ANÄMIE-DIAGNOSTIK info.labor Rationale und rationelle Labordiagnostik 1-2015 Diagnostische Pfade in der Laboratoriumsmedizin S. 3 Anämie S. 6 Lymphozytose S. 8 Hyper- oder Hyperthyreose S. 12 Erkrankung des ableitenden Harnsystems info.labor 1-2015 1 ANÄMIE-DIAGNOSTIK Sehr geehrte Frau Kollegin, sehr geehrter Herr Kollege, warum ein info.labor ? Laborwerte spielen eine zunehmende Rolle in der Diagnostik vieler Krankheitsbilder bzw. ermöglichen erst eine zielgerichtete Therapie. Denken Sie nur an das neueste Beispiel, die Therapie der chronischen Hepatitis C. Erst die genaue Kenntnis des Hepatitis C Genotyps ermöglicht eine zielgerechte Therapie, die dann auch wirtschaftlich ist. Darüber hinaus sind in vielen Fällen Laborwerte für die Therapiekontrolle unverzichtbar bzw. die relevante Untersuchung. Da für Laboruntersuchungen nur eine beschränkte Summe Geldes zur Verfügung steht, führen steigende Fallzahlen, Anforderungen von Laborleistungen zu einer Quotierung des Laborhonorars. Deswegen ist es unumgänglich, dass mit den Anforderungen von Laborleistungen wirtschaftlich umgegangen wird. Das bedeutet, über eine fehlerfreie Präanalytik, erforderliche Begrenzung bzw. Auswahl der Parameter und Festlegung einer Stufendiagnostik sinnvoll mit der zur Verfügung stehenden Ressource „Labor“ umzugehen. Unstrittig ist, dass bei einer Stufendiagnostik unbedingt das Interesse – und der Anspruch – des Patienten auf eine schnelle und effiziente Diagnostik im Vordergrund unseres Handelns stehen muss. In diesem Zusammenhang kann eine Rücksprache mit dem Labormediziner erforderlich sein. Weiterhin ist das Wirtschaftlichkeitsgebot nach § 12 SGB V zu berücksichtigen. Dies ist nicht immer leicht. Aus diesem Grund liegt Ihnen nun die erste Ausgabe von „info.labor“ vor. Diese wird Sie künftig mehr mehrmals im Jahr über diagnostische Pfade zu wichtigen Krankheitsbildern informieren. Mit freundlichen Grüßen Dr. med. Wolfgang LangHeinrich IMPRESSUM Herausgeber (V.i.S.d.P.) Kassenärztliche Vereinigung Hessen, vertreten durch den Vorstand Redaktion Dr. med. Wolfgang LangHeinrich Dr. Andreas Bobrowski Abdruck mit freundlicher Genehmigung der Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein Bildnachweis Titel: fotolia Afrika Studio S. 6: fotolia psdesign1 2 info.labor 1-2015 ANÄMIE-DIAGNOSTIK Anämiediagnostik Anämien gehören zu den häufigsten Symptomen vieler Erkrankungen. Man beobachtet sie bei chronischen Entzündungen (infektiös, nicht infektiös), Neoplasien sowie bei Mangelzuständen und Niereninsuffizienz. Der Begriff der Anämie ist definiert durch eine allgemeine Verminderung der Hb-Konzentration, die sowohl durch die Abnahme des Hb-Gehaltes in Erythrozyten, eine absolute Verminderung der Erythrozytenzahl als auch durch eine Zunahme des Plasmavolumens mit relativer Verminderung der Erythrozyten verursacht sein kann. Nach der WHO-Klassifikation liegt eine Anämie vor, wenn bei Männern die Hb-Konzentration unter 130 g/l, bei Frauen unter 120 g/l und bei Schwangeren bei 110 g/l liegt. Die Grenzwerte bei Kindern für Anämien müssen altersabhängig bewertet werden. Werden bei einem Patienten typische allgemeine Leitsymptome einer Anämie wie Müdigkeit, Konzentrationsschwäche, Leistungsabfall, Schwindel, Blässe, Tachykardie und neu auftretende Herzgeräusche gefunden, sollte in medizinisch sinnvoller Stufendiagnostik mit der Bestimmung eines kleinen Blutbildes begonnen werden. Durch diese äußerst günstige Einstiegsdiagnostik (< 0,50 Euro) erhält man insgesamt acht unterschiedliche Mess- und Rechenparameter, bei Anforderung eines großen Blutbildes (< 1,10 Euro) sind dies sogar 14 Parameter. Bei der