Showtime für das „unternehmerische Selbst - HAWK

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Tanja Thomas
Showtime für das „unternehmerische
Selbst" - Reflexionen über Reality-TV
als Vergesellschaftungsmodus
„Identität", so konstatierte Detlef Claussen schon 1995, habe als Modewort
eine erstaunliche Karriere gemacht - von einem philosophischen Fachbegriff über einen terminus technicus der Psychologie zu einem Schlüsselwort. Inzwischen könne Identität, so behauptet er - zugegebenermaßen
provokativ - „als Chiffre des sozialen Konformismus verstanden werden egal ob darunter ein individueller oder kollektiver Tatbestand gefasst wird"
(Claussen 1995, S . 29) . Wenn ich mich im Folgenden mit Identitätsangeboten in Castingshows beschäftige, geht es mir keineswegs darum, den Identitätsbegriff gänzlich zu verwerfen . Dennoch sollen im ersten Abschnitt meines Beitrages einige zentrale Kritikpunkte an dem Konzept „Identität" aufgegriffen und zum Anlass einer durchaus ebenso kritischen Betrachtung
gemacht werden .
In einem zweiten Schritt werde ich für eine Untersuchung des Zusammenhangs zwischen Medien und Identitätsangeboten in Castingshows unter
Hinzuziehung der Begriffe Selbst- und Fremddisziplinierung plädieren, die
von Foucault und den Governmentality Studies inspiriert sind . Schließlich
geht es mir darum, am Beispiel des Formates „Castingshow", das als eine
Variante im Prozess der Ausdifferenzierung des Hybridgenres Reality TV'
(vgl . Klaus, Lücke 2003) verstanden werden kann und als solches nicht
mehr aus der deutschen Fernsehlandschaft wegzudenken ist, eine medienund zugleich gesellschaftskritische Analyse dieses medialen Angebots und
seiner Identifikationsangebote zu entwickeln . Denn - so die These Castingshows machen Identifikationsangebote, die mit dem Schlagwort des
„unternehmerischen Selbst" charakterisiert werden können . In diesem Zusammenhang gilt es zu zeigen, dass das Spezifische an diesem unternehmerischen Selbst, das in den Castingshows auftritt, auf der Tatsache beruht,
dass die Personen selbst die Produkte ihres unternehmerischen Handelns
sind .
In einem dritten und abschließenden Schritt werde ich meine Argumentation mit einigen Zitaten aus Gruppengesprächen mit SchülerInnen verschiedener Klassenstufen untermauern, wobei die Interviewführung und Auswer51
tung insbesondere auf die Anschlussfähigkeit von Medien- und Alltagserfahrungen fokussierte . Die hier nur sehr knapp skizzierten Ergebnisse machen m.E . sehr deutlich, dass ein Verständnis maßgeblich medial strukturierter Identitätsprozesse erarbeitet werden muss, das die Identitätskonstituierungen und -konstruktionen von AkteurInnen wie Rezipientlnnen nicht
unabhängig von der sozialen Verortung, Lebenssituation und den diskursiv
wie institutionell vermachteten Orten der Hervorbringung in einer aktuell
neoliberal geprägten Gesellschaft versteht .
Ziel der Überlegungen ist es, eine Herangehensweise zu entwickeln, die es
ermöglicht, nach Homologien, strukturellen Ähnlichkeiten und Differenzen
in Medienangebot, Mediengebrauch und gesellschaftlichen Formationen zu
suchen, in die Identitätsprozesse eingebunden sind . Schließlich geht es um
die Ausarbeitung eines Forschungsprogramms, dessen Ergebnisse erhellen
wollen, welche Rolle mediale Unterhaltungsangebote hinsichtlich der Reproduktion und Legitimierung aktueller gesellschaftlicher Verhältnisse und
der darin eingewobenen Ungleichheiten spielen.
1 . Zur kritischen Betrachtung des Identitätsbegriffs
Heiner Keupp, bekannt geworden durch sein Konzept der „PatchworkIdentität", hat auf anspruchsvolle und anregende Weise die Veränderungen
von „Identität" herausgearbeitet und im Laufe der Jahre modifiziert . In einem jüngeren, 2003 erschienenen Beitrag skizziert Keupp, „wie der globalisierte neue Kapitalismus unsere Lebens- und Arbeitsformen verändert"
(Keupp 2003, S . 299) . Hier greift er mit Blick auf Identität eine Diagnose
von Jeremy Rifkin auf, der im Jahr 2000 konstatierte : „ein neuer menschlicher Archetypus wird gerade geboren" ; diesen als neu' definierten Archetypus nennt Rifkin „die proteische Persönlichkeit" (zit . nach Keupp 2003,
S . 301) . Orientiert hat er sich mit dieser Begriffserfindung an der Gestalt
des Gottes Protheus in der griechischen Mythologie, der spielerisch jede
beliebige Gestalt annehmen kann, dafür aber einen existentiellen Preis zahlt
- er kann sich selbst nie finden .
