Zeitschrift für Neurologie des Kindes- und Jugendalters und ihre Grenzgebiete · 7. Jg. A 58655 02 2008 Official Journal of the Academy of Education of the Society for Neuropediatrics (Gesellschaft für Neuropädiatrie) Herausgeber: F. Aksu, Datteln Habilitation Originalien / Übersichten Diagnostik und Therapie der infantilen Haltungsasymmetrie Transkulturelle Pädiatrie Zonisamid im Kindesalter Psychogene Störungen Mitteilungen Forschung Personalia Verschiedenes Kongresse Vorschau www. neuropaediatrieonline.com This journal is listed in Index Medicus Wissenschaftlicher Beirat: H. Bode, Ulm · E. Boltshauser, Zürich · C. G. Bönnemann, Philadelphia · U. Brandl, Jena · H.-J. Christen, Hannover · F. Ebinger, Heidelberg · S. Friedrichsdorf, Minneapolis/St. Paul · Jutta Gärtner, Göttingen · F. Heinen, München · G. F. Hoffmann, Heidelberg · C. Hübner, Berlin · O. Ipsiroglu, Vancouver · D. Karch, Maulbronn · A. Kohlschütter, Hamburg · R. Korinthenberg, Freiburg · E. Mayatepek, Düsseldorf · P. Meinecke, Hamburg · B. Neubauer, Gießen · C. Panteliadis, Thessaloniki · Barbara Plecko, Graz · B. Schmitt, Zürich · N. Sörensen, Würzburg · M. Spranger, Bremen · Maja Steinlin, Bern · Sylvia Stöckler-Ipsiroglu, Vancouver · V. Straub, Newcastle upon Tyne · Ute Thyen, Lübeck · Ingrid Tuxhorn, Cleveland · D. Uhlenbrock, Dortmund · S. Unkelbach, Volkach/Main · T. Voit, Paris · B. Wilken, Kassel · B. Zernikow, Datteln · Redaktion: F. Aksu · M. Blankenburg, Datteln · S. Friedrichsdorf, Minneapolis/St. Paul · Angela M. Kaindl, Paris #5706_neuropa diatrie_02_08.indd 29 03.04.2008 13:30:08 Uhr www.milupa-metabolics.de KENNEN SIE SCHON UNSERE NEUE SEITE? Seit mehr als 25 Jahren stellen wir nicht nur höchste Anforderungen an die Entwicklung und die Qualität unserer Produkte, sondern auch an unseren Service. Sie haben konkrete Wünsche, Anregungen oder Fragen? 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Philippi ............................................................................................ 32 PD Dr. Heike Philippi wurde am 13.12.2006 an der Universität Heidelberg für das Fach Kinder- und Jugendmedizin habilitiert. Originalien/Übersichten · Original/Review articles Transkulturelle Pädiatrie: Fakten, Thesen und Lösungen Transcultural Paediatrics. Facts, Hypotheses, and Solutions O. S. Ipsiroglu ..................................................................................... 38 Zonisamid im Kindesalter – Literaturübersicht und eigene Erfahrungen Clinical experience for the use of zonisamide in childhood – onset epilepsy A. Müller, H. Holthausen, G. Kluger ............................................ 47 Prävalenz und klinische Symptomatik psychogener Störungen in der Pädiatrie Prevalence and clinical symptoms of paediatric psychogenic disorders M. Blankenburg, B. Zernikow, T. Hechler, F. Aksu ................... 52 Mitteilungen · Communications Forschung · Research .................................................................... 59 Titelbild: Ausprägungsgrad 5 für das Kriterium „Rumpfkonvexität in Bauchlage“ (a) und Ausprägungsgrad 6 für das Kriterium „HWS-Rotationsdefizit in Rückenlage“ (nach H. Philippi, 2008) Personalia · Personalia ................................................................. 59 Verschiedenes · Miscellaneous .................................................. 60 Kongresse · Congress announcements .................................. 62 Vorschau · Preview ......................................................................... 62 www.neuropaediatrie-online.com Impressum Herausgeber: F. Aksu, Datteln Redaktion: F. Aksu (verantwortlich) · M. Blankenburg, Datteln · S. Friedrichsdorf, Minneapolis/St. Paul · Angela M. Kaindl, Paris Wissenschaftlicher Beirat: H. Bode, Ulm · E. Boltshauser, Zürich · C. G. Bönnemann, Philadelphia · U. Brandl, Jena · H.-J. Christen, Hannover · F. Ebinger, Heidelberg · S. Friedrichsdorf, Minneapolis/St. Paul · Jutta Gärtner, Göttingen · F. Heinen, München · G. F. Hoffmann, Heidelberg · C. Hübner, Berlin · O. Ipsiroglu, Vancouver · D. Karch, Maulbronn · A. Kohlschütter, Hamburg · R. Korinthenberg, Freiburg · E. Mayatepek, Düsseldorf · P. Meinecke, Hamburg · B. Neubauer, Gießen · C. Panteliadis, Thessaloniki · Barbara Plecko, Graz ·B. Schmitt, Zürich · N. Sörensen, Würzburg · M. Spranger, Bremen · Maja Steinlin, Bern · Sylvia Stöckler-Ipsiroglu, Vancouver · V. Straub, Newcastle upon Tyne · Ute Thyen, Lübeck · Ingrid Tuxhorn, Cleveland · D. Uhlenbrock, Dortmund · S. Unkelbach, Volkach/Main · T. Voit, Paris · B. Wilken, Kassel · B. Zernikow, Datteln Layout: Atelier Schmidt-Römhild Anschrift der Redaktion: Redaktion Neuropädiatrie, Vestische Kinderund Jugendklinik Datteln, Postfach 1351, D-45704 Datteln, Telefon 02363/975 230, Fax 02363/975 393, E-mail: [email protected] Anschrift von Verlag und Anzeigenverwaltung: Max Schmidt-Römhild-Verlag, Hausadresse: Mengstraße 16, 23552 Lübeck, Großkundenadresse: 23547 Lübeck, Telefon: 0451/7031-01 Fax 0451/7031-253, E-mail: [email protected] Erscheinungsweise: 4x jährlich Januar, April, Juli, Oktober Bezugsmöglichkeiten: Einzelheft € 9,50 zzgl. Versandkosten; Jahresabonnement € 36,– zzgl. Versandkosten (€ 3,– Inland, € 6,50 Ausland) Anzeigenpreisliste: Nr. 1 vom 1. Dezember 2001 Namentlich gekennzeichnete Beiträge brauchen sich nicht unbedingt mit der Meinung des Herausgebers und der Redaktion zu decken. Für unverlangt eingesandte Beiträge und Fotos lehnt der Verlag die Verantwortung ab. © 2008 Die Zeitschrift und alle in ihr enthaltenen Beiträge und Abbildungen sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmung und die Einspeicherung und Bearbeitung in elektronischen Systemen. ISSN 1619-3873 Neuropädiatrie in Klinik und Praxis 7. Jg. (2008) Nr. 2 31 #5706_neuropa diatrie_02_08.indd 31 03.04.2008 13:30:18 Uhr Habilitation Diagnostik und Therapie der infantilen Haltungsasymmetrie H. PHILIPPI Sozialpädiatrisches Zentrum Frankfurt Mitte mit Epilepsieambulanz, Frankfurt am Main Priv.-Doz. Dr. med. Heike Philippi wurde am 13.12.2006 an der Ruprecht-KarlsUniversität Heidelberg für das Fach Kinder- und Jugendmedizin habilitiert. Nach ihrem Medizinstudium an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz erfolgte ihre Weiterbildung zur Ärztin für Kinder- und Jugendmedizin in der Univ.-Kinderklinik Mainz. Im August 1991 absolvierte sie an der Universität Mainz ihre Promotion zum Thema „Radioaktive und photometrische Lymphozytenproliferationstests: Aufbau und Analyse“. Im Juli 1997 erhielt sie das Certificate of the Educational Commission for Foreign Medical Graduates und im März 1997 die Anerkennung als Ärztin für Kinderund Jugendmedizin. Von 2004 bis 2007 arbeitete sie als Oberärztin und Leiterin des SPZ der Abteilung für Pädiatrische Neurologie der Univ.-Kinderklinik Heidelberg. Seit März 2007 leitet sie das SPZ mit Epilepsiezentrum Frankfurt a.M. Mitte. Sie verfügt über die Zertifikate für EEG, Epileptologie, SPZ-Leiterin der DGSPJ und Schwerpunkt Neuropädiatrie. Das Thema ihrer Habilitationsarbeit lautete: „Diagnostik und Therapie der infantilen Haltungsasymmetrie“. Nachfolgend fasst Dr. Philippi auf Aufforderung der Schriftleitung die wichtigsten Ergebnisse ihrer Habilitationsarbeit zusammen. bensmonaten. Die Skala weist eine hohe Praktikabilität auf und kann deshalb auch im kinderärztlichen Alltag zur klinischen Verlaufsbeobachtung ggf. ohne Videoaufnahme verwendet werden. Die Ergebnisse der Therapiestudie geben einen ersten Hinweis, dass eine osteopathische Behandlung in den ersten Lebensmonaten den Asymmetriegrad von Säuglingen mit infantiler Haltungsasymmetrie bei guter klinischer Verträglichkeit signifikant verbessert. Die Musteranalyse der infantilen Haltungsasymmetrie zeigt, dass funktionelle und morphologische Asymmetriezeichen häufig zusammen auftreten und sich zum Teil auch gegenseitig bedingen. Die punktuelle Aggravierung eines Asymmetriesymptoms sollte bei Diagnostik- und Therapieplanung nicht dazu verleiten, das gesamte asymmetrische Bild außer Acht zu lassen. Nur so lassen sich ein Plagiocephalus induzierter Fehlbiss oder Strabismus, eine Tortikollis-assoziierte progrediente Skoliose, eine Skoliose-assoziierte dauerhafte Funktionsbeeinträchtigung der HWS oder eine Schräglagen-induzierte asymmetrische Gangstörung vermeiden. Inwieweit eine fixierte asymmetrische Haltung im Verlauf feinmotorische und koordinative Defizite bedingen kann, wäre in weiteren Studien zu überprüfen. Zusammenfassung Asymmetrie, Haltung, Säuglingsalter, Skoliose, Tortikollis Die infantile Haltungsasymmetrie ist definiert als eine Rumpfkonvexität (Skoliosemuster) und/oder eine eingeschränkte Kopfrotation (Tortikollismuster) als reaktives Bewegungsmuster auf eine orientierende Kopfwendung nach rechts und links in Bauch-und Rückenlage. Sie kann mit Hilfe einer videobasierten Asymmetrieskala in den ersten Lebensmonaten objektiviert und quantifiziert werden. Aufgrund der hohen Reliabilität und Konsistenz der Skala eignet sie sich als Ausgangsuntersuchung für epidemiologische Langzeituntersuchungen und für die Überprüfung von Therapieeffekten in den ersten Le- Schlüsselwörter Diagnostic approach and treatment of infantile postural asymmetry Abstract Infantile postural asymmetry is defined as trunk convexity (scoliosis pattern) and cervical (torticollis pattern) rotation deficit to an orienting head turn in the prone and supine position. It could be reliably and objectively quantified by a video based standardised measurement scale. The infantile asymmetry scale could serve for epidemiological and therapeutic studies. The scale is easy and quick to perform and can be implemented in the routine examination of infants. Video taping is helpful but not mandatory. The data of our randomized therapeutic trial renders first evidence that osteopathic treatment in the first months of life is beneficial for infants with idiopathic postural asymmetry. The pattern analysis of infantile postural asymmetry showed that morphological and functional anomalies are intricately linked and that infants with an apparent single sign of asymmetry have actually much more generalized disturbance. Considering these multi-dimensional aspects of infantile postural asymmetry a plagiocephaly induced temporomandibular joint displacement or strabism, a torticollis associated scoliosis, a scoliosis related cervical dysfunction or an oblique body position associated gait disturbance could be prevented. The question in how far a fixed asymmetric posture will cause motor and coordination deficits needs to be answered by further studies. Key words Asymmetry, infancy, posture, scoliosis, torticollis Bibliography Neuropaediatrie 2008; 7: 32–37, © Schmidt-Roemhild-Verlag, Luebeck, Germany: ISSN 1619-3873; NLM ID 101166293; OCoLc 53801270 Einleitung Eine asymmetrische Körperhaltung, Bewegungsmuster oder Muskeltonus gelten als Hinweis auf eine gestörte frühkindliche Entwicklung. Diese Asymmetriesymptome können Ausdruck einer neuromuskulären oder skelettalen Erkrankung wie spastische Hemiparese nach cerebralem Infarkt, Plexusparese oder einer Segmentations- 32 Neuropädiatrie in Klinik und Praxis 7. Jg. (2008) Nr. 2 #5706_neuropa diatrie_02_08.indd 32 03.04.2008 13:30:20 Uhr Habilitation störung der Wirbelsäule sein (1, 7,-10, 12, 25, 33). Die symptomatische Symmetriestörung des Säuglings ist jedoch selten. Viel häufiger tritt sie im Sinne einer asymmetrischen Haltung als Sequenz aus intrauteriner asymmetrischer Lage, Geburtseinfluss und postnataler Lagerung auf (5, 6, 20, 26, 31). Klinische Beachtung finden derzeit meist nur einzelne Komponenten des Asymmetriekomplexes wie Tortikollis oder Säuglingsskoliose, und häufig auch erst in fortgeschrittenem Alter, wenn ein deutlicher Fixationsgrad besteht. Auf die Tatsache, dass asymmetrische Symptome doch relativ häufig miteinander assoziiert auftreten und morphologische und funktionelle Symptome sich gegenseitig bedingen, wurde von einigen Autoren zwar hingewiesen, der Einzug in den klinischen Alltag ist weitgehend ausgeblieben (5, 15, 21, 23, 24, 31). Im Säuglingsalter wird der Haltungsasymmetrie u.a. deshalb wenig Beachtung geschenkt, weil man darauf vertraut, dass der Spontanverlauf günstig sei. Dass dies bei ca. 25% der asymmetrischen Säuglinge nicht der Fall ist, belegen eine prospektive und zahlreiche retrospektive Untersuchungen bzw. Querschnittsstudien (2-5, 11, 18, 26, 27). In Anbetracht der empfohlenen ausschließlichen Rückenlage zur Prävention des plötzlichen Säuglingstodes ist zudem eine Zunahme der infantilen Haltungsasymmetrie zu beobachten (16, 17, 19), weshalb mancherorts Säuglinge mit einer Haltungsasymmetrie nun verstärkt frühzeitig einer physiotherapeutischen, manualtherapeutischen oder osteopathischen Intervention zugeführt werden. Keine dieser Behandlungsstrategien wurde bisher allerdings bezüglich ihres Effektes evaluiert. lage, HWS-Rotationsdefizit Rückenlage) können je 1-6 Punkte vergeben werden (Abb. 1 und 2). Anhand von weiteren 20 Säuglingen der gleichen Altersgruppe wurde die Interrater-Reliabilität von fünf unabhängigen Beobachtern und die Konsistenz der Skala überprüft. Es ergab sich mit einem Intraclass-Korrelations-Koeffizienten von 91,5% eine hohe Reliabilität. Die Konsistenz der Skala ist ebenfalls als gut einzustufen, wie es ein Cronbach Alpha von 0,84 belegt. Die Asymmetrieskala eignet sich gut für den klinischen Alltag für Kinder zwischen 6 und 16 Wochen, weil sie einfach in die klinische Untersuchung zu integrieren ist. Eine Videodokumentation macht den Befund verlässlicher und ist eine unabdingbare Vorraussetzung für klinische Studien; eine Punktdokumentation genügt für den geübten Untersucher im Alltag. Therapiestudie Mit Hilfe der Asymmetrieskala wurde dann in einem weiteren Schritt der Effekt einer osteopathischen Behandlung auf die infantile Haltungsasymmetrie evaluiert (29). Die Evaluation der Osteopathie als Interventionsmethode wurde aus drei Gründen gewählt. Zum einen handelt es sich um die am wenigsten invasive Methode. Zum Zweiten ist eine osteopathische Behandlung insofern nicht von der Compliance der Eltern abhängig, als dass sie ausschließlich vom Osteopathen selbst durchgeführt wird. Zum Dritten ist für den Laien von außen nicht ersichtlich ob eine Behandlung durchgeführt wird oder nur Hände aufgelegt werden, und es ergibt sich damit die Möglichkeit die Intervention doppelt zu verblinden. Die Auswertung des Schweregrads der Asymmetrie erfolgte anhand von Videos durch unabhängige verblindete Beobachter. Für die doppeltblind randomisierte Therapiestudie wurde ein adaptives Studiendesign mit Parallelgruppenbildung gewählt. Die Säuglinge der Verumgruppe erhielten einmal pro Woche für 45 Minuten eine osteopathische Behandlung für 4 Wochen. Die Säuglinge der Kontrollgruppe erhielten Asymmetrieskala für Säuglinge Um eine Therapiestudie durchführen zu können, musste zunächst eine standardisierte klinische Untersuchungsmethode zur Objektivierung und Quantifizierung der infantilen Haltungsasymmetrie entwickelt werden, nachdem ein solches Messinstrument bisher nicht existierte. Anhand von 30 Säuglingen in einem Reifealter von 10 Wochen (Spannweite 6-16 Wochen) mit einer variablen Ausprägung der Haltungsasymmetrie wurde eine Asymmetrieskala von 20 Punkten erarbeitet. Mit der Asymmetrieskala werden Rumpfkonvexität und HWS-Rotationsdefizit in Bauchund Rückenlage als reaktive Bewegungen auf eine orientierende maximal mögliche Kopfrotation nach rechts und links bewertet (28). Für jedes Kriterium (Rumpfkonvexität Bauchlage, Rumpfkonvexität Rückenlage, HWS-Rotationsdefizit Bauch- Abb.1: Definition der 6 Kategorien von „Rumpfkonvexität“ und „HWS-Rotationsdefizit“ im Seitenvergleich bei maximaler Kopfwendung nach rechts und links Neuropädiatrie in Klinik und Praxis 7. Jg. (2008) Nr. 2 33 #5706_neuropa diatrie_02_08.indd 33 03.04.2008 13:30:20 Uhr Habilitation Abb. 2: a) Ausprägungsgrad 5 für das Kriterium „Rumpfkonvexität in Bauchlage“, b) Ausprägungsgrad 6 für das Kriterium „HWS-Rotationsdefizit in Rückenlage“ Punkten (SD +/- 3,5). In der Behandlungsgruppe verbesserten sich 13 Säuglinge und 3 Säuglinge blieben unverändert. Die mittlere Verbesserung lag bei 5,9 Punkten (SD +/- 3,8). Der mittlere Gruppenunterschied betrug damit 4,7 15 Punkte und belegt einen signifikanten Therapieeffekt der osteopathischen Behandlung gegenüber 10 dem Spontanverlauf (Abb. 3 und 4). Osteopathie Das Konzept der „Osteopathie“ ist am Anfang dieses Jahrhunderts, etwa zeitgleich mit dem der Manuellen Medizin und Chiropraktik in den USA entstanden. Es wurde um die Jahrhundertwende von dem amerikanischen Arzt Dr. Andrew Taylor Still (1828-1917) begründet (14). Still und seine Nachfolger entwickelten ein empirisch begründetes Behandlungskonzept, bei dem der Patient durch eine subtile, GSD (Punkte) nach gleichem Zeitschema eine osteopathische Scheinbehandlung. Vor und nach den Behandlungsblöcken wurde die Haltungsasymmetrie gemäß den Vorschriften der Asymmetrieskala video-dokumentiert und anschließend von drei unabhängigen geblindeten Beurteilern bewertet. Die Fallzahlkalkulation ergab mit einem einseitigen Signifikanzniveau von 0,025, einer Power von 0,80 und einem relevanten Gruppenunterschied von im Mittel mindestens 4 Punkten sowie einer Standardabweichung der Messergebnisse von 3,7 Punkten eine Fallzahl für die erste Stufe der Studie von 16 Patienten pro Behandlungsarm. Die Standardabweichung wurde auf dem Boden von 12 asymmetrischen Säuglingen, die in einem Abstand von 4 Wochen ohne Therapie beurteilt wurden, ermittelt. Die Zwischenauswertung der Therapiestudie nach Einschluss von insgesamt 32 asymmetrischen Säuglingen ergab bereits einen signifikanten Gruppenunterschied (p = 0,001, t-test) zu Gunsten der Behandlungsgruppe, sodass die Studie beendet wurde. In der Kontrollgruppe verbesserten sich fünf Säuglinge (≥ 3 Punkte), acht Säuglinge blieben unverändert (+/- < 3 Punkte) und 3 Säuglinge verschlechterten sich (≤ -3 Punkte). Die mittlere Verbesserung der Kontrollgruppe lag bei 1,2 je nach Befund spezifische manuelle Behandlung im Bereich seiner Funktionsbeeinträchtigung wieder mehr Beweglichkeit erhielt (22, 32). Durch eine osteopathische Behandlung würde die Zirkulation von Körperflüssigkeiten (Blut, Lymphe, Liquor) verbessert und Stoffwechselprozesse angeregt (13, 22, 32). Ein wesentlicher Aspekt bei der osteopathischen Behandlung sei dabei, dass nicht nur der Bereich der Symptome in die Behandlung miteinbezogen, sondern der ganze Organismus bezüglich Bewegungseinschränkung und Fixationen palpiert und ggf. osteopathisch mitbehandelt würde. Die Subtilität der osteopathischen Behandlungsmethode mache es schwierig, dieses Konzept zu veranschaulichen. Anders als bei Physiotherapie, Manualmedizin oder Chiropraktik würde nicht explizit im herkömmlichen Sinne stimuliert, Zug oder Druck ausgeübt oder gerenkt. Der Säugling wird für eine osteopathische Behandlung auf die Untersuchungsliege gelegt und der Osteopath legt für die Dauer von ca. 45 Minuten seine Hände in wechselnde Position im Bereich von Becken, Bauch, Brustkorb und Kopf an, unter oder auf den Körper des Säuglings und verweilt dort für einige Minuten. Dabei wird ein gerichteter sanfter Druck oder Zug zielgerichtet auf bestimmte anatomische Strukturen ausgeübt. Dabei ist eine Bewegung, wie sie beispielsweise von einer Körpermassage bekannt ist, für den Beobachter nicht sichtbar. Bei guter Körperwahrnehmung ist die osteopathische Behandlung für den Patienten selbst spürbar. 5 0 -5 -10 Kontrollgruppe Osteopathiegruppe Abb. 3: Gesamtscoresdifferenz (GSD) in der Kontroll- und Osteopathiegruppe als Box- und Whisker-Plots. Eine positive Differenz entspricht einer Verbesserung und eine negative einer Verschlechterung. Die Ergebnisse sind als Box- und Whisker-Plots dargestellt. Die mittlere horizontale Linie entspricht dem Median. Die Unter- und Oberkanten der Box markieren jeweils die 25. und 75. Percentile. Die Whiskers zeigen die Spannweite, soweit die Werte in das 1,5-Fache der Boxlänge fallen 34 Neuropädiatrie in Klinik und Praxis 7. Jg. (2008) Nr. 2 #5706_neuropa diatrie_02_08.indd 34 03.04.2008 13:30:23 Uhr Freunde . k r a t s machen CONCERTA® 18 mg/- 36 mg/- 54 mg Retardtabletten. Wirkstoff: Methylphenidathydrochlorid. Zusammensetz.: 1 Retardtbl. CONCERTA® 18 mg/- 36 mg/- 54 mg enth. 18 mg/- 36 mg/- 54 mg Methylphenidathydrochlorid. Sonst. Bestandt.: E 321, Celluloseacetat, Hypromell., Phosphorsäure 85 %, Poloxamer 188, Macrogol 400, 200000 u. 7000000, Povidon K 29-32, Natrium-Cl, Stearinsäure, Bernsteinsäure, E 172, Lactose-Monohydr. (18 mg: LactoseMonohydr. 