Lektion 11 Die logische Struktur der Ethik: die intersubjektive

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Lektion 11
Die logische Struktur der Ethik: die intersubjektive Anerkennung
*
Ziel der Ethik ist es, den Sinn des menschlichen Lebens auf der Welt zu
erkennen. Ihr Ansatz ist, diesen Sinn vom Begriff des „Menschseins“ abzuleiten,
dessen Wesen in der absoluten Vernunft besteht, im Logos also. Natürlich ist
dieses Wesen in allen Menschen gleich, unabhängig von ihrem Geburtsort, der
ja zufällig ist. Folglich haben sie auch je nach Geburtsort unterschiedliche
Hautfarben sowie andere somatische oder auch psychologische Merkmale wie
ihre Religion, die Werte, die sie vermacht bekamen usw. All dies muss
ausgeblendet werden, wenn man den Standpunkt einer rationalen
Weltauffassung, wie sie als wissenschaftlicher Ansatz dem Idealismus zugrunde
liegt, und somit deren Grundkonzept des Absoluten als Wesen des Menschen
übernimmt.
Dem Ethikbegriff liegt die Anerkennung der Menschen untereinander als
Absolutes zugrunde, also die Tatsache, dass jeder Mensch, der auf die hier zuvor
beschriebene Weise erzogen wurde, in sich selbst und auch im anderen
Menschen das Absolute, also ein rationales, freies, schöpferisches Seiendes
sieht. Von diesem übergeordneten Standpunkt aus wird das menschliche Subjekt
nicht nur sich selbst (weil es sich als schöpferisches Wesen zu verwirklichen
versucht), sondern auch die anderen Menschen als schöpferische Wesen
betrachten, als Subjekte, nicht als Objekte. Der Mensch wird demnach alles
versuchen, damit die anderen Menschen sich auch verwirklichen und ihre freie
Kreativität leben können.
Diese Lebenseinstellung, die vorsieht, dass der menschliche Geist sich anstrengt,
die Verwirklichung der absoluten Vernunft in jedem zu fördern, egal, ob in sich
selbst oder in den anderen Menschen, ist genau das moralische Verhalten
desjenigen, der sich nach den Prinzipien der absoluten Ethik verhält.
Kant hat diesen Begriff sehr klar im zweiten kategorischen Imperativ
ausgedrückt, in dem er den Menschen auffordert, das Menschsein sowohl in sich
als auch in den Anderen als Ziel und niemals als Mittel zu betrachten:
„Handle so, daß du die Menschheit zugleich als Zweck sowohl in deiner Person, als in der
Person eines jeden anderen jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchst.“
(Grundlegung zur Metaphysik der Sitten 1785, in: I. Kant: Akademie Ausgabe, Bd. IV, S.
429).
Kant hat jedoch nicht spezifiziert, worin dieses Menschsein genau besteht, das
als Ziel und nie als Mittel behandelt werden darf bzw. wie das ethische Leben
auszusehen hat, welches Ziel unserer Handlungen sein soll. Das hat wiederum
Hegel auf äußerst klare Weise verdeutlicht. Er hat mit der Anerkennung des
anderen Menschen als Geist das Prinzip der Ethik erkannt. Der Philosoph
definiert die Anerkennung als „allgemeines Selbstbewusstsein“, wie er es im
Folgenden ausdrückt:
“§436 γ). Das allgemeine Selbstbewußtsein
Das allgemeine Selbstbewußtsein ist das affirmative Wissen seiner selbst im anderen Selbst,
deren jedes als freie Einzelheit absolute Selbständigkeit hat, aber, vermöge der Negation
seiner Unmittelbarkeit oder Begierde, sich nicht vom anderen unterscheidet, allgemeines
[Selbstbewußtsein] und objektiv ist und die reelle Allgemeinheit als Gegenseitigkeit so hat,
als es im freien anderen sich anerkannt weiß und dies weiß, insofern es das andere anerkennt
und es frei weiß.
Dies allgemeine Widererscheinen des Selbstbewußtseins, der Begriff, der sich in seiner
Objektivität als mit sich identische Subjektivität und darum allgemein weiß, ist die Form des
Bewußtseins der Substanz jeder wesentlichen Geistigkeit, der Familie, des Vaterlandes, des
Staats, sowie aller Tugenden, der Liebe, Freundschaft, Tapferkeit, der Ehre, des Ruhms. Aber
dies Erscheinendes Substantiellen kann auch vom Substantiellen getrennt und für sich in
gehaltleerer Ehre, eitlem Ruhm usf. festgehalten werden.“
(In: G.W.F. Hegel, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse (1830),
GW 20, Hamburg 1992, S. 432-433).
Diese Anerkennung zwischen menschlichen Individuen könnten wir als
‚horizontale Anerkennung‘ definieren, weil es sich um Individuen handelt,
welche auf derselben Existenzebene stehen. Neben dieser horizontalen könnten
wir hingegen die Anerkennung zwischen dem individuellen und dem
universellen Menschen, der in ersterem steckt, als ‚vertikale Anerkennung‘
definieren, weil das Absolute bzw. das Universelle in Form der absoluten
Vernunft des menschlichen Individuums etwas darstellt, das der individuellen
menschlichen Existenz übergeordnet ist. In diesem Sinne erkennt der Mensch in
sich die Präsenz von etwas Höherem als der reinen Individualität an, eben die
Präsenz der absoluten Vernunft.
