29. & 30.09.2014 Landesarbeitsgemeinschaft der Jugendsozialarbeit in Niedersachsen Seminarleitung & Inhalt: Monique Gockel Layout & Fotos: Matthias Wolter Vom Wissen zum Können Was kann ich tun? - Zum Umgang mit psychisch auffälligen Heranwachsenden - ©I-GSK 07/2013 Bildquelle: © dampoint / Fotolia.com – Bild-Nr. 24755998 – Zen water 1 • Psychologin M.Sc. & B.Sc., WWU Münster • Dozentin an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung NRW • Dozentin an der Polizeiakademie Niedersachsen • Tätigkeit in forensischer Psychiatrie & Suchtmedizin • Kommunikationsseminare • Partizipation an der Gutachtenerstellung im Bereich Familienrecht Vom Wissen zum Können Monique Gockel ©I-GSK 07/2013 2 Sie befinden sich in einem „Psychologischen Supermarkt“. Wählen und prüfen Sie die (inhaltlichen) Angebote und nur das, was Ihnen gefällt, nehmen Sie in Ihrem „Warenkorb“ mit nach Hause. Die Vortragsunterlagen ziehe ich Ihnen gern auf Ihren USB-Stick. Vom Wissen zum Können Zum Einstieg… ©I-GSK 07/2013 Bildquelle: © lexandr / Fotolia.com – Bild-Nr. 9922075 – einkaufswagen 3 Sorgen Sie dafür, dass es Ihnen im Seminar gut geht. Vom Wissen zum Können Zum Einstieg… ©I-GSK 07/2013 Bildquelle: © fffranz / Fotolia.com – Bild-Nr. 33330570 – Bla1 4 Informieren Sensibilisieren Aktivieren Daraus sollen sich… Bewusstsein Kompetenz Haltung … entwickeln. Vom Wissen zum Können Ziele des Seminars ©I-GSK 07/2013 5 Aber zunächst… Wie gehen Sie im Normalfall mit Konflikten um, was macht Sie im Umgang mit schwierigen Situationen aus? Bitte ordnen Sie sich einer Karte zu und sagen Sie einige Sätze zu… Ihrer Person Ihrem Tätigkeitsbereich Ihrer gewählten Karte Vom Wissen zum Können … möchte ich Sie kennenlernen ©I-GSK 07/2013 Bildquelle: © Pete Pahham / Fotolia.com – Bild-Nr. 44567813 – Frustrierter Geschäftsmann mit rotem Eimer auf dem Kopf 6 Was wir machen (können) Aufmerksamkeit Personenwahrnehmung Besonderheiten Soziale Bedürfnisse – worauf ich mich verlassen kann Pubertät – den Kaktus umarmen Stress – was geht und was geht nicht? Autismus & Asperger Depression Krisenkommunikation Selbstfürsorge – Dauerstress & Burnout Internetsucht Seminar Neue Medien ADHS Psychische Auffälligkeiten Heranwachsende mit psych. belasteten Eltern MMORPG Vom Wissen zum Können Mobbing Anerkennung Bindungsstörungen Angststörungen Borderline ©I-GSK 07/2013 7 • • • • (Krisen)Kommunikation Angststörungen im Jugendalter Bindungsstörungen & Borderline Heranwachsende mit psychisch belasteten Eltern Und immer wieder Fallbeispiele Vom Wissen zum Können Der Plan für heute ©I-GSK 07/2013 8 Vom Wissen zum Können Soziale Bedürfnisse ©I-GSK 07/2013 Bildquelle: © Stauke / Fotolia.com – Bild-Nr. 26939144 – Fragen auf Kreidetafel 9 Nicht allein unsere Erfahrung bestimmt, wie wir Reize interpretieren und auf sie reagieren. Vielmehr versucht jeder Mensch, grundlegenden Bedürfnissen nachzugehen und diese zu erfüllen. Interaktionelle Grundbedürfnisse spielen eine zentrale Rolle. Vom Wissen zum Können Warum wir uns verhalten, wie wir uns verhalten… ©I-GSK 07/2013 10 Anerkennung Wichtigkeit / Aufmerksamkeit Verlässlichkeit Solidarität Autonomie Abgrenzung Vom Wissen zum Können Auf der Suche nach … ©I-GSK 07/2013 11 Beziehungsmotiv: Anerkennung Etwas, was eine andere Person über mich aussagt, ist mir wichtig Positive Rückmeldung ‚Du bist okay.‘ ‚Das trauen wir Dir zu.‘ Negative Rückmeldung ‚Was Du anfasst, geht schief.‘ Positives Selbstschema ‚Ich bin okay, so wie ich bin.‘ ‚Ich habe Fähigkeit XY.‘ ‚Ich kann mich auf mich verlassen‘ Negatives Selbstschema ‚Ich bin ein Versager.‘ ‚Ich kann nichts.‘ ‚Ich bin nicht liebenswert.‘ Positives Beziehungsschema In Beziehungen wird man anerkannt. In Beziehungen werden positive Eigenschaften bemerkt. In Beziehungen wird man gemocht. Negatives Beziehungsschema In Beziehungen wird man abgewertet Von Partnern wird man kritisiert Man wird ständig niedergemacht. Vom Wissen zum Können Motiv: Anerkennung ©I-GSK 07/2013 12 Ausgangspunkt: Ein Kind hat ein natürliches Bedürfnis nach Wichtigkeit und nach Signalen wie… • ‚Wir sind gerne mit Dir zusammen.‘ • ‚Du bist eine Bereicherung für unser Leben.‘ • ‚Mit dir macht das Leben Spaß.‘ • ‚Wir nehmen Dich ernst, hören Dir zu.‘ Bekommt das Kind diese Zeichen für von ihm gezeigtes Verhalten, verstärkt es dieses Verhalten und kann authentisch bleiben.. Vom Wissen zum Können Mal ganz konkret ©I-GSK 07/2013 Bildquelle: © Gina Sanders / Fotolia.com – Bild-Nr. 9610100 – Vater und Sohn © Malena und Philipp / Fotolia.com – Bild-Nr. 6404172 – Mutter und Kind 13 Eltern kümmern sich nicht um das Kind, das Kind erhält Botschaften wie… ‚Du störst.‘ ‚Du bist lästig.‘ ‚Was Du tust und erzählst, interessiert uns nicht.‘ Negatives Selbstschema Ich bin nicht wichtig, Niemand interessiert sich für mich. Keiner hört mir zu. Negatives Beziehungsschema Beziehung = Keine-Aufmerksamkeit-Bekommen = Nicht-ernst-genommen-werden Kind deutet nun alle Signale als Ablehnung seiner Person. Bsp.: Blick auf die Uhr = Interpretation: Ich langweile mein Gegenüber. Vom Wissen zum Können Aber was, wenn nicht? ©I-GSK 07/2013 14 Wenn Interaktionspartner nicht bereit sind, Zeichen der Wichtigkeit freiwillig zu setzen… Aufmerksamkeit erregen a) Entwicklung körperlicher Symptome b) Unangepasstes Verhalten Strategien, um den anderen zu zwingen, gewünschte Reaktionen zu zeigen Erwartungsgemäßes Verhalten Mutter hätte gern ein kluges, aufgewecktes, unterhaltsames Kind Kind verhält sich entsprechend, produziert sich auf Feiern, erzählt spannende Geschichten 15 Vom Wissen zum Können Der Umweg zum Ziel… ©I-GSK 07/2013 15 Interaktionspartner geben nur Aufmerksamkeit, solange das Kind/der Jugendliche aktiv ist. Das Kind lernt: 1. Nur wenn ich aktiv etwas tue, erhalte ich Aufmerksamkeit. 2. Wenn ich mich nur so verhalte, wie ich bin, wird mein Bedürfnis nicht befriedigt. = Das Kind wird nicht darin bestärkt, authentisch zu sein, sondern vermehrt Strategien der Aufmerksamkeitsgewinnung einzusetzen. Vom Wissen zum Können Umwege als Manipulation Ergebnis: dysfunktionale Strategien zur Beziehungsgestaltung & unerfülltes Bedürfnis nach Wichtigkeit ©I-GSK 07/2013 16 Nennen Sie 5 Dinge, die Sie richtig gut können. Teilen Sie sich in Gruppen auf und sammeln Sie am Flipchart 5 Dinge, die Sie ALLE sehr gut können. Vom Wissen zum Können Was kann ich sehr gut? ©I-GSK 07/2013 Bildquelle: © Fotolia.com – Bild-Nr. 5886925 – Schatten-Jubel 17 Wir alle haben Grundbedürfnisse, die uns wichtig sind und die unser Verhalten maßgeblich bestimmen. Werden sie nicht erfüllt, werden wir kreativ, um zu bekommen, was wir brauchen. Aber: Gerade Heranwachsende haben zusätzliche Bedürfnisse & Aufgaben. Vom Wissen zum Können Erste Erkenntnisse ©I-GSK 07/2013 Bildquelle: © Gina Sanders / Fotolia.com – Bild-Nr. 53562920 – Frische Möhren auf Stock 18 - oder die Kunst, einen Kaktus zu umarmen... Vom Wissen zum Können Pubertät ©I-GSK 07/2013 19 Pubertät Womit werden Sie diesbezüglich konfrontiert? Bitte teilen Sie sich in 2 Gruppen und sammeln sie 10 min. lang, was Sie unter dem Begriff verstehen. Vom Wissen zum Können Was kennzeichnet Pubertät in Ihren Augen? ©I-GSK 07/2013 Bildquelle: © pico / Fotolia.com – Bild-Nr. 43463878 - Teamwork 20 Pubertät ist keine Krankheit ... suchen Jugendliche verstärkt Kontakt zu Gleichaltrigen ... bilden sie Cliquen, orientieren sich an ihrer Peer-Gruppe ... entwickeln Jugendliche ihren eigenen Stil ... möchten Jugendliche „cool“ wirken ... sind Jugendliche oftmals extrem in