wussten Sie, … erstaunliches zu radioaktivität und entsorgung wussten Sie, … 2 Impressum Zu diesem Heft Radioaktivität ist ein Teil der Natur und deshalb allgegenwärtig. Dieses Themenheft zeigt verschiedene Aspekte der Radioaktivität in unserem Alltag und in Bezug auf die Entsorgung radioaktiver Abfälle. Zum Weiterlesen www Bei verschiedenen Themen in diesem Heft wird auf andere Veröffentlichungen hingewiesen. Nagra-­ Broschüren können kostenlos bestellt oder direkt von www.nagra.ch heruntergeladen werden. Links www Weitere Informationen und eine Zusammenstellung interessanter Links zu den aufgeführten Themen finden Sie auf unserer Website www.nagra.ch. Wussten Sie, … Erstaunliches zu Radioaktivität und Entsorgung Die Nagra veröffentlicht in loser Abfolge ­ Themenhefte zur nuklearen Entsorgung Mai 2013 Inhalt Wussten Sie, … …, dass Männer rund 1,5 mal stärker «strahlen» als Frauen? 4 –5 …, dass die Maus im Keller gefährlicher ­lebt als auf dem Dachboden? 6–7 …, dass Radioaktivität Pfeffer und ­andere Gewürze haltbar macht? 8–9 ..., dass man radioaktive Stoffe in der Medizin nutzt? 10 – 11 …, dass auch Erdwärme «Kernenergie» ist? 12 – 13 …, dass in vielen Gesteinen und ­Rohstoffen radioaktive Stoffe ­enthalten sind? 14 – 15 …, dass zwei Meter Gestein Strahlung zuverlässig abschirmen? 16 – 17 …, was wäre, wenn bereits Napoleon ein Tiefenlager gebaut hätte? 18 – 19 3 wussten Sie, … 4 …, dass Männer rund 1,5 mal stär Die ganze Welt ist leicht radioaktiv – Luft, Gestein, Wasser, Pflanzen, Tiere und auch wir Menschen. Natürliche Strahlung gibt es auf unserer Erde schon immer. Sie kommt aus dem Weltraum und aus dem Boden und ­Gestein (Bild 1). In den Bergen ist die natürliche Strahlung in der Regel höher als im Flachland und bei Granitgesteinen höher als bei Kalkgesteinen (Bild 2). Auch Nahrung und Atemluft enthalten geringe Mengen natürlicher radio­aktiver Isotope. Durch die Nahrung aufgenommene radioaktive Isotope (z. B. Kalium, Bild 3) verbleiben zum Teil im Körper. Daher weist ein 20 bis 30 Jahre alter Mensch mit 70 Kilogramm Körper­gewicht eine ­innere Radioaktivität von rund 9000 Becquerel auf. Ein Becquerel bezeichnet einen Zerfall pro Sekunde. In einem menschlichen ­Körper zerfallen also 9000 Atomkerne pro Se­kunde und senden ­dabei ionisierende Strahlung aus. Pro Tag ergibt dies fast 800 Millionen Z ­ erfälle. Nagra, U. Frick 2 Im Gebirge aus Granitgestein (im Bild Landschaft am Grimselpass) ist die Strahlung aus Boden und Gestein höher als im sedimentbedeckten Flachland. 1 Die natürliche Strahlung stammt vor allem aus dem Zerfall von radioaktiven Isotopen im Gestein (terrestrische Strahlung). Ein weiterer Teil gelangt kontinuierlich aus dem Weltall auf die Erde (kosmische Strahlung). Dreamstime 3 Diese Lebensmittel enthalten relativ viel Kalium. Davon ist der Anteil von 0,012 Prozent radioaktiv. 5 ker «strahlen» als Frauen? Radioaktive Isotope im Körper Kalium ist ein lebenswichtiges Element für den Stoffwechsel. Das radioaktive Isotop Kalium-40 kommt im ­natürlichen Kalium mit einem Anteil von 0,012 Prozent vor und zerfällt mit einer Halbwertszeit (Bild 4) von 1,3 Milliarden Jahren. Kalium wird vor allem in der Muskulatur des gesamten Körpers eingebaut (Bild 5). Bei Männern ist der Anteil Muskelgewebe am Gesamtkörper grös­ser als bei Frauen. Deshalb haben Männer einen hö­ heren Kalium­gehalt. Kalium trägt mit rund 4500 Becquerel bei 20 