Jewish-Christian Relations Insights and Issues in the ongoing Jewish-Christian Dialogue | 01.12.2005 Einer neuer Geist in Kirche und Gesellschaft Die internationale Tagung "Katholische Kirche und Judentum - 40 Jahre Konzilserklärung Nostra Aetate" zog Bilanz über christlich-jüdische Beziehungen und diskutierte Themen der zukünftigen Zusammenarbeit Wien - Am 29. und 30. Oktober lud der Koordinierungsausschuss für christlich-jüdische Zusammenarbeit zu einer internationalen Tagung "Katholische Kirche und Judentum - 40 Jahre Konzilserklärung Nostra Aetate". Die Veranstaltung wurde gemeinsam geplant mit der Wochenzeitung Die Furche, dem Kardinal König Haus und den Theologischen Kursen Wien und unterstützt von der Stiftung Pro Oriente. Förderungen des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft, Kultur, des Otto Mauer Fonds der Erzdiözese Wien und des Magistrats Wien, Abteilung Wissenschaftsförderung haben diese Konferenz möglich gemacht. Die Erklärung "Nostra Aetate" des 2. Vatikanischen Konzils vom 28. Oktober 1965 brachte eine umfassende Neubewertung des Judentums durch die römisch-katholische Kirche. Nach Jahrhunderten der Judenfeindschaft werden hier u.a. die bleibende Verbindung der Kirche mit dem Judentum gewürdigt, die pauschale Verurteilung des jüdischen Volkes für den Kreuzestod Jesu zurückgewiesen und jegliche Form des Antisemitismus verurteilt. Die Neuorientierung durch Nostra Aetate war Richtung weisend für andere Kirchen. Durch die Umsetzung in Religionsunterricht und Erwachsenenbildung trug diese kirchliche Stellungnahme auch zur Wertschätzung des Judentums als Religion und Kultur in der ganzen Gesellschaft bei. Kardinal Schönborn: Bibelworte nicht gegen das Judentum auslegen Zu Beginn stand eine Messfeier in der Konzils-Gedächtniskirche in Wien Lainz, geleitet vom Pariser Alt-Erzbischof Kardinal Jean-Marie Lustiger. In der Predigt unterstrich Kardinal Christoph Schönborn die entscheidenden Weichenstellungen der Konzilserklärung Nostra Aetate für das Verhältnis von Christentum und Judentum. Das zweite Vatikanische Konzil habe vor allem "endgültig" mit der Vorstellung vom "Gottesmord" Schluss gemacht, betonte Schönborn. Sehr klar sage die Konzilserklärung, dass man aus den Evangelien nicht folgern dürfe, dass die Juden von Gott verworfen seien. Der Wiener Erzbischof erinnerte daran, dass im "Katechismus der Katholischen Kirche" (KKK) die Formulierung des "Römischen Katechismus" des Tridentinischen Konzils zitiert wird, wonach die Schuld am Kreuzestod Jesu vor allem bei jenen Christen zu suchen ist, "die wiederholt in die Sünde zurückfallen". Im historischen Rückblick unterstrich Kardinal Schönborn, dass die Kirche immer daran festgehalten habe, dass das Alte Testament Wort Gottes sei. Dies sei zugleich ein Hinweis auf die "Kontinuität" zwischen Altem und Neuem Bund. Freilich gebe es auch ein Element der "Diskontinuität", die Christen und Juden "trennende und verbindende Frage", ob Jesus der Messias, der "Sohn des Hochgelobten", ist. Präsident Nausner: Katholische Erklärung bedeutsam für andere Kirchen Der Vorsitzende des "Koordinierungsausschusses für christlich-jüdische Zusammenarbeit", Pastor 1/6 Prof. Helmut Nausner, erinnerte bei der anschließenden Eröffnung der Tagung im Kardinal KönigHaus daran, dass Kardinal Franz König bereits 1967 festgestellt hatte, die Kürze der Erklärung Nostra Aetate dürfe nicht über ihre Bedeutung hinwegtäuschen. Wie Nausner sagte, wurden bei der Gründung des Weltkirchenrats 1948 die Kirchen aufgerufen, dem Antisemitismus als "Sünde gegen Gott und die Menschen" abzusagen. Doch dann sei lange Zeit nichts erfolgt. So habe Nostra Aetate auch für die nicht katholischen Kirchen