Prof. Dr. Heiner Keupp Stark, selbstbestimmt, kompetent: Gesundheitsressourcen, die Heranwachsende brauchen Vortrag bei der Tagung „Mehr Chancen für gesundes Aufwachsen“ in der Evangelischen Akademie Tutzing vom 12. – 14. März 2010 Professor Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « 1 Gesundheitsressourcen von Heranwachsenden: Stark, selbstbestimmt, kompetent Quelle: Der SPIEGEL vom 03.08.2009 Professor Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « 2 Gesundheitsressourcen von Heranwachsenden: Stark, selbstbestimmt, kompetent Quelle: DIE ZEIT vom 30.07.2009 Professor Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « 3 Gesundheitsressourcen von Heranwachsenden: Stark, selbstbestimmt, kompetent Professor Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « 4 Gesundheitsressourcen von Heranwachsenden: Stark, selbstbestimmt, kompetent Professor Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « 5 Gesundheitsressourcen von Heranwachsenden: Stark, selbstbestimmt, kompetent Der Katastrophen-Guru: Dr. Michael Winterhoff 14.03.2010 Professor Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « 6 6 Gesundheitsressourcen von Heranwachsenden: Stark, selbstbestimmt, kompetent Professor Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « 7 Gesundheitsressourcen von Heranwachsenden: Stark, selbstbestimmt, kompetent Bernhard Christoph Faust (1755 – 1842) Professor Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « 8 Gesundheitsressourcen von Heranwachsenden: Stark, selbstbestimmt, kompetent Einblicke in die Geschichte (1): Bedingung für ein seiner "Bestimmung gemäßes Lebens" sei "freye Selbstthätigkeit" und "beständige und leichte Uebungen des Körpers und der Sinne in Gesellschaft mit Kindern" (S. 24). Wie soll man die Lebenskompetenz von Heranwachsenden fördern? "Dass man die Kinder in Gesellschaft mit Kindern und in freyer Luft froh und selbsthätig seyn, und Körper und Seele üben lasse" (S. 25). Quelle: Faust, B.C. (1794). Gesundheits-Katechismus zum Gebrauch in den Schulen und beym häuslichen Unterrichte. Bückeburg: Johann Friedrich Althans. Professor Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « 9 Gesundheitsressourcen von Heranwachsenden: Stark, selbstbestimmt, kompetent Einblicke in die Geschichte (2): "Der Wille des Kindes muss gebrochen werden, d.h. es muss lernen, nicht sich selbst, sondern einem anderen zu folgen." Quelle: "Enzyklopädie des gesamten Erziehungs- und Unterrichtswesens" (1887). Professor Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « 10 Gesundheitsressourcen von Heranwachsenden: Stark, selbstbestimmt, kompetent Adolf Matthias (1847-1917) Professor Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « 11 Gesundheitsressourcen von Heranwachsenden: Stark, selbstbestimmt, kompetent Einblicke in die Geschichte (3): "Wer den rechten Gehorsam hat, hat eine treffliche Mitgift fürs Leben. Im Grunde ist auch Gehorsam ein Bedürfnis der Kindesnatur. Recht glücklich und zufrieden fühlt es sich erst dann, wenn diesem Bedürfnis Befriedigung gewährt wird. Hast Du Deinen Benjamin erst an rechten und echten Gehorsam gewöhnt, hat Du diesen ihm zur anderen Natur gemacht, dann hast Du den besten und schwierigsten Teil der Erziehung hinter Dir. Du kannst ihn dann ruhig der Zukunft überlassen. Viel Sorge wird er Dir dann kaum noch machen." Quelle: Adolf Matthias (1911). Wie erziehe ich meinen Sohn Bejamin? Professor Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « 12 Gesundheitsressourcen von Heranwachsenden: Stark, selbstbestimmt, kompetent Adele Schreiber (1872-1957) Professor Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « 13 Gesundheitsressourcen von Heranwachsenden: Stark, selbstbestimmt, kompetent Einblicke in die Geschichte (4): "Die neue Erziehung lehnt die alte Unterwürfigkeit ab und den alten Gehorsam, den das Kind verpflichtet war gedankenlos zu üben." Quelle: Schreiber, Adele (Hg.): Das Reich des Kindes (1930). Professor Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « 14 Gesundheitsressourcen von Heranwachsenden: Stark, selbstbestimmt, kompetent Johanna Haarer (1900 – 1988) Professor Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « 15 Gesundheitsressourcen von Heranwachsenden: Stark, selbstbestimmt, kompetent Einblicke in die Geschichte (5): Johanna Haarers deutsche Erziehung: „Vorüber sind die Zeiten, wo es erstes und oberstes Ziel aller Erziehung und Aufzucht war, nur die Eigenpersönlichkeit im Kind und Menschen zu vervollkommnen und zu fördern. Eins ist heute vor allem not, nämlich dass jeder junge Staatsbürger und Deutsche zum nützlichen Gliede der Volksgemeinschaft werde, dass er neben der höchst möglichen Entwicklung all seiner guten Anlagen und Fähigkeiten lerne, sich einzuordnen in eine Gemeinschaft und um ihretwillen eigene Wünsche und eigene Bestrebungen zurückzustellen." Quelle: Johanna Haarer: Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind (1936). Professor Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « 16 Gesundheitsressourcen von Heranwachsenden: Stark, selbstbestimmt, kompetent Einblicke in die Geschichte (6) "Wie herrlich war es, Erziehungsberater sein zu dürfen, in einer Zeit, wo der Grundsatz galt: jedem Deutschen sein eigenes Erziehungsziel!" – "Mag auch die Fassung im Einzelfall verschieden sein und anders ausfallen, der Kern des Erziehungsziels ist immer der gleiche: Erziehung zur Volksgemeinschaft, Erziehung zum deutschen Menschen, der körperlich und seelisch gesund, geistig entwickelt, sittlich gefestigt, beruflich tüchtig, rassebewusst in Blut und Boden verwurzelt ist und sich Volk und Reich verbunden fühlt" (S. 20). Quelle: Otto Kersten (1941). Praxis der Erziehungsberatung. Ein Handbuch mit Bibliographie. Professor Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « 17 Gesundheitsressourcen von Heranwachsenden: Stark, selbstbestimmt, kompetent Einblicke in die Geschichte (7) "Das Hauptziel der Erziehungsberatung liegt nicht in der Eliminierung der Spannungen und Konflikte, Gewissensregungen und Schuldgefühle, sondern in der Lebens- und Leidenskraft.“ Quelle: Heinz-Rolf Lückert (Hg.) (1964) Handbuch der Erziehungsberatung. Professor Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « 18 Gesundheitsressourcen von Heranwachsenden: Stark, selbstbestimmt, kompetent Emile Durkheim (1858-1917) „Der Mensch, den die Erziehung in uns verwirklichen soll, ist nicht der, den die Natur geschaffen hat, sondern der, den die Gesellschaft haben will; und sie will ihn so haben, wie ihn ihre innere Ökonomie verlangt.“ Professor Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « 19 Gesundheitsressourcen von Heranwachsenden: Stark, selbstbestimmt, kompetent PISA-Studie untersuchte die „Basiskompetenzen, die in modernen Gesellschaften für eine befriedigende Lebensführung in persönlicher und wirtschaftlicher Hinsicht sowie für eine aktive Teilnahme am gesellschaftlichen Leben notwendig sind.