Jürgen Hardt, Präsident PIA-Tag der Psychotherapeutenkammer Hessen Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße Sie herzlich zu unserer Veranstaltung: „Ethische Fragestellungen in der Psychotherapie“. Ich möchte nicht versäumen, den Mitgliedern des Vorstandes herzlich für die Vorbereitung zu danken, Sie werden sie im Laufe der Veranstaltung kennen lernen. Ich habe meine einführende Worte unter das Thema: „Auf dem Weg zu einer psychotherapeutischen Ethik“ gestellt. Mit dem Beginn der Ausbildung zur Psychologischen Psychotherapeutin oder zum Kinderund Jugendlichenpsychotherapeuten treten Sie in ein ausgefeiltes Regelwerk ein, dem Sie verpflichtet sind. Dieses Regelwerk nehmen die meisten kaum zur Kenntnis. Schon in der Ausbildungszeit gilt aber die Berufsordnung, was man Ihnen bisher vielleicht nicht einmal gesagt hat. Meist gehen Ausbilder davon aus, dass es eine zureichende moralische Sicherheit gibt, die gewährleistet, dass „man“ schon weiß, „was sich gehört und was nicht“. Was darüber hinaus zu beachten ist, wird in den Kapiteln über Behandlungstechnik und nicht gesondert als ethische Gebote und Verbote vermittelt. Eine Berufsordnung ist ein Regelwerk, das Gebote und Verbote für eine Berufstätigkeit enthält. Besondere Bedeutung hat sie für die „freien Berufe“, deren Freiheit gerade in der autonomen Gestaltung einer Berufsordnung besteht. Sie enthält Regeln, die Hilfe und Anleitung in beruflichen Entscheidungssituationen sein wollen, deren Nichtbefolgung Rügen, Strafen und sogar Verlust der Berufserlaubnis nach sich ziehen können. Eine Berufsordnung legt fest, was zu tun und was zu lassen ist. Sie gibt damit Antwort auf die Frage „Was soll ich tun?“ Das ist die zentrale Frage der philosophischen Ethik, die in dieser einfachen Form von Immanuel Kant gestellt worden ist. Die philosophische Ethik versucht, die Regeln dessen, „was sich gehört“ oder „was man tun darf und was nicht“ allgemeinverbindlich abzuleiten. Der natürliche (?) Anstand ist dabei so etwas wie eine Basis, auf der jede Ethik aufruht. Damit wird deutlich, dass eine Berufsethik in den allgemeinen moralischen Kontext eingebettet ist und zugleich die Belange eines spezifischen Berufes regeln soll. Wir treten mit der Diskussion berufsethischer Fragen in einen jahrtausendealten Diskurs über ethische Fragen, über Fragen der Moral ein. Ethik und Moral haben die gleiche Bedeutung, Moral ist nur die Übersetzung (Cicero) des griechischen Wortes Ethik. Immer wieder haben die Menschen versucht, leitende Werte, Gebote und Verbote auf ein Fundament zu stellen, das Verbindlichkeit für alle garantiert und als unumstößlich gelten kann. In religiösen Kulturen ist das relativ einfach, dort werden die Werte von einem Gott erlassen. In aufgeklärten und demokratischen Gesellschaften ist das schwieriger; hier muss ein Konsens gefunden werden, der möglichst zwanglos und einsichtig erreicht werden soll. Das setzt aber voraus, dass sich möglichst alle beteiligen. Sonst stellt sich die Frage: Wer ist dazu berechtigt Werte, Normen und Gebote, die das Leben und den Verkehr der Menschen untereinander leiten sollen, aufzustellen und ihre Befolgung zu fordern. Die Ableitung ethischer Werte ist seit dem Beginn der Moderne Gegenstand der Metaethik. Diese versucht, Werte (Werterstellung und Wertbehauptung) logisch, d.h. philosophisch, nachvollziehbar und plausibel zu machen. Die Metaethik ist die Basis dessen, was man Ethik nennt, als die Lehre der Werte, die verbindlich sein sollen. Metaethische Reflektionen sind notwendiger Weise immer mit einem Bild des Menschen verbunden: „Wie der Mensch ist, wie er sein sollte, wenn er seinem Menschsein entspricht.