Polemisch kommentiert dies Morus Markard als Vertreter der Kritischen
Psychologie : „Die Vokabel „Identität" [. . .] ist selber proteisch" . Markard
versucht sich an einer Funktionskritik des Konzepts „Identität", an einer
Analyse von dessen Karriere, seiner wissenschaftlichen und außerwissenschaftlichen Verwendung . Dabei betont er, dass es ihm keineswegs darum
gehe, ein Phänomen zu leugnen oder seine Relevanz in Frage zu stellen, also die Tatsache, dass Menschen Identitäten suchen und dass mediale Angebote - Fernsehserien, Reality Shows oder Castingshows - Identifikationsofferten machen, die in Identitätskonstruktionen einfließen können . Letztlich
- und diesen Gedanken gilt es auch für die empirische Untersuchung der
Identitätsangebote im medialen Angeboten konstruktiv zu wenden - fordert
Markard (2003, S . 77) dazu auf, die faktische Relevanz eines Phänomens
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und die mit ihm verbundene Vokabel theoretisch zu kritisieren, um eine
Praxis zu stützen, die dem Phänomen die faktische Relevanz nimmt .
Tatsächlich laufen Untersuchungen, die von den Prozessen ausgehen, die
vielfach unter dem Begriff der Individualisierung' gefasst werden und mit
einer weitgehenden Offenheit des Identitätsprojekts in der postmodernen
Gesellschaft einhergehen, mit einer Fokussierung auf mediale Identitätsangebote und deren Aneignung Gefahr, dabei Fragen nach dem problematischen Verhältnis zwischen gesellschaftlichen Entwicklungen, zwischen
Ökonomie, Politik und medialen wie individuellen Deutungen des Selbst
und der Welt zu vernachlässigen . Fragen nach Hegemonie, d .h . Fragen danach, wie sich die Reproduktion spezifischer gesellschaftlicher Verhältnisse
und Ungleichheiten vollzieht, werden damit entschärft oder gar zum Verschwinden gebracht .
Mit einer Betonung dieser Aspekte entfernt man sich übrigens keineswegs
allzu weit von dem allseits zitierten Gewährsmann Keupp : Auch er beschließt den bereits erwähnten, im Jahr 2003 veröffentlichten Aufsatz, in
dem er die „Zukünfte des Individuums" zwischen „Fitness für den Markt
oder Selbstsorge in der Zivilgesellschaft" beschreibt, mit dem Hinweis :
„Rechte ohne Ressourcen zu besitzen ist ein grausamer Scherz" .
So gründen auch Heiner Keupps Überlegungen zu dem von ihm selbst
schon 1993 so bezeichneten neuen Identitätstypus' (Keupp 1993), der
durch stärkere Durchlässigkeit, Flexibilität und situative Bestimmtheit ausgezeichnet sei, auf gesellschaftlichen Entwicklungen, die mit Ulrich Beck
als „Individualisierung" beschrieben und, um mit Anthony Giddens zu
sprechen, von Prozessen des „Disembedding" begleitet werden : Personen
und Dinge lösen sich aus ihrer zeitlichen und örtlichen Verankerung ebenso
wie ihrem sozialgeschichtlichen Kontext und Entstehungszusammenhang ;
kurz - sie werden flexibel . Die Institutionalisierung der Lebensläufe durch
Sozialstaat, Beruflichkeit und Bildungssystem tritt zunehmend zurück ; im
Zuge eines als Individualisierung bezeichneten sozialen Wandels ist das Individuum mit der Aufgabe konfrontiert, die eigene Wiedervergemeinschaftung zu organisieren .
Konkret bedeutet dies für die Subjekte, dass jene Lebensprozesse, aus denen in der Moderne die Bildung selbstgewisser Individuen resultierte - lang
dauernde Beziehungskontexte, langfristig angelegte Bildungsprozesse, Professionalisierung durch Arbeit und Beruf, Erwerb und Besitz von Gütern zunehmend in die Krise geraten . Individualisierungstendenzen ergreifen
nun unbestrittener maßen alle Subjekte . „Die Menschen sind zur Individualisierung verdammt" kommentierten dies Ulrich Beck und Elisabeth BeckGernsheim schon 1993 kritisch (Beck, Beck-Gemsheim 1993, S . 179) .
Im Jahr 2005, 12 Jahre später, kann man verschärfend konstatieren : War
das Verständnis von Individualisierung im dominanten öffentlichen Diskurs
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lange weitgehend auf die Ober- und Mittelschichten und das Ideal der autonomen Lebensführung fixiert, so treibt aktuell der neoliberale Abbau kollektiver Sicherungssysteme dessen Radikalisierung voran .
Zweckbestimmung [die natürlich unter Rekurs auf u .a . Begriffe von Autonomie, Authentizität näher zu bestimmen wäre] verloren hat und vielmehr
zur Legitimationsgrundlage des Systems geworden ist .
