des Calcit-Kristalls in humider Atmosphäre (relative Luftfeuchte >95%) ist mit einem Wasserfilm (Sorbatschicht) von einer Monolage Dicke belegt. Die Sauerstoff-Atome der Wassermoleküle komplettieren die Umgebung der Calcium-Ionen an der Oberfläche. senstufen oder Löchern ausgehend ab (s. Abb. 2 b). Dieser Prozess erfolgt nach einem für die Kristallart und die Umstände der Auflösung typischen Muster. In der Umkehrung des Auflösungsprozesses lässt sich auf analoge Weise auch das Anlagern der Calcium- und Carbonationen, d.h. das Verwitterung als Ordnungsprozess Wachstum des Kristalls beobachten. Das Geschehen bei der Auflösung eines Calcit-Kristalls wird durch viele äußere Parameter, neben Druck und Temperatur auch durch das Lösungsmittel, seinen pH-Wert und das Vorhandensein von Ionen im Lösungsmittel beeinflusst. Verbunden mit der Tatsache, dass sich jede Kristallart auf ihre ganz eigene Weise verhält, ist es schwierig, solche Auflösungsprozesse zu verhindern, z. B. um Baudenkmäler vor der Verwitterung zu schützen. Ein Ansatz zum Schutz ist zum Beispiel die Versiegelung von Oberflächen, dank der Wasser, Schmutz und Öl abperlen sollen. Hinzu kommt, dass selbst die trockene Oberfläche eines Kristalls nicht nur von den Molekülen des Kristalls Sorbat-Schicht Calcit-Kristall Ca O C H 47 Kristallographie Geowissenschaften Rubin 2007 Abb. 4a: Seeigel der Spezies Paracentrotus lividus. Skelett und Stacheln sind komplett mit Haut überzogen. selbst bestimmt ist. Auch bei Raumtemperatur und Normaldruck haften andere Moleküle am Festkörper. Um sie zu untersuchen, eignet sich die Kraftmikroskopie nicht: Die Nadelspitze würde die nur lose anhaftenden Fremdmoleküle beiseite schieben und das Bild verfälschen. Um die Grenzschicht und die räumliche Verteilung der anhaftenden Moleküle erfassen zu können, nutzen wir Röntgenstreuexperimente, die wir an der ESRF (European Synchrotron Radiation Facility) in Grenoble durchführen konnten. Ein Röntgenstrahl wird dabei aus sehr flachem Einfallswinkel auf die Kristalloberfläche gerichtet; er verläuft fast parallel zur Oberfläche. Bei diesem streifenden Einfall dringt der Röntgenstrahl nur ca. fünf Nanometer tief in den Kristall ein. Er wechselwirkt jedoch mit fast allen Molekülen der Kristalloberfläche und wird von jedem in charakteristischer Weise abgelenkt. Detektiert man die so ab48 gelenkten Röntgenphotonen, entsteht ein Streumuster, das Rückschlüsse auf den Aufbau der so genannten Sorbatschicht erlaubt und auch die räumliche Verteilung der Sorbatmoleküle zu lokalisieren gestattet. Das besondere Mit Röntgenstrahlen die Oberfläche erkennen dieser Methode ist die Trennung der Streuinformation des Kristalls und der Sorbatschicht (s. Info 2). Die Auswertung der Experimente zeigt erstaunliche Ergebnisse. Nur bei einer frischen Spaltfläche im Ultra-Hochvakuum ist die Kristalloberfläche nahezu frei von Sorbatmolekülen. Bei normaler Umgebungsluft befinden sich einzelne Moleküle auf der Oberfläche, eine komplett geschlossene Schicht bildet sich nicht aus. Bei steigender Luftfeuchte bildet sich dann aber eine geschlossene Wasserschicht, die genau eine Moleküllage dick ist (s. Abb. 3). Die Wassermoleküle setzten sich wie Puzzleteile auf bestimmte Plätze der Kristalloberfläche und ergänzen so die Umgebung der Calcium-Kationen. Erst jenseits der Sorbatschicht beginnt die gasförmige Atmosphäre. Der Wasserfilm auf der Calcitoberfläche unterliegt im Kontakt mit der Atmosphäre und Umwelt chemischen Austauschreaktionen und mechanischen Einflüssen. So reagiert er zum Beispiel auf den pH-Wert und fördert bei sauren Bedingungen die Auflösung des Kristalls – man kann sich die Wasserschicht als Vermittler zwischen Luft und Kristall vorstellen. Andererseits wirkt die Wasserschicht als eine Art Schmierfilm. Wie sehr sich dadurch physikalische Eigenschaften ändern können, kann jeder dank Rutsch-Erfahrungen bei Glatteis, beim Ski- oder Schlittschuhlaufen nachvollziehen. Das Rutschen wird ebenfalls durch einen mobilen Was- Kristallographie Geowissenschaften Rubin 2007 um- und Carbonat-Ionen an den bestehenden Calcitkeim wird durch Bestandteile der Zellflüssigkeit teilweise blockiert. So wächst der Kristall nur an den Stellen weiter, an denen die Zellflüssigkeit das erlaubt – die gewünschte, genetisch programmierte Form wird herangezüchtet. Die Seeigelstacheln sind praktisch aus dem Kristallgitter herausgeschnitten (s. Abb. 6 a und b). Lediglich unter Die gewünschte Kristallform heranzüchten Abb. 4b: Das Seeigelskelett ist mit kleinen Höckern versehen, auf denen die Stacheln in einer Art Kugelgelenk beweglich aufliegen. serfilm auf dem festen Eis gewährleistet, der erst bei sehr viel tieferen Temperaturen, unter -15 °C, fest wird und so das Eis stumpf macht. Die verfestigte Oberfläche führt dann zum Festkleben an der sehr kalten Oberfläche. Unsere neuesten Untersuchungen haben noch ganz andere Einflussmöglichkeiten der Oberfläche auf die Eigenschaften von Mineralien ergeben: Bei der Nutzung von Mineralien als „Baumaterial“ für biologische Organismen, der so genannten Biomineralisation, sind Mechanismen am Werk, die durch die Veränderung der Oberfläche für ein kontrolliertes Kristallwachstum sorgen. Auch hier spielt wieder Calcit die Hauptrolle, diesmal als Baustoff des anorganischen Exoskeletts von Schnecken, Muscheln, Kalkalgen und besonders Seeigeln (Abb. 4 a u. b). Seeigel entwickeln sich aus einer Larve und verfügen am Anfang ihres Le- bens noch über kein Skelett. Sie nehmen die Grundstoffe für ihr CalcitSkelett, Calcium- und Carbonat-Ionen, aus dem Wasser auf und lagern sie im Inneren ihrer Körperzellen in kleinen Zellräumen, den Vesikeln, zusammen. Hat sich einmal ein CalcitKeim gebildet, lagert der noch winzige Kristall von selbst Calcium- und Carbonat-Ionen, die in der Zellflüssigkeit gelöst sind, an seine Oberflächen an. Ungesteuert würde ein typischer Calcit-Kristall mit rhomboedrischer Form (Abb. 5) und glatten Oberflächen entstehen. Dem Seeigel gelingt es aber, ein kugelförmiges Skelett und lange, dünne Stacheln wachsen zu lassen. Man könnte nun annehmen, Skelettsegmente und Stacheln seien nicht homogen, quasi einkristallin, aufgebaut. Tatsächlich sindsie es aber. Diese morphologische Eigenheit kann nur beim Wachstum des Skeletts gesteuert werden. Die typische Anlagerung von neuen Calci- ein Prozent des Stachelmaterials besteht aus organischen Resten. Wie genau die Zellflüssigkeit des Seeigels aufgebaut ist, dank der das gesteuerte Kristallwachstum gelingt, ist noch nicht bekannt. Ihre komplexe Zusammensetzung unter anderem aus Glykoproteinen, Seidenproteinen und anderen Makromolekülen, die unterschiedliche Zusammensetzung und Molekulargewichte aufweisen, macht es bis heute unmöglich, die Einzelheiten des Prozesses der Biomineralbildung zu beschreiben. Simulationsexperimente mit einfachen Aminosäuren, die als Bestandteile der Makromoleküle der Nährflüssigkeit im Seeigel vorkommen, haben aber gezeigt, dass die Morphologie des Kristalls durch solche Wachstumshemmer auf eine Art und Weise beeinflusst werden kann, die zur