ihren Standpunkten ... sind Jugendliche „idealistisch“ ... lehnen sich Jugendliche gegen Autoritäten auf ... schämen sich Jugendliche für ihre Eltern ... schwänzen Jugendliche die Schule Vom Wissen zum Können Ganz konkret... ©I-GSK 07/2013 Bildquelle: © Sandro Götze / Fotolia.com – Bild-Nr. 467580 – group 21 Vorpubertät (10 – 12 Jahre) Betroffensein von Neuem Störung des bisherigen Gleichgewichts Wendung nach innen Pubertät (13 – 17 Jahre) Phase des Experimentierens Ausprobieren des Ausgefallenen Grenztestung Adoleszenz (18 – 20 Jahre) Wiederfinden des Gleichgewichts erste Bewährungen erste feste Partnerschaften Postadole szenz (21 - ? Jahre) Stabilisieru ng Vom Wissen zum Können Entwicklung in Phasen... ©I-GSK 07/2013 22 Aufgaben der Pubertät neue und reifere Beziehungen / Freundschaften zu den Gleichaltrigen aufbauen Kulturabhängigkeit Übernahme der weiblichen / männlichen Geschlechtsrolle Akzeptieren der eigenen körperlichen Erscheinung Zeitpunkt Ablösung von den Eltern und anderen Erwachsenen Vorbereitung auf Ehe und Familienleben Vorbereitung auf eine berufliche Karriere Werte und ein ethisches System erlangen, das als Leitfaden für Verhalten dient Interdependenz der Aufgaben Vom Wissen zum Können Entwicklungsaufgaben von Havighurst sozial verantwortliches Verhalten erstreben und erreichen ©I-GSK 07/2013 23 Durch Bewältigung der Entwicklungsaufgaben kommt es zur Bildung einer Identität. Der Begriff Identitätsentwicklung beschreibt einen der zentralsten Aspekte der Persönlichkeit („master trait“): die Reife der eigenen Handlungslogik. Darunter versteht man, wie eine Person die Welt, die Situationen, in denen sie sich befindet, sowie sich selbst wahrnimmt und interpretiert. Vom Wissen zum Können Wer bin ich? ©I-GSK 07/2013 Bildquelle: © photocrew / Fotolia.com – Bild-Nr. 19879592 – Wer Was Wo 24 Mädchen... ... brauchen Beziehungen zu Jungen, um etwas zu gelten ... stellen beim ersten Freund ihre Freundinnen als zweitrangig zurück ... definieren ihre Mädchengruppen als Halt und Konkurrenz zugleich. Merkmale: ☒ ziehen sich oftmals stark zurück ☒ fühlen sich hässlich ☒ wollen ihre „Reize“ erproben ☒ ekeln sich vor Berührungen ☒ wollen als Frau bestätigt werden Vom Wissen zum Können Weil ich ein Mädchen bin... ©I-GSK 07/2013 Bildquelle: © gillsans / Fotolia.com – Bild-Nr. 25667278 – Girl_Boy 25 Jungen... ... konstituieren ihre Männlichkeit ... überspielen durch ihre Gewaltbereitschaft eigene Schwächen ... werten Mädchen sexistisch ab ... identifizieren sich durch die Medien mit Männern Merkmale: hohe Risikobereitschaft Neigung zu „Hahnenkämpfen“ weniger einfühlsam besonders gefährdet durch Suizid: 2/3 der Suizidtoten sind Jungen, 2/3 der Versuche werden von Mädchen verübt Vom Wissen zum Können Ein echter Mann?! ©I-GSK 07/2013 Bildquelle: © gillsans / Fotolia.com – Bild-Nr. 25667278 – Girl_Boy 26 ☒ Befehle, Anweisungen, Forderungen ☒ Drohungen, Warnungen ☒ Moralpredigten ☒ Ratschläge, Lösungen anbieten ☒ Urteil, Beschuldigung, Kritik ☒ Beschimpfungen, lächerlich machen ☒ Interpretation ☒ In Frage stellen, Verhöre ☒ Themenwechsel Vom Wissen zum Können Roadblocks... ©I-GSK 07/2013 Bildquelle: © Mopic / Fotolia.com – Bild-Nr. 42023692 – Brick wall blocking the doorway 27 Nicht nur die „üblichen“ menschlichen Grundbedürfnisse sind im Umgang mit Jugendlichen relevant. Vom Wissen zum Können Weitere Erkenntnisse Es gibt Aufgaben und Bedürfnisse, die speziell während des Heranwachsens für Jugendliche wichtig sind. ©I-GSK 07/2013 Bildquelle: © Patrizia Tilly / Fotolia.com – Bild-Nr. 16491624 – teens 11 28 Vom Wissen zum Können Personenwahrnehmung ©I-GSK 07/2013 Bildquelle: © mrr / Fotolia.com – Bild-Nr. 4051455 – menschen 29 Lesen Sie die folgende kurze Personenbeschreibung durch, und vermerken Sie dann auf der nachfolgenden Skala, was für ein Mensch die beschriebene Person Ihrer Meinung nach ist. „Tom öffnete die Tür zum Restaurant, ließ einem Paar den Vortritt und betrat dann das Lokal. Dort fragte er den Kellner höflich nach einem Tisch. Kaum hatte er sich gesetzt, kam seine Partnerin. Er stand sofort auf, half ihr aus dem Mantel und rückte ihr beim Setzen den Stuhl zurecht.“ Vom Wissen zum Können Eine Geschichte… ©I-GSK 07/2013 Bildquelle: © crow / Fotolia.com – Bild-Nr. 24462051 – fragezeichen-button-schwarz 30 Was für ein Mensch ist diese Person? Bitte schätzen Sie Tom auf jeder der nachfolgenden Adjektiv-Skalen ein, und bedienen Sie sich dabei folgender 5-Punkte-Bewertung: 1 2 3 4 5 = = = = = trifft auf die Person überhaupt nicht zu trifft kaum zu kann ich nicht sagen trifft ein bisschen zu trifft in hohem Maße zu intelligent freundlich warmherzig höflich dominant charmant _____________ _____________ _____________ _____________ _____________ _____________ extravertiert kompetent gut aussehend zuversichtlich impulsiv beliebt _____________ _____________ _____________ _____________ _____________ _____________ Vom Wissen zum Können Tom als Mensch… ©I-GSK 07/2013 31 Der Mensch trifft in der Regel innerhalb weniger Sekunden eine Einschätzung über Sympathie oder Antipathie des Gegenübers. Dieser Eindruck wirkt sich auf die Interaktion aus. Personen, die uns sympathischer sind, treten wir freundlicher entgegen, wobei in der Regel diese Freundlichkeit dann auch erwidert wird. Personen mit "ähnlichen Merkmalen" (z.B. gleicher Dialekt oder gleiche Universität) erhalten einen Sympathiebonus. Vom Wissen zum Können Der erste Eindruck… ©I-GSK 07/2013 32 Die „Kevins“ dieser Welt Balance-Theorie nach Heider beschäftigt sich mit triadischen Beziehungen, d.h. mit den Beziehungen der Einstellungen zwischen zwei Personen und einem Objekt. Es spielen also drei Einstellungen eine Rolle: die Einstellung von Person A zu Person B und die jeweiligen Beziehungen der Personen zu einem Objekt. Die jeweilige Beziehung kann positiv (+) oder negativ (-) sein. Vom Wissen zum Können Warum sie sich immer finden: ©I-GSK 07/2013 33 Vom Wissen zum Können Der erste Eindruck… ©I-GSK 07/2013 Bildquelle: © Andres Rodriguez / Fotolia.com – Bild-Nr. 10341756 – group of doctors in a hospital in a line © FotolEdhar / Fotolia.com – Bild-Nr. 50112315 – Portrait of a successful businessman giving a hand 34 7% Inhalt 38 % Stimme 55 % Kleidung und Körpersprache Vom Wissen zum Können Der erste Eindruck… ©I-GSK 07/2013 35 Der Halo-Effekt ist ein Beurteilungsfehler bzw. Wahrnehmungseffekt. Einzelne Eigenschaften einer Person (z. B. Attraktivität, Behinderung, sozialer Status) erzeugen einen Gesamteindruck, der die weitere Wahrnehmung der Person „überstrahlt“. Der Effekt tritt häufig dann auf, wenn sich der zu Beurteilende durch besonders hervorstechende, ausgeprägte Eigenschaften oder Verhaltensweisen auszeichnet. Der Einfluss des Halo-Effektes ist besonders stark, wenn der Beurteiler speziell auf eine Verhaltensweise oder ein Merkmal Wert legt und dieses entsprechend überbewertet. Vom Wissen zum Können Ein deutliches Merkmal ©I-GSK 07/2013 Bildquelle: © mankale / Fotolia.com – Bild-Nr. 5671856 – Punk 36 Und im Alltagsleben? Unbekannte Situationen beängstigen, machen unsicher. Verunsicherung/Desorientierung stört das persönliche Gleichgewicht mit unserer Umwelt. Drängen auf Ausgleich (Sicherheit) Der erste Eindruck hilft beim Überwinden des Unbekannten. Achtung: Begrenzter Wert, da sehr stark von subjektiven Einflüssen abhängig. Achtung: Je komplexer die Situation, desto unsicherer der erste Eindruck. Achtung: Fehlerquellen bewusst machen Vom Wissen zum Können Bedeutung des „Ersten