Sighard Neckel weist uns darauf hin, dass das Konzept Individualisierung'
unter den Bedingungen des radikalen Marktes insbesondere im politischen
Diskurs inzwischen vor allem eine Funktion übernimmt (vgl . Neckel 1999,
S. 160) : Es legt nahe, die Verteilung sozialer Chancen dem Individuum und
seiner Biographie zuzurechnen, in der Konkurrenz, Wettbewerb und Unsicherheit eine zunehmend wichtige Rolle spielen . So lernen Menschen, sich
selbst, ihre Fähigkeiten, Verhaltensmuster und Körper als inkorporierte
Standortmerkmale zu sehen, die sie eigenverantwortlich entwickeln, pflegen und anbieten müssen - und das sind wohl die Entwicklungen, die sich
m .E . in den Castingshows beobachten lassen und die Claussen in dem eingangs erwähnten Text mit Blick auf Identität mit folgenden Worten beschreibt : „( . ..) alles Objektive wird zum Kostüm des Subjektiven" .
Vor diesem Hintergrund richte ich den Blick auf „Identität" als ein Konzept, dass (übrigens ebenso wie der Begriff der ,Persönlichkeit', der in den
Castingshows so gerne gebraucht wird) auch als System der Platzzuweisung funktioniert - und das keineswegs nur im Sinne einer Fremdzuweisung vor dem Hintergrund eines statischen Identitätsverständnisses, sondern
ebenso im Sinne einer flexiblen Selbstklassifikation und autonomer Platzanweisung, die jedoch zugleich selbst als Form selbstdisziplinierender Kontrolle angesehen werden kann . Es gilt deshalb, sich den Prozessen und
Handlungspraktiken zuzuwenden, in denen Selbst- und Weltdeutungen gestaltet, angeboten, rezipiert und angeeignet werden . Unter dieser Prämisse
werden im Folgenden zunächst mit Blick auf das mediale Angebot
Castingshows, anschließend mit Blick auf deren Anschlussfähigkeit an Alltagserfahrungen Jugendlicher einige zentrale Analyseergebnisse vorgestellt .
Auch Axel Honneth und Martin Hartmann sprechen vom Anpassungsdruck,
der von der neoliberalen Umstrukturierung des kapitalistischen Wirtschaftssystems ausgeht und stellen fest, dass das,
„was zuvor unzweideutig als eine Steigerung des individuellen Autonomiespielraums angesehen werden konnte, im Rahmen der neuen Organisationsform des Kapitalismus die Gestalt von Zumutungen, Disziplinierungen oder Verunsicherungen annimmt, die zusammengenommen den
Effekt einer gesellschaftlichen Entsolidarisierung besitzen" (Hartmann,
Honneth 2004, S . 10).
Nicht eben optimistisch klingen Ulrich Becks (2005, S . 15) aktuelle Gesellschaftsdiagnosen; mit Blick auf Hartz IV stellt er fest : „Die Gesellschaft
des Mehr nahm den Staat in die Verantwortung, die Gesellschaft des Weniger setzt auf das Individuum, setzt es somit auch frei bis an die Grenze seiner Möglichkeiten" . Und schließlich folgert er :
„Dahinter verbirgt sich vielleicht sogar eine neue Herrschaftsstrategie .
Diese folgt nicht mehr dem Prinzip von Fürsorge und Bevormundung,
sondern dem der Selbstverantwortung und Selbstzurechnung von Fehlern, ja - zugespitzt gesagt - dem Prinzip der freiwilligen Selbstamputation : Man ist frei in der Wahl, worin man sich selbst zu beschneidet .
Selbstentfaltung heißt : Jeder wird Dompteur seiner Anpassung an das
Weniger" .
„Selbstverantwortung" und „Selbstzurechnung" sind in aller Munde . In diesem Kontext unterliegt der Identitätsbegriff Umdeutungsprozessen und so
stellt sich die Herausforderung, sich etwa mit Axel Honneths (2002, S . 146)
zuspitzend formulierter These auseinander zu setzen, dass Identität als
„Projekt" inzwischen so stark zu einem institutionalisierten Erwartungsmuster der sozialen Reproduktion geworden ist, dass sie ihre innere
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2 . Castingshows als Werkstatt des neoliberalen Subjekts?
In der Frankfurter Rundschau kommentierte man anlässlich des Finales zu
Deutschland sucht den Superstar im März 2003 :
„Was die Finalisten von all ihren 10 077 Mitbewerbern unterscheidet,
sind [vielmehr] ihre widerstandslose Anpassungsbereitschaft und der
Wille zu einer gnadenlosen Selbstausbeutung . Alexander und Juliette
sind die Superstars des Neoliberalismus" (Frankfurter Rundschau,
10 .03 .2003) .
Schon bald machten sich Politiker mit Blick auf die Castingshows Sorgen
darüber, ob sich Jugendliche weiterhin in Gesellschaft integrieren könnten .
