Beurteilungsgrundlagen und Risikobetrachtung Aufgrund der Ausdehnung der Geschosse und der Nutzung als Hochschulgebäude klassifizierte hhpberlin das Neubauensemble größtenteils als Sonderbau. Das Praktikums- sowie das Institutsgebäude wurden dabei der Gebäudeklasse 5 zugeordnet, da die Oberkante des Fertigfußbodens (OK FF) des höchstgelegenen Aufenthaltsraumes bei ca. 13,54 Metern gegenüber dem mittleren Geländeniveau liegt. Das Hörsaalgebäude konnte aufgrund der Lage von ca. 4,87 Metern gegenüber dem mittleren Geländeniveau in die Gebäudeklasse 3 eingestuft werden. Bei der Planung des Brandschutzes für das Gebäudeensemble legte hhpberlin die bauordnungsrechtlichen Anforderungen des Landes Hessen zugrunde und bewertete den Neubau nach der Hessischen Bauordnung. Hinzu kam, dass das Praktikumsgebäude zum Teil und das Hörsaalgebäude komplett nach der MusterVersammlungsstätten-Verordnung geplant werden mussten. Bild: Gerber Architekten Besondere Aufmerksamkeit verlangte das Institutsgebäude mit dem integrierten Laborbereich. Geplant sind größtenteils Labore der Schutzstufe S1 – lediglich in einzelnen Räumen sind Labore der Klasse S2 gemäß Gefahrstoff-Verordnung vorgesehen. Diese S2-Labore sind in der Ebene -1 untergebracht und öffnen sich zum Innenhof. Hier stimmt die Chemie Laboratorien müssen nach den einschlägigen Vorschriften sowie nach dem Stand der Technik gebaut und betrieben werden – z. B. nach der Gefahrstoffverordnung GefStoffV, den berufsgenossenschaftlichen Regeln BGR 120 sowie den technischen Regeln für Gefahrstoffe TRGS 526. Allerdings müssen im Labor nur die Schutzmaß- Sie trägt den Namen eines der wichtigsten Wegbereiter der modernen Chemie nahmen getroffen werden, die erforderlich sind, um die ermittelten Gefährdungen zu beherrschen – diese müssen jedoch immer auch anhand von Regelwerken über- – die Justus-Liebig-Universität in Gießen. Nun bekommt der Fachbereich Chemie prüft und beurteilt werden. einen großzügigen und offen gestalteten Neubau. Unter Beachtung der GefStoffV, BGR 120 und TRGS 526 handelt es sich bei den geplanten Laboratorien der Universität Gießen um die Sicherheitsstufen S1 und S2 – also um Räume ohne besondere Gefährdung. Diese Einordnung macht keine über die Hessische Bauordnung hinausgehenden Anforderungen an die Schutzziele erforderlich. Im Falle eines Brandes ist es daher zulässig, z. B. Fenster des Laboratoriums Das neue Gebäudeensemble besteht aus einem fünfgeschossigen Institutsgebäude, zu zerstören und dadurch Rauchgase ins Freie abzulassen. Der Löschangriff ist durch einem begrünten Innenhof und einem großen Hörsaalzentrum. Einsatzkräfte der örtlichen Feuerwehr möglich. In diesem Frühjahr konnte bereits Richtfest gefeiert werden – 16 Monate nach dem ersten Spatenstich. Nach der Fertigstellung Ende 2013 wird der Neubau Chemie am Campus der Naturwissenschaften sechs Institute unter einem Dach vereinen. Aus der Vogelperspektive: Rund 100 Millionen Euro investiert der Bauherr, das Land Hessen, in das Chemie- Die neuen Gebäude gebäude, das mit rund 14.000 Quadratmetern vom Dortmunder Architekturbüro des Fachbereichs Gerber entworfen wurde. hhpberlin ist mit dem Brandschutzkonzept und der Bau- Chemie an der Justus- begleitung für das Projekt beauftragt. Liebig-Universität Ein transparentes und hochmodernes Gebäudeensemble Hauptaugenmerk bildet die über die gesamte Gebäudelänge verlaufende Magistrale, die das Gebäude im Inneren erschließt und es in einen Praktikums- und einen Institutsbaukörper mit Arbeits- und Laborbereichen gliedert. Beide Baukörper sind über verglaste Brücken miteinander verbunden, von denen man auf die Grünanlagen des Innenhofes schaut. Westlich schließt sich der freistehende Hörsaalkomplex als scheinbar eigenständiger Bau an. Unterirdisch ist dieser aber mit der Magistrale verbunden und bietet so einen schnellen Übergang zu Seminar- und Institutsräumen. 