Eindrucks“ ©I-GSK 07/2013 37 Definition: Voraussage oder Erwartung, die ihre eigene Erfüllung verursacht Vom Wissen zum Können Die sich selbst erfüllende Prophezeiung ©I-GSK 07/2013 38 Der 5jährige Niklas wird Bademeister Schröder als ausgesprochenes sportliches Talent vorgestellt. Seitdem hält er Niklas für jemanden, der eine Begabung für‘s Schwimmen hat. Niklas profitiert davon und macht große Fortschritte. Bademeister Schröder sieht großes Potential in seinem Schützling und fördert ihn. Letztendlich lernt Niklas viel schneller Schwimmen als seine Kameraden, obwohl er mit den gleichen Voraussetzungen zum Unterricht gekommen ist. Vom Wissen zum Können Ein Kreislauf… ©I-GSK 07/2013 39 Niemand ist immun gegen den Effekt, den der erste Eindruck eines Menschen auf uns hat. Wichtig ist, sich dieser Mechanismen bewusst zu werden und die eigene Wahrnehmung zwischendurch zu hinterfragen. Vom Wissen zum Können Weitere Erkenntnisse ©I-GSK 07/2013 Bildquelle: © photocrew / Fotolia.com – Bild-Nr. 20925800 – Eureka 40 Vom Wissen zum Können Depression und Suizid ©I-GSK 07/2013 Bildquelle: © James Peragine / Fotolia.com – Bild-Nr. 16812833 – Unhappy Depressed Woman 41 Gibt es ein konkretes Fallbeispiel? Was bereitet Ihnen besonders Sorgen? Mit welchem Verhalten haben Sie Schwierigkeiten? Vom Wissen zum Können Depression – ein Beispiel? ©I-GSK 07/2013 Bildquelle: © LUCKAS / Fotolia.com – Bild-Nr. 49344436 – Teamgeist als Puzzle mit einem toten Teil 42 Mindestens 5 der folgenden Kriterien müssen während 2 Wochen vorgelegen haben: • depressive Verstimmung an fast allen Tagen für die meiste Zeit des Tages • deutliches vermindertes Interesse oder verringerte Freude an fast allen Aktivitäten • deutlicher Gewichtsverlust oder Gewichtszunahme • Schlaflosigkeit oder vermehrter Schlaf • psychomotorisch Unruhe oder Verlangsamung • Müdigkeit oder Energieverlust • Gefühle von Wertlosigkeit oder unangemessene Schuldgefühle • verminderte Fähigkeit zu denken oder sich zu konzentrieren, verringertes Entscheidungsvermögen • wiederkehrende Gedanken an den Tod, wiederkehrende Suizidgedanken ohne konkreten Ausführungsplan Vom Wissen zum Können Depression im Detail ©I-GSK 07/2013 43 Psyche Es gibt umfassende Auswirkungen auf allen drei Ebenen! Körper Verhalten Vom Wissen zum Können Auf drei Ebenen betrachtet ©I-GSK 07/2013 44 Psychische Symptome - Denken, Fühlen, Motivation sind beeinträchtigt! Niedergeschlagenheit Gefühl der Sinnlosigkeit Interesselosigkeit verminderte Konzentration und Aufmerksamkeit vermindertes Selbstwertgefühl/Selbstvertrauen Schuldgefühle Gefühle von Wertlosigkeit Negative/pessimistische Zukunftsperspektiven Suizidgedanken Körperliche Symptome Gewichtsabnahme, verminderter Appetit oder Gewichtszunahme Schlafstörungen: Durchschlafstörungen, Morgentief oder vermehrter Schlaf Druck- und Engegefühl im Hals und über der Brust Schweißausbrüche, Herzklopfen, rheuma-ähnliche chronische Schmerzzustände sexuelle Lustlosigkeit Kraftlosigkeit und fehlende Frische, rasche Erschöpfbarkeit Vom Wissen zum Können Körper & Seele ©I-GSK 07/2013 Bildquelle: © Sebastian Kaulitzki / Fotolia.com – Bild-Nr. 1409124 - waage 45 sozialer Rückzug psychomotorische Hemmung / Agitiertheit veränderte (Körper) - Sprache Antriebslosigkeit / Apathie Suizid, Suizidversuche, Suizidankündigungen Vom Wissen zum Können Verhaltensänderungen ©I-GSK 07/2013 46 Belastungen durch Krankheit 10 8,3 8 Mit Beeinträchtigung gelebte Lebensjahre (in Mio.) 7 6 6,3 5,3 5 4 3,7 3,7 3,4 2,8 3 2 1 0 2,2 1,6 1,5 Vom Wissen zum Können 9 ©I-GSK 07/2013 47 Rund 6% der Bevölkerung leiden gegenwärtig unter einer depressiven Erkrankung Die Wahrscheinlichkeit, irgendwann im Leben an einer Depression zu erkranken, liegt bei 11,6 %. Frauen sind ungefähr doppelt so häufig betroffen wie Männer (8,1% vs. 3,8%) Vom Wissen zum Können Depressionen in Deutschland Erkrankung betrifft alle Gesellschafts- und Altersgruppen ©I-GSK 07/2013 48 • Ca. 1% im Vorschulalter • 2-3 % bei Schulkindern • 9,4 – 18,5 % bei Jugendlichen • Bis zur Pubertät keine Geschlechtsunterschiede Vom Wissen zum Können Depressionen im Kindes- & Jugendalter ©I-GSK 07/2013 49 • • • • Geringe Frustrationstoleranz Impulsive Ausbrüche/Reizbarkeit Kopf- & Bauchschmerzen Berichte über Traurigkeit Vom Wissen zum Können Depressionen im Kindes- & Jugendalter ©I-GSK 07/2013 50 dauerhaft beschwerdefrei Einzelne depressive Episode (Knapp die Hälfte der Betroffenen erlebt nur eine einzelne depressive Phase) Vom Wissen zum Können Depressionen im Verlauf ©I-GSK 07/2013 51 Depressionen im Verlauf Dysthymie Dauer einer unbehandelten Episode: 3 – 6 Monate Vom Wissen zum Können Schwere, rezidivierende Depression Beschwerdefrei: mehrere Jahre Im Einzelfall sehr unterschiedlich ©I-GSK 07/2013 52 Manisch Depressive Erkrankung (Bipolare affektive Störung) Neben depressiven Phasen auch Zustände mit übermäßiger Aktivität, gehobener Stimmung, allgemeiner Angetriebenheit, manchmal auch Gereiztheit Vom Wissen zum Können Depressionen im Verlauf ©I-GSK 07/2013 53 Kein ätiologischer Faktor kann den Anspruch erheben, alleiniger Verursacher einer Depression zu sein. Depression ist bedingt durch: Genetische Faktoren: … geringe Frustrationstoleranz … niedrige Reiz- und Hemmschwelle … hohes allgemeines Erregungsniveau + + Psychologische Faktoren: … dysfunktionale Selbstschemata … Mangel an positiver Verstärkung … Mangel an Bewältigungsstrategien Aspekte der Persönlichkeit: … Soziotropie (Abhängigkeit von Bezugspersonen und deren Urteil) … zwanghafte, rigide Persönlichkeitszüge … Introversion … emotionale Instabilität Vom Wissen zum Können Vom Pessimismus zur Depression ©I-GSK 07/2013 Bildquelle: © ktsdesign / Fotolia.com – Bild-Nr. 10090054 - Neurons 54 Negatives Selbstschema Negatives Bild von der Welt Depressiver beurteilt sich als fehlerhaft, unzulänglich, krank oder benachteiligt. Erfahrungen und Umwelt werden negativ interpretiert. Negatives Zukunftserwartung Depressiver erwartet, dass momentane Schwierigkeiten und Leiden weitergehen. Vom Wissen zum Können Durch die Brille des Pessimismus ©I-GSK 07/2013 55 • Selektive Verallgemeinerungen • Übergeneralisierung • Maximierung & Minimierung • Personalisierung • verabsolutierendes, dichotomes Denken Self-fulfilling prophecy Vom Wissen zum Können Filter des Denkens ©I-GSK 07/2013 56 • Depression ist nicht „nur“ Trauer • Betroffene sind in ihrer Lebensführung stark beeinträchtigt Wir bewegen uns auf einem schmalen Grad zwischen Aktivierung und Überforderung Vom Wissen zum Können Weitere Erkenntnisse ©I-GSK 07/2013 57 • • • • 10-15 % mit rezidivierender Depression versterben durch Suizid 20-60 % weisen einen Suizidversuch auf. 40-70 % leiden an Suizidideen. Bei 90 % der Suizidenten lagen psychiatrische Erkrankungen im Vorfeld vor, am häufigsten Depression (40-70 %). Vom Wissen zum Können Suizid – nicht aus heiterem Himmel… ©I-GSK 07/2013 58 Todesursachen 2012 Suizid Drogen 944 Verkehr Mord/ Totschlag Aids 3827 578 550 Vom Wissen zum Können 9.890 Daten des Bundesamtes für Statistik/Gesundheitsberichterstattung des Bundes von Dezember 2013 74% Männer, 26% Frauen ©I-GSK 07/2013 59 Erhängen/Ersticken; 4.446 Sturz in die Tiefe: 996 Vergiftung durch Medikamente & Drogen: 805 Überfahren lassen: 718 Durch Handfeuerwaffen: 216 Durch sonstige Feuerwaffen: 423 Durch Gase & Dämpfe: 424 Durch scharfen Gegenstand: 401 Vom Wissen zum Können Suizid – nach Art der Methode 2012… ©I-GSK 07/2013 60 drängende Suizidgedanken große Hoffnungslosigkeit und starke Schuldgefühle starker Handlungsdruck („ich halte das nicht länger aus!