Spiegel online titelte Staatssekretär verteufelt Popkultur. „ Castingshows
verderben die Jugend", denn Christoph Matschie, SPD Staatssekretär im
Bildungsministerium, war „richtig sauer" : Die Castingshows entführten die
Jüngeren in eine ,Scheinwelt', die ihnen ein Erfolgsmodell vorgaukele, die
nur bei wenigen funktioniere
Thomas Steinfeld resümierte hingegen in der Süddeutschen Zeitung :
„Wenn eine Gesellschaft in irgendeiner Fernsehsendung ihr getreues
Abbild gefunden hat, dann in dieser : Zwanzigtausend Bewerber und eine
Hand voll freier Stellen, Bewerbergespräche, die so verletzend, ja so demütigend sind, dass sie jedem Personalchef eine Klage wegen Beleidigung, ja Verleumdung einbrächten, eine Rivalität zwischen den Kandidaten, die weit eher zu einem assessment center für das gehobene Management gehört als zu ein •°d ,Scheinwelt"` (Süddeutsche Zeitung,
06.09 .2003) .
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In den Zitaten werden sehr einfache Vorstellungen einseitig kausaler Zusammenhänge zwischen Medien und gesellschaftlichem Wandel nahe gelegt
-- etwa in dem Sinne Das mediale Angebot prägt die Vorstellungen von Gesellschaft' oder Veränderte gesellschaftliche Verhältnisse führen zu neuen
Medienangeboten' . Wenn hier aber vielmehr Homologien, strukturelle Ähnlichkeiten und Differenzen in medialen wie gesellschaftlichen Wandlungsprozessen untersucht werden, die als neoliberale Koformierung' gedeutet
werden können, so liegt dem ein kommunikationswissenschaftliches Verständnis von Medien zugrunde, die ich im Anschluss an Friedrich Krotz
(2003, S . 23) Medien als etwas verstehe,
„dass Kommunikation modifiziert, verändert, sie sich ausdifferenzieren
lässt und zum Entstehen neuer Interaktions- und Kommunikationsformen
führt . Medien sind deshalb - etwas plakativ ausgedrückt - einerseits Inszenierungsmaschinen, insofern sie Kommunikate bereitstellen, andererseits Erlebnisräume, insofern sie genutzt, rezipiert, angeeignet werden" .
Unter einer solchen Perspektive kann man beispielsweise ohne Kausalitätsannahme Veränderungen im Medienangebot als einen Prozess verstehen,
der zusammenfällt mit dem Veränderungen sozialer Lebensbedingungen
und Alltagserfahrungen, aber auch mit unterschiedlichen sozialen Kompetenzen, die gewissermaßen durch Selbstsozialisation im Gebrauch der medienbezogenen Kommunikation entstehen und in Alltagspraxen aktualisiert
und reproduziert werden können .
Blicken wir vor diesem Hintergrund auf Veränderungen des Medienangebots und stellen die Castingshow in die Traditionslinie der Talentshows, so
wird rasch deutlich, dass Fernsehen selbstverständlich auch früher schon
Personen zur Wahl stellte . Die ARD führte das Format 1953 ein, als gerade
mal 12 000 Westdeutsche einen Fernseher angemeldet hatten . Mit dem
Format sind die Moderatoren Peter Frankenfeld und seine Shows Wer will,
der kann - die Talentprobe für jedermann, Toi Toi Toi - Der erste Schritt
ins Rampenlicht, Und Ihr Steckenpferd oder Hans-Joachim Kulenkampff
verbunden, der in der Hörfunksendung Wer fragt am besten über Nachwuchskandidaten im Moderatorenfach abstimmen ließ . Hans Pröttel wurde
während einer Funkausstellung „entdeckt", er konzipierte später den Talentschuppen . Pröttel entdeckte Michael Schanze, in dessen Show Hätten
Sie heut Zeitfür uns? Ute Lemper debütierte . Auch im Unterhaltungsfernsehen der DDR gab es Talentshows : Heinz Quermann moderierte 1957 Die
waren noch nie da ; bekannter wurde später Herzklopfen kostenlos, seit
1971 umbenannt in Heitere Premiere .'
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Eine gewinnbringende gesellschaftspolitische Einordnung der Formate kann hier
nicht geleistet werden . Zu der langjährig ausgestrahlten Talentshow „Heitere Premiere", die als direkte Umsetzung des Bitterfelder Weges und deshalb auch als „exem-
Auch in der auf Sat 1 im Jahr 2003 wiederbelebten Gong-Show (Anfang der
80er nach gleichnamigen US-amerikanischen Vorbild im NDR von Paul
Kuhn moderiert, bekannter geworden 1992/93 unter Moderation von Götz
Alsmann auf RTL) durften auch früher schon Untalentierte „weggegongt"
werden. Die Einübung in solcherart medial vermittelte Selbstaufführungen
als auch die Einübung in Abstimmungsprozeduren unter Beteiligung des
Publikums (meist jedoch über Postkarte) ist also auch Fernsehzuschauerinnen und -zuschauern seit Jahrzehnten bekannt .