“ Menschenbilder sind sozusagen die Recheneinheiten ethischer Überlegungen. Diese Menschenbilder sind aber nicht immer explizit, sie liegen oft unbemerkt den ethischen Setzungen zugrunde und entfalten, gerade, weil sie nicht expliziert sind, umso größere Wirksamkeit. Hier ist es notwendig, die im Verborgenen wirkenden Annahmen über den Menschen und das Leben herauszuarbeiten, um eine konsensuelle Entscheidung zu ermöglichen Die modernen ethischen Begründungen sind deswegen immer besonders kompliziert gewesen, weil Philosophen Menschen außerhalb ihres sozialen Kontextes konzipierten. Erst seit dem ein individueller Kontextualismus gedacht werden konnte, d.h. das scheinbar selbständige Subjekt in der Beziehung zu anderen gesehen wird, gelingt es, einer verbindlichen Ethik eine neue Basis zu geben. So sind neuere Versuche, Ethiken zu begründen, immer an eine Auffassung von Kultur und Gesellschaft, beziehungsweise menschlicher Gemeinschaft gebunden. Am konsequentesten wird dieser Versuch von einer jungen philosophischen Autorin durchgeführt, Antje Thyen, die konsequent nicht mehr ein isoliertes Subjekt, sondern ein „Intersubjekt“ dem philosophisch-ethischen Denken zugrunde legt. Sie entdeckt ein grundlegendes ethisches Sprachspiel, eine grundlegende moralische Lebensform, die Menschen zur Rücksicht füreinander verpflichtet. Das gemeinsame Überlebenkönnen ist die Prämie der Moral. Es wäre verlockend, über aktuelle ethische Fragen zu reden und den aktuellen ethischen Diskurs zu skizzieren. Das würde aber zu weit führen. Stattdessen werde ich kurz den Zusammenhang zwischen einer Berufsordnung und der allgemeinen Ethik kennzeichnen. Eine Berufsordnung ist notwendig, weil Psychologischen PsychotherapeutInnen und Kinder – und JugendlichenpsychotherapeutInnen einen freien Beruf ausüben. D.h. einen Beruf, der aus der staatlichen Aufsicht entlassen, in Selbstverantwortung der Berufsgemeinschaft kontrolliert wird. Damit soll in der Aufsicht Fachlichkeit garantiert werden, die fachfremde Aufsichtsinstitutionen nicht bieten können. Freie Berufe sind dadurch gekennzeichnet, dass sie in einem geringem Maß der Fremdbestimmung unterliegen, sie sollen aus einer inneren Haltung heraus (Herr Stanko wird darauf eingehen) aus einer ethischen Grundhaltung oder Ethos ihre Tätigkeit vollziehen. Die freien Berufe ähneln damit den Künsten, die ganz von innerer Notwendigkeit betrieben werden, sie unterscheiden sich aber darin, weil sie auch dem Gemeinwohl verpflichtet sind. Die freien Heilberufe sind also durch eine innere Haltung, deren Aufrechterhaltung und Kontrolle der Berufsgemeinschaft unterliegt, gekennzeichnet. Sie sind zugleich dem Gemeinwohl, d.h. der Gesellschaft verpflichtet. Weil sie therapeutische Berufe sind, haben sie eine ethische Verpflichtung gegenüber der Gemeinschaft und dem individuellen Leiden. Weil die allgemeine Ethik nur allgemeinverbindliche Werte formulieren kann, gibt es ergänzend verschiedene Bereichsethiken, in denen sich allgemeine ethische Prinzipien unter dem Gesichtspunkt spezifischer Aufgaben darstellen. Bereichsethiken erhalten durch allgemeine ethische Werte, auf die eine Gesellschaft verpflichtet, bloße Orientierung. Nur durch Spezifikation können ethische Gesichtspunkte praktische Relevanz in einem umschrieben Aufgabenbereich erzielen. Eine psychotherapeutische Bereichsethik ist bisher noch nicht