ZKZ 30088 www.sparkasse.de Heft 1 | Februar / März 2016 POLEN Populisten an der Macht AUSBILDUNG Exportschlager Azubi KANADA Ökostrom im Aufwind Das Magazin der Sparkassen-Finanzgruppe für internationale Märkte Chinas Wirtschaft wächst zwar langsamer, doch wer sich auf den Wandel im Land einstellt, kann weiter gute Geschäfte machen TROTZ KRISE IN CHINA WEITER GUTE AUSSICHTEN Eine Schwesterzeitschrift von PROFITS, dem Unternehmermagazin der Sparkassen-Finanzgruppe 01 cover 160205-1446 SG.indd Titel:1 5.2.16 15:01 EDITORIAL 1|2016 Chancen in der Krise Steht uns ein neuer globaler Wirtschafts-Crash ins Haus? Das könnte man fast glauben, wenn man die Kommentare zur Konjunktur in China liest. Ja, die Aktienblase im Reich der Mitte ist geplatzt. Ja, die Wirtschaft wächst nicht mehr zweistellig, und auch die einstelligen Werte halten einige Experten für geschönt. Andere sehen die Lage gelassener – und betrachten die Abkühlung des heiß laufenden Konjunkturmotors als eine notwendige Konsolidierungsphase. In unserer Titelstory ab Seite 10 untersuchen wir, was die Entwicklungen in China ganz praktisch für deutsche Unternehmen bedeuten. Das Urteil der Marktkenner ist einmütig: Technologielieferanten stehen weiThomas Stoll, Chefredakteur [email protected] terhin gut da – etwa Anbieter von Automatisierungstechnik. Auch Hersteller von Konsumartikeln haben gute Karten. Und noch immer sind die Staatskassen in Peking prall gefüllt. Andere Unternehmen müssen sich dagegen auf neue Spielregeln einstellen. So mancher chinesische Kunde bezahlt sie schon mit Wechseln oder stellt Investitionen zurück. Da lohnt es sich, den Kundenkreis zu diversifizieren und auch technologisch abgespeckte Produkte auf den Markt zu bringen, denn in der Krise steckt auch eine Chance. Wer clever ist, macht sich jetzt fit für die Zeit nach der Konjunkturdelle, denn kaum ein Investor will den Standort China aufgeben. Dafür ist und bleibt der Markt einfach zu attraktiv. Übrigens: Die Sparkassen-Finanzgruppe bietet Ihnen geballte ChinaKompetenz. Nicht nur über den S-CountryDesk, sondern auch dank unserer Vertretungen vor Ort. So betreiben wir allein drei German Centres im Reich der Mitte, die wir in diesem Heft vorstellen. Ihre Sparkasse vermittelt Ihnen gerne den Kontakt! Eine gewinnbringende Lektüre wünscht Thomas Stoll 1/2016 AUSSEN WIRTSCHAFT 03 editorial 160205-1446 SG.indd Editor:3 3 5.2.16 15:01 Windrotoren drehen sich auch an Kanadas Himmel. Das nordamerikanische Land entdeckt die Vorzüge der erneuerbaren Energie. [Seite 21] China – im Bild Guangzhou – hat sich sehr schnell modernisiert. Das Tempo lässt zwar nach, doch für deutsche Firmen sind die Aussichten weiterhin gut. [Seite 10] 1|2016 INHALT NAMEN & NACHRICHTEN 6 Neuer Liebling Iran Die Aufhebung vieler Sanktionen gegenüber Iran lässt deutsche Firmen auf gute Geschäfte hoffen. 7 Spitzengeschäfte in den USA Die deutschen Investoren in den USA blicken optimistisch in die Zukunft, hat eine Umfrage der Auslandshandelskammer ergeben. 8 Heiter bis wolkig Das Konjunkturklima im EuroRaum hellt sich auf, eine leichte Steigerung der wirtschaftlichen Dynamik ist möglich. RUBRIKEN 3 Editorial 5 Impressum 50 Kolumne Interkulturelles 4 TITELGESCHICHTE 10 Überblick bewahren Chinas Wirtschaft wird von Krisen geschüttelt, das Wachstum hat sich verlangsamt. Viele deutsche Unternehmen, die im Reich der Mitte aktiv sind, stellt dies vor große Herausforderungen – zum Beispiel, was das Zahlungsverhalten der Kunden betrifft. Allerdings sind diese Risiken in der Regel gut beherrschbar. LÄNDER & REGIONEN 16 Reiche Ernte für Investoren Nicaragua will den Anschluss an die Weltwirtschaft finden und wirbt verstärkt um Investoren. Schokoladenhersteller Ritter Sport und Automobilzulieferer Dräxlmeier sind schon dort und haben gute Erfahrungen gemacht. 18 Kein Platz für Europa Polen war ein vorbildliches EU-Mitglied. Die neue Regierung der Partei PiS schert nun allerdings aus der europäischen Familie aus und setzt zudem andere wirtschaftspolitische Akzente. BRANCHEN & MÄRKTE 21 Wind säen – Strom ernten Bisher ist Kanada nicht durch große Aktivitäten bei der Erschließung nachhaltiger Energiequellen aufgefallen. Diese Einstellung ändert sich momentan. 24 In den schönsten Farben Deutschlands chemische Industrie ist mittelständisch geprägt. Während die Geschäfte im Inland stagnieren, floriert der Export. Als Spezialisten können sich die deutschen Unternehmen gut am Markt positionieren. AUSSEN WIRTSCHAFT 1/2016 04-05 inhalt 160205-1449 SG.indd Inhalt:4 5.2.16 15:01 IMPRESSUM Herausgeber und Verlag: Deutscher Sparkassen Verlag GmbH, 70547 Stuttgart, Telefon: +49 711 782-0 Chefredakteur: Thomas Stoll Stlv. Chefredakteur: Ralf Kustermann Art Director: Joachim Leutgen Redaktionsleitung: Gunnar Erth, Telefon: +49 711 782-12 72, Fax: +49 711 782-12 88, E-Mail: [email protected] Chefin vom Dienst: Antje Schmitz Erfolgreich. Acht German Centres rund um den Globus geben deutschen Firmen Starthilfe – auch in Mexico City. [Seite 30] Farbig. Wie in diesem französischen Baumarkt punkten chemische Produkte aus Deutschland überall in der Welt. [Seite 24] AUSSENHANDEL & INVESTITIONEN Fotos: Corbis, Huber Images, Laif 28 Kaffee und Zündkerze Japaner mögen nicht nur deutsche Technologie, sondern probieren auch gerne Spezialitäten der deutschen Küche. Darum unterhalten Firmen wie Daimler und Bosch Cafés und Restaurants neben ihren Showrooms. 30 Seit 20 Jahren Flagge zeigen Die Landesbanken unterhalten German Centres in Mexico City, Moskau, Singapur, Delhi, Jakarta, Peking, Schanghai und Taican. Sie leisten wertvolle Hilfe für deutsche Unternehmer, die sich vor Ort engagieren wollen. 34 Le Fettnapf Viele Deutsche unterschätzen die kulturellen Unterschiede zu Frankreich. Daran ist schon so manches Geschäft gescheitert. 36 Exportschlager Azubi Das deutsche Ausbildungssystem genießt weltweit Wertschätzung – und wird in viele Länder getragen. STEUERN & RECHT 39 Wachwechsel beim Zoll Zum 1. Mai wird der neue Unionszollkodex der EU in Kraft treten. Die Neuerungen im Überblick. LÄNDERPORTRÄTS 42 Australien Die Regierung in Canberra plant einige Reformen. Diese finanziert sie mit den Einnahmen aus Investitionen und Konsum. Bildredaktion: Gabriele Forst Layout und Grafik: Glückert Graphic Design, Köln Autoren dieser Ausgabe: Peter Borstel, Eli Hamacher, Lothar Harings, Brigitte Hild, Christiane Kühl, Manfred Kurz, Christine Mattauch, Christian Melzer, Michael Neubauer, Susanne Spahn, Birga Teske, Bettina Wieß Inhalt: Trotz sorgfältiger Bearbeitung keine Gewähr. Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck nur mit Erlaubnis der Redaktion. Diese Publikation enthält keine Finanzanalysen bzw. Informationen mit Empfehlungen nach § 34b WpHG. Nachdruck oder sonstige Wiedergabe nur mit schriftlicher Erlaubnis des Deutschen Sparkassenverlags. Anzeigenverkauf: Deutscher Sparkassen Verlag GmbH, Anneli Baumann, Telefon: +49 711 782-12 78, Fax: +49 711 782-20 80, E-Mail: [email protected] Druck: M. P. Media-Print Informationstechnologie GmbH, 33100 Paderborn Bezug: Diese Zeitschrift kann direkt vom Verlag bezogen werden. Dabei gelten folgende Konditionen: Bezugspreis jährlich 65,88 € (jeweils inkl. 7 % MwSt.). Das Abo verlängert sich automatisch um ein weiteres Kalenderjahr, wenn nicht drei Monate vor Ablauf des Kalenderjahres gekündigt wird. Abo-Hotline: Telefon: +49 711 782-11 30, E-Mail: [email protected] Artikel-Nummer: 330 220 564 ISSN 0936-5400 46 Türkei Die Regierung gerät international unter Druck, zudem lässt der wirtschaftliche Schwung nach. 1/2016 AUSSEN WIRTSCHAFT 04-05 inhalt 160205-1449 SG.indd Inhalt:5 5 5.2.16 15:01 1|2016 NAMEN & NACHRICHTEN Iraner beim Gebet. Der Nahoststaat muss jetzt seine marode Industrie erneuern. CHARTS & TRENDS Russland-Krise bereitet Sorgen Zwei Drittel der in Russland tätigen deutschen Firmen leiden unter den EU-Sanktionen. Das ergab eine Umfrage der Auslandshandelskammer Russland. Sanktionen mit Wirkung … Die bilateralen Maßnahmen treffen immer mehr deutsche Unternehmen. 38 August 2014 62 66 Dezember 2015 34 Nicht betroffen … der Firmenumsatz fällt … Wieviel Prozent seit Sanktionsbeginn 2014 welche Umsatzänderung hatten. 1 bis 10 % 5 − 1 bis − 10 % 8 Mehr als 10 % 0% Wasserwirtschaft und Abfallmanagement. Viele Länder buhlen bereits um die neue Gunst des Irans, auch Deutschland – und mit guten Chancen. „Langfristig sind 10 Milliarden Euro Exportvolumen durchaus realistisch“, schätzt Volker Treier, Außenwirtschaftschef des DIHK. Luxemburg auf neuen Schienen Piraten machen die Weltmeere unsicher Verkehr. Die luxemburgische Hauptstadt baut eine Straßenbahnlinie, um dem steigenden Verkehrsaufkommen gerecht zu werden. Für 565 Millionen Euro werde eine 16 Kilometer lange Strecke mit 224 Haltestellen angelegt, berichtet GTAI. Das Projekt eröffne deutschen Anbietern gute Geschäftschancen. Mit der Bahnlinie entsteht auch ein 33 000 Quadratmeter großes Depot mit Wartungseinrichtungen. Eine Website berichtet über das Vorhaben und aktuelle Ausschreibungen. 1964 war die letzte Tramlinie Luxemburgs eingestellt worden. Räuber. Seetransporte bleiben gefährlich. Im vergangenen Jahr verübten Piraten weltweit 246 Angriffe – einen mehr als 2014, berichtet das Schifffahrtsbüro der International Chamber of Commerce. Die Zahl der Geiselnahmen erreichte 271, während sich die Entführungen von Besatzungsmitgliedern von 9 auf 19 mehr als verdoppelten. Angriffe in Südostasien machten 2015 wie im Vorjahr den größten Teil der Überfälle aus. Auch die Gewässer vor Nigeria sowie die Ostküste Afrikas sind ein Hochrisikogebiet für gewaltsame Angriffe. www.luxtram.eu www.icc-ccs.org http://iran.ahk.de 9 14 Mehr als − 30 % 38 − 11 bis − 30 % 26 … auch aus Konjunkturund anderen Gründen Das Gewicht der Sanktionen am Umsatzrückgang der deutschen Firmen. Mehr als 50 % 26–50 % 7 18 Bis zu 10 % 11–25 % Rückgang 42 33 Angaben in Prozent. Quelle: AHK 6 Nachholbedarf. Im Januar wurden die meisten internationalen Sanktionen gegen den Iran aufgehoben. Das Nahostland kann damit seinen gewaltigen industriellen Investitionsstau abbauen, vor allem in den Bereichen Maschinen- und Fahrzeugbau, Baustoffe, erneuerbare Energien, Gesundheitswirtschaft, Fotos: F1 Online, PR Betroffen Der Iran ist jetzt fast jedermanns Liebling AUSSEN WIRTSCHAFT 1/2016 06-07 namen+nachrichten 160205-1446 SG.indd NamNach:6 5.2.16 15:01 NAMEN & NACHRICHTEN Mehr Geld in Ungarn und Tschechien Vergütung. Tschechische Firmen zahlen ihren Mitarbeitern deutlich höhere Gehälter als ungarische Unternehmen. Das geht aus den aktuellen Vergütungsreports der Kienbaum-Management-Consultants hervor. Derzeit verdienen Geschäftsführer in Tschechien im Durchschnitt 117 000 Euro brutto im Jahr, während es in Ungarn lediglich 83 000 Euro sind. Führungskräfte an der Donau erhalten 34 500 Euro, an der Moldau ist es ein Drittel mehr. Auch bei den Facharbeitern sind die Differenzen eklatant: In Tschechien bekommen sie 12 700 Euro im Jahr, in Ungarn 7400 Euro. Allerdings halten auch lediglich 13 Prozent der Befragten das Ausbildungsniveau der magyarischen Fachkräfte für gut; 28 Prozent nannten es dagegen mangelhaft. Im vergangenen Jahr öffnete sich die Gehaltsschere weiter: In Tschechien legten die Löhne um 4,5 Prozent zu. In Ungarn gab es ein Plus von 3,7 Prozent. www.kienbaum.de 1|2016 Die interessante Zahl Deutsche Brauereien setzten 16 100 000 000 Liter Bier 2015 im Ausland ab. 61 Prozent blieben in der EU. Quelle: Destatis Spitzengeschäfte in den USA Erneuerbare Energie rund um die Welt Aufschwung. Die deutschen Investoren in den USA blicken optimistisch in die Zukunft. Eine Umfrage der Deutsch-Amerikanischen Handelskammern ergab, dass die Betriebe 2016 wachsen, einstellen sowie in Forschung und Fertigungskapazitäten investieren wollen. Stolze 97 Prozent der 1900 Befragten erwarten dieses Jahr steigende Umsätze. Als größte Herausforderung betrachten sie die Suche nach Fachkräften. Viele Firmen fördern deshalb Initiativen zur dualen Berufsausbildung. Kontakte. Die deutschen Auslandshandelskammern bieten 2016 im Rahmen der Exportinitiative Erneuerbare Energien 65 Unternehmerreisen an. Auf diesen können deutsche Mittelständler neue Märkte für Produkte und Know-how rund um Fotovoltaik, Windanlagen, Wasserkraft und Biomasse erschließen. 21 der staatlich geförderten Reisen führen in europäische Staaten, 14 haben den amerikanischen Kontinent zum Ziel, Asien ist 18-mal vertreten, Afrika 11-mal. www.ahk-usa.com/gabo www.efficiency-from-germany.info 5th Avenue ist das teuerste Pflaster Handel. Die teuerste Einkaufsstraße liegt in New York. 33 812 Dollar im Jahr kostet die Ladenmiete in der Upper 5th Avenue – pro Quadratmeter. Kfz-Produktion bei Audi in Györ. In Ungarn sind die Industrielöhne niedrig. Die Mieten in der Shoppingmeile in Manhattan stiegen 2015 um 3,6 Prozent, berichten die Immobilienexperten Cushman & Wakefield. Am teuersten in Europa sind die Pariser Champs-Élysées. Aus Deutschland kam nur München als Zehnter in die Spitzengruppe. New York, Upper 5th Avenue 33 812 Hongkong, Causeway Bay Paris, ChampsÉlysées London, New Bond Street 23 178 13 255 12 762 Mailand, Via Montenapoleone 10 000 Zürich, Bahnhofstraße 8643 Tokio, Ginza 8520 In US-Dollar pro Quadratmeter im Jahr. Quelle: Cushman & Wakefield 1/2016 AUSSEN WIRTSCHAFT 06-07 namen+nachrichten 160205-1446 SG.indd NamNach:7 7 5.2.16 15:01 1|2016 NAMEN & NACHRICHTEN [ Konjunkturklima Euro-Zone ] Heiter bis wolkig Wende. Mit einem Anlauf von drei Jahren hat die Konjunktur im Euro-Raum 2015 wieder den Bereich der Normalgeschwindigkeit erreicht. Für dieses und das nächste Jahr ist dem Euro-Raum eine weitere leichte Steigerung der Wirtschaftsdynamik durchaus zuzutrauen. ieser Aufschwung wurde möglich, weil sich das europäische Wachstumsfundament aus Deutschland und Frankreich um die zwei weiteren wirtschaftlichen Schwergewichte in der Währungsunion, Italien und Spanien, erweitert hat. Die großen vier stehen für 78 Prozent der Wirtschaftsleistung im Euro-Raum. Und eine weitere Verbesserung der Wirtschaftsdynamik ist möglich. Dazu trägt bei, dass der Aufholprozess in den Peripheriestaaten noch nicht beendet ist. Die Wirtschaftsleistung in Italien lag im vergangenen Jahr noch um 10 Prozent unter dem Niveau vor der Weltwirtschaftskrise 2008/2009; im Fall von Spanien sind es 5 Prozent. Frankreich braucht Reformen Auch Frankreich und Deutschland dürften wichtige Wachstumsstützen bleiben. Allerdings scheinen die Perspektiven für eine weitere Beschleunigung der Dynamik in diesen beiden Ländern weitgehend ausgereizt. In Frankreich wurden zwar wichtige Reformen, zum Beispiel in der Gebietsverwaltung und am Arbeitsmarkt, angestoßen, aber das reicht noch nicht aus, um die Geschwindigkeit der wirtschaftlichen Entwicklung nachhaltig erhöhen zu können. Deutschland hingegen ist schlichtweg bereits am Anschlag. Die deutsche Arbeitslosenquote 8 Irland bleibt vorn Das stärkste Wachstum des Bruttoinlandsprodukts aller Euro-Staaten wird 2016 wieder Irland zugetraut. Irland 4,6 Lettland 3,2 Malta 3,2 Slowakei 3,0 Litauen 2,9 Estland 2,7 Spanien 2,6 Slowenien 2,1 Luxemburg 2,0 Niederlande 2,0 Zypern 1,8 Österreich 1,8 Deutschland 1,7 Portugal 1,5 Belgien 1,5 Italien 1,4 Frankreich 1,4 Finnland 0,9 Griechenland In Prozent. Quelle: DekaBank −0,5 ist die niedrigste, nicht nur in der Währungsunion, sondern in der gesamten Europäischen Union. Am deutschen Arbeitsmarkt herrscht seit Längerem Vollbeschäftigung. Darüber hinaus steigen die Gefahren für das deutsche Geschäftsmodell der Industrieproduktion im mittleren Hochtechnologiebereich. Die Lohnstückkosten Deutschlands – ein Maß für die preisliche Wettbewerbsfähigkeit – stiegen in den letzten Jahren deutlich an. China macht mehr Konkurrenz Hinzu kommt eine zunehmende Konkurrenz für die deutsche Industrie. Schwellenländer wie China stoßen immer tiefer in die Märkte der deutschen Industrie vor. Darüber hinaus verliert die Globalisierung an Dynamik, und das vormals investitionslastige Wachstum der Schwellenländer soll erklärtermaßen konsumbetonter werden. Leider sind Konsumgüter aber der schwächste Teil der deutschen Produktpalette. Die gesamte Währungsunion wird auch dieses Jahr noch von einem schwachen Außenwert des Euros, niedrigen Energiepreisen und der sehr lockeren Geldpolitik durch die Europäische Zentralbank profitieren. Während es Anzeichen für ein Auslaufen der positiven Impulse vom EuroWechselkurs und den Energie- Foto: Melzer D AUSSEN WIRTSCHAFT 1/2016 08-09 eurozone 160205-1448 SG.indd Str-3sp:8 5.2.16 15:01 preisen im nächsten Jahr gibt, ist damit zu rechnen, dass die Geldpolitik als wichtige Konjunkturstütze erhalten bleibt. Erst für Ende 2018 ist ein vorsichtiges Anheben der Leitzinsen zu erwarten. Dass der Euro-Raum in diesem Jahr wirtschaftlich nicht auf die Überholspur wechseln wird, liegt auch daran, dass die Aufräumarbeiten nach Jahren der finanziellen Übertreibung und der darauffolgenden Weltwirtschaftskrise sowie der Euro-Schuldenkrise noch nicht beendet sind. Der Schuldenabbau steht erst am Anfang, und in manchen Ländern besteht das Ziel zunächst darin, den Anstieg der Verschuldung zu bremsen. Das gilt zum Beispiel für Frankreich. Italien und Spanien Die Hälfte für zwei Christian Melzer, Volkswirt bei der DekaBank mit Schuldenständen – gemessen am Bruttoinlandsprodukt – von 136 und 97 Prozent haben noch einen weiten Weg vor sich. Neben der Schuldenkonsolidierung sind Strukturreformen die zweite wichtige unvollendete Baustelle, um die nachhaltigen Wachstumsmöglichkeiten zu verbessern. Die strukturellen Probleme sind dabei selbst unter den gro- ßen Volkswirtschaften im EuroRaum sehr unterschiedlich ausgeprägt. Die realwirtschaftliche Heterogenität der Länder ist vielschichtig und stellt die europäische Wirtschaftspolitik vor besondere Herausforderungen. So trifft die sehr expansive Geldpolitik der Europäischen Zentralbank in Deutschland auf eine Volkswirtschaft mit Vollbeschäftigung, in Italien und Spanien auf Länder mit erheblicher volkswirtschaftlicher Unterauslastung. Dennoch bleibt festzuhalten: Der Erholungsprozess im EuroRaum setzt sich fort, und in diesem Jahr ist mehr als die Normalgeschwindigkeit beim Wirtschaftswachstum zu erwarten. Christian Melzer Frankreich ist Deutschlands Hauptkunde Anteil der Euro-Länder am Bruttoinlandsprodukt der gesamten Region. Übrige Länder „Die Aufräumarbeiten sind noch nicht beendet“ Fünf Länder nahmen in den ersten elf Monaten des vergangenen Jahres mehr als die Hälfte der deutschen Exporte in die Europäische Union auf – allen voran Frankreich. 