Gemeinsam am Ball bleiben

Werbung
MEDIZIN & TECHNIK
„Gemeinsam am Ball bleiben“
Die erfolgreiche Versorgung von Patienten mit Diabetischem
Fußsyndrom in der Podologiepraxis ist meist abhängig von einem gut
funktionierenden interdisziplinären Netzwerk. Auch wenn es oft eine
Geduldsprobe ist, da viele Maßnahmen einfach Zeit brauchen, lohnt es
sich immer wieder, gemeinsam am Ball zu bleiben. Ein Fallbeispiel aus
der Praxis zeigt, wie viel Zeit und Geduld für dies erforderlich sein kann.
VON BEATRIX NEGEL-RIEGEL
m 17. März 2015 stellte sich bei mir
ein Patient, 79 Jahre alt, mit DFS zur
podologischen Komplexbehandlung vor.
Die Befunderhebung erbringt folgendes
Resultat.
– Unsicherer Gang mit Gehhilfe wegen
Knie und Hüftbeschwerden (Lebensalter!);
– Konfektionsschuh ohne Einlagenversorgung;
– Diabetes mellitus Typ 2 mit oraler Therapie, Hypertonie, Hypercholesterinämie;
– Bisher noch keinerlei Läsionen an den
Füßen;
– Skelettveränderung aufgrund des Diabetes: Hohl-Spreizfuß mit Krallenzehund Hallux-Valgus-Bildung;
– Alter und Krankheitsbild entsprechende
Hauttrockenheit;
– Bildung von Hyperkeratose mit Einblutung und Verdacht auf Ulzeration D1 li
Interphalagial-Gelenk;
– Onychogryposis O1 li.;
– Fußpulse ATP (A. tibialis posterior und
ADP (A. dorsalis pedis) waren beidseits
gut tastbar;
– identische, warme Hauttemperatur auf
beiden Seiten;
– keinerlei Anzeichen einer venösen
Stauung oder Veränderung;
A
Risikokategorie
– Stimmgabel-Test nach Rydell-Seifer
(Apex D1 3/8 MTK I med. 3/8, Mall.
med. 4/8 und Tibia 4/8);
– Weinstein 10 g Filament (beids. plantar
2/8; dorsal 1/3).
Aufgrund dieser Befunderhebung
würde der Patient in die Risikoeinstufung der DDG in die Kategorie 1 eingestuft werden (siehe Tabelle 1).
Nach der Abtragung der Hyperkeratosen zeigte sich eine reizlose Läsion ohne
jegliche Entzündungs- oder Infektionszeichen von 1 x 3 Millimetern. Dies bedeutet Grad 1A in der Klassifikation nach
Wagner und Armstrong (siehe Tabelle 2).
Es erfolgte eine telefonische wie auch
schriftliche Mitteilung mit Fotos an die
behandelnde Diabetologin zu dem oben
beschriebenen Befund und mit dem
Ergebnis der Behandlung.
Daraufhin startete eine ärztlich eingeleitete Wundversorgung und die Verordnung einer adäquaten Schuhversorgung (Straßenschuhe und Hausschuhe
mit entsprechender Bettung). Es wurde
ein Diabetesschutzschuh verordnet.
Zustand verschlechtert sich
Bei der Folgebehandlung am 14. April
2015 zeigte sich eine deutliche negative
Veränderung der Hautstelle. Die Verhor-
Risikoprofil
Untersuchung
0
Keine sensorische Neuropathie
keine pAVK
1 x jährlich
1
Sensorische Neuropathie ±
Deformitäten
1 x alle 3 – 6 Monate
2
pAVK + sensorische
Neuropathie
1 x alle 2 – 3 Monate
(Spezialist)
3
früheres Ulcus oder
Amputation
1 x alle 1 – 2 Monate
(Spezialist)
Tabelle 1 Kontrollintervalle der Risikoeinstufung der DDG.
34
ORTHOPÄDIESCHUHTECHNIK
11 | 1 6
1 a – d Fußzustand zu Beginn der
Behandlung am 17. März 2015.
