Tiroler Schmerztag Tiroler Ärztetage 24.09.2016 der Ärztekammer für Tirol Titel: Behandlung der neuropathischen Schmerzen Vortragender: Prof.Dr. Wilhelm Eisner Universitätsklinik für Neurochirurgie, Medizinische Universität Innsbruck Vorankündigung: 25. Jahrestagung der Österreichischen Schmerzgesellschaft in Zell am See vom 11.05.2017 bis 13.05.2017 Einleitung: Die primäre Behandlung von Schmerzen jeglicher Art erfolgt pharmakologisch, physikalisch medizinisch oder verhaltenstherapeutisch. Versagen diese konservativen Therapiemaßnahmen geraten die Therapeuten und die Patienten schnell in große Not. Alternativmethoden werden herangezogen. Solange geholfen wird oder eine Schmerzerleichterung erkennbar ist, ist nichts einzuwenden. Versagen diese Methoden auch, sucht der Patient erneut Spezialisten auf, denen die schwere Aufgabe zukommt den Patienten weitere therapeutische Möglichkeiten zu ermöglichen oder sie/ihn seinem Schicksal zu überlassen. Begriffsbestimmung: Alle Wahrnehmung und Reaktionen des menschlichen Körpers werden über Sinneszellen vermittelt. Über hintereinander geschaltete Sinneszellen werden Impulse in Form von elektrischen Entladungen zum Gehirn geleitet, wo eine Übersetzung der Information aus den Sinneszellen in wichtige Informationen für das Gesamtsystem Organismus erfolgt. „Die Musik spielt im Gehirn“ kann hier die Situation beschreiben. Im Gehirn erfolgt eine über Millionen Jahre gewachsene Bewertung der ankommenden Impulse, so dass angenehme – und unangenehme Zustände resultieren, welche mit Zuwendung oder Flucht beantwortet werden. Impulse und Ereignisse, wie sie von einer Verletzung eines Fingers herrühren, führen zu einer unangenehmen sensorischen – und emotionalen Wahrnehmung. Eine sofortige und umfassende Zuwendung erfolgt vom gesamten Organismus. Motorische- (Bewegung-Kompression), verbale- (Schreien, Schimpfen) und emotionale Reaktionen (Weinen) führen sofort zu einer Reaktion in der Umgebung und Hilfe und Trost wird angeboten. Diese Beschreibung ist eine Beschreibung von nociceptiven Schmerzen oder auch akuten Schmerzen wie sie bei Verletzungen, aber auch bei Operationen entstehen. Kommt es zu einer Störung oder Verletzung des Impulsleitenden Systems selber verspürt man im betroffenen Areal eine Gefühlsstörung mit einem Taubheitsgefühl. Dieses ist unangenehm, aber nicht schmerzhaft. Häufig treten in den Arealen mit Gefühlsstörung Schmerzen auf, die häufig brennend, bohrend, ziehend und stechend sein können. Es kann ein Kälte- oder Hitzegefühl entstehen. Kribbelparästhesien, ein Gefühl von Ameisenlaufen, Prickeln, Jucken, eine Schwellung und trophische Störungen der Haut können auftreten, nebst motorischen Ausfällen. Als Folge eines Informationsmangels des Gehirnes kann sich ein dauerhafter Brennschmerz (neuropathischer Schmerz), neben einer Allodynie (Schmerzwahrnehmung durch nicht schmerzhafte Reize), Hyperpathie (Überempfindlichkeit auf Berührungsreize), Dysästhesie (Gefühlsstörung der Haut) und Hyperalgesie (gesteigerte Sensitivität gegen Schmerzreize) ausbilden. Dieser neuropathische Schmerz unterscheidet sich vom nociceptiven Schmerz gravierend, da er anders weh tut und auf die nociceptive Schmerzmedikation mit NSAR und Morphin-Derivate nicht oder nur kaum ansprechen wird und eine eigene Therapie mit Antiepileptika, Antidepressiva, Neuroleptika, Opioide, Lokalanästhetika, Barbiturate, Steroide, Canabinoide, Sauerstoffgabe, topische Therapie, Neuromodulation notwendig macht. Begleitend zu dem neuropathischen Schmerzgeschehen treten Schlafstörungen, Angststörungen und Depressionen, Abgeschlagenheit und Appetitlosigkeit auf. Weiters können Sorgen, Ängste und negative Gefühle die Schmerzen verstärken. Therapeutisch gilt es die ursächliche Noxe auszuschalten. Am Beispiel Karpaltunnelsyndrom