16,4 Deutschland 29,7 Niederlande 6,3 Spanien 10,2 Frankreich 21,3 Italien 16,1 Angaben in Prozent. Quelle: DekaBank Sorgenkind Zypern Leistungsbilanz 2016 der Länder der Euro-Zone im Vergleich. 9,2 Niederlande 8,0 Deutschland 3,0 Euro-Raum 2,3 Italien 1,5 Griechenland 1,1 Spanien Frankreich Zypern −0,4 −3,8 Prognostizierte Angaben in Prozent. Quelle: IWF Angaben in Mrd. Euro. Quelle: Destatis © GeoKarta.de 01/2016 1/2016 AUSSEN WIRTSCHAFT 08-09 eurozone 160205-1448 SG.indd Str-3sp:9 9 5.2.16 15:01 1|2016 TITELGESCHICHTE [ China ] Überblick bewahren Konjunktur. Chinas Wirtschaft kriselt, das Bruttoinlandsprodukt wächst langsamer. Wie deutsche Firmen auch in schwieriger Zeit im Reich der Mitte Erfolg haben können. Foto: Huber Images E s ist wieder so weit. China greift der Wirtschaft unter die Arme. Die mächtige Staatliche Kommission für Entwicklung und Reform genehmigte in den ersten zehn Monaten des vergangenen Jahres 237 Projekte für satte 1,9 Billionen Yuan, umgerechnet 266 Milliarden Euro: Straßen, Bahnstrecken, Flughäfen, Kraftwerke. Um die Autoindustrie zu stimulieren, halbierte Peking im Oktober bis Ende 2016 die Kaufsteuer auf alle Autos mit bis zu 1,6 Liter Hubraum. Die Verkäufe stiegen sofort steil an. Solche Stimuli hatte China zuletzt während der globalen Wirtschaftskrise vor sieben Jahren eingesetzt. Die Maßnahmen sind ein Zeichen, dass die Regierung die von ihr selbst proklamierte „Neue Normalität“ doch nicht so gelassen betrachtet, wie sie es öffentlich kundtut. Den Slogan hatte Präsident Xi Jinping geprägt, um sein Land auf den Abschied von zweistelligen Wachstumsraten einzustellen. Ministerpräsident Li Keqiang betonte kürzlich, auch 6,5 Prozent Wachstum seien doch prima. Um 6,9 Prozent wuchs Chinas Wirtschaft 2015 – langsamer, als zum Jahresanfang erwartet worden war. Doch die Regierung befürchtete offenbar eine noch stärkere Abkühlung und öffnete daher den Staatssäckel. Auch internationale Firmen übernahmen bereits den Slogan vom New Normal, um ihre eigenen 10 AUSSEN WIRTSCHAFT 1/2016 10-15 china 160205-1448 SG.indd Str-2sp10 5.2.16 15:02 Land im Wandel. Der Boom der letzten Jahrzehnte hat China verändert. Die Skylines der Metropolen zeugen von der gewaltigen Aufbruchstimmung, die aktuell allerdings einen Dämpfer erfährt. 1/2016 AUSSEN WIRTSCHAFT 11 10-15 china 160205-1448 SG.indd Str-2sp11 5.2.16 15:02 TITELGESCHICHTE [ China ] Wachstumsdellen zu erklären. Von Raten über 6 Prozent kann Europa zwar nur träumen, doch der Trend ist eben rückläufig – und das verursacht Probleme. Schon länger steigen die Kosten, nun sinken die Erträge. Die Firmen müssen sich auf die neuen Umstände einstellen, um weiterhin Erfolg zu haben. „Generell gilt nicht mehr, dass es grundsätzlich hohes Wachstum für alle gibt“, sagt Christian Sommer, Geschäftsführer des German Centre in Schanghai, das Büroräume an Mittelständler vermietet. Manche Sektoren stagnieren, andere boomen unbeirrt, darunter Spezialprodukte für bestimmte Nischen oder Zulieferer für die Technisierung der Produktion. „Die Automatisierung ist auf dem Vormarsch, davon profitieren auch deutsche Lieferanten“, so Sommer. Generell seien Konsumgüteranbieter weniger stark vom New Normal betroffen als die Industrie, sagt Thomas Heck, Leiter der China Business Group von PwC Deutschland mit Sitz in Schanghai. „Die Menschen sind immer noch sehr kauflustig“, erklärt er. Allein das Luxussegment leidet unter einer großen Kampagne gegen Korruption. Bestechliche Kader hatten früher einen großen Teil der Luxuskunden ausgemacht. Erfasst hat New Normal auch den zuvor so erfolgsverwöhnten Autosektor. „Das hat die gesamte Zulieferkette erwischt“, sagt Jörg Buchheim, bis vor Kurzem China-Chef von Hella, einem Hersteller von Autoelektronik und -leuchten. In den ersten neun Monaten 2015 legten die Autoverkäufe nur um 2,8 Prozent gegenüber dem Vorjahr zu – und das auch nur, weil boomende Sportgeländewagen die Verluste der Limousinen und Kleinwagen ausglichen. Erst die Steuersenkung im Oktober kurbelte die Nachfrage wieder an. Die Chinesische Mauer ist Symbol für die Größe des Landes – und seinen gewaltigen Markt. Pessimismus macht sich breit Anteil der deutschen Investoren in China, die aktuell mit einer Verschlechterung der Lage ihrer Branche rechnen. 21 Automobil 56 34 Maschinenbau 25 Andere Mai 2015 September 2015 59 32 Angaben in Prozent. Quelle: AHK China, Oktober 2015 Erwartungen deutscher Investoren im September hinsichtlich der Erreichung der eigenen Geschäftsziele 2015. Verfehlen 16,3 8,2 Übertreffen 28,6 Teilweise erreichen Erreichen 30,6 16,3 Angaben in Prozent. Quelle: AHK China, Oktober 2015 Überwiegend erreichen In einigen Branchen sinkt die Liquidität Zwar lag der Einbruch auch an einer Blase am Aktienmarkt – viele Menschen kauften Aktien statt Autos. Als die Blase im Sommer platzte, hatten viele Anleger Teile ihres Gelds verloren. Im gesamten Jahr stiegen die Autoverkäufe daher trotz des Minibooms infolge der Steuersenkung nur um 7,3 Prozent auf 21,1 Millionen Pkws. Die Folge, so Buchheim: „Businesspläne mussten angepasst werden, manche Investitionskonzepte waren nicht mehr umsetzbar.“ Dabei spricht er für die ganze Branche. In bestimmten Wirtschaftszweigen ging die Liquidität zurück. „Zum Beispiel in der Baumaschinenindustrie, wo große Lagerbestände aufgebaut wurden“, sagt Heck. Nach Angaben des deutschen Straßenbau- 12 AUSSEN WIRTSCHAFT 1/2016 10-15 china 160205-1448 SG.indd Str-2sp12 5.2.16 15:02 maschinenherstellers Wirtgen etwa ist dessen Teilmarkt seit dem höchsten Stand im Jahr 2011 um die Hälfte zurückgegangen. Heck: „Liquiditätsengpässe haben auch Folgen für die Zulieferer, auch deutsche.“ Zahlungen würden daher zunehmend mit einem sogenannten Bank Acceptance Draft gestreckt. In der Autoindustrie bezahlt so mancher Händler die Hersteller mit einem solchen Wechsel, der eine Laufzeit von bis zu einem Jahr haben kann. Die Autobauer wiederum bezahlen ihre eigenen Zulieferer damit. Gesichert sind diese Wechsel von nationalen oder lokalen Banken. Das Risiko: Viele Provinzbanken sind selbst in finanziellen Schwierigkeiten. „In dieser Lage wird auf verschiedene Weise versucht, Kosten abzuwälzen“, sagt Christian Sommer. So berichteten ihm manche Firmen von Versuchen einzelner Lieferanten, Steuern auf den Preis aufzuschlagen, die laut Vereinbarung inbegriffen waren. Wieder andere deutsche Firmen leiden unter der Verzögerung von Lieferterminen. Das typische Szenario: Die bestellte Maschine ist angezahlt, maßgefertigt und wartet im Lager in Deutschland auf den Transport nach China, denn der Kunde hat Cashflow-Probleme und lässt das Gerät erst liefern, wenn er die Restzahlung leisten kann. „Storniert wird aber nicht“, so Sommer. Immerhin. „Künftig wird sich die ganze Zulieferkette stärker an der Vorfinanzierung beteiligen müssen“, erwar- tet Jörg Buchheim. So müssten etwa Entwicklungskosten selbst aufgebracht und dann auf die Teilepreise umgelegt werden. Früher habe ein Autobauer dem Zulieferer solche Kosten direkt erstattet. Das Risiko: Wenn das neue Modell nicht gut läuft, wird aus einem positiven Business Case schnell ein negativer. Um weiter zu wachsen, müssten viele Zulieferer nach Ansicht des Experten intensiver mit lokalen Autobauern kooperieren. Bei diesen seien die Umlagen zwar besonders hoch, sagt Buchheim. Dafür verhandelten sie aber ganze Plattformen statt einzelner Modelle. „Und das senkt das Risiko wieder“, betont er. Zweites Standbein in der Region Die Renditen liegen in jedem Fall niedriger als in den Boomjahren. 14 Prozent der Firmen einer PwCAnalyse gaben an, eine Produktion in China lohne sich nicht mehr aufgrund steigender Produktionskosten und Löhne sowie der schwierigen Marktlage und sinkender Erträge. 4 Prozent haben daher die Produktion aus China abgezogen. 44 Prozent der Firmen wählten bei einer Expansion andere Länder wie Indien, Thailand, Malaysia oder Vietnam als zusätzliche Standorte, ohne aber die chinesischen Fabriken zu schließen. Das zeigt, dass der einstige China-Hype vorbei ist, ohne dass aber massenhaft Betriebe ihr Mehr Konsum und Dienstleistungen Konjunktur. Chinas Wirtschaft ist im Wandel – an allen Fronten. Niedrigere Werte BIP-Wachstum in China in Prozent. Foto: Getty Images 7,7 Zweistellige Wachstumsraten gehören der Vergangenheit an. 2015 legte die Wirtschaft des Landes um 6,9 Prozent zu – so wenig wie zuletzt vor 25 Jahren. Die Industrieproduktion wuchs im Dezember gar nur noch um 5,9 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat. Der Außenhandel schwächelt seit Monaten. Die Stromerzeugung ging um 0,2 Prozent zurück. Das ist trotz Energiesparmaßnahmen im Land ein Indiz für eine Stagnation. Stärker legte im Dezember mit 11,1 Prozent der Einzelhandel zu. Interessant: Der Dienstleistungssektor trug mit 50,5 Prozent erstmals über die Hälfte zum Bruttoinlandsprodukt bei. Das nationale Statistikamt geht davon aus, dass dieses Jahr ähnlich werde wie 2015. Die Wirtschaft der Volksrepublik stehe „weiterhin einer komplizierten und unbeständigen internationalen Situation gegenüber“. Ein Wachstumsziel von 7 Prozent – wie noch für 2015 ausgegeben – hält Li Wei von der Standard Chartered Bank dieses Jahr für „überambitioniert“. Der Ökönom Yang Zhao von Nomura erwartet aufgrund „starken Gegenwinds“ etwa 5,8 Prozent Wachstum. 7,7 7,3 6,9 5,8 2012 2013 2014 2015 2016 2015 und 2016: Prognosen. Quellen: Nat. Statistikamt, Nomura 1/2016 AUSSEN WIRTSCHAFT 13 10-15 china 160205-1448 SG.indd Str-2sp13 5.2.16 15:02 TITELGESCHICHTE [ China ] Engagement beenden. Eine Fertigung im Reich der Mitte allein aus Kostengründen wird weniger attraktiv. Für die meisten Firmen ist China aber auch Absatzmarkt. Für sie bleibt die Nähe zum Kunden wichtig. „China ist nicht mehr unbedingt das Billiglohnland, das es einmal war“, sagt auch Ulrich Reichert, ChinaGeschäftsführer von Wirtgen mit Sitz in Langfang bei Peking. „Deshalb ist es von höchster Wichtigkeit, die Herstellungsprozesse zu optimieren, den Einkauf zu professionalisieren und ein gut funktionierendes ITSystem zu haben.“ Jörg Buchheim empfiehlt zudem die konsequente Fortbildung von Mitarbeitern. Und auch bei Entwicklung und Verwaltung müsse mithilfe besserer Prozesse gespart werden. Als mögliche Strategie sieht PwC auch die sogenannten Gut-genug-Produkte. Firmen böten in China oft die gleichen hoch technisierten Erzeugnisse an wie auf dem Heimatmarkt. Für viele chinesische Kunden seien sie allerdings oft überspezialisiert und damit zu teuer. Laut der PwC-Analyse haben nur 16 Prozent der deutschen Firmen abgespeckte Produkte im Angebot. Eine davon ist Wirtgen. „Wir haben 2010 entschieden, die Produkte für China an die Marktforderungen anzupassen“, erzählt Reichert. „Wir haben also gerade zur rechten Zeit Produkte auf den Markt gebracht, die ‚gut genug‘ für die Anforderungen der Kunden sind, die wir aber immer noch mit ruhigem Gewissen den Namen der Wirtgen-Group-Marken tragen lassen können.“ Chinas Mittelschicht wächst – und mit ihr der Konsumhunger der Bevölkerung. tität. In der Wertschöpfungskette soll das Land nach oben klettern, hin zu Hightech und Konsumgütern. An diesem Trend wird auch die neueste Infrastrukturoffensive wenig ändern. Sie verschmilzt zum Teil mit der Kampagne „One Belt One Road“, mit der Peking neue Handelswege über Land und Meer nach Europa bauen will und dabei Infrastrukturprojekte Peking wünscht sich mehr Qualitätsprodukte auch in den Transitländern fördert. Dort können sich durchaus Chancen für deutsche Firmen ergeben, vor Interessanterweise hatten zur gleichen Zeit die lokalen allem für Anlagen- und Maschinenbauer. Konkurrenten begonnen, ihre eigenen Produkte aufSie müssten in diesen Projekten allerdings mit zuwerten, um das Image der zweiten Wahl loszuwer- vorwiegend staatlichen lokalen Partnern kooperieden. Reichert: „Sie mussten feststellen, dass dies nur ren. Staatsriesen dominieren viele Sektoren; neben möglich ist, wenn sie ihre Preise nach oben anpassen.“ Infrastrukturbau sind das die Schwerindustrie, der Durch diese beiden Entwicklungen habe sich der Preis- Finanzsektor oder die Autobranche. In dieser Phase unterschied zwischen chinesischen Premiumherstel- schwachen Wachstums ist der Hunger Pekings nach lern und Wirtgen so stark verringert, dass es Kunden einer weiteren Liberalisierung nicht sehr groß. Im leichterfalle, ein Wirtgen-Produkt zu kaufen. Auch Herbst forderte die Europäische Handelskammer in anderen Sektoren verbessern chinesische Unter- in China (EUCCC) allerdings genau das: China solle nehmen die Qualität – auf Kosten ihres Preisvorteils. endlich die vor drei Jahren vom Zentralkomitee Außerdem, und davon profitieren beschlossenen Reformen umsetzen. Darunter befinden sich eine viele Deutsche, steigt dadurch ihr „Hohes Wachstum Interesse an ausländischen ZulieBeschleunigung der Reform des ferern. Dieser Trend ist politisch Finanzsystems, die Begrenzung für alle gibt es nicht gewünscht. Peking will die Wirtmehr grundsätzlich“ staatlicher Aktivitäten in der Wirtschaft und ein besserer Marktzuschaft neu ausrichten, auch das Christian Sommer, Germangang für private Firmen. Außergehört zu New Normal: Effizienz Centre-Chef in Schanghai dem fordert die EUCCC mehr statt Tempo, Qualität statt Quan14 AUSSEN WIRTSCHAFT 1/2016 10-15 china 160205-1448 SG.indd Str-2sp14 5.2.16 15:02 Thomas Heck, Partner und Leiter der China Business Group von PwC Deutschland mit Sitz in Schanghai Fotos: Corbis, Heck, Sommer „Marketing läuft in China viel stärker über soziale Medien“ Rechtsstaatlichkeit und weniger Kontrolle des Internets sowie die Abschaffung des Katalogs für Auslandsinvestitionen, der Direktinvestitionen in vielen Sektoren untersagt oder mit strengen Auflagen versieht. Trotz aller Hindernisse sind sich Experten und Manager einig: Wer in den Untiefen von New Normal geschickt navigiert, wird in China auch weiterhin Erfolg haben. Die Mittelschicht wächst weiter, das jährliche Pro-Kopf-Einkommen nähert sich der 7000-US-Dollar-Marke. Die Menschen können sich mehr leisten, und das hilft auch der Industrie. Hat sich das Land erst einmal darauf eingestellt, sind 6 Prozent Wachstum nicht so schlecht. Das German Centre verzeichnet weiterhin Nachfrage von Firmen, die nach China wollen. So ist gerade eine Dependance mit fünf Bürostockwerken in Taicang eröffnet worden, einer Kleinstadt westlich von Schanghai, in der viele deutsche Mittelständler produzieren. „Es ist das erste German Centre weltweit in einer Stadt aus der zweiten Reihe“, so Christian Sommer (siehe Seite 30). Langsameres Wachstum war letztlich nötig, um die Wirtschaft in nachhaltigere Bahnen zu lenken und der Umwelt eine Chance zu geben. „Die Umweltverschmutzung hat China massiv geschadet“, sagt Sommer. Weniger Kohleverbrauch hilft den betroffenen Regionen, ihre Luft zu reinigen. Und auch der Umweltschutz bietet Chancen, etwa für deutsche Umwelttechnikfirmen. Christiane Kühl AUSSEN WIRTSCHAFT: Deutsche Firmen müssen ihre Tätigkeit in China anpassen, um in der neuen Normalität erfolgreich zu navigieren. Worauf kommt es an? Heck: Aufgrund der gestiegenen Herausforderungen müssen Unternehmen ein neues Risikoprofil für China erstellen. Dies erfordert eigene Managementfunktionen, die früher nicht nötig waren. In der Boomphase der letzten Jahre konnten die Organisationen der meisten Firmen nicht schnell genug mitwachsen. Man hat sich vor allem um den Verkauf gekümmert und weniger um die Administration. Das muss nachgeholt werden. Ein weiteres Thema ist die Produktivität. AW: Inwiefern? Heck: Zu Zeiten niedriger Löhne war es kein Problem, dass die Arbeitsproduktivität in China etwas niedriger war, auch bei deutschen Firmen. Nun aber steigen die Löhne, vor allem in den Küstenprovinzen. Wer dort weiter fertigen will, muss die Produktivität steigern, etwa durch Prozessoptimierung und Automatisierung. AW: Es heißt, die Nachfrage sei in China robust, man brauche aber die richtigen Produkte, um sie zu befriedigen. Wie stellt man das sicher? Heck: Es wird immer wichtiger, zügig auf Veränderungen im Markt zu reagieren, vor allem bei Konsumgütern. Die Geschmäcker verändern sich in China rasend schnell. Für neue Trendprodukte entsteht dann sofort Bedarf an hohen Stückzahlen. Plötzlich kamen zum Beispiel Geschirrspüler in Mode. Ebenso plötzlich boomten die Sportgeländewagen. Wichtig ist es dafür, dass Unternehmen die sozialen Medien beobachten. Marketing und Verkauf laufen in China viel stärker über soziale Medien, die auch wichtige Kanäle für neue Trends sind. AW: Was ist in der Industrie wichtig? Heck: Früher haben deutsche Firmen gern an andere Deutsche geliefert. Diese Märkte sind oft gesättigt. Heute muss man sich auch chinesische Kunden erschließen. 1/2016 AUSSEN WIRTSCHAFT 15 10-15 china 160205-1448 SG.indd Str-2sp15 5.2.16 15:02 1|2016 LÄNDER & REGIONEN [ Nicaragua ] Reiche Ernte für Investoren Öffnung. Mit einer liberalen Politik will Nicaraguas Regierung mehr Firmen anlocken. Einige deutsche Investoren sind schon da – zum Beispiel Schokoladenproduzent Ritter. D ie Bilder gingen um die Welt. bergischen Finanzministerium. Im Jahr 1979 stürzten die „Dabei ist die Wirtschaftspolitik linksgerichteten Sandinisten Nica- heute liberal. Es gibt stabile Bedinraguas Diktator Anastasio Somoza gungen mit im Schnitt 4,8 Prozent Debayle. US-Präsident Ronald Wachstum in den letzten Jahren.“ Reagan versuchte in den 80er-JahGuido Paris, Executive Vice Preren, die neue Regierung zu Fall zu sident der LBBW, hält die Zeit für bringen. Er scheiterte zwar, festigte mehr deutsche Investitionen für aber damit international den Ruf gekommen. „Nicaragua ist offen des Landes, in der Hand von Sozi- gegenüber der Weltwirtschaft. alisten zu sein. Bis heute hat sich Freihandelsabkommen und Assoder flächengrößte Staat Zentral- ziierungsabkommen geben dem amerikas, einer der ärmeren des Land Rückenwind“, erläutert er. Kontinents, davon nicht erholt. Wirtschaft und Politik seien sta„Das Nicaragua-Bild in Deutsch- bil, die rechtlichen Rahmenbeland ist vage. Man erinnert sich an dingungen solide. Chancen sieht die Auseinandersetzungen der Paris vor allem in den Bereichen 70er- und 80er-Jahre“, sagt Bernd Automotive, erneuerbare EnerReuter, Leiter des Referats Außen- gien und Agrarwirtschaft. Kein wirtschaft im baden-württem- Wunder also, dass die Regierung des Landes aktiv im Ausland um Investoren wirbt. Ende 2015 weilte eine Regierungsdelegation Nicaraguas in Stuttgart und präsentierte sich deutschen Firmen auf einer Veranstaltung von BadenWürttemberg International. Aus Hilfe wurde Freundschaft Engagierten sich 2007 erst Investoren aus 22 Ländern in Nicaragua, so sind es heute Firmen aus 40 Ländern – und tragen so zum langsam wachsenden Wohlstand bei. Einer der Pioniere war Schokoladenproduzent Alfred Ritter. Das Unternehmen ist seit 1990 in Nicaragua präsent. „Wir wollten den Kakaoanbau wieder auf- Kaffee-Ernte. Die kleinen Bohnen sind Nicaraguas Exportgut. 