formuliert, es gibt allerdings Umrisse, die es auszuarbeiten gilt. Psychotherapie hat es mit Lebensfragen zu tun und sie ist ein Teil der allgemeinen Therapeutik. Die Konturen einer psychotherapeutischen Berufsethik sind also durch übergeordnete und benachbarte Bereiche vorbestimmt. Diese allgemeinen Werte müssen spezifiziert werden, um eine Anwendungsrelevanz zu entwickeln, die der Aufgabe einer Berufsordnung genüge tut. Es gibt aber auch spezifische Schwierigkeiten, die mit der Geschichte der Psychotherapie und den vielfältigen unterschiedlichen Traditionen zusammenhängen, die in der Psychotherapie zusammenwirken. So sind Zusammenhang und Abgrenzung der Psychotherapie, die von Psychologischen Psychotherapeutinnen und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten betrieben wird, von der die Ärztinnen und Ärzte praktizieren, nur sehr schwer zu bestimmen. Wir gehen von einer Psychotherapie aus, die von unterschiedlichen Berufsgruppen praktiziert wird. Ein weiteres Problem besteht darin, dass psychotherapeutischen Traditionen sehr heterogen sind, was ihre Vorstellungen vom Menschen angeht. Viele psychotherapeutische Ansätze erklären sich zwar als wissenschaftlich und bemühen sich, wertneutral zu sein, bei genauerem Hinsehen implizieren sie aber Vorannahmen (Menschenbilder), die mit ethischen Positionen eng verbunden sind. Die therapeutischen Belange sind in den Formulierungen des ärztlichen Standesethos ausgearbeitet. Ob das ärztliche Standesethos allerdings alles umfasst, was für Psychotherapeuten verbindlich geregelt sein muss oder ob nicht Zusätzliches hinzukommen muss, anderes möglicherweise wegfallen könnte, muss noch genauer geklärt werden. Schwierig ist diese Problematik, weil ärztliche Ethik meist davon ausgeht, dass relativ einfach zu klären sei, was krank und was gesund sei, in der Psychotherapie ist diese Grenze oft schwer zu ziehen. Nicht nur die Gesellschaft ist plural, es werden auch vielfältige Anforderungen an die therapeutische Tätigkeit gestellt, deren Berechtigung genauestens zu überprüfen ist. Nur so ist eine missbräuchliche Verwendung von Psychotherapie zu verhindern. Wenn man versucht genauer auszumachen, im welchem Umkreis eine psychotherapeutische Ethik sich entwickeln könnte, so würden wir mit Sicherheit sagen (Herr Stanko wird später darauf zurückkommen), die psychotherapeutische Ethik bewegt sich im Bereich der Bioethik. Dort finden wir Bestimmungen, die auch für uns unhintergehbar verbindlich sind. Die ethischen Prinzipien der Bioethik lauten: erstens Autonomie, zweitens Wohl tun, drittens Schadensvermeidung, viertens Gerechtigkeit. Das stellt sich dar: als Respektierung von Fähigkeiten von Individuen, ihrer eigenen Vorstellung vom guten Leben zu wählen und ihr gemäß zu handeln; die Stillung der Bedürfnisse und die Förderung des Wohls anderer Personen; die Vermeidung von Schäden anderer Personen; und die Fairness in der Verteilung von Nutzen und Lasten, bzw. in Konfliktlösung nach fairem Verfahren. Diese Prinzipien und die Handlungsleitlinien, die sich daraus ergeben, haben sich in der Bioethik fest etabliert. Sie haben allerdings einen wesentlichen Mangel, der uns auch noch beschäftigen wird, nämlich dass sie keine Problemlösungsmethode zur Verfügung stellen, wenn es zu einem Konflikt zwischen oder um solche Prinzipien kommt. In der Bioethik wird die Natur als ein Lebenszusammenhang aufgefasst, der einen Wert an sich hat. Zivilisatorische Eingriffe in diesen natürlichen Zusammenhang werden als Gefahr und möglichen