“ Deutsches PISA-Konsortium (2001, S. 29) Professor Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « 20 Gesundheitsressourcen von Heranwachsenden: Stark, selbstbestimmt, kompetent Das Aufwachsen in der Spätmoderne ist riskant geworden Kinder und Jugendliche wachsen in eine Gesellschaft hinein, die immer weniger als einbettende Kultur anzusehen ist, die Begleitschutz für das Erwachsenwerden bietet. Diese Gesellschaft ist hohem Maße in den Grundfragen verunsichert, welche Lernerfahrungen und Kompetenzen notwendig sind, um Lebenssouveränität zu erlangen. Professor Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « 21 WIR LEBEN IN EINER GESELLSCHAFT … tief greifender kultureller, politischer und ökonomischer Umbrüche, die durch einen global agierenden Netzwerkkapitalismus bestimmt werden; sich ändernder biographischer Schnittmuster, die immer weniger aus bislang bestimmenden normalbiographischen Vorstellungen bezogen werden können; des Wertewandels, der einerseits neue Lebenskonzepte stützt, der aber zugleich zu einem Verlust unbefragt als gültig angesehener Werte führt und mehr selbst begründete Wertentscheidungen verlangt; veränderter Geschlechterkonstruktionen, die gleichwohl untergründig wirksame patriarchale Normen und Familienmuster nicht überwunden haben; der Pluralisierung und Entstandardisierung familiärer Lebensmuster, deren Bestand immer weniger gesichert ist und von den beteiligten Personen hohe Eigenleistungen in der Beziehungsarbeit verlangt. Professor Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « 22 WIR LEBEN IN EINER GESELLSCHAFT … wachsender Ungleichheit im Zugang der Menschen zu materiellem, sozialem und symbolischem Kapital, der gleichzeitig auch zu einer ungleichen Verteilung von Lebenschancen führt; zunehmender Migration und Erfahrungen mit kulturellen Differenzen und einem Patchwork der Verknüpfung dieser Differenzen zu neuen Hybri-ditäten, die aber von spezifischen Bevölkerungsgruppen als Bedrohung erlebt werden; wachsenden Einflusses der Medien, die nicht nur längst den Status einer zentralen Erziehungs- und Bildungsinstanz haben, sondern auch mit ihren Bilderwelten Identitätsangebote machen; hegemonialer Ansprüche, die die Mittel von Krieg und Terror einsetzen, um ihre jeweiligen ideologischen Vorstellungen einer Weltordnung jenseits demokratischer Legitimation durchzusetzen. Professor Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « 23 Gesundheitsressourcen von Heranwachsenden: Stark, selbstbestimmt, kompetent Mehr Chancen für gesundes Aufwachsen Gesundheitsbezogene Prävention und Gesundheitsförderung in der Kinder- und Jugendhilfe BT-Drucksache 16/12860 Internet: http://dip21.bundestag.de/di p21/btd/16/128/1612860.pdf oder http://www.dji.de/ Professor Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « 24 Gesundheitsressourcen von Heranwachsenden: Stark, selbstbestimmt, kompetent Bezugspunkt: Ottawa Charta der WHO "Gesundheit wird von Menschen in ihrer alltäglichen Umwelt geschaffen und gelebt: dort, wo sie spielen, lernen, arbeiten und lieben. selbstbestimmt, Gesundheit entstehtStark, dadurch, dass kompetent man sich um sich selbst und für andere sorgt, dass man in die Lage versetzt ist, selber Entscheidungen zu fällen und eine Kontrolle über die eigenen Lebensumstände auszuüben sowie dadurch, dass die Gesellschaft, in der man lebt, Bedingungen herstellt, die allen ihren Bürgern Gesundheit ermöglichen." Professor Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « 25 Gesundheitsressourcen von Heranwachsenden: Stark, selbstbestimmt, kompetent Gesundheit Gesundheitsressourcen Gesundheitsrisiken Gesundheitsförderung Prävention Salutogenese Pathogenese Aktivitäten zur Verbesserung der Gesundheit Professor Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « 26 