entscheidende Bedeutung gehabt. Besonders begrüßte Nausner die Gäste aus christlich-jüdischen Initiativen in den Nachbarländern Tschechien, Ungarn und der Slowakei. Seit einigen Jahren habe es sich der Koordinierungsausschuss für christlich-jüdische Zusammenarbeit zur Aufgabe gemacht, hier Vernetzungsarbeit zu leisten und den Gedankenaustausch im zusammenwachsenden Europa zu fördern. Podiumsdiskussion: Wachsamkeit vor dem Antisemitismus Innenministerin Liese Prokop machte bei der Podiumsdiskussion "Antisemitismus - Geißel für Gesellschaft und Kirchen" in ihrem Statement deutlich, dass die beliebte Formel "darüber wollen wir nichts mehr hören" absolut inakzeptabel sei, wenn es um die Schoa und den Antisemitismus gehe. Niemals dürfe man verdrängen, dass die Schoa von christlich geprägten Ländern ihren Ausgang nahm. Wörtlich meinte die Innenministerin: "Wir dürfen den Antisemitismus nie mehr zur Geißel heranwachsen lassen". Die Exekutive werde in der Aus- und Fortbildung umfassend geschult, um dem Phänomen Antisemitismus entgegentreten zu können. Die Leiterin der Europäischen Beobachtungsstelle für Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, Beate Winkler, bezeichnete die Situation im Hinblick auf den Antisemitismus als "beunruhigend". Der Antisemitismus gehe nur dann zurück, wenn öffentlich klar gemacht wird, dass er nicht "gesellschaftsfähig" ist. Politik, Medien und Erziehung seien hier angefragt. Beate Winkler verwies darauf, dass der Antisemitismus derzeit mit drei Masken auftritt: Als "alter" Antisemitismus rechtsradikaler Prägung, als "neuer" Antisemitismus in Kreisen junger Immigranten mit islamischem Hintergrund vor allem in westeuropäischen Ländern und als "Antizionismus" mit "linken" Argumenten. Der Studienleiter der Wiener Evangelischen Akademie, Pfarrer Roland Ritter-Werneck, erinnerte daran, dass nach 1945 ein "unumkehrbarer Wandel" im Verhältnis von Juden und Christen eingetreten sei. Eine wichtige Rolle hätten in diesem Zusammenhang die Thesen der "SeelisbergKonferenz" von 1947 gespielt, die zur Gründung des "Internationalen Rates von Christen und Juden" (ICCJ) führten. Trotzdem habe es etwa in der evangelischen Kirche in Österreich erst 1998 eine Synodalerklärung gegeben, die der Judenmission eine Absage erteilte und die antijudaistisch geprägten Spätschriften Luthers ausdrücklich verwarf. Pfarrer Ritter-Werneck erinnerte zugleich daran, dass man den Staat Israel aus dem christlich-jüdischen Gespräch nicht ausklammern könne. Wenn das Existenzrecht Israels negiert werde - wie es jüngst durch den iranischen Staatschef geschah - müsse "reagiert" werden. Im Hinblick darauf, dass die alten Schmähschriften des europäischen Antisemitismus des 19./20. Jahrhunderts - wie die "Protokolle der Weisen von Zion" im islamisch geprägten Raum ständig neu aufgelegt und verbreitet werden, müsse man ein "ernstes Gespräch mit den Muslimen führen". Oberrabbiner Paul Chaim Eisenberg bezeichnete Nostra Aetate als einen "unglaublichen Meilenstein". Für den Dialog von Juden und Christen sei es wichtig, etwa die Tora richtig zu übersetzen, nicht als "Gesetz", sondern als "Lehre". In der hebräischen Bibel werde zugleich deutlich gemacht, dass die Menschheit von einem Paar abstammt; es gebe also den Prägestempel gleicher Abstammung trotz aller Verschiedenheit. Auch Eisenberg betonte die Notwendigkeit des Dialogs zwischen Juden, Christen und Muslimen. Dabei gebe es unterschiedliche gemeinsame Interessen. So seien etwa Juden und Muslime im Hinblick auf das Schächten in einem Boot; bei den evangelikalen Christen wiederum gebe es einerseits eine überaus große Solidarität mit Israel, andererseits hätten diese Christen noch nicht von der Idee der Judenmission Abstand genommen. 