bis 30 Jahre alten Männern und 3000 Becquerel bei gleichaltrigen Frauen wesentlich zur inneren Strahlenexposition bei. Ebenso unterscheiden sich Sportler von Sportmuffeln. Erstere besitzen mehr Muskelmasse und sind deshalb radio­aktiver als ihre trägen Zeitgenossen. Unser Körper kann offen­sichtlich mit einer gewissen Menge Radio­aktivität und den damit ­verursachten Schäden gut umgehen. Die Zellen ver­fügen über Reparaturmechanismen, die solche Strahlenschäden reparieren können. Zerfallsgesetz Radioaktive Atome 0 1/2 M. Tresch, Harenwilen 5 Kalium im Körper wird vor allem in Muskeln eingebaut. 1/4 1/8 1/16 0 1 2 3 4 Halbwertszeiten 4 Innerhalb einer Halbwertszeit zerfallen die Hälfte der Kerne eines radioaktiven Isotops. Die Halbwertszeit ist von Isotop zu Isotop verschieden. Sie kann Bruchteile von Sekunden bis Milliarden von Jahren betragen. wussten Sie, … 6 …, dass die Maus im Keller gefährl Radon ist ein radioaktives Gas, das durch den Zerfall von Uran und Thorium im Untergrund entsteht. In Gebäuden kommt Radon gegenüber der Aussenluft oft in erhöhter Konzentration vor und trägt wesentlich zur Strahlenbelastung bei. Radon entsteht beim Zerfall von natürlichem Uran und Thorium im Boden und Gestein. ­Radon-222 ist Teil der Zerfallsreihe von Uran-238 und besitzt eine Halbwertszeit (vgl. Seite 5) von 3,82 Tagen. Das radioaktive Gas gelangt zunächst in Kellerräume und von dort in höher gelegene ­Räume (Bild 1), wo es immer mehr verdünnt wird. Dabei ist entscheidend, wie gasdurchlässig Boden und Gestein sind und wie gut das Haus abgedichtet ist. Die natürliche radioaktive Belastung durch Radon nimmt in einem Gebäude von unten nach oben ab. Regelmässiges Lüften hilft, die Radon­kon­zen­ tration in den Räumen tief zu halten. Das ­Eindringen von Radon in Gebäude kann durch bauliche Mass- Radon aus Baumaterial Risse Fugen Hauptstrahlungsquelle Radon Mehr als 50 Prozent der mittleren jährlichen Strahlendosis einer Person in der Schweiz gehen auf Radon zurück (Bild 2). Allerdings ist die natür­ liche Belastung in der Schweiz sehr unterschiedlich und hängt von Boden und Gestein ab (Bild 3). Im Wohnbereich stellt Radon in erhöhten Konzentrationen den gefährlichsten Krebserreger dar. Es sind vor allem die sehr kurzlebigen Zerfalls­ produkte des Radons, die sich an Staub­partikel in der Raumluft anlagern, in der Lunge angereichert werden und dort grösstenteils zerfallen, bevor sie überhaupt in ­andere Körperteile gelangen können. Nach dem Rauchen ist das ­natürliche Radon in der Schweiz die zweithäufig­ste Ursache für Lungenkrebs. 1 Wege für Radongas in einem Haus. Die Hauptquelle sind in der Regel Boden und Gestein unter dem Haus. Entlang Rissen, Fugen und Poren im Mauerwerk sowie entlang von Leitungsrohren gelangt das radioaktive Gas als erstes in Kellerräume und von dort in höher gelegene Räume. Ventilation Wasserzuleitung Kanalisation Radon aus dem Boden nahmen, insbesondere Abdichtungen oder Bodenentlüftung, stark reduziert werden. 7 icher lebt als auf dem Dachboden? 