weiteren Differentialdiagnostik der Anämie spielt vor allen Dingen die Beurteilung der Erythrozytenindizes eine überragende Rolle in der Klassifizierung und der ätiologischen Abklärung von Anämien. Im Vordergrund der Stufendiagnostik steht dabei die Beurteilung des MCV (mean cell volume, mittleres Zellvolumen), das in Femtolitern (10 – 15 l) gemessen wird und eine Unterteilung der Anämien in mikrozytäre, normozytäre und makrozytäre Formen erlaubt. Da in der Regel das Erythrozytenvolumen mit 95 Prozent der maximalen Menge an Hb ausgestattet ist, korreliert das MCH (mean cell hemoglobin, mittleres zelluläres Hämoglobin) in den meisten Fällen mit dem MCV. Abweichungen finden sich aber bei beginnender Eisenmangelanämie, der hereditären Sphärozytose sowie bei Folat- und Vitamin B12-Mangelanämien. Durch die Berechnung des MCHC (mean cellular hemoglobin concentration, mittlere zelluläre Hämoglobinkonzentration) können bei Abweichungen vom gleichsinnigen Verhalten zum MCV präanalytische Fehler (Hämolyse) und analytische Störungen (Hyperlipidämie) ausgeschlossen werden. MIKROZYTÄRE ANÄMIE Ein erniedrigtes MCV < 80 fl (Femtoliter) mit gleichzeitig erniedrigtem MCH und MCHC stellt die weitaus häufigste Anämieform dar. In 80-90 Prozent der Fälle liegt bei dieser Konstellation eine klassische Eisenmangelanämie oder eine Anämie bei chronischer Erkrankung mit eisenrestriktiver Elektrophorese vor. In etwa fünf Prozent der Fälle liegen eine Hämoglobinopathie wie die ß-Thalassämie oder wesentlich seltener eine hereditäre sideroblastische Anämie vor. Zum Ausschluss bzw. zur Bestätigung eines manifesten Eisenmangels erfolgt deshalb in Stufe 1 die Bestimmung des Ferritins. Unterstützen kann man diese Verdachtsdiagnose noch durch die Bestimmung des RDW (red cell distribution width, Erythrozyten-Verteilungsbreite), da erhöhte Werte dieses Parameters ebenfalls für einen Eisenmangel sprechen. Sollte der Ferritin-Wert jedoch normal oder erhöht sein, folgt, vor allen Dingen beim Vorliegen von akut entzündlichen Erkrankungen, die Bestimmung des CRP, da das Ferritin als Akut-Phase-Protein trotz eines Eisenmangels normal oder sogar erhöht sein kann. Die zusätzliche Bestimmung des löslichen Transferrin-Rezeptors (sTfR) ergibt bei erhöhten Werten ebenfalls einen Hinweis auf einen Eisenmangel. Fällt diese Untersuchung bei erhöhtem CRP normal aus, spricht dies für eine Entzündungs- oder Tumoranämie (anaemia of chronic desease, ACD) mit Eisenmangel. Sollte der CRP-Wert dagegen nicht erhöht sein, liegt bei einem niedrigen MCV und normalen Ferritin-Werten eine Hämoglobinopathie z. B. ß-Thalassämie, vor. NORMOZYTÄRE ANÄMIE Normochrome und normozytäre Anämien sind meist hyporegeneratorische Anämien bei chronischen Erkrankungen der Niere, chronisch-entzündlichen Erkrankungen, systemischen Infekten oder malignen Tumoren. info.labor 1-2015 3 ANÄMIE-DIAGNOSTIK In der weiteren Differentialdiagnose hilft hier vor allen Dingen die Bestimmung der Retikulozytenzahl weiter, da bei Normalwerten oder bei einer Erniedrigung das Vorliegen einer hyporegenerativen Bildungsstörung der Erythrozyten durch Bestimmung einfacher klinisch-chemischer Parameter weitgehend abgeklärt werden kann. Fallen diese Untersuchungen unauffällig aus, kann dies ein Hinweis auf das Vorliegen einer toxischen Knochenmarkschädigung/Infiltration bzw. einer aplastischen Anämie sein. Ist die Retikulozytenzahl dagegen erhöht, spricht dies für eine hyperregenerative Anämie bei Hämolyse oder Blutung. Hier erfolgt die weiterführende Diagnostik über das Haptoglobin, das als Antioxidans und Fängerprotein für das freie Hämoglobin dient, sodass eine starke Erniedrigung