Stachelbildung führen könnte. Von einer Simulation des Stachelwachstums sind solche Versuche allerdings noch weit entfernt. Die Frage nach den molekularen Wechselwirkungen der Modellsubstanzen, also der Aminosäuren, mit der Wachstumsoberfläche ist erst in ersten Ansätzen beleuchtet. Kristallzucht-Experimente haben gezeigt, dass die Zugabe von einfachen organischen Molekülen, z.B. Aminosäuren, die Calcit-Morphologie stark verändert. Dies wird auf die Passung von Molekülen auf die atomare Struktur der Oberfläche zurückgeführt – die Oberfläche wirkt wie eine dreidimensionale Schablone, in deren Relief Moleküle Platz nehmen können. Doch nicht nur die Anordnung der Atome, son49 Kristallographie Geowissenschaften Rubin 2007 C Basis Schaft 0.1 cm C Abb. 6: Aufnahmen eines Seeigelstachels der Spezies Echinus esculentus mit dem Rasterelektronenmikroskop. Oben: Orientierung des kristallographischen Gitters im Kristall. Die scheinbare Segmentierung des Stachels ist ein Artefakt, das durch das Zusammensetzen der einzelnen Aufnahmen der Stachelabschnitte verursacht wird, und nicht der Realität entspricht. Rechts: Querschnitt des Stachels mit den Bruchflächen. Der biogene (Seeigel-)Calcit ist im Gegensatz zum geologischen Calcit nicht perfekt spaltbar, sondern bricht muschelig, wie an den mit Pfeilen markierten Stellen zu sehen ist. dern auch ihre Ladung spielt eine große Rolle: Die elektrostatische Wechselwirkung aufgrund der elektrischen Ladung der Atome in Molekül und Oberfläche (entgegengesetzt geladene Atome ziehen sich an, gleich geladene stoßen sich ab) bestimmt die Stärke der Bindung eines Sorbat-Moleküls an die Kristall-Oberfläche. In einem weiteren Versuch haben wir mit dem Röntgenstreuexperiment unter streifendem Einfall untersucht, wie Aminosäuren mit der Kristalloberfläche des Calcits wechselwirken. Unser Ergebnis: Genau wie der Wasserfilm ordnen sich auch Aminosäuren – z. B. die einfachste unter den 20 Aminosäuren, Glycin – mit dem Lösungsmittel Wasser zusammen regelmäßig auf der Calcitoberfläche an (Abb. 7). Dieses Ergebnis stützt die Hypothese, dass die Schicht der Makromoleküle die Calcitbildung über ihre Grenzflächeneigenschaften steuern. In einem Optimierungsprozess im Laufe der Evolution wurden auf diese Weise die für die Seeigelspezies spezifischen Skelettstrukturen herangebildet. Dieses Verhalten von organischenMolekülen an anorganischen Oberflächen wirft die Frage auf, ob die Mineralgrenzflächen in der Entwicklung Abb. 5: Typischer Calcit-Kristall mit rhomboedrischer Form und glatten Flächen. 50 komplizierter biologischer Strukturen eine Rolle gespielt haben. Im Laufe der Erdgeschichte müssen sich aus der ungeordneten „Ursuppe“ irgendwann erstmals kleine organische Moleküle Optimierungsprozess der Evolution zusammengefunden haben, unter anderen die Aminosäuren, die bis heute Informationsträger des Lebens sind. In der Weite des Raums ist allerdings die Wahrscheinlichkeit äußerst gering, dass sich Einzelmoleküle durch Zufall getroffen und zu größeren Molekülen verbunden haben. Würde nun aber die Oberfläche eines Kristalls, etwa eines Calcitkristalls, gerade diese Einzelmoleküle anreichern und sie somit in räumliche Nähe zueinander bringen, wäre der Aufbau größerer Einheiten erleichtert. Die Kristalloberfläche hätte als Haftfläche gewirkt, auf der sich die passenden Partnermoleküle treffen und verbinden können. Der erste Schritt hin zu komplexeren molekularen Strukturen wäre damit getan. Theoretische Berechnungen am Lehrstuhl für Theoretische Chemie der RuhrUniversität haben ergeben, dass solche Vorgänge möglich sein müssten. Kristallographie Geowissenschaften Rubin 2007 info2 Röntgenstreu-Experimente an Oberflächen: Wie die Technik funktioniert Röntgenstrahlung hat andere Eigenschaften als sichtbares Kristall-Modells entstehen würde, wird berechnet und mit Licht, u.a. ist ihre Wellenlänge ca. tausendmal kleiner. Daher dem gemessenen Streubild verglichen. Der konstante Streuwerden die Röntgenphotonen beim Auftreffen auf einen beitrag des Kristall-Volumens wird ebenfalls aus der Kristallkristallinen Körper nicht nur reflektiert, sondern in charak- struktur berechnet und dazu addiert. Stimmen die berechteristischen Mustern gebeugt. Die Auswertung dieser Beu- neten und die experimentellen Daten nicht überein, so wird gungsmuster liefert Informationen über den atomaren Auf- das Oberflächen-Modell so lange verändert, bis Kalkulation und Experiment sich decken. Innerhalb des Modells werden bau und die Struktur des Materials. Fällt der Röntgenstrahl nun unter einem sehr geringen Win- dabei Atom-Positionen, Molekül-Abstände und -Rotationskel (< 0,5°) auf einen Kristall (streifender Einfall), so dringen winkel sowie die Besetzung der einzelnen Atomlagen, insdie Photonen nur in den oberflächennahen Bereich von ca. besondere die Besetzung der Sorbatschicht, variiert. 30-50 Å (1 Å (Ångström) = 10-10 m) ein (Abb. 1). Das entstehende Beugungsmuster enthält neben dem StreubeiDetektor trag vom so genannten Kristall-Volumen, dem „Körper“ des Abb. 1 z Kristalls, Informationen über die Anordnung der Atome in der Kristalloberfläche. Befinden sich periodisch geordneeinfallende gestreute te Moleküllagen auf der Oberfläche, so tragen diese ebenRöntgenstrahlung Strahlung falls zum Streumuster bei. Die Kombination aus dem Streux <0.5° beitrag der Oberfläche und dem Kristall-Volumen wird als Sorbatschicht „crystal truncation rod“ (CTR) bezeichnet (Abb. 2). Diese CTRs werden mithilfe eines so genannten „leastOberfläche y square“-Fit-Verfahrens analysiert: Ausgehend von der Volumenstruktur des Kristalls wird ein erstes atomares Modell der Kristalloberfläche einschließlich der Sorbatschicht er- Kristall-Volumen stellt. Das Beugungsmuster, das bei der Bestrahlung dieses Abb. 2 crystal truncation rod (CTR) 102 exp. fit Intensität Streubeitrag Oberfläche 101 100 Streubeitrag Kristall-Volumen 0 5 Relative Gittereinheiten 10 15 51 Kristallographie Geowissenschaften Rubin 2007 Glycin Wasser-Schicht Calcit-Kristall Ca C O H N Abb. 7: Anordnung der einfachsten Aminosäure Glycin auf der Calcit-Oberfläche im Lösungsmittel Wasser. Die Wasser- und die Aminosäuremoleküle bilden einen lateral geordneten Film auf der Oberfläche. Die Glycin-Moleküle sind jedoch nur schwach gebunden, da die Oberfläche durch den bereits in den humider Atmosphäre existierenden Wasserfilm abgeschirmt wird. lich werden sie vielleicht viel später als Baumaterial verwendet und sind wiederum der Verwitterung preisgegeben. Die experimentelle Überprüfung steht noch aus. Der Kreis zwischen der Biomineralisation und der Geosphäre schließt sich durch die Sedimentation biogen Prof. Dr. Hermann Gies, Dr. Uta Magdans, Institut für Geologie, Mineralogie und Geophysik, Mineralogie-Kristallographie erzeugter Hartschalen von Meerestieren, z.B. von Kalkalgen. Nach dem Tod der Organismen sinken die mineralischen Reste ihrer Skelette zu Boden und versteinern dort – letzt- Anzeige Stetig wachsende Anforderungen an unsere Schrauben. Bierbach GmbH Verbindungstechnik Werdohler Str. 23 D - 58762 Altena 52 Tel.: +49 (0) 2352 20 14 - 0 Fax: +49 (0) 2352 20 14 - 59 www.bierbach-gmbh.de Geographie Geowissenschaften Rubin 2007 Stadtstruktur und Wasserqualität: Chinas Megacities geht das Wasser aus Harald Zepp Michael Johann Antje Burak Die Wirtschaft Chinas boomt, die Metropolen wachsen und überbieten sich in ihren glitzernden Fassaden. Bei näherem Hinschauen sind diese Megacities meist groß, unübersichtlich und sehr verschmutzt. Die Trinkwasserqualität für 300 Millionen Chinesen sei gefährdet, lässt das zuständige Ministerium verlauten. Am Beispiel der Provinzhauptstadt Nanjing untersuchen Geographen den Zusammenhang von Stadtstruktur und Wasserqualität und schaffen damit eine Basis für umweltschonende und nachhaltige Konzepte. Abb. 1: Skyline der Megacity Shanghai. 