6,49 mg. 36 mg: Lactose-Monohydr. 14,44 mg. 54 mg: Lactose-Monohydr. 7,6 mg.), E 171, Triacetin, Carnaubawachs, Propan-2-ol, Propylenglyc., Ger. Wasser. Anw.geb.: B. Kdrn. (üb. 6 J.) u. Jugendl. m. Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitäts-Störg. (ADHS) als Teil e. umfass. Bhdlgs.progr., wenn sich and. Maßn. allein als unzureich. erwiesen haben. Gegenanz.: Überempfindl. gg. Methylphenidat od. sonst. Bestandt.; ausgepr. Angst u. Anspanng.; Glaukom; diagnostiz. od. i. d. Familienanamn. aufgetr. Tourette-Syndr.; Komb. m. nichtselekt., irrevers. Monoaminoxidase(MAO)-Hemmern bzw. i. d. ersten 14 Tagen n. Abs. e. MAO-Hemmers; Hyperthyreose; schwere Angina pect.; Herzrhythm.störg.; schwere Hypertonie; gegenwärt. schwere Depress., Anorexia nerv., psychot. Sympt. od. Suizidneigung; bek. AM- od. Alkoholabhängk.; Schwangersch. u. Stillzeit; Kinder unter 6 J.; Bes. Vorsicht b.: vorbesteh. strukturellen kardialen Anomalien; Hypertonie u. and. kardiovask. Erkr.; vorbesteh. schwerer Stenose i. Bereich d. Gastroint.traktes, Dysphagie od. Pat. m. großen Schwierigk., Tabl. zu schlucken; motor. u. verb. Tics (auch in Familienanamn.); früherer AM- od. Alkoholabh. od. Psychose (treten psychot. od. manischen Sympt. auf, ggf. Ther. absetzen); Krampfanfälle/anormales EEG (treten Krampfanfälle auf, AM absetzen); Aggression; Pat., deren Grunderkr. durch Erhöhg. d. Blutdr. od. d. Herzfrequenz verschlimm. werden könnte; Nieren- od. Leberinsuff.; Sehstörg.; normale Erschöpfungszustände. Bhdlg. b. Pat. m. nicht erwart. Wachstum/Gewichtszun. unterbr.. Enth. LactoseMonohydr.. Pat. m. d. selt. hereditären Galactose-Intoleranz, mit Lactase-Mangel od. Glucose-GalactoseMalabsorption sollten CONCERTA® nicht einnehmen. Nebenwirk.: Sehr häufig: Kopfschm.. Häufig: Nasopharyngitis, Schlaflosigk., Tic, Aggression, Angst, Affektlabilität, Schwindel, Husten, laryngopharyngealer Schmerz, abdomin. Schmerz, Erbr., Nausea, Diarrhoe, Magenbeschw., Reizbark., Pyrexie, Gewichtsabn.. Gelegentl.: Anorexie, vermind. Appetit, Depress., Schlafstörg., geänd. Stimmungslage, Stimmungschwank., Wut, Agitat., Hypervigilität, Traurigk., medik. induz. Psychose (z. B. Halluzinat.), Unruhe, Nervosität, Suizidgedank., Somnolenz, psychomot. Hyperaktivität, Tremor, Sedierung, verschwomm. Sehen, Diplopie, Tachyk., Palpitat., Hypertonie, Dyspnoe, Obstipat., Alopezie, (Haut-)Ausschlag, Myalgie, Arthralgie, Muskelzuck., Überempfindl.reakt. w. Angioödem, anaphylaktische Reakt., aurikuläre Schwellungen, bullöse Hauterkr., exfoliative Hauterkr., Urtikaria, Pruritus, Ausschläge u. Eruptionen, Fatigue, Brustschm., erhöh. Blutdr., Herzgeräusch, erhöh. Leberenzyme. Selten: Desorientierth., Manie, Mydriasis, Sehstörg., Erythem, Hyperhidrose, makulöser Hautausschlag. Sehr selten: Leukopenie, Panzytopenie, Thrombozytopenie, thrombozyt. Purpura, Verwirrungszust., Suizidversuch (bei m. CONCERTA® behand. Pat. wurde üb. Suizidgedank. u./od. Suizidversuche bericht.; Zus.hang m. CONCERTA® in dies. Fällen ist unklar.), Konvulsionen, Grand-mal-Anfälle, Angina pect., Bradyk., Extrasyst., supraventr. Tachyk., ventr. Extrasyst., Raynaud’sches Phänomen, Brustbeschw., Hyperpyrexie, erhöh. alk. Ph.-Werte i. Blut, erhöh. Bilirubin-Werte i. Blut, erniedr. Thrombozytenzahl, abnorm. Leukozytenzahl. NW m. and. Methylphenidat-Formulier. (zusätzl. zu o.g. Reakt.): Choreoath. Beweg., Tourette-Syndr., dürft. dok. Malig. Neurolept. Syndr. (MNS), hepat. Koma, zerebr. Arteritis u./od. Verschluss, Wachstumsretard. b. prolong. Einsatz b. Kindern. NW unt. Einnahm. von nicht verformb. Retardformul.: selten Obstrukt. b. Pat. m. bek. Stenose. Hinw.: Tabl. als Ganzes mit Wasser schlucken, nicht teilen, zerkleinern od. kauen. Stand d. Inform.: 06/07. Verschreibungspflichtig, Betäubungsmittel. JANSSEN-CILAG GmbH, 41457 Neuss. Starke Persönlichkeiten entwickeln sich in Schule und Freizeit. Kinder brauchen Erfolgserlebnisse auch am Nachmittag. CONCERTA®. Die ADHS-Therapie für den ganzen aktiven Tag. p 12-Stundenwirkung, von morgens bis abends p Nahrungsunabhängig p Initialtherapie möglich www.mehr-vom-tag.de #5706_neuropa diatrie_02_08.indd 35 03.04.2008 13:30:26 Uhr Habilitation in Bauch- und Rückenlage. In 2/3 der Fälle wiesen diese kongruenten Säuglinge eine Linkskonvexität und eine linksseitig eingeschränkte HWS-Rotation auf. 27 Säuglinge hatten einen Lagerungsplagiocephalus, 13 Säuglinge eine Schräglage, 4 Säuglinge eine Hüftdysplasie > Typ II a nach Graf, 11 Säuglinge eine asymmetrische Fußstellung, 4 Säuglinge einen passageren Strabismus und 19 Säuglinge asymmetrische Greifreflexe. 1/3 aller Säuglinge zeigten eine fixierte HWS-Neigung nach links und dies entsprach der intrauterinen Lage (I. Schädellage). Literatur 1. Alfonso I, Alfonso DT, Papazian O (2000) Focal upper extremity neuropathy in neonates. Semin Pediatr Neurol 7: 4-14 2. Binder H, Eng GD, Gaiser JF, Koch B (1987) Congenital muscular torticollis: results of conservative management with long-term follow-up in 85 cases. Arch Phys Med Rehabil 68: 222-225 3. Boere-Boonekamp MM, Linden-Kuiper AT van der (2001) Positional preference: prevalence in infants and follow-up after two years. Pediatrics 107: 339-343 4. Canale ST, Griffin DW, Hubbard CN. Congenital muscular torticollis (1982) A long-term followup. J Bone Joint Surg Am 64: 810-816 5. Cheng JC, Au AW (1994) Infantile torticollis: a review of 624 cases. J Pediatr 14: 802-808 6. Davids JR, Wenger DR, Mubarak SJ (1993) Congenital muscular torticollis: a sequela of intrauterine or perinatal compartment syndrome. J Pediatr Orthop 13: 141-147 7. Dias MS (2005) Neurosurgical causes of scoliosis in patients with myelomeningocele: an evidencebased literature review. J Neurosurg 103: 24-35 Abb. 4 a) Bilderserie aus dem Bewertungsvideo eines Säuglings der Kontrollgruppe vor (obere Zeile) und nach (untere Zeile) vier Scheinbehandlungen. Es zeigt sich eine Verschlechterung der HWS-Rotaton von 3 nach 4 Punkten und eine Verschlechterung der Rumpfkonvexität von 4 nach 5 Punkten, b) Bilderserie aus dem Bewertungsvideo eines Säuglings der Behandlungsgruppe vor (obere Zeile) und nach (untere Zeile) vier osteopathischen Behandlungen. Es zeigt sich eine Verbesserung der HWS-Rotaton von 6 nach 6 Punkten und eine Verbesserung der Rumpfkonvexität von 5 nach 1 Punkten Musteranalyse der infantilen Haltungsasymmetrie Zur Erfassung des gesamten Symptomenkomplexes der infantilen Haltungsasymmetrie und deren Muster wurde schließlich eine um qualitative Merkmale erweiterte Auswertung der videodokumentierten Untersuchungen durchgeführt (30). Für die Musteranalyse der infantilen Haltungsasymmetrie wurden 54 Säuglinge mit einem Asymmetriescore von mindestens 12 Punkten aus den o. g. Kollektiven (Kollektive der Asymmetrie-Skalaentwicklung und Therapiestudie) ausgewählt. Neben der funktionellen quantitativen Asymmetriebewertung wurden Plagiocephalus, Schräglage, Fußfehlstellung, Hüftreife, Hand- und Fußgreifreflexe sowie Augen- bewegungen qualitativ ausgewertet. Es zeigte sich bei 6 Säuglingen ein dominierendes Skoliosemuster, bei 9 Säuglingen ein dominierendes Tortikollismuster, bei 13 Säuglingen ein gemischtes Bauchlagenmuster und bei 26 Säuglingen ein gemischtes Muster (Abb. 5 und 6). 27 Säuglinge zeigten eine Seitenübereinstimmung von Rumpfkonvexität und HWS-Rotation 8. Dihlmann W (1982) Gelenke – Wirbelverbindungen. Klinische Radiologie, Teil 3: Topographische Röntgendiagnostik III (Achsenskelett, Schambeinfuge, Brustbeinfuge). Thieme, Stuttgart, pp 492-493 9. 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(2008) Nr. 2 #5706_neuropa diatrie_02_08.indd 36 03.04.2008 13:30:27 Uhr Habilitation Abb. 6: HWS-Rotationsdefizit und Rumpfkonvexität in Bauch- und Rückenlage disease or mitochondrial myopathy?. J Neurol Sci 46: 33-48 13. Frymann, VM (1998) The collected papers of Viola M. Frymann, DO. Legacy of osteopathy to children. American Academy of osteopathy, Indinapolis 14. Gevitz N (1982) The D.O.`s: Osteopathic medicine in America. John Hopkins University Press, Baltimore 15. Hamanishi C, Tanaka S (1994) Turned head-adducted hip-truncal curvature syndrome. Arch Dis Child 70: 515-519 16. Hutchinson BL, Hutchinson LA, Thomson JM, Mitchell EA. (2004) Plagiocephaly and brachycephaly in the first two years of life: A prospective cohort study. Pediatrics 114: 970-980 17. Hutchinson BL, Thomson JM, Mitchell EA (2003) Determinants of nonsynostotic plagiocepgaly: a case-control study. Pediatrics 112: e316-e22 25. 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Arzt und Statistiker am Institut für Medizinische Biometrie, Epidemiologie und Informatik der Universitätsklinik Mainz, Herrn Prof. Dr. Jürgen Spranger, ehemaliger Direktor, und Herrn Prof. Dr. Bernd Reitter, Ltd. Oberarzt der Universitätskinderklinik Mainz, Herrn Prof. Dr. Dietz Rating, Ärztlicher Direktor der Pädiatrischen Neurologie sowie Herrn Prof. Dr. Joachim Pietz, Leiter des Sozialpädiatrischen Zentrums der Universitätskinderklinik Heidelberg. Priv.-Doz. Dr. med. Heike Philippi Sozialpädiatrisches Zentrum Frankfurt-Mitte mit Epilepsieambulanz Theobald-Christ-Str. 16 60316 Frankfurt am Main [email protected] Neuropädiatrie in Klinik und Praxis 7. Jg. (2008) Nr. 2 37 #5706_neuropa diatrie_02_08.indd 37 03.04.2008 13:30:28 Uhr Originalien/Übersichten Transkulturelle Pädiatrie: Fakten, Thesen und Lösungen O. S. IPSIROGLU Sunny Hill Health Center for Children, BC Childrens Hospital, University of British Columbia, Vancouver, Canada Zusammenfassung Der Zuwanderungsprozess der letzten Jahrzehnte hat in der europäischen Bevölkerung eine ethnische Heterogenität bewirkt, die neben sprachlichen zu kulturellen Kommunikationsbarrieren führt und die medizinische Versorgung Massiv erschwert: „... Trotz gleichwertiger medizinischen Angebote verlaufen Krankheiten bei Migrantenkindern ungünstiger als bei Kindern österreichischer oder deutschen Familien... Für viele Pädiater erweist sich der gesellschaftspolitische Auftrag der Gleichbehandlung aller Patienten schon aufgrund der fehlenden Möglichkeiten einer (sprachlich) einwandfreien Kommunikation als schwierig bis unmöglich...“ (Presseerklärung der ÖGKJ & DGSPJ, 2004). Lösungsansätze seitens der Gesundheitspolitik fehlen. Fachgesellschaften kommt die Funktion von Lotsen zu; sie müssen die notwendigen Prioritäten aufzeigen und die Diskussion führen. „Im besten Interesse des Kindes“ heißt, das Kind als Patienten innerhalb seines sozialen Umfeldes mit seiner Familie und Gleichen [„peers“] wahrzunehmen. Hier ermöglicht ein „explorativer“ Zugang über traditionell geprägte Stereotypien und Vorurteilsfallen hinwegzukommen und die Bewegungsgründe unseres Gegenübers besser zu verstehen, und somit eine optimierte Patient/Arzt Interaktion herzustellen. Die erforderliche Zeit beim „Explorieren“ und „Zuhören der Krankheitsgeschichte“ [„narrative“] kann dem Geübten die Denkmodelle seines Gegenübers offenbaren und damit den Zugang zu einem anderen Verständnis und Verhalten ermöglichen. Unterschiedliche Meinungen zum „besten Interesse des Kindes“ sollten möglichst in einer vordefinierten offiziellen Struktur, z. B. innerhalb der klinischen Ethikkommission, zusammen mit den Angehörigen, diskutiert werden. Hier gibt es in Deutschland und Österreich einen Handlungsbedarf, das medizinische System muss sich der Diskussion der andersempfundenen Prioritäten stellen, ihre Positionen klarlegen, innerhalb der gesetzlichen Vorgaben verteidigen und vom traditionellen Paternalismus abgehen. Erst der Diskurs ermöglicht das gemeinsame und gemeinschaftliche Voneinanderlernen und damit die Wahrnehmung vom besten Interesse des Kindes. In cases where opinions differ regarding what the best interest is, c) clinical ethics committees will help to discuss challenges in a predefined official setting enabling discussants to argue within existing acts and to get an understanding of different needs. Schlüsselwörter Key words Transkulturelle Pädiatrie, Exploration, Vorurteile im ärztlichen Gespräch, Gesundheitspolitik Transcultural Paediatrics, Exploration, Prejudice in Medical Communication, Health Policy Transcultural Paediatrics. Facts, Hypotheses, and Solutions Bibliography Abstract Living in a different country with a different lifestyle and a different orientation is a multi-faceted challenge for migrants and the host community. In Europe the turn of the millennium is characterized by migration, ethnic diversity and emergence of communication barriers. Apart from language, information and education, diverse conceptions of life and different value systems are responsible for these tremendous challenges. As stated in the press information of the Austrian Paediatric Society and the German Society for Social-Paediatrics & Adolescent Medicine (Graz, Ulm, February 04) the individual paediatrician is no longer able to fulfil his socio-political commitment to treat all clients equally. However health politics have not been able to lead out of, not to mention, solve these existing challenges. ‘In the best interests of the child“ is the basic leading principle of ethics in paediatric medicine, and is based on the fundamental rights of the child. ‘In the best interests of the child“ equates to work out the transcultural approach to understand the clients“ own world, mainly perception, and cultural environment: a) the explorative approach and b) listening to disease narratives will open a new understanding. Neuropaediatrie 2008; 7: 38–46, © Schmidt-Roemhild-Verlag, Luebeck, Germany: ISSN 1619-3873; NLM ID 101166293; OCoLc 53801270 Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile. [Aristoteles] Einleitung Europa zeichnet sich nach den kriegsbedingten Wanderungsbewegungen des 20. Jahrhunderts und dem wirtschaftlichen Wiederaufbau der Nachkriegszeit durch einen demographischen Alterungsprozess aus (1). Parallel dazu hat ein anhaltender Zuwanderungsprozess aus dem nahen und mittleren Osten sowie aus afrikanischen Ländern in der europäischen Bevölkerung eine ethnische, kulturelle und religiöse Heterogenität bewirkt (38). Diese Heterogenität führt zu sprachlichen und kulturellen Kommunikationsbarrieren, die die medizinische Versorgung von Zuwanderern und deren Kindern Massiv erschweren (8). Die transkulturelle Pädiatrie beschäftigt sich mit den Herausforderungen in der medizinischen Betreuung von Kindern aus Migrantenfamilien und mit möglichen Lösungsansätzen zur verbesserten Versorgung dieser Kinder (10). Der Gesundheitszustand von Migranten ist nicht nur ein Maß für den Zustand des Gesundheitssystems des Zuwanderungs- 38 Neuropädiatrie in Klinik und Praxis 7. Jg. (2008) Nr. 2 #5706_neuropa diatrie_02_08.indd 38 03.04.2008 13:30:28 Uhr DIACOMIT ® Stiripentol Neu DIACOMIT® Wirkstoff: Stiripentol Zur Anwendung beim Dravet-Syndrom (SMEI) Orphan drug-Zulassung Hartkapseln und Pulver mit je 250 mg und 500 mg Diacomit® 250 mg / 500 mg Hartkapseln – Wirkstoff: Stiripentol. Verschreibungspflichtig. Zusammensetzung: arzneil. wirksamer Bestandteil: 1 Hartkapsel Diacomit® 250 mg enth. 250 mg (E)-Stiripentol (Stiripentol); 1 Hartkapsel Diacomit® 500 mg enth. 500 mg (E)-Stiripentol (Stiripentol) Sonstige Bestandteile Hartkaps. Diacomit® 250 mg: Povidon K29/32; Carboxymethylstärke-Natrium (Typ A) entspricht 0,16 mg Natrium pro Hartkaps.; Magnesiumstearat, Gelatine, Titandioxid (E 171); Erythrosin (E 127); Indicogarmin (E 132). Sonstige Bestandteile Hartkaps. Diacomit® 500 mg: Povidon K29/32; Carboxymethylstärke-Natrium (Typ A) entspricht 0,32 mg Natrium pro Hartkaps.; Magnesiumstearat, Gelatine, Titandioxid (E 171) Anwendungsgebiete: Diacomit® ist indiziert für die Anwendung in Verbindung mit Clobazam u. Valproat bei refraktären generalisierten tonisch-klonischen Anfällen bei Patienten mit schwerer myoklonischer Epilepsie im Kindesalter (SMEI, Dravet-Syndrom), deren Anfälle mit Clobazam u. Valproat nicht angemessen kontrolliert werden können. Gegenanzeigen: Überempfindlichkeit gegenüber Stiripentol o. einen der sonst. Bestandteile; Vorgeschichte mit Psychosen in Form deliranter Anfälle. Nebenwirkungen: Sehr häufig: Anorexie; Appetitverlust; Gewichtsverlust (v.a. in Komb. mit Natriumvalproat); Schlaflosigkeit; Benommenheit; Ataxie; Hypotonie; Dystonie. Häufig: Neutropenie (persistierende schwere Neutropenie bildet sich nach Absetzen i. allg. spontan zurück); Aggressivität; Reizbarkeit; Verhaltensstörungen, ablehnendes Verhalten; Übererregbarkeit, Schlafstörungen; Hyperkinesie; Übelkeit; Erbrechen; erhöhte g-GT (v.a. in Kombi. mit Carbamazepin u. Valproat). Gelegentlich: Diplopie (bei Anwendung mit Carbamazepin); Lichtempfindlichkeit; Hautausschlag; Hautallergie; Urtikaria; Müdigkeit. Hinweis: weitere Informationen zu Wechselwirkungen, Dosierungsangaben; Anwendungsempfehlungen sowie Hinweise für Verkehrsteilnehmer enthält die Fach- und Gebrauchsinformation. DESITIN ARZNEIMITTEL GMBH, Weg beim Jäger 214, 22335 Hamburg, www.desitin.de · Stand: Dezember 2007 Diacomit® 250 mg / 500 mg Pulver - Wirkstoff: Stiripentol. Verschreibungspflichtig. Zusammensetzung: arzneilich wirksamer Bestandteil: 1 Beutel Diacomit® 250 mg Pulver enth. 250 mg (E)-Stiripentol (Stiripentol); 1 Beutel Diacomit® 500 mg Pulver enth. 500 mg (E)-Stiripentol (Stiripentol) Sonstige Bestandteile Diacomit® 250 mg Pulver: Povidon K29/32; Carboxymethylstärke-Natrium (Typ A) und Carmellose-Natrium, entspricht 0,11 mg Natrium pro Beutel; sprühgetrockn. Glucosesirup (500 mg pro Beutel); Aspartam (E 951) 2,5 mg pro Beutel; Tutti-Frutti-Aroma (enth. 2,4 mg Sorbitol pro Beutel); Hyetellose; Erythrosin (E 127); Titandioxid (E 171). Sonstige Bestandteile Diacomit® 500 mg Pulver: Povidon K29/32; Carboxymethylstärke-Natrium (Typ A) und Carmellose-Natrium, entspricht 0,22 mg Natrium pro Beutel; sprühgetrockn. Glucosesirup (1000 mg pro Beutel); Aspartam (E 951) 5 mg pro Beutel; Tutti-Frutti-Aroma (enthält 4,8 mg Sorbitol pro Beutel); Hyetellose; Erythrosin (E 127); Titandioxid (E 171). Warnhinweise: Diacomit® 250 mg / 500 mg Pulver enthält Aspartam u. kann daher für Menschen mit Phenylketonurie schädlich sein; Pat. mit Glucose-Galactose-Malabsorption sollten Diacomit® 250 mg / 500 mg Pulver aufgrund seines Gehaltes an Glucose nicht einnehmen; aufgrund des Gehaltes an Sorbitol sollten Pat. mit hereditärer Fructoseintoleranz Diacomit® 250 mg / 500 mg nicht einnehmen. Hinweis: Informationen zu Nebenwirkungen, Gegenanzeigen siehe oben; Informationen zu Wechselwirkungen, Dosierungsangaben; Anwendungsempfehlungen sowie Hinweise für Verkehrsteilnehmer enthält die Fach- und Gebrauchsinformation. DESITIN ARZNEIMITTEL GMBH, Weg beim Jäger 214, 22335 Hamburg, www.desitin.de · Stand: Dezember 2007 #5706_neuropa diatrie_02_08.indd 39 03.04.2008 13:30:32 Uhr Originalien/Übersichten landes, sondern auch ein Maß für deren Integration in das gesellschaftspolitische System des Zuwanderungslandes (3, 8). Ist das gesellschaftspolitische System in der Lage, das Erkennen und Fördern der Gesundheit als Wert zu vermitteln? [Ottawa Charter for Health Promotion, WHO 1986; http://europa.eu] . Wie ist der Gesundheitszustand und das Gesundheitsverständnis der Zuwanderer? Wie wird der Gesundheitszustand der heutigen Migrantenkinder als zukünftige Erwachsene sein und wie werden sie ihren Beitrag zur Stützung des Gesellschafts- und Wirtschaftssystems des aktuellen Heimatlandes leisten können? Mit diesen systemimmanenten Fragen und möglichen Lösungsansätzen beschäftigt sich der Public Health Aspekt der transkulturellen Pädiatrie. Transkulturelle Pädiatrie ist ein neuer Begriff, der sich inhaltlich vom herkömmlichen Ansatz der interkulturellen Kompetenz unterscheidet (8, 37, 39). Ziel der transkulturellen Pädiatrie ist nicht so sehr die Erstellung von Checklisten und Standardisierung der Betreuung von Migrantenkindern, sondern eine darüber hinausgehende generelle Optimierung der Interaktion zwischen Patient und Arzt/ Therapeut. Der vorliegende Artikel zeigt die Rahmenbedingungen unter denen die aktuellen Herausforderungen der transkulturellen Pädiatie im deutschsprachigen Raum zu verstehen sind, zeigt transkulturelle Herausforderungen und Lösungsansätze im medizinischen Alltag auf und umreißt schließlich Lösungsmodelle unter Einbeziehung ethischer (31, 33, 47) und medizinanthropologischer Betrachtungsweisen (37, 39). I. Rahmenbedingungen Demographische Entwicklung Die Bevölkerung Europas ist durch einen demographischen Alterungsprozess und durch Zuwanderung aus unterschiedlichen außereuropäischen Regionen gekennzeichnet (1,38). Beide Entwicklungen resultieren in einer zunehmenden ethnischen, kulturellen, religiösen und sozioökonomischen Heterogenität der Bevölkerung. Durch das Fehlen einer langfristigen Integrationspolitik und durch mangelnde gesundheitspolitische Maßnahmen wird diese Heterogenität im medizinischen Alltag zu einer Herausforderung, der sich sowohl der einzelne niedergelassene Arzt als auch die in Spitälern tätigen Ärzte und Gesundheitsprofessionisten stellen müssen: „Trotz gleichwertiger medizinischer Angebote und Versorgungsstrukturen verlaufen Krankheiten bei Migrantenkindern ungünstiger als bei Kindern österreichischer oder deutscher Familien. Für viele Pädiater erweist sich der gesellschaftspo- litische Auftrag der Gleichbehandlung aller Patienten schon aufgrund der fehlenden Möglichkeiten einer sprachlich einwandfreien Kommunikation als schwierig bis unmöglich ...