„Neu" an den aktuell ausgestrahlten Castingshows ist m .E ., wie der Selektionsprozess an sich nicht nur veröffentlicht, sondern auch über Wochen
verlängert und mit diversen Formen der Herabwürdigung und Erniedrigung
medial in Szene gesetzt wird . Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer stellen
sich - ständig intensiv „betreut" von ihren „Coaches" - dem Wettbewerb,
der harten Arbeit an sich selbst - und zwar mental und körperlich . „Burnen
musst du" lautet die pathetisch ausgerufene Parole, mit der Coach Detlef
„D!" Soost die Kandidatinnen und Kandidaten in der Sendung Popstars Das Duell im Jugendslang anfeuert ; sie veranschaulicht sinnfällig die Anforderung der Inanspruchnahme aller Poren des Subjekts in den Prozessen
der Selbstrepräsentation, -auffiihrung und -inszenierung .
Will man verstehen, warum die Kandidatinnen sich diesen Herabwürdigungen und Erniedrigungen aussetzen, kann eine solche Untersuchung m .E . in
der Anlage profitieren von einer Orientierung an den GovernmentalityStudies, die entstanden sind in Auseinandersetzung mit Foucaults gedanklichen Skizzen, die er kurz vor seinem Tod geäußert hat .
Die Spannbreite des Gouvernements, der Regierung, erstreckte sich in Foucaults letzten Vorlesungen weit hinaus über die Formen der politischen Regierung oder der Lenkung der Verwaltung auf Formen der Selbstregierung,
der Selbsttechnologien . Mit Regierung' konzipierte Foucault einen Begriff,
der die wechselseitige Konstitution und Kopplung von Machttechniken,
Wissensformen und Subjektivierungsprozessen in den Mittelpunkt rückt
und die Verbindungen zwischen abstrakten politischen Rationalitäten und
den Mikrotechniken des Alltags untersucht, die auf die Steuerung und Kontrolle von Individuen und Kollektiven zielen und gleichermaßen Formen
der Selbstfuhiung wie Techniken der Fremdführung umfassen (vgl . Lemke
2000, S . 31).
Foucault hatte damit einen wichtiger Perspektivenwechsel vollzogen : Ausgegangen war er in seinen gedanklichen Überlegungen von einer Problematisierung des Freiheitsbegriffs, der sich auf das 17 ./18 . Jahrhundert bezieht:
In dieser Zeit verändern sich die Techniken des Regierens ; das feudale
Herrschaftssystem bricht zusammen und das autonome Subjekt der Aufkläplarische Spielart sozialistischer Unterhaltungskunst" bezeichnet wurde, vgl . Breitenborn 2003, S . 143ff.
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rung entsteht aufgrund des Zusammenbruchs der auf einen Souverän konzentrierten Staatsformen ; die Orte der Macht breiten sich mit der Aufklärung und der kapitalistischen Produktionsweise aus . Wenn man heute davon
ausgeht, dass sich politische Macht ausdifferenziert hat und man die Transformationen der Gesellschaft beschreiben will, liegt es nah, Wandlungsprozesse nicht alleine auf die Intentionalität benennbarer Akteure oder auf eine
anonyme Dynamik einer wie auch immer bestimmten Totalität zurückführen ; die VertreterInnen der GS versuchen entsprechend, in der Analytik der
Macht in fortgeschrittenen liberalen Demokratien neue Wege „jenseits des
Staates" zu gehen und konzentrieren sich deshalb auf die Analyse von
Handlungspraxen, mittels derer Individuen und gesellschaftliche Teilbereiche ihr Verhalten gestalten .
So entsteht eine Vorstellung keineswegs von einem beherrschten, passiven
Subjekt, sondern von dem aktiven, reflektierenden Subjekt, dass in Beziehung steht zu den Strategien der Macht und in dessen vielfältigen Verfahren
des Selbstbekenntnisses, der Selbstexploration und der Selbstmodellierung
gleichwohl Fremd- und Selbstführung unauflösbar miteinander verwoben
sind .
„Wir werden die ganze Nacht trainieren, egal ob wir durchmachen müssen oder nicht, wir werden das packen . . . wir werden das richtig hinbekommen",
äußert eine der Kandidatinnen im Workcamp der Popstars, nachdem ihre
Gruppe wegen des schlechten Gesangs rüde gerügt wurde . Und ihre Mitsängerin Rebecca erkennt und fügt sich zugleich ein in die (Selbst-) Mobilisierungsstrategien des Coachingteams : „hör mal, das ist eigentlich ganz gut,
was sie machen . . . die wollen uns wirklich bis zum Äußersten, bis zum
Äußersten bringen, wirklich, bis wir Zusammenklappen, aber ja, das isses
einfach, das isses . . ." .