als Zeichen für eine Hämolyse gelten kann. Allerdings ist Haptoglobin ebenfalls ein Akut-Phase-Protein, sodass bei der Interpretation wie beim CRP eine akute Entzündung ausgeschlossen werden muss. Die Differentialdiagnostik der hämolytischen Anämie mit ihren verschiedenen Ursachen (Antikörperbildung, mechanische Zerstörung, Erythrozyten-Enzymdefekte etc.) ist komplex und muss mit weiteren klinischen und anamnestischen Befunden in Zusammenarbeit mit dem Facharzt für Laboratoriumsmedizin abgeklärt werden. Ein normales Haptoglobin spricht dagegen für eine akute Blutung. 4 info.labor 1-2015 MAKROZYTÄRE ANÄMIE Die Erhöhung des MCV auf über 95 fl findet sich klassischerweise bei Vitamin B12- und Folsäuremangel, da die DNA-Synthese vermindert ist und durch verminderte Zellteilung Erythrozyten mit großem Zellvolumen entstehen. Eine Makrozytose findet sich aber auch bei Alkoholmissbrauch durch eine toxisch bedingte Volumenerhöhung der Erythrozyten um 5-10 Prozent. Allerdings finden sich bei 20 Prozent der Patienten mit nicht alkoholbedingten chronischen Lebererkrankungen solche Veränderungen. Vorgetäuscht wird eine Makrozytose auch bei einer erhöhten Regenerativität der Erythrozyten, da die dann vermehrt auftretenden Erythrozyten ein 3-10 Prozent höheres Volumen haben. Diese kurze Einführung in die Diagnostik der Anämien zeigt, dass durch die richtige Interpretation sehr einfacher und kostengünstiger Parameter eine schnelle Einordnung der jeweiligen Störung erfolgen kann. Wichtig, und das sei an dieser Stelle nochmals betont, ist dabei jedoch, dass die Ergebnisse in den Zusammenhang mit der beobachteten Klinik gestellt werden, um nicht möglicherweise gegenseitig kompensierende Effekte bei der Anämiebeurteilung zu übersehen. Hierbei wird es immer wieder nötig sein, bei komplexeren Fragestellungen in Absprache mit dem Facharzt für Laboratoriumsmedizin weitere spezialdiagnostische Verfahren anzufordern. DR. ANDREAS BOBROWSKI, LABORARZT, LÜBECK Kleines Blutbild: Erythrozyten-, Leukozyten-, Trombozytenzahl, Hämoglobin, Hämatokrit, MCV, MCH, MCHC Hämoglobin erniedrigt MCV erniedrigt mikrozytäre Anämie weiterführende Diagnostik I weiterführende Diagnostik II normal/erhöht normal/erniedrigt CRP, sTfR CRP, BUN, ALT, GGT CRP und lösl. TfR erhöht Vitamin B12 Folsäure Retikulozytenzahl Ferritin erniedrigt MCV erhöht makrozytäre Anämie MCV normal normozytäre Anämie CRP erniedrigt pathologisch erhöht normal ANÄMIE-DIAGNOSTIK BasisDiagnostik erniedrigt normal Haptoglobin erniedrigt normal CRP erhöht und lösl. TfR normal mögliche Verdachtsdiagnose Eisenmangel ACD renale o. hepatische Anämie Hämoglobinopathie Hämolyse KM-Schädigung o. -Infiltration/MDS Vitamin B12-Mangel Folsäuremangel akute Blutung Intoxikation? Abbildung: Empfohlene laboratoriumsmedizinische Stufendiagnostik zur Diagnose einer Anämie. ACD = Anemia of Chronic Disease, ALT = Alanin-Aminotransferase, BUN = Blood Urea Nitrogen, CRP = C-reaktives Protein, GGT = Gamma-Glutamyl-Transferase, KM = Knochenmark, MCH = mittlerer korpuskulärer Hämoglobingehalt, MCHC = mittlere korpuskuläre Hämoglobinkonzentration, MDS = Myelodysplasie, MVC = mittleres korpuskuläres Volumen, sTfR = soluble Transferrin Receptor QUELLE: KBV info.labor 1-2015 5 LYMPHOZYTOSE Lymphozytose Eine Erhöhung der Lymphozytenzahl gehört zu den häufig beobachteten Blutbildveränderungen. Eine Lymphozytose liegt immer dann vor, wenn die absolute Lymphozytenzahl folgende altersabhängige Normwerte im peripheren Blut überschreitet: • Säuglinge > 9.000/µl; • Kinder > 6.000/µl; • Erwachsene > 3.000/µl Eine relative, d. h. eine prozentuale Lymphozytenvermehrung, besteht