“ [http://www.docs4you.at/Content.Node/News/Gesundheitsplan / gesundheitsplan_für_kinder und_ jugendliche1.php ] . Gesundheitsbegriff und Prävention Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) definiert Gesundheit als einen Zustand des umfassenden körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur als das Fehlen von Krankheit und Behinderung [WHO 1947]. In Fortsetzung dieses umfassenden, aber statischen Verständnisses empfiehlt die WHO nunmehr die Gesundheit dynamisch, als Wert und nachhaltige Strategie in die neue Gesundheitspolitik zu integrieren [Ottawa Charter for Health Promotion, WHO 1986] . Primäre Prävention und Förderung zur Weiterentwicklung des jeden Individuum von Natur aus gegebenen Kapitals der Gesundheit (Salutogenese) sind die Hauptkomponenenten des neuen Public Health Verständnisses [http:// europa.eu] (Abb. 1, 2). Wie aber kann dieser neue Präventionsansatz, der bestmögliche medizinische und soziale Anstrengungen beinhaltet, die Gesundheit fördern (health promotion) und Krankheit und Unfälle sowie deren Folgen verhüten [Ottawa Charter for Health Promotion, WHO 1986] , Migranten aus anderen Kulturkreisen mit anderem Körper- und Gesundheitsverständnis vermittelt werden? Prävention kann nach einem Vorschlag der „Commission on Chronic Illness“ in eine primäre, sekundäre und tertiäre eingeteilt werden [Am J Public Health Nations Health. 1949 October; 39(10): 1343–1344] , je nachdem ob sie Anstrengungen zur Verhinderung der Krankheitsentstehung überhaupt, Maßnahmen zur Früherkennung und frühzeitigen Therapie von Krankheitsprädispositionen, oder Maßnahmen zur Verhinderung des Fortschreitens bereits vorhandener Krankheitssymptome beinhaltet. Anlässlich der 1. Wiener Arbeitstagung (9.-10.5.2004) zum Thema Transkulturelle Aspekte in der Pädiatrie wurden zum Thema Prävention bei Migrantenfamilien folgende konkrete Beispiele erarbeitet: Primäre Prävention im transkulturellen Kontext kann durch die Einbindung unterschiedlicher Migranten Communities in Aufklärungs- und Informationskampagnen (z. B. Impfungen) erreicht werden. Traditionell sind Migranten mit primären Präventionsmaßnahmen von ihren Heimatländern her vertraut und ihre aktive Einbindung in Kampagnen kann den ersten Schritt zu einer Interaktion mit dem Gesundheitssystem des Gastlandes bedeuten. Sekundäre Prävention im trans- Article 152: A high level of human health protection shall be ensured in the definition and implementation of all Community policies and activities. Article 153: The Community shall contribute to protecting health, safety and economic interests of consumers, as well as to promoting their right to information, education and to organize themselves in order to safeguard their interests. Abb. 1: Resolution der Europäischen Kommission, 18. November 1999, Quelle: http://eur-lex. europa.eu Die Gesundheit hat einen hohen Stellenwert für die Bürger der Europäischen Union. Diese erwarten zu Recht, dass sie vor möglichen Gesundheitsgefahren geschützt werden. Der Gemeinschaft kommt hierbei eine überaus wichtige Rolle zu, und sie ist verpflichtet, ihren Bürgern ein hohes Gesundheitsschutzniveau zu gewährleisten. Der Entwurf einer neuen Strategie ist erforderlich, weil neue Herausforderungen und Prioritäten im Bereich der Gesundheit entstanden sind, wie die Erweiterung, das Auftreten neuer Krankheiten, der Kostendruck im Gesundheitswesen und die verstärkten Verpflichtungen der Gemeinschaft infolge der Änderungen des EG-Vertrags (Artikel 3 und 152). Abb. 2: Die gesundheitspolitische Strategie der Europäischen Gemeinschaft: Sie ist das Ergebnis einer Debatte, die 1998 mit der Mitteilung der Kommission über die Entwicklung der Gemeinschaftspolitik im Bereich der öffentlichen Gesundheit begann. Sie trägt den Ergebnissen dieser Debatte sowie den Erfahrungen Rechnung, die mit den vorhergehenden Aktionsprogrammen und Maßnahmen gewonnen wurden. Quelle: http://europa.eu kulturellen Kontext kann durch die aktive Einbindung von Migranten in Selbsthilfegruppen erreicht werden. Damit wird die gesellschaftliche Anerkennung der Erkrankten selbst und zugleich die gesellschaftliche Integration der betroffenen Familien gefördert. Ein wichtiger Schritt in der transkulturellen tertiären Prävention ist der Einsatz von professionellen Dolmetschern zur Verminderung der sprachlichen Barrieren. In der derzeitigen Situation mit fehlenden oder unzureichenden Dolmetschstrukturen ist dieser Auftrag nicht erfüllbar (3, 5). Europäische Gesundheitspolitik Die europäische Gesundheitspolitik ist dazu herausgefordert, allen Menschen 40 Neuropädiatrie in Klinik und Praxis 7. Jg. (2008) Nr. 2 #5706_neuropa diatrie_02_08.indd 40 03.04.2008 13:30:32 Uhr Originalien/Übersichten trotz soziokultureller und ökonomischer Unterschiede Zugang zu einer bedarfsund qualitätsgerechten sowie kosteneffizienten Kranken-, Pflege- und Behindertenversorgung zu gewährleisten, unter Aufrechterhaltung der Finanzierungskapazität anderer gesellschaftspolitische Ziele wie Bildungs-, Sozial- und Arbeitsmarktpolitik [http://europa.eu]. Die aktuelle Wirtschafts- und Finanzlage, Faktoren wie Arbeitslosigkeit, rückläufiger Anteil der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten an der Gesamtbevölkerung, absehbare Finanzierungslücken in der gesetzlichen Krankenversicherung und Ineffizienzen im Gesundheitssystem bewirkten in Deutschland die neue Gesundheitsreform. In Österreich wird eine ähnlich umfassende Gesundheitsreform sukzessive mit der Einführung des österreichischen Strukturplanes ab dem 1.1.2008 eingeleitet. Die öffentlichen Diskussionen um diese Reformen zeigen jedoch noch wenig Willen, langfristige, über parteipolitischen Dissens hinausgehende Lösungen auch hinsichtlich der Versorgungsproblematik bei Migranten zu erarbeiten. Positionierung der medizinischen Fachgesellschaften Nachdem Migranten in manchen Regionen bis zu 40% oder mehr unseres Patientenaufkommens ausmachen (5), sind auch Fachgesellschaften gefragt, aus ihrer Sicht heraus, über politische Grenzen hinweg, Leitlinien für die notwendigen Schritte der verbesserten Versorgung dieser Bevölkerungsgruppe vorzugeben [http://www.docs4you. at/Content.Node/ News/Gesundheitsplan/gesundheitsplan_für_kinder und_ jugendliche1.php] . Im Leitbild der Österreichischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendheilkunde (ÖGKJ) sind transkulturelle Aspekte in den Kernaufgaben festgehalten (43, 44, 46). Individuelle Wachsamkeit und Zivilcourage werden allerdings notwendig sein, um systemische Lücken aufzuzeigen und auf Basis eines ethischen Selbstverständnisses zu bearbeiten (3, 8). II. Transkulturelle Herausforderungen Herausforderung Religion Häufig wird in Verbindung mit dem „Andersartigen“ die Religion als ein Hauptfaktor, der unser interkulturelles Verständnis beeinflusst und politischen und gesellschaftlichen Spannungen zugrunde liegt, assoziiert (29, 30). In ihrem faszinierenden Artikel „Leiden und Krankheitsverhalten im Spannungsfeld zwischen Religion und Ethik“ zeigen die Autoren Körtner, Aksu und Scheer aus christlicher, jüdischer und islamischer Sicht, dass das Bekenntnis zur Verfügungsmacht Gottes sehr unter- schiedlich sein kann, jeweils abhängig vom eigenen Bekenntnis und dem individuellen Standpunkt (47). Die Autoren leiten daraus ab, dass es in einer modernen, pluralistisch strukturierten Gesellschaft keiner Gruppe oder Institution zukommen kann, Wertfragen autoritativ zu entscheiden (47) und vertreten die anthroplogische These, dass sich die Frage nach der sinnhaften Bedeutung von Leiden, Krankheit und Tod weder dogmatisch religiös noch dogmatisch naturwissenschaftlich beantworten lässt. Die Medizin als naturwissenschaftlich gestützte Handlungswissenschaft soll dementsprechend nicht nur wissenschaftszentriert, sondern auch gesellschaftsorientiert ihre Handlungsinhalte und Ziele kommunizieren. Die Entwicklung und Aufrechterhaltung dieser Forderung ist eine wichtige Aufgabe der Medizinethik (11, 47). Ärztliche Praxis und medizinische Ethik müssen daher einerseits kultur- und religionssensibel, andererseits aber auch transkulturell reflexiv sein (47). Ohne zum Beispiel die religiösen Überzeugungen der Eltern zu missachten, bleibt in einer säkularen Gesellschaft und im wertanschaulich neutralen Staat das Wohl des Kindes der entscheidende Maßstab (11, 47). Das nachfolgende Beispiel (Abb. 3) zeigt, dass unterschiedliche Meinungen und Streitangelegenheiten vom Gesetzgeber auf Basis desselben Grundgesetzes auch unterschiedlich interpretiert und in der Rechtssprechung gehandhabt werden können. Herausforderung Kultur Der Begriff Kultur ist nicht eine technische Fähigkeit, die einfach erlernbar ist. [DelVecchio Good 1995] Im Gegensatz zum anthropologischen Kulturbegriff mit seinen umfassenden Hintergründen und Implikationen, wird in der täglichen klinischen Tätigkeit Kultur unpräzis verallgemeinernd für Sprache, Ethnizität oder Nationalität verwendet. Die weitverbreitete Gleichstellung von Gesellschaft und kultureller Identität führt zu gefährlichen Stereotypien und Vereinfachungen, die der Frage, wie und warum ein Individuum in einer Situation der gesundheitlichen Beeinträchtigung reagiert, nicht gerecht werden können, und damit aber auch den dringend notwendigen Lösungsansatz im individuellen Fall blockieren (36, 37, 39). Mehr noch, kulturspezifische Vorurteile können dazu führen, dass wesentliche andere Faktoren, wie die soziale oder psychische Situation der Kinder und ihrer Eltern und die Überforderung mit Therapiekonzepten, in den Hintergrund gedrängt werden (35). Aus medizinanthropologischer Sicht ist Kultur als dynamisch zu sehen und in ständiger Entwicklung (39), beeinflusst von indivi- In unterschiedlichen Gesellschaften finden wir unterschiedliche Verhaltensnormen und die Frage nach dem Besten Interesse des Kindes kann schon in ein und demselben Kulturkreis mit unterschiedlicher föderaler Rechtsprechung zu kontroversen Resultaten führen: In British Columbia gab es in den letzten Jahren zwei Fälle von krebskranken Kindern aus dem Glaubensbekenntnis der Jehovas Zeugen, in der die Eltern und das Kind (im ersten Fall war das Kind 4 Jahre, im zweiten Fall 16 Jahre) die notwendige Therapiemaßnahme mit einer Blutkonserve aufgrund ihrer religiösen Überzeugung ablehnten. Während im ersten Fall, die Vormundschaft über die Therapiezeit den Eltern gerichtlich abgenommen und damit die Therapie ermöglicht wurde, sind im zweiten Fall nach der Rechtssprechung die Eltern mit dem Kind in die benachbarte Provinz Saskachewan, geflohen. Die gerichtliche Entscheidung, Aberkennung der Vormundschaft, von British Columbia wurde initial anerkannt, allerdings dem Einspruch der Eltern und des Jugendlichen stattgegeben und nach einer umfassenden Anhörung akzeptierte das dortige Gericht ihre Argumentation mit der zu erwartenden Konsequenz, dass der Jugendliche starb. [Faye, North Pacific Pediatric Society Conference 2007] Dieses Beispiel kann sicher unterschiedlich diskutiert werden, aber es zeigt uns dass es keine einheitlichen und „klaren Lösungen“ trotz desselben Grundgesetzes gibt. Wenn Gesetze bei einer so klaren Frage schon so unterschiedlich interpretiert und umgesetzt werden können, wie groß können Interpretationen bezüglich der Unterschiedlichkeit von ein und derselben Kultur sein. Abb. 3: Beispiel: Bluttransfusion bei Jehovas Zeugen in British Columbia duellen psychologischen und biologischen Faktoren (wie psychologisches und soziales Wohlbefinden, Krankheit, Krankheitsverständnis, Alter, ...) sowie von ökonomischen und politischen Entwicklungen. Die kulturelle Dynamik und Entwicklung kann zwischen Einwanderern aus ein und derselben Region, je nach den erlebten Erfahrungen und dem Umfeld, trotz ähnlicher Ausgangssituation vollkommen unterschiedlich sein (9). Herausforderung Kommunikation Andere zu verstehen und selbst verstanden werden, erfordert neben Zeit und Empathie für das Anliegen seines Gegenübers sprachliche und kulturelle Kompe- Neuropädiatrie in Klinik und Praxis 7. Jg. (2008) Nr. 2 41 #5706_neuropa diatrie_02_08.indd 41 03.04.2008 13:30:32 Uhr Originalien/Übersichten tenzen. In unseren bisherigen Fallanalysen (5, 9) haben wir aus dem Blickwinkel des Klinikers 3 Hauptebenen der Verständnisbarrieren entdeckt: 1. Sprachliche Barrieren bedingt durch fehlende Sprachkenntnisse, 2. Informationsbarrieren und Verständnisbarrieren durch unterschiedliche Krankheits- und Gesundheitskonzepte von Migranten und Sprachbarrieren 3. kulturelle Barrieren, die auf unterschiedlichen Religionen und ethischen Wertvorstellungen basieren. Sind Ressourcen bildungsbedingter Verständigung eingeschränkt, bleibt Menschen der Zugriff auf wichtige Informationen zur Gestaltung ihrer sozialen, rechtlichen und gesundheitlichen Bedürfnisse weitgehend versagt. Dies gilt insbesondere für Migranten und Flüchtlinge, die der Landessprache und Kultur des Gastlandes nicht mächtig sind, und fördert die Segregation in Ghettos, die eine Scheinsicherheit anbieten (39). III. Lösungsansätze Empfehlungen der Fachgesellschaften (ÖGKJ und DGSKJ, Deutsche Gesellschaft für Sozialpädiatrie und Jugendmedizin) Empfehlungen für individuelle Dienstleister Empfehlungen für das Gesundheitssystem „Neben einer Offenheit für den Patienten und seine Familie geht es hauptsächlich darum, die eigenen Kommunikationsfähigkeiten zu verbessern: Wissen verständlich machen heißt, komplizierte Sprache vermeiden und auf eine dem Bildungsstand des Laien angepasste Verständlichkeit achten.“ „Einhaltung des Gleichheitsgrundsatzes: Erstellung von Standards in der Betreuung von MigrantInnen im Rahmen von Qualitätsmanagementkonzepten.“ „Es sollten möglichst professionelle Dolmetscher hinzugezogen werden, die nicht nur die Sprache, sondern auch die Standards, Regeln und Ethik des Dolmetschens beherrschen. Es sollten keine Verwandten oder Nachbarn, auf keinen Fall Kinder, als Dolmetscher eingesetzt werden. Auch das Beiziehen von, z. B. die selbe Muttersprache sprechenden Ärzten lediglich zu Dolmetscherzwecken ist kritisch zu betrachten. Auch sie haben keine Ausbildung im Dolmetschen und fühlen sich häufig in dieser Funktion überfordert.“ Informationsbarrieren „Der Einsatz von fremdsprachigem Informationsmaterial, das nach denselben Qualitätskriterien wie deutschsprachiges Informationsmaterial ausgewählt werden sollte (Empfehlungen von Fachgesellschaften im Sinne einer Qualitätskontrolle wären hilfreich), ist zu fordern.“ „Gezielte Fürsorge für sozial Schwache: Einsatz von mehrsprachigen Sozialarbeitern als soziale Lotsen, die gerade bei komplexen Erkrankungen ihre Klienten begleiten und die Compliance steigern helfen.“ „Schulung: Aufnahme des Themas Migrantengesundheit in Fort- und Ausbildungscurricula für Pflege-, ärztliches und therapeutisches Personal.“ Kulturbarrieren „In komplexen Fällen, die eine hohe Compliance erfordern, sollte die gesamte Familie einbezogen werden. Wahrnehmung der sozialen Rolle der einzelnen Familienmitglieder (Vater, Mutter, Familienoberhaupt, Familie des Vaters und der Mutter) und dementsprechende aktive Einbindung sind wichtig.“ „Die transkulturelle Kompetenz in der Kinderund Jugendmedizin muss durch Wahrnehmung des Themas und Fortbildung gestärkt werden. Die Grenzen der transkulturellen Offenheit sind allerdings dort gegeben, wo bildungsbedingtes Unwissen, kulturell geprägte Einstellungen und Verhaltensweisen für das einzelne Kind schädlich werden.“ „Koordination: landes- bzw. bundesweite Koordination, damit die Maßnahmen effizient umgesetzt bzw. auch evaluiert werden können. Auf der anderen Seite sollten Mitgliedern von Migrantengruppen nicht nur Rechte eingeräumt werden, sondern nach den Gesetzmäßigkeiten unseres Systems sind sie auch an ihre Pflichten zu erinnern. Dies kann allerdings erst durch ihre aktive Einbindung in unser Gesellschaftssystem geschehen, z. B. durch Förderung mittels einer Migrantenquote in Sozialberufen und Akademien für den gehobenen medizinischen Dienst (Therapeuten für Logopädie, Ergotherapie usw.).“ „Verpflichtung, im Gesundheitssystem zu partizipieren, z. B. Einbindung in Ethikkommissionen. Darüber hinaus ist ein bildungspolitisches Konzept für Kinder aus sozial schwachen Migrantenfamilien zu fordern. Dazu zählt u. a. die intensive Förderung der Mutter- und der Zweitsprache bei Migrantenkindern und deren Eltern.“ Abb. 4: Empfehlungen der ÖGKJ und DGSPJ 42 Neuropädiatrie in Klinik und Praxis 7. Jg. (2008) Nr. 2 #5706_neuropa diatrie_02_08.indd 42 03.04.2008 13:30:33 Uhr Fr alle Anfallsarten schon ab 2 Jahren 1 niedrig dosierte Monotherapie 1 1 Fachinformation TOPAMAX® TOPAMAX® 25 mg/50 mg/100 mg/200 mg Filmtabletten, 25 mg/50 mg Kapseln. Wirkstoff: Topiramat. Zusammensetz.: 1 Filmtbl. TOPAMAX 25 mg/50 mg/100 mg/200 mg enth.: 25 mg/50 mg/100 mg/200 mg Topiramat. 1 Kapsel TOPAMAX 25 mg/50 mg enth.: 25 mg/50 mg Topiramat. Sonst. Bestandt.: Filmtbl.: Lactose-Monohydrat, Vorverkleist. Stärke (Maisstärke), Mikrokrist. Cellulose, Carboxymethylstärke-Natrium (Typ A) (Ph. Eur.), Magnesiumstearat (Ph. Eur.), Carnaubawachs, Farbstoffzuber. (enth.: Hypromellose, Macrogol 400 u. Polysorbat 80 sowie farbabh. E171 u. E172 (25 mg Filmtbl. nur E171)). Kapseln: Gelatine, Sucrose, Maisstärke, Povidon, Celluloseacetat, Hochdisperses Siliciumdioxid, Natriumdodecylsulfat, E171, Farbstoffzuber. (enth.: E172, Ger. Wasser, Schellack, SDA 3A Alkohol, Butan-1-ol, Hypromellose, Propylenglycol, Ammoniumhydroxid, Simeticon). Anw.geb.: Monotherapie b. Erw. u. Kdrn. ab 2 Jahren m. neu diagn. Epilepsie od. zur Umstellung auf Monotherapie. Zusatztherapie b. Erw. u. Kdrn. ab 2 Jahren m. fokalen epilept. Anfällen mit od. ohne sek. Generalisier., primär general. ton.-klon. Anfällen u. epilept. Anfällen b. Lennox-Gastaut-Syndr.. Gegenanz.: Überempfindl. gg. Wirkstoff od. sonst. Bestandt.; Kdr. unter 2 Jahren; akute Myopie und sekundäres Engwinkelglaukom; Stillzeit. Vorsicht bei: Bhdlgs.ende: schrittweise Ausschleichen, b. schnellem Absetzen Überwach. empf.. Eingeschr. Nierenfunkt. (Kreatinin-Clearance < 60 ml/min); Nephrolithiasis und diesbezügl. Prädisposition; eingeschr. Leberfunkt.; Gewichtsverlust. Metabol. Azidose: Pat. währ. d. Therapie hinsichtl. metabol. Azidose unters.; abh. v. d. klin. Situat. kann diese Unters. d. Bestimm. v. Bicarbonat i. Serum, Verlaufskontr. d. Serumchloridwertes od. Blutgasanalysen beinhalten. Wenn sich e. metabol. Azidose entwickelt od. fortbesteht, Verring. d. Dosis od. d. Beendigung d. Bhdlg. in Betr. ziehen (Dosis ausschleichen). Stimmungsschwank./Depression: Erhöh. Inzidenz v. Stimmungsschwank. u. Depression beob.. Hinw.: Filmtabl.: Enth. Lactose. Kaps.: Ent. Sucrose. Pat. mit d. selt. hereditären Galactose-Intoleranz, Lactase-Mangel od. Glucose-Galactose-Malabsorption, heredit. Fructose-Intoleranz, Saccharase-IsomaltaseMangel sollten TOPAMAX nicht einnehmen. Gleichz. Gabe m. Lithium, Hydrochlorothiazid, Metformin, Glibenclamid, Pioglitazon. Schwangerschaft: Nur anw., wenn keine Therapiealternativen z. Verfüg. u. mögl. Nutzen f. d. Mutter d. mögl. Risiko f. d. ungeb. Kind überwiegt. Nebenwirk.: Klin. Studien: Sehr häufig: Müdigk./Fatigue, Schwindel, Ataxie, Sprach-/Sprechstörg., Parästhesie, Nystagm., Benommenh./Somnolenz, Nervosität, psychomot. Verlangsam., Gedächtnisstörg., Verwirrtheit, Appetitlosigk./ Anorexie, Ängstlichk., Konzentrat.