“) starke Impulsivität (erhöhte Gefahr bei Drogen- oder Alkoholkonsum) zunehmender sozialer Rückzug Verabschiedung von Menschen, Verschenken von Wertgegenständen Regelung letzter Dinge (Testament, Versicherungen, Papiere) offene und verdeckte Ankündigung von Suizid/konkrete Suizidpläne oder Vorbereitung suizidaler Handlungen Vom Wissen zum Können Suizid – wann wird es ernst? ©I-GSK 07/2013 61 Anzahl betroffener Menschen Mäßige Suizidgefahr Passive Todeswünsche Erwägung Suizidgedanken Suizidideen Hohe Suizidgefahr Suizidpläne Vorbereitungen Ambivalenz Suizidale Handlungen Vom Wissen zum Können Vom Gedanken zur Tat… Entschluss ©I-GSK 07/2013 62 Mythos Wer darüber redet, tut es nicht. Realität 75-80% kündigen Suizid an (WHO) Wer es erfolglos versucht hat, will es mind. 80% der Suizide nicht wirklich tun und wird es nicht vorherigem Versuch (WHO) durchziehen. Suizid ansprechen bringt die Kein Risiko Personen erst auf die Idee, sich provozieren. umzubringen. einen Suizid nach zu Vom Wissen zum Können Mythen… ©I-GSK 07/2013 63 Vorurteils- & wertfreie Haltung Wertschätzender Umgang Perspektivwechsel Wohlwollen Absolutes No-Go sind folgende Reaktionen: • • • • • • • Herunterspielen („Ist doch alles nicht so schlimm.“) Belehren („Das sehen Sie ganz falsch!“) Vorwürfe („Was denken Sie sich eigentlich dabei?“) Dramatisieren („Wissen Sie, was Sie anderen damit antun?“) Falscher Optimismus („Es wird alles wieder gut.“) Vergleiche („Anderen geht‘s wesentlich schlechter.“) Bedrängen („Kommen Sie endlich runter!“) Vom Wissen zum Können Grundsätzliches ©I-GSK 07/2013 64 - Panikstörung - Vom Wissen zum Können Angsterkrankungen ©I-GSK 07/2013 Bildquelle: © flutreiz / Fotolia.com – Bild-Nr. 30641769 – Junge Frau, Körpersprache 65 Panikattacken treten wiederholt & unerwartet auf Intensive körperliche Symptome ohne objektiv vorhandene Ursache Sorge über... … Bedeutung … Konsequenzen … erneutes Auftreten Verhaltensänderung Panikattacke: Anfall intensiver Angst und Unbehagens, mit mindestens 4 Symptomen… Herzklopfen Schwitzen Zittern Atemlos Übelkeit Schwindel Angst zu sterben Angst die Kontrolle zu verlieren Höhepunkt meist nach 10 min Vom Wissen zum Können Panikstörungen Dauer ca. 30 min ©I-GSK 07/2013 66 Agoraphobie: Angst vor Orten und Situationen , in denen eine Rückzugsmöglichkeit bei Auftreten von erwarteten hilflos machenden oder peinlichen Symptomen schwer oder nicht gegeben ist Situationen Menschenmengen Alleine außer Haus zu sein, in einer Schlange stehen Reisen im Bus, Zug oder Auto, auf einer Brücke stehen Werden vermieden, mit deutlichem Unbehagen durchgestanden bzw. nur in Begleitung aufgesucht Vom Wissen zum Können Die Angst vor der Angst ©I-GSK 07/2013 Bildquelle: © Dmitry Nikolaev / Fotolia.com – Bild-Nr. 7057823 - Crowd 67 Beginn • Frühes Erwachsenenalter (20-35 Jahre) • Selten: vor dem 16. und nach dem 40. Lebensjahr • Aber: ca. 50% der 12-16jährigen hatten schon einmal einen Angstanfall • 80% aller Fälle beginnen plötzlich mit einem Angstanfall an einem öffentlichen Ort • Starke Fluktuation Folgeproblematik • Depression, Alkohol- oder Medikamentenmissbrauch Häufigkeit • 5% erkranken an Agoraphobie und an Panikstörungen • Frauen: 2fach erhöhtes Risiko • Risiko für Panikattacken liegt bei 9 % • Rückfallwahrscheinlichkeit ist sehr hoch Frauen: 65% Männer: 39% Vom Wissen zum Können Beginn & Auftreten ©I-GSK 07/2013 Bildquelle: © zimmytws / Fotolia.com – Bild-Nr. 8136974 – wine bottles with corks on white 68 Ätiologische Faktoren: … Genetik & Lernen (Mutter mit Panikstörung) + Auslöser Ohnmacht im überfüllten Bus = Stress In diesem Fall Angst = = Vulnerabilität Entwicklung unangepasster Verhaltensweisen Ich fahre nicht mehr mit dem Bus, weil ich Angst habe, dass mir etwas Schlimmes passiert. Womöglich passiert mir das auch in anderen Situationen… Vom Wissen zum Können Woher kommt eine psychische Störung? ©I-GSK 07/2013 69 Vom Wissen zum Können Ängste im Entwicklungsverlauf ©I-GSK 07/2013 70 Vom Wissen zum Können Teufelskreis der Angst ©I-GSK 07/2013 71 - Soziale Phobie - Vom Wissen zum Können Angsterkrankungen ©I-GSK 07/2013 72 Bitte schreiben Sie jeweils 2 Merkmale auf Moderationskarten, die Ihnen im beruflichen Alltag bei „Ihren“ Jugendlichen Schwierigkeiten bereiten. Vom Wissen zum Können Was ist Soziale Phobie für Sie? ©I-GSK 07/2013 Bildquelle: © pico / Fotolia.com – Bild-Nr. 43463878 - Teamwork 73 Soziale Phobie im Detail Ausgeprägte, anhaltende Angst (> 6 Monate) vor einer/mehreren sozialen oder Leistungssituationen. (Betroffene fürchten, Verhalten zu zeigen, das demütigend oder peinlich sein könnte) • Unmittelbare Angstreaktion • Betroffene erkennen, dass ihr Verhalten übertrieben & unbegründet ist • Situationen werden gemieden/unter Leiden durchgestanden • Einschränkungen in der Lebensführung & Leiden Vom Wissen zum Können Diagnostische Kriterien: ©I-GSK 07/2013 Bildquelle: © Brian Jackson / Fotolia.com – Bild-Nr. 53293135 74 Besonderheiten bei Kindern Ggü. Bekannten & Verwandten altersgemäßes, unbefangenes Verhalten • Angst sowohl im Kontakt mit Altersgenossen als auch mit Erwachsenen • Wenn Interaktion unvermeidbar ist: Wutanfälle, Erstarren, Weinen • Angst vor Bewertung ab ca. 7 Jahren Erste Anzeichen: Klammern, Rückzug, ruhiges Temperament; häufig „unauffällig“ und „unproblematisch“ Vom Wissen zum Können • ©I-GSK 07/2013 Bildquelle: © contrastwerkstatt / Fotolia.com – Bild-Nr. 47844800 – schlechte stimmung im büro 75 Häufigkeit & Verlauf 12-Monats-Prävalenz: 6,8% Kinder (7-10 J.): 2-2,3% Jugendliche (14-20 J.): 13% Meist früher Beginn der Erkrankung mit chronischem Verlauf Assoziation mit anderen psychiatrischen Zuständen (Suizidgedanken, -versuch, Schlafstörung, affektive Störungen, Vom Wissen zum Können Lebenszeitprävalenz: 12,1% schädlicher Substanzgebrauch) ©I-GSK 07/2013 76 • • • • • • • • Aufgaben & Pflichten vermitteln -> Zutrauen Hilfestellung bei Problemen, jedoch nicht vorkauen Versprechen & Ankündigungen einhalten Unbedingte Wertschätzung Maximale Transparenz Rückzugsräume für Pausen schaffen Gedankenstopps anregen Eigen- & Fremdwahrnehmung thematisieren Vom Wissen zum Können Konkret ©I-GSK 07/2013 Bildquelle: http://jetzt.sueddeutsche.de/upl/images/user/ni/niceperson/text/regular/337148.jpg- abgerufen am 16.05.2014 77 Erkenntnisse Angsterkrankungen gehen zumeist mit immensen Verhaltensänderungen und dementsprechend hohem Leidensdruck einher. • Betroffene haben häufig große Hemmungen, sich in Behandlung zu begeben. • Nichtsdestotrotz sind Angststörungen sehr gut behandelbar. • Es ist essentiell, den Betroffenen in seinen Ängsten ernst zu nehmen – so wenig Sie diese manchmal auch nachvollziehen können. Vom Wissen zum Können • ©I-GSK 07/2013 Bildquelle: © Markus_marb / Fotolia.com – Bild-Nr. 43217872 – Rettungszeichen-Notausgang rechts 78 Vom Wissen zum Können Bindungstheorie & Bindungsstörungen ©I-GSK 07/2013 Bildquelle: © ChristArt / Fotolia.com – Bild-Nr. 21818792 – Ein rotes Herz für Dich! 79 … das gefühlsgetragene Band, das eine Person zu einer anderen spezifischen Person anknüpft und das sie über Raum und Zeit miteinander verbindet. John Bowlby bleibt über Raum und Zeit hinweg erhalten sehr spezifisch, da Personenaustausch unmöglich neben Nahrungsaufnahme und Sexualität primäres angeborenes menschliches Grundbedürfnis Vom Wissen zum Können Bindung ist… ©I-GSK 07/2013 80 Die Entwicklung einer sicheren Bindung zwischen