stets bei einer hochgradgen Neutropenie, unabhängig von deren Genese. Bei Erwachsenen gilt ein Lymphozytenanteil > 52 Prozentals pathologisch. So verursachen reaktive Veränderungen eine große morphologische Vielfalt der Lymphozyten, sodass ein „buntes Blutbild“ entsteht. Es ist charakterisiert durch ein Nebeneinander von kleinen Lymphozyten, Lymphoidzellen und lymphoplasmozytoiden Zellen bis hin zu blastären Formen. Nicht selten weist das Zytoplasma Vakuolen auf. Da bei einer Reihe von Viruserkrankungen wie CMV, HIV, HSV, VZV, Röteln sowie Hepatitis B und C ähnliche transformierte Lymphozyten wie bei einer Mononukleose (Epstein-Barr-Virus) gefunden werden, spricht man auch von einem „MononukleoseSyndrom“. Die Absolutzahlen sind dabei jedoch nur wenig erhöht. Grundsätzlich sollten bei einer Anforderung des großen Blutbildes jedoch immer auch die Absolutzahlen mit ausbefundet werden, da nur sie diagnostisch wegweisend sind. Deutlich höhere Zahlen finden sich bei Toxoplasmose, Tbc, Brucellose, Lues, Bartonellen oder Pertussis. Die Lymphozytenzahlen unterliegen erheblichen äußeren Einflüssen, da von den im Knochenmark, der Milz oder den peripheren Lymphknoten gebildeten Lymphozyten nur ca. 2 Prozent im peripheren Blut präsent sind. Da die Lymphozyten im Gegensatz zu den Granulozyten den Blutkreislauf frei verlassen können, pendeln sie zwischen den Kompartimenten. Bei diesen Rezirkulationsvorgängen stellt sich ein Gleichgewicht mit einer konstanten Lymphozytenzahl im Blut ein. Dieses Gleichgewicht verschiebt sich in einem zirkadianen Rhythmus, sodass am Abend höhere Lymphozytenzahlen gemessen werden als am Morgen. Auch nach kurzer körperlicher Belastung kommt es zur Lymphozytose, die sich allerdings bei längeren und stärkeren Belastungen in eine Lymphozytopenie umwandelt. Aus diesem Grund kommt auch bei der Messung des großen Blutbildes der Vorbereitung des Patienten eine wichtige Bedeutung zu. Wie bei allen Bestimmungen korpuskulärer Bestandteile des Blutes sind darüber hinaus kurze und schonende Transportwege eine Voraussetzung für ein valides, aussagekräftiges Ergebnis. HINWEISE ZUR DIAGNOSTIK Grundsätzlich gilt, dass eine absolute Lymphozytose bei Erwachsenen vorwiegend maligner Genese ist, während bei Kindern und Jugendlichen eher mit einer reaktiven Ursache zu rechnen ist. Die entscheidenden Hinweise für eine weitergehende Diagnostik ergeben sich in jedem Fall aber aus der mikroskopischen Auswertung des Differenzialblutbildes. 6 info.labor 1-2015 Für alle genannten Erreger existieren eine Vielzahl von serologischen Testen, die in Absprache mit dem Facharzt für Laboratoriumsmedizin in einer Stufendiagnostik unter Einbeziehung anamnestischer und klinischer Daten zum Einsatz kommen können. Neben den infektiösen Lymphozytosen werden reaktive Lymphozytosen auch bei endokrinologischen Erkrankungen (Morbus Basedow, Morbus Addison), Autoimmunerkrankungen (CED, Kollagenosen, Morbus Wegner) und als Nebenwirkung nach Medikamentengabe (Interleukin 2-Therapie, Diphenylhydantoin, Postvakzinationsphase) gefunden. Ganz anders sieht das Zellbild bei dem Verdacht einer malignen Erhöhung der Lymphozytenzahl aus. Hier finden sich in Verbindung mit Kernschatten häufig viele monomorphe Zellen, die ein uniformes Zellbild unter dem Mikroskop ergeben. Als nächster Schritt erfolgt dann, wenn nicht ein rein blastäres Blutbild vorliegt, eine Immunotypisierung der Lymphozyten mit einem Durchflusszytometer. Aufgrund von Oberflächenmarkern lassen sich mit der Immunphänotypisierung auch Zellpopulationen identifizieren, die morphologisch und zytochemisch nicht unterscheidbar sind. Mit den für die Lymphozyten