53 Geographie „D er Quell des Todes“ titelt die Süddeutsche Zeitung und „China droht Wasserkrise“ weiß die Westdeutsche Allgemeine Zeitung zu berichten. Die boomende Wirtschaftsentwicklung im Osten Chinas hat ihre Kehrseiten: Alarmierend hohe Stoffkonzentrationen werden in Boden, Wasser und Luft gemessen. In einem der am dichtesten bevölkerten Gebiete der Erde belasten Schadstoffe die Gesundheit und verringern die Lebensqualität für Millionen von Menschen. Die Medien informieren meist pauschal über den Zustand der Umwelt in China: Doch Umweltprobleme werden stets auf lokaler Ebene brisant. Gemeinsam mit Partnern vom Institut für Bodenkunde der Chinesischen Akademie der Wis- Geowissenschaften Rubin 2007 senschaften und dem Geographischen Institut der Universität Nanjing haben wir die Gewässer der Millionenstadt Nanjing (Nanking) und den Landschaftshaushalt (Bodenerosion, Wasser- und Nährstoffhaushalt) im ländlichen Hügelland Südostchinas untersucht. Im Mittelpunkt dieses Beitrags steht der Einfluss des rasanten Geographischer Blick auf eine Millionenstadt Stadt- und Wirtschaftswachstums auf die Gewässerqualität in sog. Megacities – Städte mit mehreren Millionen Einwohnern und Bevölkerungsdichten von mehr als 2000 Einwohnern pro Quadratkilometer. Diese Städte mit ihren alten Wohn- und Industrie- Abb. 2: Die Megacity Nanjing mit ihrem Nebeneinander alter und neuer Bebauung: Messpunkt zwölf lag an einem Kanal, der ein innerstädtisches Wohngebiet durchquert. quartieren, den neuen Industrie- und Gewerbekomplexen, den hypermodernen Einkaufszentren und exklusiven Wohnvierteln, die Westeuropäern so unübersichtlich erscheinen, versuchen wir mit geographischem Blick zu charakterisieren und räumlich zu ordnen. Wer den Osten Chinas zum ersten Mal bereist, ist fasziniert von der Intensität, mit der alle verfügbaren, nicht überbauten Flächen genutzt werden. Es gibt kaum einen brach liegenden Quadratmeter, weder im ländlichen Raum, noch in den explodierenden Großstädten. Überall wird der landwirtschaftliche Anbau durch hohe Düngergaben und Pflanzenschutzmittel unterstützt. Möglich wurde dies erst durch die Grüne Revolution, die großtech- Geographie Geowissenschaften Rubin 2007 nische Herstellung von Agrochemikalien in den ehemaligen Entwicklungsund Schwellenländern, und erforderlich durch das Bevölkerungswachstum. In den Städten kommen weitere gewässerverschmutzende Substanzen aus häuslichen und industriellen Abwässern hinzu (Fäkalien, Schwermetalle, Hormone oder Medikamentenrückstände). Unsere Forschungsfrage lautete: Gibt es einen Zusammenhang zwischen der räumlichen Stadtstruktur und der Wasserqualität innerstädtischer Gewässer? Dabei interessierte uns im Einzelnen, ob es im Stadtgebiet Unterschiede in der Wasserqualität gibt, die im Zusammenhang mit der jeweiligen Landnutzung stehen, oder ob sich in allen Oberflächengewässern Nanjings derselbe Cocktail an Inhaltstoffen wiederfindet. Die Provinzhauptstadt Nanjing mit ihrem Nebeneinander aus unterschiedlich alter Wohnbebauung, Industrie-, Gewerbe- und Verkehrsflächen, städtischen Parks und kleinflächigen landwirtschaftlich genutzten Parzellen bot das geeignete Untersuchungsobjekt. An 18 Beprobungsstellen, entlang von Bächen, Kanälen und Seen (Abb. 2 und 3) erhoben wir in einem Sommer- und einem Winterhalbjahr eine 16 e gtz Yan 11 15 Qinhuai 2 1 12 13 10 14 9 Qinhuai 8 17 New Qinhuai 6 7 4 5 3 18 Qinhuai Abb. 3: Lage der 18 Beprobungsstellen (Messpunkte) entlang von Bächen, Kanälen und Seen. Messgröße Gelände- Messung Labor- Messung Anzahl der Messstellen Anzahl der Proben 320 Wassertemperatur • 18 elektrische Leitfähigkeit • 18 303 pH-Wert • 18 303 Gesamt-Stickstoff • 18 216 Nitrat-Stickstoff • 18 318 Ammonium-Stickstoff • 18 333 Gesamt-Phosphor • 18 198 gelöster reaktiver Phosphor 301 • 18 gelöster Sauerstoff • 18 296 Sauerstoffsättigung • 18 296 Chemischer Sauerstoffbedarf • 18 274 Kalium • 17 170 Natrium • 17 170 Calcium • 17 170 Bor • 17 170 Magnesium • 17 170 170 Eisen • 17 Mangan • 17 170 Aluminium • 17 170 Kupfer • 17 170 Cadmium • 17 170 Zink • 17 170 Chrom • 17 170 Blei • 17 155 Tab. 1: Einflussgrößen für die Wasserqualität vor Ort oder im Labor bestimmt: Anhand von Schadstoffen, Temperatur, pH-Wert und elektrischer Leitfähigkeit können die Herkunft und der Grad der Emissionen ermittelt werden. Fülle von Qualitätsparametern für das Wasser. Bei der Auswahl geeigneter Probenentnahmepunkte, der Gelände- und Laborarbeit unterstützten uns unsere Kooperationspartner. Besonders aufschlussreich erschien uns der Längsschnitt entlang des Flusses Qinhuai (Abb. 4), der die gesamte Stadt mit einem breiten Nutzungsspektrum quert. An 19 Tagen bestimmten wir entweder vor Ort mit Handmessgeräten oder im Labor Einflussgrößen für die Wasserqualität (Tab. 1): Dabei ist Phosphor Indikator für Belastungen aus der Landwirtschaft und aus häuslichen Abwässern, der sog. CSB-Wert (chemischer Sauerstoff-Bedarf) gibt an, wie viel gelöster Sauerstoff beim Abbau organischer Belastungen des Wassers verbraucht wird. Je belasteter ein Gewässer ist, umso geringer ist daher die Konzentration an gelöstem Sauerstoff. Schwermetalle wie Cadmium, Chrom, Kupfer stammen häu- fig aus industriellen Fertigungsprozessen, während Stickstoffverbindungen Emissionen aus der Landwirtschaft anzeigen. Temperatur, pH-Wert und elektrische Leitfähigkeit sind Basisund Summenparameter, die für jede allgemeine Wasserqualitätsbeurteilung unverzichtbar sind. Temperatursprünge entlang des Flusses weisen auf Orte möglicher Stoff-Einträge in das Wasser hin, niedrige pH-Werte in städtischen Gebieten sind Anzeiger für Säuren, und die Leitfähigkeit ist ein Maß für die Salzfracht eines Gewässers. Mithilfe des statistischen Verfahrens der Clusteranalyse haben wir die Wasserqualität an den 18 Beprobungspunkten in sieben Gruppen zusammenfasst. Weit schwieriger als die Bestimmung der Wasserqualität ist eine räumliche Gliederung der Stadtstruktur. Eine Kartierung wäre zu zeitaufwändig und moderne, hochauflösende Satel55 Geographie Geowissenschaften Rubin 2007 Abb. 4: Ein Längsschnitt durch das Stadtgebiet Nanjings entlang des Flusses Qinhuai umfasst ein breites Nutzungspektrum: von alter Wohnbebauung, Industrie-, Gewerbe und Verkehrsflächen bis zu städtischen Parks und kleinen landwirtschaftlich genutzten