2/6 Botschafter Ashbel: Ungeahnte Veränderungen seit Herzls Papst-Audienz Am Sonntag Vormittag fand die Veranstaltung in den Räumlichkeiten der jüdischen B"nai B"rith Loge statt. Botschafter Dan Ashbel bekräftigte in einem Grußwort die Bedeutung der diplomatischen Beziehungen des Vatikan zum Staat Israel. Aufgenommen im Jahr 1993, fast 30 Jahre nach der Erklärung, seien sie eine Frucht der durch Nostra Aetate ausgelösten Neubewertung des Judentums durch die römisch-katholische Kirche. "Im Jahr 2004 begingen wir den hundertsten Todestag des Wiener Journalisten und modernen Propheten der Wiedererstehung des jüdischen Staates im Lande Israel, Theodor Herzl. Vier Monate vor der Versammlung des ersten zionistischen Kongresses in Basel, im Jahr 1897, wurde in "Civiltà Cattolica" ein Artikel mit der Überschrift "Die Zerstreuung der Juden in der Welt Diaspora" veröffentlicht. Dieser Artikel erklärte, dass nach dem Neuen Testament die Juden zu einer ewigen Knechtschaft in der Diaspora verurteilt wären. Die Juden haben über sich selbst und über ihre Kinder einen ewigen Fluch gebracht. Weiter hieß es in diesem Artikel, dass es undenkbar wäre, den Juden die Verantwortung für die heiligen Plätze zu übergeben, geschweige denn der Aufbau Jerusalems als Hauptstadt der Juden, was gegen die Worte Christi selbst ist. Es dauerte fast 70 (genauer 68) Jahre, zwei Weltkriege und die Schoa bis diese Haltung geändert wurde. Es ist daher kein Wunder, dass mit aller Achtung für die Nostra Aetate-Erklärung auch das Gefühl weiter besteht, dass sie sehr spät gekommen ist." Professor Thoma: Kardinal Bea führte das Konzil An der Formulierung der Konzilserklärung waren mit Kardinal Franz König und Prälat Johannes Österreicher zwei Personen aus Österreich maßgeblich beteiligt. Ausgehend vom Judaistik-Institut der Universität Wien unter der Leitung von Professor Kurt Schubert und dem Informationszentrum im Dienste der christlich-jüdischen Verständigung, das von der Sionsschwester Hedwig Wahle gegründet und betrieben worden ist, sind Impulse dieser Neubewertung des Judentums in Wien und ganz Österreich gesetzt worden. Der Luzerner Judaist Prof. Clemens Thoma stellte in seines Vortrags ausgewählte Protagonisten auf dem Weg zu Nostra Aetate vor: den jüdischen Historiker und Johannes XXIII.-Freund Prof. Jules Isaac, den gebürtigen Wiener und später in den USA lehrenden Prälaten Johannes Österreicher sowie Kardinal Augustin Bea. Johannes XXIII. wollte, dass die Juden von der absurden Anklage des "Gottesmordes" freigesprochen werden. Für ihn, wie für Jules Isaac, war dieses Anliegen ein "Lebensthema". Von Jules Isaac 1960 darauf angesprochen, stimmte Johannes XXIII. zu, dass es an der Zeit wäre, diese folgenschwere Anklage fallen zu lassen. Er habe die Vorbereitung einer diesbezüglichen Erklärung Kardinal Augustin Bea anvertraut, dem Leiter des Sekretariates für die Förderung der Einheit der Christen. Wesentliche Vorarbeiten für Bea habe Prälat Österreicher in einer Bittschrift an das Einheitssekretariat geleistet. Bea hat sich auch öfters mit Abraham Josua Heschel beraten. In einem Nachruf auf Kardinal Bea 1968 schrieb der American Jewish Congress: "Seine Erinnerung soll im jüdischen Volk auf der ganzen Welt gesegnet sein." Gerhard Riegner würdigte Kardinal Bea, dieser hätte das Dekret über die Religionsfreiheit als Hauptaufgabe des Konzils gesehen. Österreichers Anliegen in seiner Bittschrift, die Verbundenheit der Christen mit dem Judentum in der Liturgie deutlich zum Ausdruck zu bringen, sieht Thoma bis heute nur teilweise erfüllt. Hildegonda Rijksenová, evangelische Pfarrerin aus Olmütz, präsentierte im Rahmen