4 5 1a 3 künstlich natürlich 2 1b 1 Körperinnere Bestrahlung a) durch Nahrung verursacht 0.35 mSv b) durch Atemluft in Wohnräumen verursacht (Radon und Zerfallsprodukte) 3.2 mSv 2 Strahlung aus Boden und Gestein 0.35 mSv 3 Kosmische Strahlung 0.4 mSv 4 Medizinische Anwendungen 1.2 mSv 5 Übrige: industrielle Anwendungen inklusive Atombombentests, Tschernobyl, Kernanlagen, Forschung Total < 0.1 W4 mSv 5.5 mSv Die Dosen aus medizinischen Anwendungen und bei Radon weisen eine grosse Streubreite auf. 2 Mittlere jährliche Strahlendosis für eine Person in der Schweiz gemäss Bundesamt für Gesundheit (2010). Zum Weiterlesen Bundesamt für Gesundheit: Strahlung, Radioaktivität und Schall (Stichwort Radon) www.bag.admin.ch/themen/strahlung www www.radon.ch 3 Radon kommt verstärkt in ­Gebieten mit hohem Uran- und Thorium­gehalt im Boden und Gestein vor. «Radongebiete» finden sich vor allem in den Alpen und im Jura. wussten Sie, … 8 …, dass Radioaktivität Pfeffer und Radioaktivität kommt ausserhalb der Energie­ gewinnung in Kernkraftwerken in verschiedenen Bereichen unseres Alltages zum Einsatz. ­ ndere Länder wenden diese Methode bei LebensA mitteln in grösserem Umfang an (z. B. Frankreich, Belgien, Holland, England). Radioaktive Stoffe werden in der Industrie und Technik, in der Medizin sowie in der Forschung genutzt. In verschiedenen Ländern werden sie auch bei der Bekämpfung von Krankheitserregern und Schädlingen eingesetzt. Behandlung von Lebensmitteln Durch Behandlung mit ionisierenden Strahlen (vgl. Bild 1) können Lebensmittel länger halt­bar gemacht und Krankheitserreger abgetötet ­werden. Die bestrahlten Lebensmittel müssen ­entsprechend gekennzeichnet werden. Die behandelten Stoffe werden durch die Bestrahlung nicht radioaktiv. In der Schweiz erteilte das Bundesamt für Gesund­ heit 2007 eine Bewilligung zur Bestrahlung von getrockneten Kräutern und Gewürzen (Bild 2). ©Pitopia, Katharina 2009 2 Getrocknete Kräuter und Gewürze können mit ionisierenden Strahlen behandelt werden, damit sie besser haltbar sind. Lebensmittel oder anderes Material wird bestrahlt Strahlenquelle aus Abschirmbehälter herausgehoben 1 Anlage zur Bestrahlung von Lebensmitteln oder zur Sterilisierung von medizinischem Verbrauchsmaterial. W4 9 andere Gewürze haltbar macht? Weitere technische Anwendungen Eine wichtige und verbreitete Anwendung ist die Sterilisierung von medizinischem Material (vgl. Bild 3). Schreiber GmbH, Fridingen 3 Diese Skalpellklinge wurde mit Strahlung sterilisiert (vgl. Hinweis «sterilized by γ-radiation» auf der ­Packung). In Industrie und Technik werden Strahlenquellen zur zerstörungs- und berührungsfreien Materialprüfung eingesetzt. Beispiele sind die Prüfung von Schweissnähten, Qualitätskontrollen im Flugzeugund Schiffsbau, aber auch Dickemessungen von Stahlplatten und Blechen. Verschiedene radiometrische Messtechniken werden eingesetzt, wenn wegen spezifischer Bedingungen (z. B. aggressive chemische Substanzen, hohe Drucke oder Temperaturen) ein direkter Zugang zum Messgut schwierig oder nicht möglich ist. Die Messung erfolgt dann durch Tankwände oder Rohrleitungen hindurch. Solche Anwen­ dungen (vgl. Bild 4) spielen zum Beispiel in der chemischen Industrie, bei der Papierherstellung oder Zementproduktion eine Rolle. Bis vor wenigen Jahren spielten radioaktive Stoffe in Leuchtfarben von Uhrzifferblättern eine wichtige Rolle. Heute kommen solche Leuchtfarben nur noch für Spezialzwecke zum Einsatz (z. B. Bild 5). Detektor γ-Quelle Füllstandsmessung Endress+Hauser GmbH 4 Bei der Füllstandsmessung wird die Stärke der Absorption von Gammastrahlen zwischen einer γ-Quelle und einem Detektor gemessen. Daraus lässt sich die Spiegelhöhe des Mess­ gutes bestimmen. Nach dem selben Prinzip funktionieren zum Beispiel auch Dichtemessungen oder Überfüll­ sicherungen. 