Parzellen. Im Hintergrund der Yangtze. litenbilder sind zu feinkörnig, um eine gesamtstädtische Gliederung vorzunehmen (Abb. 5). Es nützt wenig, jedes Einzelgebäude und jede Baumgruppe erkennen zu können. Wir haben eine Methode entwickelt, mit der sich die feinen Texturen eines Satellitenbildes zu größeren Flächen gleicher Wertigkeit zusammenfügen lassen. Diese Methode, die zu den Bildsegmentierungsverfahren gehört, haben wir im Computerprogramm „Mosaik“ umgesetzt, das sehr flexibel auf zahlreiche andere Anwendungen in der Bildanalyse oder zur landschaftsökologischen Raumgliederung übertragen werden kann. Die einzige Voraussetzung stellt das Vorhandensein von Bildpunkten (Rasterpunkte) dar. Für das Beispiel Nanjing nutzten wir den roten Spektralkanal eines Satellitenbildes (räumliche Auflösung von 10 x 10 m2), der für unsere Zwecke die größte Aussagekraft besitzt. Dabei wird quasi jeder Ausprägung eines Rasterpunktes eine Oberflächenquali56 tät – etwa Wasser, Wald oder versiegelte Fläche – zugeordnet. Gleichartige Stadtstrukturen treten dann durch charakteristische Ansammlungen von Bildpunkten hervor. So ergeben sich in einem größeren Areal gleicher Nutzung zwar ebenfalls viele verschiedene Rasterpunkte (Oberflächentypen), aber mit wiederkehrenden Nachbarschaftsbeziehungen. Wohngebiete bilden in der Regel ein Mosaik von Satellitenbild: Stadtstrukturen nehmen Gestalt an Gebäude- und Grünflächen ab, unterscheiden sich aber untereinander wiederum in der Größe gleichartiger Teilflächen. Landwirtschaftlich geprägte Gebiete setzen sich aus Flächen verschiedener landwirtschaftlicher Kulturen, Bewässerungskanälen und Gebäudegruppen zusammen. All dies lässt sich statistisch erfassen und rechnerisch zu größeren Raumeinheiten klassifizieren: Für jeden einzelnen Rasterpunkt (Pixel) gleicher Ausprägung wird die Anzahl der Kontakte zu Nachbar-Pixeln unterschiedlicher Qualität erfasst, Kontakte zu „Nachbarn“ gleicher Ausprägung bleiben unberücksichtigt. Auf diese Weise erhält man eine Matrix, die Auskunft darüber gibt, welche Typen von Rasterzellen – also von Geländeoberflächen – besonders häufig aneinander angrenzen. Die Häufigkeit von Kontakten zwischen Rasterzellen unterschiedlicher Ausprägung wird durch die Gesamtkontakte der betroffenen Rasterzellen dividiert. Die so errechnete Konfinität dient als ein vom Programmnutzer festgelegter Regler, der bedeutende von unbedeutenden Nachbarschaften trennt. Rasterzellen mit bedeutsamer, häufig wiederkehrender Nachbarschaft werden zu einer Fläche zusammengefasst. Das neue Areal stellt wiederum eine Mischung verschiedenster Oberflächentypen dar, die dann zu beschreiben und zu interpretieren sind. Diese Prozedur lässt Geographie Geowissenschaften Rubin 2007 Die Wasserqualität unterliegt großen jahreszeitlichen und räumlichen Schwankungen, was die Werte für den gelösten Sauerstoff an den einzelnen Probenentnahmestellen und der Vergleich der 18 über das Stadtgebiet verteilten Messpunkte widerspiegeln (s. Abb. 7). Besonders auffällig ist die Veränderung der Wasserqualität entlang des Flusses Qinghuai. Mit Annäherung an die Innenstadt sinkt der Gehalt an gelöstem Sauerstoff und gleichzeitig steigt der chemische Sauerstoffbedarf (Abb. 8a) als Maß für die Verschmutzung durch organische Stoffe. In gleicher Weise steigen Ammoniumkonzentration und Gesamtstickstoff-Konzentration an (Abb. 8b). Im Innenstadtbereich ist ein deutlicher Sprung im Anstieg der Metallkonzentrationen messbar. Nimmt man alle Parameter und alle Messstellen hinzu, so ergibt sich ein sehr komplexes, auf den ersten Blick kaum überschaubares Bild der Wasserqualität. Deshalb unterscheiden wir sieben Wassertypen, die wir anhand von Netzdiagrammen darstellen. Ein solches graphisches Bild erlaubt einen raschen Überblick, wie die drei hier exemplarisch vorgestellten Messpunkte (2, 10, 13) zeigen (Abb. 9 a bis c). Die Wassertypen sind anhand von Indexwerten (0 bis100) der Belastungsparameter untereinander vergleichbar: Hohe Werte drücken positive Abweichungen vom Mittelwert aus, während niedrige Werte anzeigen, dass ein Stoff nur in geringer Konzentration vorliegt (günstiger 20660000 20670000 20680000 20650000 20660000 20670000 20680000 3550000 3550000 3560000 20650000 3560000 sich mehrfach wiederholen. Nach dem letzten Programmdurchgang fasste ein deutscher Bearbeiter die Areale gleicher Oberflächentextur möglichst unvoreingenommen zusammen, und diese Einteilung wurde anschließend gemeinsam mit einem ortskundigen chinesischen Kollegen interpretiert. Auf diese Weise konnten Stadtkörperstruktur und vorherrschende Nutzung begrifflich festgelegt werden (s. Abb. 6). Damit wurde das Ergebnis der physikalisch-geometrischen Prozedur anhand von neun Landnutzungs- bzw. Stadtstrukturtypen quasi in die menschliche Vorstellungswelt übersetzt. Doch spiegelt diese räumliche Nutzflächenstruktur auch die unabhängig davon zu ermittelnden wasserchemischen Typen wider? Abb. 5b: Auf der Basis des roten Spektralkanals lassen sich mit Hilfe des Computerprogramms „Mosaik“ die feinen Texturen des Satellitenbildes zu größeren Flächen gleicher Wertigkeit zusammenfassen. 3540000 3530000 3530000 3540000 Abb. 5a: Moderne, hochauflösende Satellitenbilder sind zu feinkörnig, um die Beziehung zwischen Stadtstruktur und Wasserqualität zu visualisieren. Abb. 5c: Im letzten Schritt werden die Ergebnisse des Computerprogramms „Mosaik“ schließlich zu großen Flächen generalisiert. Diese geben eine Stadtkörperstruktur mit spezieller Nutzung wieder: etwa Wald oder alte Wohn- und Industriegebiete. 57 Geographie Geowissenschaften Rubin 2007 20680000 3560000 20670000 3560000 20660000 16 11 3550000 3550000 15 2 13 Wasserqualitätstypen a b c d e h f Landnutzungs- und Stadtstrukturtypen innerstädtische Viertel mit Mischnutzung alte Wohn- und Industriegebiete 14 10 Legende neue Industriegebiete 9 17 3540000 3540000 peri-urbane Flächen (randstädtisch) 8 7 4 3 20660000 20670000 Neubauviertel ländlicher Raum Wald 18 Wasserflächen 20680000 Überschwemmungsgebiete Abb. 6: Landnutzungs- bzw. Stadtstrukturtypen und die Wasserqualitätstypen: Durch das spezielle Bildsegmentierungsverfahren werden neun Stadtstrukturtypen aus dem feinkörnigen Satellitenbild heraus vorstellbar. Gelöster Sauerstoff 12 mg/l 9 6 3 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 Ort der Messung Abb. 7: Gelöster Sauerstoff für alle 18 Messpunkte: Je belasteter ein Gewässer, umso geringer ist die Konzentration an gelöstem Sauerstoff. 