ist eine Abschwellung des N. Medianus im Bereich des Karpaltunnels / Lig. Carpi transversum am Handgelenksbereich durch Ruhigstellung, Medikamente, Injektionen oder durch eine chirurgische Spaltung des Querbandes zu bewirken. Vor der Therapie muss das Wesen des Schmerzes geklärt und erkannt werden. Wir gehen jetzt noch einmal genauer auf die verschiedenen Schmerzformen nachfolgend ein: Nocizeptiver Schmerz Schmerzen können durch mechanische, thermische oder chemische Gewebsschäden ausgelöst werden und werden unterteilt in nocizeptive, neuropathische und funktionelle Schmerzen. Wir beschreiben hier kurz anatomischeund physiologische Grundlagen der Schmerzwahrnehmung und der Schmerzverarbeitung, da sich aus diesen Strukturen und Ansatzpunkten die neurochirurgische Schmerztherapie begründet. Auf die Mechanismen der Schmerzchronifizierung, die Rolle des Gedächtnisses dabei und die zentralen Wahrnehmungsteigerung beim chronischen Schmerz, die Rolle der Neurotransmitter und Neuromodulatoren, des „1st messenger systems“, des „2nd messenger systems“ und der Microglia und Astrozyten muß auf andere Beiträge verwiesen werden! Wir würden den Rahmen des vorliegenden Referrates sprengen und das Thema zu weit verlassen. Bei der Wahrnehmung nocizeptiver Schmerzen erfolgt eine Reizaufnahme durch periphere Rezeptoren (Krausesche und Ruffinische Körperchen) und freie Nervenendigungen, die durch afferente C- und A-delta Nervenfasern weitergeleitet und zentral verarbeitet werden. Im Hinterhorn des Rückenmarks, in der Substantia gelatinosa bilden die nozizeptoren Synapsen mit aufsteigenden Rückenmarksneurone, die das Schmerzsignal durch den Tractus spinothalamicus und den Tractus spinoreticularis zum Hirnstamm geleiten. Nach einer weiteren Synapse im Thalamus erreicht das Schmerzsignal die Großhirnrinde und damit das Bewusstsein. Aus Studien der funktioneller Bildgebung (PET-Studien) konnten als Schmerzmatrix oder als schmerzverarbeitende Strukturen folgende anatomischen Strukturen nachgewiesen werden: Thalamus, Basalganglien, Mittelhirn – Periaquaeductales Grau, anteriorer cingulaerer Cortex, Insel, primär sensorischer Kortex I, sekundärer sensorischer Kortex II, Motorkortex, premotorischer Kortex, supplementär motorischer Kortex (SMA), prefrontaler Kortex, posterior parietaler Kortex und das Kleinhirn. Es wird zwischen lateralem Schmerzleitungssystem welches hauptsächlich in den sensorisch diskriminativen Aspekten der Scherzverarbeitung beteiligt ist und einem medialen System, welches hauptsächlich in den motivational-affektiven – und kognitiv-evaluativen Aspekten von Schmerz beteiligt ist. Dieses mediale System scheint auch am Schmerzgedächtnis und an autonomen und endokrinen Schmerzreaktionen involviert zu sein. Das laterale System leitet die Impulse durch den Tractus spinothalamicus über den ventrobasalen Thalamus zu den primären (I) – und sekundären (II) sensorischen kortikalen Arealen und zum parietalen Operculum sowie dem insulären Cortex. Im sogenanntem medialen System werden die Impulse durch den Tractus spinothalamicus über die intralaminären und medialen Thalamuskerne zum anterioren cingulären Cortex, Mandelkern, Hippokampus, Hypothalamus sowie über spinoreticuläre Projektionen zum Nucleus parabrachialis und Locus coeruleus und über spinomesencephale Projektionen zum periaquaeductalen Grau geleitet (1). Neuropathischer Schmerz Im Gegensatz zum nozizeptiven Schmerz entsteht neuropathischer Schmerz durch Verletzung des Nervensystems selbst, verursacht durch traumatische, entzündliche oder toxischer Schädigungen entlang des peripheren Nervens, im Bereich des Plexus oder im Bereich der Nervenwurzel, oder auch innerhalb des zentralen Nervensystems (z.B. Hirnstamminfarkt, Thalamusblutung, etc.). In der Regel handelt es sich