Angriff gesehen, den es einzudämmen, abzuwehren oder – wo nicht vermeidbar – zu rechtfertigen gilt. Die menschliche Praxis ist nach diesen ethischen Prinzipien gehalten, die Natur, d.h. auch alle Mitmenschen und deren Lebensgestaltung, als Mitwelt zu respektieren. Damit im Zusammenhang muss aber der Sinn menschlicher Kultur neu gefasst werden, nämlich Kultur nicht mehr als eine Einrichtung, die der Natur gegenüber steht, sondern sie muss eine sinnvolle Einrichtung im Einvernehmen mit der Natur sein. Wobei Kultur als Partner von Natur draußen und Natur in uns - als Leib und triebhaftes Geschehen - aufzufassen ist. Wenn wir uns nach einer psychotherapeutischen Ethik umsehen, finden wir weitere Leitlinien in der Medizinethik oder ärztlichen Ethik, die als therapeutische Ethik auch für uns Verbindlichkeiten formuliert. Für viele Medizinethiker ist die Medizinethik und ärztliche Ethik keiner besonderen Formulierung bedürftig, sie fällt ganz in den Bereich der Bioethik. Deren Prinzipien werden allerdings etwas umformuliert und ergänzt. Aufklärungspflicht und unterschiedslose Hilfsbereitschaft werden betont, sie fügen sich bruchlos an die oben erwähnten Prinzipien an. In den neueren medizin-ethischen Überlegungen spielt Aufklärung eine ganz entscheidende Rolle, wobei nicht nur gemeint ist, dass dem Patienten Informationen zur Verfügung gestellt werden müssen, um ihn zum mit entscheidenden Partner in Behandlungen werden zu lassen, sondern es wird gleichzeitig betont, dass das Übersetzung erforderlich ist, um die Laienkompetenz des Patienten nicht zu überfordern. D.h. er ist aufzuklären, damit er die fachlichen Überlegungen soweit wie möglich nachvollziehen kann. Ein aktuelles Problem der Medizinethik ist ein Problem, das sich aus der Verteilung der Mittel im so genannten Gesundheitswesen ergibt. Ich werde später noch einmal darauf zurückkommen. Wegen der grundsätzlich begrenzten Ressourcen müssen nicht nur finanzielle sondern zugleich ethische Entscheidungen getroffen werden, ob z.B. alles für jeden zu jeder Zeit zur Verfügung stehen soll oder nicht. Wie weit Selbstverantwortung die solidarische Beistandsverpflichtung begrenzt, wo die Sorge des Einzelnen für sich beginnt und wo die Fürsorge endet. Ob Rationierung erfolgen muss und wenn nach welchen Maßstäben. Hier zeigt sich, dass Fragen der solidarischen Finanzierung von Behandlungen, d.h. Verteilungsentscheidungen ethische Implikationen haben. Wenn wir uns auf den Weg machen, Konturen einer psychotherapeutischen Ethik als Bereichsethik zu formulieren, sehen wir, dass die Medizinethik viele Fragen nicht mit genügendem Nachdruck behandelt, die in unserem professionellen Bereich dringender Beantwortung bedürfen. So ist die Möglichkeit der Verwicklung zwischen Behandler/Behandlerin und Patient/Patientin im psychotherapeutischen Bereich viel größer als im allgemeinen ärztlichen Bereich. Deswegen spielt die Forderung der Abstinenz über das hinaus, was im ärztlichen Bereich bereits gilt, eine große Rolle. (Auch darüber wird Herr Stanko ausführlich reden). Auch die ethische Relevanz der Frage, was unter krank und gesund zu verstehen ist, scheint deutlicher zu sein als im somatischen Bereich. Im psychotherapeutischen Bereich geht es darum eine kulturelle Vielfalt vor dem Übergriff des Schemas „krank und gesund“ zu schützen und die Vielfalt der Lebensformen als kulturellen Wert zu behaupten. Damit grenzt eine psychotherapeutische Ethik meines Erachtens an den Bereich einer fortschrittlichen Kulturethik, in der es