MEDIZIN & TECHNIK
Grad 0
Grad 1
Grad 2
Grad 3
Grad 4
Grad 5
A
keine Läsion, prä/
postulzerativer Fuß
Oberflächliche
Fußulzeration
Tiefes Ulkus bis zu
Gelenkkapseln,
Sehnen
Tiefes Ulkus mit
Abszedierung,
Osteomyelitis
Begrenzte Nekrose im
Vorfuß- oder
Fersenbereich
Nekrose des ganzen
Fußes
B
Mit Infektion
Mit Infektion
Mit Infektion
Mit Infektion
Mit Infektion
Mit Infektion
C
Mit Ischämie
Mit Ischämie
Mit Ischämie
Mit Ischämie
Mit Ischämie
Mit Ischämie
D
Mit Infektion und
Ischämie
Mit Infektion und
Ischämie
Mit Infektion und
Ischämie
Mit Infektion und
Ischämie
Mit Infektion und
Ischämie
Mit Infektion und
Ischämie
Tabelle 2 Klassifikation des Diabetischen Fußsyndroms nach Wagner (Grad 0 – 5; 8) und Armstrong (Stadium A – D: 29)
nung war sehr viel stärker und das Gewebe unter der Hyperkeratose wies eine
mazerierte Stelle auf. Nach eingehender
Befragung des Patienten schilderte er,
dass er seinen Konfektionsschuh gewechselt hatte und zu Hause seine Haus„Latschen“ trüge.
Daraufhin wurde die Diabetologin informiert. Diese verordnete zur besseren
Reduktion der Keratosen eine 14-tägige
Hornhautabtragung und einen Verbandsschuh für den häuslichen Bereich.
Beim Orthopädieschuhmachermeister
wurde nachgefragt, wie die Schuhversorgung für den Patienten vorangeht.
Dieser teilte mit, dass die Krankenkasse
den Fall noch immer prüfe und es wohl
noch etwas dauern werde.
In den folgenden Behandlungswochen veränderte sich der Befund trotz
intensiver Versorgung und Reibungsschutz kaum, da der Patient ausschließlich mit seinen Konfektionssandalen und
seinen Hausschuhen (Verbandsschuh mit
Einlage) zurechtkommen musste.
Die Nachfrage beim Orthopädieschuhmacher, wie die Schuhversorgung
vorangeht, ergab, dass die Kasse den ersten Antrag nach Aktenlage abgelehnt
hatte. Laut Krankenkasse wäre eine Einlagenversorgung völlig ausreichend und
die Indikation für eine Schuhversorgung
noch nicht gegeben. Dagegen war aber
Widerspruch eingelegt worden.
So vergingen die Wochen mit mühevoller Abtragung, Wundversorgung und
Reibungsschutz.
2 a, b Fußzustand am 14. April 2015.
Die Schuhversorgung ist fertig
Dann war es soweit: Die Schuhe mit Sohlenversteifung und diabetesadaptierter
Fußbettung waren nun endlich fertig!
Der Patient hatte die Schuhe am 7. Juli
2015 vom Orthopädieschuhmacher ausgeliefert bekommen.
3 a – c So zeigte sich der Fuß am
9. August 2015.
ORTHOPÄDIESCHUHTECHNIK
11 | 1 6
35
MEDIZIN & TECHNIK
Durch die spezielle Schuhzurichtung
wurden die physikalischen Druckkräfte
auf den Vorfuß weitgehend reduziert. Innerhalb kürzester Zeit verbesserte sich
der Befund.
Die 14-tägige Keratoseabtragung
konnte wieder auf ein Behandlungsintervall von vier Wochen umgestellt werden. In den folgenden Monaten entstanden kaum noch Einblutungen und die
Keratose reduzierte sich soweit, dass nur
ein geringes Restrisiko für ein Rezidiv
bestand.
Nach einem Jahr hat sich der Befund
gleichbleibend stabilisiert. Bedingt durch
die gute Zusammenarbeit mit der Diabetologin und der Heimpflege des Patienten hat sich an dem Fußstatus des
Patienten nicht viel geändert.
Die Aufgabe besteht jetzt darin, den
weiteren Verlauf zu beobachten und den
derzeitigen verletzungsfreien Zustand
der Füße zu erhalten. Durch die gute Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Disziplinen konnte dem bereits betagten Patienten viel erspart werden.
Es lohnt sich also immer, mit den verschiedenen Fachbereichen eng zusammen zu arbeiten – zum Wohle der Patienten. Auch wenn mancher Weg sehr
viel Zeit braucht, heißt es: „Dran bleiben
und geduldig sein!“ ❚
5 a, b Fußzustand am 7. Juli 2015.
6 a, b Fußzustand am 4. August 2015.
36
ORTHOPÄDIESCHUHTECHNIK
11 | 1 6
4 a, b Die Schuhversorgung mit Sohlenversteifung
und einer diabetesadaptierten Fußbettung.
Anschrift der Verfasserin:
Podologiezentrum Berlin-Buch
Beatrix Negel-Reigel
Wiltbergstraße 38
13125 Berlin
Herunterladen