58 Gewässergüteparameter). Messpunkt 2 liegt in einem Naherholungsgebiet am Rande der Innenstadt. Das Wasser kommt aus einem von Belastungen weitgehend verschonten Waldgebiet, entsprechend niedrig liegen die Konzentrationen, und der Index-Wert für den gelösten Sauerstoff ist günstig. Im deutlichen Gegensatz dazu steht Messpunkt 13, der stellvertretend für die Innenstadt (Mischnutzung) steht. Die auf häusliche Abwässer schließen lassenden Parameter Stickstoff, Phosphor, gelöster Sauerstoff und chemischer Sauerstoffbedarf sind deutlich erhöht. Messpunkt 10 liegt zwischen dem innerstädtischen Gebiet und einem Neubaugebiet: Hier sind alle Parameter mit Ausnahme von Zink und gelöstem Phosphor erhöht. Wir vermuten, dass „Phosphor“ und „gelös- Geographie Geowissenschaften Rubin 2007 Neubauviertel Stadtrand Innenstadt 9 80 8 70 7 60 6 50 5 40 4 30 3 2 20 18 4 8 9 10 11 Chemischer Sauerstoffbedarf (mg/l) Gelöster und Chemischer Sauerstoff (mg/l) ter Sauerstoff“ niedriger liegen, weil sich das Wasser hier durch das aus dem Süden hinzu kommende Flusswasser verdünnt und der Anschluss des Neubaugebietes an die städtische Entwässerung ebenfalls zur Verdünnung führt. Die mit einheitlichen Symbolen gekennzeichneten Wassertypen übertragen wir in die Karte der räumlichen Stadtstruktur (Abb. 6). Jetzt erkennen wir Auffälligkeiten, die die Eingangsfrage beantworten: Wir sehen einen räumlichen Zusammenhang zwischen der Wasserqualität und den städtischen Raumstrukturen. In chinesischen Großstädten steht der Gewässerschutz vor enormen Problemen. Stadtentwässerung, Industrieabwässer und häusliche Abwässer verlaufen nur in modernen, neuen Stadtteilen in geordneten Bahnen. Immer Probenahme chemischer Sauerstoffbedarf gelöster Sauerstoff Abb. 8 a: Zunehmende Verschmutzung in Richtung Innenstadt: Die Konzentration an gelöstem Sauerstoff entlang des Flusses Qinghuai sinkt – gleichzeitig steigt der Chemische Sauerstoffbedarf. Ammonium und Gesamt-Stickstoff Unkontrolliert fließen Abwässer in die Flüsse 16 14 12 10 8 6 4 2 0 4 8 9 Probenahme 10 11 mg/l 18 Gesamt-Stickstoff Ammonium-Stickstoff Abb. 8 b: Zunehmende Verschmutzung in Richtung Innenstadt: Ammonium- und Gesamt-Stickstoff-Konzentrationen steigen entlang des Flusses Qinhuai an. pH-Wert und elektrische Leitfähigkeit 8,0 1000 7,5 800 7,0 600 6,5 400 6,0 200 5,5 5,0 4 8 9 10 11 Probenahme pH-Wert elektrische Leitfähigkeit elektrische Leitfähigkeit S/cm 0 18 pH-Wert noch überwiegen unüberschaubar viele Abwasser-Einleitungen in die Gewässer, anstelle diese Kläranlagen zuzuführen. Das Beispiel der Millionenstadt Nanjing zeigt, welchen Einfluss Stadt- und Wirtschaftswachstum auf die Gewässerqualität besitzen. Hoch aufgelöste Satellitenbilder helfen dabei, die an Einzelpunkten in langen Messreihen identifizierten Wirkungen auf die gesamte Fläche von Stadt und Umland zu übertragen. Was haben wir aus unseren Untersuchungen gelernt? Der Zustand der Gewässer in Nanjing verdeutlicht die große Herausforderung einer Analyse der Umwelt in den Megacities Ostasiens. Erst allmählich greifen dort vorbeugende Planungen. Anspruchsvolle Umweltqualitätsstandards existieren – in Form von Grenzwerten – auch in China. Aber die Hypothek der Vergangenheit wiegt schwer. Auch in Deutschland hat es Jahrzehnte gedauert, ehe die Folgen der Gewässerverschmutzung durch die industrielle Nutzung oder die Belastung des Grundwassers durch Düngemittel erkannt und ihnen wirkungsvoll gegengesteuert wurde. Wir sollten nun im Abb. 8 c: Zunehmende Verschmutzung in Richtung Innenstadt: Der pH-Wert sinkt und die elektrische Leitfähigkeit steigt an. 59 Geographie Geowissenschaften Rubin 2007 Wald Calcium Kalium Eisen 90 40 Magnesium Ammonium -10 Cadmium Gesamtstickstoff gelöster reaktiver Phosphor Zink Blei gelöster Sauerstoff Chemischer Sauerstoffbedarf Innenstadt Calcium Kalium Eisen 90 40 Magnesium Ammonium -10 Cadmium Gesamtstickstoff gelöster reaktiver Phosphor Zink Blei gelöster Sauerstoff Chemischer Sauerstoffbedarf Neubauviertel Stadtrand Calcium Kalium Eisen 90 40 Magnesium Ammonium -10 Cadmium Gesamtstickstoff gelöster reaktiver Phosphor Zink Blei gelöster Sauerstoff 60 Chemischer Sauerstoffbedarf Austausch mit den chinesischen Kollegen von unseren Erfahrungen berichten und zur Diskussion stellen, ob diese auf die gesellschaftlichen und naturräumlichen Bedingungen Chinas übertragbar sind. In den letzten Jahren werden die Konsequenzen der ungezügelten und ungelenkten Wirtschaftsentwicklung in China zunehmend erkannt. Unsere Arbeiten waren in der Vergangenheit nicht auf die Stadtgewässer Nanjings beschränkt, sie betrafen auch Umweltprobleme des ländlichen Raums (Bodenerosion, Überdüngung, ineffiziente Bewässerung) in der weit von Nanjing entfernt liegenden Provinz Jiangxi. Dabei stellt sich trotz großer Entfernungen ein innerer Zusammenhang der Entwicklungen in den Städten und auf dem Land heraus. Das gebremste, aber Innerer Zusammenhang von Stadt und Land nach wie vor starke Bevölkerungswachstum setzt Arbeitskräfte im ländlichen Raum frei. Nach vorherrschender Meinung können diese Menschen nur in den Städten (Industrie, Baubranche, Dienstleistungen) Beschäftigung finden. Voraussetzung für die rasante Wirtschaftsentwicklung im Zuge der Globalisierung ist die zunehmende Integration Chinas in die Weltwirtschaft. Das nationale Statistik-Büro (NBS) gibt an, dass in den chinesischen Städten alleine im 1. Halbjahr 2006 Millionen von Arbeitsplätzen durch das Wirtschaftswachstum entstanden seien. Der überwiegende Teil dieser Arbeitsplätze dürfte durch Wanderarbeiter, die ohne Recht auf ständigen Wohnsitz in die Städte gekommen sind, besetzt worden sein. Sie machen die sog. „Floating population“ aus, die in den ofAbb. 9: Netzdiagramme der Wasserqualität von drei der 18 Beprobungsstellen im Stadtgebiet von Nanjing. Die Stadtstrukturtypen „Wald“, „Innenstadt“ und „Neubauviertel“ sind anhand von Indexwerten (0 bis 100) schnell vergleichbar: Hohe Indexwerte stehen für einen hohen Schadstoffgehalt, niedrige Werte für geringe Konzentrationen. Geographie Geowissenschaften Rubin 2007 fiziellen Einwohnerzahlen der Städte nicht berücksichtigt ist. Der Zuzug von Menschen hat einen Teil der Umweltprobleme in den großen Städten verursacht. Die Kosten der negativen Umweltwirkungen der industriellen Produktion mit veralteter Technik spiegeln sich wegen früher fehlender Umweltschutzvorschriften und heutiger mangelnder Überwachung nicht in der Preisgestaltung der Exportgüter wider. Es gibt keine Patentrezepte für die riesige Integrationsaufgabe, die Entwicklung von Mensch und Umwelt in den verschiedenen Teilräumen Chinas in eine nachhaltige Richtung zu steuern. Geographische Regionalstudien ermöglichen aber zumindest ein Herunterbrechen der als problematisch erkannten Entwicklung auf konkrete Orte und Umweltmedien. So bieten die Untersuchungen vor Ort geeignete Grundlagen für die Entwicklung von Konzepten zur umweltschonenden, nachhaltigen Nutzung auf dem Lande und in den Städten. Unsere Untersuchungen auf dem Lande sind bereits in ein Demonstrationsvorhaben zur umweltschonenden Landwirtschaft eingeflossen, das insbesondere den sparsamen Umgang mit Wasser, die Minderung des Nährstoffaustrags und die Vermeidung von Bodenerosion zum Ziel hat. Die verantwortlichen Stadtplaner in Nanjing kennen die Problematik der städtischen Gewässer. In Trockenzeiten wird immer wieder relativ sauberes Flusswasser durch die innerstädtischen Kanäle geflutet, und neu erschlossene Siedlungsflächen sowie sanierte alte Stadtteile werden an die Kanalisation und an inzwischen errichtete Kläranlagen angeschlossen. Nach Angabe des für die Wasserversorgung zuständigen Ministers Wang Shucheng kann die Trinkwasserqualität für 300 Millionen Chinesen nicht garantiert werden (People‘s daily. Online, 22.3.2005). Die chinesische Zentralregierung hat die drohende Gefahr erkannt, wenn der Umweltminister die Umweltzerstörung als den entscheidenden Engpass der wirtschaftlichen Entwicklung ansieht (Spiegel-Inter- view 7.3.2006). Mit drastischen Maßnahmen soll das Wirtschaftswachstum von derzeit über zehn Prozent herabgesetzt werden, wie jüngst (5.3.2007) der chinesische Premierminister vor dem Volkskongress bekräftigt hat. Ob unsere konkreten Arbeiten zur Steigerung des Umweltbewusstseins beitragen können? In jedem Fall sind sie ein Baustein zu einem Monitoring, das in dieser Weise von den Umweltbehörden nicht betrieben worden ist, und mittelfristig entfalten sie Wirkung durch die Diskussion mit den chinesischen Wissenschaftlern und Umweltbehörden vor Ort. Dies wollen wir fortsetzen und neben dem Oberflächenwasser auch den Boden und das Grundwasser in die Analysen integrieren. Prof. Dr. Harald Zepp, Dipl.