5 Tritiumlichtquellen verlieren erst in 12,3 Jahren (Halbwertszeit von Tritium) die Hälfte ihrer Leuchtkraft. wussten Sie, … 10 …, dass man radioaktive Stoffe in Vor der Strahlung radioaktiver Stoffe muss man sich schützen, da sie unsere Organe schädigen und die Körperfunktionen beeinträchtigen kann. In der Medizin gibt es Anwendungen von radio­ aktiven Stoffen (ionisierender Strahlung), die posi­tive Auswirkungen haben und die häufig zum Einsatz kommen. Ionisierende Strahlung kann zum Schutz der Gesund­heit beitragen, heilen und Leben retten. In der Medizin werden radioaktive Stoffe in Unter­ suchungen (Diagnose) und bei Behandlungen (Therapie) eingesetzt. Bei der Abtötung von Krebs- zellen (Tumoren) oder bei der Sterilisierung von medizinischem Material werden starke Quellen verwendet. Einsatz radioaktiver Stoffe bei Unter­ suchungen Praktisch alle Organe können mit radioaktiven Markierstoffen untersucht werden. Dazu ver­ab­ reicht man radioaktive Stoffe mit kurzer Halb­ werts­zeit, die Gammastrahlung aus­senden, welche den Körper durchdringt und von aussen gemessen werden kann. Es werden bis einige Hundert Mil­ lionen Becquerel Aktivität pro Untersuchung eingesetzt (vgl. mit Werten in Tabelle Seite 14). Mit Gammakameras wird die austretende Strahlung als Szintigramme aufgezeichnet. www.paratonnerres-radioactifs.fr Eine sehr häufige Anwendung ist die Unter­suchung der Schilddrüse. Radioaktives Iod wird dem Pa­ tienten verabreicht. Es sammelt sich in der Schilddrüse an. Die Strahlung bildet das Organ ab. Eine weitere häufig eingesetzte Methode ist die Positronen-Emissions-Tomografie (PET). Man wendet Früher versprach man sich von der Anwendung von Radioaktivität (im Bild Werbung für radio­akti­ve Unterwäsche!) zum Teil Hilfe und Schutz gegen unterschiedlichste Leiden. Dabei wurden in Kuren sogar grosse Mengen Radioaktivität eingenommen oder eingeatmet. Heute kennt man die Ge­ fahren der Anwendung radioaktiver Stoffe und wendet diese nur unter grossen Sicherheitsvorkehrungen an, und nur wenn die Vorteile mögliche Nachteile deutlich überwiegen. Ionisierende Strahlung Beim «radioaktiven Zerfall» entstehen Gamma­ strahlung, Betastrahlung und Alphastrahlung. Während Gammastrahlung den Körper durchdringt, wird Beta- und Alphastrahlung vom unmittelbar benachbarten Gewebe absorbiert. Weiter gehört auch die Röntgenstrahlung und die Neutronenstrahlung zur ionisierenden Strahlung. Die bei Untersuchungen häufig eingesetzte Röntgenstrahlung wird mit ein- und ausschaltbaren Röntgenröhren erzeugt, ­dabei werden keine radioaktiven Stoffe benötigt. 11 der Medizin nutzt? sie vor allem in der Krebsdiagnose an. Dem Pa­ tient wird eine radioaktiv markierte Substanz (z. B. Traubenzucker) verabreicht, die sich über den ganzen Körper verteilt. Lage und Struktur der Orga­ne werden mit dem PET-Scanner aufgenommen und in Schnittbildern abgebildet. W4 Mit Radioaktivität Krebs behandeln In der Behandlung wendet man starke externe Strahlenquellen an, welche die Krebszellen in Tumoren gezielt abtöten. Oder man setzt Strahlenquellen direkt in den Körper ein; dabei ­kommen vor allem Betastrahler zum Einsatz, die nur das unmittelbar benachbarte Gewebe bestrahlen. Als Beispiel ist hier die sogenannte Radioembolisation von Lebertumoren dargestellt (vgl. Bild 1). Radioaktive Kunstharzkügelchen mit Yttrium-90 von einer Grösse von rund 0,03 Millimeter werden in die Blutbahn der Leber gespritzt und bleiben dort hängen. Über mehrere Tage wird dadurch Krebsgewebe abgetötet. 