der Tagung eine Ausstellung über die Jugendjahre von Johannes Österreich: Seinen Geburtsort Stadt Libau und die Gymnasialzeit in Olmütz. Professor Schubert: Nostra Aetate-Absage an den Antisemitismus ist für das Judentum bedeutsam Kurzfristig war Prof. Kurt Schubert, Gründer und Ehrenvorsitzender des Koordinierungsausschusses für christlich-jüdische Zusammenarbeit, als Referent eingesprungen. Er behandelte das Thema "Was has Nostra Aetate den jüdischen Gemeinden gebracht" aus historischer Sicht: Schubert stellte 3/6 anschaulich christlich-jüdische Polemiken und Disputationen in der Kirche dar und beschrieb so die Negativfolie zum Vergleich mit heutigen christlich-jüdischen Begegnungen. Der Judaist äußerte Verständnis für jüdische Fragestellungen an die Kirche. Diese Anfragen seien anders, weil die theologischen Themen von Nostra Aetate christliche Fragen, aber keine jüdische seien. So sei das große Konzilsthema des Weiterbestehens des Bundes Gottes mit dem Volk Israel für einen Juden nicht diskussionsmöglich. "Was die Juden an Nostra Aetate interessiert, ist die Verurteilung des Antisemitismus", so Schubert. Christinnen und Christen müssten auch im Dialog mit Muslimen die existenziellen Sorgen der Juden sehen, betonte der Doyen der Judaistik-Wissenschaft: "Es sollte so sein, dass in jeder Dialog-Runde die muslimischen Partner um eine bejahende Stellungnahme zum Existenzrecht des Staates Israel gebeten werden", so Schubert. Professor Pawlikowski: Hebräerbrief ist nicht Ausgangspunkt für das christlich-jüdische Gespräch Prof. John Pawlikowski, der in Chicago lehrende Präsident des Internationalen Rats der Christen und Juden, sprach zu aktuellen theologischen Diskussionen im christlich-jüdischen Verhältnis. Die Konzilserklärung Nostra Aetate bedeutete einen absoluten Neuanfang der lehramtlichen Haltung zum Judentum: "Wenn man Kapitel vier von Nostra Aetate genauer anschaut, findet man kaum eine Referenz zu den üblichen Quellen, die normalerweise in Konzilstexten zitiert werden: Kirchenväter, päpstliche Aussagen und Zitate aus früheren konziliaren Texten. Die Erklärung bezieht sich eher auf Römer 9-11, als ob sie damit sagen möchte, dass die Kirche gerade dabei ist, dort anzusetzen, wo Paulus uns zurückgelassen hat, als er darauf beharrte, dass Juden nach der Auferstehung Teil des Bundes bleiben, abgesehen von der theologischen Mehrdeutigkeit, die ein solches Statement birgt. Ohne es so explizit zu sagen haben die 2.221 Konzilsteilnehmer, die für Nostra Aetate gestimmt haben, damit eigentlich ausgedrückt, dass alles was über die christlich-jüdischen Beziehungen seit Paulus gesagt worden war, in eine Richtung ging, die sie nicht mehr länger unterstützen konnten." Pawlikowski strich heraus, dass Nostra Aetate die zahlreichen Passagen im Hebräerbrief nie erwähnt, in denen der ursprüngliche Bund mit Israel nach Christus aufgehoben zu sein scheint und das jüdische Gesetz überholt (Hebr 7,12; 8,13 und 10,9). Der Referent bedauerte es, dass Nostra Aetate diese Passagen als zulässigen Ausgangspunkt für die Theologie einer heutigen christlich-jüdischen Beziehung deutlicher abgelehnt hätte. Aber angesichts der interpretativen Rolle eines Konzils in der katholischen Kirche sei diese Auslassung der Texte aus dem Hebräerbrief theologisch dennoch theologisch bedeutend. Pawlikowski: "Sie zeigt, dass die Konzilsväter diese als theologisch ungeeignete Quelle für zeitgemäßes Denken über die Verbindung von Kirche und dem jüdischen Volk beurteilten." Ausführlich ging Pawlikowski auf verschiedene Versuche ein, das christlich-jüdische Verhältnis heute theologisch zu deuten: als Schisma, als zwei Bekenntnisse in einem Bund, als zweifacher