neuroreha neuroreha verbindet Forschung und Therapie Heft 4 Dezember 2012 Seite 147–194 Dezember 2012 • Seite 147–194 • 4. Jahrgang Herausgeber Susanna Freivogel Wolfgang Fries Jan Mehrholz Schwerpunkt Fitness Wie Bewegung wirkt Training bei Multipler Sklerose, Parkinson & nach Schlaganfall Die Slackline sinnvoll einsetzen www.thieme.de/go/neuroreha 4 • 2012 Schwerpunkt Fitness Einleitung Foto: Stefan Oldenburg 156 Körperliches Training als w ­ ichtiger Bestandteil der geriatrischen Neuro­rehabilitation Körperliche Fitness wirkt positiv sowohl auf die kognitive Leistungsfähigkeit von gesunden älteren Erwachsenen als auch auf die von älteren Personen mit leichter kognitiver Beeinträchtigung und Demenz. Auch bei stärkerer körperlicher Beeinträchtigung und Betreuungsbedürftigkeit kann sich ein multimodales körperliches Training im Sitzen noch begünstigend auf den Gesundheitszustand der Patienten auswirken. Grundlagenforschung im Tiermodell sowie erste Humanstudien weisen darauf hin, dass (aerobes) körperliches Training neuroplastische Prozesse (z. B. die Ausschüttung von Nervenwachstumsfaktoren) im Gehirn fördert und somit auch im hohen Alter noch kognitive Verbesserung ermöglicht. Franka Thurm Thurm F. Körperliches Training als wichtiger Bestandteil der geriatrischen Neurorehabilitation. neuroreha 2012; 4: 156–160 Die Menschen werden immer älter. Seit nun mehr als 150 Jahren steigt die Lebenserwartung stetig an – etwa um drei Monate pro Jahr [1, 2]. Die aktuelle Lebensspanne beträgt 122 Jahre, und bislang scheint sich dieser demografische Trend ungebremst fortzusetzen. Damit einher gehen neben körperlichen und sensorischen Veränderungen auch altersbedingte kognitive Abbauprozesse. Bereits im Alter von 20–30 Jahren zeigen sich erste kognitive Veränderungen. Im Verlauf der Lebensspanne sind insbesondere Fähigkeiten der sogenannten fluiden Intelligenz wie Aufmerksamkeit, Verarbeitungsgeschwindigkeit, visuelles und verbales Gedächtnis, Arbeitsgedächtnis und mentale Flexibilität vom sogenannten „normalen“ kognitiven Abbau betroffen. Kristalline Fähigkeiten wie semantisches und prozedurales Wissen bleiben jedoch intakt [3–7]. Längsschnittstudien haben gezeigt, dass diese Veränderungen zudem mit einer Schrumpfung der Hirnrinde (Kortex), insbesondere in präfrontalen und temporalen Arealen (einschließlich Hippocampus), assoziiert sind [8, 9]. Zunehmendes Alter ist darüber hinaus ein Hauptrisikofaktor für Demenz [10, 11]. Das heißt aber nicht, dass kognitives Altern zwangsläufig zur Demenz führen muss. Neuroplastizität ist nicht, wie früher angenommen wurde, auf Kindheit und Jugend beschränkt, sondern auch noch im Erwachsenenalter möglich [12, 13]. Neben genetischen Risikofaktoren können auch Faktoren wie positives Gesundheitsverhalten (gesunde Ernährung, Ausgleich von Stress, Reduktion von vaskulären Risikofaktoren wie Übergewicht, erhöhtes Cholesterin und Rauchen, Vermeiden von Kopfverletzungen z. B. durch das Tragen eines Fahrradhelms usw.), ein aktiver Lebensstil und körperliche Bewegung die kognitive Leistungsfähigkeit im Alter beeinflussen [11, 14]. Neuroplastizität Seit den 1980ern konnte in einer Vielzahl von Studien gezeigt werden, dass sich das Gehirn auch bis ins hohe Erwachsenenalter aufgrund von Erfahrung, Training