Gesundheitsressourcen von Heranwachsenden: Stark, selbstbestimmt, kompetent Aaron Antonovsky 1923 - 1994 Professor Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « 27 Der 13. KJB: Gesundheitsförderung durch Kinder- und Jugendhilfe Was ist Salutogenese? • • Das "salutogenetisches" Denkmodell (abgeleitet vom lateinischen Begriff Salus für Gesundheit) formuliert eine Alternative zur Pathogenese, also zur Entstehung von Krankheiten. Gesundheit und Krankheit bilden ein Kontinuum und keine Polarität. • Gefragt ist nicht, was macht krank, sondern wie schaffen es Menschen, gesund zu bleiben, trotz unterschiedlicher gesundheitlicher Belastungen. • Von besonderer Relevanz ist der "Kohärenzsinn", die Fähigkeit, in seinem Leben Sinn zu entdecken oder zu stiften. Von besonderer gesundheitsförderlicher Bedeutung sind die Widerstandsressourcen einer Person. • Professor Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « 28 28 Gesundheitsressourcen von Heranwachsenden: Stark, selbstbestimmt, kompetent Kohärenz ist das Gefühl, dass es Zusammenhang und Sinn im Leben gibt, dass das Leben nicht einem unbeeinflussbaren Schicksal unterworfen ist. Der Kohärenzsinn beschreibt eine geistige Haltung: Meine Welt erscheint mir verständlich, stimmig, geordnet; auch Probleme und Belastungen, die ich erlebe, kann ich in einem größeren Zusammenhang sehen (Verstehbarkeit). Das Leben stellt mir Aufgaben, die ich lösen kann. Ich verfüge über Ressourcen, die ich zur Meisterung meines Lebens, meiner aktuellen Probleme mobilisieren kann (Handhabbarkeit). Für meine Lebensführung ist jede Anstrengung sinnvoll. Es gibt Ziele und Projekte, für die es sich zu engagieren lohnt (Bedeutsamkeit). Kohärenzfördernd sind die Widerstandsressourcen: Individuelle, soziale, gesellschaftliche und kulturelle Ressourcen. Professor Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « 29 Gesundheitsressourcen von Heranwachsenden: Stark, selbstbestimmt, kompetent BegründerInnen des Capability-Ansatzes: Amartya Sen und Martha C. Nussbaum Professor Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « 30 Gesundheitsressourcen von Heranwachsenden: Stark, selbstbestimmt, kompetent Unter Verwirklichungschancen (capabilities) versteht Amartya Sen die Möglichkeit von Menschen, „bestimmte Dinge zu tun und über die Freiheit zu verfügen, ein von ihnen mit Gründen für erstrebenswert gehaltenes Lebens zu führen.“ Amartya Sen (2000). Ökonomie für den Menschen Professor Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « 31 Gesundheitsressourcen von Heranwachsenden: Stark, selbstbestimmt, kompetent Verwirklichungschancen Die basalen Capabilities umfassen die Ausbildung von spezifischen körperlichen Konstitutionen, sensorischen Fähigkeiten, Denkvermögen und grundlegende Kulturtechniken, die Vermeidung von unnötigem Schmerz, die Gewährleistung von Gesundheit, Ernährung und Schutz, die Möglichkeit und Fähigkeit zur Geselligkeit bzw. zu Bindungen zu anderen Menschen, anderen Spezies und zur Natur, zu Genuss, zu sexueller Befriedigung, zu Mobilität und schließlich zu praktischer Vernunft und zur Ausbildung von Autonomie und Subjektivität. Quelle: Martha C. Nussbaum (1999). Gerechtigkeit oder Das gute Leben Professor Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « 32 Gesundheitsressourcen von Heranwachsenden: Stark, selbstbestimmt, kompetent Verwirklichungschancen und Herrschaftsverhältnisse „Letztlich ist das individuelle Handeln entscheidend, wenn wir die Mängel beheben wollen. Andererseits ist die Handlungsfreiheit, die wir als Individuen haben, zwangsläufig bestimmt und beschränkt durch die sozialen, politischen und wirtschaftlichen Möglichkeiten, über die wir verfügen. Individuelles Handeln und soziale Einrichtungen sind zwei Seiten einer Medaille. Es ist sehr wichtig, gleichzeitig die zentrale Bedeutung der individuellen Freiheit und die Macht gesellschaftlicher Einflüsse als Ausmaß und Reichweite der individuellen Freiheit zu erkennen.