Bund, als Geschwister oder als Zwillinge. Er kam zu dem Schluss: "Wir sind immer noch ganz am Anfang des Prozesses, die Theologie der christlich-jüdischen Beziehung zu überdenken, sogar vierzig Jahre nach der beachtlichen Wende in dieser Frage durch das Zweite Vatikanum. Wir müssen uns vor Augen halten, dass fast zwei Jahrtausende lang an der negativen Theologie dieser Beziehung, die das Zweite Vatikanum widerrufen hat, geschmiedet wurde." Erinnerungen an die Zeit des Konzils: Absage an Judenmission In einer Gesprächsrunde tauschten Zeitzeuginnen und Zeitzeugen Erinnerungen rund um das Konzil aus. Der Wiener Weihbischof Helmut Krätzl betonte, es sei schon im Jahr seines Dienstantritts im Sekretariat von Kardinal Franz König - noch vor Nostra Aetate - von der Wiener Kirchenführung keine Judenmission mehr gewollt worden. Kardinal König habe sich schon damals die Sichtweise des Konzils angeeignet. Für Ruth Steiner, Vorstandsmitglied des Koordinierungsausschusses für christlich- 4/6 jüdische Zusammenarbeit und des österreichischen Mauthausen Komitees, ist es wesentlich, dass jüdische Gläubige nicht von Christinnen und Christen missioniert werden. Um das verstehen zu können, müssten Christen ausreichend Information über das Judentum und seine bleibende theologische Würde haben. Steiner berichtete vom Zeugnis ihrer katholischen Großmutter, die bereits in den 30er Jahren Jesus als jüdischen Menschen verstanden hatte. Sie meinte jedoch damals, Juden sollten Christus als einen der ihren nicht verleugnen. Diesen Standpunkt hätte ihre Großmutter nach Nostra Aetate wahrscheinlich aufgegeben. Bischof Krätzl betonte, in dieser Welt gäbe es so viele Menschen, die ihr Herz an falsche Götter hängten oder auf der Suche nach Halt wären. Ihnen solle die frohe Botschaft gebracht werden und nicht jenen, die ohnehin im Bund mit dem Gott Abrahams stünden. Krätzl sagte, die Judenmission sei heute ersetzt durch "kennen Lernen und Information". Dies sei der Weg, an den er sich als Priester und Bischof gehalten habe. Für Professor Kurt Schubert stand bei aller Zuneigung zum Judentum nie zur Diskussion zu konvertieren. "Als Christ habe ich ohnehin Anteil an den Verheißungen des Volkes Israel und umgekehrt sind sie bereits dort, wo Christen erst hin müssen: in die bleibende Bundestreue Gottes", betonte er. Sr. Mechthild Vahle, langjährige Generaloberin der Kongregation "Unsere liebe Frau von Sion" erzählte vom Erneuerungsprozess ihrer Gemeinschaft weg von allen Bemühungen, Juden zu missionieren. Heute sieht es der Orden als seine Aufgabe an, Zeugnis für die jüdischen Quellen des Christentums zu geben, über das Judentum zu informieren und Möglichkeiten der Zusammenarbeit konkret wahrzunehmen. Ein beispielhaftes Leben dafür führte Sr. Hedwig Wahle, deren segensreiches Wirken hier in Wien noch gut in Erinnerung sei. Kardinal Lustiger: "Juden ausrotten bedeutet, Gott selbst auszurotten" Das Wort Papst Benedikts XVI. von den an "wachsendem Vertrauen orientierten geschwisterlichen Beziehungen zwischen Judentum und Christentum" stellte Kardinal Jean-Marie Lustiger am Sonntagabend im Wiener Kardinal-König-Haus in den Mittelpunkt seines Abschlussvortrags beim Symposion zum 40. Jahrestag der Konzilserklärung Nostra Aetate". Das Vertrauen zwischen Juden und Christen sei - ausgehend von Nostra Aetate - dank "der Gesten und der inspirierten Worte Johannes Pauls II. wieder gefunden" worden, sagte der Pariser Alterzbischof. Kardinal Lustiger erinnerte zugleich daran, dass die - ebenfalls 1965 verabschiedete Konzilserklärung über die Religionsfreiheit ("Dignitatis Humanae") betont habe, dass die katholische Kirche die Freiheit eines jeden respektieren muss, "um ihrem