bzw. Therapie neu organisieren kann. Dies geschieht auf der Ebene der Synapsen – den Verbindungen zwischen den Nervenzellen bzw. Neuronen – und auf der Ebene der kortikalen Repräsentationen [15]. Schwerpunkt Fitness Wie körperliche Fitness im Alter und bei geriatrischen Patienten wirkt Körperliche Bewegung kann das Risiko für Demenz senken und das Voranschreiten neurodegenerativer Prozesse verlangsamen [16, 17]. Körperlich aktive ältere Erwachsene zeigen bessere kognitive Leistungsfähigkeit und einen geringeren kognitiven Abbau [18]. Regelmäßiges Laufen, Radfahren, Wandern oder Schwimmen (mindestens dreimal pro Woche) reduziert das Risiko, an einer Demenz zu erkranken, um bis zu 32 Prozent [19]. Erhöhte aerobe Fitness steht im Zusammenhang mit einem größeren Hippocampusvolumen und einer besseren räumlichen Gedächtnisleistung bei gesunden älteren Personen [20]. Träger des genetischen Risikoallels Apoliopoprotein (ApoE) ε4, welches mit einem erhöhten Alzheimer-Risiko assoziiert ist, scheinen besonders von einem aktiven Lebensstil zu profitieren. Bei körperlich inaktiven, älteren ApoE-ε4-Trägern konnte hingegen im Vergleich zu körperlich aktiven ApoE-ε4-Trägern ein fast vierfach erhöhtes Demenzrisiko gezeigt werden [21]. Körperliches Training bei älteren Erwachsenen – Auswirkung auf Gehirn und Kognition Colcombe und Kramer veröffentlichten 2003 eine Metaanalyse, welche die Wirksamkeit körperlicher Fitnesstrainings aus 18 randomisiert kontrollierten Studien (von 1966 bis 2001) zusammenfasste. Die Resultate haben gezeigt, dass körperliches Training die kognitive Leistungsfähigkeit von gesunden Männern und Frauen im Alter von 55 bis 80 Jahren fördert. Dabei scheint körperliches Training besonders positiv auf Exekutivfunktionen (z. B. Planungsfähigkeit, Inhibition, exekutive Kontrolle), aber auch auf visuell-räumliche Fähigkeiten sowie auf die Verarbeitungsgeschwindigkeit zu wirken. Diese positiven Effekte waren am größten, wenn aerobe Trainings- mit Kraft- und Dehnungsübungen kombiniert wurden. Die Autoren konnten außerdem schlussfolgern, dass 1. bereits kurze Trainings (ein bis drei Monate) erfolgreich sein können, aber nicht so erfolgreich wie Langzeittrainings (> sechs Monate), 2. die Trainingsdauer mindestens 30 Minuten betragen sollte, 3. Frauen mehr profitieren als Männer und 4. Personen zwischen 66 und 70 Jahren am meisten profitieren [22]. In einer weiteren Studie zeigte sich zudem, dass körperliche Fitness und ae robes Training mit einer erhöhten präfrontalen und parietalen Aktivität bei Aufgaben assoziiert sind, die ein erhöhtes Maß an exekutiver Kontrolle (Aufmerksamkeit und Inhibition) fordern [23]. Körperliche Aktivität ist jedoch nicht nur mit funktionellen Veränderungen verbunden. In einer Längsschnittstudie hat sich gezeigt, dass körperliche Aktivität (Laufen) mit einem größeren Volumen der grauen Substanz in frontalen, okzipitalen, hippocampalen und entorhinalen Regionen des Gehirns sowie mit einem zweifach reduzierten Risiko für kognitive Beeinträchtigung im Alter verbunden ist. Gesunde ältere Erwachsene, die über sechs Monate hinweg jeweils dreimal pro Woche an einem aeroben Trainingsprogramm teilnahmen, zeigten außerdem mehr graue und weiße Substanz im Gehirn als Kontrollpersonen [24]. In einer