1 Behandlung von Lebertumoren: Vor der eigentlichen Behandlung wird mit einem radioaktiven Kontrastmittel die Leber untersucht (Bild oben). Später werden radioaktive Kunstharzkügelchen (Bild unten) in die Leber gespritzt. Die Kügelchen enthalten radioaktives Yttrium-90 (Halbwertszeit 64 Stunden). Das Yttrium sendet Betastrahlung aus, die das benachbarte ­Gewebe (Eindringtiefe wenige Millimeter) während einiger Tage bestrahlt und abtötet. imago/Sabine Gudath wussten Sie, … 12 …, dass auch Erdwärme «Kernen Unter der Erdoberfläche steckt viel Wärme. ­Diese wird zunehmend zur Energieversorgung genutzt. Radioaktive Zerfallsprozesse in der Erdkruste sor­­gen für rund zwei Drittel der Erdwärme. In Mine­ralen eingebaute radioaktive Isotope von Uran, Thorium oder Kalium sind vor allem dafür verantwortlich. Die angenehmen Lebensbedingungen an der Erdoberfläche sind damit auch eine Folge der Radioaktivität. Das letzte Drittel der Erdwärme stammt aus der Zeit der Erd­entstehung. Als sich Materie im All zur Erde ­zusammenballte, wurde potenzielle Energie in Wärme umgewandelt. Weil Gesteine Wärme schlecht leiten, ist ein Rest dieser Wärmeenergie immer noch im Erdkern vorhanden und wird nur sehr langsam zur Erdoberfläche hin abgegeben. Im Durchschnitt nimmt die Temperatur in der Erdkruste gegen die Tiefe mit rund 30 Grad Celsius pro Kilometer zu. 99 Prozent der Erdkugel sind­ heisser als 1000 Grad Celsius. Der Temperatur­ Nagra unterschied zwischen Sommer und Winter wirkt sich nur 10 bis 20 ­Meter in die Tiefe aus. Darunter bleibt die Temperatur des Untergrunds im Jahresverlauf weitgehend stabil. Nutzung gestern und heute Der Gebrauch von heissem Quellwasser gilt als ­älteste Form der Erdwärmenutzung. Thermal­bäder profitieren von solchem Wasser, das natürlich an der Oberfläche austritt oder aus Bohrungen gefördert wird. In der Schweiz ist die Nutzung von Erdwärme zur Heizung von Wohn- und Bürogebäuden mit Erdwärmesonden (Bild 1) über Wärmepumpen weit verbreitet und wird weiterhin ausgebaut. Zum Weiterlesen Schweizerische Vereinigung für Geothermie www.geothermie.ch www www.tropenhaus-frutigen.ch 1 In der Schweiz sind derzeit schon über 160 000 Wärme­ pumpen installiert. Die Bohrungen für die ­Erdwärmesonden reichen meist 50 bis 300 Meter in die Tiefe. Bei der Nutzung der Geothermie in Form von ­Niedertemperaturwärme nimmt die Schweiz inter­ national einen Spitzenplatz ein. 13 ergie» ist? Schweizer Kaviar und Tropenfrüchte Erdwärme wird auch in Form von Bergwässern genutzt. Warme Abwässer aus Tunnels dürfen aus Umweltschutzgründen nicht direkt in Flüsse eingeleitet werden. Sie können aber zum Heizen von nahe gelegenen Siedlungen oder Treibhäusern ­genutzt werden. Dies geschieht beispielsweise in Frutigen (BE), wo auf diese Weise tro­pische Früchte und Störe (Bild 2) gezüchtet werden. Nutzung der Geothermie in Island W4 In Island werden rund 90 Prozent aller Haushalte durch Erdwärme geheizt und mit Warmwasser versorgt. Fünf grosse geothermische Kraftwerke (Bild 3) produzieren rund 20 Prozent der elek­ trischen Energie für die Insel. Es ist zudem so viel warmes Wasser vorhanden, dass damit im Winter sogar Strassen geheizt werden können. Nagra 2 Das Tropenhaus Frutigen wird mit Berg­wasser aus dem Lötschbergtunnel beheizt. Dadurch