16 wichtigstes AUSSEN WIRTSCHAFT 1/2016 16-17 nicaragua 160205-1448 SG.indd Str-3sp:16 5.2.16 15:02 bauen und halfen bei der Gründung der Kooperative Cacaonica“, erzählt Hauke Will, Chef der landwirtschaftlichen Produktion der Firma. Heute hat Ritter dauerhafte Lieferbeziehungen mit 20 Kooperativen im Land. Es ist eine Winwin-Situation, kann Ritter doch Gutes tun und sich gleichzeitig Kakao sichern. „Wir benötigen im Jahr 12 000 Tonnen. Er ist für uns ein elementarer Rohstoff“, so Will. Aus dem sozialen Engagement wurde mehr: echte Freundschaft. Ritter baute Unterkünfte für die Mitarbeiter der Kooperativen und eine Bodega, wo sie die Bohnen trocknen können. Inzwischen hat der Ritter-Sport-Hersteller den nächsten Schritt gewagt: vom Abnehmer zum Produzenten. 2012 erwarb das Unternehmen 2500 Hektar Anbaufläche. Für die Firma ist der Schritt zum Kakaohersteller Neuland. „Ab 2017 oder 2018 können wir ernten“, so Will. „Langfristig wollen wir 30 Prozent unseres Kakaomassebedarfs aus unserer Produktion decken.“ Foto: Getty Images Niedrige Lohnkosten Ritter genießt einen ausgezeichneten Ruf im Land, wurde 2013 und 2014 von der Regierung als „Soziales Unternehmen“ ausgezeichnet. „Man muss als Investor Anreize schaffen, die nicht nur monetär sind, sondern auch ein soziales Umfeld beinhalten“, betont Hauke Will. Unterstützt wurde die Firma aus Waldenbuch nahe Stuttgart bei ihrem Engagement von der LBBW. Deren Vertreter Guido Paris ist überzeugt: „Wer es in Brasilien schafft, der schafft es auch hier.“ Das zweite große deutsche Unternehmen im Land ist Dräxlmaier. Der Automobilzulieferer aus dem niederbayerischen Vils- Höchstes Wachstum Nicaragua hat die größte Steigerung des Bruttoinlandsprodukts in Zentralamerika. 6,5 BIP in Prozent 6,0 5,5 5,0 4,5 4,0 3,5 3,0 2011 2012 Nicaragua Guatemala Quelle: Weltbank 2013 2014 Costa Rica biburg kam 2009 nach Nicaragua. 2000 Mitarbeiter produzieren auf 16 000 Quadratmetern Kabelstränge. Von seinem Standort im Nordwesten des Landes beliefert Dräxlmaier Autobauer in den USA. Neben Kabeln sind Textilien und Agrarprodukte die wichtigsten Exportgüter. „Kaffee macht 40 Prozent unserer Ausfuhren aus“, erklärt General Alvaro Baltodano, Minister für Ansiedlungen in Nicaragua. „Wir haben das höchste Exportwachstum in Zentralamerika.“ Im Herzen Zentralamerikas Mit 130 000 Quadratkilometern ist Nicaragua das größte Land Zentralamerikas. 6,2 Millionen Einwohner leben in dem Staat. Vor allem die niedrigen Lohnkosten machen Nicaragua für Industriebetriebe attraktiv. „Der Monatsmindestlohn beträgt 230 US-Dollar“, erklärt Gabriel Sanchez von der Investitionsförderagentur Pro Nicaragua. „Wir haben die geringsten Löhne in Zentralamerika. In Mexiko sind sie um 30 Prozent höher.“ Die Logistikkosten seien zwar höher, dennoch sei die Produktion in der Summe deutlich günstiger als in Mexiko. Ein Trumpf im Kampf um ausländische Firmen seien zudem die Freihandelszonen mit angeschlossenen Industrieparks. „Investoren sind dort für mindestens zehn Jahre von den höchsten Steuern befreit“, erläutert Sanchez. Gute Rahmenbedingungen Neben den Löhnen und der guten Logistikanbindung an Europa, Asien und Nordamerika sollen vor allem die Rahmenbedingungen Investoren anlocken, etwa die solide Wirtschaftspolitik. Nicaragua hat seit Jahren das höchste Wachstum der Region (siehe Grafik). Auch die Staatsfinanzen sind in Ordnung. „Moody’s hat unser Kreditrating von B3 auf B2 hinaufgestuft“, berichtet Sanchez stolz. Die Währung ist voll konvertibel, Investoren können ihr Kapital repatriieren und profitieren von der laut Pro Nicaragua höchsten öffentlichen Sicherheit in der Region. „Wir haben eine niedrige Verbrechensrate. Es gibt keine größeren Risiken für Investoren“, so Sanchez. Und es herrsche sozialer Frieden. „Arbeitgeber, Arbeitnehmer und Regierung treffen sich regelmäßig. Wir haben eine enge Partnerschaft“, sagt er. Nicaragua ist eben nicht sozialistisch, sondern sozial. Gunnar Erth 1/2016 AUSSEN WIRTSCHAFT 17 16-17 nicaragua 160205-1448 SG.indd Str-3sp:17 5.2.16 15:02 1|2016 LÄNDER & REGIONEN [ Polen ] Symbolcharakter. Polens neue Regierungschefin Beata Szydlo spricht vor polnischen Fahnen. Kein Platz für Europa Wandel. Polen war immer der Vorzeigekandidat unter den neuen EU-Staaten Mittelund Osteuropas. Mit dem Wahlsieg der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) sind neue wirtschaftspolitische Akzente zu erwarten. D ie Wahlversprechungen von zuziehen, meint Peter Oliver Loew, PiS lesen sich nicht wie ein stellvertretender Direktor des Konjunkturprogramm. Künftig Deutschen Polen-Instituts in Darmsoll für jedes zweite Kind ein Kin- stadt. „Die Reformen der vorigen dergeld ausgezahlt werden; die Regierung werden zurückgenomAnhebung des Renteneintritts- men. Das ist absurd und reiner alters wird rückgängig gemacht. Populismus“, kritisiert er. Die PiSMänner sollen in Polen nur noch Führung plane auch, den Staatsanbis 65 Jahre, Frauen bis 60 Jahre teil in der Wirtschaft auszubauen. arbeiten. „Gerade das Kindergeld „Sie will möglichst viel Kontrolle im ist ein Prestigeobjekt der neuen öffentlichen Leben. Das betrifft die Regierung“, so Stefan Garsztecki, Wirtschaft, aber auch Medien und Professor für Kultur- und Länder- die Justiz“, betont Loew. studien Ostmitteleuropas an der TU Chemnitz. „Die Frage ist, wie die Umstrittene Kohleförderung Versprechen finanziert werden sollen. Vermutlich wird das Defi- Kritisch sehen die Experten auch zit vergrößert – und das in einer den Plan, den Steinkohlebergbau wirtschaftlich guten Situation.“ stärker zu unterstützen. „Die Insbesondere die Absenkung Zukunft der polnischen Wirtdes Rentenalters sieht Garsztecki schaft liegt sicher nicht im Steinsehr kritisch und sagt: „Polen hat kohlebergbau“, so Loew. Das sei ein demografisches Problem. Es eine Branche auf dem absteigenist schon jetzt absehbar, dass den Ast. „Die Bergwerksanlagen man das Rentenalter bald wieder in Polen sind wenig produktiv, erhöhen muss.“ Die neue Regie- Unsummen müssen investiert rung sei entschlossen, ihre sozial- werden“, erklärt er. Sicher spielt politischen Versprechen durch- dabei eine Rolle, dass die neue Regierungschefin Beata Szydlo lange Bürgermeisterin in Brzeszcze in Südpolen war. Dort ist der Kohlebergbau der wichtigste Wirtschaftszweig. Etwa 100 000 Polen seien landesweit im Bergbau beschäftigt, etwa 200 000 in den Zulieferbetrieben, so Stefan Garsztecki. „Es geht Szydlo nicht nur um Arbeitsplätze. Der Bergbau spielte eine wichtige Rolle im Sozialismus, seit 1989 hat die Branche gelitten“, sagt er. „Szydlo wird sich persönlich verpflichtet fühlen.“ Die Kohle sei in Polen der wichtigste Brennstoff bei der Beheizung mit einem Anteil von 80 Prozent, so der Professor. Zu den wirtschaftlich fragwürdigen Vorhaben kommen politische Querelen wie die Auseinandersetzung um die Benennung der Richter des Verfassungsgerichts. Die neue Regierung wolle alle zentralen Schaltstellen der Macht unter ihre Kontrolle bringen und die Rechte des Verfassungsgerichts beschneiden. „Das unter- 18 AUSSEN WIRTSCHAFT 1/2016 18-20 polen 160205-1448 SG.indd Str-3sp:18 5.2.16 15:02 PiS dominiert im Sejm Die nationalkonservative Partei hat die absolute Mehrheit der Sitze im Parlament Sejm. MN: deutsche Minderheit 1 .Nowoczesna: liberal 28 PO: liberal-konservativ 138 PSL: gemäßigt konservativ 16 Kukiz’15: rechtspopulistisch 42 PiS: nationalkonservativ 235 Gesamt 460 Sitze Quelle: Wikipedia Wachstum auf hohem Niveau Polens BIP nimmt stark zu, doch der Staatshaushalt bereitet Sorgen. 2013 123 −4,0 40 2014 Foto: Corbis 123 −3,3 33 3,3 123 2015* 123 −2,8 28 3,5 123 2016* 123 −2,8 28 3,5 123 Haushaltssaldo gräbt die Grundlagen der Rechtsstaatlichkeit. Die Gewaltenteilung wird aufgehoben“, so Loew. In der EU wird der Kurs der Regierung kritisch gesehen. Die EU-Kommission leitete im Januar erstmals ein Verfahren gegen ein Mitgliedsland ein, um die Rechtsstaatlichkeit der Reformen zu prüfen. Doch Szydlo scheut die Konfrontation nicht. Bereits vor ihrer ersten Pressekonferenz im November hatte sie EU-Flaggen aus dem Saal entfernen lassen und sprach nur vor polnischen Fahnen. Die politischen Turbulenzen wirken sich auf das Wirtschaftsklima aus. Der Zloty verlor gegenüber dem Euro und US-Dollar an Wert, und der Warschauer Börsenindex ging in den Keller. Exportorientierte Unternehmen könnten von dem schwachen Zloty zumindest kurzfristig profitieren, sagt Marcin Kaczmarek, CEO und Vorstandsvorsitzender des ITUnternehmens Consileon Polska. Die Stettiner entwickeln Software 1,6 123 BIP-Wachstum auch für deutsche Firmen und Banken. „Da viele IT-Unternehmen keine Geschäfte mit dem öffentlichen Sektor machen, fürchten wir keine Verringerung unseres Umsatzes“, so Kaczmarek. „Im privaten Sektor basiert die Kooperation auf langfristigen persönlichen Vertrauensverhältnissen, und das aktuelle politische Chaos wird keinen Einfluss darauf haben.“ Widerstand im Volk Die neue Regierung sei mehr mit politischen Kämpfen als mit der Wirtschaft beschäftigt, meint der IT-Manager und hofft, dass sich die Änderungen in der Wirtschaft in Grenzen halten werden. Ein Hoffnungsträger sei der neue Minister für Wirtschaftsentwicklung und stellvertretende Ministerpräsident Mateusz Morawiecki, der mehr die Investitionen als den Konsum fördern will. „So besteht die Hoffnung, dass die neue Regierung im Wirtschafts- * = Prognose. Quelle: GTAI bereich vernünftig handeln wird“, meint Kaczmarek. Morawiecki sei zudem Vorsitzender einer großen Bank gewesen, was für seine Kompetenz spreche. Pawel Pawlaszek, Vorstandsvorsitzender von NT Consult Systemy Informatyczne Polska, ebenfalls ein IT-Unternehmen aus Szczecin (Stettin), sieht die Lage pessimistischer und sagt: „Der Widerstand gegen die Regierung wächst dramatisch. Die Stimmung wird von Woche zu Woche schlechter.“ Er hofft, dass der Druck der Bevölkerung die PiS-Führung zum Rücktritt zwingen kann. Pawlaszek leitet die polnische Tochter eines deutschen IT-Dienstleisters und meint, dass die bilateralen Wirtschaftsbeziehungen den Regierungswechsel aushalten werden. Für sein Unternehmen fürchtet er aber, dass die Personalkosten steigen, weil sich die Abgaben für die Krankenversicherung erhöhen werden. Die deutsch-polnischen Wirtschaftsbeziehungen haben 1/2016 AUSSEN WIRTSCHAFT 19 18-20 polen 160205-1448 SG.indd Str-3sp:19 5.2.16 15:02 LÄNDER & REGIONEN [ Polen ] sich in den vergangenen Jahren sehr gut entwickelt. Im Zeitraum Januar bis November 2015 belegte Polen bei der Summe aus Ein- und Ausfuhren den siebten Platz unter allen deutschen Handelspartnern mit stolzen 88,8 Milliarden Euro. Bei den Importen aus Polen wurde sogar der sechste Platz erreicht mit 40,9 Milliarden Euro. Gefragt sind vor allem Fahrzeuge und -teile, Maschinen, Nahrungsmittel, Chemieerzeugnisse und Elektrotechnik. Bei den deutschen Exporten liegt der Nachbar an achter Stelle. Zudem hat Polen bisher 28 Milliarden Euro an deutschen Direktinvestitionen gewinnen können. Das sei ein Sechstel aller ausländischen Investitionen in dem Land, so die polnische Botschaft in Berlin. Mehr als 6000 deutsche Firmen Polen boomt. Das macht sich insbesondere im Stadtbild Warschaus bemerkbar. sind im Nachbarland aktiv und beschäftigen etwa 300 000 Mitarbeiter. Zurzeit baut VW ein neues Werk bei Poznan für rund 800 Millionen Euro. Der Bad Dürkheimer Autofelgenhersteller Uniwheels errichtet eine Produktionsstätte in Stalowa Wola und die Bosch-Tochter BSH ein Haushaltsgerätewerk in Wrocław. Auch die polnischen Firmen weiten ihre Engagements in Deutschland aus. Polnische Unternehmen investierten insgesamt schon mehr als 1,2 Milliarden Euro in der Bundesrepublik. Gelenkte Investitionen Ob die Politik der neuen Regierung die florierenden Wirtschaftsbeziehungen beeinträchtige, lasse sich noch nicht absehen, so die Meinung der Experten. Minister Morawiecki habe die Devise ausgegeben, dass die Wirtschaft dem Menschen dienen müsse, so Stefan Garsztecki. Das heißt, man befürworte zwar Direktinvestitionen, möchte sie aber in bestimmte Richtungen lenken. „Wenn es dann nach Bialystok soll, ist sicher nicht jedes Unternehmen begeistert“, meint er. Bialystok liegt in einem strukturschwachen Gebiet im Osten Polens. Jacek Robak, Leiter der Abteilung Handel und Investitionen der polnischen Botschaft in Berlin, sieht jedenfalls „weiterhin große Möglichkeiten für ausländische Investoren“ in seinem Heimatland. Robak: „Ich denke, es gibt Potenziale im Bereich der Biotechnologie und der Informations- und Kommunikationstechnologie wie auch in der Games-Industrie.“ Er regt eine engere Vernetzung der Forschungs- und Wissenschaftssysteme an, die die grenzüberschreitende Zusammenarbeit effektiver machen solle. Susanne Spahn Jacek Robak, Leiter der Abteilung für Handel und Investitionen der polnischen Botschaft in Berlin „Bisherige Anreize bleiben unberührt“ AW: Ist von der neuen Regierung ein Wechsel in der Wirtschaftspolitik Polens zu erwarten? Robak: Die neue Regierung plant keine Regelungen, die als wesentlicher Wechsel der bisherigen Wirtschaftspolitik zu bezeichnen sind. Es gibt zwar Pläne für zum Beispiel eine zusätzliche Besteuerung der Einkommen ausländischer Banken oder der Supermärkte, aber eine Bankenabgabe wurde 2010 auch in Deutschland eingeführt. AW: Gibt es Auswirkungen auf die Investitionsbedingungen? Robak: Aus der Sicht der ausländischen Investoren bleiben bisherige Anreize wie zum Beispiel in den Sonderwirtschaftszonen sowie rechtliche Rahmenbedingungen unberührt. Der riesige polnische Binnenmarkt, neue Infrastrukturprojekte oder die Modernisierung der Energiewirtschaft bieten weiterhin große Möglichkeiten. AW: Welche Branchen bieten die besten Chancen für Investoren? Robak: Im Rahmen der Nationalen Strategie für Innovationen wurden 19 sogenannte intelligente Spezialisierungen definiert. Dazu zählen etwa optoelektronische Systeme, Technologien für Wasserverarbeitung und Wasserrückgewinnung, Labordiagnostik und die Therapie von Zivilisationskrankheiten. 20 AUSSEN WIRTSCHAFT 1/2016 18-20 polen 160205-1448 SG.indd Str-3sp:20 5.2.16 15:02 [ Energie in Kanada ] BRANCHEN & MÄRKTE 1|2016 Wind säen – Strom ernten Alternative. Das Land mit dem Ahornblatt gilt nicht als Klimaschutzvorreiter. Doch die Einstellung in Kanada ändert sich. Neue Energiequellen bieten Chancen. K anadas Potenzial für Energie aus Sonne, Wind oder Biomasse ist riesig. Bislang wurde es nur in geringem Maße ausgeschöpft – eine Folge der Marktbedingungen im Land. „Strom wird in Kanada zur Genüge produziert. Daher sind die Preise ziemlich günstig“, weiß Alexandra Bogensperger, Geschäftsführerin der Zweigstelle Montreal der DeutschKanadischen Industrie- und Handelskammer (AHK). „Da haben es neue Energieformen nicht ganz leicht.“ Sie verweist exemplarisch auf Quebec und sagt: „In dieser Provinz erzeugt die Wasserkraft einen Überschuss an Strom, der zum Teil in die USA exportiert wird.“ Durch die Wasserkraft ist Kanada ein Land der regenerativen Energie. Rund 61 Prozent des Strombedarfs werden auf diese Weise erzeugt. Doch die Ökobilanz des Wassers ist umstritten, die Eingriffe in die Natur bringen Umweltschützer auf den Plan. Deshalb wird zur Abgrenzung auch gerne von „sauberer Energie“ gesprochen, wenn von Windenergie oder Fotovoltaik die Rede ist – zumindest sehen es die Lobbyverbände dieser Branchen so. Am stärksten wird davon die Windenergie genutzt. Ihre Kapazitäten decken rund 4 Prozent des Strombedarfs. Das Potenzial liegt nach Angaben des kanadischen Windenergieverbands Canwea bei Fotos: Corbis, Huber, Robak Neue Aussicht. Von 2012 bis 2015 stieg Kanadas installierte Windenergieleistung um 70 Prozent. 1/2016 AUSSEN WIRTSCHAFT 21 21-23 kanada 160209-1445 SG.indd Str-3sp:21 9.2.16 14:47 BRANCHEN & MÄRKTE [ Energie in Kanada ] Chancen für Strom aus Wind Die Hoheit für Kanadas Energiepolitik liegt bei den Provinzen, die in der Vergangenheit diverse Anreizprogramme aufgelegt haben. „2009 bis 2014 waren starke Jahre“, blickt Alexandra Bogensperger zurück. So betrug 2012 die installierte Windenergieleistung 6201 Megawatt. Aktuell sind es 10 425 Megawatt – fast 70 Prozent mehr. Die AHK hat viele deutsche Unternehmen beim Markteinstieg begleitet, auch mit ihrem Kompetenzzentrum Energie und Umwelt. sich um alles gekümmert“, erinnert sich Helmut Herold. „Ich habe meine Aufgaben damals Bauchladen genannt“, sagt der SenvionGeschäftsführer Nordamerika. „Da war alles drin, von der Finanzbuchhaltung über den Vertrieb und Vertragsverhandlungen bis zu Personalangelegenheiten.“ Mittlerweile braucht sich Helmut Herold nicht mehr um jedes Detail zu kümmern. Senvion beschäftigt heute mehr als 300 Mitarbeiter in Kanada und hat dort eine eigene Produktion. Neben dem Hauptsitz in Montreal existieren Umstrittene Ölsande. Die Energiemehrere lokale Büros, da die Entgewinnung belastet die Umwelt sehr. scheidungsträger vor Ort erreicht werden müssen. In Quebec, wo 90 Prozent aller Senvion-Mitarbeiter Einige deutsche Firmen haben in Kanada sitzen, steht Wind im sogar Produktionsstätten errichtet Fokus der Energiepolitik. Auch in oder Büros eröffnet. Senvion aus Ontario will die Politik mehr WindHamburg war einer der Pioniere. energie ins Land holen, schließlich Der Windenergieanlagenherstel- hat die Industrie dieser Provinz ler konnte 2009 seinen ersten landesweit den größten Energiekanadischen Großauftrag an Land bedarf. British Columbia hat inzwiziehen. „Wir haben schnell ein schen ebenfalls das Potenzial von kleines Team aufgebaut. Jeder hat Windenergie erkannt. Neue Regierung, neue Signale Wandel. In Kanadas Energiepolitik könnte sich ein Umdenken anbahnen. Das zumindest hat die neue Landesregierung angekündigt. In der Vergangenheit spielte die Klimabilanz in Kanada keine große Rolle. Fast ein Jahrzehnt lang setzte die Regierung von Premier Steven Harper auf Ölförderung; der Schutz der Umwelt war Nebensache. 