-/Aufmerksamk.störg., Depress., Übelk., Gewichtsverl., Kopfschm., Doppelbilder u. and. Sehstörg.. Häufig: Psychose, psychot. Sympt. u. aggr. Verhalt., Geschmacksveränd., Erregung/Agitation, kogn. Probl., Stimmungsschwank., emot. Labilität, Koordinat.störg., Gangstörg., Apathie, abd. Beschw., Asthenie, Stimmungsprobl., Leukopenie, Nephrolithiasis, Tremor. Gelegentlich: Suizidgedanken u. -versuche. Sehr selten: Suizide, thromboembol. Ereign. (Einzelfälle), Kausalzus.hang mit Topiramat konnte nicht hergest. werden. Hypospadie b. Neugebor. nach Anw. währ. Schwangersch., kausal. Zus.hang bisher nicht gesichert; Hypokaliämie. Erfahr. n. Markteinführ.: Selten: Appetitlosigk./Anorexie, Depress., Erreg./Agitat., Benommenh./Somnolenz, Parästhesie, Konvulsion, Kopfschm., Sehstörg., verschwomm. Sehen, Übelk., Alopezie, Nephrolithiasis, Müdigk./Fatigue, Oligohidrosis (meist b. Kindern), Gewichtsabn.. Sehr selten: Leukopenie u. Neutropenie, Thrombozytopenie, metabol. Azidose, vermind., Appetit, Hyperammonämie, Schlaflosigk., Verwirrtheitszust., psychot. Störg., Aggress., Halluzin., Suizidgedank., Suizidvers. sow. Suizid, sprachl. Ausdrucksstörg., Sprachstörg., Störg. d. Geschmacksempf., Amnesie, Gedächtn.störg., Konvulsion (b. Abdosierung), Myopie, Engwinkelglauk., Augenschm., transiente Blindheit, Durchfall, Bauchschm., Erbr., akute Pankreatitis, Hautausschl., renale tubuläre Azidose, Pyrexie, anomales Gefühl, Asthenie. Außerd.: Berichte üb. erhöh. Leberfunktionswerte; Einzelf. v.: Hepatitis u. Leberversagen b. Pat., die m. einer Vielzahl v. Arzneim. behandelt wurden, bullöse Haut- u. Schleimhautreakt. (einschl. Erythema multiforme, Pemphigus, Stevens-Johnson-Syndrom u. toxische epidermale Nekrolyse), wobei Mehrzahl d. Fälle b. Pat. auftr., d. weit. Arzneim. einnahmen, d. auch m. bullösen Haut- u. Schleimhautreakt. in Zus.hang stehen, akute Myopie u. sekundäres Engwinkelglaukom (kann begleitet sein v. supraziliärem Ödem mit Vorverlagerung v. Linse u. Iris). Kdr. ab 2 Jahren: Über die o.g. NW hinaus wurden zusätzl. folg. NW beob.: Hyperkinesien, Halluz., Verhaltensauffälligk., verstärkt. Speichelfluss. Stand d. Inform.: 02/2007. Verschreibungspflichtig. JANSSEN-CILAG GmbH, 41457 Neuss. #5706_neuropa diatrie_02_08.indd 43 03.04.2008 13:30:36 Uhr Originalien/Übersichten Die Effektivität und Effizienz einer Information hängt bei Vorhandensein von unterschiedlichen Wertvorstellungen davon ab, ob und wie eine gemeinsame Sprache und ein gemeinsamer Nenner gefunden werden. Dem Gesetz nach obliegt die Aufklärungspflicht dem behandelnden Arzt [§1299, Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch, ABGB] und es obliegt dem Arzt, sicherzustellen, dass die im Rahmen der medizinischen Aufklärung enthaltene Information vom Patienten verstanden wurde. Trotz dieser eindeutigen Gesetzeslage wird allerdings der Bedarf an professionellen Dolmetschern nicht realisiert (2, 5). Stattdessen sind spontane Notlösungen (Übersetzung durch Reinigungsdienste, sonstiges Krankenhauspersonal, Familienangehörige die der Sprache besser kundig sind) zum selbstverständlichen Status quo geworden (3, 8). Wie Krankenhausverwaltungen und Gesundheitsversorger für die Vorhaltung professioneller Dolmetschdienste zu verpflichten sind, wird wahrscheinlich erst anlässlich von Musterprozessen geklärt werden. Wie können wir dem gesellschaftspolitischen Auftrag „alle Kinder gleich zu behandeln“ nachkommen? Neben dem fakultativen individuellen Beitrag jedes einzelnen Arztes muss es einen medizinischen Mindeststandard in den Krankenhäusern mit öffentlichem Versorgungsauftrag geben. Die ÖGKJ und DGSPJ haben 2004 anlässlich der Publikation des Themenheftes „Transkulturelle Pädiatrie“ (8, 9) einen umfassenden Standard gesetzt, der den einzelnen angeführten Verständnissbarrieren zugeordnet ist (43, 44, 46) (Abb. 4). Lösungsmodell Ethik Der gemeinsame Nenner für alle transkulturellen Lösungsmodelle ist der in der Kinder- und Jugendmedizin allgemein gültige ethische Grundsatz des Handelns und Entscheidens „im besten Interesse des Kindes“. Viele Probleme von Migrantenkindern und ihren Familien lassen sich zwar nur im gesamtgesellschaftlichen Rahmen lösen, aber die Kinder- und Jugendmedizin kann hierzu einen wichtigen Beitrag liefern (9): Die Basis für das Verständnis und die Bewahrung der Interessen der Kinder ist das fundamentale Recht aller Menschen auf Freiheit, Gleichheit in Würde und Rechten (Art. 1 der Allgemeinen Menschenrechtsdeklaration), das in den 54 Artikeln der UNODeklaration von 1989 festgehalten ist (32). Die UNO-Deklaration beinhaltet das selbstverständliche Recht jedes Kindes auf Leben und Identität, optimale Betreuung im Allgemeinen und im Besonderen, bei Bedarf medizinische Hilfe sowie Priorität in der Wahrnehmung seiner Interessen unabhängig von Herkunft und Gesundheitszustand. Von der abstrakt-theoretischen Ebene auf eine alltagstaugliche medizinische Ebene übertragen, ist „im besten Interesse des Kindes“ nicht mehr alleine auf das Kind fokussiert, sondern auf das Kind innerhalb seines sozialen Umfeldes, also kind- und familienzentriert zugleich. Familienzentrierte Medizin ist ein neuer Begriff, der unser Gesundheitssystem Maßiv herausfordert. Warum zum Beispiel wird die ältere Schwester ihres chronisch erkrankten Bruders, dem der Hauptfokus der Eltern gilt, keine therapeutische Unterstützung bekommen, solange sie nicht selber krank wird und erst mit eingetretener Erkrankung den Anspruch erwirbt, auf tertiärer Präventionsebene versorgt zu werden? Es werden in unseren Gesundheitssystemen noch grundlegende Reformen benötigt, um diese und ähnliche familienzentrierte Zielvorgaben in die Realität umzusetzen (14). Leitlinien helfen im Alltag, sich den besseren Interessen von Kindern und Jugendlichen zu nähern, ohne dass z. B. politische oder religionsbedingte Unterschiede Überhand nehmen (47). Eine Analyse der eigenen Handlungsweise kann hier grundsätzliche Versaumnisse erfassen helfen (siehe Abb. 5: Fragen zur Selbstreflexion). Lösungsmodell Medizinanthropologie Da wir uns in der Praxis des konkreten Falles nie vollkommen sicher sein können, was in einer individuellen Situation das beste Interesse des Kindes darstellt, möchte ich hier drei prinzipielle auf medizinanthropologischem Verständnis basierende Ansätze präsentieren, die uns einen Zugang zu unserem Gegenüber und einen Einblick in dessen Verstehen ermöglichen. Erst dieser Einblick und das gegenseitige Verstehen ermöglichen, eine gemeinsame Entscheidung zu finden. Kommunikationskultur: Der medizinische Alltag ist generell durch Zeitmangel der Dienstleister gekennzeichnet (20). Dieser Zeitmangel prägt unsere Gesprächskultur und unser Verständnis: Aufbauend auf den Hauptsymptomen des Patienten versuchen wir möglichst schnell ein Bild der Krankheit zu erstellen und die ungenauen Angaben des Patienten durch genauere Beschreibungen unsererseits zu präzisieren. Diese „Präzisierungen“ unterbrechen allerdings den Ablauf der Erzählung des Patienten sowie die Wechselwirkung des Gespräches und enden in einem vom Arzt strukturierten, zielorientierten Gespräch (20). Der Patient braucht generell etwas länger, um seine Problematik zu schildern und seine Perzeption des stattfindenden Gespräches zu reflektieren. Diese Länge kann allerdings auch Sprachlosigkeit und fehlende Orientierung des Patienten reflektieren, seine Ängste und Vorurteile. Immer aber beinhaltet diese Länge eine Aussage, die mit dem Wesen Stufe 1 – In der Versorgung im Rahmen der Primärpädiatrie • Einhaltung des Gleichheitsgrundsatzes: Werden die Grundrechte der Kinder wahrgenommen? Streben wir immer einen “informed consent” bzw. “informed assent” an? • Wie kommunizieren wir: Kompliziert oder verständlich? Wie informieren wir: Allgemein oder spezifisch? • Brauchen wir zur Kommunikation oder Information einen Helfer (Dolmetscher)? Ist dieser Helfer qualifiziert? • Kommen unsere Informationen an? Brauchen wir eine Unterstützung, um das “beste Interesse des Kindes” wahrnehmen zu können, z. B. Familienführung, Behandlungsvertrag, Sozialamt? Stufe 2 – In der Versorgung im Rahmen der Sekundär- und Tertiärpädiatrie • Einhaltung des Gleichheitsgrundsatzes: Gibt es einen Standard zur Versorgung von sozialschwachen Klienten in Krankenhäusern mit öffentlich-rechtlichem Auftrag? • Wie ist die Compliance? Welche Maßnahmen sind für eine Umsetzung der Therapie notwendig? • Haben wir genügend Schulung zu den Themen Sozialschwache Klienten, Kommunikation, etc.? PS: Wo ist die Grenze zwischen Liberalität und laissez faire? Abb. 5: Fragen zur Selbstreflexion, um das „beste Interesse des Kindes“ wahrzunehmen. [Aus Herausforderung Migration: Der Alltag in der Pädiatrie. O. S. Ipsiroglu & R. Kurz. Monatsschrift Kinderheilkd. 2005. 153:6-7, mit freundlicher Genehmigung des Springer-Verlages] 44 Neuropädiatrie in Klinik und Praxis 7. Jg. (2008) Nr. 2 #5706_neuropa diatrie_02_08.indd 44 03.04.2008 13:30:36 Uhr Originalien/Übersichten des Patienten und seinem Verständnis in Verbindung steht. Die oft einseitige Form der Kommunikation, basierend auf den Gedanken „ich weiß, was gut ist – der Patient soll mich nur anhören und mir folgen“ funktioniert in unserer Informationsgesellschaft nur mehr bedingt, da der Patient zeitversetzt bis zeitgleich bewusst Informationen einholt oder „unbewusst“ mit Informationen konfrontiert wird, die ihm eine neue Perzeption seiner Situation ermöglichen. Zahlreiche medizinanthropologische Studien und allgemein beobachtbare Trends wie „doctor shopping“ oder die zunehmende Inanspruchnahme von alternativen Heilmethoden (die üblicherweise von „Zuhöreren“ ausgeübt wird) belegen diese Hypothese (20, 22, 25). Transkulturelle Reflexion: Um unter dem Stichwort „transkulturell reflexiv“ nicht umgehend in die Falle der Vorurteile zu tappen (siehe weiter unten), geht es darum ein exploratives Denkmodell zu entwickeln und damit umgehen zu lernen (37, 39). Der Psychiater und Medizinanthropologe Arthur Kleinman unterscheidet strikt zwischen kultureller Kompetenz und Ethnographie (37, 38, 39). Kulturelle Kompetenz kann relativ rasch in eine Art von Abhakliste entarten und ist durch die in ihrem Wesen liegende Kategorisierung ungenau: Migranten, wie der Autor dieser Arbeit werden entweder aufgrund ihres Namens oder Herkunftlandes als Türke [= Ausländer] oder ihrer Aussprache als Österreicher [= Inländer] kategorisiert, was nicht dem Selbstbild des Autors als türkischer Österreicher und der damit verbundenen Denkart und Handlungsweise, inklusive dieser Arbeit, entspricht. Die Exploration nach Kleinman würde mit dem Versuch beginnen, die ethnische Identität und das zugrundeliegende Anliegen des Patienten zu verstehen. Kleinman schlägt interessierten Klinikern das Benutzen eines exploratorischen Modells nach der Methode der Ethnographie vor. Die Beobachtung und deskriptive Beschreibung eines Volkes im Rahmen einer (üblicherweise Feld-) Studie wird von Anthropologen Ethnographie genannt. Das besondere an der Ethnographie ist der Versuch, die „lokale Welt“ seines Gegenübers, das tägliche Leben, die ethischen Werte und die Religion vorurteilsfrei und empathisch zu verstehen. Dies können wir durch Zuhören, Nachfragen, Beobachten und Sich-Zeit-nehmen erreichen. In den medizinischen Alltag übersetzt heißt dies, zu explorieren sind: 1. Die ethnische Identität, 2. das Anliegen, 3. das subjektive Empfinden und die subjektive Krankheitsgeschichte [= narrative], 4. psychosoziale Faktoren und 5. der mögliche Einfluss der gelebten [subjektiven] Kultur auf die Krankheit und klinische Beziehungen. Eindrücklich warnt Kleinman in seinen Artikeln und Büchern vor der Vorurteilsfalle, die vom Ansatz der kulturellen Kompetenz ausgeht. In seiner grundsätzlichen Arbeit von 1988 beschreibt Kleinman das exploratorive Modell als Einstieg in ein Gespräch, um das Denkmodell seines Gegenübers zu verstehen und warnt von den eigenen Vorurteilen, die das Zuhören verhindern (37). IV. Ausblick: Neue Diskussionsebene Das Ziel des medizinischen Gespräches ist eine gemeinsame Einigung über die zu setzenden medizinischen Schritte für das Erhalten oder Erlangen der Gesundheit. Wie im Beispiel „Blutransfusion bei Jehovas Zeugen in British Columbia“ angeführt, kann es unterschiedliche Meinungen zum besten Interesse des Kindes geben: Eltern, das Kind selbst, sowie das medizinische Personal, sie alle können unterschiedliche Ansichten vertreten. In diesem Falle sollten diese Ansichten in einem definierten Rahmen (z. B. innerhalb der klinischen Ethikkommission) zusammen mit den Angehörigen diskutiert werden, um dem Inhalt seine trennende Schärfe zu nehmen und eine konsensuelle Einigung zu erreichen. [Albershein: Matters of Life and Death in the Neonatal Intensive Care Unit: Who should decide for the not yet competent?1 Gerichtlich erzwungene Entscheidungen haben die paternalistischen Konzepte in der Schulmedizin aufbrechen lassen und neue Sichtweisen zugelassen. „In den letzten Jahrzehnten haben wir Ärzte völlig zu Recht gelernt, die Autonomie unserer Patienten zu akzeptieren und unseren scheinbaren Allmachtsanspruch aufzugeben.“ (43, 44, 46) Auf dieses reflektive Selbstverständnis aufbauend kann in vielen Fällen eine gemeinsam gesellschaftlich getragene Lösung erarbeitet werden. Gemeinsam gesellschaftlich getragene Lösung bedeutet, von der Gesellschaft des Gastgeberlandes sowie der Gesellschaft (Community) der MigrantInnen innerhalb der vorherrschenden Gesetzlage respektiert und akzeptiert zu sein. Solche Konsenslösungen sind in grundlegenden Themen einzufordern, denn nur dadurch kann der durch Verbote bewirkten Illegalität entgegengewirkt werden (20). So hat die Verurteilung der Genitalverstümmelung durch geistliche Würdenträger aller Religionen (41) sicher mehr Erfolg und Diskussionsbasis für Gegner sowie Argumentationsnotstand für Fürsprecher geschaffen, als Aktionismus durch „Null- Toleranz“. Diese Vorgangsweisen verhindern Gesichtsverluste, die üblicherweise eine Radikalisierung der Diskussion zu Ungunsten der Zielsetzung Bewahrung und Förderung der Gesundheit im „besten Interesse des Kindes“ bewirken. Literatur 1. Münz R (2005) Wanderungskontinent Europa: Ausmaß und Formen europäischer Migration zwischen 1750 und heute. Monatsschr Kinderheilkd 153 (1): 16-21 2. Wodak R, Lalouschek J (1997) Ärztliche Sprachlosigkeit in der Arzt-Patienten-Kommunikation. Diskursanalytische Studien. Wien Klin Wochenschr 109(19): 781-91 3. Gesundheitsrisiko Migration (2001) Gesundheitsrisiko Migration oder: Die Fiktion eines gerechten Gesundheitssystems. Wien Klin Wochenschr Editorial 113: 475–476 4. 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NO TOLERANCE FOR OS Ipsiroglu MD, MBA Clinical Associate Professor Sunny Hill Health Center for Children/ BC Children’s Hospital University of British Columbia 3644 Slocan Street, Vancouver BC V5M 3E8, Canada [email protected] Wenn Sie an einem regelmäßigen Bezug der Zeitschrift Neuropädiatrie in Klinik und Praxis interessiert sind, dann bedienen Sie sich der diesem Heft beiliegenden Bestellkarte oder rufen uns einfach an. Abo-Service: Telefon 04 51/70 31-2 67, Fax 04 51/70 31-2 81 46 Neuropädiatrie in Klinik und Praxis 7. Jg. (2008) Nr. 2 #5706_neuropa diatrie_02_08.indd 46 03.04.2008 13:30:37 Uhr Originalien/Übersichten Zonisamid im Kindesalter – Literaturübersicht und eigene Langzeiterfahrungen A. MÜLLER, H. HOLTHAUSEN, G. KLUGER Klinik für Neuropädiatrie und Neurologische Rehabilitation, Epilepsiezentrum für Kinder und Jugendliche, BHZ Vogtareuth Zusammenfassung Die Erfahrungen in Deutschland mit Zonisamid bei Epilepsie-Patienten im Kindesalter sind bislang limitiert, da das Antikonvulsivum für diese Patienten in Europa derzeit nicht zugelassen ist. Aufgrund der umfangreichen, vorwiegend in Japan und danach auch in den USA durchgeführten Studien sowie der dortigen zulassungsbedingt praktischen Erfahrung mit Zonisamid gibt es Hinweise, die für eine hohe Wirksamkeit sowie eine gute Verträglichkeit von Zonisamid auch bei Patienten im Kindes- und Jugendalter sprechen. Vor Markteinführung von Zonisamid in Deutschland zur Zusatztherapie bei Erwachsenen mit fokalen Anfällen behandelten wir 24 Patienten (Alter: 2-40 Jahre, Mittel: 12,5 Jahre) mit sehr therapierefraktären Epilepsien (75% fokal, 12,5% generalisiert, 12,5% refraktärer Status epilepticus unklarer Ätiologie) in Add-onTherapie und verfolgten den Verlauf über mindestens 24 Monate. Die Erhaltungsdosis lag zwischen 4 und 16 mg/kg (Mittel: 7,7 mg/kg). Die initiale Responderrate, definiert als mindestens 50%ige Anfallsreduktion nach 8 Wochen betrug 58,3% (14 von 24 Patienten). 4 der 14 initialen Responder zeigten im weiteren Behandlungsverlauf einen Wirkverlust. Die Retentionsrate nach 24 Monaten lag bei 41,7% (10 von 24 Patienten), ein Patient (4,2%) wurde komplett und anhaltend anfallsfrei. Nebenwirkungen wurden bei 46% der Patienten beobachtet und waren leicht oder mäßig schwer. Sie traten überwiegend in der Aufdosierungsphase auf und bildeten sich meist in der Erhaltungsphase zurück. Bei 2 Patienten (8,3%) wurde die Zonisamid-Therapie wegen Nebenwirkungen (Appetitverlust) beendet. Unsere Langzeit-Erfahrungen zeigen ähnlich wie Studien aus Japan, dass Zonisamid in der Add-on-Therapie von Patienten mit therapierefraktären kindlichen Epilepsien einschließlich geistig behinderter Patienten mit schweren Mehrfachbehinderungen eine Behandlungsoption mit guter Wirksamkeit und Verträglichkeit darstellt. Schlüsselwörter Zonisamid, therapierefraktäre Epilepsie, Kinder, Langzeittherapie Clinical experience for the use of zonisamide in childhoodonset epilepsy Abstract Clinical experience for the use of zonisamide in childhood-onset epilepsy is limited so far in Germany because the drug is not approved for children in Europe. Several clinical trials performed in Japan and in the USA as well as the extensive clinical experience in these countries demonstrated efficacy and safety of zonisamide in the treatment of childhood-onset epilepsy. Before marketing authorization of zonisamide for the add-on Therapy of adult patients with partial-onset seizures in Germany, we initiated an open label study. Included were 24 patients (range 2-40, mean age 12.5 years) which had a refractory childhood-onset epilepsy (75% focal, 12.5% generalized, 12.5% refractory status epilepticus). All patients were followed for at least 24 months after beginning of add-on zonisamide treatment. Mean maintenance dosage was 7,7 mg/ kg/day (range 4-16 mg/kg/day). The initial response rate defined as a reduction of at least 50% of seizure frequency after 8 weeks was 58.3% (14 of 24 patients). Four of 14 initial responders experienced loss of efficacy during long-term treatment. The retention rate after 24 months was 41.7% (10 of 24 patients). One patient (4.2%) became and remained completely seizure-free. Side effects were observed in 46% of patients and were mild to moderate. They mostly occurred during titration and subsided in maintenance dosing. In two patients (8.3%) zonisamide therapy was discontinued due to side effects (loss of appetite). Our results in a long-term use of zonisamide are similar to the findings of Japanese studies suggesting that use of adjunctive zonisamide therapy may be beneficial for treating patients with highly refractory childhood-onset epilepsy, including mentally retarded, multiple handicapped patients. Key words Refractory epilepsy, zonisamide, children, long-term use Bibliography Neuropaediatrie 2008; 7: 47–51, © Schmidt-Roemhild-Verlag, Luebeck, Germany: ISSN 1619-3873; NLM ID 101166293; OCoLc 53801270 Einleitung Zonisamid ist in Europa als Zusatztherapie bei erwachsenen