-Geogr. Michael Johann und Dr. Antje Burak, Geographisches Institut, Angewandte Physische Geographie Anzeigen 61 Profil Geowissenschaften Rubin 2007 Institut für Geologie, Mineralogie und Geophysik Fakultät für Geowissenschaften Geographisches Institut Gesellschaftswissenschaften Naturwissenschaften Geowissenschaften an der Ruhr-Universität Bochum Ingenieurwissenschaften Abb. 1: Fakultät für Geowissenschaften mit ihrem wissenschaftlichen Umfeld. S ie ist nicht nur Schnittstelle dreier Fächergruppen, sie verbindet in sich selbst wie keine andere Fakultät natur-, ingenieur- und geisteswissenschaftliches Denken. Die Fakultät für Geowissenschaften der Ruhr-Universität besteht aus dem Geographischen Institut und dem Institut für Geologie, Mineralogie und Geophysik (s. Abb. 1). Vielfältige Wechselwirkungen mit den Natur- und Ingenieurwissenschaften pflegen vor allem die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen der Geologie, Mineralogie und Geophysik sowie der Physischen Geographie, während die Humangeographie besonders mit den Gesellschaftswissenschaften verbunden ist. Auch an der Ruhr-Universität waren die im deutschen Sprachraum traditionell eigenständigen Fachrichtungen Geologie, Mineralogie und Geophysik bis 1999 als eigene Institute mit eigenem Diplom-Studiengang vertreten. Mit der Gründung des neuen gemeinsamen Instituts zum 1. Januar 2000 betonte die Fakultät die über die Jahre kontinuierlich zugenommene Ge62 meinsamkeit in den Geowissenschaften und schuf damit einen für Zentraleuropa führenden Forschungs- und Lehrstandort, der die gesamte Breite geowissenschaftlicher Forschung abdeckt. Damit war zugleich die organisatorische Plattform für den gestuften Studiengang „Geowissenschaften“ geschaffen, der die drei getrennten Diplomstudiengänge durch ein innovatives fachübergreifendes Konzept ersetzt. Analog dazu wurden im Geographischen Institut die gestuften Studiengänge eingeführt (s. Abb. 2). Beide Institute bieten jeweils einen eigenständigen gestuften Voll-Studiengang mit den Abschlüssen Bachelor of Science (B.Sc.) und Master of Science (M.Sc.) an, das Geographische Institut den Studiengang „Geographie“, das Institut für Geologie, Mineralogie und Geophysik den Studiengang „Geowissenschaften“. Der erste Studienabschnitt mit dem Abschluss B.Sc. dient der breiten Grundausbildung. Der zweite Studienabschnitt mit dem Abschluss M.Sc. vermittelt Spezialkenntnisse in einer der Vertiefungsrichtungen, was den Anforderungen auf dem Arbeitsmarkt entspricht und zugleich die Grundlage für den späteren Einstieg in wissenschaftliches Arbeiten schafft. Neben den Vollstudiengängen wird von beiden Instituten ein im Umfang reduziertes Angebot für den gestuften 2-Fach-Studiengang mit Abschluss Bachelor of Arts (B.A.) bereitgestellt, hinzu kommen im Rahmen des Optionalbereichs auch Module für Studierende anderer Fachrichtungen. Im Fach „Geographie“ bereitet der Fakultät für Geowissenschaften Geographisches Institut • Physische Geographie • Humangeographie • Geomatik • Didaktik der Geographie Institut für Geologie, Mineralogie und Geophysik • Endogene Geologie • Sediment- und Isotopengeologie/Paläontologie • Angewandte Geologie • Mineralogie/Kristallographie • Mineralogie/Petrologie • Geophysik Abb. 2: Struktur der Fakultät für Geowissenschaften Profil 2. Studienjahr 4. Studienjahr Bachelor Geographie B. Sc. 5. Studienjahr Geographie (M.Sc.) • Physische Geographie • Humangeographie • Geomatik Regionale Geographie (M.A.) Geographie B. A. (2-fach) Geowissenschaften B. A. (2-fach) Endogene Geologie • Sediment- und Isotopengeologie • Angewandte Geologie • Mineralogie/ Kristallographie • Mineralogie/Petrologie • Geophysik • Resources and Energy Master Geowissenschaften B. Sc. Bachelor Geologie, Mineralogie, Geophysik Master of Education (M.Ed.) Abb. 3: Studiengänge und Vertiefungsrichtungen an der Fakultät für Geowissenschaften che innovative Konzepte eingeführt. Alle Studiengänge sind akkreditiert. Ihre Entwicklung wird kontinuierlich intern evaluiert und die Konzepte werden - unter aktiver Mitwirkung der Studierenden - optimiert. In ihrer Grundstruktur haben sie sich von Anfang an bestens bewährt. info1 Daten zur Geschichte der Fakultät 30. Juni 1965: WS 1965/66: WS 1968/69: 01.01.2000 WS 2000/01 WS 2001/02 WS 2002/03 WS 2004/05 WS 2005/06 WS 2006/07 WS 2006/07 3. Studienjahr Master Geographie 1. Studienjahr Geowissenschaften 2-Fach-Studiengang unter anderem auf das Lehramt vor. Im Fach „Geowissenschaften“ wurde die Kombination mit einem anderen Fach im Rahmen des 2-Fach-Studiengangs so erstmals in Deutschland eingeführt. Berufliche Perspektiven versprechen hier vor allem Kombinationen mit anderen naturwissenschaftlichen Fächern, die dann eine entsprechende Spezialisierung im zweiten Studienabschnitt (M.Sc.) zulassen. Das Geographische Institut bietet ferner einen Studiengang „Regionale Geographie“ für das 2-Fach-Programm mit Abschluss Master of Arts (M.A.) an und stellt das entsprechende Angebot im Bochumer Modell der Lehrerausbildung mit dem Abschluss Master of Education (M.Ed.) bereit. Schließlich erfolgt die Promotion an der Fakultät für Geowissenschaften im Rahmen eines strukturierten Promotionsstudiengangs. Die Fakultät für Geowissenschaften hat bei der Umstellung auf die neuen Studiengänge bundesweit eine Vorreiterrolle übernommen und zahlrei- strukturierter Promotionsstudiengang Geowissenschaften Rubin 2007 Eröffnung der Ruhr-Universität Bochum Abteilung Geowissenschaften und Astronomie nimmt Lehrbetrieb auf Übergang der Astronomie in die Fakultät für Physik; die Fakultät für Geowissenschaften besteht aus dem Geographischen Institut, dem Institut für Geologie, dem Institut für Mineralogie und dem Institut für Geophysik Das Institut für Geologie, Mineralogie und Geophysik, zusammengeführt aus den drei zuvor selbständigen Instituten, nimmt seine Arbeit auf Einführung des Bachelor-/Master-Studiengangs Geowissenschaften, des ersten gestuften Studienganges an der Ruhr-Universität Bochum Einführung des Bachelor-/Master-Studiengangs Geographie Geographie im 2-Fach-B.A.