auch um die Reflektion der Vielfalt und des eigenen Standortes als Ausgangspunkt der Bewertung geht. Die Lebensform Moral, wie sie A. Thyen skizziert, impliziert ein Engagement für die Vielfalt des Lebens. Das ergibt sich daraus, dass der Mensch immer in Beziehung zum Anderen verstanden werden muss. Es gilt die strikte Forderung, Andersartigkeit auch bei schwierigem Nachvollzug als gleichberechtigt anzuerkennen, und Formen zu entwickeln, in denen Unterschiedliches miteinander existieren kann. Dabei wird es darum gehen, zuerst Verständigungs- und Kritikmöglichkeiten aufzusuchen. Aber selbst, wenn Übersetzung nicht gelingt, wird es nicht ausreichen, einfach als fremd zu etikettieren, sondern gleichberechtigte, möglicherweise unvereinbare Lebensformen in einem Kontext zu erhalten, Lebensmöglichkeit für Unterschiedliches zu eröffnen und bereit zu halten. Das heißt, psychotherapeutische Kultur ist nicht mit einem antiquierten Kulturbegriff verbunden, der vom Gegensatz zu Primitivität lebt. Es geht ihr um jeweils besondere Lebensformen, die eine eigene Logik und eigene Auffassungen von Welt haben, eigene Gebräuche sowie eigene Sprachen entwickeln und trotzdem eine Mitwelt teilen, der sie gemeinsam verantwortlich sind. Das heißt, eine psychotherapeutische Ethik, im Rekurs auf ärztliche Ethik und Bioethik vorformuliert, erhält eine weitere Dimension durch die Angrenzung an eine Kulturethik, die Vielfältigkeit des Lebens nicht nur schützt, sondern befördert. Zu erwartende Konflikte müssen demnach in einer Weise gehandhabt werden, dass es nicht zu Dominanzen, Ausschließungen oder zu Zerstörung von Schwächeren kommt. Wenn wir diesen Ansatz verfolgen, stehen wir unvermittelt im schroffem Gegensatz zu einem anderen ethischen Gebot, dem wir folgen müssen, wenn wir in die so genannte gesetzliche Gesundheitsversorgung eintreten. Dort sind wir gehalten, alle unsere Behandlungsschritte auf ihre Wirtschaftlichkeit abzuwägen. Das hat einen guten Sinn, denn die solidarische Krankenbehandlung wird von einer Versichertengemeinschaft getragen, deren Gelder nur mit Sorgfalt und Verantwortlichkeit genutzt werden dürfen. Es kommt dadurch, schon andeutungsweise stellte sich das Problem im medizinischen Bereich, zu einer zweiten Wertereihe, die mit den Werten, die wir bisher betrachtet haben, in einem möglichen Konflikt oder sogar, wie ich meine einem Widerspruch, sogar Widerstreit stehen können . Wie Sie alle wissen, hat die solidarische Krankenbehandlung in den letzten 30 Jahren sich in eine Gesundheitswirtschaft entwickelt, die nicht mehr in erster Linie dem therapeutischen Ethos, sondern anderen Werten verpflichtet ist. Die Wirtschaftsethik kennt andere Werte, folglich andere Reglungen ihres Bereiches. Wirtschaftsethische Positionen sind in der Praxis oft schwer durchzusetzen, was von Wirtschaftsethikern oft beklagt wird. Wirtschaftsethische Überlegungen decken eine große Bandbreite ab. Es gibt verbindliche Gedanken, die aber nicht wirksam sind und eine Praxis, die sich oft weit von dem entfernt, was Ethiker als verbindlich formulieren. Wesentlich ist für uns, dass Wirtschaftsethiker betonen, Ökonomie habe einen „Lebensdienst“ zu erbringen. Ökonomie darf nach deren Auffassung nie autonom gegenüber der Lebenswirklichkeit sein, sondern sie muss sich in einem Dienstverhältnis verstehen. Sie ist nicht von „Sinnfragen“ entlassen, sondern muss sich selbst die Sinnfrage stellen. Antworten sind nicht nur aus sich heraus zu gewinnen, wie z.B. Kapital- oder Gewinnvermehrung. Aus ethischen