Kleinkind und Betreuungsperson in der Kindheit ist die Grundlage für die Fähigkeit, stabile und intime Beziehungen im Erwachsenenalter aufrechtzuerhalten. • • familiäre Kindheitserfahrungen haben weitreichende Auswirkungen auf Persönlichkeitsentwicklung Vorstellungen davon, wie sich Bezugspersonen wahrscheinlich verhalten werden Vom Wissen zum Können Grundlagen der Bindungstheorie ©I-GSK 07/2013 Bildquelle: © Kzenon / Fotolia.com – Bild-Nr. 4935949 – Familie vor dem Haus 81 Untersuchungsmethode zur Qualität der Bindung bei 1-1,5 jährigen Kindern: 1. Bindungsperson und Kind werden vom VL in Untersuchungsraum geführt 2. Mutter und Kind allein 3. Fremde Person betritt den Raum 4. Mutter verlässt unauffällig den Raum 5. Mutter kehrt zurück 6. Mutter verlässt auffällig den Raum 7. Spiel-Trostangebot vom Fremden 8. Mutter kommt zurück Wiederkehr der Mutter entscheidend! Vom Wissen zum Können Fremde Situations-Test ©I-GSK 07/2013 82 • sicher gebunden - Kummer - aktive Suche nach Mutter - nach Rückkehr: Suche nach Nähe • unsicher vermeidend - ignorieren Weggang - nach Rückkehr: vermeiden Zugang zur Mutter • unsicher ambivalent - Unsicherheit und Weinen - nach Rückkehr: Suche nach Nähe und zugleich Verärgerung • desorganisiert/desorientierte Kinder - keine konsistente Bindungsstrategie Vom Wissen zum Können Bindungsstile ©I-GSK 07/2013 83 Die mütterliche Feinfühligkeit in Bezug auf die Signale des Kindes ist der entscheidende Faktor für die Qualität der Bindung. Ist diese Feinfühligkeit nicht gegeben: • kein Bindungsverhalten • undifferenziertes Bindungsverhalten • Unfallrisikoverhalten • übermäßiges Klammern • Rollenumkehr Vom Wissen zum Können Bindungsstörungen ©I-GSK 07/2013 84 1. 2. 3. Quantitativ ungenügende Interaktion Bindungsfigur steht nicht ausreichend zur Verfügung Folgen: Retardierung der körperlichen, emotionalen, sozialen und kognitiven Entwicklung Berufstätigkeit muss keine Störung zur Folge haben Qualitativ gestörte Interaktion Ablehnung, ambivalente Zuwendung Folgen: u.a. Retardierung verschiedener Entwicklungsbereiche Spätfolgen: Depression, Beeinträchtigung des Selbstwertgefühls, Verhaltensstörungen, Störung des Sexualverhaltens Diskontinuität alle kürzeren oder längeren Trennungen (z.B. bei Scheidung) Verlust der Bindungsfigur = Risikofaktor Je häufiger & länger die Trennungen stattfinden, desto größer das Risiko einer psychischen Störung. Vom Wissen zum Können Ursachen ©I-GSK 07/2013 85 Erstrebenswert: • gem. Überarbeitung der Eltern-Kind-Bindung (wenn möglich) • Neue Bezugsperson • Kontinuierlich & dauerhaft • Neuerfahrung von Sicherheit & Stabilität sozialer Beziehungen • Ggf. Psychotherapie/stationäre Therapie Grundsätzlich gleicht der Beziehungsaufbau zu bindungsgestörten Kindern einer Achterbahnfahrt: - Angst, Panik - psychosomatische Symptome - Beschleunigung - Verzögerung - Absturz - Aggressivität - Verschlossenheit - Dissozialität, etc. Vom Wissen zum Können Was tun? ©I-GSK 07/2013 Bildquelle: © mahout / Fotolia.com – Bild-Nr. 16365125 – Roller coaster 86 • Sicherheit, Halt & Orientierung anbieten (klare Regeln, wiederkehrende Abläufe) • Nähe anbieten, Wünsche nach Distanz akzeptieren • Bei Distanzlosigkeit die eigene Rolle betonen • Stets transparent sein und somit Vorhersehbarkeit schaffen • Bei Aggressionen die eigene Rolle klar haben & Anfeindungen nicht persönlich nehmen • Eskalationsspiralen frühzeitig unterbrechen, sich nicht involvieren lassen • Essentiell: verdrehte Rollen erkennen und dem Kind eine angemessene Rolle zuweisen Vom Wissen zum Können Und konkret? ©I-GSK 07/2013 Bildquelle: © HaywireMedia / Fotolia.com – Bild-Nr.48345862 – Boy with Stress Holding a Rock 87 zentrales Beziehungsmotiv: Wichtigkeit und Anerkennung + Verlässlichkeit Vom Wissen zum Können Borderline – zwischen den Grenzen… ©I-GSK 07/2013 88 Was ist nun eine Persönlichkeitsstörung? Personen, die solche psychische Störungen aufweisen, zeigen… … ungünstige Überzeugungen im Hinblick auf Beziehungen = dysfunktionale Beziehungsschemata … ungünstige Überzeugungen über sich selbst und ihre Möglichkeiten der Beziehungsgestaltung = dysfunktionale Selbstschemata … ungünstige und kostenintensive Strategien, um ihre Bedürfnisse dennoch zu erfüllen = dysfunktionale Handlungsstrategien Vom Wissen zum Können Eine Persönlichkeitsstörung entsteht in der Biografie einer Person als Lösung für nicht erfüllte Bedürfnisse im Bereich sozialer Beziehungen. ©I-GSK 07/2013 89 A. Ein überdauerndes Muster von innerem Erleben und Verhalten, das merklich von den Erwartungen der soziokulturellen Umgebung abweicht. Dieses Muster manifestiert sich in mindestens 2 der folgenden Bereiche: (1) Kognition (also die Art, sich selbst, andere Menschen und Ereignisse wahrzunehmen und zu interpretieren), (2) Affektivität (also die Variationsbreite, die Intensität, die Labilität und Angemessenheit emotionaler Reaktionen), (3) Gestaltung zwischenmenschlicher Beziehungen, (4) Impulskontrolle B. Das überdauernde Muster ist unflexibel und tiefgreifend in einem weiten Bereich persönlicher und sozialer Situationen. C. Das überdauernde Muster führt in klinisch bedeutsamer Weise zu Leiden oder Beeinträchtigungen in sozialen, beruflichen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen. D. Das Muster ist stabil und langdauernd, und sein Beginn ist zumindest bis in die Adoleszenz oder ins frühe Erwachsenenalter zurückzuverfolgen. Vom Wissen zum Können Diagnostische Kriterien einer Persönlichkeitsstörung ©I-GSK 07/2013 90 A: sonderbar/exzentrisch: paranoid schizoid 3 Cluster von Persönlichkeitsstörungen B: dramatisch/launisch: antisozial Borderline histrionisch narzisstisch Vergleichbarkeit besteht in Hinblick auf… C: ängstlich/furchtsam vermeidend-selbstunsicher dependent zwanghaft … die dysfunktionalen Schemata … die zugrunde liegenden unerfüllten Bedürfnisse Vom Wissen zum Können Eine Persönlichkeitsstörung? ©I-GSK 07/2013 91 Ein • • • • • • • • • tiefgreifendes Muster von Instabilität in den zwischenmenschlichen Beziehungen, im Selbstbild und in den Affekten sowie deutliche Impulsivität. Der Beginn liegt im frühen Erwachsenenalter bzw. in der Pubertät und manifestiert sich in verschiedenen Lebensbereichen. Mindestens fünf der folgenden Kriterien müssen erfüllt sein: verzweifeltes Bemühen, tatsächliches oder vermutetes Verlassenwerden zu vermeiden ein Muster instabiler, aber intensiver zwischenmenschlicher Beziehungen, das durch einen Wechsel zwischen den Extremen der Idealisierung und Entwertung gekennzeichnet ist Identitätsstörung: ausgeprägte und andauernde Instabilität des Selbstbildes Impulsivität in mindestens zwei potentiell selbstschädigenden Bereichen (Geldausgeben, Sexualität, Substanzmissbrauch, rücksichtsloses Fahren, „Essstörungen“) wiederholte suizidale Handlungen, Selbstmordandeutungen oder -drohungen oder Selbstverletzungsverhalten. affektive Instabilität infolge einer ausgeprägten Reaktivität der Stimmung chronische Gefühle von Leere unangemessene, heftige Wut oder Schwierigkeiten, die Wut zu kontrollieren vorübergehende, durch Belastungen ausgelöste paranoide Vorstellungen oder schwere dissoziative Symptome. Vom Wissen zum Können Borderline im Detail ©I-GSK 07/2013 92 Lebenszeitprävalenz: 2 %, dabei erkranken zu 75 % Frauen Prävalenz bei Jugendlichen: 5-11 % Komorbide Störungen: Affektive Störungen (Bsp.: Depression) Differentialdiagnostik: 1. Histrionische Persönlichkeitsstörung (Histrioniker zeigen keine selbstverletzenden Tendenzen) 2. Abhängige