Patienten mit fokalen Anfällen mit oder ohne sekundäre Generalisierung zugelassen. Eine Zulassung für die Behandlung von Kindern besteht in Deutschland nicht. Aus Japan liegen umfangreiche Erfahrungen zum Einsatz von Zonisamid vor, denen zufolge sich das Antikonvulsivum bei allen Altersgruppen einschließlich Kindern und Jugendlichen sowie bei einem breiten Spektrum von Anfallstypen bewährt hat (reviewed in Ohtahara S, Zonisamide in the management of epilepsy – Japanese experience, Epilepsy Res 68S, S25-S33). Entsprechend steht Zonisamid in Japan gemäß der Zulassung für Neuropädiatrie in Klinik und Praxis 7. Jg. (2008) Nr. 2 47 #5706_neuropa diatrie_02_08.indd 47 03.04.2008 13:30:37 Uhr Originalien/Übersichten Der Einsatz von Zonisamid bei pädiatrischen Patienten mit fokalen oder generalisierten Anfällen wurde in einer Vielzahl von internationalen, vorwiegend in Japan durchgeführten Studien untersucht. Eine Auswertung von 14 japanischen Studien, in denen 1.237 Kindern mit Zonisamid behandelt wurden, gibt ein deutliches Indiz für die Wirksamkeit von Zonisamid bei Patienten im Kindes- und Jugendalter (1). Glauser und Pellcock werteten je fünf Studien zur Monotherapie und fünf Studien zur Kombinationstherapie im Kindesalter aus (1). In den Monotherapie-Studien sprachen insgesamt 78% der Patienten mit fokalen Anfällen und 71% der Patienten mit generalisierten Anfällen auf Zonisamid an (Abb. 1). Eingeschlossen waren 258 Patienten im Alter von 0,2–18 Jahren (Mittel 8,2-9,4 Jahre). In den Studien zur Kombinationstherapie waren die Kinder (n = 191) zwischen 10 und 26 Jahre alt. Hier betrug die Responderrate bei Patienten mit fokalen Anfällen 34% und bei Patienten mit generalisierten Anfällen 15% (Abb. 2). In Übereinstimmung mit diesen Daten stehen die Ergebnisse dreier weiterer großer multizentrischer japanischer Studien, an denen über sieben Jahre neben 603 erwachsenen Epilepsie-Patienten auch 403 Kinder teilgenommen hatten (1). Die durchschnittliche Dosis von Zonisamid betrug bei den Kindern 8,2 mg/kg/Tag und die Plasmakonzentration lag durchschnittlich bei 20 µg/ml. Durch die Behandlung mit Zonisamid, das meist zusätzlich zu zwei bis drei anderen Antikonvulsiva eingesetzt wurde, zählten mehr als 50-60% aller Patienten mit fokalen Anfällen zu den Respondern. In einer Studie von Hosada et al. an 72 Patienten im Alter von drei Monaten bis 14 Jahren sprachen mehr als 80% der Patienten mit komplex fokalen oder sekundär generalisierten Anfällen auf eine Zonisamid-Monotherapie an. Bei 68% der Patienten mit fokalen Anfällen wurde eine komplette Anfallskontrolle erzielt (3). Diese überwiegend in Japan erhobenen Daten sprechen dafür, dass Zonisamid im Kindesalter sowohl bei Mono- als auch in Kombinationstherapie bei einem breiten Spektrum verschiedener Anfallsformen wirksam ist. Zahlreichen Berichten zufolge scheinen auch Kinder mit anderen Epilep- % Responder Hinweise für die Wirksamkeit von Zonisamid bei Kindern 100 80 78 71 60 40 20 0 fokale Anfälle generalisierte Anfälle Abb. 1: Gemeinsame Evaluation von 5 Monotherapie-Studien bei Kindern mit fokalen Epilepsien und Epilepsien mit initial generalisierten Anfällen sie- oder Anfallsformen auf eine Therapie mit Zonisamid anzusprechen. Dabei handelt es sich um Kinder mit myoklonischen Anfällen einschließlich Lennox-GastautSyndrom und infantilem/epileptischem Spasmus, atonischen Anfällen und benigner fokaler Epilepsie im Kindesalter (1-10). Dosierungsempfehlungen in Abhängigkeit vom Alter In zehn in Japan, unter Einschluss von Kindern und Jugendlichen durchgeführten Studien wurde Zonisamid initial in der Regel in einer Dosierung von 2 mg/kg/Tag eingesetzt (Tab. 1) (1). Anschließend wurde die Dosis im Abstand von ein bis vier Wochen um jeweils 2 mg/kg/Tag auf maximal 10-12 mg/kg/Tag gesteigert. Die optimale Plasmakonzentration von Zonisamid liegt diesen Daten zufolge bei 10-20 µg/ ml. Wie die Auswertung der Daten von mehr als 1.000 Patienten, die in Japan an den klinischen Prüfungen teilgenommen hatten, zeigt, nimmt die zum Einstellen therapeutischer Serumspiegel erforderliche Zonisamiddosis aufgrund der mit steigendem Alter sinkenden Clearance ab (1). Das heißt, dass bei älteren Kindern eine niedrigere Dosis von Zonisamid erforderlich ist, um die für eine adäquate 100 % Responder Kinder ab dem ersten Lebensjahr zur Behandlung von fokalen Anfällen, tonischklonischen Anfällen, tonischen Anfällen sowie atonischen Anfällen in Mono- oder Kombinationstherapie zur Verfügung. 80 60 40 34 20 15 0 fokale Anfälle generalisierte Anfälle Abb. 2: Gemeinsame Evaluation von 5 Add-on-Studien bei Kindern mit fokalen Epilepsien und Epilepsien mit initial generalisierten Anfällen 48 Neuropädiatrie in Klinik und Praxis 7. Jg. (2008) Nr. 2 #5706_neuropa diatrie_02_08.indd 48 03.04.2008 13:30:37 Uhr Originalien/Übersichten Initial 2 mg/kg/Tag Titration alle 1-4 Wo. Steigerung um 1-2 mg/kg/Tag Maximal 10-12 mg/kg/Tag Optimal i.d.R. 5-8 mg/kg/Tag (10-20 µg/ml) Tab. 1: Dosierung von Zonisamid, Konsensus aus 10 Studien (n = 815, 3 Mon. – 26 J.) Wirksamkeit notwendige Plasmakonzentration von 10–20 µg/ml zu erzielen. Eine Auswertung der Daten von 105 Säuglingen, 785 Kleinkindern und 1711 älteren Kindern ergab folgende durchschnittliche Erhaltungsdosen1: • Säuglinge (< 2 Jahre): 10,0 mg/kg/Tag. • Kleinkinder (2-6 Jahre): 8,4 mg/kg/Tag. • Ältere Kinder (7-16 Jahre): 6,7 mg/kg/Tag. Verträglichkeit und Sicherheit wirkungen sind von leichtem Schweregrad und oft passager. Zudem treten viele Nebenwirkungen ausschließlich bei hohen Plasmakonzentrationen (> 40 µg/ml) auf und bilden sich bei Dosisreduktion zurück (3, 4, 15). Oligohidrosis und Hyperthermie Ein mit Zonisamid assoziiertes erhöhtes Risiko von Oligohidrosis und Hyperthermia scheint spezifisch für pädiatrische Patienten zu sein. Charakteristische Symptome sind vermindertes Schwitzen und eine erhöhte Körpertemperatur (bis 42 °C). Im Entwicklungsprogramm vor der Zulassung in Japan wurde bei 403 pädiatrischen Patienten ein Fall von Oligohidrosis beobachtet; dies entspricht einer Inzidenz von 1:285 Patientenjahren der Einnahme. Auf der Basis der internationalen Post-Marketingerfahrung wird die Häufigkeit der Oligohidrosis auf 1:10.000 Patientenjahre geschätzt. In allen Fällen erwies sich die Oligohidrosis bei Absetzen von Zonisamid als reversibel (2). Um die damit verbundenen Risiken zu minimieren, sollten pädiatrische Patienten, die mit Zonisamid behandelt werden, sehr Das Nebenwirkungsprofil unterscheidet sich kaum von demjenigen erwachsener Patienten (1). Wie bei erwachsenen Patienten werden unter einer Zonisamid-Monotherapie weniger unerwünschte Era) Zusatztherapiestudien (n= 191) eignisse berichtet als unter einer Kombinationsbehandlung mit 35 anderen Antikonvul30 siva (1) (Abb. 3 a, b). 25 Mit zunehmender Zahl der begleitend 20 eingenommenen An- % 15 tikonvulsiva nimmt 10 die Häufigkeit uner5 wünschter Ereignisse erwartungsgemäß 0 Somnolenz Anorexie Ataxie Schwindel Exanthem zu. Am häufigsten werden unter der Behandlung mit Zonisamid Müdigkeit, Appetitverlust und b) Monotherapiestudien (n= 258) Exanthem berichtet (Abb. 3 a, b). Gemäß einer Auswertung der 35 Daten von 2.601 Kin30 dern (0-16 Jahre), die insgesamt 170.000 25 Patientenjahren der 20 Zonisamid-Einnahme entsprechen, wird % 15 Zonisamid von pädi10 atrischen Patienten meist gut vertragen 5 (17). Die meisten der mit der Zoni0 Somnolenz Anorexie Ataxie Schwindel Exanthem samid-Behandlung in Zusammenhang Abb. 3: Metaanalyse der Nebenwirkungsinzidenz (%) in Studien im stehenden Neben- Kindesalter hohe Außentemperaturen meiden und besonders sorgfältig auf eine ausreichende Hydrierung achten. Eine Kombination mit Arzneimitteln, die für hitzebedingte Erkrankungen disponieren, wie Carboanhydraseinhibitoren (z. B. Topiramat, Sultiam, Acetazolamid) und anticholinerg wirkenden Arzneimitteln sollte nach Möglichkeit vermieden werden. Eigene Langzeiterfahrungen mit Zonisamid bei therapierefraktären kindlichen Epilepsien Am Epilepsiezentrum Vogtareuth wurden bereits vor der Zulassung von Zonisamid im Rahmen einer offenen Langzeitstudie erste Erfahrungen mit dem Antikonvulsivum bei pädiatrischen Patienten mit therapierefraktären kindlichen Epilepsien gesammelt (19). 24 Patienten im durchschnittlichen Alter von 12,5 Jahren (2 bis 40 Jahre, 4 Patienten > 18 Jahre) mit sehr schwer behandelbaren, pharmakoresistenten Epilepsien, darunter 75% mit fokaler Epilepsie, 12,5% mit generalisierter Epilepsie und 12,5% mit therapieresistentem Status epilepticus mit Beginn vor dem 10. Lebensjahr, wurden mit Zonisamid behandelt (Tab. 2). Die meisten Patienten hatten multiple Anfallsformen. Neben symptomatischen oder kryptogenen fokalen Epilepsien handelte es sich um generalisierte und atypische benigne fokale Epilepsien. Ein Drittel der Patienten hatte eine fokale kortikale Dysplasie. Alle Patienten waren bereits erfolglos mit mindestens sechs anderen Antikonvulsiva vorbehandelt (Bereich: 6 bis 15; Tab. 3). Sieben Patienten waren zuvor bereits erfolglos epilepsiechirurgisch behandelt worden, bei zwei Patienten war bereits ein Nervusvagus-Stimulator implantiert worden. Alle Patienten waren mental retardiert, 84% wiesen eine Mehrfachbehinderung auf. Die Behandlung mit Zonisamid wurde bei den jungen Patienten in einer Dosierung von 1 bis 2 mg/kg begonnen. Eine Dosistitration erfolgte stufenweise alle 1-2 Wochen mit 0,5 bis 1 mg/kg/Tag abhängig von der individuellen Wirksamkeit und Verträglichkeit. Die durchschnittliche Erhaltungsdosis lag bei 7,7 mg/kg/Tag (Range 4-16 mg/kg/Tag). Die durchschnittliche Behandlungsdauer betrug 55 Wochen (Range 5-168 Wochen). Alle Patienten erhielten eine begleitende antiepileptische Therapie, am häufigsten erfolgte ein Addon von Zonisamid zu Valproat und Oxcarbazepin. Das Ansprechen auf die Therapie und mögliche Nebenwirkungen wurden sechs Wochen nach Therapiebeginn und anschließend im Abstand von 2 Monaten erhoben. Die Baseline-Anfallshäufigkeit Neuropädiatrie in Klinik und Praxis 7. Jg. (2008) Nr. 2 49 #5706_neuropa diatrie_02_08.indd 49 03.04.2008 13:30:38 Uhr Originalien/Übersichten Alle Patienten Geschlecht (männl./weibl.) 14/10 Durchschnittl. Alter (range) 12,5 (2-40) Jahre Durchschnittl. Dosierung (range) 7,7 (4-16) mg/kg/Tag Epilepsieformen* and Ätiologie n (%) Lokalisationsbezogene (fokale) Epilepsien – Symptomatisch Focal kortikale Dysplasie Herpes encephalitis Schlaganfall nach Varicella-Infektion Perinatale asphyxia Malformation of cortical development Tuberous sclerosis – Kryptogen fokal Generalisierte Epilepsien – Idiopathisch (Dravet-Syndrom mit SNC-Mutation) – Kryptogen Refraktärer Status epilepticus mit unklarer Ursache 18 (75,0%) 8 (33,3%) 1 (4,2%) 2 (8,3%) 2 (8,3%) 1 (4,2%) 1 (4,2%) 3 (12,5%) 3 (12,5%) 4 (16,7%) 6 (25,0%) 3 (12,5%) 3 (12,5%) 6 (25,0%) Vorherige Epilepsie-Operation N. vagus Stimulation 7 (29,2%) 2 (8,3%) Mentale Retardierung (%) Mild Moderat Schwer 3 (12,5%) 7 (29,2%) 14 (58,3%) Durchschnittl. Zahl der Antikonvulsiva vor Zonisamid (Range)** Durchschnittl. Zahl der Begleit-Antikonvulsiva unter Zonisamid 10 (7-15) 1,9 (1-3) * ILAE Klassifikation ** Bei zwei Patienten war die genaue Anzahl der Antikonvulsiva vor Beginn der Zonisamid-Behandlung nicht bekannt, vermutlich > 10 Tab. 2: Patientenmerkmale (n = 24) Anzahl Patienten Initiale Responder (≥ 50% Anfallsreduktion / < 50% Anfallsreduktion) Fokal 18 Generalisiert Epilepsieform Anzahl der Patienten (%) Valproinsäure Oxcarbazepin Levetiracetam Phenytoin Topiramat Clobazam Lamotrigin Phenobarbital Sultiam Bromid Ethosuximid Methsuximid Primidon Tiagabin 10 (41.7%) 8 (33.3%) 4 (16.7%) 4 (16.7%) 4 (16.7%) 2 (8.3%) 2 (8.3%) 2 (8.3%) 2 (8.3%) 1 (4.2%) 1 (4.2%) 1 (4.2%) 1 (4.2%) 1 (4.2%) Tab. 3: Begleitende Antikonvulsiva (n = 43) 1 (4,2%) 2 (8,3%) 3 (12,5%) Begleiterkrankungen (Mehrfachnennungen mögl.) Tetraparese Hemiparese Autismus Persistierender vegetativer Status Perkutane endoskop. Gastrostomie Antikonvulsiva wurde retrospektiv über 4 Wochen bis zum Studienbeginn bestimmt. Eine Response war definiert als eine mindestens 50%ige Reduktion der Anfallshäufigkeit zwei Monate nach Beginn der ZonisamidBehandlung. Mehr als die Hälfte aller Patienten mit therapieresistenter Epilepsie zählten zu den Respondern (58,3%; Tab. 4). Bei den anderen Patienten kam es zu einem geringeren Ansprechen auf die Therapie (< 50%) bzw. keiner Verbesserung der Anfallssituation. Die individuellen Responseraten während des Beobachtungszeitraumes in Abhängigkeit von der Epilepsieform sind in Tab. 4 dargestellt. Das Ansprechen auf die Therapie korrelierte nicht mit der Höhe der Dosis. Die durchschnittliche Dosis betrug bei Respondern 7,5 mg/kg/Tag und bei Patienten mit mangelnder Response 7,9 mg/kg/Tag. Die Retentionsrate, d. h. der Anteil der Patienten, die auch nach 24 Monaten noch mit Zonisamid behandelt wurden, betrug 41,7% (10 Patienten). Bei acht der 14 initialen Responder war Zonisamid anhaltend effektiv. Ein Patient wurde komplett an- Patienten unter Zonisamid (davon initiale Responder) Retentionsrate nach 24 Monaten N (%) Nach 4 Monaten Nach 6 Monaten Nach 8 Monaten Nach 10 Monaten Nach 12 Monaten 9 (50%) / 8 (44.4%) 15 (9) 13 (9) 9 (7) 8 (6) 7 (5) 7 (38.9%) 3 2 (66.7%) / 1 (33.3%) 2 (2) 2 (2) 1 (1) 0 0 0 Status epilecticus 3 3 (100%) / 0 3 (3) 3 (3) 3 (3) 3 (3) 3 (3) 3 (100%) Gesamt 24 14 (58.3%) / 9 (37.5) 21 (14) 17 (13) 12 (11) 11 (9) 10 (8) 10 (41.7%) Tab. 4: Response-Daten in 2-monatigen Abständen während des Beobachtungszeitraumes in Abhängigkeit von der Epilepsieform 50 Neuropädiatrie in Klinik und Praxis 7. Jg. (2008) Nr. 2 #5706_neuropa diatrie_02_08.indd 50 03.04.2008 13:30:38 Uhr Originalien/Übersichten fallsfrei. Bei einem weiteren Patienten, bei dem die Behandlung mit Zonisamid beibehalten wurde, kam es zu einer deutlichen, jedoch weniger als 50%igen Reduktion der Anfallsfrequenz. Bei einem anderen Patienten wurde die Zonisamidgabe trotz fehlender Verbesserung der Anfallssituation fortgesetzt, da Zonisamid deutlich besser verträglich war als das vorherige Antikonvulsivum. Das Alter der Patienten hatte keinen Einfluss auf die Responderrate oder die Retentionsrate (Tab. 5). Bemerkenswerterweise profitierten insbesondere Patienten mit therapierefraktärem Status epilepticus von der Langzeittherapie mit ZonisaA) Responder Responder Anzahl der (≥ 50% AnfallsPatienten reduktion) 2-6 Jahre 7-12 Jahre 13-18 Jahre >18 Jahre Gesamt 5 9 6 4 24 2 (40.0%) 7 (77.8%) 2 (33.3%) 3 (75.0%) 14 (58.3%) B) Retentionsraten 2-6 Jahre 7-12 Jahre 13-18 Jahre >18 Jahre Gesamt Anzahl der Patienten Retentionsrate nach 24 Monaten 5 9 6 4 24 2 (40.0%) 4 (44.4%) 1 (16.7%) 3 (75.0%) 10 (41.3%) Tab. 5: Response der Patienten in Abhängigkeit vom Alter mid. Wegen der geringen Patientenzahl sollte dieses Ergebnis jedoch mit Vorsicht interpretiert werden. Größere kontrollierte Studien sind notwendig um eine valide Aussage zu unterschiedlichen Ansprechraten bei verschiedenen Epilepsieformen zu treffen. Zonisamid wurde von den jungen Patienten insgesamt gut vertragen (Tab. 6). Nebenwirkungen waren meist milde und traten bei weniger als der Hälfte aller Patienten (45,8%) auf. Am häufigsten wurde über Appetitverlust (20,8%) berichtet. Bei drei Patienten trat Müdigkeit (12,5%) N (%) Verminderter Appetit Fatigue Übelkeit Verstopfung Verhaltensänderung Anfallszunahme Patienten mit Nebenwirkungen Tab. 6: Nebenwirkungen (n = 12) 5 (20.8%) 3 (12.5%) 1 (4.2%) 1 (4.2%) 1 (4.2%) 1 (4.2%) 11 (45.8%) auf, bei jeweils einem Patient Verstopfung (4,2%), Verhaltensveränderungen (4,2%) und Anfallshäufung (4,4%). Die meisten Nebenwirkungen traten lediglich während der Titrationsphase auf und erwiesen sich als passager. Die Behandlung wurde bei zwei Patienten aufgrund mangelnder Verträglichkeit (Appetitmangel) abgebrochen. Fazit Für Patienten mit schweren, therapierefraktären kindlichen Epilepsien, die auf vorherige Antikonvulsiva keine ausreichende Response gezeigt haben, scheint Zonisamid eine wirksame, gut verträgliche und sichere Behandlungsoption zu eröffnen, wie die Ergebnisse unserer offenen Langzeitbeobachtung bestätigen. Selbst bei Patienten, die erfolglos mit zahlreichen Antiepileptika vorbehandelt wurden, besitzt Zonisamid eine Wirksamkeit auf unterschiedliche Anfallstypen. Mit einer Responderrate von 58,3% nach acht Wochen und einer Retentionsrate von 41,7% nach 24 Monaten stehen diese offenen Langzeiterfahrungen in Einklang mit den Ergebnissen kontrollierter, in Japan durchgeführter Studien. Obwohl sämtliche Patienten umfangreich vorbehandelt waren, wurde Zonisamid gut vertragen. Nebenwirkungen waren selten und führten nur in zwei Fällen zu einem Abbruch der Behandlung. Ausblick Obwohl Zonisamid in Europa derzeit noch nicht zur Behandlung von Kindern zugelassen ist, gibt es aufgrund der vorliegenden Studiendaten sowie eigenen praktischen Erfahrungen zunehmend Hinweise auf eine gute Wirksamkeit und Verträglichkeit auch bei kindlichen Epilepsien mit unterschiedlichen Anfallsformen. Langfristig sind entsprechende Zulassungsstudien sowie weitere Langzeitdaten zur Sicherheit und Verträglichkeit notwendig. children: a preliminary report [Abstract]. Epilepsia 32(Suppl 1): 90 5. Buchanan CP, Chez MG, Langburt W, Becker M (2002) Zonisamide in benign focal epilepsy of childhood [Abstract]. Epilepsia 43(Suppl 7): 167 6. Fukushima K, Yagi K, Seino M (1996) Mono- and bi-therapy by zonisamide in children and adults previously treated for epileptic seizures [Abstract]. Epilepsia 37(Suppl 5): 172 7. Kanazawa O, Kanemoto K, Sengoku A, Kawai I (1990) A clinical trial of zonisamide on adults and children with refractory epilepsy. 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(2008) Nr. 2 51 #5706_neuropa diatrie_02_08.indd 51 03.04.2008 13:30:38 Uhr Originalien/Übersichten Prävalenz und klinische Symptomatik psychogener Störungen in der Pädiatrie M. BLANKENBURG1, 2, B. ZERNIKOW1, T. HECHLER1, F. AKSU1 1 Zentrum für Neuropädiatrie, Entwicklungsneurologie und Sozialpädiatrie, Vestische Kinder- und Jugendklinik Datteln, Universität Witten/Herdecke 2 Vodafone Stiftungsinstitut für Kinderschmerztherapie und Pädiatrische Palliativmedizin, Vestische Kinder- und Jugendklinik Datteln, Universität Witten/Herdecke Zusammenfassung In dieser Studie analysierten wir die Daten von 5.254 Kindern und Jugendlichen, die im Alter von 6 bis 18 Jahren auf unsere allgemeinpädiatrischen Stationen aufgenommen wurden (Zeitraum Januar 2005 bis Dezember 2007). Bei 19,7% dieser Patienten wurde eine somatoforme oder dissoziative Störung diagnostiziert. Rezidivierende körperliche Beschwerden oder Schmerzen ohne ausreichende organische Ursache werden nach der ICD10 als dissoziative und somatoforme Störungen klassifiziert. Die hohe Prävalenz (20% in unserer Studie, 10-20% in der Literatur) im Kindes- und Jugendalter weist auf die differenzialdiagnostiche Bedeutung hin. Die Symptome sind charakterisiert durch vielfältige und verschiedenartige Phänomene, die echten organischen Störungen sehr ähnlich sind und dramatische Formen annehmen können. Bei unseren Patienten zeigten sich am häufigsten Schmerzen (65%), motorische Störungen (11%), Schwindel (9%), Anfälle (4%) und Wahrnehmungsstörungen (4%). Die Muster psychogener Störungen weichen in bestimmten Merkmalen von organischen Störungen ab, sodass sie mit Hilfe der klinischen Untersuchung und nicht nur durch apparative Methoden von organischen Störungen unterschieden werden können. Die Ursache psychogener Störungen ist ungeklärt, jedoch treten die Störungen häufig in zeitlicher Verbindung mit traumatischen Ereignissen, Konflikten und gestörten Beziehungen auf. Der sekundäre Krankheitsgewinn (Zuwendung) spielt bei der Chronifizierung eine wesentliche Rolle. Aus Unsicherheit tendieren Ärzte zu selten dazu, eine psychogene Störung zu diagnostizieren. Diese Einstellung ist nicht ohne Konsequenzen, da verschiedene Studien gezeigt haben, dass das Verschleppen der Diagnose mit einer schlechteren Prognose assoziiert ist. Die Grundlage für die Therapie bilden die Informationen über die unauffälligen Befunde und die Psychoedukation, ohne dass die Patienten das Gefühl bekommen dürfen „überführt“ zu werden. Einfache Interventionen sind das Ignorieren dargebotener Symptome und eine Verstärkung normaler Verhaltensweisen. Heute stehen effektive Therapieverfahren (kognitive Verhaltenstherapie, soziales Kompetenztraining) zur Verfügung. Wichtig ist, die häufigen komorbiden Diagnosen wie Depression und Angst zu erfassen. Oft verschwindet die Störung so abrupt, wie sie aufgetreten ist. Wiederholtes Auftreten weist auf einen chronischen Verlauf bis ins Erwachsenenalter mit schlechter Prognose hin. Schlüsselwörter Dissoziative Störungen, somatoforme Störungen, Schmerzen, Kindes- und Jugendalter Prevalence clinical presentations of paediatric psychogenic disorders Abstract In our study we included 5254 children and adolescents at the age of 6 to 18 years who were admitted to the general paediatric department of our hospital during January 2005 and December 2007. 