2011 stieg das Land sogar aus dem Kyoto-Protokoll aus. Jetzt ist ein anderes Bewusstsein eingezogen, denn die neue liberale Regierung unter Justin Trudeau Der Neue: Justin Trudeau. hatte den Klimaschutz zum Wahlkampfthema gemacht. „Bislang werden Signale ausgesendet“, berichtet die AHK Kanada. So wurde das Umweltministerium in Ministerium für Umweltschutz und Klimawandel umbenannt. Nun warten alle auf die Umsetzung. „Für konkrete Maßnahmen auf Bundesebene ist es allerdings noch zu früh“, so die AHK. Fotos: Corbis, Petersen, Trudeau 20 Prozent. Der Anteil der Solarenergie liegt dagegen bei unter 1 Prozent. Dort, wo die Erneuerbaren alte fossile Energieträger abgelöst haben, hat sich die Klimabilanz verbessert. In Ontario etwa, wo es keine Kohlekraftwerke mehr gibt, ist der Ausstoß von CO2 um ein Fünftel zurückgegangen. Die Akzeptanz für Wind-, Sonnen- oder Bioenergie ist in der Bevölkerung vorhanden. „Anders als in Deutschland reicht es aber nicht aus, auf Vorteile wie Effizienzsteigerungen zu verweisen“, betont Bogensperger. „Die Wirtschaftlichkeit ist extrem wichtig. Der Return-on-Investment sollte sich relativ schnell einstellen.“ Denn Kanadas Mittelschicht ist nicht bereit, für alternativ erzeugten Strom mehr zu zahlen. Sie ist aber für Argumente empfänglich wie „saubere Energien bringen neue Arbeitsplätze“. Mittlerweile bietet der Sektor, bestehend aus Produktion, Stromerzeugung, Energieeffizienz und Biokraftstoffen, mehr Jobs als die Ölsandindustrie. Das erklärt die Deutsche Messe in Hannover, die sich an mehreren kanadischen Wind- und Solarveranstaltungen beteiligt hat. 22 AUSSEN WIRTSCHAFT 1/2016 21-23 kanada 160209-1445 SG.indd Str-3sp:22 9.2.16 14:47 Deutsche Ingenieurkunst verkaufe sich sehr gut in Kanada, so Senvion. Wichtig ist es laut Herold, „sich auf die lokalen Gegebenheiten einzustellen“. Extreme Wettersituationen, wie sie in weiten Teilen Kanadas möglich sind, erfordern besondere Produkte. So hat Senvion auch Turbinen in einer speziellen, sogenannten Cold-Climate-Version installiert. Auf nach Alberta Ein anderes Beispiel liefert GP Joule, ein 2009 gegründeter Projektierer für Wind-, Solar- und Biostrom. Das Unternehmen aus dem schleswig-holsteinischen Reußenköge ist seit 2011 in Nordamerika aktiv. Über sein kanadisches Headquarter in Toronto agiert es im Segment Solar. „In Ontario gibt es bei der Solarenergie ein ähnliches Fördersystem wie in Deutschland“, erläutert Geschäftsführer Ove Petersen die Standortwahl. Mittlerweile haben die Provinzregierungen die För- Ontario setzt auf Wind Stromerzeugungskapazität durch Windenergie in Kanadas Provinzen 2015. 4 042 Ontario 2883 Quebec 1417 Alberta Nova Scotia 498 British Columbia 489 294 New Brunswick 258 Manitoba Saskatchewan 221 Prince Edward Island 204 Übrige dermaßnahmen reduziert, etwa die Einspeisevergütung für Solarstrom. „Das wirkt sich aus, aber wir kommen trotzdem zurecht“, sagt Petersen (siehe Interview). Was die künftigen Chancen für deutsche Firmen angeht, äußert sich die AHK vorsichtig. „Potenzial ist immer noch da“, sagt Alexandra Bogensperger. In einigen Provinzen habe sich der Markt zwar konsolidiert, doch andere Provinzen wie Alberta hätten gerade richtungsweisende Entscheidungen getroffen, die große Entwicklungsmöglichkeiten freisetzten. Die Kammerchefin rät interessierten Firmen, sich vorab über die speziellen kanadischen Bedingungen zu informieren. Im zweitgrößten Flächenstaat der Erde spielt zudem Logistik eine wichtige Rolle. Unternehmen sollten sich daher auf einzelne Regionen fokussieren. Beste Aussichten sieht die AHK in Westkanada, insbesondere in Alberta, wo traditionell Öl, Gas und Kohle dominieren und hohe Treibhausgasemissionen produzieren. Die Windenergie soll in Alberta einen Großteil der Kohlekraftwerke ersetzen, die bis 2030 abgeschaltet werden müssen. Idealer- 65 Angaben in Megawatt. Quelle: Canwea weise arbeiten Newcomer vor Ort mit regionalen oder lokalen Partnern zusammen, die im Markt verankert sind. Auch ein Engagement als Zulieferer im Rahmen von Projekten, etwa bei der energetischen Gebäudesanierung, ist denkbar, denn die Kanadier haben erkannt, dass so die CO2-Bilanz verbessert werden kann. Viele Objekte befinden sich energetisch bei Weitem nicht auf dem aktuellen Stand und sind wahre Klimakiller. Ove Petersen, Geschäftsführer von GP Joule aus Reußenköge „Es gibt Gegenden ohne Netzausbau“ AUSSEN WIRTSCHAFT: Warum sind Sie in Kanada aktiv? Petersen: Ein wichtiger Grund war das Ziel, sich geografisch zu diversifizieren. Bei erneuerbaren Energien hängt viel von der jeweiligen Politik ab. Aber Regierungen kommen und gehen. Es kann sein, dass eine neue Regierung die Erneuerbaren weniger fördert. Dann ist es gut, auch in anderen Regionen vertreten zu sein. Was Kanada angeht, haben wir Produkte, die für den Markt interessant sind. AW: Ist Kanada auch ohne Fördermaßnahmen attraktiv? Petersen: Eindeutig ja. Natürlich haben uns Unterstützungen wie die Einspeisevergütung in Ontario geholfen. Wenn diese jetzt zurückgefahren wird, heißt das nicht, dass wir nicht mehr wettbewerbsfähig sind. Vielfach machen auch die infrastrukturellen Gegebenheiten eine Region attraktiv. In Ontario etwa gibt es Gegenden ohne Netzausbau. Energieerzeugung durch Solartechnologie ist da günstiger als herkömmliche Generatoren. AW: Welchen Tipp haben Sie für deutsche Markteinsteiger? Petersen: Möglichst schnell lokale Leute einbeziehen. Die verfügen über ein Netzwerk und kennen die Wirtschaftskultur. Nur mit deutschen Mitarbeitern geht es nicht. Peter Borstel 1/2016 AUSSEN WIRTSCHAFT 23 21-23 kanada 160209-1445 SG.indd Str-3sp:23 9.2.16 14:47 1|2016 BRANCHEN & MÄRKTE [ Chemie ] In den schönsten Farben Alleskönner. Der Mittelstand prägt Deutschlands Chemieindustrie. Ihre Produkte verkauft sie weltweit. Das ist nötig, denn das Inlandsgeschäft stagniert, während der Export boomt. Z um Durchatmen bleibt Frank Haug wenig Zeit. Schlag auf Schlag verkündet die Bodo Möller Chemie GmbH, wo sie künftig international Präsenz zeigen wird. Anfang Dezember 2015 eröffnete der Offenbacher Anbieter von Spezialchemikalien seine erste Niederlassung in China. Erst Mitte November hatte Geschäftsführer Haug die Expansion in den Nahen Osten angekündigt. Nur wenige Tage zuvor war eine neue Vertriebsfiliale in Ungarn an den Start gegangen. In 15 Ländern vertreibt die Gruppe heute Markenprodukte namhafter Hersteller wie BASF oder Dow Automotive Systems. Jeder zweite Euro wird bereits im Ausland umgesetzt. Während in der Öffentlichkeit vor allem BASF und Bayer für Chemie aus Deutschland stehen, wird die Branche tatsächlich von kleinen und mittleren Unternehmen wie Bodo Möller Chemie geprägt. Die Mittelständler beschäftigen jeweils weniger als 500 Mitarbeiter und stellen 90 Prozent der rund 2000 Chemiefirmen. Laut dem Verband der Chemischen Industrie (VCI) erwirtschaften sie rund 30 Prozent des Branchenumsatzes und beschäftigen mehr als ein Drittel aller Mitarbeiter. Anders als in der Autoindustrie etwa liefern sie nicht den Marktführern Vorprodukte zu, sondern sind Kunden der Konzerne, deren Nicht nur in Frankreich sind deutsche Chemieprodukte 24beliebt. AUSSEN WIRTSCHAFT 1/2016 24-27 chemie 160205-1452 SG.indd Str-3sp:24 5.2.16 15:02 Vorprodukte sie weiterverarbeiten. Ihr Portfolio reicht von Lacken, Farben, Klebstoffen, Möbel- und Schuhpolituren über Arzneimittel bis zu Wasch- und Reinigungsmitteln. Als Spezialisten können sie sich am Markt gut positionieren. Henrik Meincke, Chefvolkswirt beim VCI, beobachtet, dass „industrielle Kunden wie Auto- oder Elektrohersteller heute immer hochwertigere Chemikalien benötigen“. Während die Marktführer wie BASF und Bayer die gesamte Produktpalette aus Basis-, Fein-, Spezial- sowie Konsumchemikalien anböten, konzentrierten sich die mittelgroßen Unternehmen auf Fein- und Spezialchemikalien. In diesen Bereichen verzeichnen die deutschen Anbieter aktuell die besten Absatzmöglichkeiten. Laut Meincke sind die Wachstumschancen für die kleinen und mittleren Unternehmen sogar noch etwas besser als für den Branchendurchschnitt. Foto: Laif Auslandsproduktion im Trend Schon heute spielt das Ausland eine große Rolle für diesen Industriezweig. Mehr als 60 Prozent steuert das Geschäft außerhalb Deutschlands zum Umsatz bei, wobei dieser Wert für Konzerne und Kleine gleichermaßen gilt. VCI-Chefvolkswirt Meincke stellt fest, dass die Mittelständler es nicht beim Export belassen wollen, sondern zunehmend auch im Ausland produzieren, um ihren Kunden zu folgen. Was es vor Ort zu beachten gilt und welche Erfahrungen andere VCI-Mitglieder machen, darüber informiert der Verband regelmäßig in regionalen Workshops zu verschiedenen Auslandsmärkten, sei es China, Indien, die USA oder auch Afrika. Überall im Einsatz Imposant. Die Chemiebranche ist einer der größten Wirtschaftszweige Deutschlands. Palette. Die Branche stellt ein breites Produktsortiment her: von Kosmetika über Hustensaft und Textilfasern bis zu Klebstoffen. Die Produkte kommen in allen Lebensbereichen zum Einsatz. Kunden. Nur 17 Prozent der Chemieprodukte gehen direkt an Verbraucher, knapp 80 Prozent werden innerhalb der Industrie weiterverarbeitet. Größte Kunden: Kunststoffverarbeiter, Auto-, Verpackungs- und Bauindustrie. Riese. In Europa erwirtschaftet die deutsche Chemie gut ein Viertel ihres Umsatzes. Sie ist damit mit Abstand die Nummer eins in der Region. Weltweit belegt sie hinter China und den Vereinigten Staaten Rang drei. Bedeutung. In Deutschland ist die Chemie der drittwichtigste Wirtschaftszweig mit knapp 191 Milliarden Euro Umsatz. Sie beschäftigt rund 447 000 Mitarbeiter und investiert jährlich ungefähr 7 Milliarden Euro. Vor allem das Geschäft in Nordamerika boomt Sorgenfalten im Inland Umsatzentwicklung der deutschen Chemieindustrie im Ausland 2015. Osteuropa EU-15 Lateinamerika Afrika Asien Nafta −4 −2 0 2 4 6 8 10 12 Veränderung gegenüber dem Vorjahr in Prozent. Quellen: VCI, Destatis Die Bodo Möller Chemie will international weiter wachsen. Zum Jahreswechsel übernahm der Mittelständler von zwei Chemieproduzenten in China, Osteuropa, Afrika, im Nahen Osten und in Indien Verkaufsbüros und Warenlager sowie ein Werk in Ägypten. Für Frank Haug sind das Meilensteine auf dem Weg zum Ziel, die Wertschöpfung auszubauen. Mit 144 Mitarbeitern erwirtschaftete die Gruppe im abgelaufenen Jahr 66 Millionen Euro. Bis Ende 2016 sollen dann 200 Beschäftigte mehr als 100 Millionen Euro erzielen. Besonderes Augenmerk richtet Haug auf China. „Deutsches Knowhow genießt einen außergewöhnlich guten Ruf in China. Das öffnet uns diesen Markt“, sagt der Geschäftsführer. Für die Kunden aus der Bahn-, Luftfahrt- und Automobilindustrie bietet Bodo Möller Chemie auch Laborservices an. So hatte die Deutsche Bahn angekündigt, vom chinesischen Eisenbahnriesen CRRC Züge und Ersatzteile kaufen zu wollen. „Auch die verwendeten Klebstoffprodukte müssen in China gemäß DIN qualifiziert werden. Diesen Service gibt es aber noch nicht vor Ort“, beschreibt Haug, wo er eine Marktlücke sieht. 14 Die inländische Nachfrage bereitet der Branche keine große Freude, der Umsatz ging um 1,5 Prozent zurück, so der VCI. Die Entwicklung im Ausland sorgt dagegen für bessere Stimmung. Wegen der wirtschaftlichen Stabilisierung im Heimatmarkt Europa, des robusten Aufwärtstrends in den USA und der anhaltenden Nachfrage in Asien erwartet der Verband auch 2016 einen Anstieg der Chemieproduktion in Deutschland. 1/2016 AUSSEN WIRTSCHAFT 25 24-27 chemie 160205-1452 SG.indd Str-3sp:25 5.2.16 15:02 BRANCHEN & MÄRKTE [ Chemie ] Die Top-Exportschlager der deutschen Chemieindustrie Die Bandbreite der Chemieerzeugnisse ist enorm. In welchen Bereichen die Ausfuhren besonders florieren. 1. FeinF i und Spezialchemie. Die Sparte, zu der zum Beispiel Pflanzenschutzmittel, Farben und Desinfektionsmittel zählen, ist die attraktivste im Export. 2015 setzte sie ihren Aufwärtstrend des Vorjahres fort. 2. Ph Pharmazeutika. Die dynamischste Entwicklung innerhalb der Chemiebranche gab es 2015 in der Pharmaproduktion mit einem starken Plus von 4,5 Prozent. Das lag insbesondere am Exportgeschäft. 3. Polymere. P l Diese Kunststoffbestandteile sind ebenfalls international gefragt. Zu ihnen gehört Styropor genauso wie das aus Krimis bekannte Kevlar, aus dem Polizeischutzwesten gemacht werden. Beim 1919 gegründeten Klebstoffspezialisten Jowat SE machen die Umsätze jenseits der Grenze bereits 75 Prozent aus. Mit zuletzt 250 Millionen Euro Umsatz gehören die Detmolder zu den größeren Akteuren der Branche. In sechs Werken auf vier Kontinenten, davon zwei in Deutschland und je eins in den USA, der Schweiz, Malaysia und Australien, produziert Jowat 500 Klebstoffe für so unterschiedliche Industriezweige wie Holz, Textil und Elektro. Mit der zunehmenden Mobilität steige auch der Bedarf an Klebstoffen für Fahrzeuge, erklärt Klaus Kullmann, Vorstand Marketing und Vertrieb, der darin gute Chancen sieht. Zwei Trends begünstigten diese Entwicklung: immer hochwertiger ausgestattete Innenräume und der breiter werdende Mix der dabei verarbeiteten Materialien. Pro Pkw würden im Schnitt 15 Kilogramm Klebstoff verwendet, von der Innenraumkaschierung über die Sitzherstellung bis zu den Scheinwerfern. Hilfreiche Empfehlungen Zu den großen Kunden zählt auch die Textilindustrie. Mit den wachsenden Ansprüchen an die Stoffe, die zum Beispiel waschbeständig und atmungsaktiv sein müssen, steigen die Anforderungen an die Qualität der Kleber. 2015 kam zu den 20 bestehenden Töchtern eine weitere in Kolumbien hinzu. Kundennähe hält Kullmann für unerlässlich, da die leistungsstarken Kleber sehr erklärungsbedürftig seien. Bei den Abnehmern punktet Jowat mit der hohen Qualität der Produkte, der schnellen Verfügbarkeit sowie einem zuverlässigen Service. Bei einem Neustart wie zuletzt in Kolumbien profitiert die in der Branche gut bekannte Industriemarke vor allem von Empfehlungen, etwa dann, wenn ein Möbelhersteller den Lieferanten seiner Maschinen nach einem Klebstoffproduzenten fragt. „Über den Preis können wir nicht verkaufen“, stellt Kullmann klar. So sieht es auch Henrik Follmann. Die Mindener Follmann GmbH & Co. KG setzt auf Service, Qualität und Nachhaltigkeit der Produkte. Anders als bei Jowat stützt sich das Geschäftsmodell der Firma mit 650 Beschäftigten auf mehrere Säulen: Druckfarben, Tapetenbeschichtungen, Klebstoffe sowie Mikroverkapselungen. Die in winzigen Hüllen eingeschlossenen Parfümöle sorgen dafür, dass zum Beispiel Werbesendungen oder Verpackungen duften. Die bei Konsumenten eher unbekannte Firma ist in den Haushalten äußerst präsent. „Jede zweite Papierserviette in Europa wird mit unseren Druckfarben beschichtet“, sagt Follmann. Darüber hinaus bietet das Familienunternehmen Lösungen für Dach- und Balkonabdichtungen, Parkhaussanierungen sowie Straßenmarkierungen. Die Bauchemie verzeichnet aktuell unter anderem in den Ballungsräumen der USA hohe Wachstumsraten und sorgt dafür, dass der Auslandsanteil am Follmann-Umsatz von zuletzt 60 Prozent weiter steigt. Seit der Gründung 1977 beliefert Follmann auch Kunden außerhalb Deutschlands, zunächst in Holland und England. Heute sitzen die Abnehmer in 42 Ländern, betreut von zwölf Auslandstöchtern in West- und Osteuropa sowie China. Produziert wird jedoch nur in Minden. Noch. „Wir denken über ein Werk in China nach“, 26 AUSSEN WIRTSCHAFT 1/2016 24-27 chemie 160205-1452 SG.indd Str-3sp:26 5.2.16 15:02 sagt der Enkel des Gründers. Anders als bei vielen Mittelständlern sind für die Entscheidung nicht die Lohnkosten ausschlaggebend. Wichtigster Grund ist für den Diplom-Kaufmann die Zeitersparnis beim Transport. Die von raschen Trendwechseln abhängige Tapetenindustrie ist auf eine schnelle Lieferung von neuen Farben angewiesen. „So würden wir näher an die Kunden rücken“, unterstreicht der Geschäftsführer. Traditionsreiche Marken Anders als bei den Marktführern BASF und Bayer sind die Namen der Mittelständler außerhalb der Branche zwar kaum bekannt, ihre Produkte hingegen schon. So produziert die 1872 aus einer Apotheke entstandene Engelhard Arzneimittel GmbH & Co. KG die Atemwegstherapeutika Prospan und Isla. Die Isländisch-Moos-Pasta war eines der ersten Fertigarzneimittel gegen Husten und Heiser- Höher hinauf Die Investitionen der deutschen Chemie im Ausland bewegen sich auf Rekordniveau. 9,5 Milliarden Euro 8,5 7,5 6,5 5,5 4,5 2003 2006 2009 2012 2015* * Schätzung. Quelle: VCI keit, das Apotheker Karl Philipp Engelhard, Schüler von Justus von Liebig, in der Frankfurter RosenApotheke entwickelt hatte. 1868 ging die erste Bestellung für das Produkt ein. In mehr als 100 Ländern vertreiben die Hessen heute ihre Medikamente und zählen die asiatischen Staaten zu ihren größten Wachstumsmärkten. Mauricio Aravena, Leiter der International Division, erklärt dies in erster Linie mit dem demografischen Wandel und dem Ausbau der Gesundheitssysteme und sagt: „Hier sticht vor allem Vietnam heraus, das zu den am schnellsten wachsenden Pharmamärkten Südostasiens gehört.“ Im Fokus stünden zudem Myanmar und die Philippinen; aber auch in Kanada und Spanien sehe er großes Potenzial. Vor jedem Markteintritt nehmen die Hessen auf lokalen Messen Kontakt zu potenziellen Vertriebspartnern auf, um Kooperationen auszuloten. Stimmt die Chemie hinsichtlich Außendienst, Potenzial oder auch Produktportfolio, beginnt die Produktzulassung. Dann ist Geduld gefragt. Je nach Land könne das Zulassungsverfahren zwischen ein und sechs Jahre dauern, sagt Aravena. Entscheidender Erfolgsfaktor für ein starkes Auslandsgeschäft sei ein „partnerschaftliches Miteinander mit den Vertriebspartnern“. So kommen auch die deutschen Mittelständler rund um den Globus groß heraus. Eli Hamacher Fotos: Getty Images, Mauritius, Meincke, PR „Mittelständler bauen Produktionsanlagen im Ausland auf“ AUSSEN WIRTSCHAFT: Was sind aktuell die wichtigsten Trends in der Chemieindustrie? Meincke: Globalisierung, Innovation und Spezialisierung. Vor allem außerhalb Europas locken dynamische Wachstumsmärkte, an denen die deutschen Unternehmen teilhaben möchten, sei es durch Export oder Produktion vor Ort. Aufgrund hoher Rohstoff- und Energiekosten sowie Umweltstandards in Deutschland muss die Branche sehr innovativ sein. AW: Da kommt die Spezialisierung ins Spiel. Meincke: Bei Basis-Chemikalien ist international der Wettbewerbsdruck am höchsten. Hier hat die deutsche Branche die geringsten Chancen. Bei Pharmazeutika, Fein- und Spezialchemikalien, zu denen zum Beispiel Klebstoffe, Farben und Pflan- zenschutzmittel zählen, sowie bei Konsumchemikalien mit Körperpflege- und Waschmitteln lockt im Ausland hingegen großes Potenzial. AW: Wo sind die Mittelständler stark? Meincke: Die Mittelständler findet man in allen Segmenten. Sie konzentrieren sich aber vor allem auf Spezial- und Konsumchemikalien. Noch sind sie überwiegend in Europa aktiv und bearbeiten hier die Märkte bevorzugt über Exporte. Henrik Meincke, AW: Wohin geht die Entwicklung? Chefvolkswirt Meincke: Die Mittelständler bauen zunehmend des Verbands der Chemischen Produktionsanlagen im Ausland auf, und zwar Industrie (VCI) jeweils dort, wo ihre Kunden sitzen. Das kann Europa, Amerika oder auch Asien sein. Gleichzeitig exportieren sie verstärkt in Märkte außerhalb Europas, um neues Potenzial zu erschließen. 