“ Quelle: Amartya Sen (2000). Ökonomie für den Menschen Professor Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « 33 Gesundheitsressourcen von Heranwachsenden: Stark, selbstbestimmt, kompetent Positive Jugendentwicklung: „Gedeihen“ (Thriving) Die positive Entwicklung lässt sich allerdings nicht als ein naturgesteuertes Ablaufgeschehen begreifen, in dem sich eine innere Anlage entfaltet, sondern im Zentrum steht ein Modell von Entwicklung, das in einem transaktionalen Sinne als dynamisches Austauschsystem zwischen den heranwachsenden Subjekten und den unterschiedlichen sozialen Systemen (wie Familie, Schule, Peers, Nachbarschaft und Gesamtgesellschaft) verstanden wird. Professor Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « 34 Gesundheitsressourcen von Heranwachsenden: Stark, selbstbestimmt, kompetent Quelle: Quelle: Richard M. Lerner (2004). Liberty. Thriving and civic engagement among America’s youth. 14.03.2010 Professor Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « 35 Gesundheitsressourcen von Heranwachsenden: Stark, selbstbestimmt, kompetent Quelle: Richard M. Lerner: Die 5 Cs der positiven Jugendentwicklung Professor Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « 36 Gesundheitsressourcen von Heranwachsenden: Stark, selbstbestimmt, kompetent Positive Jugendentwicklung und bürgerschaftliches Engagement Quelle: Richard M. Lerner: Engagierte Jugend – lebendige Gesellschaft 14.03.2010 Professor Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « 37 Gesundheitsressourcen von Heranwachsenden: Stark, selbstbestimmt, kompetent Quelle: Richard M. Lerner: Die 6 Cs der positiven Jugendentwicklung Professor Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « 38 Gesundheitsressourcen von Heranwachsenden: Stark, selbstbestimmt, kompetent Gesundheitsrelevante Entwicklungsthemen Unter 3-Jährige: Bindung und Autonomie 3- bis unter 6-Jährige: Sprechen, Bewegen und Achtsamkeit 6- bis unter 12-Jährige: Aneignen und Gestalten, Beziehungen eingehen und sich bewähren 12- bis unter 18-Jährige: Körper spüren, Grenzen suchen, Identität finden 18- bis 27-Jährige: Sich entscheiden, Intimität leben, Verantwortung übernehmen 14.03.2010 Professor Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « 39 Gesundheitsressourcen von Heranwachsenden: Stark, selbstbestimmt, kompetent Gesundheitsrelevante Entwicklungsthemen Unter 3-Jährige: Bindung und Autonomie Alle Kinder brauchen einen gleichermaßen guten Start ins Leben, der sozial bedingte Ungleichheiten von Krankheit, Behinderung und Sterblichkeitsraten vermindert. Kinder brauchen eine sichere Bindung zu ihren Eltern oder anderen konstanten Bezugspersonen, um sich im körperlichen, psychosozialen und kognitiven Bereich gut zu entwickeln, Selbstständigkeit zu erlernen und genügend Selbstwirksamkeitserfahrungen sammeln zu können. Damit Eltern durch zuverlässig einfühlsames Verhalten und emotionale Zuverlässigkeit die Entwicklung einer sicheren Bindung ermöglichen, ihre Kinder ausreichend versorgen und in ihrem Entwicklungsverlauf positiv unterstützen können, brauchen Eltern genügend persönliche, sozial unterstützende sowie materielle Ressourcen. Um die gesundheitliche Chancengleichheit zu erhöhen und die Eltern in ihren Erziehungskompetenzen unterstützen, brauchen Kinder und Eltern – und gerade auch Eltern behinderter Kinder – einen nicht-diskriminierenden lebensweltnahen Zugang zu förderlichen Angeboten von Kinder- und Jugendhilfe und Gesundheitssystem. 