können in einem Gewächshaus tropische Früchte angebaut und eine Fischzucht betrieben werden. Prisma 3 Geothermisches Kraftwerk Nesjavellir im Südwesten von Island. wussten Sie, … 14 …, dass in vielen Gesteinen und Stoffe enthalten sind? Radioaktivität ist etwas Natürliches und es gibt sie eigentlich überall – in der Luft, im Wasser, im Boden und Gestein. Die Konzentration an radio­ aktiven Stoffen ist in diesen Medien aber sehr unter­schiedlich. Während in der Biosphäre in Luft und Wasser nur wenige Becquerel Aktivität pro Liter oder Kilogramm vorhanden sind, findet man in Böden und im Gestein bis um tausendfach höhere Werte ­(Bilder 1 und 2). Die höhere Strahlung in den ­Gesteinen wird vor allem durch natürliches Uran und Thorium (mit ihren radioaktiven Zerfallsprodukten) sowie Kalium verursacht. Die unterschiedliche Konzentration von radioaktiven Stoffen im Untergrund zeigt sich auch im Profil der Tiefbohrung Weiach (vgl. Bild 4). Die oben liegenden Sand- und Siltsteine der Tertiär-Schichten sind viel radioaktiver als die tiefer folgenden Kalksteine (Meeresablagerungen). Im Meer gebildete Kalksteine enthalten kaum radioaktive Stoffe, da sie meist wenig vom Land her eingeschwemmte Gesteinsteilchen enthalten. Die noch tiefer folgen- Aktivität natürlicher radioaktiver Stoffe in 1 kg Braunkohle 40 Bq 1 kg Kalkstein/Marmor 120 Bq 1 kg Steinkohle 280 Bq 1 kg Basalt 325 Bq 1 kg Sandstein/Quarzit 545 Bq 1 kg Flugasche (nicht spezifiziert) 900 Bq 1 kg Ton/Lehm 1 100 Bq 1 kg Granit 1 220 Bq 1 kg Phosphat-Kali-Dünger (Deutschland) 6 300 Bq 500 000 Bq 1 kg Uranerz (0,3 %)1) 1 kg Uranerz (15 %) 25 000 000 Bq Bq = Becquerel (1 Bq = 1 Zerfall pro Sekunde) 1) Angabe aus www.nucleonica.net; alle anderen Angaben (gerundet) aus: BMU Bonn «Umweltradioaktivität und Strahlenbelastung, Jahresbericht 2009» 2 Beispiele typischer Radioaktivitätsgehalte (Mittelwerte). den Tonsteine und tonig-kalkigen Gesteine (v. a. Opalinuston, 'Brauner Dogger' und Lias) sind ­gegen oben und unten von schwächer aktiven Kalksteinen eingeschlossen. Die höchste Aktivität zeigen die in rund 2400 Meter Tiefe liegenden Gneise (granitähnliche Gesteine). Niederschlag <5 Bq/l Kalkstein 120 Bq/kg Granit 1220 Bq/kg Luft in Bodennähe 0,01 Bq/l Ton 1100 Bq/kg Boden 350 Bq/kg Bergsee 1 Bq/l Rhein (Basel) <2 Bq/l 1 Radioaktivität in unserer Umwelt (gemittelt). Luft und Wasser enthalten im Vergleich zu Böden und Gestein nur wenig Aktivität. Meer 10 Bq/l Quartär Tiefe [m] 100 Nutzung von Rohstoffen bringt Radio­ aktivität in die Umwelt – Zwei Beispiele Tertiär Rohstoffen radioaktive Keine Daten 15 Kies Sandstein, Siltstein 200 Mit dem Abbau und der Nutzung von Materialien aus dem Untergrund bringen wir radioaktive Stoffe in unseren Lebensraum. Durch Kali- und mine­ ralischen Phosphatdünger werden radioaktives Kalium-40 und Uran in die Böden ein­gebracht. Diese Stoffe stammen aus den Rohstoffen, die wir für die Düngerherstellung abbauen. Kalium ist für uns lebenswichtig, enthält aber radioaktives ­Ka­lium-40 (vgl. Seite 4). Mineralischer Phosphatdünger enthält je nach Herkunft mehr oder weniger Uran. Auf die Schweiz bezogen bringen wir mit dem Phosphatdünger zirka 4 Tonnen Uran pro Jahr auf die Felder (Bild 3). 