aktuellen, randomisiert kontrollierten Studie konnten Kirk I. Erickson und Kollegen darüber hinaus zeigen, dass das Hippocampusvolumen von gesunden älteren Personen nach einem einjährigen aeroben Training um zwei Prozent zunahm [25]. Die Steigerung des Hippocampusvolumens war zudem mit einer signifikanten Verbesserung in räumlichen Gedächtnisaufgaben assoziiert. In einer zweiten Trainingsgruppe, welche anstatt eines aeroben Trainings verschiedene Dehnungsübungen durchführte, konnte diese Volumenzunahme allerdings nicht beobachtet werden. Ist körperliches Training auch eine wirksame Intervention für ältere Menschen mit leichten kognitiven Beeinträchtigungen und Demenz? Eine positive Wirkung des körperlichen Trainings konnte auch bei älteren Personen mit leichter kognitiver Beeinträchtigung (engl. Mild Cognitive Impairment oder MCI) gezeigt werden [26]. Ältere Erwachsene mit subjektiven Gedächtnisbeschwerden, Personen mit MCI und Träger des ApoE-ε4Risikogens, die innerhalb von sechs Monaten mindestens dreimal pro Woche ein moderates körperliches Training (z. B. Laufen, Kräftigungsübungen) absolvierten, zeigten eine geringe Verbesserung der kognitiven Leistungsfähigkeit. Die Kontrollgruppe verschlechterte sich hingegen signifikant. Die Relevanz dieses Ergebnisses liegt daher besonders in der Stabilisierung des kognitiven Status und der Verlangsamung des kognitiven Abbaus der Trainingsteilnehmer im Ver- gleich zur Kontrollgruppe. In einer Metaanalyse kamen Patricia Heyn und Kollegen zu der Schlussfolgerung, dass körperliche Interventionsmaßnahmen auch bei Personen mit Demenz sowohl die körperliche Gesundheit als auch die kognitive Leistung verbessern können, auch wenn bislang keine allgemeine Aussage über die optimalen Trainingsinhalte für Demenzpatienten getroffen werden konnte [16]. Diese Aussage wird von Studienergebnissen gestützt, welche einen positiven Zusammenhang zwischen kardiorespiratorischer Fitness und temporalem sowie parietalen Hirnvolumen bei AlzheimerPatienten zeigen [27]. Dies könnte darüber hinaus darauf hindeuten, dass körperliche Aktivität auf die Neuropathologie der Alzheimer-Demenz Einfluss nehmen kann. Die wenigen Studienergebnisse zur Wirksamkeit von körperlichen Trainingsmaßnahmen auf die kognitiven Funktionen von Pflegeheimbewohnern mit Demenz (Tages- oder Vollzeitpflege) ermöglichen bisher keine fundierte Aussage [28, 29]. Die Mehrheit dieser wissenschaftlichen Arbeiten fokussieren vielmehr auf Variablen wie Mobilität, Alltagsfunktionalität, Stimmung, Lebensqualität, Schlafverhalten und Verhaltensstörungen. Eine weitere Herausforderung für Trainingsleiter und Pflegepersonal sind körperlich fragile, ältere Personen und Demenzpatienten mit deutlich beeinträchtigter Gehfähigkeit und erhöhtem Sturzrisiko. Ein rein aerobes Trainingsprotokoll scheint in diesen Fällen nur schwer denkbar. Zu körperlichen Trainingsprogrammen im Sitzen gibt es jedoch ebenfalls nur wenige randomisiert kontrollierte Studien. Darüber hinaus fokussierten die bisherigen Studien entweder ausschließlich auf nichtkognitiven Maßen [30, 31] oder machten keine Angaben zu trainingsinduzierten kognitiven Veränderungen [31]. Im Rahmen einer eigenen Studie in zwei Pflegeheimen der Konstanzer Spitalstiftung und in enger Zusammenarbeit mit