Diese kurzen Sequenzen können als Indiz für eine Leistungsemphase der
Kanditatinnen gelesen werden, für die sich in allen eingangs erwähnten
Castingshows eine Fülle von Beispielen finden lässt . Um keine Missverständnisse entstehen zu lassen, soll jedoch nicht unerwähnt bleiben, dass
,Leistung' in den Prozessen der Selbstvermarktung für die Individuen keineswegs ein Garant zur Verringerung der Lebensrisiken darstellt . Sicherlich
gilt Leistung' auch heute noch als legitimes Mittel der Statusverteilung obwohl Erving Goffnan (1964), Claus Offe (1970) und Pierre Bourdieu
und Jean-Claude Passeron (1971) die offiziell geltenden Realität des ,Leistungsprinzips' schon vor mehr als drei Jahrzehnten schonungslos kritisiert
haben . Leistung' garantiert weder Arbeitsplatz noch ausreichendes Einkommen und beschützt weniger denn je vor der Undurchschaubarkeit von
Erfolg und Misserfolg (vgl . Sennett 1998, 2002) . Leistung' wird - und dies
wird in den Castingshows zum Normalprinzip - zunehmend retrospektiv -
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d.h . vom Marktergebnis her gesehen - bestimmt und wird somit immer weniger vorhersehbar .
Vor dem Hintergrund der Destandardisierung und Dynamisierung von Leistungskriterien im Neoliberalismus haftet auch den damit verbundenen Prozessen sozialer Anerkennung (vgl . dazu u .a . Negt 2002) etwas Unsicheres,
ja Willkürliches an ; Neckel (2002, S . 115) spricht in diesem Zusammenhang sogar von einer „lottery of success" . In dieser Erfolgslotterie' schätzen die Spieler ihre Chancen schicht-, milieu-, geschlechter-, ethnizitätsund generationenspezifisch ein . Sie setzen sich in Vergleich und hierin bilden mediale Angebote einen wichtigen Bezugspunkt :
So werden etwa die Kandidatinnen der Popstars nach Phänotypen zu einer
Girl- und einer Boy-Band zusammengestellt . Die Jury sucht eine gute Mischung; gleich zwei dunkelhäutige Frauen (mit unterstellt) ähnlichem Temperament oder blonde Männer gleichen Typs in einer Band vermindern die
zukünftigen Absatzchancen und so widmen sich die Dunkelhäutigen und
die Blonden untereinander der genauen Analyse der eigenen und fremden
Schwächen . Unter dem ökonomischen Primat verschränken sich Geschlechterinszenierung und Ethnizitätszuschreibung zu Kennziffern des Markterfolgs und die Materie des Körpers wird zum Ort des Vollzugs der Macht :
So kritisieren Jurymitglieder das Körpergewicht der Kandidatinnen, wünschen sich ihr Benehmen mehr „ladylike" und stellen für die Popstar-Band
eine hellhäutige Blonde vom deutschen Dorf, eine brünette Albanerin, eine
Italienerin, eine Schwarzhaarige mit asiatischem Aussehen und eine dunkelhäutige Südafrikanerin zu einer Girl-Band mit dem Namen „Preluders"
zusammen, die gegen die Boyband antreten soll . Diese Schilderung der
Szenen aus der Sendung Popstars zeigen m .E . dreierlei :
Erstens : Das Material verwehrt sich geradezu gegenüber einem Vorge-
hen, das sich allein auf Konzeptionen von (Selbst-)Führungen beschränkt, die den Subjekten nur äußerlich bleiben . Denn diese Shows
fordern auf, nicht nur die Sphäre der Programmatiken, sondern auch die
der sozialen Praxen ins Blickfeld zu nehmen (vgl . dazu die Kritik an den
GS von Müller 2003, S . 98-106) . Ich plädiere darüber hinaus für Einbezug von Modellen zur Performativität des sozialen Handelns und argumentiere, dass Selbsttechnologien nicht nur von außen an Subjekte herangetragen werden, sondern internalisiert sind und „performt" werden .
Hier ließe sich u .a. auch produktiv anschließen an eine Vielzahl körpersoziologisch angelegten Arbeiten, die von einem Entsprechungsverhältnis zwischen den sozialen Strukturen einer Gesellschaft und den Wahrnehmungs-, Umgangs- und Verhaltensweisen des bzw . mit dem Körper
ausgehen (vgl . exemplarisch Gugutzer 1998 ; 2004, Rittner 1999 ; Schuster 2004) . Körper wird, so könnte man mit Duttweiler (2003, S . 31) zusammenfassen, „als Medium vorgestellt, in dem sich Machtwirkungen,
(Selbst-)Unterwerfung und die Herstellung von Identität vermitteln" .