1/2016 AUSSEN WIRTSCHAFT 27 24-27 chemie 160205-1452 SG.indd Str-3sp:27 5.2.16 15:02 1|2016 AUSSENHANDEL & INVESTITIONEN [ Japan ] Kaffee und Zündkerze D er Industriekonzern Bosch ist für seine Autokomponenten, Heimwerkerausrüstung und Küchengeräte bekannt. Doch in Fernost will das Unternehmen einen guten Ruf mit frischem Kaffee und Sandwiches erwerben. Im September 2015 eröffnete der Konzern sein weltweit erstes eigenes Café – mitten im Herzen von Tokio. Das Ziel: die Marke Bosch in Japan bekannter zu machen. Nicht nur Geschäftskunden, sondern auch potenzielle Arbeitskräfte und Meinungsmacher sollen so auf den Konzern aufmerksam werden, der in Nippon rund 7000 Beschäftigte hat. Jahrelang feilte Bosch an seinem Konzept. Mitarbeiter, Architekten und Köche aus Japan besuchten Stuttgart und Berlin, um Menüs und Ausstattung deutscher Lokale an den japanischen Geschmack anzupassen. Herausgekommen ist ein Ort, der modernes Ambiente mit schwäbischen Delikatessen verbindet. Designersessel stehen an robusten Vollholztischen, die Speisekarte offeriert Caffè Latte und Falafel ebenso wie Löwenbräu und Flädlesuppe. Eleganter Übergang Nur ein paar Schritte entfernt beginnt der Eingangsbereich der japanischen Bosch-Zentrale. Dort werden unter anderem Haushaltsgeräte ausgestellt. Mithilfe von QRCodes, die sich mit Smartphones scannen lassen und den Nutzer auf eine Website weiterleiten, können sich die Cafébesucher auch digital über Geschichte und Produkte des Unternehmens informieren. Den Übergang von einem Bereich in den anderen erleichtern Exponate wie ein Sportwagen mit Bosch-Technologie. Bosch ist mit diesem Kaffeehauskonzept nicht allein. Mehrere deutsche Firmen werben in Japan mit einer Mischung aus Ausstellungsraum und Fresstempel für sich. So betreibt Daimler seit einigen Jahren zwei große Showrooms in Tokio und Osaka, die die Verköstigung von Besuchern in den Mittelpunkt ihres Konzepts gerückt haben. So ist das obere Stockwerk der Mercedes-Benz Connection in Tokios Ausgehviertel Roppongi von einer Restaurantbar belegt. Nur ein riesiger Bildschirm an einer der Wände erinnert dort mit Fotos: Bosch-Café Vermarktung. Liebe geht durch den Magen. Entsprechend pflegen deutsche Firmen wie Bosch und Daimler ihr Image in Japan mit Cafés und Restaurants neben ihren Showrooms. 28 AUSSEN WIRTSCHAFT 1/2016 28-29 japan 160205-1452 SG.indd Str-3sp:28 5.2.16 15:02 flimmernden Mercedes-Werbespots daran, wer die Gaststätte betreibt. Im unteren Stock schließt ein legeres Café direkt an eine Ausstellungsfläche an. Dort kann man Autos betrachten, aber nicht kaufen. Stattdessen werden sportliche Accessoires wie Golfzubehör, Schirmmützen und Schlüsselanhänger vertrieben. Der Küchenhersteller Miele ist ebenfalls der Kaffee-Idee verfallen. Im Oktober verköstigte das Unternehmen potenzielle Kunden in Tokio in einem eigens geschaffenen Pop-up-Café. Heißgetränke und Kuchen wurden mit Espressomaschinen und Backöfen aus eigener Produktion zubereitet. Anlass für die zehntägige Aktion war eine große Designausstellung in Tokios Nobeleinkaufsviertel Omotesando. Miele unterhält dort einen von Star-Architekt Kengo Kuma entworfenen Showroom, der im Rahmen der Ausstellung zu einem Café mit Kunsthalle wurde. Die Firma aus Gütersloh kennt die Vorliebe der Japaner für Kuchen und andere Backwaren gut. Regelmäßig bietet sie Kochkurse an, von denen Kunden neben Tipps zur Bedienung der Öfen auch Rezeptideen mit nach Hause nehmen. ADRESSEN + LINKS Café 1886 at Bosch www.bosch-cafe.jp, www.facebook.com/ cafe1886atBoschJapan Mercedes-Benz Connection www.mercedes-benz-connection.com Die Gründe für die Restaurantaktivitäten deutscher Hersteller in Japan sind vielfältig. „Wir hatten das Image, große und teure Autos anzubieten, die vor allem von älteren Fahrern genutzt werden“, erklärt Daimler-Sprecherin Michie Ogata. Um ein jüngeres Publikum anzusprechen und die Einführung neuer, kompakter Modelle in Japan zu unterstützen, musste eine Alternative zum reinen Showroom her. „Im Mittelpunkt sollte etwas stehen, was jeder gern macht: essen und trinken“, sagt Ogata. Damit Besucher die Marke zwanglos erleben können, wurde auf den Einsatz von Autoverkäufern verzichtet. „Anfangs gab es in der deutschen Zentrale wenig Verständnis für das Konzept“, so Ogata. Doch nach 18 Monaten Testphase war der Mutterkonzern überzeugt. Inzwischen wird die Idee unter dem Begriff „Mercedes Me“ global verbreitet. Ein Sportwagen mit Bosch-Technologie markiert den Übergang vom Café zur Firmenzentrale in Japans Hauptstadt. Haushaltsgerätehersteller wie Miele hingegen zielen darauf ab, japanischen Verbrauchern die Funktionsweise ihrer Geräte zu erklären. Weil in Nippon Backöfen, Spülmaschinen und Wäschetrockner sehr viel seltener genutzt werden als in Deutschland, kann es bei deren Gebrauch eher zu Problemen kommen. „Wir wollen vermeiden, dass die Kunden ein teures Produkt kaufen, ohne es richtig nutzen zu können“, sagt MieleSprecherin Reiko Kaneki. Hemmschwellen abbauen Daher bietet das Unternehmen Schnupperkurse an und nutzt Gelegenheiten wie die Designausstellung im Oktober. Ein guter Ansatz, findet Marketingspezialist Andreas Dannenberg. „Für Japaner ist die Hemmschwelle größer, in ein Geschäft zu gehen und sich über ein Produkt zu informieren“, weiß er. Deutsche Produzenten täten gut daran, Situationen ohne Verkaufsdruck zu schaffen. Cafés und andere Erlebniswelten böten dafür eine Möglichkeit. Außerdem könne die eigene Marke den Kunden dort gut vermittelt werden, so Dannenberg. Darauf setzt auch Bosch mit seinem Café 1886 at Bosch. Obwohl die Firma seit mehr als 100 Jahren vor Ort ist, kennt dort fast niemand das Geschäft der Stuttgarter. „Die meisten Japaner können unseren Firmennamen nicht einmal aussprechen“, erzählt Bosch-Sprecher Jun Shimoyamada. Das soll sich ändern. „Wenn sich nach dem Besuch in unserem Café ein Teil der Gäste unsere Ausstellung anschaut, etwas über unsere Produkte lernt und hinterher mehr über unsere Geschichte weiß, ist viel gewonnen“, sagt er. Birga Teske 1/2016 AUSSEN WIRTSCHAFT 29 28-29 japan 160205-1452 SG.indd Str-3sp:29 5.2.16 15:02 1|2016 AUSSENHANDEL & INVESTITIONEN [ German Centres ] Seit 20 Jahren Flagge zeigen Türöffner. Mexico City, Moskau, Delhi, Singapur, Jakarta, Peking, Schanghai und Taicang – in diesen Städten gibt es German Centres. Was diese Einrichtungen der Landesbanken bieten. W enn die Sirene jedes Jahr einmal zur Feueralarmübung schrillt, dann freuen sich die Mieter im German Centre von Singapur, denn sie wissen: Draußen steht alles bereit für das traditionelle Grillfest. „Das ist ein Höhepunkt für uns“, sagt Hanna Böhme, Geschäftsführerin der Tochtereinrichtung der Landesbank BadenWürttemberg (LBBW). Dies ist nur ein Beispiel, wie die German Cen- tres rund um die Welt deutschen Firmen ein Stück Heimat bieten. Vor 20 Jahren gründeten die LBBW und die BayernLB die ersten Zentren in Singapur und Schanghai. Heute gibt es acht dieser Büro- und in einigen Fällen auch Produktionsgebäude mit angeschlossenen Veranstaltungs- und Konferenzräumen. Die Vorteile für Firmen, die sich dort einmieten: Büroangebote in jeder Größe MEXIKO und Gelegenheiten, zu netzwerken, um so den Start im Ausland kostengünstiger und effizienter zu bewältigen. Doch die Tochtergesellschaften der Landesbanken sind nicht nur Vermieter, sondern auch Dienstleister. Sie bieten Hilfe und Tipps im Umgang mit der Verwaltung des Gastlands, sind Ansprechpartner für verschiedene Fragen und fester Bestandteil der deutschen Community. Mexiko-Stadt. Mehr als 180 deutsche Firmen haben seit 2001 das German Centre Mexico als ihr Sprungbrett in die amerikanischen Märkte genutzt. Zu den Mietern zählt auch die DeutschMexikanische AHK. Jeden Monat ziehen Ausstellungen deutscher Firmen unter dem Motto „Made in Germany“ 14 000 Besucher an. Das Centre nimmt 2016 am „Year of Germany in Mexico“ teil, einer Initiative der Bundesregierung. www.germancentre.com.mx 30 AUSSEN WIRTSCHAFT 1/2016 30-33 german centres 160205-1452 SG.indd Str-3sp:30 5.2.16 15:02 In diesem Umfeld können sich wirtschaftlichen Rahmenbedin- dass Indonesien in der Asean Firmen auf die wesentlichen Auf- gungen stattfindet, wie das Beispiel Economic Community das wirtgaben konzentrieren und Syner- Jakarta zeigt: Sie fand inmitten der schaftliche Zugpferd ist“, so Baur. gien nutzen. Vor allem Mittelständ- Asien-Krise statt. „Unsere Anfangs- Zudem ist Jakarta ein Standort, an ler gehören zu den Büromietern. zeit war schwierig. Doch für viele dem die Mieter auch produzieren Doch auch Großunternehmen überraschend zeigte sich Indone- können. Das Gebäude eignet sich schätzen die Dienstleistungen und siens Wirtschaft in der weltweiten auf zwei Etagen zur Einrichtung die Gelegenheit zum Networking. Krise robust“, sagt Julia Baur, die von Werkstätten, für Fertigung, Beim Start 1995 in Singapur heutige Geschäftsführerin. Lagerung und Labors. Die Böden war Berthold Leibinger dabei. Da die Zentren die langfristigen verfügen über eine erhöhte TragUnd er kennt die Vorgeschichte. Wirtschaftstrends im Auge haben, fähigkeit, und IndustriestromDer langjährige Chef des Ditzin- sind sie meist nur kurzzeitig von anschlüsse sind vorhanden. Trotz der wirtschaftlichen ger Werkzeugmaschinenherstel- solchen Einbrüchen betroffen. Bis lers Trumpf erinnert sich an eine heute hat das German Centre in Abkühlung in China sind die Rede des ersten Premierministers Indonesien mit 168 Unternehmen German Centres in Peking und von Singapur, Lee Kuan Yew, Ende Verträge geschlossen, als Mieter Schanghai sehr gut ausgelasder 80er-Jahre. „Er bezeichnete und auch als Nutzer seiner Dienst- tet. Deshalb wurden 2015 wiches als tragischen Fehler europäi- leistungsangebote. Fünf Mieter der tige Erweiterungsprojekte umgescher Industrieller, den wachsen- ersten Stunde sind noch vertreten. setzt. Das Haus in Schanghai hat den Märkten Südostasiens nicht „Alle profitieren seit 2015 davon, als erstes Centre in Taicang genügend Aufmerksamkeit zu widmen“, sagt er. Leibinger unterMoskau. Innovativ und funktional RUSSLAND stützte deshalb mit dem Maschipräsentiert sich seit 2011 das German nenbauverband VDMA und dem Centre in Moskau mit außergewöhnlicher DIHK den Aufbau der ersten ZenArchitektur sowie unterschiedlichen tren in Singapur und Schanghai, Büro- und Veranstaltungsmöglichkeiten. die im selben Jahr eröffnet wurden. www.moscow.germancentre.com Fotos: Corbis, Getty Images, Huber Images Immer wieder China Allen German Centres ist gemeinsam, dass sie an Standorten entstehen, an denen Firmen sich Kunden und Absatzmöglichkeiten versprechen. Asien geriet in den 90er-Jahren in den Fokus, deshalb entstanden dort auch die nächsten Häuser – 1998 in Jakarta und ein Jahr später in Peking. 2001 kam Mexiko City hinzu, 2008 folgte Neu-Delhi. In Moskau wurde 2011 ein Centre eröffnet. Ende des vergangenen Jahres war zum dritten Mal China an der Reihe. Diesmal ging es nach Taicang, einer Stadt im Speckgürtel Schanghais. Planung und Bau der Gebäude nehmen Jahre in Anspruch, was dazu führen kann, dass die Eröffnung nicht immer unter den besten S Ü D O STA S I E N Jakarta und Singapur. Als Sprungbretter nach Asien verstehen sich das 1995 eröffnete Centre in Singapur und das drei Jahre jüngere Centre in Jakarta. In Letzterem gibt es auch Produktionsmöglichkeiten. www.germancentre.co.id, www.germancentre.com.sg 1/2016 AUSSEN WIRTSCHAFT 31 30-33 german centres 160205-1452 SG.indd Str-3sp:31 5.2.16 15:02 AUSSENHANDEL & INVESTITIONEN [ German Centres ] CHINA und Showrooms für Ausstellungen, Maschinenvorführungen sowie Schulungen anbieten. In Peking wurde das Centre um 11 500 auf 21 000 Quadratmeter an einem neuen Standort erweitert. Die beiden Gebäude liegen 500 Meter voneinander entfernt in einem zentralen Geschäftsund Botschaftsviertel im Herzen der deutschen Community. „Die größte Herausforderung besteht darin, die beiden Gebäude logistisch und organisatorisch miteinander zu vernetzen“, sagt Jörg Höhn, Geschäftsführer des Centre in Peking. Die Vernetzung betrifft auch die Mieter, deshalb wird mit Smart Carsharing angeboten. Die Firmen können durch die Anmie- Peking, Schanghai und Taicang. Drei Standorte zeigen die Bedeutung Chinas. Das Centre Taicang ist erst seit Januar in Betrieb. www.germancentre.org.cn, www.germancentreshanghai.com, www.germancentretaicang.com INDIEN Delhi/Gurgaon. Seit 2008 hilft das German Centre deutschen Mittelständlern bei der Bearbeitung des großen und vielfältigen indischen Markts. www.gurgaon.germancentre.com tung von E-Cars umweltfreundlicher in Peking mobil sein. Eine schwierige Zeit durchleben in Russland engagierte deutsche Firmen. Im German Centre in Moskau nutzen sie die aktuelle Situation, um Kosten zu senken, sich neu zu strukturieren und zu organisieren, gute Mitarbeiter auszubilden und Kundenkontakte zu pflegen. „Russland ist nach wie vor die neuntgrößte Wirtschaftsmacht der Welt, und die Entscheider wissen, dass sie Nachholbedarf haben. Deshalb werden sie investieren, und auch der russische Konsum wird ein starker Treiber sein“, so Stephan Weiss, Chef des German Centre in Moskau. Über die Jahre wurden die Zentren zu Zeitzeugen. In Singapur und Gurgaon, einem Vorort von Delhi, wurden sie fast auf der grünen Fläche errichtet. Nun sind sie Teil prosperierender Stadtviertel. In Singapur soll die Endstation des Schnellzugs nach Kuala Lumpur fußläufig in der Nähe des Zentrums gebaut werden. Und der Stadtteil Cyber City in Gurgaon verfügt über die modernste Infrastruktur in Indien und hat eine eigene Metrolinie, die an die Delhi Metro angeschlossen ist. „Ein Vorteil ist auch, dass wir gut an den Flughafen angebunden sind“, sagt Jana Helbig, die Geschäftsführerin des German Centre in Gurgaon. Beste Aushängeschilder Die Lage ist mit ein Grund für die unterschiedlichen Unternehmensgrößen der rund 50 Mieter. Vertreten sind neben ThyssenKrupp und BMW auch diverse Mittelständler. Mit den Firmen Rational und Kuka sind auch Mieter der ersten Stunde dabei. Auch für das German Centre in Moskau hat sich Fotos: Böhme, Getty Images, Huber Images eine Tochtergesellschaft gegründet. „Man nimmt damit den Trend auf, dass immer mehr deutsche Unternehmen Dependancen in Städten der zweiten und dritten Reihe gründen und sie wegen der zunehmenden chinesischen Konkurrenz gezwungen sind, weiter an ihrer Effizienz und der Durchdringung des chinesischen Markts zu arbeiten“, sagt Matthias Müller, der neue Leiter. Taicang ist 45 Autominuten von Schanghais Zentrum entfernt. Dort sind 230 deutsche Firmen aktiv, viele mit Produktionsstätten. Mit dem German Centre will man vor allem Dienstleister ansprechen und den Firmen neben Mietflächen auch Demonstrationsflächen 32 AUSSEN WIRTSCHAFT 1/2016 30-33 german centres 160205-1452 SG.indd Str-3sp:32 5.2.16 15:02 die Anbindung wesentlich verbessert, seit es vor wenigen Wochen einen direkten Zugang zur Metrostation Technopark erhalten hat. Ganz neue Mobilitätswege geht das German Centre in Mexiko City. In der 20-Millionen-Stadt ist das Verkehrschaos alltäglich, wovon auch die Mieter betroffen sind. „Wir haben deshalb ein Konzept zur Work-Life-Balance entwickelt, das die Mitarbeiter unserer Mieter unter dem Motto ‚Fresh at Work‘ täglich in modernen Kleinbussen zum German Centre und zurück bringt“, erklärt Geschäftsführerin Susanna Hess-Kalcher. Auch eine Elektrotankstelle soll eingerichtet werden. Außerdem bringen Dienstleister wie Bäcker und Reinigung ihre Angebote direkt in das Centre, um Wege zu sparen. In jedem Markt steht man für das, was der Kunde an Deutschland besonders ansprechend findet. In Mexico City sind das deut- Sorgenkind Russland Das reale Wirtschaftswachstum 2016 an den German-Centre-Standorten. Indien 6,5 China 6,5 5,5 Indonesien Singapur 2,9 Mexiko 2,8 0,5 Russland Quellen: GTAI, Helaba sche Produkte, die von Firmen im German Centre als Shop Window Germany ausgestellt werden. In Singapur ist es aufgrund des großen Interesses am Umweltschutz die Modernisierung des German Centre als ökologisches Vorzeigeprojekt, das einen Preis der Bauund Planungsverwaltung erhielt. In Moskau sind es das Baudesign und die Inneneinrichtung, die das Gebäude hip machen. 2012 gab es dafür den russischen Architekturpreis Best Office Award 2012. So unterschiedlich die Mieterstruktur, so unterschiedlich ist auch der Weg der Unternehmen, den sie auf den ausländischen Märkten gehen. Manche bleiben über Jahre im German Centre und vergrößern sich bei Geschäftserfolgen zunehmend, andere eröffnen nach erfolgreicher Marktpräsenz Produktionsstätten und ziehen aus; oder sie bleiben mit ihrem Headoffice im German Centre. Dritte ziehen aus und kommen zurück, weil der neue Büroraum nicht ihren Ansprüchen genügte. Und weil es neben viel Service auch persönlicher zugeht. Man hilft sich, wie Hanna Böhme bestätigt: „Manchmal braucht ein Mieter einfach nur einen Tipp, wo er mit seinem Geschäftspartner essen gehen soll. Oder ob wir einen guten Zahnarzt kennen.