den Sportwissenschaften der Universität Konstanz konnte die Wirksamkeit eines solchen körperlichen Bewegungstrainings bei älteren Pflegeheimbewohnern (Vollzeitpflege) jedoch in einer ersten Pilotstudie überprüft werden [32]. Die Patienten litten an fortgeschrittener Demenz und waren auf Gehhilfen angewiesen. Demzufolge konnte das Training nur zweimal pro Woche (je 45 Minuten) und vorwiegend im Stuhlkreis durch- Thurm F. Körperliches Training als wichtiger Bestandteil der geriatrischen Neurorehabilitation. neuroreha 2012;4: 156–160 157 158 Schwerpunkt Fitness Link zu Beispielübungsplan www.psycontent.com>PsyJOURNALS> GeroPsych>The Journal of Gerontopsychology and Geriatric Psychiatry >Number 4/ December 2011> Improvement of Cognitive Function after Physical Movement Training in Institutionalized Very Frail Older Adults with Dementia BDNF↓ Alter↑ Kognitive Leistung↓ Hippocampusvolumen↓ a BDNF↑ Positive Effekte körperlichen Trainings Körperliches Training hat positive Effekte auf die kognitive Leistungsfähigkeit von ▪▪ gesunden älteren Personen, ▪▪ älteren Personen mit einem erhöhten genetischen Risiko für Demenz, ▪▪ älteren Personen mit subjektiven Gedächtnisbeschwerden, ▪▪ älteren Personen mit leichter kognitiver Beeinträchtigung (engl. Mild Cognitive Impairment, MCI) sowie ▪▪ älteren Personen mit Demenz und körperlichen Einschränkungen. geführt werden. Das multimodale Training umfasste Übungen zu Kraft, Koordination, Gleichgewicht, Beweglichkeit und Ausdauer (a Link zu „Beispielübungsplan“). Bereits nach einer kurzen Trainingszeit von zehn Wochen konnte gezeigt werden, dass sich die kognitiven Funktionen der Trainingsteilnehmer stabilisierten und teilweise sogar verbesserten (insbesondere in den Bereichen Orientierung und Praxis), wohingegen sich die kognitive Leistung von Bewohnern, die nicht an dem Training teilnahmen, weiter verschlechterte (a Kasten „Körperliches Training“). Trotz ihres Pilotcharakters und methodischer Einschränkungen deutet diese Studie darauf hin, dass körperliches Training auch bei fortgeschrittener geistiger und körperlicher Beeinträchtigung erfolgreich möglich ist. Das Trainingskonzept wurde im Anschluss an die Studie allen Bewohnern sowie den Patienten der Tagespflege angeboten und wird dort auch weiterhin praktiziert. Wirkmechanismen von körperlicher Aktivität aus Tier- und Humanstudien Tiermodelle (z. B. genetisch veränderte „transgene“ Alzheimer-Mäuse oder -Ratten) ermöglichen es, potenzielle Wirkmechanismen der strukturellen, molekularen und neurochemischen Veränderungen im Gehirn nach körperlicher Aktivität genauer Körperliche Aktivität↑ b Kognitive Leistung↑ Hippocampusvolumen↑ Abb. 1 Hypothetisches Modell über den Zusammenhang von (a) Alterung bzw. (b) körperlicher Aktivität mit den Levels des Brain-Derived Neurotrophic Factor (BDNF) und dem Hippocampusvolumen sowie dem möglichen Einfluss all dieser Faktoren auf die kognitive Leistungsfähigkeit (nach [35]). zu untersuchen. Dabei hat sich gezeigt, dass freiwilliges Laufradlaufen den altersbedingten Rückgang der hippocampalen Neurogenese bei alten Mäusen innerhalb von 1,5 Monaten um bis zu 50 Prozent reduzieren kann [33]. In einer Studie mit transgenen Alzheimer-Mäusen zeigte sich sogar eine Verlangsamung der Alzheimer-Demenz durch