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Zudem kann abermals, so zeigt Althans (2001, S . 150), der französische
Philosoph Michel Foucault zum Referenzpunkt einer Theorie des Performativen werden : In seinen letzten Arbeiten (,Der Gebrauch der Lüste' ; Die Sorge um sich', 1984) entwickelte Foucault die „Idee einer
(performativen) Subjektkonstitutierung durch Umbildung' oder ,Selbsterzeugung"`, an die auch Judith Butler anknüpft, um die Bedeutung der
gesellschaftlichen Normen als auch der Eigenaktivität im Prozess des
Geschlechts-Werdens zusammen zu denken (vgl . dazu auch Tervooren
2001) .
• Zweitens wird deutlich, dass mit Hilfe eines Performativitätskonzepts ein
produktiver Weg beschritten werden kann, der den Blick auf den Zusammenhang von Selbst/ Fremdführung und Identität erweitert .
• Drittens wird allerdings ebenso offenkundig, dass das Verständnis von
der Performativität mit Anforderungen an ein Verständnis von Identität
zusammengeführt werden muss, das Subjektkonstituierung im performativen Vollzug nicht unabhängig von der sozialen Verortung, Lebenssituation und den diskursiv und institutionell vermachteten Orten der Hervorbringung versteht .
Schließlich ist die Entwicklung eines Zugangs gefordert, der - und dies
werde ich im folgenden Abschnitt empirisch wie argumentativ abschließend
nochmals unterstützen - zwischen gesellschaftlich-denotativer und der subjektiv-konnotativer Be-/Deutung medialer Angebote zu vermitteln vermag .
3 . Selbst- und Weltdeutungen in Medien- und
Alltagspraktiken
An einer Reproduktion und Legitimierung von gesellschaftlichen Verhältnissen sind m .E . mediale Angebote insbesondere dann maßgeblich beteiligt,
sofern ihre Deutungsangebote an alltägliche, gelebte Erfahrungen der Menschen anknüpfen und ihnen einen Sinn geben (vgl . zu diesem Argument
Augoustinos 1995, S . 204)
Über die Analyse der Medienangebote hinaus muss deshalb untersucht
werden, wie sich die verschiedenen Akteure das Format „Castingshow" aneignen. So können Widersprüche und Brüche in den Prozessen der Aufführung wie mit der Untersuchung der Lesarten und Aneignungsweisen erkennbar gemacht werden ; auch solche, die jenseits der prototypischen dominant-hegemonialen, ausgehandelten oder widerständigen liegen (vgl . dazu auch Hipfl 2002, S . 43-53) . Um die Produktivität dieser Untersuchungen
zu veranschaulichen und meine zentrale Argumente zu stützen, greife ich
auf einige wenige Äußerungen von Schülerinnen und Schülern zurück, die
sie im Rahmen eines Pretests zu Beginn dieses Jahres geäußert haben . In
einem Forschungsseminar mit Studierenden wurden mit Hilfe eines Inter-
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viewleitfadens Gruppengespräche mit insgesamt ca . 75 Gymnasialschülerinnen und -schülern der 6 ., 8 . und 11 . Klasse in Gruppen zu ca . sechs Personen durchgeführt, um die mediale Erzeugung und Verfestigung von
Wahrnehmungs-, Deutungsmustern und Handlungsmustern und die Anschlussfähigkeit von Medien- an Alltagserfahrungen zu erhellen .
Bei der Erstellung des Leitfadens für diesen Pretest und auch bei der Auswertung erfolgte eine Orientierung an sechs Themen/Fragenkomplexen :
Attraktivität des Genres/Nutzungsmotive ; Mediennutzung (und Gemeinschaft); Identifikationsangebote und Normorientierungen ; Wertung und
Bewertung ; Leistung und Erfolg ; Konkurrenz und Wettbewerb . An dieser
Stelle greife ich Äußerungen aus dem Komplex Leistung und Erfolg' heraus . In allen drei Fällen machen die Schülerinnen und Schüler (Namen geändert, 1= Interviewer) „Leistung" zum Kriterium der Anerkennung :
Klassenstufe 6
1 : „Hast du noch jemanden, den du nicht magst?"
Lisa : „Ja, Alex und Judith . . . also, Alex, weil der immer so stark tut und
dann, wenn er singt, ist er so ein Weichei . Und dann Judith, weil sie
nicht singen kann und doch aber Lorenzo raus gehauen hat ."
I : „Also magst du sie nicht, weil sie sozusagen Konkurrentin von Lorenzo war oder wie?"
Lisa : „Nein, also . Sie hat halt keine Leistung gebracht und Lorenzo hat
Leistung gebracht und sie standen halt da vorne und Lorenzo ist dann
rausgeflogen ."
Klassenstufe 8
I : „also wenn ihr euch erinnert an den Meiko . . . Popstars. Wisst ihr da
Bescheid? Von den Overground? Der Blonde [Kopfnicken, Zustimmung] und der wurde doch mehrmals, ähm, wurde gesagt erst : du bist in
der Band, dann war er wieder nicht in der Band und dann wurde er doch wieder rein .. . so Geschichten . . . weißt du?"