Wir können die horizontale Anerkennung auch als ‚ethische Anerkennung‘
definieren, weil sie zwischen Menschen erfolgt. Die vertikale Anerkennung
können wir hingegen als ‚theoretische Anerkennung‘ definieren, da sie zwischen
dem Menschen und dem Absoluten erfolgt. Die erste liegt der Ethik zugrunde.
Die zweite bildet die Theorie, also das Verständnis vom Sinn der Welt und der
menschlichen Existenz auf Erden, die von sich aus die ethische Anerkennung
hervorkommen lässt. Die theoretische Anerkennung begründet also die ethische,
die von ersterer abhängt. Das gilt nicht nur für die idealistische Philosophie,
sondern für jegliche andere Philosophie und Religion, sowie auch für den
Atheismus.
Die ethische Anerkennung basiert also auf dem Prinzip der Gegenseitigkeit des
universellen Selbstbewusstseins bzw. auf der Tatsache, dass man sich darüber
bewusst ist, dass Ehemann, Ehefrau, Vater, Mutter, Sohn oder Tochter oder auch
in der Arbeitswelt Arzt, Patient, Lehrer, Schüler usw. zu sein, allein und
ausschließlich mittels der Anerkennung durch den Anderen möglich ist. Diese
Anerkennung setzt voraus, dass der Andere Ziel und nicht Mittel ist. Daher ist
der Ehemann Ziel für die Ehefrau; der Sohn oder die Tochter ist Ziel für den
Vater oder die Mutter und umgekehrt usw. In allen menschlichen Beziehungen
soll der Andere stets als Ziel, nie als Mittel angesehen werden. Er darf nie
benutzt werden und das muss gegenseitig sein. Auf diese Weise entsteht ein
universelles Selbstbewusstsein bzw. ein stabiles Vertrauensverhältnis, eine
Beziehung, in der jeder sich um den anderen kümmert, und zwar je nach den
spezifischen Gegebenheiten der Beziehung.
Schauen wir, welche die konkreten ethischen Formen sind, die der logische
Mechanismus der Anerkennung annimmt, also wie der echte und eigentliche
Inhalt der Ethik aussieht, die sich auf die Bestimmung der absoluten Vernunft
als des schöpferischen Wesens des Menschen stützt. Diese Ethik kann auch als
‚absolute Ethik‘ bezeichnet werden, da sie sich auf das Absolute in Menschen
gründet.
Nur insofern es von einem anderen Subjekt anerkannt ist, kann das menschliche
Subjekt als schöpferisches Vernunftwesen leben, weil es von seiner physischen
Existenz, die vom Körper und dessen Instinkten geprägt ist, zur Existenz als
Geist übergeht. Während der Mensch als Körper der Notwendigkeit des
Instinkts und des Bedürfnisses unterliegt und kurz nach jeder Befriedigung
bereits auf der Suche der nächsten ist, ist er als Geist ein freies Wesen und lebt
kreativ nach der schöpferischen Rationalität. Diese strebt keine vorübergehende
Bedürfnisbefriedigung an, sondern eher den freien Aufbau von etwas in
Gemeinsamkeit mit einem anderen Subjekt. In diesem Aufbau, in dieser
Schöpfung, der einen Prozess darstellt, kann der Mensch sein eigenes Wesen,
seine schöpferische Rationalität verwirklichen und so als Geist in der Freiheit
und nicht als Natur in der Notwendigkeit leben.
Im ersten Fall, also im organischen, durch Bedürfnisse geprägten Leben des
Körpers , ist das menschliche Subjekt selbst Gegenstand jener Bedürfnisse und
lebt – auch wenn es sie befriedigt - nach der Kategorie des falschen
Unendlichen, das, wie wir in der Lektion 7 gesehen haben, keine authentische
Form der Unendlichkeit ist. Die Bedürfnisse kommen nämlich immer wieder,
nach einer Art unendlichen Fortschritts, also Bedürfnisbefriedigung, das
Wiederaufkommen des Bedürfnisses, erneute Bedürfnisbefriedigung usw. usw.
Dieser Prozess findet nie ein Ende, einen Sinn, zielt niemals auf etwas Festes,
das als Vollendung gelten könne.
Im zweiten Falle hingegen, dem des rationalen Lebens des Geistes, welches dem
universellen Bewusstsein und somit der gegenseitigen Anerkennung zugrunde
liegt, lebt der Mensch als schöpferisches Subjekt. Deswegen befriedigt er zwar
auch seine Bedürfnisse, was zum Leben dazugehört, aber er tut dies im Rahmen
fester sozialer Strukturen, deren Ziel spiritueller Art ist (Kinder haben, sie
erziehen, eine Arbeit für jemanden ausführen usw.). Das ist möglich, weil der
Mensch dabei nicht unmittelbar seine eigenen Bedürfnisse befriedigt, sondern
die Bedürfnisse des Anderen (was selbstverständlich gegenseitig ist). Auf diese
Weise kreiert man eine Bindung, man baut sich gemeinsam etwas auf, das Sinn
hat. In diesem Prozess des Aufbaus agiert nicht etwa die Kategorie der falschen,
sondern die der echten Unendlichkeit. Man verwirklicht etwas Vollendetes,
etwas Festes (eine Familie, eine verrichtete Arbeit, eine soziale Einrichtung
usw.) und in dieser Verwirklichung wirkt der Mensch als freies, schöpferisches
Wesen und ist nicht einfach stets wiederkehrenden Bedürfnisse unterjocht.
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