körperliche Aktivität [34]. Freiwilliges Laufradlaufen über einen Zeitraum von fünf Monaten war zudem mit einer Reduktion der Beta-Amyloid-Plaques im frontalen Kortex und im Hippocampus sowie mit einer verbesserten Lern- und Gedächtnisleistung (im Morris-Wasserlabyrinth) assoziiert. Die Grundlagenforschung beschäftigt sich zudem mit dem Zusammenhang zwischen körperlicher Fitness und neuronaler Plastizität – also mit der Untersuchung von möglichen Variablen, welche den positiven Einfluss von körperlicher Aktivität auf Gehirnvolumen und kognitive Leistungsfähigkeit mediieren. Im Mittelpunkt dieser Untersuchungen steht unter anderem der sogenannte „Brain-Derived Neurotrophic Factor“ (BDNF). Das BDNF-Protein befindet sich in Nervenzellen des Hippocampus, der Hirnrinde sowie in anderen Hirnregionen (a Kasten „BDNF“). Eine Reduktion von BDNF, wie zum Beispiel durch Alterungsprozesse, ist mit einer geringeren Neurogenese, hippocampaler Atrophie sowie mit abnehmenden Gedächtnisfunktionen verbunden [35, 36]. Darüber hinaus scheint BDNF auch eine Rolle bei der Neuropathologie der Alzheimer-Demenz zu spielen. Postmortem-Untersuchungen von Thurm F. Körperliches Training als wichtiger Bestandteil der geriatrischen Neurorehabilitation. neuroreha 2012; 4: 156–160 Patienten mit Alzheimer-Demenz wiesen darauf hin, dass die sogenannten Neurofibrillen, welche neben den Amyloid-Plaques eine zentrale Rolle bei der Entstehung der Alzheimer-Demenz zu spielen scheinen, vermehrt in Neuronen mit geringen BDNFLevels zu finden waren [37]. Tiermodelle deuten darauf hin, dass BDNF durch körperliche Bewegung positiv beeinflusst werden kann. Körperliche Aktivität erhöhte zum Beispiel die Genexpression von BDNF im Hippocampus von Ratten [38]. Darüber hinaus konnte ebenfalls bei Ratten gezeigt werden, dass BDNF relevant ist, um Verbesserungen in Lern- und Gedächtnisfunktionen durch Training zu erzielen [39]. Auch beim Menschen kann BDNF untersucht werden, beispielsweise im Blut. Bei gesunden Erwachsenen mittleren Alters konnte gezeigt werden, dass BDNF nach einem moderaten, aeroben Training im Serum erhöht ist [40, 41]. Erhöhtes BDNF nach aerobem Training war wiederum mit einer Zunahme des Hippocampusvolumens sowie mit einer Verbesserung der Gedächtnisleistung bei gesunden älteren Personen assoziiert [25]. Die Autoren schlussfolgerten daraus, dass aerobes, körperliches Training den altersbedingten kognitiven Abbau rückgängig machen könnte. Körperliches Training könnte demnach positiv auf Gehirn und Kognition wirken, indem es – unabhängig vom Alter – die Fähigkeit zu neuronaler Plastizität erhöht und altersbedingten Abbau kompensiert (a Abb. 1) [35]. Der mögliche Zusammenhang zwischen körperlicher Aktivität, Hippocampusatrophie, BDNF-Levels und Schwerpunkt Fitness Abb. 2 Körperliches Training wirkt sich positiv auf Gehirn und Kognition aus, indem es die Fähigkeit zu neuronaler Plastizität erhöht und altersbedingten Abbau kompensiert. kognitiver Leistungsfähigkeit älterer Personen mit und ohne Demenz wurde bislang noch nicht umfassend empirisch untersucht. Die Ergebnisse einer ersten Studie mit gesunden älteren Personen unterstützen jedoch diese Hypothese (a Abb. 2) [25]. BDNF Der Brain-Derived Neurotrophic Factor („aus dem Gehirn stammender neurotropher