bei einem neuropathischen Schmerz um einen Informationsverlust im zentralen Nervensystem mit einem hypästhetischen Areal und einem Gebiet mit brennenden Schmerzen. Beim neuropathischen Schmerz fehlen Information aus der einfach genannten Peripherie dem Gehirn. Ein Schaden oder eine Dysfunktion nocizeptiver Fasern führt zu einer nicht normalen Impulsgenerierung oder gar zu einem Impulsverlust. Dies führt zu neuropathischen Veränderungen an Axonen, Gliagewebe und des umgebenden Gewebes. Eine Abnahme der Konzentration an Substanz P und Calcitonin generierten Peptid sowie eine Zunahme an Galanin und Neuropeptide Y in den Strukturen primärer afferenter Neurone können zu Übererregbarkeit und ektoper Schrittmacherfunktion mit unkontrollierter Feuerrate von Neuronen führen. Zusätzlich können Membraneigenschaften von Neuronen verändert werden. Hierzu erlauben wir uns an die aktuelle Grundlagenforschung in der Schmerzphysiologie zu verweisen. Eine zentrale Stelle nimmt der Thalamus im Gehirn ein. In der sogenannten Poststelle des Gehirns, dem Thalamus, kommt bei neuropatischen Schmerzen fehlerhafte oder kaum/keine Information an. In der Schmerzverarbeitung sind zahlreiche Thalamuskerne beteiligt. Die Kerne Vpl (Nucleus ventralis postero-lateralis), VPM (Nucleus ventralis postero-medialis), VPI (nucleus ventralis postero-internus) und die posteriore Kerngruppe und einige interlaminäre Kerngruppen sollten erwähnt werden. Die Information wird in Form von Bursts (elektrische Entladungen) aus der Peripherie über sensorische und/oder nociceptive Nerven oder Bahnen zum Gehirn geleitet. Fehlt diese Information verspürt der Patient ein sensibles Defizit, eine Hypästhesie, in diesem Bereich. Eine Schmerzempfindungs-Wahrnehmungsstörung kann mit einer Hyperpathie oder gar einer Anästhesie assoziiert sein. Die fehlende Information wird im Gehirn durch Dysästhesien und häufig mit einem Brennschmerz oder einer Allodynie ersetzt. Prävalenz: Neuropathische Schmerzen gehören zu den häufigsten neurologischen Erkrankungen. Europaweit wird die Prävalenz mit 7 bis 8% angegeben (Bouhassira et al., 2008; Torrance et al., 2006). Eine österreichische Erhebung ergab, dass mindestens 3% der Gesamtbevölkerung an neuropathischen Schmerzen leiden (Rieder et al., 2006). Ursachen: Als häufigste Ursache für das Auftreten von neuropathischen Schmerzen in Mitteleuropa gelten Diabetes mellitus, die alkoholbedingte Polineuropathie, Vitamin B Mangelsyndrome, Urämie, Schadstoffe, Gifte, Medikamente, Chemotherapie, Autoimmunreaktionen, Herpes Zoster, Borreliose und andere Infektionen, Aids, Trigeminusneuralgie, Kompressions- und Engpass-Syndrome, Rückenschmerzen, Phantomschmerzen, Komplexes regionales Schmerzsyndrom (CRP), Knochenbrücke. Quetschungen, Verstauchungen, Mangelernährung, Magen -/ Dünndarmerkrankungen, Augen- und Zahnerkrankungen. Diagnostik und Abklärung: Anamnese, Bildgebende Verfahren, Elektrophysiologische Untersuchungen, Fragebögen zur Abgrenzung der verschiedenen Schmerzformen und zur Therapieverlaufsbeurteilung. Empfehlung der EFNS 2010b: Doleur Neuropathique en 4 questions (DN4), Leeds Assessment of Neuropathic Symtoms und Signs (LANSS), Neuropathic Pain Questionaire (NPQ), PainDETECT, ID Pain, Standardized evaluation of Pain, Therapie: Physikalisch Medizin: Physiotherapie, Massagen (mechanischer Reiz durch Reiben), Kälteanwendungen (Stöckli-Wickel), Elektrotherapie Medikamentöse Therapie: Antidepressiva, Antiepileptika, Opioide, Cannabinoide, Kombinationstherapien, Topische Therapie, Botulinum Toxin Chirurgische Therapie: Neurolysen, Dekompressionen, periphere Nervenstimulation, Spinal Chord Stimulation, Ganglion Sphenopalatinum Stimulation, Ganglion Gasseri Stimulation, Motorkortex Stimulation, Tiefe Gehirnstimulation, Läsionelle Verfahren