“ Bettina Wieß „Wir sind viel mehr als der anonyme Vermieter um die Ecke“ AUSSEN WIRTSCHAFT: Ende 2015 feierten Sie das 20-jährige Bestehen des ersten German Centre. Ist das Konzept aufgegangen? Böhme: Ja, ganz sicher. In den 20 Jahren hatten wir insgesamt 500 Mieterfirmen im Haus, aktuell sind es etwa 150. Die Räume des German Centre Singapur bieten sich für Veranstaltungen an, seien es Tagungen, Produktpräsentationen, Schulungen oder Empfänge, und wurden in den letzten 20 Jahren dafür permanent genutzt. AW: Welche ganz besonderen Events gab es? Böhme: Zu den Highlights zählen ein Abendempfang im Rahmen der Asien-Pazifik-Konferenz, das erste Asean-Regionaltreffen des VDMA oder die Besuche von Helmut Schmidt oder des Staatsgründers von Singapur, Lee Kuan Yew. AW: Welche Sparkassen-Kunden kommen für ein Engagement in Singapur infrage? Böhme: Singapur kommt für Unternehmen infrage, die in Asien Marktpotenzial heben möchten. Die meisten Firmen haben einen großen regionalen Verantwortungsbereich und suchen ein gutes und politisch sicheres Umfeld, um sich auf ihre Kernkompetenz zu konzentrieren. Und sie schätzen die schlanke Verwaltung. AW: Wie unterstützen Sie Ihre Mieter? Hanna Böhme, Böhme: Wenn es um finanzrelevante Themen Geschäftsführerin geht, sind die Landesbanken der richtige Kontakt. des German Cen- Wir sind Ansprechpartner für alle übrigen Thetre in Singapur men. Etwa bei Fragen wie „Wie erkläre ich meinem Mutterhaus die Komplexität Südostasiens?“. Oder: „Wie trenne ich mich von meinem Distributor?“ Auch wenn wir nicht auf alles eine Antwort haben, so kennen wir in unserem Netzwerk sicher jemanden, der helfen kann. Wir sind eben viel mehr als der anonyme Vermieter um die Ecke. 1/2016 AUSSEN WIRTSCHAFT 33 30-33 german centres 160205-1452 SG.indd Str-3sp:33 5.2.16 15:02 1|2016 AUSSENHANDEL & INVESTITIONEN [ Frankreich erschließen ] E Le Fettnapf Kultur. Frankreich ist nicht Fernost. Und doch unterschätzen viele Deutsche die kulturellen Eigenheiten unseres nahen Nachbarn. So wird mancher Restaurantbesuch zur Fettnäpfchenfalle – oder es platzt gar ein Firmengeschäft wegen der Mentalitätsunterschiede. ssen gehen in Frankreich: Das ist nicht in erster Linie Nahrungsaufnahme, das ist ein Moment der Entspannung, des Genusses und der Konversation. Im Restaurant. Ein bestimmter Ablauf gehört dazu. Das beginnt schon mit der Tischauswahl. Sie treten ein und warten auf den Kellner, der Sie platziert. Sind Sie sich unsicher bei der Weinauswahl, lassen Sie sich vom Kellner beraten. Man genießt den Wein, trinkt nicht zu viel. Ab dem Dessert hört man auf mit dem Alkoholkonsum. Statt eines Desserts können Sie oft auch einen Käseteller bestellen. Oder beides. Der Käse wird vor dem Dessert gegessen. In guten Restaurants kommt der Kellner mit Käsewagen oder Käseplatte vorbei, und Sie dürfen dann drei oder vier Sorten auswählen. Wenn der Kellner ihn nicht serviert, schneiden Sie sich mit dem Käsemesser jeweils ein Stückchen ab. Man fordert beim Käse keinen Nachschlag. Für Franzosen gehört ein Kaffee – un café, das ist ein kleiner Espresso – ans Ende einer Mahlzeit. Man trinkt ihn nach dem Dessert. Der Kellner bringt die Rechnung meist dem, der den Wein bestellt hat. Er gilt als der Einladende, der bei Geschäftsessen auch zahlt. Es ist die Rechnung für den gesamten Tisch, ein französischer Keller fragt also nie, ob man einzeln oder getrennt bezahlt. Zahlt der Einladende nicht alles, legt man zusammen. Lassen Sie etwas Trinkgeld auf dem Tellerchen nach Rückgabe des Wechselgelds liegen, statt diese Summe dem Kellner beim Zahlen anzusagen. Bei Franzosen zu Hause. Bekommen Sie eine Einladung in das Heim eines Franzosen, dann sind Pralinen vom Chocolatier, Champagner und guter Wein übliche 34 AUSSEN WIRTSCHAFT 1/2016 34-35 frankreich 160205-1452 SG.indd Str-3sp:34 5.2.16 15:02 Akklimatisieren fällt in Frankreich oft schwer Vorzüge und Nachteile verschiedener Expat-Ziele im Vergleich von 64 Ländern. Frankreich Gutes Essen ist bei Geschäftsverhandlungen in Frankreich wichtig. Mitbringsel. Blumen auch, aber Vorsicht: Sie werden in Frankreich mit Geschenkpapier überreicht. Bei der Ankunft kann es passieren, dass das berühmte Wangenküsschen ausgetauscht wird, die Bise. Kennen sich Franzosen nicht gut, sind sie nur Passanten oder Geschäftsleute, drücken sie sich auch nur die Hände. Fotos: Huber Images, Interfoto Wangenkuss zum Gruß Wenn man als Ausländer beim „faire la bise“ ungeübt ist, kann man abwarten, was die Französin oder der Franzose mit einem macht. Man nähert die Wangen einander an. Gleichzeitig erzeugt man ein kleines Kussgeräusch, keinen lauten Schmatzer, indem man sich das Küsschen über die Schulter haucht. Je nach Region in Frankreich gibt man bis zu vier Bises – in der Region Paris sind es zwei. Wenn Sie das Glück haben, zu einem Aperitif zu einem Franzosen nach Hause eingeladen zu werden, dann ist das noch keine Essenseinladung. Es bedeutet, dass man am frühen Abend auf ein Glas oder zwei vorbeischaut und dass es ein paar Knabbereien oder Happen gibt. Aber nach zwei Stunden sollte der Gast sich verabschieden – es sei denn, man wird aufgefordert, zum Essen zu bleiben. USA China Russland Gesamtrang 47 13 38 60 Lebensqualität 14 30 39 52 Leichtes Eingewöhnen 59 18 56 60 Arbeitsklima 48 18 17 61 Lebenshaltungskosten 41 27 22 50 Quelle: Internations Sind Sie zum Essen eingeladen, werden Sie zuerst einen Aperitif angeboten bekommen. Warten Sie, bis alle ein Glas haben, dann stößt man an – mit „à la vôtre“, „Santé“ oder „tchin tchin“. Essen Sie nicht zu viel von den Knabbereien, denn Sie bekommen sicher noch mindestens drei Gänge. Reden Sie beim Essen nicht übers Geschäft, lieber über Privates, Hobbys, Reisen, Kultur – oder übers Essen generell. Fragen Sie nicht gleich nach dem Beruf. Wenn man die Franzosen am Tisch nicht schon sehr gut kennt: Politik und Geschichte sollte man von sich aus nicht ansprechen. Auch das Thema Geld ist heikel – egal, ob Verdienst oder Miete. Und es kommt gar nicht gut an, wenn Deutsche belehrend sind bei Themen wie Atomenergie, Ökologie oder Wirtschaft. Im Geschäftsleben. In deutschen Unternehmen legen die Mitarbeiter viel Wert darauf, bei Verhandlungen schnell zur Sache zu kommen. Die persönliche und private BUCHTIPP „Fettnäpfchenführer Paris“. Michael Neubauer gibt eine Fülle von Tipps, wie die Pariser ticken und was es in ihrer Metropole zu entdecken gibt. ConbookVerlag, 11,95 Euro. Ebene trennt man gern. Anders in Frankreich: Franzosen wollen neue Geschäftspartner bei den Vorverhandlungen erst einmal kennenlernen. Bahnen sie ein Geschäft an, geht es ihnen erst einmal um Vertrauen. Das braucht Zeit. Da wird zunächst über sich und die Familie geplaudert – gerne an einem neutralen Ort, etwa in einem Restaurant. Je edler, desto wertschätzender. Und zum Geschäft kommt man keinesfalls schon bei der Vorspeise, eher beim Dessert. In Unternehmen entscheidet in Frankreich das Management oft zentral. Die Führungskraft weist den Weg, Autorität und Position sind von großer Bedeutung. Bei den Deutschen ist man dagegen stolz auf Teamarbeit. Mehrere Ebenen werden einbezogen, Verantwortung wird delegiert, manchmal wird auch lang diskutiert. Gilt hier der Kompromiss als eine Leistung, wird er in Frankreich häufiger als Schwäche des Chefs gesehen. Deutsche bringen schon zum ersten Treffen gerne perfekt ausgearbeitete Papiere mit. Diese Art Effizienz irritiert so manchen Franzosen, dem erst einmal der Gedankenaustausch wichtig ist. Entscheidungen und Details haben keine Eile. Also: Man sollte mehr Zeit einplanen. Und sich aufs gute Michael Neubauer Essen freuen. 1/2016 AUSSEN WIRTSCHAFT 35 34-35 frankreich 160205-1452 SG.indd Str-3sp:35 5.2.16 15:02 1|2016 AUSSENHANDEL & INVESTITIONEN [ Duale Ausbildung ] Praxisbezogen zu lernen liegt im Trend – deutsche Firmen machen mit. Exportschlager Azubi Dual. Die Welt beneidet Deutschland um sein Ausbildungssystem. Mit dem Projekt Vetnet zeigen Bildungsministerium, Kammern und Firmen in vielen Ländern, wie es funktioniert. F ür Mubea kam das Projekt zur rechten Zeit. Der Automobilzulieferer aus Attendorn im Sauerland war gerade dabei, die Ausbildung seiner Industriemechaniker weltweit zu standardisieren. Keine leichte Aufgabe, wie Anja-Christina Hinrichs, Leiterin internationale Personalentwicklung der Unternehmensgruppe, verdeutlicht: „Die Unterschiede in den einzelnen Ländern sind gewaltig.“ In Indien etwa, wo Mubea Federbandschellen, Stabilisatoren sowie Achs- und Ventilfedern produziert, gibt es ein staatliches Ausbildungs- programm: zwei Jahre Schule und ein Praxisjahr im Betrieb. Doch das per Frontalunterricht vermittelte Wissen ist für die Praxis häufig irrelevant, was viele Betriebe nicht stört, da sie ihre Auszubildenden als billige Akkordarbeiter einsetzen. Hinrichs gefiel der ganze Ansatz nicht. „Wir haben höhere Ansprüche“, sagt sie. Dann hörte sie von Vetnet. Dieses Projekt erfüllt einen Wunsch der deutschen Exportwirtschaft, die schon lange darüber klagt, dass sie im Ausland nur schwer Fachkräfte findet. Das Strategiepro- jekt des Bundesbildungsministeriums versucht, die praxisnahe duale Berufsausbildung in ausgewählten Ländern mithilfe der Auslandshandelskammern und deutscher Tochterfirmen zu verankern. Hinrichs fackelte nicht lange und beschloss: „Da machen wir mit.“ „Es ist beeindruckend, was vor Ort in kurzer Zeit geleistet worden ist“, sagt Ramona Neuse, die das Projekt beim Deutschen Industrieund Handelskammertag (DIHK) in Berlin koordiniert. Zu den Pionieren gehören Großunternehmen wie Bosch und Siemens ebenso 36 AUSSEN WIRTSCHAFT 1/2016 36-38 ausbildung 160205-1452 SG.indd Str-3sp:36 5.2.16 15:02 wie global operierende Mittelständler wie Schmersal, ein Hersteller von Sicherheitsschaltern, oder der Anlagenbauer Manz. Obwohl sie mancherorts bei null anfangen mussten, erreichten sie, dass in Pilotprojekten rund 3000 junge Leute dual ausgebildet wurden. Vergangenen Herbst wurde Vetnet, das 2013 gestartet war, um drei Jahre verlängert. Die Initiative läuft jetzt in neun Ländern, von der Slowakei über Russland bis zu Indien und China. Im Vordergrund stehen gewerblich-technische Berufe wie Mechatroniker, doch je nach lokaler Nachfrage geht es auch um Dienstleistungen. In Lettland werden auch Speditionskaufleute ausgebildet, in Portugal Hotelfachkräfte. Fotos: Getty Images, Laif Jedes Land hat eigene Regeln Zwar lässt sich das über Jahrhunderte gewachsene deutsche System nicht eins zu eins auf andere Staaten übertragen, trotzdem hoffen die Projektverantwortlichen auf einen Schneeballeffekt. „Unser Modell hat Vorbildcharakter“, betont Ramona Neuse. „Wir zeigen, was möglich ist.“ In einigen Ländern war beim Start von Vetnet nicht einmal klar, welches Ministerium für das Projekt zuständig ist. In Lettland etwa war eine duale Ausbildung weithin unbekannt. Dort rekrutieren die Firmen ihre Arbeitskräfte unter Hochschulabsolventen. In Italien kann es für einen Ausbildungsberuf 19 unterschiedliche Vorschriften geben, weil die Regionen die Anforderungen dezentral festlegen. Erst seit zwei Jahren erkennen sie die Abschlüsse untereinander an. In Griechenland werden den Betrieben ihre Azubis von einer staatlichen Agen- Wenig Praxis am Zuckerhut Berufsausbildung im Industriesektor in Brasilien und Deutschland im Vergleich. Deutschland Brasilien 1020 4780 640 960 Theoriestunden Praxisstunden Quelle: AHK Brasilien tur zugewiesen. Berufsschulen in der Slowakei verzichten bei der Aufstellung des Lehrplans auf Absprachen mit der Wirtschaft. Im indischen Pune, wo über 250 deutsche Unternehmen vertreten sind, begann die AHK damit, einen Berufsbildungsausschuss zu gründen und ein Curriculum zu erarbeiten. Dann musste eine Berufsschule gefunden werden, die bereit war, sich auf die Vorstellungen der Deutschen einzulassen. Partner wurde das Institut Don Bosco. Es wird von dem Salesianerpater Corlis Gonsalves geleitet, der schon mit Bosch und Mercedes zusammengearbeitet hatte. So bekam auch Mubea Wind von der Sache. Personalerin Hinrichs war von den ersten Erfahrungen so begeistert, dass das Unternehmen seit November mit vier Auszubildenden an dem Programm teilnimmt. Mubea hat dafür einen indischen Ausbilder rekrutiert und in Attendorn geschult und stellt dem Projekt das unternehmensinterne Curriculum zur Verfügung. Das zahle sich mittelfristig schon deshalb aus, glaubt Hinrichs, weil gut ausgebildete Mitarbeiter viele Probleme eigenständig lösen könnten und sich so die Zahl der Feuerwehreinsätze aus Deutschland reduzieren lasse. Gerade in rasch wachsenden Schwellenländern reift das Bewusstsein dafür, dass nur mit qualifiziertem Nachwuchs der Sprung in die Liga der Qualitätsführer gelingt. In China etwa, das sich zur Innovationsgesellschaft wandeln will, versucht die Regierung, das Bildungssystem stärker auf die Praxis auszurichten – bislang mit begrenztem Erfolg. Immerhin: In rund 60 Firmen laufen duale Ausbildungsprojekte, auch dank Vetnet. Es gibt binationale Berufsbildungs- und Prüfungsausschüsse für Industriemechaniker ebenso wie für Brauer, und zur Weiterqualifizierung bietet die AHK China in Schanghai jährlich mehr als 300 zertifizierte Trainings an. „Wissenshunger ist ein wunderbarer Charakterzug der Menschen hier vor Ort“, sagt Geschäftsführerin Simone Pohl. Auch in Russland läuft Vetnet, unberührt von dem aktuellen Wirtschaftsembargo. Seit 2014 werden dort Mechatroniker und Lagerlogistiker, Callcenteragenten, Bäcker und Fleischer ausgebildet. Immerhin hat Präsident Wladimir Putin angekündigt, bis 2020 über 25 Millionen qualifizierte Arbeitsplätze schaffen zu wollen. Die größten Hürden beim Start von Vetnet seien Bürokratie und Regierungswechsel gewesen, Duale Ausbildung nach deutschem Muster genießt weltweit einen guten Ruf. 1/2016 AUSSEN WIRTSCHAFT 37 36-38 ausbildung 160205-1452 SG.indd Str-3sp:37 5.2.16 15:03 AUSSENHANDEL & INVESTITIONEN [ Duale Ausbildung ] Starker Partner. Ein Ausbilder übergibt einen Werkzeugkasten an einen Auszubildenden in den Vetnet-Lehrwerkstätten von Don Bosco im indischen Pune. Vetnet-Teilnehmer Jürgen Knie, Geschäftsführer des Anlagenbauers Manz Slovakia „Wir reden bei den Inhalten jetzt mit“ AUSSEN WIRTSCHAFT: Wie beurteilen Sie die Ausbildungssituation in der Slowakei? Knie: Das Land ist auf einem guten Weg. Es gibt, nicht zuletzt dank Vetnet, zahlreiche Pilotprojekte zur dualen Ausbildung, auch bei uns in Nove Mesto. Daran sind wir mit vier Auszubildenden beteiligt. AW: Welche Fortschritte gibt es? Knie: Bisher sandten die Berufsschulen ihre Schüler nur zu Praktika in die Betriebe. Jetzt haben wir erstmals unsere Kandidaten selbst aussuchen können, und die Ausbildungsinhalte bestehen zu je 50 Prozent aus Praxis und Theorie. Wir konnten bei den Inhalten mitreden. AW: Welche Probleme gibt es bei der Rekrutierung? Knie: Meist haben die Eltern Bedenken. Sie wollen, dass ihre Kinder studieren. Mit Industrie verbindet man hier Kombinate und Drecksarbeit. Dass unsere Arbeitsplätze Hightech sind, assoziiert keiner. Da ist ein Umdenken nötig. AW: Wie tragen Sie dazu bei? Knie: Unser Personalleiter stellt in den Schulen das Modell vor. Wichtig ist die Botschaft: Eine Ausbildung verschließt dir keine Türen, du kannst später immer noch studieren! Wir haben eigens einen Meister abgestellt, der sich nur um die Azubis kümmert. Fotos: DIHK, Getty Images, Knie sagt Neuse. Waren endlich die Aus Deutschland kennt man die Ansprechpartner gefunden und Klagen, dass junge Leute sich zu für das Projekt gewonnen, kamen wenig für eine Ausbildung inteoft schon die Nachfolger, und die ressierten. Im Ausland ist das Überzeugungsarbeit musste aufs nicht viel anders. Ein Mitarbeiter Neue beginnen. Besonders dra- des Bildungsministeriums, der matisch ist die Lage in Griechen- das Vetnet-Projekt in Thailand land. Wegen der häufigen Regie- besuchte, stellte ernüchtert fest: rungswechsel fehlt bis heute ein „Berufsbildung wird als etwas ministerieller Erlass, der die Aus- Zweitklassiges betrachtet, bei bildungsberufe Mechatroniker dem man sich die Hände schmutund Systemelektroniker staatlich zig macht.“ Das rührt auch daher, anerkennt. Und das, obwohl laut dass sich mit Produktionsarbeit örtlicher AHK die Zusammenar- keine Karrierechancen verbinden. beit mit der griechischen Arbeits„Da muss noch sehr viel Markeagentur gut funktioniert. ting geschehen“, sagt Jürgen Knie, der als Geschäftsführer von Manz Oft Training für Trainer nötig Slovakia am Vetnet-Projekt teilnimmt. Was helfen kann: ein Tag Auch mangelt es häufig an Aus- der offenen Tür, an dem sich Schübildern für die Ausbilder. In Russ- ler und Eltern in den Werkshallen land musste die AHK, bevor die ein Bild von den Arbeitsbedingunersten Lehrlinge antreten konn- gen machen können. Werben ließe ten, erst „Train the trainer“-Kurse sich auch damit, dass die jungen in den Unternehmen ausrichten. Leute, wenn sie ausgelernt haben, In Indien halfen Fachleute des in die Deutschland-Zentrale wechSenior Experten Service aus, einer seln können. Doch das sagen die gemeinnützigen deutschen Orga- Expats nicht allzu laut. Knie: „Ich nisation, die pensionierte Füh- möchte meine Azubis ja am Standrungskräfte vermittelt. ort halten.“ Christine Mattauch 38 AUSSEN WIRTSCHAFT 1/2016 36-38 ausbildung 160205-1452 SG.indd Str-3sp:38 5.2.16 15:03 [ Zollkodex ] STEUERN & RECHT 1|2016 Wachwechsel beim Zoll Regeln. Zum 1. Mai dieses Jahres soll der neue Unionszollkodex der EU in Kraft treten. Damit modernisiert der europäische Gesetzgeber ein mehr als 20 Jahre altes Recht. Die wichtigsten Neuerungen im Überblick. D er Unionszollkodex (UZK) war bereits im Oktober 2013 veröffentlicht worden – nun wird er anwendbar. Seit Ende letzten Jahres liegen die Umsetzungsrechtsakte zum neuen Zollrecht, der Implementierende Rechtsakt (VO 2015/2447, UZK-IA) und der Delegierte Rechtsakt (VO 2015/2446, UZK-DA), in ihrer endgültigen Fassung vor. Abgelöst werden der Zollkodex der Gemeinschaften (ZK) von 1992 und die Durchführungsverordnung von 1993. Die neuen Vorschriften bringen teils erhebliche Änderungen. Zollschuld. Das neue Zollschuldrecht ist nicht nur klarer strukturiert, sondern bringt auch inhaltlich wichtige Verbesserungen, insbesondere für Speditionen und Lagerhalter, die bislang aufgrund kleinster Fehler bei der Abwicklung hohen Abgabenforderungen ausgesetzt sein konnten. Künftig sieht der UZK nur noch zwei Zollschuld-Entstehungstatbestände vor. Artikel 77 UZK regelt die Entstehung bei ordnungsgemäßem Überführen der Ware in den zollrechtlich freien Verkehr. Alle anderen irregulären Zollschuldtatbestände – leichte Pflichtverletzungen ebenso wie Voll gepackt mit Änderungen ist der neue Unionszollkodex. Unternehmen sollten sich jetzt mit den Regeln auseinandersetzen. 