-Studiengang Geowissenschaften im 2-Fach-B.A.-Studiengang Einführung des Master of Education Einführung des Master-Studiengangs „Regionale Geographie“ im 2-Fach-Modell Einführung des strukturierten Promotionsstudiengangs Geowissenschaften Alle Studiengänge der Fakultät für Geowissenschaften bieten zahlreiche Möglichkeiten an, um im Ausland Erfahrungen zu sammeln. Die Studierenden nehmen etwa Austauschsemester in Griechenland, Türkei, Tschechien, Österreich, Spanien, Polen, Italien, England, Schweiz und Slowenien im Rahmen des europäischen ERASMUS/SOCRATESProgramms wahr. Weitere Möglichkeiten bieten umfangreiche wissenschaftliche Kooperationen mit zahlreichen ausländischen Institutionen. Stipendien und Programme der Humboldt-Stiftung, des DAAD, der ESF oder der UNESCO sind Anreiz für ein Auslandsstudium. Schließlich ergeben sich durch vielfältige Forschungskooperationen immer wieder attraktive individuelle Angebote für die Anfertigung von Abschlussarbeiten (B.Sc. oder M.Sc.) im Ausland. Stiftungen erlauben der Fakultät die Verleihung eigener Preise für exzellente Studienabschlussarbeiten. Der „Siegfried Niedermeyer-Förderpreis“ wird für herausragende Leistungen auf dem Gebiet der computergestützten Datenakquisition, -bearbeitung und interpretation sowie numerischer Problemlösungen vergeben. Der „Praxispreis Geowissenschaften“ würdigt besondere Leistungen in der angewandten geowissenschaftlichen Forschung. Die Stiftung „Geowissenschaften in der Öffentlichkeit“ fördert regelmä63 Profil Geowissenschaften Rubin 2007 info 2 Kennzahlen der Fakultät Studierende Frauenanteil Anteil ausländischer Studierender Anzahl der Professoren Anzahl der Juniorprofessoren und Nachwuchsgruppenleiter Anzahl der wiss. Mitarbeiter Anzahl der wiss. Mitarbeiter in Drittmittel-Projekten Anzahl der Mitarbeiter aus Technik und Verwaltung Jährliches Drittmittelaufkommen Anzahl der Promotionen pro Jahr 1500 40 % 4% 24 2 42 40 71 3 Mio. € ca. 20 ßig Vorträge renommierter Experten aus dem In- und Ausland, in denen die Rolle der Geowissenschaften in unserer Zivilisation für ein breites Publikum herausgestellt wird. Forschung und Lehre bilden am Geographischen Institut eine Einheit, die darauf abzielt, den Studierenden für die praktische Berufstätigkeit und für die Forschung ein breites Spektrum an Kenntnissen und Methoden zu vermitteln. Diese sind entsprechend der Brückenfunktion des Faches sowohl natur- als auch geisteswissenschaftlich ausgerichtet. Daraus leitet sich die info3 SFB 526: Rheologie der Erde – von der Oberkruste bis in die Subduktionszone Der Planet Erde ist aufgrund seines Aufbaus und des Temperaturfelds im Erdinneren - etwa im Gegensatz zum Mond - dauernder Veränderung unterworfen. Konvektionsbewegungen im Erdmantel sind der Motor für Bewegungen der Lithosphärenplatten. Dabei konzentriert sich die Verformung vor allem auf die Plattengrenzen. Doch ein Menschenleben ist zu kurz, um die Bewegungen der Platten in Geschwindigkeiten von Zentimetern pro Jahr direkt wahrzunehmen. Durch die Satelliten-Geodäsie lassen sich Plattenbewegungen heute jedoch schon über Zeiträume von wenigen Jahren mit großer Genauigkeit bestimmen. In geologischen Zeitmaßstäben laufen diese Bewegungen dagegen sehr schnell ab. Kontinente zerbrechen, Ozeane öffnen sich oder kehren durch „Subduktion“ in den Erdmantel zurück. Zeugnis dieser Verformung vor allem entlang der Plattengrenzen und größerer aktiver Bruchzonen weltweit sind die Erdbeben (Seismizität) mit ihren zum Teil gravierenden Fol- Hebung un g Kreta ca. 0,8 cm/Jahr De hn S r ne eil sk rra ite n tion „Widerlager“ d e ke re m k c st Rü Ak Verkürzung Dehnung O Afrikanischer Kontinentalrand gekoppe lt Afrik a ent nisch 100 km gen für die Zivilisation. Sie sind Ausdruck sog. bruchhafter Verformung im oberen, kälteren Stockwerk der Lithosphäre, während höhere Temperaturen in größeren Tiefen das langsame plastische Fließen der Gesteine ermöglichen. Im Sonderforschungsbereich (SFB 526) “Rheologie der Erde” wird das mechanische Verhalten der Gesteine unter den verschiedenen Bedingungen untersucht (Rheologie: Verformungs- und Fließverhalten). Wissenschaftler aus den Geowissenschaften und den Ingenieurwissenschaften sowie der Chemie und Physik nutzen dafür ein breites methodisches Spektrum. Sie analysieren und experimentieren im Feld, im Labor oder anhand von Computer-Simulationen. Es werden Vorgänge erforscht, die sich in den unterschiedlichsten räumlichen und zeitlichen Skalen abspielen: von großräumigen Veränderungen an den Plattengrenzen über Millionen von Jahren hinweg bis zur Diffusion eines Atoms in einem Mineral in Sekundenbruchteilen. Den Schwerpunkt der Feldforschung bildet die ca. 3,5 cm/Jahr N Hellenische Subduktionszone in der südlichen Ägäis, wo sich Vulkanismus die Afrikanische Platte mit einer Geschwindigkeit von etwa Santorin 4 Zentimetern pro Jahr unter den südlichen Rand der Eurasischen Platte schiebt (s. Abb.: Sub Tektonisch-geophysikalisches du ktio nsk Modell). an e Pla tte al deh ydr atio kop p elt n Abb.: Tektonisch-geophysikalisches Su Modell der Hellenischen Subduktions- bd uk zone am Südrand der Ägäis. tio n = Erdbebenherd Weitere Informationen unter: http://www.ruhr-uni-bochum.de/sfb526 64 Profil/Impressum Geowissenschaften Rubin 2007 Gliederung des Instituts ab, in dem die klassischen Teildisziplinen der Physischen Geographie und der Humangeographie sowie Didaktik der Geographie mit der Geomatik und der Bodenkunde vereint sind. Dies ermöglicht es, die Lehr- und Forschungsbereiche einer modernen, an den Erfordernissen des Arbeitsmarktes orientierten Geographie abzudecken. Das Lehrangebot des Geographischen Instituts im M.Sc.-Abschnitt des gestuften Studiengangs gliedert sich in drei Vertiefungsrichtungen (s. Abb. 3), während im Institut für Geologie, Mineralogie und Geophysik sechs Einheiten gleichzeitig die Vertiefungsrichtungen im M.Sc.-Abschnitt repräsentieren und in gleichen Anteilen auch die geowissenschaftliche Grundausbildung im B.Sc.-Abschnitt leisten (s. Abb. 3). Eine siebte Vertiefungsrichtung im M.Sc.