Persönlichkeit (Abhängige reagieren auf Vernachlässigung mit gesteigerter Bemühung um den Partner, nicht mit Wut, Rache oder Erpressung.) Vom Wissen zum Können Epidemiologie – Borderliner unter uns… ©I-GSK 07/2013 Bildquelle: © fotandy / Fotolia.com – Bild-Nr. 14136086 – fetter near 93 Negatives Selbstschema Angst vor Nähe Angst vor Alleinsein Keiner schätzt mich. Ich kann meinen Status nicht erhalten. Ich weiß nicht, wer ich bin. Ich kann mich nicht kontrollieren. Negatives Beziehungsschema Erwartungen werden nie erfüllt. Beziehungen können abrupt enden. In Beziehungen wird man gekränkt. + In Beziehungen erfahre ich meinen Wert. Strategie: Ich muss immer wieder Aufmerksamkeit erregen, um wahrgenommen und geliebt zu werden. Selbstverletzendes Verhalten dient dabei in der Eigenwahrnehmung… • dazu, innere Spannungen zu lösen • als Selbstbestrafung gegen Schuldgefühle • um sich Kicks zu verschaffen (Verletzung setzt euphorisierende Neurotransmitter frei) Vom Wissen zum Können Voller Widersprüche… ©I-GSK 07/2013 94 Stefanie ist seit 2 Jahren in einer Beziehung mit Bernd. Bernd ist Borderline diagnostiziert. Bisher haben Bernd und Stefanie in zwei verschiedenen Städten gewohnt, erst vor einigen Wochen sind sie im Wohnort von Bernd zusammengezogen. Stefanie muss sich beruflich wie privat neu etablieren. Um sich einen neuen Freundeskreis aufzubauen, besucht sie Ausstellungen oder Veranstaltungen, die ihren Interessen entsprechen. Trotz ihrer Bitten ist Bernd nicht bereit, sie zu begleiten, weswegen Stefanie diese Gelegenheiten alleine wahrnimmt. Vom Wissen zum Können Fallbeispiel: Bernd und Stefanie ©I-GSK 07/2013 Bildquelle: © Olly / Fotolia.com – Bild-Nr. 5977240 – litigio 14 95 Stefanie nutzt einen ruhigen Moment, um Bernd den Vorschlag zu machen, Samstagabend auszugehen: „Am Samstagabend treffen sich einige meiner Kollegen in der Galerie am Stadtpark. Ich würde mich freuen, wenn wir dort gemeinsam hingehen könnten.“ Bernd antwortet: „Nee, lass mal. Den ganzen Kunstkram kann ich eh nicht ab. Außerdem kommt da ein toller Film, der wäre auch was für Dich. Also bleib mal lieber hier.“ Stefanie ist enttäuscht, diesmal möchte sie aber gerne ausgehen, auch wenn Bernd nicht mitkommen möchte. „ Gut Bernd, es ist okay, wenn Du an Kunst keinen Spaß hast. Ich wäre gerne mit Dir hingegangen. Ich möchte gerne mal wieder einen Abend in Gesellschaft verbringen. Ich werde dann alleine gehen.“ Vom Wissen zum Können Ein Streitthema ©I-GSK 07/2013 96 Problem: Die kleinste Kritik oder der Versuch einer Abgrenzung wird von einer Borderliner-Persönlichkeit als Angriff verstanden und führt zu einer übersteigerten Angst, den Partner zu verlieren. Die Reaktion geht mit einer massiven, nicht nachvollziehbaren Kommunikation einher, in der alle Gefühle von Wut, Angst und Hilflosigkeit auf den Partner übertragen werden. In der Konsequenz verlassen Beziehungspartner die Auseinandersetzung oft mit dem Eindruck, dass ihnen das Wort im Munde herumgedreht wurde und sie selbst mit ihrem Anliegen anmaßend, verantwortungslos und völlig fehlerhaft sind. Vom Wissen zum Können Das Grundproblem ©I-GSK 07/2013 97 Der Konflikt nimmt seinen Lauf… 1. Flucht Das Gespräch wird abgebrochen. Bernd wirft wütend die Fernsehzeitung auf den Tisch und verlässt den Raum mit den Worten „Na vielen Dank. Da kann ich ja sehen, wie viel Dir an mir und unserer Beziehung liegt.“ 2. Angriff, Überschüttung mit Vorwürfen Es erfolgt ein Gegenangriff, wobei die Schuld des Partners besonders hervorgehoben wird. Bernd reagiert mit: „ Na klasse, Du denkst eben nur an Dich und Deinen Spaß. Dass ich Dich hier vielleicht brauchen könnte, merkst Du gar nicht. Du lässt mich eben immer im Stich, genau wie letzte Woche Montag, als Du zu spät nach Hause gekommen bist. Und wer weiß, was da so läuft bei Dir, vielleicht willst Du mich ja nur loswerden…“ Vom Wissen zum Können Zu den typischen kommunikativen Mustern eines Borderliners zählen unter anderem: ©I-GSK 07/2013 Bildquelle: © Robert Kneschke / Fotolia.com – Bild-Nr. 10933384 – Gemeinsam schmollen 98 3. Konfliktverlagerung Es wird ein anderer Konflikt aktiviert oder auf einen vergangenen Konflikt eingegangen, um den Partner in eine Verteidigungsposition zu drängen. Bernd erinnert Stefanie an einen Konflikt der 1 ½ Jahre zurückliegt: „Das hast Du damals schon genau so gemacht, als Du laufend in diesen Volkshochschulkurs gegangen bist. Ohne Rücksicht auf Verluste. Diese blöde Prüfung war Dir wohl wichtiger als unsere Beziehung. 4. Herabsetzung Der Partner wird direkt verbal oder körpersprachlich beleidigt und beschimpft. Bernd ignoriert Stefanies Bedürfnis nach Kontakt: „Tu doch nicht so, als ob Du irgendwas von Kunst verstehst. Da stehst Du dann also bei den ganz großen Kunstkennern und ihr zelebriert Euren Kunstverstand. Dabei geht es doch nur um die kostenlosen Häppchen.“ Vom Wissen zum Können Der Konflikt nimmt seinen Lauf… ©I-GSK 07/2013 99 5. Körperlicher oder sachbezogener Übergriff Der Partner oder Gegenstände, die dem Partner wichtig sind, werden attackiert. Bernd wirft sein gefülltes Bierglas gegen eines von Stefanies Lieblingsbildern. 6. Triggern Der Borderliner nutzt wissentlich die ihm von seinem Partner anvertrauten emotionalen Schwachpunkte, um unkontrollierte, erschrockene Reaktionen zu forcieren. Bernd berührt Stefanies wunden Punkt: „Kein Wunder, dass Dein Vater nicht mehr mit Dir spricht. Bei so einer Tochter blieb ihm wahrscheinlich gar nichts anderes übrig.“ Vom Wissen zum Können Der Konflikt nimmt seinen Lauf… ©I-GSK 07/2013 Bildquelle: © Benicce / Fotolia.com – Bild-Nr. 21767205 – häusliche gewalt 100 Wenn die Grenze überschritten wird… • Versuch, eigene Gefühle sichtbar machen (Borderliner haben Probleme, eigene Gefühlen zu benennen und ihnen angemessen Ausdruck zu verleihen. Die Selbstverletzung dient dazu, eigene, nicht wahrgenommene oder nicht erkannte Gefühle durch diffusen Schmerz und latente Verzweiflung in eine sichtbare Form zu bringen.) • Regulation von Gefühlen (Die Selbstverletzung ist eine Strategie, um unangenehme Gefühlszustände und Anspannungen zu beenden, positive Gefühlszustände herbeizuführen und das Gefühl der Kontrolle über die eigenen Emotionen zu gewinnen) • Selbstbestrafung und Selbstfürsorge • Identitätsfindung • Erhalt von Aufmerksamkeit und Zuwendung, Regelung von Nähe und Distanz (Durch die Verletzung zwingen Borderliner Menschen aus (Die Selbstverletzung dient dazu, die Grenzen des eigenen Körpers zu definieren und fühlbar zu machen; So versuchen Borderliner sich selbst als Individuum zu begreifen.) Vom Wissen zum Können Die Gründe für eine Selbstverletzung sind vielfältig: ihrer Umwelt Nähe und Aufmerksamkeit auf.) • soziale Kontrolle ©I-GSK 07/2013 101 Im Umgang mit einem Borderliner ist vor allen Dingen auf den Schutz der eigenen Gefühle und Bedürfnisse zu achten: • • • • • • eigene Bedürfnisse wahrnehmen und einfordern keine Verantwortung für den Klienten übernehmen, eigene Verantwortlichkeiten und deren Grenzen sehr deutlich darstellen Grenzen der eigenen Belastbarkeit prüfen konsequentes und konsistentes Verhalten gewaltfreie Kommunikation mit Ich-Botschaften und aktivem Zuhören Distanz zu emotionalen Erpressungen und Suiziddrohungen aufbauen Auch für das Wohl eines Borderline-Therapeuten wird gesorgt – es gibt spezielle Supervisionsgruppen, die fest im Therapieplan verankert sind und Hilfe für den Behandelnden gewährleisten sollen. Vom Wissen zum Können Der Borderliner im alltäglichen Umgang ©I-GSK 07/2013 102 Weitere Erkenntnisse Sie haben eine tiefgreifende Angst vor dem Verlassenwerden und eigentlich keine guten Erfahrungen mit sozialen Beziehungen gemacht – trotzdem haben auch sie das zentrale Bedürfnis nach Solidarität, Anerkennung & Wertschätzung. Dieses können sie nur in zwischenmenschlichen Beziehungen erfüllen Für Nicht-Betroffene sind Borderliner häufig richtiggehende Energiefresser, von denen sie zunächst „angefüttert“ und dann „ausgesaugt“ werden. Es ist essentiell, dass sie die Erfahrung machen, auch bei negativem Verhalten weiterhin als Person angenommen zu werden. Vom Wissen zum Können Wahrnehmungs- & Verarbeitungsprozesse bei Borderlinern sind massiv beeinträchtigt. Dennoch sollte man sich die Frage stellen: Kann ICH das leisten? ©I-GSK 07/2013 103 Vom Wissen zum Können Psychisch kranke Eltern ©I-GSK 07/2013 104 „Mit jedem Jahr, das Meike älter wurde, hat sie mehr Verantwortung für ihre Mutter übernommen und ihr eigenes Sozialleben zurückgestellt. Heute, mit 13, kann sie vieles, was Gleichaltrige nicht können. Sie putzt, wäscht, bügelt, kocht, backt, räumt auf - und tröstet ihre Mutter, wenn die auf dem Sofa liegt, geplagt von tiefer Traurigkeit, gegen die sie nicht ankämpfen kann, weil ihr die Kraft dazu fehlt. "Sie ist unberechenbar", sagt Meike. Sie sitzt am Esstisch in einer geräumigen Küche, an den Wänden hängen bunte Bilderrahmen mit Familienfotos. "Wer ist unberechenbar?", fragt ihre Mutter. "Ich? Oder meine Krankheit?" - "Beides", sagt Meike.“ (Auszug aus „Psychische Erkrankungen: Wenn Kinder zu Eltern werden“; Spiegel Online, Juli 2012) Vom Wissen zum Können Ein kleiner Einblick ©I-GSK 07/2013 105 Zahlen 3-4 Mio. Kinder & Jugendliche leben in Deutschland bei psychisch kranken Eltern (2010): • 740.000 mit alkohol- oder drogenabhängigen Eltern • 270.000 mit einem Elternteil mit Schizophrenie • 1,23 Millionen mit Eltern mit affektiven Störungen • 1,55 Millionen mit Angststörungen Ca. 40-60% der betroffenen Kinder leiden später ebenfalls unter psychischen Störungen Vom Wissen zum Können 20 % der PatientInnen in der stationären Erwachsenenpsychiatrie betreuen zu Hause ein Kind unter 18 Jahren ©I-GSK 07/2013 Bildquelle: © Kzenon / Fotolia.com – Bild-Nr. 30261818 – Cigarettes box and whiskey 106 • • • • • • • Angst vor Gewalt/Suizid des Elternteils Vermindertes Selbstwertgefühl Schuldgefühle Scham Hilflosigkeit Soziale Isolation Stigmatisierung • • • Verantwortungsgefühl für die Familie Mitgefühl & Trauer Wut auf den erkrankten Elternteil Vom Wissen zum Können Probleme der betroffenen Kinder ©I-GSK 07/2013 Bildquelle: „Fufu und der grüne Mantel“ – Broschüre für Kinder im Vorschulalter 107 • • • • • • Je jünger das Kind bei Ausbruch der Erkrankung ist Je schwerer & länger andauernd die Störung ist Bei fehlender Krankheitseinsicht Wenn kein gesundes Elternteil da ist Wenn die Mutter betroffen ist Bei einem schizophren erkrankten Elternteil Vom Wissen zum Können Umso intensiver… ©I-GSK 07/2013 108 Der Held Versucht, den psychisch kranken Elternteil zu ersetzen & kümmert sich um dessen Aufgaben. Der Sündenbock Versucht alles, damit die Aufmerksamkeit auf ihn & nicht die Eltern gelenkt wird. Das verlorene Kind Zieht sich in die Einsamkeit zurück & träumt von glücklicheren Zeiten. Das Maskottchen Niedlich, lieb, versucht, Probleme mit Witz & Albernheit zu überdecken. Vom Wissen zum Können Anpassungsstrategien ©I-GSK 07/2013 109 Nicht nur die auffälligen Kinder sind belastet, sondern auch die angepassten & überkompensierenden. Vom Wissen zum Können Wichtig! ©I-GSK 07/2013 110 Für die Entwicklung der Kinder • Einstellung der Eltern zur Erkrankung • Förderung eines verantwortungsvollen Umgangs • Lebenspraktische familiäre Organisation (Auswirkungen für die Kinder minimieren) • Kooperation mit Fachinstanzen Zwischenmenschliche Beziehungen • Elterliche Beziehung • Eltern-Kind-Beziehung • Andere Bezugspersonen innerhalb/ außerhalb der Familie • Soziale Integration/Unterstützung der Eltern Vom Wissen zum Können Art & Weise der Krankheitsbewältigung ©I-GSK 07/2013 111 Was tun? • Präventive Gruppenangebote (altersangemessene Information; Integration in einer Gruppe Gleichaltriger) • Ziel: Kindern das Kindsein ermöglichen & elterliche Krankheit thematisieren Für Eltern bzw. die Familie: • Therapeutische Behandlung • Handfeste Entlastung (Paten, Tagesmutter, Ganztagsbetreuung, Haushaltshilfen, etc.) • Erziehungskompetenz fördern (Beratung, Elternkurse, etc.) • Förderung familiärer Kommunikation Vom Wissen zum Können Unterstützung für die Kinder: ©I-GSK 07/2013 112 • Kinder psychisch kranker Eltern sind hoch-belastet & gefährdet, später selbst unter einer psychischen Störung zu leiden • Zumeist fühlen sie sich verantwortlich für die Familie & erleben eine Rollenumkehr. • Auch die Eltern selbst leiden unter dem Umstand, ihre Erziehungsaufgaben nicht angemessen wahrnehmen zu können • Die Kinder & Familien zu entlasten, die Rollenumkehr aufzuheben, hat oberste Priorität. Vom Wissen zum Können Weitere Erkenntnisse ©I-GSK 07/2013 Bildquelle: © Liddy Hansdottir / Fotolia.com – Bild-Nr.32443643 – kinderzeichnung familie mit haustieren 113 Vom Wissen zum Können (Krisen)Kommunikation ©I-GSK 07/2013 Bildquelle: © Helmut Singer / Fotolia.com – Bild-Nr. 8074835 – angry fist 114 Mein Steckenpferd: Ein extremes Beispiel • Tat auch für den Täter überraschend, steht unter hohem Stress • Polizei ist nicht eingeplant, Täter rechnet nicht mit einer Kontaktaufnahme • Negative Erwartungen an die Polizei („Übermacht“, „SEK stürmt“, „Verhandler will bloß, dass ich aufgebe“) • Drohender Gesichtsverlust bei Aufgabe & Angst vor strafrechtlichen Konsequenzen Trotzdem enden die meisten dieser Lagen mit einer Aufgabe und ohne Verletzte Vom Wissen zum Können Ausgangslage in einer familiären Bedrohungslage: Wie machen die das??? ©I-GSK 07/2013 115 Prozess Verhaltensänderung Einflussnahme Beziehungsaufbau Empathie Vom Wissen zum Können Veränderung als Prozess Zeit ©I-GSK 07/2013 116 Dem Gesprächspartner Stress nehmen, um ihn wieder in die Lage zur rationalen Problemlösung zu versetzen. Deeskalation Vom Wissen zum Können Oberstes Ziel: Stressabbau ©I-GSK 07/2013 Bildquelle: © Stuart Miles / Fotolia.com – Bild-Nr. 38179450 – Stress Meter Showing Panic Attack From Stress Or Worry 117 Der Schlüssel Selbst unter den widrigen Bedingungen einer polizeilichen Krisensituation kann mit Hilfe dieser Gesprächstechnik eine Vertrauensbasis geschaffen werden. Vom Wissen zum Können Aktives Zuhören ©I-GSK 07/2013 Bildquelle: © Ideenkoch / Fotolia.com – Bild-Nr. 38289033 - Schlüsselkompetenz 118 Ziel: Den anderen in dem, was er sagt, verstehen und vorurteilsfrei annehmen. Dahinter steht eine uneingeschränkt wertschätzende Grundhaltung. Vom Wissen zum Können Aktives Zuhören ©I-GSK 07/2013 119 Grundhaltung durch Transparenz verdeutlichen, z.B.: „Ich frage so explizit nach, weil ich dich verstehen möchte und mir einiges noch nicht klar ist.“ • Transparenz baut Vertrauen auf & fördert das Verständnis des Gegenübers • Sollte sich durch das Gespräch ziehen wie ein roter Faden Vom Wissen zum Können Strategien des Aktiven Zuhörens ©I-GSK 07/2013 120 Zugewandt sein: sowohl körperlich (z.B. signalisieren verschränkte Arme Verschlossenheit) als auch verbal (z.B. ermuntern kurze Gesten oder Äußerungen zum Weiterreden) • Signalisiert Aufmerksamkeit Vom Wissen zum Können Strategien des Aktiven Zuhörens ©I-GSK 07/2013 Bildquelle: © ArTo / Fotolia.com – Bild-Nr. 20481487 - Abwarten 121 Offene Fragen: „Zu meinem besseren Verständnis: Wie meinst du das genau?