19,7% of these patients were diagnosed with a somatoform or dissociative disorder. Somatoform or dissociative disorders are mental disorders characterized by symptoms suggesting physical disorders of psychogenic origin but not under voluntary control. High prevalence of somatoform and dissociative disorders in childhood and adolescence points out the importance of including these disorders in differential diagnoses. Symptoms are characterized by many different phenomena which resemble real physical disorders and which can manifest in dramatic ways. The majority of our patients suffered from pain disorders (65%), followed by motor disorders (11%), vertigo (9%), psychogenic seizures (4%) and perceptional disorders (4%). Specific patterns of psychogenic disorders have different characteristics than physical disorders. Therefore a thorough physical examination is necessary for diagnosis of psychogenic disorders next to technical examinations. The aetiology of psychogenic disorders is still unknown, they occur in temporal relation to traumatic experiences, conflicts and malfunctioning relationships. Secondary gain (attracting attention) plays an important role in the development of chronic somatoform disorders. Due to incertitude among medical doctors dissociative disorders are underdiagnosed. One has to point out, that a late diagnosis is associated with poor outcome. Therapy is based on psychoeducation and the information of non pathological physical findings without disproving the patient. Simple therapeutical interventions include ignorance of presented symptoms and reinforcement of normal behavioural patterns. Today more sophisticated interventions such us cognitive behavioural therapy and soft skills training are used. It is important to detect comorbid diagnoses such as depression and fear. Often somatoform disorders resolve as abruptly as they began. Recurrences of symptoms suggest a chronic course until adulthood with poor prognosis. Keywords Dissociative disorders, somatoform disorders, pain, childhood and adoles-cence Bibliography Neuropaediatrie 2008; 7: 52–57, © Schmidt-Roemhild-Verlag, Luebeck, Germany: ISSN 1619-3873; NLM ID 101166293; OCoLc 53801270 52 Neuropädiatrie in Klinik und Praxis 7. Jg. (2008) Nr. 2 #5706_neuropa diatrie_02_08.indd 52 03.04.2008 13:30:39 Uhr Originalien/Übersichten Einleitung Körperliche Beschwerden und Schmerzen ohne somatische Ursache bei wiederholten Untersuchungen finden sich in Allgemeinpraxen und Fachabteilungen von Kliniken bei 10–40% der Erwachsenen (29). Bei Kindern und Jugendlichen ist die Prävalenz nicht genau bekannt (24). Eine repräsentative Stichprobe bei 14bis 24-jährigen Adoleszenten ergab eine Prävalenzrate von 2,7 Prozent anhand der DSM-IV-Kriterien für somatoforme Störungen (31). Häufig erfüllen Kinder und Jugendliche aber nicht die vollständigen Diagnosekriterien für eine kategoriale Zuordnung in die DSM-IV-Kriterien. Werden Störungen hinzugezählt, die nur einen Teil der Diagnosekriterien erfüllten, lag die Prävalenz bei 11%. In einer anderen repräsentativen Stichprobe bei Jugendlichen hatten 40% in den letzten zwei Jahren mindestens ein Symptom mit starker Beeinträchtigung des Wohlbefindens für das der Arzt keine Ursache finden konnte (25). Diese hohen Prävalenzwerte weisen auf die differentialdiagnostische Bedeutung dieser Störungen hin. Eine genaue Beschreibung der epidemiologischen Verteilung somatoformer Störungen bei Kindern und Jugendlichen ist aufgrund mangelnder Daten zurzeit nur eingeschränkt möglich (5). Körperliche Symptome ohne nachweisbare organische Ursache werden in der Internationalen Klassifikation der Krankheiten (ICD 10) nach Symptomatik und Verlauf in dissoziative bzw. Konversionsstörungen (F 44) und somatoforme Störungen (F 45) eingeteilt. Störungen der sinnlichen Wahrnehmung und von Körperfunktionen, die unter willentlicher Kontrolle stehen, führen meist zu (pseudo-)neurologischen Symptomen und werden als dissoziative oder Konversionsstörung klassifiziert. Dazu gehören dissoziative Anfälle, Bewegungs-, Sensibilitäts- und Empfindungsstörungen. Die Symptome werden nicht willentlich hervorgerufen. Andernfalls handelt es sich um Simulation, Aggravation oder um „Artifizielle Störungen“ (z. B. Münchhausen-by-proxy-Syndrom). Störungen mit Schmerzen und/oder komplexen körperlichen Empfindungen durch Vermittlung des vegetativen Nervensystems werden unter somatoformen Störungen klassifiziert. Somatoforme Störungen sind Erkrankungen mit anhaltenden oder rezidivierenden Körperbeschwerden ohne nachweisbare organische Ursache (12). Sie treten bei Kindern und Jugendlichen meist in Form von Kopf- und Bauchschmerzen, Schwindel und Übelkeit auf. Die Ausprägung kann von (nicht selten) einmalig bis wenige Male über intermittierende Häu- fungen bis zur Chronifizierung reichen (5). Somatisierungsstörungen (F 54) sind seltene Extremvarianten mit multiplen Körpersymptomen verschiedener Organsysteme mit wechselnder Qualität und Lokalisation über mindestens zwei Jahre. Im Gegensatz dazu sind psychosomatische Störungen organische Erkrankungen mit morphologisch nachweisbaren Läsionen (z. B. Ulcus duodeni, Colitis ulcerosa) aufgrund angeborener oder erworbener Organstörungen. Dissoziative und somatoforme Störungen entstehen oft in zeitlichem Zusammenhang mit belastenden Ereignissen oder Lebensphasen und führen zu einem ausgeprägten Vermeidungs- und Rückzugsverhalten mit zahlreichen psychischen und sozialen Einschränkungen sowie Problemen bei der Alltagsbewältigung, z. B. häufige Fehlzeiten in der Schule (2). Weltweit am häufigsten sind Schmerzen wechselnder Qualität und Lokalisation (somatoforme Schmerzstörung), gefolgt von Schwindel und Erschöpfungszuständen (29). Die Betroffenen sind stark auf ihre Symptome konzentriert und davon überzeugt, an einer körperlichen Krankheit zu leiden. Häufig befürchten sie, dass die körperliche Ursache der Erkrankung übersehen wird. In jedem Fall sind eine gründliche organische Ausschlussdiagnostik sowie eine biografische und soziale Anamnese wichtig. Wahrscheinlich führen kindliche Belastungsfaktoren zu einer erhöhten Vulnerabilität. Komorbiditäten wie Depression, Angst und Persönlichkeitsstörungen finden sich bei ca. 2/3 der Patienten (6, 14, 31). Die Diagnose einer psychischen Ursache der Beschwerden führt bei Eltern und Betroffenen häufig zu Ablehnung und in der Folge zu Arztwechseln mit ungünstiger Prognose (24). Die Interaktion zwischen Arzt, Eltern und Patient gestaltet sich oft schwierig und zeitaufwendig. Vor diesem Hintergrund hat der erstversorgende Arzt die wichtige Aufgabe eines Weichenstellers und Brückenbauers für die weitere Therapie, um das erhöhte Risiko für somatoforme Störungen und psychiatrische Erkrankungen im Erwachsenenalter vorzubeugen. Methoden Um die Häufigkeit und Verteilung von körperlichen Beschwerden ohne organischen Befund als Ursache der stationären Aufnahme zu erfassen, haben wir eine Untersuchung an der Vestischen Kinder- und Jugendklinik Datteln, Universität Witten/ Herdecke, auf den Stationen für Schulkinder durchgeführt. Dabei handelt es sich um eine Mädchen- und eine Jungenstation mit jeweils 24 Betten. Eingeschlossen wurden 5.254 Patienten über 3 Jahre (2.874 Mädchen und 2.380 Jungen von Januar 2005 bis Dezember 2007) im Alter von 6 bis 18 Jahren. Erfasst wurde die Häufigkeit stationärer Aufnahmen wegen körperlichen Störungen ohne organische Ursache anhand der an erster Stelle aufgeführten Entlassungsdiagnose. Zusätzlich wurde die Häufigkeit von Diagnosen erfasst, hinter denen sich wahrscheinlich eine nicht organische, psychogene Störung verbirgt, wie z. B. Ausschlussdiagnosen aufgrund neurologischer Symptome bei unauffälligen klinischen Befunden. Diese werden als wahrscheinliche somatoforme Störung angegeben. Die Geschlechtsverteilung und die Häufigkeit verschiedener Symptome wurden nur bei den als sicher klassifizierten psychogenen Störungen untersucht. Die statistische Auswertung erfolgte mit Excel 7.0 und SPSS. Ergebnisse Eine dissoziative oder somatoforme Störung fand sich bei 1.035 der aufgenommenen Patienten, d.h. bei 19,7 % aller Patienten (im Zeitraum von 3 Jahren). Werden Diagnosen, hinter denen sich vermutlich eine somatoforme Störung verbirgt (z. B. Ausschlussdiagnosen) dazugezählt, lag die Häufigkeit sogar fast 10% höher. Die Geschlechtsverteilung mit etwa 3 : 2 (Mädchen : Jungen) zeigte ein häufigeres Auftreten bei Mädchen. Somatoforme Störungen waren deutlich häufiger (80%) als dissoziative Störungen (20%) ohne geschlechtsspezifische Unterschiede. Am häufigsten traten somatoforme Schmerzstörungen (65%) auf, vor allem Kopfschmerzen. Bei den dissoziativen Störungen waren Bewegungsstörungen (11%) am häufigsten, gefolgt von psychogenen Anfällen (4%) und Empfindungsstörungen (4%). Sensibilitätsstörungen waren selten. Bis auf eine signifikante Häufung psychogener Anfällen bei Mädchen fanden sich keine geschlechtsspezifischen Unterschiede. In den Jahrgängen von 10 bis 16 Jahren war die Häufigkeit der psychogenen Störungen ungefähr gleichverteilt. D. h. in jedem Jahrgang befanden sich ca. 100 Patienten, also ca. 10 Prozent aller 1.035 Patienten, abgesehen von einem Häufigkeitsgipfel im Alter von 13 Jahren mit ca. 15 Prozent. Deutlich weniger psychogene Störungen zeigten sich bei den unter 10Jährigen. Diskussion Vor dem Schulalter sind dissoziative Symptome selten (10, 24). Aus diesem Grund haben wir die Stichprobe auf das Schulalter beschränkt. Die Häufigkeit psychogener Störungen lag in unserer Stich- Neuropädiatrie in Klinik und Praxis 7. Jg. (2008) Nr. 2 53 #5706_neuropa diatrie_02_08.indd 53 03.04.2008 13:30:39 Uhr Originalien/Übersichten Sicher Sicher Sicher Sicher und Sicher und Sicher und wahrscheinlich wahrscheinlich wahrscheinlich Jahr Gesamt Mädchen Jungen Gesamt 2007 20,0 22,0 17,9 31,5 33,6 29,4 2006 20,7 24,4 17,0 30,4 35,0 25,8 2005 18,4 21,3 15,3 26,8 29,7 23,7 Gesamt 19,7 22,6 16,7 29,6 32,8 26,3 Mädchen Jungen Tab. 1: Häufigkeit der Diagnose „Dissoziative oder somatoforme Störung“ bei Patienten ab dem 7. Lebensjahr in Prozent (bezogen auf alle 5.254 aufgenommenen Patienten). Angaben 1. für sichere Diagnosen und 2. für wahrscheinliche Diagnosen, hinter denen sich vermutlich eine dissoziative oder somatoforme Störung verbirgt (Ausschlussdiagnosen, s.o.) Psychogene Störungen Klinische Symptomatik Mädchen Jungen Gesamt Dissoziative Störungen Bewegungsstörung 9,2 12,4 10,8 Psychogene Anfälle 6,5 1,4 4,0 Empfindungsstörung 2,8 5,1 4,0 Sensibilitätsstörung 1,5 1,7 1,6 Gesamt 20 20,6 20,4 Kopfschmerzen 48,4 45,9 47,2 Brust-/Rückenschmerz 10,6 14,6 12,6 Extremitätenschmerz 3,8 6,0 4,9 Schwindel 9,7 7,7 8,7 Erschöpfung 5,3 1,7 3,5 Autonome Funktionsstörung 2,2 3,5 2,9 Gesamt 80 79,4 79,7 Somatoforme Störungen Tab. 2: Verteilung von dissoziativen und somatoformen Störungen im Zeitraum von 2005 bis 2007 in Prozent probe mit 19,7% weit über den geschätzten Werten bei Kindern und Jugendlichen (10%) (42) und im unteren Bereich der Angaben bei Erwachsenen (10 bis 40%) (29). Diese hohe Prävalenz weist auf die differentialdiagnostische Bedeutung psychischer Störungen mit neurologischer Leitsymptomatik hin. Dabei wird die Diagnose eher zurückhaltend gestellt aufgrund von Befürchtungen, eine organische Erkrankung zu übersehen, auf Unverständnis bei den Eltern zu stoßen und aufgrund der häufigen Rückfragen vom Medizinischen Dienst der Krankenkassen bezüglich der Kostenübernahme. Werden Diagnosen hinzugezählt, hinter denen sich vermutlich eine somatoforme Störung verbirgt (z. B. Ausschlussdiagnosen), ist die Prävalenz noch höher. Die Geschlechtsverteilung zeigt ein häufigeres Auftreten psychogener Störungen bei Mädchen als bei Jungen im Verhältnis 3 : 2, was den Angaben in der Literatur entspricht (24). Gründe sind möglicherweise viszerale Sensationen im Zusammenhang mit der Menstruation (6, 15, 25) und die erhöhte Prävalenz traumatischer Ereignisse bei Mädchen. Eine altersabhängige Häufung psychogener Störungen fand sich bei den Jugendlichen nicht. In unserer Stichprobe waren somatoforme Störungen viermal häufiger als dissoziative Störungen. Mit weitem Abstand am häufigsten fanden sich Schmerzen, wie bei anderen Untersuchungen älterer Kinder und Jugendlicher (21, 22, 25). Im Vergleich zu Erwachsenen (20-40%) traten sie häufiger (65%) auf, dagegen waren Erschöpfungszustände (3,5%) und autonome Funktionsstörungen (2,9%) seltener. Dissoziative Symptome entsprachen in unserer Stichprobe etwa der Häufigkeit bei Erwachsenen (20%) (29). Am häufigsten waren Bewegungsstörungen (10,8% Paresen, Astatie/Abasie, Tremor), gefolgt von psychogenen Anfällen (4%) und Empfindungsstörungen (4%). Sensibilitätsstörungen traten sehr selten auf (1,6%). Allgemeines Kennzeichen von dissoziativen Störungen war der plötzliche Verlust der bewussten Kontrolle über willkürliche motorische Bewegungen oder Sinneswahrnehmungen mit wechselnder Ausprägung und Zunahme unter Beobachtung. Manchmal ähnelten die Symptome echten organischen Störungen. Öfter standen dramatische und manchmal bizarre Symptome im Widerspruch zu dem relativ geringen Leidensdruck der Patienten wie bei anderen Untersuchungen (26, 33, 34, 45). Die Symptome verkörpern häufig die Vorstellungen der Patienten von ihrem Körper und nicht die Anatomie und Physiologie des Nervensystems. Dissoziative Symptome können in der Regel klinisch durch ungewöhnliche motorische Phänomene, eine Diskrepanz zwischen Funktionsausfällen und objektivierbaren Befunden und Widersprüchen mit neuroanatomischen Bedingungen von „echten“ neurologischen Ausfällen unterschieden werden und nicht erst durch apparative Methoden. Typische dissoziative Symptome und Unterscheidungsmerkmale werden im Folgenden beschrieben (26, 27, 33, 34, 45). In Zweifelsfällen müssen organische Erkrankungen mit aufwendiger Dia- 54 Neuropädiatrie in Klinik und Praxis 7. Jg. (2008) Nr. 2 #5706_neuropa diatrie_02_08.indd 54 03.04.2008 13:30:39 Uhr Originalien/Übersichten gnostik ausgeschlossen werden. Bei Eltern und Kindern besteht meist die Sorge, dass die körperliche Ursache der Erkrankung übersehen wird oder die Erkrankung von den Ärzten nicht ernst genug genommen wird (24). Dissoziative Anfälle Dissoziative Anfälle finden immer vor einem Publikum statt und haben einen demonstrativen Charakter. Die Ausprägung der Symptomatik kann von Zu- bzw. Abwendung abhängen. Typisch sind regellose, ausfahrende, dramatisch anmutende Bewegungen. Dauer in aller Regel > 2 Minuten, die Pupillenreflexe sind erhalten. Selten kommt es zu Verletzungen (Zungenbiss), Stürzen, Inkontinenz. Die Bewusstseinslage wirkt eingeschränkt, die Patienten sind aber oft ansprechbar. Bei der dissoziativen Ohnmacht wirkt der Patient schlafend mit normalen Atmungs- und Kreislaufparametern. Schluckbewegungen sind am Kehlkopf sichtbar. Beim passiven Öffnen der Lider spürt man typischerweise einen Widerstand, und die Augen schauen vom Untersucher weg oder blicken ihn an. Löst man bei passiv offen gehaltenen Augen durch rasches Drehen des Kopfes den vestibulookularen Reflex aus, kommt es nicht zum physiologischen Ablauf wie bei einem echt Komatösen, sondern die Bulbi bleiben entweder auf einen Punkt in der Ferne fixiert oder werden in Drehrichtung des Kopfes überschießend bewegt. Dissoziative Bewegungsstörungen Dissoziative Paresen betreffen meist die nicht dominante Extremität. Zeichen der psychogenen Minderinnervation sind eine sakkadierte Innervation, eine reflektorische normale Kraftentwicklung bei plötzlicher Steigerung des Widerstandes während der Kraftprüfung durch den Untersucher und eine unwillkürliche Mitinnervation der geschonten Extremität bei Prüfung der Gegenseite. Beim Anziehen etc. kommt es zum Einsatz der geschonten Extremität. Der Muskeltonus und die Reflexe sind normal, keine Pyramidenzeichen. Wird der Patient im Stehen rasch um seine eigene Körperachse gedreht, wird ein schlaff-paretischer Arm an den Körper gepresst gehalten und aktiv am Herumbaumeln gehindert. Lässt man den passiv hochgehaltenen Arm des liegenden Patienten los, fällt dieser entsprechend der Schwerkraft neben dem Körper auf die Unterlage. Bringt man den so gehobenen Arm hinter die Achse des Schultergelenkes, dann fällt eine wirklich paretische Extremität neben den Kopf des Patienten. Bei psychogenen Pseudopare- sen jedoch fällt der Arm meist neben den Rumpf. Muskelatrophien entwickeln sich als Folge der Inaktivität erst nach Wochen. Bei der elektromyographischen Untersuchung lassen sich normale motorische Potenziale ableiten. Bei dissoziativen Gangund Standstörungen finden sich starke Fluktuationen in Abhängigkeit von der sozialen Situation (Zuwendungschancen). Im Gegensatz zu organischen Gangstörungen erscheinen die Bewegungsabläufe energieaufwendig und manchmal bis zur Groteske unökonomisch oder artistisch. Oft ist der Gang verlangsamt mit eingeknickten Knien oder übertrieben ausfahrenden (ataktischen) Bewegungen, seitlichen Ausfallschritten, Nachziehen des Beines oder Daueranspannung der Zehen. Stürze werden durch phantasievolle Einbeziehung der Umgebung vermieden, z. B. indem die Patienten bei der Untersuchung in die Arme des Untersuchers schwanken. Wenn Stürze auftreten, kommt es zu keinen Verletzungen. Die Beine funktionieren im Liegen oft vollkommen normal. Der dissoziative Tremor gehört zu den häufigeren dissoziativen Bewegungsstörungen, betrifft meist den dominanten Arm und manifestiert sich als Ruhe-, Halte- und Intentionstremor. Bei dem Koaktivierungszeichen handelt es sich um ein nahezu sicheres Zeichen für die Diagnose eines psychogenen Tremors: Die Mehrzahl der Patienten mit psychogenem Tremor benutzt einen Klonusmechanismus zur Erzeugung des Tremors. Dieser ist nur einzuleiten, wenn die Antagonisten eines Gelenkes vorgespannt werden. Diese Vorspannung ist für den Untersucher beim passiven Durchbewegen der zitternden Extremität fühlbar. Dissoziative Myoklonien können segmental, generalisiert und/oder fokal verteilt sein. Kombinationen mit weiteren nicht organischen Funktionsstörungen wie Tremor, Dystonie und Gangstörung sind nicht selten. Intensität und Häufigkeit können – sowohl in Ruhe als auch bei Innervation – deutlicher als bei organischen Myoklonien variieren. Elektrophysiologische Untersuchungen (Elektromyografie, Startle-Reflex, Bereitschaftspotential) können bei der Differentialdiagnose hilfreich sein. Dissoziative Sensibilitäts- und Empfindungsstörungen Dissoziative Sensibilitätsstörungen entsprechen nicht der anatomischen Begrenzung bei einer zentralen oder einer radikulären bzw. peripheren Nervenläsion. Meist entspricht die angegebene Begrenzung laienhaften Vorstellungen und ist schneidermunsterförmig zirkulär an den Extremitäten und genau in der Mittellinie am Rumpf. Bei wiederholten Untersuchun- gen finden sich Veränderungen der angegebenen Areale (Markierung mit einem Stift) oder der Modalitäten (Berührung, Temperatur). Häufig kann der Patient mit angeblich völliger Gefühllosigkeit für Berührung, Schmerz empfinden, Temperatur und Erkennen von Gegenstände beim Betasten mit der Hand unterscheiden. Damit ist die erhaltene Berührungsempfindung bewiesen. Klagt ein Patient über einen einseitigen vollständigen Ausfall der Sensibilität an einzelnen Fingern, sollte man ihn seine beiden Hände auf dem Rücken verschränken lassen und dann die Sensibilität der Finger erneut prüfen. Das führt bei psychogenen Ausfällen zu vermehrten Fehlantworten. Dissoziative Empfindungsstörungen (Sehen, Hören, Riechen) sind insgesamt selten, Sehstörungen (Verschwommen- oder Tunnel-Sehen) sowie Hörstörungen sind überwiegend partiell ausgeprägt. Ätiologie und Pathogenese Die Ätiologie somatoformer Störungen ist bislang unzureichend geklärt. Häufig finden sich negative biografische Erfahrungen, wie z. B. Missbrauch oder Gewalt in der Vorgeschichte. Menschen mit Traumata vor dem 17. Lebensjahr (z. B. Scheidung der Eltern, Tod eines Elternteils, sexueller Missbrauch) entwickeln im späteren Leben häufiger körperliche Beschwerden als Menschen, die davon verschont wurden. Häufig werden somatoforme Symptome durch körperliche Vorschädigungen gebahnt. Begünstigend für die Entwicklung einer somatoformen Störung gelten eine psychische „Dünnhäutigkeit“ (Vulnerabilität), eine gesteigerte physiologische Reaktionsbereitschaft (z. B. gesteigertes Schmerzerleben) (1, 38), und eine reduzierte bzw. inadäquate Wahrnehmung für körperliche und geistige Anspannung (9, 19). Dabei spielen genetische Faktoren (Zwillingsstudien; 17), psychosoziale und familiäre Einflüsse (Lernen am Modell) (1, 7) eine bedeutsame Rolle. Die Eltern reagieren eher auf körperliche als auf emotionale Signale ihrer Kinder und schreiben körperliche Beschwerden somatischen Ursachen zu (somatische Beschwerdeattribution). Darüber hinaus sind kognitive Fehlbewertungen (Katastrophisierung) und ungünstige Konfliktbewältigungsstrategien (13, 22) sowie individuelle Persönlichkeitsmerkmale (hohe Ansprüche an die eigene Leistungsfähigkeit) und Störungen des Selbstwertgefühls (14, 36) wichtig. Für die Aufrechterhaltung der Symptome sind soziale und gesellschaftliche Aspekte (sekundärer Krankheitsgewinn) entscheidend. Dazu gehört die Gefahr einer iatrogenen Chronifizierung durch fortwährende in- Neuropädiatrie in Klinik und Praxis 7. Jg. (2008) Nr. 2 55 #5706_neuropa diatrie_02_08.indd 55 03.04.2008 13:30:39 Uhr Originalien/Übersichten vasive diagnostische und therapeutische Prozesse unter Ausblendung der psychogenen Genese (24). Auslöser und im Verlauf aufrechterhaltende Faktoren sind chronisch belastende Lebenssituationen, etwa schulische Überforderung, Integrationsprobleme bei Gleichaltrigen, überhöhte elterliche Erwartungen, aber auch aktuelle belastende Lebensereignisse, wie schwere Erkrankungen oder Tod eines Elternteils. Körperliche oder sexuelle Traumatisierungen sind überdurchschnittlich häufig bei Adoleszenten mit chronischen Somatisierungssymptomen anzutreffen (5, 42). Bei dissoziativen Symptomen gilt der Funktionsverlust als Ausdruck emotionaler Konflikte oder Bedürfnisse. Nach dem Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (DSM-IV) sollen sich die Symptome in zeitlicher Verbindung mit psychosozialen oder posttraumatischen Belastungssituation entwickeln. Die Übertragung von psychischen Konflikten auf körperliche Störungen erfolgt unbewusst. Als Mechanismus gilt die Abspaltung vom Bewusstsein durch Dissoziation (Spaltung). Der Begriff stammt von Janet zur Erklärung hysterischer Phänomene. Nach der psychoanalytischen Theorie Freuds werden unbewusste seelische Konflikte, Angst, psychische Wünsche und Strebungen in körperliche (somatische) Symptome „konvertiert“ (umgewandelt). Bei allen diesen Zuständen ist die integrative Leistung des Bewusstseins, der Identität, des Gedächtnisses oder der Wahrnehmung gestört. Der Patient hat keine willentliche Kontrolle über die Störung. Durch die Scheinlösung des Konfliktes bekommt das Symptom einen Angst reduzierenden Charakter („primärer Krankheitsgewinn“), der sekundäre Krankheitsgewinn (Zuwendung, Fürsorge) spielt bei der Chronifizierung eine wesentliche Rolle. Interessanterweise verändern psychoaffektive Prozesse die Aktivität zerebraler Bereiche, die bei der sensorischen Wahrnehmung beteiligt sind (44). Eine Studie mit Hirn-SPECT zeigte bei Patienten mit Konversionsstörungen eine selektive Unteraktivierung im Thalamus und eine Normalisierung dieser Aktivierung, wenn die Konversionsstörungen verschwinden und die Patienten den normalen bewussten Gebrauch ihres betroffenen Körperglieds zurückerhalten haben. Die Schwere der zerebralen Unteraktivierung war bei Patienten ausgeprägter, deren Störungen mehr als ein Jahr anhielten (3). Diagnostik Neben den klinischen Unterscheidungsmerkmalen ist bei Unsicherheiten eine gründliche apparative Ausschlussdiagnostik und ggf. eine Verlaufsbeobachtung notwendig. Gerade bei Dystonien kann die Unterscheidung zwischen psychogenen und organischen Ursachen sehr schwierig sein. Darüber hinaus ist eine Kombination von psychogenen und organischen Symptomen (z. B. Hysteroepilepsie) aufgrund der hohen Komorbidität von dissoziativen Störungen mit neurologischen Erkrankungen immer zu berücksichtigen. Mit diesen Voraussetzungen beträgt die Rate an Fehldiagnosen von Konversionsstörungen bei Erwachsenen nur ca. 4% entsprechend einer Metaanalyse von 1.466 Fällen im BMJ (40). Dagegen sind Fehldiagnosen in umgekehrter Richtung viel häufiger, mit z. T. erheblicher Konsequenz. So hatten 25% der Patienten mit der Diagnose einer Epilepsie eine Synkope und 8% mit der Diagnose einer MS eine Konversionsstörung (40). Darüber hinaus werden psychiatrische Kriterien über auslösende Belastungen in zeitlichem Zusammenhang für den positiven diagnostischen Nachweis gefordert (DSM IV). Nach Möglichkeit sollten alle Patienten mit dissoziativen Störungen eine psychopathologische Diagnostik erhalten. Allerdings eignen sich positive psychiatrische Kriterien nicht, um dissoziative Symptome zu „beweisen“. Prinzipiell ist die Diagnose einer dissoziativen Störung eine Ausschlussdiagnose durch den Kinderarzt bzw. Neurologen (26). Aus Unsicherheit tendieren Kinderärzte immer noch zu selten dazu, dissoziative Störungen zu diagnostizieren. Diese Einstellung ist nicht ohne Konsequenzen, da verschiedene Studien gezeigt haben, dass das Verschleppen der Diagnose einer dissoziativen Störung mit einer schlechteren Prognose assoziiert ist (24). In der Regel ist die stationäre Aufnahme für die Diagnostik und Aufklärung über die Psychogenese der Symptome besser geeignet als eine ambulante Behandlung. Bei Patienten mit dissoziativen und somatoformen Störungen findet sich eine hohe Komorbidität mit anderen psychiatrischen Erkrankungen, am häufigsten Depression, Angst und Selbstwertprobleme (7, 14, 31, 43). Sie sind mit einem erhöhten Risiko hinsichtlich der Chronifizierung der körperlichen Beschwerden verbunden (23). Häufig finden sie sich auch bei Familienangehörigen (30). tens die Vermittlung der unauffälligen Befunde (20). Dabei darf der Patient nicht das Gefühl bekommen „überführt“ zu werden. Die Symptome müssen ebenso ernst genommen werden wie die Aufklärung über deren Psychogenese (37). Frühzeitige psychologisierende Erklärungsversuche sollten vermieden werden, weil sie zu verstärkter Abwehr führen (24). Die Einstellung und Sensibilität des erstversorgenden Arztes ist als Weichensteller und ggf. Brückenbauers zu einer weiterführenden Behandlung entscheidend für den weiteren Verlauf. Wichtig ist in angemessener Weise nach Belastungsfaktoren und möglichen Traumatisierungen zu fragen, ohne dass die Eltern den Eindruck bekommen, im Voraus verdächtigt bzw. verurteilt zu werden. Finden sich diesbezüglich keine Anhaltspunkte, sollen die Eltern dahingehend beraten werden, die Symptome zu ignorieren und normale Verhaltensweisen zu verstärken. Meist verschwindet die Störung so abrupt, wie sie aufgetreten ist. Indikation für eine ambulante oder stationäre Psychotherapie sind Hinweise auf schwere Belastungsfaktoren (z. B. Traumatisierung), die Dauer der Symptome (über 3 Monate), Schulausfall, psychosoziale Chronifizierungsrisiken und psychische Komorbiditäten. Für den Behandlungserfolg ist die therapeutische Beziehung wichtiger als die psychotherapeutische Methode (29). Die sollte sich an den individuellen Bedürfnissen des Patienten orientieren. Zur Verfügung stehen mehrere effektive Therapieansätze wie z. B. die kognitive Verhaltenstherapie (20). Wichtige Aspekte sind ein Verständnis über Zusammenhänge zwischen Psyche und Körper zu vermitteln, das Selbstwertgefühl und Vertrauen in den eigenen Körper zu stärken, die (familiäre) Kommunikation um das Symptom und das Krankheitsverhalten zu ändern, Konfliktbewältigungsmöglichkeiten und ggf. soziale Kompetenzen zu trainieren und Möglichkeiten zu finden, das Leben freudvoller zu gestalten. Bezugspersonen müssen in die Therapie einbezogen werden, da sie immer zu der Aufrechterhaltung von dissoziativen und somatoformen Störungen beitragen. Nach Möglichkeit sollten die Patienten von Therapeuten betreut werden, die mit dissoziativen und somatoformen Störungen vertraut sind. Bedauerlicherweise sind Einrichtungen für Kinder und Jugendliche mit somatoformen bzw. dissoziativen Störungen noch dünner gesät als für Erwachsene. Therapie Prognose Grundlage der Therapie von dissoziativen und somatoformen Störungen ist erstens die sorgfältige Diagnostik und zwei- Dissoziative Störungen bilden sich bei Kindern und Jugendlichen nach einigen Wochen häufig von alleine zurück. Wenn Komorbidität 56 Neuropädiatrie in Klinik und Praxis 7. Jg. (2008) Nr. 2 #5706_neuropa diatrie_02_08.indd 56 03.04.2008 13:30:40 Uhr Originalien/Übersichten die Störung wiederholt auftritt, entwickelt sich häufig ein chronischer Verlauf mit ungünstiger Prognose. Dissoziative Symptome persistieren bei 14 bis 56 Prozent der Patienten mit Beginn der Erkrankung im Kindes- und Jugendalter, häufig bis ins Erwachsenenalter (18, 35). Ein früher Beginn, eine späte Diagnose, sowie ein längerer Zeitraum bis zum Behandlungsbeginn sind mit einem schlechteren Langzeitverlauf assoziiert (28). Untersuchungen bei Erwachsenen zeigen, dass 37-83 % der Patienten 2-16 Jahre nach Diagnosestellung immer noch Symptome haben (3, 10, 32, 39). Die Prognose ist besser wenn die Patienten lernen, ihre Symptome zu emotionalen Belastungen in Beziehung zu setzen (37). Aus diesem Grund ist eine frühzeitige Erkennung somatoformer Störungen im Kindes- und Jugendalter und deren adäquate Behandlung wichtig, um eine Chronifizierung zu verhindern. Literatur 1. Aromaa M, Sillanpaa M, Rautava P, Helenius H (2000) Pain experience of children with headache and their families: A controlled study. Pediatrics 106: 270–275 2. Bernstein GA, Massie ED, Thuras PD, Perwien AR, Borchardt CM, Crosby RD (1997) Somatic symptoms in anxious-depressed school refusers. J Am Acad Child Adolesc Psychiatry 1997; 36: 661–668 3. Binzer M, Andersen PM, Kullgren G (1997) Clinical characteristics of patients with motor disability due to conversion disorder: a prospective control group study. J Neurol Neurosurg Psychiatry 63: 83-85 4. Binzer MD, Kullgren G (1998) Motor conversion disorder, a prospective 2- to 5-year follow-up study. Psychosomatics 39: 519-527 5. 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Markus Blankenburg Zentrum für Neuropädiatrie, Entwicklungsneurologie und Sozialpädiatrie Vestische Kinder- und Jugendklinik Datteln Universität Witten/Herdecke Dr.-Friedrich-Steiner-Str. 5 D-45711 Datteln [email protected] Neuropädiatrie in Klinik und Praxis 7. Jg. (2008) Nr. 2 57 #5706_neuropa diatrie_02_08.indd 57 03.04.2008 13:30:40 Uhr Anmietung geeigneter Räumlichkeiten Tagungsbüro Teilnehmerverwaltung Hotelbuchungen Industrieausstellung Referentenbetreuung ORGANISATION Ihr leistungsstarker Partner mit über 30-jähriger Erfahrung Lassen Sie sich von uns beraten! 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Mit dem Preis sollen wissenschaftliche Leistungen auf dem Gebiet der sozialen Pädiatrie als Querschnittsfach in der Kinderheilkunde und Jugendmedizin unter Einschluss der Grenzgebiete ausgezeichnet werden. Um den Stefan-Engel-Preis können sich SozialpädiaterIn- nen, Kinderärzte/innen und Wissenschaftler aus nahestehenden Bereichen aus dem deutschen Sprachraum bewerben. Die Bewerber müssen bis zum 02.06.2008 ihre wissenschaftliche Arbeit in 5 Exemplaren einreichen an den Präsidenten der Deutschen Gesellschaft für Sozialpädiatrie und Jugendmedizin e.V., Herrn Prof. Dr. Harald Bode, Universitätsklinikum für Kinder- und Jugendmedizin, Sektion Sozialpädiatrisches Zentrum und Neuropädiatrie, Frauensteige 10, 89075 Ulm. Magnet-Impulse aufs Gehirn: Welche Hirn-Regionen arbeiten zusammen? Um das „Gehirn beim Denken“ zu beobachten, reicht Wissenschaftlern am Universitätsklinikum Göttingen die funktionelle MagnetresonanzTomographie (fMRT) nicht mehr aus. Die Forschergruppe MR-Forschung in der Neurologie und Psychiatrie „schockt“ das denkende Gehirn freiwilliger Versuchspersonen mit Magnet-Impulsen durch die Schädeldecke, während die Versuchspersonen in der MRTRöhre liegen. Die Magnetstimulation stört das Gehirn kurzzeitig „bei der Arbeit“, während die Probanden in der MRT-Röhre Bilder ansehen und Knöpfe drücken. Für die Teilnehmer ist das Verfahren unbedenklich und ohne Nebenwirkungen. Die gut platzierten, kurzen Magnet-Impulse durch den Schädel (transkraniale Magnetstimulation, TMS) unterbrechen kurzzeitig und räumlich begrenzt die Aktivität des betroffenen Gehirn-Bereiches (funktionelle Läsion). Ist die Versuchsperson in der MRT- Röhre gerade dabei, einen SehEindruck zu verarbeiten, kann ein gezielter Magnet-Impuls auf das Sehzentrum die Auswertung der Bild-Information verzögern. Lösen die Versuchspersonen eine Aufgabe langsamer, wird deutlich, dass eine wichtige Hirnregion getroffen wurde. In Versuchsreihen können die Forscher so erfahren, welche Hirn-Regionen in welcher Reihenfolge an welchem Denkprozess aktiv beteiligt sind. Die fMRT-Bilder zeigen zusätzlich, welche weiteren Hirnregionen „zusehen, aber nicht mitarbeiten“. Erstmals hat das Team um Dr. Jürgen Baudewig die fMRT- und die TMS-Methode jetzt in einem Forschungsprojekt kombiniert. Die Ergebnisse des „Uhren-Tests“ sind im März 2007 in der Internet-Version der Zeitschrift „Cerebral Cortex“ erschienen. Testpersonen in der MRT-Röhre sahen für einen kurzen Moment das Bild einer Uhr. Je nachdem, in welchem Winkel die Uhrzeiger zueinander standen, sollten die Testpersonen einen von zwei Knöpfen drücken. Zusätzlich gaben die Wissenschaftler kurz nach dem Bild einen MagnetImpuls auf eine Hirnregion, die, beidseitig unter der Schädeldecke, für die räumliche Koordination zuständig ist (parietaler Cortex). Technik allein lässt sich das nicht beantworten“. Weiterhin hoffen die Forscher, Ausfälle bestimmter Hirnregionen, die durch Unfälle oder Krankheit entstanden sind, „nachzustellen“. Durch „scheinbare Schädigungen“ (virtuelle Läsionen) des Gehirns gesunder Versuchs- Blau gegen rot dargestellt sind die veränderten Hirnaktivitäten auf der rechten Seite des Gehirns beim „Uhren-Test“ im MRT. (Foto: J. Baudewig, Göttingen). Für die Zukunft hoffen die Forscher durch die Kombination von fMRT und TMS auf grundlegende Erkenntnisse über die Funktion des Gehirns. „Interessant ist beispielsweise, warum manche Menschen auf einer Seite ihres Gesichtsfeldes nichts sehen, obwohl Augen, Nervenbahnen und Gehirn intakt scheinen. Mit der fMRT- personen könnte man mit Hilfe der fMRT und TMS-Technik diese Krankheiten simulieren und somit ihre Ursachen und Auswirkungen untersuchen. QUELLE: Universitätsmedizin Göttingen, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, presse. [email protected] Personalia In memoriam: Prof. Dr. Ansgar Matthes Am 15. Februar dieses Jahres ist in Kehl-Kork Prof. Dr. Ansgar Matthes verstorben, wenige Wochen vor seinem 84. Geburtstag. Seine Frau, seine beiden Töchter mit ihren Familien, seine Freunde, die früheren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an dem von ihm gegründeten Epilepsiezentrum Kork, seine Kolleginnen und Kollegen und eine große Zahl ehemaliger Patienten trauern um einen menschlich überaus liebenswerten, fachlich außerordentlich kompetenten, national und international hoch angesehenen und nicht zuletzt auch künstlerisch beeindruckenden Menschen. Wie kaum ein anderer hat Ansgar Matthes der Epileptologie in Deutschland in den ersten Jahrzehnten nach dem Neuropädiatrie in Klinik und Praxis 7. Jg. (2008) Nr. 2 59 #5706_neuropa diatrie_02_08.indd 59 03.04.2008 13:30:48 Uhr Mitteilungen 2. Weltkrieg entscheidende Impulse gegeben. Darüber hinaus kann er – zusammen mit Prof. Rolf Kruse – als ‚Gründungsvater’ der Gesellschaft für Neuropädiatrie bezeichnet werden: Die von ihm initiierte und zusammen mit Herrn Kruse geleitete ‚Neuropädiatrische Arbeitstagung’ im Oktober 1972 in Kork war gewissermaßen Geburtsstunde der Gesellschaft. Mit dem Tod von Ansgar Matthes ist nicht nur in Kork eine Ära zu Ende gegangen. Prof. Matthes hat selbst noch verfügt, dass nach seinem Tod keine öffentliche Trauerfeier, keine Laudationes, kein Nachruf erfolgen sollen. Diesen Wunsch gilt es selbstverständlich zu respektieren. So wollen wir es mit dieser Mitteilung belassen – in der Überzeugung, dass die Men- schen, die das Glück hatten, ihn zu kennen, in ihrem Innern ein sehr persönliches Memento halten werden, und mit dem Hinweis, dass im Heft 83 der Liga-Rundbriefe, dem Vorgänger-Organ der heutigen ‚Zeitschrift für Epileptologie’, eine sehr schöne Laudatio auf Prof. Ansgar Matthes nachzulesen ist, die von Prof. Hermann Doose abgefasst wurde, als Herr Matthes sich entschlossen hatte, aus dem aktiven beruflichen Leben am Korker Epilepsiezentrum auszuscheiden. Möge sich die griechisch abgefasste Aussage, die Ansgar Matthes, der große HellenenFreund, als Text für die Nachricht über seinen Tod ausgesucht hatte, in der Form, die er sich vorgestellt und gewünscht hatte, bewahrheiten: ‚Είμαι λέϕτερος’ (‚Ich bin frei’). Dr. Hansjörg Schneble Verschiedenes Aut-idem-Ankreuzen: bei Antiepileptika wichtiger denn je! G. KRÄMER1, C. ELGER2, D. DENNIG3, B. A. NEUBAUER4 (Ad hoc-Kommission der Deutschen Gesellschaft für Epileptologie) 1 2 3 4 Schweizerisches Epilepsie-Zentrum, Zürich Klinik für Epileptologie der Universität, Bonn Schwerpunktpraxis Epilepsie, Stuttgart Abteilung Neuropädiatrie, Sozialpädiatrie und Epileptologie des Universitätsklinikums Gießen und Marburg, Gießen Anlässlich der Einführung des Arzneimittelausgabenbegrenzungsgesetzes 2002 vertraten die Deutsche Gesellschaft für Epileptologie und die Deutsche Pharmazeutische Gesellschaft übereinstimmend die Auffassung, dass Antiepileptika wegen verschiedener Besonderheiten von der vorgesehenen Zwangsaustauschregelung ausgenommen werden sollten (1, 2). Bei der Bewertung verschiedener Wirkstoffe und Wirkstoffgruppen durch den gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA; oberstes Beschlussgremium der gemeinsamen Selbstverwaltung der Ärzte, Zahnärzte, Psychotherapeuten, Krankenhäuser und Krankenkassen in Deutschland) wurde in der Folge auch kein Antiepileptikum auf die bis Ende 2003 regelmäßig publizierten Listen „aut-idem“-tauglicher Präparate gesetzt. Deswegen erhielten Epilepsiepatienten bis Ende März 2008 in der Apotheke i.d.R. selbst bei nicht erfolgtem „aut-idem“-Ankreuzen auch das verordnete Präparat. Diese für die medikamentöse Epilepsiebehandlung beruhigende Situation hat sich jetzt aber grundlegend geändert. Der ohne Beteiligung der Ärzteschaft und der pharmazeutischen Industrie zwischen den Spitzenverbänden der gesetzlichen Krankenkassen und dem Deutschen Apothekerverband abgeschlossene und zum 1.4.2008 in Kraft getretene Rahmenvertrag (3) enthält Neuregelungen, die bei fehlendem „aut idem“-Kreuz zwangsläufig nicht nur zur Substitution führen, sondern die Auswahl des Präparates dem Apotheker überlassen. So heißt es in dem Vertrag: „Hat der Vertragsarzt ein Arzneimittel nur unter seiner Wirkstoffbezeichnung verordnet oder die Ersetzung eines unter seinem Produktnamen verordneten Fertigarzneimittels durch ein wirkstoffgleiches Arzneimittel nicht ausgeschlossen (aut idem), hat die Apotheke unter folgenden Voraussetzungen ein der Verordnung entsprechendes Fertigarzneimittel auszuwählen … : a) gleicher Wirkstoff, b) gleiche Wirkstärke, c) gleiche Packungsgröße, d) gleiche oder austauschbare Darreichungsform..., e) gleicher Indikationsbereich (im Falle der aut idem-Ersetzung), f) keine einer Ersetzung des verordneten Arzneimittels entgegenstehenden betäubungsmittelrechtlichen Vorschriften.“ Weiter heißt es: „Treffen die Voraussetzungen nach Satz 1 bei einer Krankenkasse für mehrere rabattbegünstigte Arzneimittel zu, kann die Apotheke unter diesen frei wählen.