1/2016 AUSSEN WIRTSCHAFT 39 39-41 unionzollkodex 160205-1454 SG.indd Str-3sp:39 5.2.16 15:03 STEUERN & RECHT [ Thema ] Genau geprüft. Der neue Kodex regelt unter anderem auch die Bestimmung des Zollwerts neu. das Entziehen aus zollamtlicher Überwachung oder der Einfuhrschmuggel – finden sich künftig in Artikel 79 UZK zusammengefasst. Weit wichtiger ist, dass neue Erlöschenstatbestände der Zollschuld eingeführt werden. Schon bisher kommt eine Heilung infrage, wenn der Verstoß „keine erheblichen Auswirkungen“ auf das Zollverfahren hatte, allerdings nur bei Schulden wegen Verletzungen von Pflichten aus dem Verfahren. Diese Regelung wird künftig auf alle Schuldgründe ausgeweitet. Auch die Wiederausfuhr einer Ware kann in bestimmten Fällen zum Erlöschen der Zollschuld führen. Das Erlöschen ist nur ausgeschlossen, wenn ein Täuschungsversuch vorliegt. Offensichtliche Fahrlässigkeit steht der Anwendung dieser Vorschrift, anders als beim Billigkeitserlass nach Artikel 239 ZK, hingegen künftig nicht entgegen. Viele Routinefälle werden sich über die Erlöschensregelungen lösen lassen. Allerdings wird der Kreis der Zollschuldner in diesen Fällen ausgeweitet und umfasst nun auch Vertreter des Pflichtigen und sonstige Beteiligte, sofern sie von dem Verstoß wussten oder hätten wissen müssen. Dies trifft insbesondere Dienstleister des Importeurs, hat aber auch Auswirkungen auf die Haftung eigener Mitarbeiter. Stärkung des AEO. Aufgewertet wird die Stellung des zugelassenen Wirtschaftsbeteiligten (AEO), wenn auch nur sukzessive. Die Möglichkeit der „zentralen Zollabwicklung“, das heißt der Gestellung der Waren an einem anderen Ort als dem der Zollanmeldung, setzt eine Anpassung der IT-Systeme der Mitgliedstaaten voraus, die noch in weiter Ferne ist. Beispiel: Die Einfuhr erfolgt beim Hauptzollamt Hamburg-Hafen, die Abgabe der Zollanmeldung über das zuständige Hauptzollamt dagegen am Sitz des Unternehmens, etwa in Stuttgart. DER AUTOR Dr. Lothar Harings ist Partner der Sozietät Graf von Westphalen. Dort leitet er die Praxisgruppe „Zoll und Exportkontrolle“. Dr. Harings ist darüber hinaus Gründer und Geschäftsführer der Hamburger Zollakademie, einer auf Zoll- und Außenwirtschaftsfragen spezialisierten Fortbildungseinrichtung. Die Akademie veranstaltet regelmäßig Seminare zum Unionszollkodex sowie zu anderen Themen aus den Bereichen Zoll und Exportkontrolle. Nähere Informationen: www.hza-seminare.de. Es gibt aber einige praktische neue Vorteile für zugelassene Wirtschaftsbeteiligte, zum Beispiel im Hinblick auf Sicherheitsleistungen. Unternehmen kann auf Antrag bewilligt werden, zur Sicherung der Zollschuld für mehrere Vorgänge oder Verfahren eine Gesamtsicherheit zu leisten. Deren Bewilligungsvoraussetzungen knüpfen an die Kriterien für den AEO-C-Status an. Antragstellern, die diesen Status haben, kann darüber hinaus eine Gesamtsicherheit mit verringertem Betrag bewilligt werden – sogar bis auf 0 Euro. Indes wird der AEO-Status künftig an zusätzliche Bewilligungskriterien geknüpft sein. Zukünftig dürfen keine schwerwiegenden oder wiederholten Verstöße gegen steuerrechtliche Vorschriften vorliegen. Die bisherige Beschränkung auf zollrechtliche Vorschriften entfällt. Verbindliche Statements Auskünfte. Für Unternehmen sind verbindliche Zolltarifauskünfte (vZTA) ein wichtiges Instrument, um Rechtssicherheit über die auf ihre Waren anzuwendenden Einfuhrabgaben zu erlangen. Die Beantragung einer vZTA war bisher ohne Risiko, da Wirtschaftsbeteiligte bislang nicht gezwungen sind, eine ihrer eigenen Auffassung 40 AUSSEN WIRTSCHAFT 1/2016 39-41 unionzollkodex 160205-1454 SG.indd Str-3sp:40 5.2.16 15:03 Der Zoll schlägt zu Die Beschlagnahme von gefälschten Produkten ist nur eines von vielen Aufgabengebieten. 2012 Anträge auf Grenzbeschlagnahme Fälle von Grenzbeschlagnahmen Wert beschlagnahmter Waren in Millionen Euro Anzahl beschlagnahmter Waren in 1000 Stück 2013 2014 1137 1116 1049 23 883 26 127 45 738 127 134 138 3203 3927 5927 Fotos: dpa/Picture Alliance, Harings Quelle: Zoll widersprechende vZTA zu verwenden; rechtlich bindet eine vZTA nur die Zollbehörde. Das ändert sich grundlegend. Gemäß Artikel 33 Absatz 2 UZK werden diese Zolltarifauskünfte zukünftig auch für den Inhaber verbindlich sein. Das gilt gemäß der Übergangsregelung in Artikel 252 UZK-DA auch für vor dem 1. Mai dieses Jahres erteilte Auskünfte, und zwar für die volle Gültigkeitsdauer. Die plötzliche Verbindlichkeit unliebsamer „Alt-vZTA“ wird nach Inkrafttreten des Unionszollkodexes schwer zu beseitigen sein. Die einmonatige Einspruchsfrist gegen die vTZA-Erteilung wird in der Regel abgelaufen sein. Bislang kommt danach ein Antrag auf Widerruf der Auskunft in Betracht mit der Begründung, die Einreihung sei unrichtig. Folgt die Behörde dem Antrag, wird mit Wirkung für die Zukunft die Wirksamkeit der verbindlichen Zolltarifauskunft beseitigt. Dieser Weg dürfte nunmehr deutlich schwieriger werden. Denn anders als Artikel 9 ZK regelt die Nachfolgevorschrift in Artikel 34 Absatz 5 UZK, dass vZTA „nicht auf Antrag des Inhabers der Entscheidung widerrufen“ werden. Inhabern „missliebiger“ Alt-vZTA ist daher dringend dazu zu raten, noch vor Inkrafttreten des UZK tätig zu werden. Zollwertregelungen. Ab dem 1. Mai entfällt die Möglichkeit, bei der Zollwertanmeldung „Vorerwerberpreise“ zugrunde zu legen. Kann der Zollwertanmelder bisher zwischen dem Kaufpreis aus dem grenzüberschreitenden Kaufgeschäft und dem Preis aus einem vorgelagerten Kaufvertrag wählen, etwa beim Kauf von einem Zwischenhändler, stellt Artikel 128 UZK-IA zwingend auf den Verkaufsvorgang unmittelbar vor Verbringen der Ware in das Zollgebiet ab. Eine Übergangsregelung gilt für vor dem 18. Januar 2016 geschlossene Verträge. Bei darauf beruhenden Einfuhren ist die Anmeldung von Vorerwerberpreisen noch bis Ende 2017 möglich. Negative Vermutung Eine Änderung mit erheblichen Auswirkungen betrifft die Einbeziehung von Lizenzgebühren in den Zollwert. Lizenzgebühren, die der Käufer in der EU an einen Dritten, nicht mit dem Verkäufer verbundenen Lizenzinhaber entrichtet, können nach bisherigem Recht nur auf den Zollwert aufgeschlagen werden, wenn die Zollbehörde nachweist, dass der Verkäufer die Zahlung verlangt hat. Das neue Recht kennt diese Nachweispflicht nicht, sondern enthält eine Vermutung zum Nachteil des Ein- führers. Wenn der Verkauf oder Erwerb der Ware ohne Entrichten von Lizenzgebühren nicht möglich ist, wird künftig vermutet, dass die Entrichtung der Lizenzgebühr Vertragsbedingung ist. Dies dürfte dazu führen, dass insbesondere bei Waren mit geschützten Markenzeichen stets eine Hinzurechnung erfolgen wird. Zollverfahren. Künftig enthält der UZK für alle in Artikel 210 genannten „besonderen Verfahren“ – Versand, Lagerung, Verwendung und Veredelung – gemeinsame allgemeine Vorschriften. Damit sind Themen von verfahrensübergreifender Bedeutung übersichtlich geregelt, etwa Beförderungen im Rahmen des Verfahrens oder die Nutzung von Ersatzwaren. Das Rückerstattungsverfahren bei der aktiven Veredelung und die Differenzverzollung bei der passiven Veredelung entfallen ebenso wie die Freizone Kontrolltyp II und der Zolllagertyp D. Unternehmen, die solche Verfahren in Anspruch nehmen, müssen frühzeitig ihre Prozesse an die neuen Vorschriften anpassen, um unliebsame Überraschungen zu vermeiden. Fazit. Die Einführung des UZK verlangt der Wirtschaft erhebliche Anpassungen ab. Der Übergang zum neuen Zollrecht am 1. Mai wird dabei erst der Anfang eines längeren Umstellungsprozesses sein, der sich mit der schrittweisen Einführung der IT-Systeme bis mindestens 2020 hinziehen wird. Bestehende Bewilligungen werden sukzessive ab Mai an das neue Recht angepasst. Unternehmen sollten aber nicht abwarten, bis die Zollbehörden reagieren, sondern ihre Prozesse bereits jetzt einer Prüfung auf erforderliche Veränderungen unterziehen, um so vorbereitet zu sein. Dr. Lothar Harings 1/2016 AUSSEN WIRTSCHAFT 41 39-41 unionzollkodex 160205-1454 SG.indd Str-3sp:41 5.2.16 15:03 Australien Kennzahlen Einwohner: Fläche: Einwohner pro km2: BIP: Warenimporte: 24 Millionen 7 692 030 km2 3,1 1030 Mrd. EUR 185 Mrd. EUR Wechselkurs zu EUR: 1,5 AUD/EUR Währungsreserven: 61 Mrd. EUR Quellen: CIA Factbook, IWF Wandel. Nach dem Wechsel des Premierministers will Australiens Regierung Reformen vorantreiben. Die niedrigen Rohstoffpreise sorgen zwar für Mindereinnahmen, doch Investitionen und Konsum gleichen dies aus. Auf neuem Kurs im Süden Das Commonwealth of Australia, so die offizielle Landesbezeichnung, ist der kleinste bewohnte Erdteil. Die Fläche entspricht etwa derjenigen der USA ohne Alaska oder der 22-fachen Deutschlands. 91 Prozent der Bevölkerung waren beim letzten Zensus im Jahr 2011 europäischer und 7 Prozent asiatischer Herkunft. Die Zahl der Aborigines, der Ureinwohner Austra- liens, beläuft sich auf etwa 450 000. Australien ist ein klassisches Einwanderungsland. 30 Prozent der Bürger sind im Ausland geboren. Lange Zeit dominierte die Zuwanderung aus Europa; mittlerweile hat Asien die führende Rolle übernommen. Von den 24 Millionen Einwohnern leben 92 Prozent an der Küste. Klimawandel, Dürren, Buschfeuer, aber auch Überschwemmungen sind Problemfelder der Umweltpolitik. Der Staat 1901 formierte sich aus dem Zusammenschluss der sechs unabhängigen britischen Kolonien des Kontinents das Commonwealth of Australia. Es erhielt 1907 die informelle und 1931 die formale Unabhängigkeit. Die Legislative liegt beim Bundesparlament mit Sitz in Canberra. Es setzt sich aus dem Repräsentantenhaus und dem Senat zusammen. Das Reprä- Foto: Getty Images Das Land 42 AUSSEN WIRTSCHAFT 1/2016 42-45 lp australien 160205-1459 SG.indd Land:42 5.2.16 15:03 LÄNDERPORTRÄT sentantenhaus mit 150 Abgeordneten wird alle drei Jahre neu gewählt. Sein Vorsitzender ist der Premierminister. Die 76 Senatoren werden für sechs Jahre gewählt; alle drei Jahre wird die Hälfte der Posten neu besetzt. Verfassungsänderungen bedürfen der absoluten Mehrheit in beiden Häusern und der Bestätigung durch Volksabstimmungen in den sechs Bundesstaaten. Staatsoberhaupt ist die englische Königin, vertreten durch den Generalgouverneur. Nach einem ungeschriebenen Gesetz macht der Generalgouverneur von seinen politischen Rechten nur nach Rücksprache mit Premier und Kabinett Gebrauch. Die Zentralregierung ist für Äußeres, Verteidigung, Außenhandel, Verkehr, Sozialfürsorge, Zölle und Münzwesen zuständig. Die Bundesstaaten haben eigene Parlamente und weitreichende Kompetenzen in den anderen Rechtsbereichen. Die politische Lage In einer parteiinternen Abstimmung über den Parteivorsitz setzte sich im September 2015 Malcolm Turnbull gegen den Parteichef und Premierminister Tony Abbott mit 54 zu 44 Stimmen durch. Entsprechend dem Brauch in Australien führte das auch zum Wechsel der politischen Führung des Landes. Die in Koalition mit drei anderen Parteien regierende Liberale Partei reagierte mit diesem Wechsel auf einen dramatischen Vertrauensverlust. Umfragen im Sommer hatten ergeben, dass 63 Prozent der Bevölkerung mit der Regierungspolitik von Tony Abbott unzufrieden waren. Der Unternehmer Malcolm Turnbull, dessen Ehefrau Präsidentin der Deutsch-Australischen Industrie- und Handelskammer ist, soll nun die Parlamentswahlen, die bis spätestens Januar 2017 durchgeführt werden müssen, für die Liberalen gewinnen. Premier Turnbull will im Gegensatz zu den Plänen Abbotts die wegen rückläufiger Staatseinnahmen erforderlichen Einschränkungen im Staatsund Sozialhaushalt moderater gestalten und dafür ein höheres Haushaltsdefizit in Kauf nehmen. Vorgesehen sind zudem ein Wirtschaftsförderprogramm, die Anhebung der Mehrwertsteuer von 10 auf 15 Prozent und reduzierte Sätze bei der Einkommensteuer. Eine weitere Initiative soll die ausländischen Investitionen steigern. Von der schnellen Umset- Premierminister Malcolm Turnbull hat sich im Machtkampf gegen seinen innerparteilichen Kontrahenten und Amtsvorgänger Tony Abbott durchgesetzt. 1|2016 Beitrag zum BIP Rohstoffreichtum und Landwirtschaft bleiben das Rückgrat von Australiens Wirtschaft. Primärsektor Sekundärsektor 4 29 Tertiärsektor 67 Angaben in Prozent. Quelle: CIA Factbook BIP pro Kopf Geringere Exporterlöse und ein schwächerer Dollar reduzieren das Pro-Kopf-Einkommen. 2013 64 271 2014 61 066 2015* 51 600 2016* 51 300 * = Prognose. Angaben in US-Dollar. Quelle: IWF zung dieser Pläne und der Verbesserung der Wirtschaftslage hängt der Wahlerfolg entscheidend ab. Die Wirtschaft Über Jahre profitierte Australien dank seiner umfangreichen Rohstoffvorkommen von der expandierenden Weltwirtschaft, insbesondere von der starken Nachfrage Chinas. Die OECD prognostizierte Australien eine rosige Zukunft, die sich jedoch infolge der rückläufigen Rohstoffnachfrage und des Verfalls der Preise eingetrübt hat. Nachteilig dürfte sich das niedrigere Wachstum in China auswirken. Der 18. Nationalkongress der Volksrepublik plant für seinen nächsten Fünfjahresplan eine Reduzierung der realen Zuwachsrate des Bruttoinlandsprodukts (BIP) auf 6,5 Prozent im Jahr. 1/2016 AUSSEN WIRTSCHAFT 43 42-45 lp australien 160205-1459 SG.indd Land:43 5.2.16 15:03 LÄNDERPORTRÄT [ Australien ] Australien verfügt über riesige, zum großen Teil noch unerschlossene Rohstoffvorkommen, darunter Kohle, Kupfer, Eisenerz, Uran, Seltene Erden und andere Mineralien. Über 50 Prozent der Exporte entfallen auf Rohstoffe. Einen Aufschwung nahm in den letzten Jahren auch die Landwirtschaft mit Absatzmärkten vor allem in Asien. Kontinuierlich hohe Investitionen in den Bergbau sowie eine liberale Immigrationspolitik schufen nach Einschätzung der OECD zusätzliches Wachstumspotenzial. Die Zukunftsaussichten hängen davon ab, ob es der Regierung gelingen wird, die fallenden Erlöse aus dem Rohstoffgeschäft anderweitig zu kompensieren. Infrage kommen sowohl Aufgaben in der Verbesserung der landesweiten Infrastruktur als auch Investitionen zum Ausbau im Flüssiggassektor, der wegen der kurzen Wege zu den asiatischen Abnehmerländern Expansionschancen bietet. Nachholbedarf besteht auch im Bereich alternativer Energien. Auf die internationale Kritik wegen der schlechten Umweltbilanz des BIP-Wachstum Staatsschulden Konstantes Wachstum bei niedriger Inflation und stabiler Lage auf dem Arbeitsmarkt. Trotz steigender Infrastrukturausgaben nimmt die Staatsverschuldung kaum zu. 7 40 6 35 30 5 25 4 20 3 15 10 2 5 1 0 0 –5 2013 2014 2015* 2016* 2013 2014 2015* 2016* Wachstum BIP Arbeitslosenquote Inflationsrate * = Prognose; Angaben in Prozent. Quelle: IWF Staatsverschuldung Haushaltssaldo * = Prognose; Angaben in Prozent des BIP. Quelle: IWF Landes reagierte die neue Regierung mit der Ankündigung eines Reformprogramms. Australien hat sich wie andere westliche Industrieländer auch zu einer Dienstleistungsgesellschaft entwickelt. Zusätzliche Beschäftigung wird vor allem in den Bereichen Gesundheitswesen, Einzelhandel, Transport und Finanzdienstleistungen generiert. Trotz Förderprogrammen der Regierung geht der Anteil des verarbeitenden Gewerbes am BIP zurück und beträgt inzwischen weniger als 7 Prozent. Der Sektor beschäftigt nur noch knapp 8 Prozent der Arbeitnehmer. Den oft kleineren Industriebetrieben mangelt es an Kapital für Investitionen. Die Konjunktur Seit zwei Jahren liegt das Wirtschaftswachstum unter dem mehrjährigen Trend. Schwäche zeigt zum einen die inländische Nachfrage, die 2015 um weniger als 1 Prozent zunahm. Das spiegelt die allgemeine Verunsicherung und gebremste Lohnzuwächse wider. Allerdings weist Austra- IM SPIEGEL DER KENNZAHLEN Flaute auf den Rohstoffmärkten mit begrenzten Folgen Australien nimmt fast durchweg Spitzenplätze in den internationalen Wirtschaftsranglisten ein. Sehr gut ist die Einstufung im Länderbonitätsvergleich des „Institutional Investor“. Dort rangiert Australien auf Platz zwölf, vor Großbritannien und Frankreich. Im Global Competitiveness Index des Weltwirtschaftsforums wird Rang 21 durch gute Noten in praktisch allen relevanten Kategorien erreicht. Hervorzuheben sind Bildung, die Entwicklung des Finanzmarkts und die Effizienz des Arbeitsmarkts. Wegen des Verfalls der Rohstoffpreise wird bei den Anstrengungen zur Diversifizierung der Wirtschaft ein Nachholbedarf konstatiert. Den guten Platz im Doing-Business-Report der Weltbank beeinträchtigen lediglich negative Einstufungen bei der Stromversorgung, beim Schutz von Minderheitsbeteiligungen und bei der Registrierung von Eigentum. Deutlich besser steht es um die Voraussetzungen für den Geschäftsstart, die Kreditversorgung und die Insolvenzordnung. Erwartungsgemäß gut ist mit Rang elf die Einstufung im Korruptionsindex von Transparency International. Rangliste Platz Länderzahl Doing-Business-Report 10 189 Global Competitiveness Index 21 140 Corruption Perceptions Index 11 175 Institutional Investor 12 179 Quellen: Weltbank, WEF, TI, Institutional Investor 44 AUSSEN WIRTSCHAFT 1/2016 42-45 lp australien 160205-1459 SG.indd Land:44 5.2.16 15:03 Handel mit Deutschland Außenbilanz Die Bundesrepublik hat gute Chancen, in der Rangliste der Handelspartner aufzusteigen. Anhaltend hohe ausländische Investitionen gleichen die defizitäre Leistungsbilanz aus. 9 80 8 60 7 40 6 20 5 4 0 3 – 20 2 – 40 1 0 2013 2014 2015* 2016* – 60 2013 2014 2015* 2016* Einfuhr Ausfuhr Saldo aus deutscher Sicht * = Prognose; Angaben in Milliarden Euro. Quelle: Destatis Handelsbilanz Leistungsbilanz Währungsreserven * = Prognose; Angaben in Milliarden US-Dollar. Quelle: IWF lien mit knapp 52 000 US-Dollar nach wie vor eines der höchsten Pro-Kopf-Einkommen auf. Bremsend wirken sich auch rückläufige private Investitionen aus, die 2015 um 6 Prozent unter dem Vorjahreswert blieben. Für 2016 erwartet der IWF bei Privatinvestitionen einen leichten Anstieg. Nach Prognosen des IWF wird das reale BIP dieses Jahr um 2,9 Prozent wachsen, nach einem Plus von 2,4 Prozent 2015. Bis 2020 wird ein kontinuierliches Wirtschaftswachstum von rund 3 Prozent im Jahr prognostiziert. Angesichts rückläufiger Steuereinnahmen aus Rohstoffverkäufen verbuchen die öffentlichen Haushalte weniger Einnahmen. Die Preisindizes für wichtige Rohstoffe sind teilweise um zwei Drittel gesunken. Ob sich das Land nachhaltig auf einem reduzierten Einkommensniveau stabilisiert, wird auch davon abhängen, inwieweit die neue Regierung ihre Reformprogramme zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit rasch umzusetzen vermag. Die Aufwendungen für die ambitionierten Programme der Verkehrsinfrastruktur sollen trotz steigender Staatsverschuldung wie geplant durchgeführt werden. Trotz der eingetrübten Konjunkturlage bleibt der Arbeitsmarkt von Verwerfungen verschont. Hatte die Arbeitslosenquote 2013 bei 5,6 Prozent gelegen, verlief der Anstieg auf 6,3 Prozent seither moderat. Für die nächsten Jahre ist wieder ein leichter Rückgang zu erwarten. Wegen der Knappheit an Fachkräften werden die Löhne auch künftig stärker steigen als das reale BIP. Für 2016 und 2017 könnte der Anstieg rund 3,5 Prozent erreichen und die durchschnittliche Preissteigerung um rund 1 Prozentpunkt übertreffen. Die Außenwirtschaft Die internationalen Institutionen gehen davon aus, dass sich die Preisflaute an den Rohstoffmärkten fortsetzen wird. Das Volumen der Exporte des Landes geht wegen der guten Wettbewerbsstellung australischer Rohstoffkonzerne allerdings nicht so stark zurück, wie dies gemäß den Marktanteilen zu erwarten wäre. Steigende Gasexporte dämpfen zudem den Abschwung, und die Nahrungsmittelexporte expandieren. Deutschland belegt Rang fünf der wichtigsten Lieferländer, könnte aber in den nächsten Jah- ren aufrücken. So liegen deutsche Firmen gut im Rennen um Ausschreibungen zur Modernisierung der Verteidigungskräfte, ebenso im Bereich Umwelttechnik, dessen Stellenwert durch den Wechsel an der Regierungsspitze zugenommen hat. Das Angebot, Arbeitsplätze vor Ort zu schaffen, verbessert die Chance auf Zuschläge. 