typischen Antikörpern gegen Zellproteine (Cluster of Differentiation, CD) lassen sich nicht nur die klassischen Subpopulationen T-, B- und NK-Zellen identifizieren, sondern auch die entsprechenden Vorläuferzellen nachweisen. In dieser Stufe der Diagnostik ist eine enge Zusammenarbeit zwischen betreuendem Hausarzt, Facharzt für Hämatologie und Facharzt für Laboratoriumsmedizin notwendig, um in einem diagnostischen Stufenprogramm neben Zytochemie, Histologie auch moderne Methoden wie Zytogenetik und Molekulargenetik zum Einsatz kommen zu lassen. LITERATUR: LABOR UND DIAGNOSE“, L. THOMAS TH BOOKS VERLAGSGESELLSCHAFT MBH 8. AUFLAGE 2012 „KLINIKHANDBUCH LABORDIAGNOSTISCHE PFADE“, W. HOFMANN, J. AUFENANGER, G. HOFFMANN (HRSG.), DE GRUYTER VERLAG, 2. AUFLAGE, 2014 LYMPHOZYTOSE Finden sich im Ausstrichpräparat bilobulierte Lymphozyten, die durch ein basophiles Zytoplasma und doppelte Kerne charakterisiert sind, liegt möglicherweise eine benigne polyklonale B-Lymphozytose (PPBL) vor, die ebenfalls mit der Immuntypisierung am Durchflusszytometer bestätigt werden kann. Die Abklärung einer Lymphozytose ist ein gutes Beispiel für den Einsatz einfacher und billiger labormedizinischer Methoden (großes Blutbild, Differenzialblutbild) als richtungsweisender Schritt zu einer hochdifferenzierten und aufwendigen Stufendiagnostik, in der nicht nur die ganze Bandbreite laboratoriumsmedizinischer Verfahren zum Einsatz kommt, sondern auch in besonderem Maße das kollegiale Zusammenwirken von klinisch und im Labor tätigen Ärzten gefordert ist. DR. ANDREAS BOBROWSKI, LABORARZT, LÜBECK Eingangsdiagnostik Zufallsbefund Blutbild: Lymphozytose Ja VerdachtsDiagnose Absolute Lymphozytose Differenzialblutbild Labor Labor erweitert Lymphatische Reizformen Blasten Monomorphe Lymphozyten Bilobulierte Lymphozyten Serologie (EBV CMV, HIV, etc.) Knochenmarksuntersuchung Knochenmarksuntersuchung Knochenmarksuntersuchung pathologisch pathologisch pathologisch pathologisch Diagnose Ja Nein Ja Ja Ja infektiöse Lymphozytose Reaktive Lymphozytose Akute Leukämie Lymphom Benigne polyklonale B Lymphozytose Nach „Klinikhandbuch Labordiagnostische Pfade“, W. Hofmann, J. Aufenanger, G. Hoffmann (Hrsg.), De Gruyter Verlag, 2. Auflage, 2014 info.labor 1-2015 7 HYPER- ODER HYPOTHYREOSE Hyper- oder Hypothyreose Störungen der Schilddrüsenfunktion treten auch in unseren Breiten relativ häufig auf und gehören nach dem Diabetes mellitus weltweit zu den häufigsten endokrinologischen Erkrankungen. Aufgrund dieser Tatsache hat es sich bei uns eingebürgert, dass die Bestimmung der TSH-Konzentration (Thyreoidea-stimulierendes Hormon) häufig schon Bestandteil von sogenannten „Grund- oder Aufnahmeprofilen“ geworden ist. Dies hat natürlich auch mit der schnellen Verfügbarkeit, der kostengünstigen Erbringung und der hohen Sensitivität, mit der Schilddrüsenparameter heute bestimmt werden können, zu tun. Dennoch gilt auch für die Anforderung einer TSH-Bestimmung, dass bei der Auswahl adäquater labormedizinischer Untersuchungen zum Nachweis von Schilddrüsenerkrankungen eine ausführliche Anamnese und gründliche körperliche Untersuchung erfolgen sollte. Für die laboratoriumsmedizinische Schilddrüsendiagnostik wird nach den initialen Untersuchungen eine sinnvolle Stufendiagnostik empfohlen, die sich, wie in der Abbildung (Seite 36) dargestellt, aus den Leitlinien und Empfehlungen vieler nationaler und internationaler Fachgesellschaften ergibt. BESTIMMUNG TSH-WERT ZUERST Am Anfang der laboratoriumsmedizinischen Diagnostik von thyroidalen Erkrankungen sollte immer die Bestimmung des TSH-Wertes stehen, die eine empfindliche Untersuchung zur