14.03.2010 Professor Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « 40 Gesundheitsressourcen von Heranwachsenden: Stark, selbstbestimmt, kompetent Gesundheitsrelevante Entwicklungsthemen 3- bis unter 6-Jährige: Sprechen, Bewegen und Achtsamkeit Kinder brauchen Eltern und andere Erwachsene (z. B. Erzieherinnen), die mit großer Achtsamkeit und ohne Diskriminierung nach sozialer Zuordnung, Religion, ethnischer Herkunft oder Behinderung die Bedürfnisse von Kindern nach emotionaler Zuwendung, Bewegung und Erforschung der Umwelt, genussreicher und gesunder Ernährung sowie Kommunikation und Austausch wahrnehmen. Auf dieser Grundlage und mit guten erwachsenen Vorbildern wird es Kindern möglich, achtsames Verhalten gegenüber sich selbst und anderen zu entwickeln und aktiv an der Ausgestaltung gesunder Lebensverhältnisse teilzunehmen (Partizipation). Kinder in Kindertagesstätten und Tagespflege brauchen individuelle Förderung, die nicht auf Defizite, sondern auf ihre besonderen Bedürfnisse, Ressourcen und Kompetenzen abzielt. Alle Kinder brauchen Orte (in der Kinderbetreuung und im familiären Umfeld), in denen sie ihre Explorationsbedürfnisse mit allen Sinnen und ohne Gefahren ausleben können und so auf vielfältige Weise Erfahrungen über ihren Körper und seine Grenzen sammeln können. Kinder brauchen Orte, die weitgehend frei von gesundheitsschädlichen Schadstoffen sind. 14.03.2010 Professor Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « 41 Gesundheitsressourcen von Heranwachsenden: Stark, selbstbestimmt, kompetent Gesundheitsrelevante Entwicklungsthemen 6- bis unter 12-Jährige: Aneignen und Gestalten, Beziehungen eingehen und sich bewähren Die Lebens- und Lernwelten von Kindern im Grundschulalter sind geprägt von gesellschaftlichen Entwicklungen wie eine Zunahme von Leistungsorientierung und Effizienzstreben, zudem sind viele Kinder betroffen von Einschränkungen individueller Freiheiten und der Verwirklichung eigener Handlungsmöglichkeiten. Kinder brauchen unabhängig davon, ob sie gesund, chronisch krank oder behindert sind, Bewegungs-, Erfahrungs- und Bildungsräume, in denen sie sich ihre Lebenswelt aneignen und diese aktiv mitgestalten können. Sie brauchen innerhalb des Bildungssystems Lebensund Lernbedingungen, in denen sie sich mit ihren Kompetenzen bewähren können. Soziales Lernen innerhalb der Schule, aber auch in Kontexten der informellen Bildung, ermöglicht es Mädchen und Jungen, Freundschaften und befriedigende Beziehungen zu anderen Menschen einzugehen. Kinder brauchen hierzu Rahmenbedingungen ohne diesbezügliche Barrieren (z. B. finanzielle Ressourcen, Erreichbarkeit von Bildungsorten etc.). 14.03.2010 Professor Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « 42 Gesundheitsressourcen von Heranwachsenden: Stark, selbstbestimmt, kompetent Gesundheitsrelevante Entwicklungsthemen 12- bis unter 18-Jährige: Körper spüren, Grenzen suchen, Identität finden Um eine stimmige Identität auszubilden, suchen und brauchen Jugendliche Herausforde-rungen und Grenzen. Sie benötigen genügend soziale Lern- und Erfahrungsräume auch jenseits von Schule und Elternhaus, in denen sie zum einen den eigenen Körper und die eigene Sexualität ausprobieren und spüren können, um so zu lernen, ihren Körper anzu-nehmen