2014 exportierte Australien Güter im Wert von 240 Milliarden US-Dollar und führte Waren für 227 Milliarden US-Dollar ein. 2015 ging der Ausfuhrwert um rund ein Zehntel zurück, und auch im Jahr 2016 ist mit einer leichten Abnahme zu rechnen. Die Handelsbilanz ist dadurch defizitär geworden. Deutlich im Minus bleibt die Leistungsbilanz. Ihr Defizit wird aber durch ausländische Investitionen weitgehend kompensiert. Der Finanzstatus Die niedrige Staatsverschuldung von weniger als 40 Prozent und der Rohstoffreichtum des Landes stärken weiterhin das Vertrauen ausländischer Investoren. Die Finanzierung des Leistungsbilanzdefizits durch Importkapital stellt damit kein Problem dar. Zudem stehen Währungsreserven von 70 Milliarden US-Dollar zur Verfügung. Australiens Finanzstatus ist damit über jeden Zweifel erhaben. Zwar weist der öffentliche Haushalt seit 2008 ein Defizit auf. Unterstützt von einer Steuerreform soll das Haushaltsdefizit mittelfristig jedoch wieder gegen null gehen oder einen leichten Überschuss aufweisen. Manfred Kurz Weitere Infos Deutsch-Australische Industrie- und Handelskammer Executive Director: Kristian Wolf [email protected], www.australien.ahk.de 1/2016 AUSSEN WIRTSCHAFT 45 42-45 lp australien 160205-1459 SG.indd Land:45 5.2.16 15:03 Türkei Kennzahlen Einwohner: 78 Millionen Fläche: 783 562 km2 Einwohner pro km : 2 1000 BIP: 630 Mrd. EUR Warenimporte: 189 Mrd. EUR Wechselkurs zu EUR: 3,18 TRY/EUR Währungsreserven: 123 Mrd. EUR Quellen: CIA Factbook, IWF, türkische Nationalbank Risiken. Der wirtschaftliche Schwung der Türkei hat zuletzt deutlich nachgelassen. Das Wirtschaftswachstum beträgt nur noch rund 3 Prozent. International gerät die Regierung mit ihrer Syrien-Politik unter Druck. Im Schatten der Krisenherde Die Türkei erstreckt sich über zwei Kontinente. Anatolien, der asiatische Teil, nimmt 97 Prozent des Staatsgebiets ein. Nur 3 Prozent des Landes, das durch das Marmarameer und den Bosporus von Asien getrennt ist, gehören geografisch zu Europa. Gleichwohl lebt rund ein Viertel der Bevölkerung in dieser relativ hoch entwickelten Region, insbesondere im Groß- raum Istanbul, mit mehr als 14 Millionen Einwohnern die größte Stadt des Landes. Die Bevölkerung im asiatischen Teil konzentriert sich in der Hauptstadt Ankara mit fünf Millionen Einwohnern und den Städten der Westküste. Bei einem Bevölkerungswachstum von jährlich 1,3 Prozent wird die Einwohnerzahl von derzeit 78 Millionen in wenigen Jahren diejenige Deutschlands übersteigen. Die demografische Struktur der Türkei ist günstig: Mehr als zwei Drittel sind im erwerbstätigen Alter von 15 bis 65 Jahren. Der Staat Mustafa Kemal Atatürk gründete die Republik Türkei am 29. Oktober 1923 als Nachfolgerin des Osmanischen Reichs. Sie basiert bislang auf den Prinzipien des nach ihm benannten Kemalismus. Dazu gehört die strikte Trennung Foto: Getty Images Das Land 46 AUSSEN WIRTSCHAFT 1/2016 46-49 lp tuerkei 160205-1459 SG.indd Land:46 5.2.16 15:03 LÄNDERPORTRÄT von Staat und Religion, die in den letzten Jahren jedoch aufgeweicht wurde. Auch die einst starke Stellung des Militärs, das sich seit Staatsgründung als Wächter des Kemalismus verstand, wurde durch die lange Zeit regierende Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung (AKP) und ihren Anführer Recep Tayyip Erdoğan beseitigt. Das Land ist in 81 Provinzen gegliedert, deren Gouverneure von der Zentralregierung in Ankara ernannt werden. Der Staatspräsident wird in allgemeiner Direktwahl auf fünf Jahre gewählt, wobei eine einmalige Wiederwahl möglich ist. Die 550 Abgeordneten des Parlaments werden alle vier Jahre nach dem Verhältniswahlrecht neu gewählt. Für Parteien gilt eine 10-Prozent-Hürde. Das aktive Wahlalter beträgt 18, das passive 25 Jahre. Es besteht Wahlpflicht. Seit 2008 können auch im Ausland lebende Türken wählen. Die politische Lage Innenpolitisch brachte 2015 zwei Parlamentswahlen. Die erste im Juni erwies sich für die bis dahin allein regierende AKP als Reinfall. Mit 40,9 Prozent der Stimmen wäre sie erstmals seit ihrem Wahlerfolg im Jahr 2002 auf einen Koalitionspartner zur Regierungsbildung angewiesen gewesen. Diverse von der Verfassung vorgeschriebene Koalitionsverhandlungen scheiterten. Beim zweiten Urnengang am 1. November, der nach kritischer Beurteilung von OSZE und Europarat von massiver medialer Einflussnahme zugunsten der AKP geprägt war, gelang es dieser, die absolute Mehrheit der Parlamentssitze zu erringen. Das große Ziel des 2014 vom Amt des Premiers in die Funk- BIP pro Kopf Beitrag zum BIP Die Lira-Abwertung führt zum Rückgang des Pro-Kopf-Einkommens. Die Modernisierung der Industrie und der Ausbau der Infrastruktur haben Priorität. 2013 10 821 2014 10 380 2015* 9300 2016* 9200 Primärsektor Sekundärsektor 1|2016 8 28 Tertiärsektor 64 * = Prognose; Angaben in US-Dollar. Quelle: IWF Angaben in Prozent. Quelle: CIA Factbook tion des Präsidenten gewechselten AKP-Führers Erdoğan, in der Türkei ein Präsidialsystem mit ihm als starkem Mann zu installieren, steht allerdings auf der Kippe. So fehlen der AKP 13 Sitze, um das neue System installieren zu können. Die neben der AKP drei anderen im Parlament vertretenen Parteien sind gegen das Präsidialsystem, das ihnen unter dem dann regierenden Präsidenten Erdoğan noch weniger Einflussmöglichkeiten bieten würde als bisher. Ansonsten bestimmt der Bürgerkrieg in den Nachbarländern Syrien und Irak die politische Lage. Die Türkei wurde im Ver- lauf des vergangenen Jahres zu einem Transitland für Migranten mit dem Ziel Europa. Um die Türkei zu veranlassen, den Zustrom wirksam zu begrenzen, erklärte sich die EU neben umfangreichen finanziellen Mitteln bereit, auch über Visumerleichterungen und sogar die Belebung der EU-Beitrittsverhandlungen zu sprechen. Präsident Recep Tayyip Erdoğan will mehr politischen Einfluss für die Türkei. Die Wirtschaft Mit einem jährlichen Pro-KopfEinkommen von 9300 US-Dollar im Jahr 2015 liegt die Türkei auf der Wohlstandsskala noch vor einigen EU-Ländern, musste aber in den letzten drei Jahren wegen der kontinuierlichen Abwertung der Türkischen Lira Abstriche hinnehmen. Um das zu verschleiern, berechnet die Regierung neuerdings das Pro-Kopf-Einkommen nach Kaufkraftparitäten, wodurch sich der Wert in der offiziellen Statistik zum ursprünglichen Ergebnis mehr als verdoppelt. Der Anteil der Landwirtschaft am Bruttoinlandsprodukt (BIP) beträgt rund 8 Prozent; sie beschäftigt ein Viertel der Arbeitskräfte. Dominiert wird die Wirtschaft von Dienstleistungen, die 64 Prozent zum BIP beisteuern. Die Industrie hat zusammen mit dem stark wachsenden Bausektor einen Anteil 1/2016 AUSSEN WIRTSCHAFT 47 46-49 lp tuerkei 160205-1459 SG.indd Land:47 5.2.16 15:03 LÄNDERPORTRÄT [ Türkei ] von 28 Prozent an der wirtschaftlichen Produktionsleistung. Bis vor wenigen Jahren war die Textil- und Bekleidungsindustrie die mit Abstand größte Branche. Sie leidet aber spürbar unter der asiatischen Billiglohnkonkurrenz. Überholt wurde die Textilindustrie inzwischen von der Automobilund der Elektronikindustrie. Die Förderung von Investitionen steht bei der Regierung ganz oben auf der Agenda. Zu den vordringlichsten Projekten zählen die Modernisierung der Industrie, der Ausbau der Infrastruktur und die Verbesserung der Energieversorgung. Die Türkei besitzt eine breite Palette mineralischer und agrarischer Rohstoffe. Zudem wächst ihre Rolle als Transitland für Erdgas aus dem kaspischen und zentralasiatischen Raum. Die mit Russland geplante Pipeline Turkish Stream steht seit dem militärischen Konflikt im November 2015 allerdings auf der Kippe. Der EUBeitritt war dagegen einige Zeit in den Hintergrund gerückt; er avancierte dafür zuletzt zu einem der Preise für die Kooperation der Tür- BIP-Wachstum Staatsschulden Die wirtschaftliche Expansion der Türkei ist gebremst, die Arbeitslosigkeit nimmt zu. Das eingetrübte Wirtschaftsklima belastet den Finanzstatus des Landes. 12 40 35 10 30 8 25 20 6 15 4 10 5 2 0 0 2013 2014 2015* 2016* –5 2013 2014 2015* 2016* Wachstum BIP Arbeitslosenquote Inflationsrate * = Prognose; Angaben in Prozent. Quelle: IWF Staatsverschuldung Haushaltssaldo * = Prognose; Angaben in Prozent des BIP. Quelle: IWF kei mit der EU bei der Bewältigung der Migrationsströme. Ein fundamentales Problem der Türkei sind die starken wirtschaftlichen Unterschiede zwischen dem europäischen Teil des Landes, der Region um Ankara sowie der vom Tourismus geprägten Südküste einerseits und dem Osten des Landes andererseits. zent, so hat sich das Wachstum seitdem spürbar verringert und erreicht durchschnittlich nur noch 3 Prozent. Wirtschaftliche Einbrüche in wichtigen Absatzmärkten waren die Ursache. Fiskalpolitische Wahlgeschenke verdoppelten 2015 zwar die Zuwachsrate des privaten Verbrauchs auf rund 3 Prozent, und ein Investitionsförderprogramm sorgte für zusätzliche Nachfrageimpulse. Dies schlug sich jedoch nicht merklich im realen BIP nieder. Für 2016 erwarten Regierung und IWF beim privaten Verbrauch Die Konjunktur Stieg das reale Bruttoinlandsprodukt der Türkei in den Jahren 2010 und 2011 noch um rund 9 ProIM SPIEGEL DER KENNZAHLEN Ein leichter Abwärtstrend für die Türkei In den wichtigsten Wirtschaftsranglisten findet sich die Türkei durchweg im Mittelfeld. Platz 55 belegt das Land im Doing-Business-Report der Weltbank mit Stärken bei der Umsetzung von Verträgen, der Stromversorgung und beim Schutz von Minderheitsinvestoren, aber auch eklatanten Schwächen bei der Insolvenzordnung, der Umsetzung von Baugenehmigungen und im Außenwirtschaftsverkehr. Im Global Competitiveness Index des World Economic Forum, in dem das Land um sechs Plätze zurückfiel, enttäuscht die Türkei in fast allen Kategorien, die den Status der Wettbewerbsfähigkeit ausmachen, insbesondere bei der Effizienz des Arbeitsmarkts. Negativ zu Buche schlagen die gesamtwirtschaftliche Lage und vor allem die geopolitische Belastung durch die Krise in der Region. Bemängelt wird nach wie vor eine gewisse Korruptionsanfälligkeit; Transparency International stuft das Land noch hinter zahlreichen Entwicklungsländern ein. Leicht verschlechtert hat sich Bewertung im Länderbonitätsranking des „Institutional Investor“ mit Platz 60. Rangliste Platz Doing-Business-Report Länderzahl 55 189 Global Competitiveness Index 51 140 Corruption Perceptions Index 64 175 Institutional Investor 60 179 Quellen: Weltbank, WEF, TI, Institutional Investor 48 AUSSEN WIRTSCHAFT 1/2016 46-49 lp tuerkei 160205-1459 SG.indd Land:48 5.2.16 15:03 Handel mit Deutschland Außenbilanz Vom Ausbau der Infrastruktur könnten deutsche Unternehmen profitieren. Geringes Wachstum in Europa und die Russlandsanktionen belasten die Exporte. 25 150 20 100 15 50 10 0 5 – 50 Einfuhr Ausfuhr Saldo aus deutscher Sicht * = Prognose; Angaben in Mrd. Euro. Quelle: Destatis Handelsbilanz Leistungsbilanz Währungsreserven * = Prognose; in Mrd. US-Dollar. Quellen: IWF, Türk. Statistikamt ein ähnliches Ergebnis. Die BIPPrognose wurde allerdings von der Regierung bereits von 4 auf 3 Prozent zurückgenommen. Angesichts der unruhigen Lage durch die kriegerischen Auseinandersetzungen in den Nachbarländern Syrien und Irak ist diese Prognose vermutlich noch zu hoch, zumal auch die russischen Wirtschaftssanktionen 2016 belastend wirken werden. Nachdem die Inflationsrate von 8,9 Prozent 2014 auf 7,4 Prozent im vergangenen Jahr gesunken ist, wird vom IWF für 2016 zwar eine leichte Verringerung erwartet. Wegen der nach wie vor leichter tendierenden Lira wirkt sich der starke Rückgang der Rohstoffpreise, insbesondere der Ölnotierungen, aber nicht entsprechend in der Statistik aus. Das Wirtschaftsprogramm der Regierung legt einen Schwerpunkt auf Projekte mit hohem inländischen Wertschöpfungsanteil. Das konnte aber nicht verhindern, dass die Arbeitslosenquote von 9 Prozent im Jahr 2013 auf fast 11 Prozent im vergangenen Jahr stieg und nach Prognosen des IWF 2016 nochmals zulegen wird. Auch hier könnten sich die russischen Wirtschaftssanktionen, die insbesondere die personalintensiven Bereiche Tourismus und Landwirtschaft betreffen, negativ auswirken. Der Anteil russischer Urlauber lag bisher immerhin bei 10 Prozent aller Touristen. Rund ein Drittel der russischen Nahrungsmittelimporte kam 2015 aus der Türkei. Dollar ins Land, werden 2016 deutlich weniger Zuflüsse erwartet. Wichtigste Exportgüter sind Textilien und Bekleidung, KfzTeile und Nahrungsmittel. Die EU ist wichtigster Absatzmarkt; Deutschland ist mit 9,5 Prozent mit Abstand größtes Exportziel. Es folgen Russland, der Irak und die USA. Bei den Importen entfallen annähernd drei Viertel auf Mineralölprodukte, sonstige Energieträger und industrielle Halbwaren. Der Warenaustausch mit Deutschland war zuletzt rückläufig. In die Bundesrepublik werden vor allem Textilien und Bekleidung, Autoteile sowie Nahrungsmittel exportiert. Eingeführt werden insbesondere Maschinen, Elektrotechnik, Autoteile sowie chemische Erzeugnisse. In der Umwelt- und Elektrotechnik werden die besten Geschäftschancen prognostiziert. Die Außenwirtschaft Der Finanzstatus Die türkische Handelsbilanz lag 2015 mit rund 80 Milliarden USDollar im Minus, die Leistungsbilanz mit 40 Milliarden US-Dollar. Diese Schieflage wird sich voraussichtlich 2016 weiter verschlechtern. Mit Russland, dem bisher zweitwichtigsten Handelspartner, werden bis auf Weiteres weniger Geschäfte möglich sein. Eine abwertende Lira und die eher flache Konjunkturentwicklung in der EU belasten ebenfalls. Grundsätzlich werden der Türkei wegen des großen Binnenmarkts, der Energie-Intensität der Wirtschaft und des davon ausgehenden Importsogs in den kommenden Jahren defizitäre Außenbilanzen nicht erspart bleiben. Schwächer tendieren auch ausländische Direktinvestitionen. Kamen 2012 und 2013 noch 13 Milliarden US- Mit dem Defizit in der Leistungsbilanz bleibt der hohe externe Finanzierungsbedarf bestehen. Der IWF warnt vor einer fortgesetzten Finanzierung von Investitionen und des Konsums mithilfe einer wachsenden Verschuldung im Ausland. Diese ist von 389 Milliarden US-Dollar Ende 2013 auf inzwischen 420 Milliarden USDollar gestiegen. Der Zinssatz von rund 10 Prozent für zehnjährige Staatsanleihen kann deshalb als Risikoprämie für den Finanzstatus der Türkei gewertet werden. Für Zinsen und Tilgungen muss ein Viertel der Exporteinnahmen aufManfred Kurz gebracht werden. 0 2013 2014 2015* 2016* – 100 2013 2014 2015* 2016* Weitere Infos Deutsch-Türkische Industrie- und Handelskammer Geschäftsführer: Jan Nöther [email protected], www.dtr-ihk.de 1/2016 AUSSEN WIRTSCHAFT 49 46-49 lp tuerkei 160205-1459 SG.indd Land:49 5.2.16 15:03 1|2016 KOLUMNE [ Polen interkulturell ] Der deutsche Manager Während es für Deutsche selbstverständlich in der polnischen Nieist, auf der Sachebene derlassung des Autooffen und kontrovers mobilbauers ist verzu diskutieren, wird ärgert: Zeitplan und Kritik in Polen leicht als Vorgehensweise für Angriff auf die Person den neuen Großaufinterpretiert. Schwietrag waren im gestririgkeiten werden daher gen Meeting minutiös nur indirekt oder im verund einvernehmlich abgestimmt und verabtraulichen Vier-Augenschiedet worden. Das Gespräch genannt. Protokoll ist bereits Äußerst wichtig ist es, geschrieben. Und nun Brigitte Hild, Going Global, München, unterstützt international tätige Firmen bei der dabei nicht bessersitzt ihm sein polniBetreuung ihrer Auslandsmitarbeiter durch Informationen, Coaching und Beratung. wisserisch aufzutreten, scher Chefingenieur um das Ehrgefühl des gegenüber und erläutert detailliert, warum das Projekt zum Gegenübers nicht zu verletzen. Das gilt Scheitern verurteilt sei. Gestern hatte er aufgrund der Historie ganz besonders im die allgemeine Linie im Team mit vertre- deutsch-polnischen Kontakt. Die große ten. Warum jetzt dieser Sinneswandel? Bedeutung, die dem harmonischen Miteinander beigemessen wird, zeigt sich Der polnische Ingenieur kann den Ärger, auch in der Haltung, das Gespräch der der ihm entgegenschlägt, nicht nach- Schriftform vorzuziehen. E-Mails, Vervollziehen. Er mag und schätzt seinen träge, schriftliche Anweisungen: Sie alle Chef. Daher wäre es ihm nie in den Sinn gelten zunächst als Diskussionsgrundgekommen, dessen Kompetenz durch lage, die auf jeden Fall noch einmal besprooffenen Widerspruch vor aller Augen chen und flexibel gehandhabt wird, denn infrage zu stellen – auch wenn ihm am Ende zählt einzig das Ergebnis, nicht bereits gestern klar war, dass die Pla- der Weg dorthin. Auch wenn diese Einnung große Schwachstellen hat. Doch stellung die Geduld sach- und prozesswenn der Chef seine Warnung nicht orientierter Deutscher immer wieder auf zu schätzen weiß, wird er die Dinge in die Probe stellt: Polnischer Pragmatismus Zukunft eben laufen lassen. führt sicher zum Ziel. Foto: Uwe Nölke Pragmatisch und loyal 50 AUSSEN WIRTSCHAFT 1/2016 50 kolumne 160205-1459 SG.indd Kolumne:50 5.2.16 15:03