Beurteilung der Schilddrüsenaktivität darstellt. Eine TSHKonzentration im Normbereich schließt sowohl eine manifeste Hyper- wie auch Hypothyreose weitgehend aus, sofern bei dem Patienten in den letzten zwölf Monaten keine thyroidale Erkrankung diagnostiziert wurde oder zum Zeitpunkt der Blutentnahme eine Schilddrüsentherapie durchgeführt wurde. Auf abweichende Normbereiche aufgrund Alter, Geschlecht und Medikation ist, wie bei allen anderen Schilddrüsenparametern, zu achten. Bei einem pathologischen Ausfall der TSH-Bestimmung schließt sich in der nächsten Stufe der Basisdiagnostik die Messung der freien zirkulierenden Schilddrüsenhormone in Form des fT4 sowie in bestimmten Fällen auch des fT3 an. Die zusätzliche Bestimmung dieses durch Dejodierung aus dem fT4 entstehenden Hormons ermöglicht die Differentialdiagnostik von hypothalamisch-hypophysären Störungen 8 info.labor 1-2015 sowie den Nachweis einer sehr seltenen T3-Hyperthyreose. Ergeben fT3 und fT4 bei pathologischen TSH-Konzentrationen Normwerte, hat man es in der Regel mit einer latenten/ subklinischen Hyper- oder Hypothyreose zu tun. Zur Verlaufskontrolle von pathologischen Schilddrüsenwerten und unter Therapie wird in regelmäßigen Abständen ebenfalls eine ausschließliche Bestimmung der TSH-Konzentration empfohlen. Da primäre Funktionsstörungen der Schilddrüse häufig durch Autoimmunprozesse verursacht werden, besteht die weiterführende Diagnostik auf diesem Gebiet hauptsächlich aus der Bestimmung von Autoantikörpern. So richten sich bestimmte Antikörper beim Morbus Basedow, der für 60-80 Prozent aller diagnostizierten Hyperthyreosen verantwortlich ist, vor allen Dingen gegen die Rezeptoren für das Thyreoidea-stimulierendes Hormon (TSH). Die Hashimoto-Thyreoiditis ist bei erwachsenen Patienten dagegen eine der häufigsten Ursachen für eine spontan auftretende Hypothyreose. Zur Abklärung einer Hypo- oder Hyperthyreose sollte deshalb neben einer Sonografie die Bestimmung der Thyreoperoxidase-Antikörper (TPO-Antikörper, früher MAK) und der TSH-Rezeptor Antikörper (TRAK) erfolgen. In unklaren Einzelfällen kann zusätzlich noch die Bestimmung der Thyreoglobulin-Antikörper (Tg-AK, früher TAK) erfolgen. BILDGEBENDES VERFAHREN BERÜCKSICHTIGEN Bei unauffälligen Werten für die Schilddrüsen-Autoantikörper handelt es sich dagegen in der Regel um eine nicht immunogene Hypo- oder Hyperthyreose. In jedem Fall sollten in eine weitergehende Diagnostik auch bildgebende Verfahren eingeschlossen werden. Komplexere Störungen und sekundäre oder tertiäre Ursachen einer Schilddrüsendysfunktion sollten allerdings an den Endokrinologen überwiesen werden. Wie man aus dieser kurzen Übersicht zur Stufendiagnostik der Hyper- und Hypothyreose sehen kann, reicht für eine gesicherte Diagnose die Bestimmung relativ weniger Parameter aus, deren Anzahl bei eindeutiger Anamnese und einem klaren klinischen Untersuchungsbefund noch weiter reduziert werden kann. DR. ANDREAS BOBROWSKI, LABORARZT, LÜBECK HYPER- ODER HYPOTHYREOSE BasisDiagnostik 1 TSH erniedrigt <0,3 mU/L erhöht >4,0 mU/L normal 0,3-4,0 mU/L Symptome SD-Erkrankungen in den letzten 12 Monaten BasisDiagnostik 2 fT4 erniedrigt fT3 fT4 erniedrigt erhöht normal fT3 erniedrigt normal fT 3 erhöht Hyperthyreose T3-Hyperthyreose weiterführende Diagnostik Hypothyreose nein TPO-AK Tg-Ak immunogene bzw. nicht-immunogene Hyperthyreose latent/subklinische Hyperthyreose normal ja TRAK TPO-AK Tg-AK hypothalamischhypophysäre Störung normal subklinische Hyper-/ Hypothyreose? Ausschluss Hyper/Hypothyreose subklinische Hypothyreose Empfohlene laboratoriumsmedizinische Stufendiagnostik zur Diagnostik einer