Kristin : [fällt ihm ins Wort] : „das war ja auch gut so, weil der hat ja auch
irgendwie ist ja auch immer ausgerastet oder so, glaube ich und dann .. .
weiß ich nicht . Also, ich fand's okay . So schlimm fand ich das nicht,
dass er [DetlefD . Soest, TT] erst so getan hat, als wär' er nicht drin ."
1 : „weißte, da hat man doch gesehen, da ist der mehr oder weniger zusammen gebrochen, weil der D erst gesagt hat, er ist raus und dann war
er doch wieder drin"
Tina : , ja, aber das ähm, da hat er sich danach wenigstens wieder ordentlich angestrengt, also . .."
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Klassenstufe 11
1 : „also haben die für euch keine Vorbildfunktion?"
Janka : „ich find's, ich weiß nicht so Bands sollen von alleine hochkommen, ohne so Castings und so weil die haben auch mehr Erfahrung durch
kleine Probeauftritte schon gehabt und da kann ich mir ja eher ein Vorbild nehmen als bei so 'ner Castingshow ."
Uta : ja also so Band und Musiker, die wirklich auch unten waren, die
wissen, was es bedeutet, durch wirkliche Arbeit nach oben zu kommen
und nicht durch zwei Wochen Trainingslager und sich von D beschimpfen lassen ."
Eva : „das Schlimme ist ja : zum Teil können die ja nicht mal singen . . . das
ist, das ist das eigentlich Schlimme : Die kriegen für's Nichtstun Geld .
Das find ich das eigentlich Schlimme ."
Anhand der Gesprächssequenzen wird deutlich, wie SchülerInnen sich
selbst wie die Akteure als eingebunden in gesellschaftliche (vergeschlechtlichte) Diskurse, Strukturen und Machtverhältnisse beschreiben : Die Äußerungen in der Klassenstufe 6 lassen sich als weitgehende Affirmation eines
diffusen Leistungsbegriffes lesen, der bereits auch von ihnen selbst als vielseitig verwendbare Legitimationsressource erkannt und eingesetzt wird . In
der Klassenstufe 8 werden die Prozesse der Bewertung und Disziplinierung
als erzieherisches Mittel aufgefasst, das mit Blick auf persönliche Anstrengung und vermeintliche „Leistungssteigerung" die Akzeptanz der Schülerinnen und Schüler findet . In Klassenstufe 11 kritisieren die Schülerinnen
die mangelnden Leistungen der Castingshowbewerberlnnen ; ihre Anerkennung gebührt nur denen, die mehr als „zwei Wochen Trainingslager" und
„von D beschimpfen lassen" hinter sich haben ; die aus ihrer Sicht offenbar
nur symbolisch inszenierten Anstrengungen einerseits und fehlende Fähigkeiten andererseits delegitimieren gesellschaftliche Anerkennung, die mit
einem bürgerlichen Arbeitsethos fest verbunden ist .
Diese zugegeben fragmentarischen Einblicke in Aneignungsprozesse können dennoch zeigen, an welchen Punkten wir uns als Forscherinnen und
Forscher herausgefordert fühlen müssen :
Erstens wird deutlich, dass Prozesse der Medienrezeption und -aneignung nicht angemessen als individualistische Lesarten analysiert werden
können ; sie müssen mit der Analyse struktureller Bedingungen und Zusammenhänge, die Wahmehmungs-, Deutungs- und Handlungsmuster
prägen, verbunden werden . Hier kann m .E. eine kritische Theorie des
Subjekts wichtige Einsichten in die Prozesse der Subjektformierung, also
die Eigenlogik subjektiver Widerspruchsverarbeitung unter neoliberalen
Vergesellschaftungsbedingungen liefern (vgl . Krauss 1996) .
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• Zweitens sind mit einer solchen Perspektive und einem solchem Anspruch umfassende Einsichten in dominante gesellschaftlichen Prozesse,
wie z .B . institutionalisierte Regulierungspraxen gefordert, um den Zusammenhang zwischen Medienhandeln, Alltagshandeln und der Reproduktion gesellschaftlicher Verhältnisse zu verstehen .
• Drittens schließlich gilt es - und damit möchte ich den Beitrag schließen
- Mediendiskurse als soziales, gesellschaftliches Handeln zu verstehen .
Dies beinhaltet die in den Traditionen der Cultural Studies verwurzelte
Einsicht, Mediendiskurse und Alltagspraxen nicht als unabhängiger
Sphären der Bedeutungsproduktion zu konzeptualisieren, sondern als
miteinander verwobene Formen der Produktion „geteilten Sinns" zu betrachten, über die Menschen bestehende gesellschaftliche Verhältnisse
reproduzieren oder aber in Frage stellen . Hierbei kommt Medienangeboten eine prominente Stellung zu und gerade populärkulturelle Angebote
bieten sich als Forschungsfelder an, um Prozesse individueller wie gesellschaftlicher Selbstverständigung als konfliktgeladene Aushandlung
geteilter Bedeutung zu untersuchen (vgl . Klaus 2002, S . 54£) .
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