“, „Inwiefern belastet dich die Situation gerade?“, etc. • Laden zum Reden ein • Wer seine Lage schildern darf, baut automatisch Stress ab. Vom Wissen zum Können Strategien des Aktiven Zuhörens ©I-GSK 07/2013 Bildquelle: © slako / Fotolia.com – Bild-Nr. 27613115 – interrogativi dubbi domande 122 Paraphrasen: Das Gehörte noch einmal in eigenen Worten wiedergeben, z.B.: „Und dann gab es so viele Richtlinien, die ich nicht verstanden habe.“ „Da warst du überfordert.“ • • • • Als Aussage formulieren Signalisiert Aufmerksamkeit Dient dem Verständnis Einfaches Mittel, um das Gespräch zu lenken • Geht immer • Nimmt Ihnen Druck Achtung: Bitte kein „Nachplappern“ Vom Wissen zum Können Strategien des Aktiven Zuhörens ©I-GSK 07/2013 Bildquelle: © Arcady / Fotolia.com – Bild-Nr. 40330079 – No talking vector sign 123 Gefühle benennen: Konfliktgespräche gehen häufig mit Emotionen einher – diese sollten sowohl wahrgenommen als auch thematisiert werden, z.B.: „Und dann hat Michael einfach bei mir abgeschrieben!“ „Ich merke schon, dass dich das ärgert. Da fühlst du dich ausgenutzt.“ • Macht die mitschwingenden Gefühle dem Gegenüber bewusst • Signalisiert Verständnis & Perspektivübernahme Vom Wissen zum Können Strategien des Aktiven Zuhörens ©I-GSK 07/2013 Bildquelle: © unitypix / Fotolia.com – Bild-Nr. 34795640 – Two women fighting and screaming 124 Keine Vorwürfe: verdeutlichen, dass Sie keine Fakten konstatieren, sondern Ihren eigenen Eindruck schildern, z.B. „Ich habe das Gefühl, dass du nur ungern mit mir zusammenarbeitest – korrigiere mich, wenn ich mich irre.“ • Ihr subjektiver Eindruck lässt sich nicht „wegdiskutieren“ und dem Gegenüber wird verdeutlicht, wie das Gesagte angekommen ist. • Es wird kein Vorwurf gemacht. Vom Wissen zum Können Strategien des Aktiven Zuhörens ©I-GSK 07/2013 125 Selbstoffenbarung: „Da rennst du bei mir offene Türen ein. Ich fühle mich auch nicht wohl dabei, dir eine Standpauke zu halten.“ oder „Ich bin gerade auch ein wenig überrumpelt von der Situation.“ • Verständnis & Vertrauen • Authentizität & Glaubwürdigkeit Vom Wissen zum Können Strategien des Aktiven Zuhörens ©I-GSK 07/2013 Bildquelle: © Nelos / Fotolia.com – Bild-Nr. 24592413 - Händedruck 126 Zur Perspektivübernahme anregen: um Ihre Rolle in dem Konflikt besser zu definieren, z.B. „Ich kann mir vorstellen, dass du aufgrund der schlechten Note besorgt bist. Mir liegt ebenfalls etwas daran, dass du deine Leistung steigerst. Deshalb halte ich es für wichtig, dich zwischendurch ein bisschen anzuschieben.“ • Vom Wissen zum Können Strategien des Aktiven Zuhörens Macht Ihre Position verständlich & trägt somit zur Beziehung bei ©I-GSK 07/2013 127 Spitze Formulierungen ankündigen: „Übertreibungen“ sind nicht verboten, aber sie sollten eingeleitet werden, z.B. „Lass‘ mich das mal absichtlich provokant formulieren – wenn du morgens nicht zur Arbeit erscheinst, woher weiß ich dann, dass es dir ernst ist?“ • Verdeutlicht, dass Sie niemanden vorführen, sondern zum Nachdenken anregen möchten Vom Wissen zum Können Strategien des Aktiven Zuhörens ©I-GSK 07/2013 Bildquelle: © unpict / Fotolia.com – Bild-Nr. 10195512 – Nadel mit Faden durch Öhr 128 Der Faradaysche Käfig • Innere Distanz zum Geschehen • Schirmt Sie vor „Blitzschlägen“ ab • Beleidigungen & Anfeindungen nicht persönlich nehmen Vom Wissen zum Können Zudem hilfreich für Sie… ©I-GSK 07/2013 129 • Was muss jemand tun, damit er Sie nervt? • Was muss jemand tun, um Sie zu provozieren? • Was macht Sie (extrem) wütend? • Was finden Sie (total) unfair? • Was „hassen“ Sie? Bitte setzen Sie sich ca. 10 Minuten mit einem Ihnen wenig oder gar nicht bekannten Teilnehmer zusammen und tauschen Sie sich über IHRE Stressauslöser aus. Erörtern Sie berufliche und private Perspektiven. Gibt es relevante Unterschiede? Wenn ja, warum? Vom Wissen zum Können Einen Blick auf sich selber richten… 130 ©I-GSK 07/2013 Bildquelle: © Robert Kneschke / Fotolia.com – Bild-Nr. 12717492 - Zornesfalten 130 Anerkennung Wichtigkeit / Aufmerksamkeit Verlässlichkeit Solidarität Autonomie Abgrenzung Vom Wissen zum Können Wir erinnern uns… ©I-GSK 07/2013 131 Egal, wer vor Ihnen sitzt – er möchte seine Grundbedürfnisse erfüllt wissen. Aktives Zuhören und damit verbundenes empathisches Einfühlen wirken auf jeder Ebene. Ein Universalwerkzeug! Vom Wissen zum Können Aktives Zuhören erfüllt systematisch diese Bedürfnisse ©I-GSK 07/2013 132 Beratungsstelle: Überbegriff für Einrichtungen, die Unterstützung in vielfältigen Bereichen geben (Management, soziale Konflikte, Lebensführung, etc.); Achtung! Der Begriff des Beraters ist nicht geschützt – im Prinzip kann sich jeder so nennen. Standards der Einrichtungen häufig sehr verschieden. Sozialpsychiatrischer Dienst: Einrichtungen, die sowohl Betroffenen als auch Angehörigen, Kollegen, etc. Hilfe & Unterstützung speziell in Bezug auf psychische Störungen anbieten. Unentgeltlich, möglichst niedrigschwellig. Prävention, Nachsorge, Koordination, etc. Pflichtaufgabe der Kreise; meistens unter einem Dach mit Gesundheitsamt. Neurologische Praxis: zuständig für alle Schwierigkeiten im hirnorganischen Bereich, im zentralen und peripheren Nervensystem; Fokus auf körperlichen Problemen; Überschneidungen mit Psychiatrie, da einige psychiatrische Erkrankungen neurologische Ursachen haben (Neglect, teilweise ADHS); interdisziplinäre Richtung der kognitiven Neurowissenschaften Vom Wissen zum Können Wer macht was? ©I-GSK 07/2013 133 Psychiater: im Gegensatz zum Psychologen/psychologischen Psychotherapeuten ein Mediziner, der sich auf psychische Störungen spezialisiert hat; darf Medikamente verschreiben; vor allem relevant bei psychischen Störungen mit körperlicher Ursache Psychosomatische Klinik: Psychiatrische Einrichtung, die sich mit körperlichen Symptomen befasst, die auf keine körperliche Ursache zurückzuführen sind (Kopfschmerzen & Appetitlosigkeit bei Burnout) Psychologe: kein Arzt; beschäftigt sich intensiv mit Psychotherapie & allen Behandlungsmaßnahmen, die keine medikamentöse Behandlung beinhalten (Phobien, etc.) Psychologischer Psychotherapeut: Psychologe mit Approbation nach weiterführender Ausbildung; macht das Gleiche wie der Psychologe, darf seine Leistungen nicht über die Krankenkasse abrechnen Vom Wissen zum Können Wer macht was? ©I-GSK 07/2013 134 Fachkliniken: gibt es für die unterschiedlichsten psychischen Schwierigkeiten, bspw. für Abhängigkeitserkrankungen oder affektive Störungen • Spezialisiert auf ein bestimmtes Störungsspektrum • Arbeit in multidisziplinären Teams (Ärzte, Pflege, Psychologen/Psychotherapeuten, Ergotherapie, etc.) • Geballte Expertise für einen ganz bestimmten Bereich • Stationäre Therapie, ambulante Tageskliniken, Nachsorge Vom Wissen zum Können Wer macht was? ©I-GSK 07/2013 135 Allein das Vorliegen einer psychischen Erkrankung bedeutet noch nicht, dass der Betroffene nicht arbeitsfähig ist – entscheidend ist das Funktionsniveau. Dabei sollte man sich nicht nur auf das subjektive Empfinden des Betroffenen verlassen, sondern einen psychopathologischen Befund anfordern (ärztliche & psychologische Untersuchung). Fähigkeits- & Anforderungsprofil müssen auch hier zusammenpassen. Grundsätzlich ist Arbeit wichtig, da sie zur Tagesstruktur beiträgt, zur Aktivität anregt, etc. Wann jemand arbeitsfähig ist oder nicht, ist individuell zu entscheiden. Vom Wissen zum Können Arbeitsfähig? ©I-GSK 07/2013 136