und zu „bewohnen“. Sie brauchen weiterhin genügend Möglichkeiten, um in ihrem Freundeskreis ihren jugend-kulturellen Interessen und Praxen nachzugehen, die ihnen Abgrenzung und die Ausbildung von Eigenständigkeit ermöglichen, wobei dies auch Mädchen und Jungen mit Behinderungen mehr als bisher ermöglicht werden sollte. Jugendliche bedürfen weiter der Unterstützung bei ihrer Auseinandersetzung mit den gesellschaftlich und medial vermittelten Botschaften des „Alles ist möglich“, denn Jugendliche in dieser Altersphase sind mit der unumgänglichen Herausforderung konfrontiert, eine für sie stimmige Balance zwischen ihren Vorstellungen und Bedürfnissen und den hierfür vorhandenen Möglichkeiten und Grenzen zu finden. Um mit den sich anbietenden riskanten Freiheiten zurechtzukommen, brauchen Jugendliche auch hier Lebenskompetenzen, die ihnen neben dem Elternhaus in Settings der (non-)formalen Bildung, z. B. in der Schule und in den Angeboten der Kinder- und Jugendhilfe, vermittelt werden können. 14.03.2010 Professor Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « 43 Gesundheitsressourcen von Heranwachsenden: Stark, selbstbestimmt, kompetent Gesundheitsrelevante Entwicklungsthemen 18- bis 27-Jährige: Sich entscheiden, Intimität leben, Verantwortung übernehmen Im jungen Erwachsenenalter müssen selbstverantwortlich Entscheidungen getroffen und Verantwortungen übernommen werden, die in persönlicher, sozialer sowie bildungs- und berufsbezogener Hinsicht langfristige Folgen haben können und zu einer starken Ausdifferenzierung der Lebenssituation junger Erwachsener führen. Notwendig sind für junge Erwachsene in einer Welt sich kontinuierlich wandelnder Ansprüche und Anforderungen Vertraute und kompetente Personen im sozialen Netzwerk Ausbildungs- und Erwerbskontexte, die jungen Erwachsenen eine Zukunftsperspektive bieten und ihnen ermöglichen, ihr Leistungspotenzial optimal zu nutzen. Individuelle Handlungsspielräume, in denen sie in Verantwortung für sich selbst, aber auch in Verantwortung für die Partnerin/den Partner Intimität leben können. Optimismus, Motivation und eine Zukunftsperspektive, um Verantwortung für die eigene Lebensführung zu übernehmen. 14.03.2010 Professor Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « 44 Gesundheitsressourcen von Heranwachsenden: Stark, selbstbestimmt, kompetent Verwirklichungschancen 1. Urvertrauen zum Leben 2. Dialektik von Bezogenheit und Autonomie 3. Lebenskompetenz braucht einen Vorrat an Kohärenz 4. Schöpfung sozialer Ressourcen durch Netzwerkbildung 5. Materielles Kapital als Bedingung für Beziehungskapital 6. Demokratische Alltagskultur durch Partizipation 7. Selbstwirksamkeitserfahrungen durch Engagement Professor Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « 45 Gesundheitsressourcen von Heranwachsenden: Stark, selbstbestimmt, kompetent Befähigungsgerechtigkeit Heranwachsende brauchen die Chance, Zugang zu den Ressourcen gewinnen, die sie zu einer souveränen Handlungsbefähigung benötigen. Die institutionellen Angebote des Bildungs-, Sozial- und Gesundheitsystems müssen Heranwachsende in ihrer Handlungsbefähigung systematisch unterstützen. Es sind professionelle Empowerment-Strategien zu entwickeln, die auf dieses Ziel ausgerichtet sind. Heranwachsende müssen über Partizipationsmöglichkeiten in ihren Selbstwirksamkeitserfahrungen gefördert werden. Solche Erfahrungen sind vor allem auch dann zu unterstützen, wenn die eigene Handlungsfähigkeit durch Behinderung eingeschränkt ist. Professor Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « 46