-Abschnitt ist das durchgän- gig in englischer Sprache angebotene Programm „Geosciences – Resources and Energy“, das Studierende aus dem In- und Ausland auf den Einsatz in der Rohstoff-Exploration und in der Energieversorgung vorbereitet. Die Markenzeichen des Instituts sind der außergewöhnliche Anteil fachübergreifender Kooperation innerhalb und außerhalb der Fakultät für Geowissenschaften sowie die intensive und fruchtbare Zusammenarbeit mit vielen Forschungseinrichtungen im Inund Ausland, eingebunden in zahlreiche Drittmittelprojekte. Hervorzuheben ist hier der seit 1999 von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderte SFB 526 „Rheologie der Erde – von der Oberkruste bis in die Subduktionszone“ (s. Info). Seit 2006 ist eine von der Deutschen Forschungsgemeinschaft im Emmy-Noether-Programm geförderte Nachwuchsgruppe „The response of seismogenic faults to natural and human-induced changes in loads on Earth`s surface“ in der Endogenen Geologie angesiedelt. Ein aktuelles Beispiel für die internationale Sichtbarkeit auch im Bereich der Lehre und der Weiterbildung ist die im Sommer 2007 erstmals ausgerichtete International German Summerschool on Hydrology (IGSH), über die Wissenschaftler aus der ganzen Welt praxisrelevante Zusatzqualifikationen erhalten. Die Fakultät für Geowissenschaften ist eine weltoffene Fakultät: Jahr für Jahr kommen zahlreiche Wissenschaftler aus aller Herren Länder als Stipendiaten oder Gastwissenschaftler an die Fakultät und Bochumer Geowissenschaftler fühlen sich an Forschungsinstituten weltweit manchmal fast schon wie zu Hause. impressum Herausgeber Fakultät für Geowissenschaften in Verbindung mit der Pressestelle der Ruhr-Universität Bochum Wissenschaftlicher Beirat Altrektor Prof. Dr. Manfred Bormann (Fak. f. Physik), Prof. Dr. Käte Meyer-Drawe (Fak. f. Philosophie, Pädagogik u. Publizistik), Prof. Dr. Dr. E. h. Wilfried B. Krätzig (Fak. f. Bauingenieurwesen), Prof. Dr. Ulrich Kück (Fak. f. Biologie), Prof. Dr.-Ing. Ulrich Kunze (Fak. f. Elektotechnik u. Informationstechnik), Prof. Dr. Konrad D. Morgenroth (Medizinische Fak.), Prof. Dr. Stefan Schirm (Fak. f. Sozialwissenschaft), Prof. Dr. Friedrich E. Schnapp (Juristische Fak.), Prof. Dr. Klaus T. Überla (Medizinische Fak.) Redaktion Pressestelle der Ruhr-Universität Bochum Dr. Barbara Kruse (Redaktionsleitung) [email protected] Meike Drießen Babette Sponheuer (Bildredaktion und Fotografie) Bildnachweis Titelgestaltung: diezwei, designagentur Bochum, Erdkugel: Pixelquelle; S. 20, Abb. Sascha Böhmke / Pixelquelle; S. 21, Abb.2 links: hotelranking24 / Pixelquelle; Abb.2 rechts: Nicole Forster/ Pixelquelle; S. 24 u. S. 25, Abb. 5a u. 5b: ESTOP Palma de Mallorca; S. 28, Abb. Pearly1 / Pixelquelle; S. 36, Abb. U.S. Geological Survey Photographic Library; S. 46, Abb. 2: S. L. Stipp, J. Konnerup-Madson, K. Franzreb, A. Kulik, H.J. Mathhieu, Nature 396, 1998; S. 46, Abb. im Info: Lehrstuhl für Physikalische Chemie; S.48, Abb. 4a: Sue Scott, Schottland; S.49, Abb.4b:Ruppert Wellstein / Pixelquelle; S. 52, Abb. iStockphoto Der Herausgeber hat sich um die Einholung der nötigen Bildrechte mit allen Mitteln bemüht, wo das nicht möglich war, bitten wir eventuelle Rechtsinhaber, sich mit der Redaktion in Verbindung zu setzen. Anschrift Pressestelle der Ruhr-Universität Bochum 44780 Bochum Tel. (0234) 32-22133, -22830 Fax (0234) 32-14136 [email protected] http://www.ruhr-uni-bochum.de/rubin/ Satz und Layout diezwei designagentur, Bochum M. Bartosiewicz, K. Walther www.diezwei-design.de Druck Kessler Druck + Medien GmbH & Co. KG 86399 Bobingen Auflage 4500 Anzeigenverwaltung- und herstellung Vmm Wirtschaftsverlag GmbH & Co. KG Maximilianstraße 9 86150 Augsburg Monika Burzler Tel. (0821)4405-423 www.vmm-wirtschaftsverlag.de Bezug der Zeitschrift RUBIN „Geowissenschaften“ ist ein Sonderheft des Wissenschaftsmagazins RUBIN. Es ist in der Fakultät für Geowissenschaften zu einem Bezugspreis von 5 Euro pro Einzelheft erhältlich. Das Wissenschaftsmagazin RUBIN erscheint zweimal im Jahr, ein Teil der Auflage als Beilage der Universitätszeitschrift RUBENS. ISSN 0942-6639 Nachdruck bei Quellenangabe und Zusenden von Belegexemplaren 65 Auf einen Blick Geowissenschaften Rubin 2007 Die Fakultät für Geowissenschaften www.ruhr-uni-bochum.de/geo-fak/ Dekan: Prof. Dr. Stefan Wohnlich Tel.: 0234 / 32 – 27993 bzw. 23505 Fax: 0234 / 32 – 14535 E-Mail: [email protected] Geographisches Institut www.geographie.ruhr-uni-bochum.de Angewandte Physische Geographie Prof. Dr. Harald Zepp Tel.: 0234 / 32 – 23313 Fax: 0234 / 32 – 14169 E-Mail: [email protected] Kultur- und Siedlungsgeographie Prof. Dr. Lienhard Lötscher Tel.: 0234 / 32 – 23354 Fax: 0234 / 32 – 14885 E-Mail: [email protected] Bodenkunde, Bodenökologie Prof. Dr. Bernd Marschner Tel.: 0234 / 32 – 22108 Fax: 0234 / 32 – 14169 E-Mail: [email protected] Kultur- und Siedlungsgeographie Prof. Dr. Manfred Hommel Tel.: 0234 / 32 – 23356 Fax: 0234 / 32 – 14169 E-Mail: [email protected] Klimaforschung und Hydrogeographie Prof. Dr. Heribert Fleer Tel.: 0234 / 32 – 23316 Fax: 0234 / 32 – 14169 E-Mail: [email protected] Wirtschafts- und Sozialgeographie Prof. Dr. Uta Hohn Tel.: 0234 / 32 – 28433 Fax: 0234 / 32 – 14484 E-Mail: [email protected] Landschaftsökologie/Biogeograhie Prof. Dr. Thomas Schmitt Tel.: 0234 / 32 – 28377 Fax: 0234 / 32 – 14180 E-Mail: [email protected] Raumforschung und Regionalentwicklung Prof. Dr. Bernhard Butzin Tel.: 0234 / 32 – 23436 Fax: 0234 / 32 – 14484 E-Mail: [email protected] Entwicklungsforschung und Entwicklungspolitik Prof. Dr. Wilhelm Löwenstein Tel.: 0234 / 32 – 28418 Fax: 0234 / 32 – 14294 E-Mail: [email protected] Geo- Fernerkundung Prof. Dr. Carsten Jürgens Tel.: 0234 / 32 – 23376 Fax: 0234 / 32 – 14877 E-Mail: [email protected] Geoinformation und Kartographie Prof. Dr. Frank Dickmann Tel.: 0234 / 32 – 23379 Fax: 0234 / 32 – 14180 E-Mail: [email protected] Geographiedidaktik Prof. Dr. Karl-Heinz Otto Tel.: 0234 / 32 – 24848 Fax: 0234 / 32 – 14484 E-Mail: [email protected] Institut für Geologie, Mineralogie und Geophysik (GMG) www.ruhr-uni-bochum.de/gmg Hydrogeologie Prof. Dr. Stefan Wohnlich Tel.: 0234 / 32 – 23294 Fax: 0234 / 32 – 14120 E-Mail: [email protected] Paläontologie Prof. Dr. Jörg Mutterlose Tel.: 0234 / 32 – 23249 Fax: 0234 / 32 – 14571 E-Mail: [email protected] Seismologie Prof. Dr. Wolfgang Friederich Tel.: 0234 / 32 – 23271 Fax: 0234 / 32 – 14181 E-Mail: [email protected] Ingenieurgeologie Prof. Dr. Michael Alber Tel.: 0234 / 32 – 23296, Fax: 0234 / 32 – 14120 E-Mail: [email protected] Mineralogie-Kristallographie Prof. Dr. Hermann Gies Tel.: 0234 / 32 – 23512 Fax: 0234 / 32 – 14433 E-Mail: [email protected] Experimentelle Geophysik Prof. Dr. Jörg Renner Tel.: 0234 / 32 – 24613 Fax: 0234 / 32 – 14181 E-Mail: [email protected] Hydrogeochemie Prof. Dr. Frank Wisotzky Tel.: 0234 / 32 – 23967 Fax: 0234 / 32 – 14120 E-Mail: [email protected] Physikalisch-chemische und angewandte Kristallographie Prof. Dr. Jürgen Schreuer Tel: 0234 / 32 – 24381 Fax: 0234 / 32 – 14433 E-Mail: [email protected] Gravimetrie Prof. Dr. Uwe Casten Tel.: 0234 / 32 – 23273 Fax: 0234 / 32 – 14181 E-Mail: [email protected] Endogene Geologie, Tektonik, Magmatismus Prof. Dr. Bernhard Stöckhert Tel.: 0234 / 32 – 27254 Fax: 0234 / 32 – 14572 E-Mail: [email protected] Strukturgeologie (N.N.) Sediment- und Isotopengeologie Prof. Dr. Adrian Immenhauser Tel.: 0234 / 32 – 28250 Fax: 0234 / 32 – 14571 E-Mail: [email protected] 66 Mineralogie-Petrologie Prof. Dr. Walter V. Maresch Tel.: 0234 / 32 – 23511 Fax: 0234 / 32 – 14433 E-Mail: [email protected] Physikalisch-chemische Mineralogie Prof. Dr. Sumit Chakraborty Tel.: 0234 / 32 – 24395 Fax: 0234 / 32 – 14433 E-Mail: [email protected] Juniorprofessur Organische Sedimentologie, Biogeochemie Dr. Ulrich Heimhofer Tel.: 0234 / 32 – 23252 Fax: 0234 / 32 – 14571 E-Mail: [email protected] Emmy-Noether-Nachwuchsgruppe Tektonische Modelle Dr. Andrea Hampel Tel.: 0234 / 32 – 27718 Fax: 0234 / 32 – 14572 E-Mail: [email protected]