Bibel erleben Predigten in freier Rede von Heinz D. Müller Tonscript: Inge Gronau gehalten am: Do. 09-02-2012 in: Kapelle Klinikum-Augsburg Tondatei: DS400772 weitere Predigten von Heinz D. Müller www.pfarrer-mueller.de Das Ohr und das Wort Liebe Schwestern und Brüder, ich habe heute dies kleine Kunstwerk mitgebracht und Ihnen auch ein Bild mit dazu in die Hand gegeben. Darauf sehen Sie das Ohr aus Holz, das wir dieses Adventstreffen von meinem Vorgänger, einem Seelsorger, als Geschenk bekommen haben. Seitdem steht es bei uns im Büro und wartet noch darauf, dass wir einen geeigneten Platz dafür finden, wo es hängen oder stehen kann. Ein überdimensioniertes Ohr, geschenkt von einem Seelsorger an Seelsorger, ein Hinweis- oder Erinnerungszeichen, Symbol für unsere Arbeit. Das Ohr, das so eine wichtige Rolle spielt und Funktion ausübt und das für etwas steht, was wir immer wieder, auch in den Gottesdiensten, verkünden, das Wort Gottes, auf das das Ohr des Menschen sich bezieht. Beide aneinander gewiesen, beide sollen eine Beziehung aufnehmen. Und dies, unser Ohr ist ein ganz wunderbares Gebilde. Ich habe es mir noch einmal genau angesehen, in medizinischen Büchern und habe festgestellt, dass uns dieses Ohr auf den Weg nimmt und eine Geschichte erzählt. Seite 1 von 3 Zunächst zeigt es eine Außenfläche, von der wir meinen es wäre schon alles, das Außenohr oder Ohrmuschel, das was wir fühlen und waschen können, aber das ist noch nicht das ganze Ohr. Dann von hier geht es hinein zum mittleren Teil, dem Mittelohr, das mit dem Trommelfell dann endet. Und von dort aus beginnt es spannend und mysteriös zu werden, denn dort geht der Weg weiter über den Hammer, den Ambos und den Steigbügel, die kleinsten und härtesten Knochen im Menschen. Und dort geht es hinüber über einen Abgrund sozusagen, , denn dieser Zwischenraum vom Trommelfell hin zu dem Innenohr, der Schnecke, muss. Und in dieser Schnecke geht es dann über die Sinnesnerven weiter zum Gehirn und dort werden die Informationen verarbeitet, die von außen den Menschen erreichen. Sie merken, welch weiten Weg die Schallwellen gehen müssen bis sie zum Wort werden und verstanden werden. Vom Außenohr, der Ohrmuschel, die bei jedem Menschen einmalig und einzigartig ist, hin zu dem Trommelfell, dann über Hammer, Amboss und Steigbügel zu der Gehörschnecke und dann über 25.000 Sinneszellen, Sinnesnerven hin zum Gehirn. Wo die Schallwellen zu Informationen, Bedeutung und Sinn verarbeitet werden. Ein langer Weg! Und Sie werden merken, auf diesem Weg kann so vieles geschehen, vieles sogar in die Irre gehen, oder missinterpretiert werden, dass es dann eben ganz anders ankommt, als es draußen gesendet worden ist. Und mit den Jahren, da verlieren wir auch noch die aktive Hörkraft und die Missverständnisse werden sich damit auch erhöhen. Sie merken, wir sind angewiesen, dass dieser lange Weg auch so zurück gelegt wird, dass wirklich das ankommt bei uns, was vom Sender aus abgeschickt worden ist. Viele Möglichkeiten der Missinterpretation liegen dazwischen. Und wir könnten fast sagen: Ein Wunder! Ein Wunder, wenn wir uns verstehen, wenn wir miteinander reden. Ganz besonders in der Kommunikation, dem Reden unter einander, merken wir, wie schwierig es ist, wenn zwei Menschen einander etwas erzählen, meistens kommt was ganz anderes an, als was auf der anderen Seite gesagt worden ist. Die moderne Kommunikationsforschung sagt dazu: Jeder Mensch hat vier Ohren, mit denen er höret. Wenn ich jetzt sage: „Das ist meine Bibel“, dann stecken darin schon vier Möglichkeiten, wie Sie das verstehen könnten. Zum einen ist das erst mal eine Information, „meine Bibel“. Aber Sie könnten es auch so hören, dass ich mit Ihnen dadurch eine Beziehung aufnehmen möchte und sie „hören“ heraus: Meine Bibel ist mir wichtig, vielleicht sollte sie auch für dich wichtig werden. Dann könnte diese Information nicht