Wirtschaft. siNN - Raiffeisenlandesbank Niederösterreich-Wien

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Wirtschaft, quo vadis?
Raiffeisengruppe Niederösterreich-Wien
Wirtschaft. SINN
Interview mit Maximilian Fürnsinn
Wie entwickelt sich
die Wirtschaft?
S
ind Profitgier und reine Gewinn­
maximierung auf Kosten anderer am
Ende? Und was kommt nun? Die Viel­
zahl an konträren Wirtschaftskonzepten für
die Zukunft spiegelt momentan die all­
gemein herrschende Verunsicherung in
Wirtschaft, Politik und Gesellschaft wider.
Daher nimmt die Raiffeisengruppe NÖWien das UNO-Jahr der Genossenschaften
zum Anlass, um im Rahmen von „Wirt­
schaft, quo vadis?“ profunden Experten
und interessanten Persönlichkeiten den
Raum zu geben, ihre Ansichten darzulegen
und zu aktuellen Themen der Wirtschaft
Stellung zu nehmen.
Passend zur besinnlichen Vorweihnachts­
zeit, trägt diese Ausgabe von „Wirtschaft,
quovadis?“denTitel„Wirtschaft.Sinn“.Darin
kommt der Propst des Stiftes Her­zogenburg,
Maximilian Fürnsinn, zu Wort. In seiner
Doppelfunk­tion als Leiter einer geistlichen
Institution und als Manager eines Unterneh­
mens ist er in besonderem Maße befähigt,
sich über den Sinn in der Wirtschaft von heu­
te Gedanken zu machen. Seine Ansichten er­
läutert er im folgenden Interview.
»Konsum und Besitz
sind nicht die Essenz
des Lebens.«
Foto: SHUTTERSTOCK
Maximilian Fürnsinn
In Kooperation mit
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„Die Ökonomisierung der Gesellschaft
macht den Menschen zur Ware.“
INTERVIEW mit Maximilian Fürnsinn, Abt des Stiftes Herzogenburg, über die Euro-Krise, Solidarität und das Glück.
Als Abt sind Sie auch für die Finanzen des Stiftes Herzogenburg
verantwortlich. Andererseits haben Sie als Augustiner jeden
persönlichen Besitz abgelegt.
Wie lassen sich diese beiden Positionen vereinbaren?
Hier muss man unterscheiden
zwischen dem, was dem Kloster, und dem, was uns persönlich gehört. Als Klostergemeinschaft ist es uns wichtig, alles
gemeinsam zu haben. So steht es
auch in den Augustinus-Regeln.
Unser Ordensgründer fügte
aber auch hinzu, dass jeder Bruder das bekommen soll, was er
braucht. Augustinus hatte einen
sehr menschlichen Zugang zum
Thema Geld und Besitz.
Wie sehen Sie die globale Entwicklung auf den Finanzmärkten?
Wir haben derzeit wirklich sehr
große Probleme, und ich gehe
davon aus, dass sich die Situation noch weiter verschärfen
wird. Diese Krise wird durch
drei Ebenen bestimmt: Das eine
ist die monetäre Situation, die
von einer entfesselten Kreditexpansion gekennzeichnet ist.
Hinzu kommt eine ökologische
Dimension, die von einer unbeschränkten Ausbeutung der
natürlichen Ressourcen geprägt
ist. Nicht zuletzt haben wir ein
soziales Problem durch das
stetige Auseinandergehen der
Einkommensschere.
Maximilian Fürnsinn im Gespräch über Fairness und Gerechtigkeit
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Was ist die Ursache für die Maßlosigkeit?
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Der Markt ist zum alleinigen
Gestaltungsprinzip unserer Ge­
sellschaft avanciert. Die Domi­
nanz des Marktes in unserer
Gesellschaftsentwicklung ist
unglaublich. Alles richtet sich
heute am Markt aus. Diese
Ökonomisierung aller Gesell­
schaftsbereiche macht den
Menschen selbst zur Ware.
Was ist die Folge davon?
Wir haben jegliches Maß in
­allen Bereichen verloren. Ver­
antwortung ist heute keine
Währung mehr, und wir sind
gleichzeitig in eine ethische
­Krise geschlittert.
Wer hat Schuld an dieser Ent­
wicklung?
Es gibt viele Ursachen, aber
ein zentrales Problem ist das
rung. All das wurde nicht ge­
schaffen, und das ist ein welt­
weites Versäumnis der Politik.
Wäre es mit strengeren Gesetzen
getan gewesen?
Nein. Es geht auch um ein
Grundsatzproblem. Unsere
heutigen Politiker haben leider
keinen Mut zu Visionen. Leit­
figuren wie Robert Schuman,
der französische Ministerprä­
sident und Urvater der EU,
­fehlen heute leider.
Was sind für Sie neue Perspek­
tiven?
Wirtschaft und Ethik müssen
wieder mehr zusammenfinden.
Wir haben die ethischen Maß­
stäbe verloren, und es wird im­
mer schwieriger, gemeinsame
Grundhaltungen zu finden.
»Wer Verantwortung trägt, muss
neben seinem Bereich auch das
große Ganze im Auge behalten.«
Versagen der Weltpolitik. Die
Politik hat die Herrschaft über
die Wirtschaft verloren. Zu
lange haben die politisch Ver­
antwortlichen diesen Entwick­
lungen einfach zugesehen. Zu
lange hat man auf das Dogma
des Marktes vertraut.
Foto: Michael Appelt
Was war der Fehler der Politik?
Es wurde verabsäumt, klare
Rahmenbedingungen für den
Markt zu schaffen. Es stimmt
einfach nicht, dass sich der
freie Markt selbst regeln kann.