eigenen Glauben treu zu bleiben". Wörtlich sagte der Pariser Alterzbischof in diesem Zusammenhang: "Was immer auch geschehen mag, eine neuerliche Inquisition wird es nicht geben". Nur das Vertrauen und die gegenseitige Achtung ermöglichten es, praktisch zusammenzuarbeiten "in der Verteidigung und Förderung der Menschenrechte und der Heiligkeit des menschlichen Lebens, für die Werte der Familie, für soziale Gerechtigkeit und für den Frieden in der Welt", wie es Papst Benedikt XVI. bei seinem Besuch in der Kölner Synagoge formuliert habe. Eingangs hatte Kardinal Lustiger an das Wort Johannes Pauls II. von den Juden als den "älteren Brüdern" der Christen bei dessen Besuch in der römischen Synagoge erinnert. In der Heiligen Schrift gebe es unterschiedliche Beispiele für die Beziehungen von Brüdern, das Buch "Genesis" führe ein erstes Beispiel vor Augen, das erschaudern lässt: Abel und Kain. Lange Zeit habe er gedacht, dass diese Polarität es ermöglicht, die Ausrottung der Juden in ihrer geistigen Natur zu erfassen, sagte Lustiger. Tatsächlich sei aber das nazistische Unterfangen in der Schoa weiter gegangen: Denn Juden auszurotten, bedeute, Gott selbst anzugreifen, "da die Juden jenes Volk darstellen, das für immer Zeuge der Offenbarung auf dem Sinai ist und durch das die Kenntnis der Gebote allen Völkern übertragen wird". Die letztendliche Erklärung des Wahnsinns der Schoa bestehe im "Trachten nach 5/6 der Allmacht". Lange Zeit habe nach dem Bild von Jakob und Esau auch die so genannte "Substitutionstheorie" (dass die Kirche an die Stelle des Volkes Israel getreten sei) das Verhältnis von Christen und Juden bestimmt, erinnerte Kardinal Lustiger. Um diese Theorie zu legitimieren, habe es nicht an Beschuldigungen gegen die Juden gefehlt. Trotzdem habe die Kirche niemals der Versuchung des Marcion nachgegeben, der im 2. Jahrhundert jede Spur des Ersten Testaments aus der Bibel austilgen wollte. Ein drittes Beispiel brüderlicher Beziehungen werde in der Bibel genannt, betonte der Pariser Alterzbischof: Die Begegnung Josephs mit seinen Brüdern in Ägypten. In diesem Zusammenhang zitierte Kardinal Lustiger das Wort Benedikts XVI. bei der Begegnung in der Synagoge von Köln: "Wir müssen uns noch viel mehr und viel besser gegenseitig kennen lernen". Der Papst habe aber auch dazu aufgerufen, "Fortschritte zu machen in der theologischen Einschätzung der Beziehung zwischen Judentum und Christentum". Dabei gehe es darum, so Lustiger, den Standpunkt des jeweils Anderen "zu verstehen und zu akzeptieren", nicht nur ihn zu tolerieren. Hier gelte ein weiterer Ratschlag Benedikts XVI.: "In diesem Dialog kann es nicht darum gehen, die bestehenden Unterschiede zu übergehen oder zu verharmlosen: Auch und gerade in dem, was uns auf Grund unserer tiefsten Glaubensüberzeugung voneinander unterscheidet, müssen wir uns gegenseitig respektieren". Über hundert christliche und jüdische Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Tagung nutzten die Gelegenheit, sich mit einem anspruchsvollen Programm auseinander zu setzen. Der Bogen reichte von aktuellen politischen Fragen von der Gefahr des Antisemitismus bis zu einer Solidarität der Christinnen und Christen mit dem Staat Israel, hin zu zukünftig zu entwickelnden theologischen Perspektiven. Die Frage der Judenmission wurde im Publikum kontrovers diskutiert. Die Pausen wurden intensiv für Diskussion und Begegnung genützt. Möge der Impuls dieses Wochenendes auf die Kirche(n) ausstrahlen und sie ermutigen, entschieden dem Antisemitismus entgegen zu treten und den Weg der christlich-jüdischen Erneuerung weiter zu gehen. Editorial remarks Kathpress, Markus Himmelbauer 6/6 Powered by TCPDF (www.tcpdf.org)