Gründen ist ein ökonomischer Reduktionismus, wie wir ihn heute in der Gesundheitswirtschaft erfahren müssen, höchst bedenklich. Allerdings bleibt die Beachtung wirtschaftlicher Gesichtspunkte, um den Erhalt der Lebensgrundlagen zu sichern, ein ethisches Gebot, dem nicht auszuweichen ist. Ich mache jetzt eine Wendung und kehre ab von dem wirtschaftsethischen Diskurs und gehe zurück zur Wirtschaftspraxis. Hier zeigt sich, dass die Werte, die eine psychotherapeutischen Ethik formuliert und als verbindlich aufrecht zu halten versucht, mit den faktischen Werten, die in einer Gesundheitswirtschaft auferlegt werden, in Konflikt stehen können. Wir befinden uns in einem Zustand des ständigen Widerspruchs zwischen dem, was wir für therapeutischen sinnvoll und notwendig erachten und dem, was als Leistung angeboten, vorgesehen und bezahlt werden soll. Dieser Widerspruch muss als Widerstreit verstanden werden. Solche ethischen Konflikte hat es immer gegeben und sind unvermeidbar, wenn sich verschiedene Bereiche auseinander entwickeln und ein Eigenleben entfalten. Wir werden uns mit diesen Konflikten auseinander setzen müssen und für uns erträgliche Formen finden. Ich möchte Sie allerdings auffordern, nicht zu schnell nachzugeben, sondern die Spannung auszuhalten und alle Mühe dran zu setzen, gegen den wirtschaftlichen Druck, der als ethische Verpflichtung auf Sie zu kommen wird, Stand zu halten und dem Anliegen, Heilbehandlungen als freien Beruf auszuüben, anzuhängen und nach einer jeweiligen Lösung zu suchen; auch das ist ein ethisches Gebot. Zur aktuellen ethischen Lage der Heilberufe möchte ich einige abschließende Bemerkungen machen, um Sie nicht ungewappnet in Ihre Zukunft gehen zu lassen. Der Konflikt um die Selbstständigkeit therapeutischen Handelns wird sich verschärfen. Und das zeigt sich deutlich an Folgendem: Jede Ethik beinhaltet ein Verständnis des Menschen, ein Verständnis des menschlichen Miteinander, der Kultur und eine Auffassung vom guten, oft utopischen Leben, d.h. dem wünschenswerten Lebensverlauf. Alle drei – Leben, Mensch und Kultur - sollen durch Wertsetzungen sowie Gebote und Verbote geschützt und befördert werden. Wenn man sich den aktuellen ethischen Konflikt zwischen einer psychotherapeutischen Auffassung vom wünschenswerten Leben gegen die ethischen Forderung der verschärften und entfesselten Wirtschaftlichkeit stellt (Psychotherapie soll möglichst wenig oder gar nichts kosten), dann müssen wir uns fragen, wie wir uns zu diesem aufgenötigten ethischen Konflikt stellen. Wir können es tun, indem wir die widerstreitenden kulturellen Positionen darin aufdecken und zur Sprache bringen. Wenn wir damit beginnen, zeigt sich, dass Therapeuten Menschen als Wesen auffassen, die verletzlich und hilfsbedürftig sind, die sich von völliger Angewiesenheit über eine relative Abhängigkeit, zu einer mehr oder weniger ausgeprägten Selbständigkeit entwickeln und zur Angewiesenheit auf Andere zurückkehren. Menschen sind von Natur aus hilfsbedürftig, das heißt Patienten. Diese Bewertung hat nichts mit Paternalismus zu tun, der für den mangelnden Respekt gegenüber dem leidenden Mitmenschen verantwortlich gemacht wird, es geht stattdessen um das Anerkennen der Entwicklungs- und Veränderungsdimension menschlicher Individuen. Das ist eine Dimension des therapeutischen Menschenbildes, die mit dem Ethos des Heilens und des Helfens eng verbunden ist. Sie tritt auf in Form der Mitverantwortung gegenüber Schwachen und Hilfsbedürftigen. Diesem Menschenbild steht