nur eine Information sein, sondern auch ein Appell an Sie: Mach mir doch das nach. Und: Es könnte unsere Beziehung verbessern, wenn Sie heraushören: Ich zeige dir meine, zeig’ mir du deine und lass uns darüber ins Gespräch kommen. So vieles ist in diesem einen Wort, das wir sprechen, ausgedrückt und wir können von Glück reden, wenn wir mit den gleichen Ohren hören und uns dann auch verstehen. Und wir wissen, von den Kindern, die im Mutterleib sind, dass sie ab dem 6. Monat Töne wahrnehmen können, jenseits ihres Raumes. Das heißt, das Wort erreicht uns, die Töne erreichen uns, bevor wir auf die Welt kommen, von einer ganz „anderen Welt“ her. Vom Ohr heißt es auch: es ist das erste das kommt und das letzte das geht. Man kann einen Menschen auf dem Sterbebett, im Koma, noch erreichen über das Ohr. Ihm noch etwas sagen, ihm etwas mitgeben, ein gutes Wort, den Segen. Seite 2 von 3 So wunderbar ist der Mensch gebaut, so wunderbar ist dieses Ohr, dass wir es nicht nur einfach, sondern gleich in einer doppelten Ausführung haben, das zweite Ohr dient zu unserer Orientierung, dass wir nicht nur hören sondern auch fest stellen können wo wir uns im Raum befinden. Und erstaunlich genug, in dieses Ohr, in dieses menschliche Ohr, legt nun Gott sein Wort. So möchte er sich den Menschen nähern, über dieses Ohr. Und wir merken, wie wichtig es ist, dass die Übersetzung des Wortes auch wirklich gelingt. Deswegen gibt es diese vielen Bibelübersetzungen und vielen Predigten, die immer wieder auf ihre Art und Weise etwas übersetzen von dem Wort, das wir hören und lesen und das wir dann hinein sprechen in diese Welt. So vielfältig ist dieses Wort und so besonders, das Wort sagt uns das Johannesevangelium: das Wort war bei Gott und Gott selber ist das Wort und dieses Wort wurde Fleisch. Welch wundersamer Weg, welch wundersames Geschehen. Dass Gott sich wieder auf den Weg macht und Fleisch wird und diese „Übersetzung“, diesen Weg der Übersetzung auch selber geht. Deswegen ist es auch wichtig, dieses Wort vielfältig aufzunehmen und zu verstehen. Dass wir merken, mit dem Hören ist ja auch etwas anderes noch gemeint, nämlich das, was das Innenohr vielleicht als „Zwischentöne“ vernehmen kann. Ein ganz anderes Wort, dass die Stimme auch zu einer Stimmung wird in uns selber. Wenn das Wort sich verwandelt und dann Raum nimmt in uns, dass wir glauben Gott selber zu hören. So können wir uns dann auch der Bibel anders nähern, dass wir merken, diese Worte Gottes haben einen Weg hinter sich. Nicht nur diesen Weg von ganz oben nach ganz unten, von den äußersten Höhe, bis in die tiefsten Tiefen dieser Welt, sondern auch, vom Buch zum Menschen, von Mensch zu Mensch, von Ohr zu Ohr, legt es immer wieder einen Weg zurück. Und auf diesem Weg möchte es verwandeln, möchte es den, den es erreicht in eine Stimmung bringen, die tröstlich ist, die aufmuntert, die uns Kraft gibt. Die uns die Ängste nimmt, wenn wir in Ängsten sind, die uns Hoffnung gibt, wenn wir in Hoffnungslosigkeit uns befinden. Die uns erreicht in unserer Krankheit, in unserem Bedrücktsein und die uns verwandeln möchte. Weil jedes Wort uns sagen möchte: Ich komme einen langen Weg und dieser lange Weg, der gilt dir. Von Gott her komme ich, um dich zu erreichen und dich aufzurichten, wie wir es aus den Psalmen immer wieder hören und lesen können. Denn dort, z. B. im 17. Psalm, steht: „Ich rufe zu dir, denn du Gott wirst mich erhören. Neige deine Ohren zu mir und höre mein Reden.“ So lädt uns die Bibel ein, von diesem Wort Gebrauch zu nehmen, das Ohr immer wieder hinzuhalten und zu wissen, wir hören Gott, wenn wir sein Wort hören und er selber hört auf unser Schreien und Rufen und dann reagiert er auch. Dann reagiert er und möchte uns erreichen, uns Trost zusprechen und uns helfen. Mögen wir Gottes Wort so immer wieder neu vernehmen und uns von ihm erreichen lassen. Amen. Seite 3 von 3