Hyper- bzw. Hypothyreose. TSH = Thyreoidea stimulierendes Hormon, fT4 = freies Tyroxin, fT3 = freies Triiodthyronin, Tg-Ak = Thyreoglobulin-Antikörper, TPO-Ak = Thyroid Peroxidase-Antikörper, TRAK = TSH-Rezeptor-Antikörper QUELLE: KBV info.labor 1-2015 9 ERKRANKUNG HARNSYSTEM Untersuchung des Urins bei Verdacht auf eine Erkrankung des ableitenden Harnsystems Im Gegensatz zu den bisher vorgestellten diagnostischen Pfaden ist bei der Untersuchung des Urins die Präanalytik und somit eine enge Zusammenarbeit zwischen den Fachärzten für Laboratoriumsmedizin/Mikrobiologie und den einsendenden Praxen von besonders großer Bedeutung. Ergebnis, sollte dann als nächster diagnostischer Schritt die visuelle Beurteilung des Urinsedimentes erfolgen. Um verwertbare Ergebnisse zu erhalten müssen hierbei gewisse Standardbedingungen (10 ml Urin, fünf Minuten bei 500 g, Überstand verwerfen, Bodensatz in den verbliebenen 0,5 ml aufnehmen) eingehalten werden. Schon bei der Auswahl des Untsuchungsmaterials, z. B. Spontanurin, Mittelstrahlurin, ersten Morgenurin oder 24-Stunden-Sammelurin mit und ohne Zusätze, erfolgt eine entscheidende Weichenstellung für eine aussagekräftige und interpretierbare Urindiagnostik. Gerade bei der mikrobiologischen Beurteilung von Urinproben sind darüber hinaus kurze Transportwege und geeignete Transportbedingungen (Kühlung) zu berücksichtigen. Für die interne und externe Qualitätskontrolle stehen für die Teststreifenuntersuchungen entsprechende Testurine und Ringversuche zur Verfügung; für die Bewertung von Urinsedimenten besteht darüber hinaus eine Ringversuchspflicht einmal pro Kalenderjahr, die jedoch am Ende des letzten Jahres zu heftigen Protesten einiger Berufsverbände geführt hat. Bei jeder Erkrankung des Harnsystems steht neben der Anamnese und der körperlichen Untersuchung vor allen Dingen die qualitative und quantitative Harnanalyse im Mittelpunkt einer sinnvollen und wirtschaftlichen Stufendiagnostik. Nachdem der Patient zur korrekten Uringewinnung (Mittelstrahlurin etc.) angeleitet wurde, erfolgt als erster analytischer Schritt die makroskopische Beurteilung (Trübung, Färbung, Geruch etc.) des vorliegenden Urins. Der nächste Untersuchungsschritt ist dann die semiquantitative Auswertung der Urinbestandteile mit einem Teststreifen. Besteht anamnestisch der Verdacht auf einen Harnwegsinfekt, sollte allerdings vor der Teststreifenuntersuchung ein Teil der Probe für die mikrobiologische Analytik gesichert werden, um mögliche Fremdkontaminationen zu vermeiden. TESTSTREIFEN IM EINSATZ Ein moderner Teststreifen enthält i. d. R. folgende Bestimmungsfelder: Spezifische Dichte, Leukozyten, Nitrit, Protein, Glucose, Ketone, Urobilinogen, Bilirubin, Blut sowie ein Kompensationsfeld (Untersuchung Eigenfarbe Urin). Mögliche Störgrößen, wie massive Eigenfärbung des Urins, hohe Ascorbinsäurekonzentrationen oder erhöhte Antibiotikaspiegel, müssen ausgeschlossen werden. Ergibt sich auf einem der Felder für den Nachweis von Hämoglobin, Leukozyten, Nitrit oder Protein ein positives 10 info.labor 1-2015 Durch die mikroskopische Beurteilung des Harnsedimentes kann vor allen Dingen bei einer massiven Leuko- oder Erythrozyturie das Vorhandensein von Leukozyten und Erythrozytenzylindern beurteilt werden. Auch weitere Harnzylinder, z. B. granulierte Zylinder, Epithelzylinder oder hyaline Zylinder, lassen sich durch die mikroskopische Untersuchung des Harnsediments nachweisen. Unter dem Polarisationsmikroskop können darüber hinaus bei einem positiven Hämoglobinnachweis auf dem Teststreifen auch Aussagen über die Erythrozytenmorphologie (isomorphe/dysmorphe Erythrozyten) getroffen