20 Projekte brandnews ZWEI.12 brandnews ZWEI.12 Projekte 21 Besonderheiten des Brandschutzkonzeptes Den Brandschutz für den Neubau der Justus-Liebig-Universität plante hhpberlin in enger Abstimmung mit der Feuerwehr Gießen. So wurde die Architektur mit der Gebäudenutzung und den Erfordernissen des Brandschutzes optimal in Einklang gebracht. Die offene Magistrale, die als repräsentativer Empfangsbereich dienen soll, konnte beispielsweise nach den Entwurfsplänen offen über fünf Geschosse (-2 bis +2) – ohne weitere brandschutztechnische Abtrennung – mit überwiegend brandlastarmer Möblierung realisiert werden. Im Brandfall wird der Rauch aus der Magistrale maschinell durch Ventilatoren auf dem Dach abgeleitet. In Verbindung mit einer Nachströmung aus den unteren Geschossen über Zugänge und Fassade sowie der unabhängig von der Magistrale erreichbaren Treppenräume kann eine für die Selbstrettung der anwesenden Personen und den Löschangriff der Feuerwehr ausreichend raucharme Schicht sichergestellt werden. Sowohl das Praktikumsgebäude (Bauteil A) als auch das Institutsgebäude (Bauteil B) schließen über Piazza vor dem Neubau des Fachbereichs Chemie alle Ebenen unmittelbar an die Magistrale an. Das Hörsaalgebäude (Bauteil C) verfügt über eine unterirdische Anbindung an die Magistrale. Vor den Hörsälen entsteht zudem ein offenes Foyer über drei Geschosse (-1 bis +1) mit natürlicher Rauchableitung. Fazit Eine Sprinklerung wurde im Gebäudekomplex aufgrund des gewählten Rettungsweg- Maßgeschneidert für den Siegerentwurf von Gerber Architekten hat hhpberlin ein konzeptes unter Berücksichtigung der Muster-Versammlungsstätten-Richtlinie lediglich Brandschutzkonzept erstellt. Besonders durch die enge Abstimmung mit allen beteiligten in der Magistrale und im Foyer Bauteil C erforderlich. Das zum Innenhof hin an die Behörden, den planenden Architekten und dem Bauherrn konnte es erreicht werden, Magistrale angegliederte Dekanat wurde ebenfalls damit ausgestattet, um einen Brand- den anspruchsvollen architektonischen Entwurf umzusetzen. Dafür erforderliche überschlag in das darüberliegende Geschoss zu vermeiden. Eine weitere Löschanlage Abweichungen vom zugrunde liegenden Baurecht konnten durch den Einsatz von (Gas) befindet sich nur noch im Chemikalienlager. In dem Gebäudekomplex sind darüber speziellen Brandschutzmaßnahmen kompensiert werden. Nahezu unmerklich fügen hinaus flächendeckend automatische Brandmelder nach DIN VDE 0833-2 in Verbindung sich diese in den Entwurf ein und ermöglichen so eine ideale Nutzung aller Gebäude. mit einer Alarmierung vorgesehen. Neben den Instituten für anorganische und analytische Chemie sowie organische und Im Praktikums- und Institutsgebäude wurden Bereiche mit bis zu 400 Quadratmetern Lebensmittelchemie werden künftig auch die Biochemie, die Didaktik der Chemie und durch feuerbeständige Wände voneinander abgetrennt. Gleichzeitig wurden die Hörsäle das Physikalisch-Chemische Institut im Neubau der Gießener Universität untergebracht. mit feuerbeständigen Wänden unterteilt. Aus diesem Grund konnte auf weitere Brandwände innerhalb der Praktikums- sowie des Hörsaalgebäudes verzichtet werden. Ledig- Ende 2013 soll der Neubau am Campus der Naturwissenschaften bezugsfertig sein, lich das Institutsgebäude wird mittig durch eine Brandwand über alle Geschosse geteilt. sodass dem Fachbereich Chemie ein fünfstöckiges Institutsgebäude mit geschossübergreifenden Atrien, begrüntem Innenhof, Laboratorien und Hörsaalzentrum zur Das Brandschutzkonzept hat durch diese Aufteilung eine größtmögliche Flexibilität für Verfügung steht – also ein Umfeld, in dem gut gelernt und erfolgreich geforscht die Installation der erforderlichen haus- und labortechnischen Anlagen erreicht. werden kann. Dirk Kohmann Die transparente Fassade des neuen Gebäudeensembles an der Justus-Liebig-Universität in Gießen Über den Autor… Dipl.-Ing. Dirk Kohmann ist Niederlassungsleiter unseres Frankfurter Standortes. Seit mehr als zehn Jahren kümmert er sich um alle Belange des vorbeugenden Brandschutzes – für unsere Kunden, ihre Bauvorhaben und mit engem Kontakt zu den Genehmigungsbehörden. Das Neubauprojekt der Chemiegebäude für die Justus-Liebig-Universität war und ist für Dirk Kohmann ein Herzensprojekt, für das er mit Begeisterung den Brandschutz plante und heute realisiert. Bilder: Gerber Architekten 22 Projekte brandnews ZWEI.12 brandnews ZWEI.12 Projekte 23