Faktor“, BDNF) ist ein Neurotrophin (Nervenwachstumsfaktor), welches im zentralen und peripheren Nervensystem vorkommt. Im Gehirn ist das BDNF-Protein vor allem in Nervenzellen des Hippocampus, der Hirnrinde (Kortex) sowie in anderen Hirnregionen nachweisbar, die insbesondere mit Gedächtnisprozessen assoziiert sind. Es spielt eine zentrale Rolle beim Erhalt und bei der Neurogenese von Neuronen und Synapsen [35, 36]. Zusammenfassung und Ausblick Körperliche Aktivität hat einen positiven Einfluss auf die kognitive Leistungsfähigkeit von gesunden älteren Erwachsenen, Perso nen mit leichter kognitiver Beeinträchtigung sowie von Demenzpatienten. Körperliches Training geht vor allem mit einer Verbesserung von Exekutiv-, aber auch von Gedächtnisfunktionen einher [22]. Bisherige Studien deuten darauf hin, dass körperliches Training häufig mit einer Volumenzunahme im Gehirn assoziiert ist [24, 25]. Die größten Effekte konnten bislang bei einer Kombination von aeroben Trainingseinheiten mit Kraft- und Dehnungsübungen erzielt werden. Kraft- und Dehnungsübungen ohne aerobe Trainingskomponenten zeigen jedoch geringere Effekte [22]. Bei Personen mit Demenz ist bislang noch nicht geklärt, welche Trainingskomponenten (z. B. aerobes Training, Kraft- oder Koordinationstraining) die beste Wirksamkeit aufweisen. Grundsätzlich muss auch berücksichtigt werden, dass ein primär aerobes Training oft nur schwer umsetzbar ist, wenn zusätzlich zur Demenz noch weitere körperliche Einschränkungen vorliegen. Eine erste Pilotstudie zeigte positive Effekte eines multimodalen Bewegungstrainings im Sitzen [32]. Die Wirkmechanismen, welche die Auswirkungen von körperlicher Aktivität auf das Gehirn und die kognitiven Fähigkeiten erklären könnten, sind bislang noch nicht umfassend geklärt. Carl W. Cotman und Kollegen postulierten, dass zwei wesentliche Mechanismen die positiven Effekte von körperlichen Trainings mediieren, indem sie Neurogenese, Angiogenese, synaptische Plastizität und Lernen stimulieren: (1) Hochregulation von Wachstumsfaktoren im zentralen und peripheren Nervensystem (z. B. BDNF) und (2) Herabsenkung peripherer und zentraler Risikofaktoren wie zum Beispiel Bluthochdruck, kardiovaskuläre Erkrankungen, Diabetes und Inflammation [42]. Evidenz für diese Hypothese liegt aktuell insbesondere im Tiermodell sowie für aerobe Trainings bei Erwachsenen vor [38, 39, 40, 41]. Inwiefern die bisherigen Ergebnisse auch auf andere, nichtaerobe Trainingsformen übertragbar sind, muss in zukünftigen Studien geklärt werden. Autorin Franka Thurm ist Diplom-­ Psychologin. Im Rahmen ihrer Forschungsarbeiten beschäftigt sie sich unter anderem mit Biomarkern für Altern und Alzheimer-Demenz und untersucht die Wirksamkeit neuroplastizitätsbasierter Trainings und körperlicher Bewegung bei älteren Personen mit leichten kognitiven Beeinträchtigungen und Demenz. Dr. rer. nat. Franka Thurm, Dipl.-Psych. Entwicklungspsychologie Technische Universität Dresden 01062 Dresden E-Mail: [email protected] Literatur 1. Oeppen J, Vaupel JW. Demography. Broken limits to life expectancy. Science 2002; 296: 1029–1031 2. Vaupel JW. Biodemography of human ageing. Nature 2010; 464: 536–542 3. Bäckman L, Wahlin Å, Small BJ, et al. 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