werden. Werden dysmorphe Erythrozyten nachgewiesen, ist die Blutungsquelle stets renal. Ansonsten kann durch zusätzliche Bestimmung von tubulären und glomerulären Proteinen zwischen renaler und postrenaler Blutung unterschieden werden. Lassen sich dagegen unter dem Mikroskop keine Erythrozyten nachweisen, deutet der Nachweis von Hämoglobin oder Myoglobin im Urin meist auf eine prärenale Schädigung hin. Ein positives Leukozytenfeld und der Nachweis von Leukozytenzylindern kommen bei renalen Schädigungen vor. Bei fehlenden Zylindern kann man mit der zusätzlichen Bestimmung des 1-Mikroglobulins im Urin die Ursache der Leukozyturie weiter differenzieren, da renale Ursachen meist eine Konzentrationserhöhung dieses Proteins zeigen. PROTEINBESTIMMUNG Ein zusätzlich positives Nitritfeld im Teststreifensieb und der massenhafte Nachweis von Bakterien im Sediment deuten auf einen Harnwegsinfekt hin und sollten eine kulturelle Bei einer mit dem Teststreifensieb nachgewiesenen Proteinurie sollten sich immer eine quantitative Proteinbestimmung sowie die Bestimmung der Einzelproteine anschließen. Hierfür stehen elektrophoretische (SDS-Elektrophorese) oder immunologische Routinemethoden (z. B. Nephelometrie) zur Verfügung, deren Ergebnisse eine Zuordnung zu glomerulären oder tubulären sowie gemischten Proteinurien ermöglichen. Die Einteilung der Proteinmuster erfolgt dabei meist nach Boesken I-VI. In ganz speziellen Fällen können mit der Einzelproteinbestimmung aus dem Urin auch weitere Proteine, wie z. B. freie Leichtketten, bei Verdacht auf eine Leichtketten-Gammopathie nachgewiesen werden. Darüber hinaus sollten bei einem klinischen Verdacht auf eine Nierenerkrankung auch Blutuntersuchungen der Basisparameter (Blutbild, Elektrolyte, Kreatinin, Harnstoff, CRP, Gesamtprotein, etc.) erfolgen. Auch die Beurteilung der Nierenfunktion durch Bestimmung der glomerulären Filtrationsrate gehört zu diesen grundlegenden Untersuchungen. Die glomeruläre Filtrationsrate kann entweder aus der Kreatinin-Clearance oder durch eine Näherungsformel (MDRD, CKD-EPI) und in bestimmten Fällen im sogenannten kreatininblinden Bereich auch durch die Messung des Cystatin C bestimmt werden. Selbstverständlich müssen auffällige Urin- und Serumbefunde in den Kontext mit bildgebenden Verfahren und gegebenenfalls auch bioptischen Untersuchungen gestellt werden, um möglichst schnell die Ursache einer Erkrankung der Nieren bzw. ableitenden Harnwege therapieren zu können. DR. ANDREAS BOBROWSKI, LABORARZT, LÜBECK Teststreifen Basis-Diagnostik Hämoglobin positiv Leukozyten positiv Nitrit positiv Protein positiv mikroskopische Beurteilung Urinsediment Erythrozyten ja nein Leukozyten-Zylinder ja nein Protein quant. Bakterien Albumin nein Akanthozyten Erythrozyten-Zylinder weiterführende Diagnostik ERKRANKUNG HARNSYSTEM Urinuntersuchung nach sich ziehen. Bei einem signifikanten Bakterienwachstum auf einem einfachen Eintauchnährboden können ätiologisch relevante Keime dann durch eine gezielte kulturelle Differenzierung mit einer anschließenden Resistenzprüfung zur Durchführung einer effektiven Antibiotikatherapie identifiziert werden. unauffällig erhöht ja ά2-Makroglobin Immunglobin G Hämoglobin Myoglobin ά1-Makroglobulin Urinkultur ά1-Mikroglobulin ά2-Makroglobulin Immunglobulin G freie Leichtketten Myo- u. Hämoglobin Quotientenbildung zur weiteren Interpretation mögliche Verdachtsdiagnose renal/postrenal renal prärenal renal renal/postrenal renal/postrenal prärenal renalglomerulär renaltubulär postrenal QUELLE: KBV info.labor 1-2015 11 KV Hessen • Georg-Voigt-Straße 15 • 60325 Frankfurt am Main Erscheinungstermin: Juni 2015