“ Im Gegensatz zur bisherigen Praxis wird nicht mehr gefordert, dass das Arzneimittel einer Gruppe wirkstoffgleicher Arzneimittel angehören muss, für die der G-BA positive Hinweise zur Austauschbarkeit gegeben hat. Jetzt wird davon ausgegangen, dass gleiche Darreichungsformen grundsätzlich austauschbar sind und Hinweise des G-BA für einzelne Wirkstoffe nicht erforderlich sind. Dies bedeutet in der Praxis, dass der Apotheker bei einem Antiepileptika-Rezept ohne „aut idem“-Kreuz überprüfen muss, welche Rabattverträge mit der jeweiligen Krankenkasse bestehen und dann gezwungen ist, das oder eines der dort genannten Präparate abzugeben. Kommt der Patient nach einigen Wochen oder Monaten wieder, geht in eine andere Apotheke oder wechselt die Krankenkasse, besteht darüber hinaus ein erhebliches Risiko, dass er erneut ein anderes Präparat erhält. Die Zulassungsbehörden erlauben für Generika ein Schwanken der Bioverfügbarkeit in einem Bereich von 80–125% der Referenzsubstanz, was für Antiepileptika im Gegensatz zu vielen anderen Pharmaka relevant sein kann. In Befragungen berichteten sowohl US-amerikanische (4) als auch deutschsprachige Neurologen und Neuropädiater (5) von häufigeren Problemen mit Anfallsrezidiven oder einer vermehrten Toxizität durch eine Substitution. Es verwundert daher nicht, dass solche Probleme nach Zwangsaustauschen von Antiepileptika bei 10–20 % der Patienten einer kanadischen Studie eine Rückumstellung erforderlich machten (6). 60 Neuropädiatrie in Klinik und Praxis 7. Jg. (2008) Nr. 2 #5706_neuropa diatrie_02_08.indd 60 03.04.2008 13:30:49 Uhr Mitteilungen Eine unkontrollierte Subsitution von Antiepileptika infolge der Rabattverträge ist nach Auffassung der Deutschen Gesellschaft für Epileptologie medizinisch nicht zu verantworten. Insbesondere nach Erreichen einer Anfallsfreiheit ist deren Aufrechterhaltung für die Betroffenen oft von erheblicher sozialer Bedeutung. Schon das einmalige Wiederauftreten eines epileptischen Anfalls kann erhebliche Folgen haben. Inwieweit ein Präparatewechsel bereits die Fahrtauglichkeit beeinträchtigt ist noch nicht geklärt. Bei den in Vorbereitung befindlichen Neuregelungen zur Kraftfahrertauglichkeit bei Epilepsie wird daher die Empfehlung ausgesprochen, anfallsfreien Patienten bei einem Präparatewechsel für sechs Monate vom Führen eines Kraftfahrzeuges abzuraten. Darüber hinaus sind die mit einem wiederholten Präparatewechsel verbundenen Risiken auch für alle anderen Epilepsiepatienten abzulehnen, also nicht nur für anfalls- und nebenwirkungsfrei eingestellte, sondern auch für solche mit Neueinstellungen oder Umstellungen. Der verschreibende Arzt ist verpflichtet, die möglicherweise aus dem Austausch resultierenden Probleme anzusprechen. Sollte er dies unterlassen, können im Falle negativer Folgen Haftungsprobleme entstehen. Die oft als wesentliches Argument für einen Präparateaaustausch genannte Kostenersparnis ist bei Antiepileptika zum Teil vernachlässigbar gering (7). So beträgt der Unterschied zwischen dem teuersten und günstigsten Präparat bei einer bereits seit langer Zeit festbetragsgeregelten Substanz wie der Valproinsäure nur 2% und beim Carbamazepin sind es 26%. Bei einer Substanz wie Lamotrigin, die erst seit Anfang 2008 einem Festbetrag unterliegt, ist das Gefälle mit 59% noch deutlich größer. Wie schon in früheren Stellungnahmen ausgeführt (8), spricht nichts gegen einen Einsatz preisgünstiger Präparate zu Beginn einer Therapie oder bei einer ohnehin erforderlichen Therapieumstellung, vorausgesetzt, die Behandlung wird dann kontinuierlich mit dem einmal gewählten Präparat weitergeführt. Die Deutsche Gesellschaft für Epileptologie nimmt die Einführung von Rabattverträgen daher zum Anlass, nochmals an ihre beiden früheren Stellungnahmen (1, 8) zu er- innern und alle Ärzte dazu aufzurufen, bei Antiepileptika-Rezepten grundsätzlich „aut idem“ anzukreuzen. Die Quote der im letzten Quartal 2007 „aut idem“-angekreuzten Antiepileptika-Rezepte lag für Valproinsäure nur noch bei 14,2%, für Oxcarbazepin bei 15,1%, für Carbamazepin bei 16,2% und für Lamotrigin bei 21,5% (9). Dies bedeutet in etwa eine Halbierung im Verlauf des Jahres 2007, für die in erster Linie die bereits einleitend erwähnte Tatsache verantwortlich sein dürfte, dass die Patienten bislang auch ohne „aut-idem“-Ankreuzen das verordnete Präparat erhielten. Nach Inkrafttreten der Rabattverträge zum 1. April muss dieser Prozentsatz aber wieder massiv gesteigert werden, weil ansonsten bei 80 bis 85% der Epilepsiepatienten die Präparatewahl ohne ärztliche Beteiligung getroffen wird und diese den mit dauernd wechselnden Präparaten verbundenen Risiken ausgesetzt werden. Literatur 1. Krämer G, Schneble H, Wolf P (ad hoc-Kommission der Deutschen Sektion der Internationalen Liga gegen Epilepsie): Risiken der neuen Aut-idem-Regelung für die Be- handlung mit Antiepileptika. Akt Neurol 2002; 29: 115–122 2. Blume H, Brauer KG, Dingermann T, Mutschler E, Zündorf I: Gute Substitutionspraxis – GSP. Dtsch Apoth Ztg 2002; 142: 1205–1214 3. Spitzenverbände der Krankenkassen und Deutscher Apothekerverband (DAV); Rahmenvertrag über die Arzneimittelversorgung nach § 129 Absatz 2 SGB V in der Fassung vom 17. Januar 2008 4. Wilner AN. Therapeutic equivalency of generic antiepileptic drugs: results of a survey. Epilepsy Behav 2004; 5: 995–998 5. Krämer G, Steinhoff B, Feucht M, et al. Generic preparations of antiepileptic drugs: experiences in Germany, Austria and Switzerland. Epilepsia 2007; 48: 609–611 6. Andermann F, Duh MS, Gosselin A, Paradis PE. Compulsory generic switches of antiepileptic drugs: high switchback rates to branded compounds compared with other drug classes. Epilepsia 2007; 48: 464–469 7. Informationsstelle für Arzneispezialitäten (IFA) GmbH, Frankfurt am Main. Große Deutsche Spezialitätentaxe (Lauertaxe). Stand 15.2.2008 8. Krämer G, Dennig D, Schmidt D, et al (ad hoc-Kommission der Deutschen Gesellschaft für Epileptologie). Generika in der Epilepsietherapie: Was ist zu beachten? Akt Neurol 2005; 32: 275–278 9. Aut-idem-Daten 2007. WaldemsEsch, Insight Health GmbH & Co. KG 2008 Hinweise für die Autoren I. Allgemeines Die Zeitschrift „Neuropädiatrie in Klinik und Praxis“ veröffentlicht sowohl von dem Herausgeber angeforderte als auch unaufgefordert eingereichte Manuskripte über alle Themen der Neurologie des Kindesund Jugendalters und ihrer Grenzgebiete. Die Publikationssprache ist deutsch. Die Manuskripte dürfen andernorts nicht publiziert oder zur Drucklegung angeboten sein. Die Zeitschrift und alle in ihr erhaltenen Beiträge und Abbildungen sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetztes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Bearbeitung in elektronischen Systemen. Den Autoren stehen 25 Sonderdrucke ihrer Arbeiten kostenfrei zur Verfügung. II. Redaktionsanschrift Alle Manuskripte (u.a. in Form einer Diskette im System Microsoft Word), einschl. Tabellen, Fotos und andere Bildvorlagen sind in dreifacher Ausfertigung zu richten an Herrn Prof. Dr. Fuat Aksu Vestische Kinder- und Jugendklinik Datteln Zentrum für Neuropädiatrie, Entwicklungsneurologie und Sozialpädiatrie (Z.N.E.S.) Postfach 1351 D-45704 Datteln Email: [email protected] III. Gestaltung der Manuskripte Manuskripte werden nur akzeptiert, wenn sie der folgenden Gliederung entsprechen: Titelblatt: Titel des Manuskriptes, Namen der Autoren (mit Initialen der Vornamen), Klinik/Institutsangaben und ggf. Danksagungen. Zusammenfassung: In deutscher und englischer Sprache mit Schlüsselwörtern und Key words. Titel des Manuskriptes in englischer Sprache. Text bei Originalarbeiten und Kasuistiken: Einleitung, Patienten/Methodik, Ergebnisse, Diskussion, Literatur, Adressen der Autoren, Email, Telefon- und Fax-Verbindung des federführenden Autors, Tabellen und Legenden zu den Abbildungen. Abbildungen und Tabellen: Die Abbildungen sind arabisch zu nummerieren und vom Text getrennt zu halten. Die Legenden sind auf gesonderten Blättern aufzuführen. Alle Abbildungsvorlagen sind auf der Rückseite mit dem Namen des Erst-Autors sowie „oben“ und „unten“ zu bezeichnen. Der Autor ist verantwortlich, dass die Reproduktion von Abbildungen, auf denen ein Patient erkennbar ist, vom Dargestellten bzw. dessen gesetzlichem Vertreter genehmigt worden ist. Auch die Tabellen sind arabisch zu nummerieren. Jede Tabelle muss eine kurze erklärende Unterschrift enthalten. IV. Texterstellung Der gesamte Text, einschl. Literaturverzeichnis, Tabellen und Abbildungslegenden, ist auf DIN-A4-Papier, einseitig geschrieben, 1- oder 2-zeilig mit maximal 30 Zeilen je Seite, einzureichen. Der linke Rand soll 3 cm betragen. Die im Text zitierten Arbeiten sind nach dem jeweils ersten Autorennamen alphabetisch anzuordnen und arabisch durchzunumerieren. Im Text sind nur die Zitatnummern in Klammern zu verwenden. Beispiele für das Zitieren: Zeitschriften: Sassen R, Kuczaty S, Lendt M et al. (2001) Epilepsiechirurgie im Kindes- und Ju- gendalter. Monatsschr Kinderheilkd 149: 1180-1189 Bücher: Gross-Selbeck G, Boenigk HE (2000) Diagnostische und therapeutische Prinzipien bei Epilepsien im Kindesalter. Leitlinien Kinderheilkunde und Jugendmedizin. Urban & Fischer, München, Jena Buchbeiträge: Elger CE, Kurthen M (1999) Predicting surgical outcome in epilepsy: how good are we? In: Schmidt D, Schachter SC (eds) Epilepsy problems solving in clinical practice. Martin Dunitz, London, pp 399-410 V. Manuskripte auf Diskette und/oder CD Verwenden Sie möglichst weit verbreitete Textverarbeitungsprogramme (z.B. Microsoft Word). Speichern Sie Tabellen, Abbildungen und Grafiken als separate Dateien und binden Sie diese nicht in den Text ein. Folgende Dateiformate können dabei verwendet werden: *.ppt, *xls, *.eps, *tif, *jpg, *wmf, *cdr und *ai. Pixelorientierte Abbildungen sind mit folgenden Auflösungen zu speichern: Graustufenbilder: 150 dpi, Farbbilder: 300 dpi, Strich: 1000 dpi. Neuropädiatrie in Klinik und Praxis 7. Jg. (2008) Nr. 2 61 #5706_neuropa diatrie_02_08.indd 61 03.04.2008 13:30:49 Uhr Mitteilungen Kongresse 03.-06.04.2008 Jena 34. Jahrestagung der Gesellschaft für Neuropädiatrie und 5. Fortbildungsakademie Information: ulrich.brandl@med. uni-jena.de www.neuropaediatrie-kongress.de 10.-12.04.2008 Magdeburg 52. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Klinische Neurophysiologie undfunktionelle Bildgebung Information: [email protected] www.conventus.de/dgkn2008 10.-11.04.2008 Otsu, Japan The 11th Annual Meeting of the Infantile Seizure Society (ISS): International Symposium on Febrile Seizures and Related Conditions (ISFS) Information: www.iss-jpn.info 18.-21.05.2008 Gargnano, Gardasee Optimierung der Versorgungsqualität Frühgeborener und ihrer Familien Information: www.comed-kongress.de 24.-26.04.2008 Bled, Slovenia th 7 International Congress on Cerebral Palsy Information: http://en.cpbled2008.eu Warschau, Polen International Conference: Diagnosis & Treatment in Pediatric Neurology Information: www.neuroped2008.pl 17.-21.05.2008 Istanbul, Türkei 7th International Congress of Headche in Children and Adolescents Information: www.ichca7.org th Newcastle upon Tyne, England 13 European Congress of Clinical Neurophysiology 13th World Muscle Society Congress Information: www.stiftungmichael.de Information: www. eccn2008istanbul. org Information: www.worldmusclesociety.org 28.-31.05.2008 Tokyo, Japan 50th Meeting of Japanese Child Neurology Information: [email protected]. ac.jp 29.-31.05.2008 Zürich, Schweiz 34. Jahrestagung der Gesellschaft für Neonatologie und Pädiatrische Intensivmedizin Information: www.mcon-mannheim. de 05.-07.06.2008 Kloster Frauenchiemsee 27.-31.08.2008 Athen, Griechenland 36. Interdisziplinärer Herbst-Seminar-Kongress für Sozialpädiatrie 2nd World Congress on Controversies in Neurology (CONY) Information: www.akademie-muenchen.de Information: www.comtecmed.com/ cony 11.-14.09.2008 Nizza, Frankreich 104. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin 2nd Congress of the European Academy of Paediatrics Information: www.kinderaerztekongress-muenchen-2008.de Information: [email protected] 16. Jahrestagung der DGPI Information: erika.prell@kinder-imed. uni-erlangen.de 13.-15.06.2008 Information: www.dgn2008.de 20.-25.09.2008 22.-26.06.2008 Berlin 9th World Congress of Perinatal Medicine Information: www.wcpm9.org 13.-15.11.2008 Stuttgart Prag, Tschechien 9. Stuttgarter Kinderanästhesietage 14th World Congress on Psychiatry Information: www.mcn-nuernberg.de Information: www.wpa.prague2008.cz Zagreb, Croatia 20th Annual Meeting of the EACD “Early diagnosis implies Early intervention” Information: www.kennes.com/paediatrics 24.-28.10.2008 10.-13.09.2008 81. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Neurologie mit Fortbildungsakademie Erlangen 24.-28.10.2008 München Hamburg 05.-07.06.2008 23.-26.10.2008 Brixen (Südtirol), Italien 12. Vogtareuther Neuropädiatrie-Workshop Information: www.eacd2008.com 14.-17.05.2008 Istanbul, Türkei 01.-04.10.2008 20. Praxisseminar über Epilepsie 18.-19.04.2008 Berlin 27.-31.08.2008 21.-25.09.2008 Berlin 8th European Congress on Epileptology 04.-06.06.2009 Vilnius, Lithuania 21th Annual Meeting of the EACD “From myth to evidence” Information: www.eacd2009.com Information: www.epilepsyberlin2008. org Chicago, IL, USA 12th Congress of the Movement Disorder Society Information: [email protected] Vorschau für das Heft 3 / 2008 20.-25.07.2008 Berlin 25th International Congress of Psychology Information: www.icp2008.org/home. html Originalien / Übersichten Prof. Dr. Wolfgang Sperl et al., Salzburg Diagnostik und Therapie der mitochondrialen Erkrankungen Anzeigeschluss: 1. 6. 2008 • Änderungen vorbehalten 62 Neuropädiatrie in Klinik und Praxis 7. Jg. (2008) Nr. 2 #5706_neuropa diatrie_02_08.indd 62 03.04.2008 13:30:49 Uhr #5706_neuropa diatrie_02_08.indd 63 03.04.2008 13:30:50 Uhr Mit Epilepsie so normal und so aktiv wie möglich leben Verschiedene Lebensbilder – Ein Antikonvulsivum ■ ■ ■ Breites Indikationsspektrum1 Hohe Anfallsfreiheit 2- 4 Beeindruckende Wirksamkeit 2- 5 Das erste Medikament entscheidet! 1 Keppra® Fachinformationen, Stand Januar 2007 2 Brodie MJ et al. Neurol 2007; 68: 402–408 3 Morrow J. EFNS 2006. Europ Jou Neurol 2006; 13(S2): 108–9, P1252 4 Andermann E et al. AES 2005. Epilepsia 2005; 46(S8): 205–6, 2.339 5 Privitera M. Epilepsia 2001; 42(S4): 31–5 Keppra® 250 mg, 500 mg, 750mg, 1000 mg Filmtabletten, Keppra® 100 mg/ml Lösung zum Einnehmen, Keppra® 100 mg/ml Konzentrat zur Herstellung einer Infusionslösung. Wirkstoff: Levetiracetam. Zusammensetzung: 1 Keppra® Filmtablette enthält 250, 500, 750, 1000mg Levetiracetam. Sonstige Bestandteile: Tablettenkern: Croscarmellose-Natrium, Macrogol 6000, hochdisperses Siliciumdioxid, Magnesiumstearat (Ph.Eur.); Filmüberzug: Polyvinylalkohol part. hydrolysiert, Titandioxid (E 171), Macrogol 3350, Talkum; Keppra® 250mg Filmtabletten zusätzlich: Indigocarmin-Aluminiumsalz (E 132); Keppra® 500mg Filmtabletten zusätzlich: Eisenoxidhydrat (E172); Keppra® 750mg Filmtabletten zusätzlich: Gelborange S-Aluminiumsalz (E 110), Eisen(III)oxid (E 172). 1ml Keppra® 100mg/ml Lösung zum Einnehmen enthält 100mg Levetiracetam. Sonstige Bestandteile: Natriumcitrat, Citronensäure Monohydrat, Methyl-4-hydroxybenzoat (E 218), Propyl-4-hydroxybenzoat (E 216), Ammoniumglycyrrhizat, Glycerol (E 422), Maltitol (E 965), Acesulfam-Kalium (E 950), Traubenaroma, gereinigtes Wasser. Eine 5-ml-Durchstechflasche Keppra® 100mg/ml Konzentrat zur Herstellung einer Infusionslösung enthält 500mg Levetiracetam. Sonstige Bestandteile: Natriumacetat, Essigsäure 99%, Natriumchlorid, Wasser für Injektionszwecke. Anwendungsgebiete: Monotherapie partieller Anfälle mit oder ohne sekundärer Generalisierung bei Patienten ab 16 Jahren mit neu diagnostizierter Epilepsie. Zusatzbehandlung partieller Anfälle mit oder ohne sekundärer Generalisierung bei Erwachsenen und Kindern ab 4 Jahren mit Epilepsie, Zusatzbehandlung myoklonischer Anfälle bei Erwachsenen und Jugendlichen ab 12 Jahren mit Juveniler Myoklonischer Epilepsie und Zusatzbehandlung primär generalisierter tonisch-klonischer Anfälle bei Erwachsenen und Jugendlichen ab 12 Jahren mit Idiopathischer Generalisierter Epilepsie. Keppra® 100mg/ml Konzentrat zur Herstellung einer Infusionslösung zusätzlich: Diese Darreichungsform ist eine Alternative für Patienten, wenn die orale Anwendung vorübergehend nicht möglich ist. Gegenanzeigen: Überempfindlichkeit gegenüber Levetiracetam bzw. anderen Pyrrolidon-Derivaten oder einem der sonstigen Bestandteile. Nebenwirkungen: ≥ 10%: allgemein: Asthenie/Müdigkeit; Nervensystem: Somnolenz. 1– <10%: Nervensystem: Amnesie, Ataxie, Konvulsion, Benommenheit, Kopfschmerzen, Hyperkinesie, Tremor, Gleichgewichtsstörungen, Aufmerksamkeitsstörungen, Beeinträchtigung des Gedächtnisses; Psyche: Agitation, Depression, emotionale Labilität/Stimmungsschwankungen, Feindseligkeit/Aggression, Insomnie, Nervosität/Reizbarkeit, Persönlichkeitsstörungen, abnormes Denken; gastrointestinal: Abdominalschmerzen, Diarrhoe, Dyspepsie, Nausea, Erbrechen; Stoffwechsel und Ernährung: Anorexie, Gewichtszunahme, das Risiko einer Anorexie ist höher, wenn Levetiracetam zusammen mit Topiramat verabreicht wird; Ohr und Innenohr: Schwindel; Augen: Diplopie, verschwommenes Sehen; Skelettmuskulatur, Bindegewebe und Knochen: Myalgie; Verletzungen, Vergiftungen und Folgekomplikationen: zufällige Verletzungen; Infektionen: Infektion, Nasopharyngitis; Atemwege: vermehrter Husten; Haut und Unterhautzellgewebe: Exanthem, Ekzem, Juckreiz; Blut- und Lymphsystem: Thrombozytopenie. Erfahrungen aus der Zeit nach der Zulassung: Nervensystem: Parästhesie; Psyche: abnormes Verhalten, Wut, Angst, Konfusion, Halluzination, psychotische Störungen, Suizid, Suizidversuch und suizidale Gedanken; gastrointestinal: Pankreatitis; Leber- und Gallenerkrankungen: Leberversagen, Hepatitis, abnormer Leberfunktionstest; Stoffwechsel und Ernährung: Gewichtsverlust; Haut und Unterhautzellgewebe: Haarausfall, in mehreren Fällen wurde nach dem Absetzen von Keppra® eine Besserung beobachtet; Blut- und Lymphsystem: Leukopenie, Neutropenie, Panzytopenie (bei einigen dieser Fälle wurde Knochenmarkdepression festgestellt). Warnhinweise: Falls Keppra® abgesetzt werden muß, sollte dies ausschleichend erfolgen. Bei einer begrenzten Anzahl von Patienten, die auf eine Zusatztherapie mit Keppra® ansprachen, konnte die antiepileptische Komedikation abgesetzt werden. Die vorhandenen Daten bei Kindern lassen keinen Einfluss auf das Wachstum und die Pubertät vermuten. Allerdings sind Langzeiteffekte hinsichtlich Lernverhalten, Intelligenz, Wachstum, endokrine Funktion, Pubertät und Gebärfähigkeit bei Kindern unbekannt. Ein Anstieg der Anfallshäufigkeit wurde von einem geringeren Anteil der mit Keppra® als der mit Placebo behandelten erwachsenen und pädiatrischen Patienten mit partiellen Anfällen berichtet. Bei Anwendung von Keppra® zur Behandlung primär generalisierter tonisch-klonischer Anfälle bei Erwachsenen und Jugendlichen mit Idiopathischer Generalisierter Epilepsie wurde kein Einfluss auf die Häufigkeit von Absencen festgestellt. Die Anwendung von Keppra® bei Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion kann eine Dosisanpassung erfordern. Bei Patienten mit schweren Leberfunktionsstörungen sollte die Nierenfunktion überprüft werden, bevor die Dosis festgelegt wird. Keppra® 100mg/ml Lösung zum Einnehmen zusätzlich: Die enthaltenen Parabene können (möglicherweise verzögert) allergische Reaktionen hervorrufen. Aufgrund des Inhaltsstoffes Maltitol sollten Patienten mit der seltenen hereditären Fructose-Intoleranz dieses Arzneimittel nicht einnehmen. Keppra® 100mg/ml Konzentrat zur Herstellung einer Infusionslösung zusätzlich: Das enthaltene Natrium pro Durchstechflasche ist bei Personen unter Natrium-kontrollierter (natriumarmer/kochsalzarmer) Diät zu berücksichtigen. Dosierungsangaben und Packungsgrößen: siehe Fach- und Gebrauchsinformation, Stand 01/2007. Verschreibungspflichtig. UCB S.A. Allée de la Recherche 60, B-1070 Bruxelles, Belgien. #5706_neuropa diatrie_02_08.indd 64 03.04.2008 13:31:11 Uhr