Hören – das Tor zu Sprache und Geist - Schwerhoerigen-Netz

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MEDIZIN
EDITORIAL
Hören – das Tor zu Sprache und Geist
Hans Peter Zenner
Editorial zu den
Beiträgen:
„Früherkennung
von Schwerhörigkeiten im Neugeborenen- und
Säuglingsalter“
von Martin Ptok
und „Differenzialdiagnose der
Schwerhörigkeit“
von Thomas
Zahnert
auf den folgenden
Seiten
ören heißt, ein Schallsignal aufzunehmen. Hören bedeutet aber vor allem, ein Schallsignal
aktiv zu verarbeiten. Der Schall wird vom Innenohr
aufgenommen und nicht etwa einfach in ein elektrisches oder biochemisches Signal übertragen, das
dann an das Gehirn weitergegeben wird. Nein: Hören
ist bereits im Innenohr ein aktiver Prozess. Schall ist
Anlass für eine Gruppe von 20 000 Sinneszellen –
den äußeren Haarzellen –, selbst eine Wanderwelle
zu produzieren, die im gesunden Ohr grundsätzlich
nicht identisch ist mit der von außen eintreffenden
Schallwelle. Zumindest wird sie mehr als tausendfach verstärkt und verschärft.
H
Bedeutung des Hör-Sprach-Kreises
UniversitätsHals-Nasen-OhrenKlinik Tübingen:
Prof. Dr. med.
Dr. h. c. mult. Zenner
Wenn Sprache gehört wird, dann hat sie eine dialogische Struktur. Der Hör-Sprach-Kreis ermöglicht eine
Beziehung zwischen Menschen. Gesprochene Worte,
gehörte Worte lassen Menschen miteinander eine
Verbindung aufnehmen. Zuhören ist der kommunikative Weg zur Partizipation und damit zur Erfassung
der individuellen Wirklichkeit unseres Gegenübers.
Teilnahme und Kommunikation sind Fundamente eines humanen Lebens.
Da Zuhören eine Kommunikation und dadurch eine Teilnahme erlaubt, ist damit fast immer eine Hermeneutik verbunden. Das Dahinter, der Sinn sollen
im Bewusstsein erscheinen. Hören ist die dominierende Sinneswahrnehmung, zumindest in den ersten
Jahren des Lebens. Hören spielt eine entscheidende
Rolle für die Erziehung und Bildung, für Glaube und
Emotion, für Sprache und Gewissen (1).
Doch wie geht es dem Menschen, der das Wunder
des Hörens nicht erleben darf? „Nicht zu sehen
trennt von den Sachen, nicht zu hören von den Menschen“ ist ein Gedanke, der auf Kant zurück geht.
Martin Ptok weist auf die Bedeutung des Hörscreenings bei Neugeborenen hin (2). Ein Hörscreening ist
unabdingbar, um die frühkindliche Schwerhörigkeit zu
entdecken. Nur wenn Schwerhörigkeit und Gehörlosigkeit rechtzeitig erkannt werden, können die modernen Verfahren der Otologie – wie zum Beispiel Hörgeräte, eine Operation oder die Einbringung eines Cochlea-Implantats – dem Kind in der Hauptplastizitätsphase des Gehirns erlauben, die Muttersprache zu erlernen.
Thomas Zahnert weist auf die schwerwiegenden
sozialen Folgen für den Erwachsenen hin, bei dem
der Hörverlust sich mit dem Verlust des Sprachverstehens in unglücklicher Weise verbindet (3). Sozialer Rückzug, sei es privat, sei es beruflich, sind nicht
selten die Folge.
Deutsches Ärzteblatt | Jg. 108 | Heft 25 | 24. Juni 2011
Schwerhörigkeit – ein Tabuthema
Wir Hörenden, die wir das Hören als selbstverständlich ansehen, wir verdrängen diejenigen, die es nicht
können, in eine gesellschaftliche Minoritäts- und
Marginalsituation. Die Masse der hörenden Menschen ist einerseits erfahrungsgemäß nur im begrenzten Ausmaß bereit, zeitweise Bedingungen
hinzunehmen, die ein volles Einbeziehen einzelner
Gehörloser in dem lautsprachigen Umgang gewährleisten. Andererseits ist bereits ein Fünftel der
Deutschen schwerhörig. Viele Hörenden bemerken
es nicht, denn Schwerhörigkeit ist nach wie vor ein
Tabu.
Die Schwerhörigkeit ist eine stille Krankheit in
zweifacher Hinsicht: Der Kranke hört Stille, und er
spricht nicht von seiner Schwerhörigkeit, er bekennt
sich nicht dazu – er zieht sich in die kommunikative
Isolation zurück –, der Hör-Sprach-Kreis ist zerstört.
Interessenkonflikt
Prof. Zenner hält zahlreiche Patente, die mit der Behandlung von Hörstörungen
im Zusammenhang stehen. Er hat Forschungsgelder oder Kongressunterstützung von den Firmen Otologics, Cochlea sowie Med-El erhalten.
LITERATUR
1. Zenner HP: Hören, Wahrnehmung, Kommunikation. HNO I 1995; 2:
39–58.
2. Ptok M: Early detection of hearing impairment in newborns and infants. Dtsch Arztebl Int 2011; 108(25): 426–31.
3. Zahnert T: Differenzialdiagnose der Schwerhörigkeit. Dtsch Arztebl Int
2011; 108(25): 432–43.
Anschrift des Verfassers
Prof. Dr. med. Dr. h. c. mult. Hans-Peter Zenner
Universitäts-Hals-Nasen-Ohren-Klinik
Elfriede-Aulhorn-Straße 5
72076 Tübingen
[email protected]
Hearing—the Gateway to Speech and Cognition
Zitierweise
Zenner HP: Hearing—the gateway to speech and cognition. Dtsch Arztebl Int
2011; 108(25): 425. DOI: 10.3238/arztebl.2011.0425
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The English version of this article is available online:
www.aerzteblatt-international.de
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