Die Auswirkungen erleben wir
heute.
Welche Regeln hätte es Ihrer
Meinung nach gebraucht?
Mit Sicherheit braucht es eine
Überwachung beziehungsweise
Haftung der Ratingagenturen,
hohe Steuern auf spekulative Fi­
nanzgeschäfte und neue Regeln
für eine vorsichtige Bilanzie­
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Wir haben natürlich eine Ge­
sellschaft der Individualisie­
rung, und das ist heute ein
­Problem. Wo gibt es heute
noch verbindende Kräfte? Uns
kommt zunehmend das Ver­
bindende abhanden.
Bedeutet Individualisierung nicht
auch, dass uns gesellschaftliche
Solidarität verloren geht?
Ja, wir brauchen heute auf vie­
len Ebenen ein neues Solidari­
tätsverständnis. Hier verstehe
ich Solidarität aber nicht als
Form des karitativen Ausgleichs,
sondern zwischen Arbeitgebern
und Arbeitnehmern oder zwi­
schen den Generationen. Wenn
wir das nicht schaffen, werden
wir die auf uns zukommenden
Probleme nicht lösen.
Wie könnte man wieder mehr
Solidarität in der Gesellschaft
schaffen?
Wir brauchen eine neue Ge­
meinwohl-Debatte. Wer heute
Verantwortung trägt, muss
­neben seinem Bereich immer
auch das große Ganze im Auge
behalten. Diese Gemeinwohl­
debatte muss politisch ange­
stoßen werden, und wir müssen
hier auch die Wirtschaft mehr
in die Pflicht nehmen. Zum Bei­
spiel wird in der Finanzwelt oft
nur mehr die Rendite gesehen,
aber es wird nicht mehr ­darüber
nachgedacht, was damit gesell­
schaftlich angerichtet wird.
Braucht es nicht auch mehr Soli­
darität zwischen Arm und Reich?
Natürlich! Aber Aussagen wie
„her mit dem Zaster“ sind mir
zu populistisch.
Sind Genossenschaften eine
denkbare Lösung?
Wenn ich mir eine Entwicklung
wünschen dürfte, sollte es Rich­
tung Genossenschaften gehen.
Man braucht aber auch bei den
Genossenschaften einen noch
stärkeren Trend Richtung De­
zentralisierung. Genossenschaf­
bin aber davon überzeugt, dass
die Menschen irgendwann von
diesem ganzen Konsumkrempel
genug haben werden und be­
greifen, dass es andere Dinge
im ­Leben gibt, die wichtig sind.
Die Krise macht auch gläubig.
Die Esoterik-Szene boomt. Die
Menschen sind heute mehr denn
je auf der Suche nach Religion.
Profitiert davon nicht auch die
Kirche?
Wir finden heute eine größere
Sehnsucht nach Spiritualität,
und wir haben heute wieder
­einen verstärkten Bezug zu Tra­
ditionen. Es gibt frei schweben­
de Sehnsuchtstendenzen. Jeder
mischt sich am Buffettisch der
Weltanschauungen seinen eige­
nen Glauben. Aber Institutio­
nen wie die Kirche werden ab­
gelehnt. Das ist natürlich ein
großer Auftrag an die Kirche,
hier neue Wege zu finden, die
Gesellschaft anzusprechen.
Was ist Ihr Rat an die Menschen
für mehr Glück im Leben?
Glück ist ein Modewort, und
»Die Politik hat die Herrschaft über
die Wirtschaft verloren.«
ten müssen beim Menschen be­
ginnen. Der Trend zur Zentrali­
sierung bringt zunehmend die­
sen Gedanken in Gefahr. Doch
Genossenschaften sind vom
Urgedanken sehr nah am Men­
schen dran, und genau diese
Stärke muss man gerade in
­Zeiten wie diesen wieder viel
stärker ausspielen. Genossen­
schaften sollten sich zudem
noch mehr um die regionale
Wirtschaft kümmern.
Wenden sich heute aufgrund der
unsicheren Zeiten wieder mehr
Menschen dem Glauben zu?
Das sehe ich derzeit nicht, aber
ich halte auch nichts von der
Devise „Not lehrt beten“. Ich
die Menschen heute suchen
­eigentlich immer nach dem
schnellen Glück. Man kann es
aber nicht schaffen, sondern
Glück bekommt man immer
nur geschenkt. Die wichtigsten
Dinge im Leben kann man
nicht kaufen, sie sind wie die
Liebe oder Kinder immer Ge­
schenke. Zu meinem persön­
lichen Glück gehört, dass ich
weiß, von wem ich getragen und
gehalten werde. Das ist für mich
der Grund, zu glauben.
In Kooperation mit
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Eine Bank ist meine Bank, wenn ihr Menschen
wichtiger sind als Märkte und ihr die Region
genauso am Herzen liegt wie mir. Wenn sie dort
zuhause ist, wo ich es bin, und wenn Nachhaltigkeit für
sie kein Schlagwort ist, sondern eine Selbstverständlichkeit. Eine Bank ist meine Bank, wenn sie Sicherheit
vor Profitdenken stellt und statt riskanter Spekulationen
an der Börse lieber das Risiko eingeht, eine PunkrockBand in Sankt Pölten auftreten zu lassen. Wenn sie die
Wirtschaft fördert aber auch den Fußballplatz im Ort
und selbst die größten Investitionen und Transaktionen sicher und zuverlässig abwickelt, weil sie seit 125
Jahren nichts anderes tut. Sie ist meine Bank, wenn
sie nicht nur auf ihre Bilanzen schaut, sondern auch
auf ihre Werte.
Nur eine Bank
ist meine Bank.
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