im wirtschaftlichen Diskurs eine ganz andere Fantasie über den Menschen gegenüber, eine die sich als verbindliche Recheneinheit durchgesetzt hat. Dort wird vom „homo oeconomicus“ ausgegangen, d.h. dem kühl berechnenden nur auf seinen eigenen Vorteil bedachten Menschen, der eigentlich keine Mitmenschen braucht, es sei denn sie erbringen ihm Vorteile. Dieser homo oeconomicus tritt uns in der Gesundheitsökonomie als mündiger Kunde entgegen, er soll sich möglichst frei aber wohlinformiert auf dem Gesundheitsmarkt bewegen, um Angebote zu vergleichen und die effektivste und kostengünstigste Gesundheitsware zu erwerben. Eine kritische Distanz zum homo oeconomicus (HOE), wie sie im wirtschaftsethischen Diskurs seit Jahren diskutiert und gefordert wird, findet man im gesundheitsökonomischen Diskurs nicht. Trotz aller Kritik, wird das Konzept unkritisch den Planungen zugrunde gelegt. Es wird unsere Aufgabe sein, diese Kritik zu erinnern und zu artikulieren. Wenn man diese beiden Menschenbilder als grundlegende Recheneinheiten verschiedener Ethiken gegenüber stellt und nicht nur den Gegensatz verschiedener Logiken in der Lebenswelt und der Gesundheitsökonomie ansieht, wird überdeutlich, dass es aktuell nicht nur um wirtschaftlicher Fragen sondern ethische Konflikte geht, die kaum aufzulösen sind. Therapeuten, besonders Psychotherapeuten, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten können sich aus ethischen Gründen nicht einer solch verengten, rein ökonomischen, Auffassung vom Leben fügen, sie bleiben der Therapeutik, dem Leben, dem Menschen als einem Wesen, das in vielfältiger Weise zu sich kommt, verpflichtet und sie müssen diesen Mitmenschen helfend zur Seite stehen. Das ist der ethische Sinn einer wirklichen Therapeutik, nicht, wie oft fälschlich behauptet wird, sind Therapeuten Macher in einem Reparaturbetrieb, die an einem Objekt Gesundheit herstellen. Therapeuten sind im ursprünglichen Sinne Diener. Diener am Leben, Diener am Menschen, damit der Mensch sich entfalten und zu sich kommen kann. So muss eine psychotherapeutische Ethik über die Heilbehandlung hinaus für die Autonomie und Vielfalt von Lebensformen eintreten und erfüllt so neben ihrer therapeutischen zugleich eine kulturelle Aufgabe. Literatur: Düwell, M. et al. (Hab), 2006: „Handbuch der Ethik“, Stuttgart – Weimar (gibt einen guten Überblick über den aktuellen ethischen Diskurs; Metaethik und Bereichsethiken sowie ethische Grundkonzepte) Lyotard, J.-F. 1987: “Der Widerstreit”, München (eine Streitschrift für die Vielheit von Denk- und Lebensformen und deren Recht zu koexistieren, auch wenn sie nicht ineinander übersetzbar sind. Der Widerstreit enthält zugleich ein moralisches Gebot: für das Unterlegene das Wort zu ergreifen!) Schlick, M., 2002: „Fragen der Ethik“, Frankfurt (1930 erschienen, Versuch einer unbekümmerten und damit erfrischenden psychologischen Ableitung von ethischen Positionen aus den Forderungen einer gemeinsamen Lebensbewältigung, Nachteil: verhaftet in einer plausiblen Alltagspsychologie, keinerlei Rezeption der damals aktuellen psychologischen Literatur, unzureichende Darstellung der ethischen Tradition) Thyen, A., 2007: „Moral und Anthropologie – Untersuchungen zur Lebensform Moral“, Weilerswist (Versuch, Sprachspiel und Lebensform über das Konzept des „Intersubjekts“ für eine Begründung ethischer Forderungen zu nützen. Gute Zusammenfassung von Plessners philosophischer Anthropologie, neue Sicht der Position Kants, besondere Herausforderung für Psychotherapeuten)