300 Malm Kalkstein Kohle enthält fast immer Uran, Thorium und Ka­ lium. Nach einer Publikation des amerikanischen ORNL (vgl. Links auf www.nagra.ch) enthält die pro Jahr weltweit aus den Kohlekraftwerken anfallende Asche rund 8000 Tonnen Uran (gemittelt von 1937 bis 2037). In der Vergangenheit wurde in den USA sogar Uran aus Kohleasche gewonnen. Natürliche Gammastrahlung im Gestein Tonstein Lias 600 Opalinuston 500 ‘Brauner Dogger’ 400 Keuper 700 900 Buntsandstein/Muschelkalk 800 Kalkstein 1000 Perm 4 Natürliche Gammastrahlung in den Gesteinen der Tiefbohrung Weiach (Zürcher Unterland). Der Opalinus­ ton, das Wirtgestein für ein Tiefenlager für hochaktive Abfälle, ist gelb markiert. Tonstein, Siltstein, Brekzien 2400 Kristallin Prisma 3 Mit mineralischem Phosphatdünger bringen wir Uran in die Böden. Da dieses Uran aber schwerlöslich und der Urangehalt im Boden tausendfach höher ist als der zusätzliche Eintrag, spielt dieser kaum eine Rolle für unsere Gesundheit. Gneis wussten Sie, … 16 …, dass zwei Meter Gestein Strah Zwei Meter Gestein schirmen die Strahlung aus einem geologischen Tiefenlager zuverlässig ab. Der Einschluss der radioaktiven Stoffe ist durch ein Barrierensystem gewährleistet. allem aus dem Zerfall von natürlich vorhandenem Uran und Thorium im G ­ estein. In einem geologischen Tiefenlager für radioaktive Abfälle ­schirmen Behälter, Stollenverfüllung und angrenzendes ­Gestein die Strahlung aus dem Abfall vollständig ab. Schon zwei ­Meter tief in der Stollenwand ist die natürliche Strahlung aus dem Gestein höher als die Strahlung aus den hochaktiven Abfällen. Die natürliche ­Strahlung stammt vor Der langfristige Einschluss von radioaktiven Stoffen funktioniert auch in der Natur, wie beispielsweise ein Uranerzvorkommen in Kanada zeigt. Beim 1,3 Milliarden Jahre alten Erzvorkommen von Cigar Lake ist das Uranerz von einer 10 bis 50 Meter ­dicken Tonschicht wirksam eingeschlossen. Deshalb gilt es als Naturanalogon – das heisst als ­natürliches Beispiel – für den Einschluss von radio­aktiven Stoffen in einem geologischen Tiefen­ lager. Einschluss funktioniert in der Natur Gestein schirmt ab, Barrieren schliessen ein Anspruchsvoller als die Abschirmung der Strahlung (vgl. Bild 1) ist der Einschluss der radioaktiven Substanzen in einem Tiefenlager, damit diese auch nach langen Zeiten nicht in die Biosphäre und die Nahrungskette gelangen. Hochaktive Abfälle Comet Photoshopping 1 Hochaktive Abfälle werden in dickwandigen Behältern zwischengelagert, welche die Strahlung effizient abschirmen, so dass man sich neben den Behältern im Zwischenlager aufhalten kann. 2 Gestaffelte Sicherheitsbarrieren in einem Lager für hochaktive Abfälle. Ein Metallbehälter mit verbrauchten Brennelementen oder Glaskokillen aus der Wiederaufarbeitung ruht auf einem Sockel aus ­Bentonitelementen. Der Stollenraum wird mit ­Bentonitgranulat verfüllt. Das Wirtgestein bildet abschliessend die geologische Barriere. Verfüllmaterial Wirtgestein Metallbehälter 17 lung zuverlässig abschirmen? Ein gestaffeltes Barrierensystem (Bild 2) soll den dauerhaften Einschluss ­gewährleisten. Die hochaktiven Abfälle sowie der einschliessende Metallbehälter sind beide nicht wasser­löslich. Das quellfähige Verfüllmaterial und das Wirt­gestein dichten zudem gegen eindringendes Wasser ab. Rückstände als radioaktive Abfälle ­entsorgt werden. Dazu werden sie in der Regel mit Glasschmelze vermischt, erkalten gelassen und in Stahlfässer einzementiert. Keine flüssigen Abfälle Schwach- und mittelaktive Rohabfälle werden in eine chemisch und physikalisch langfristig stabile Form gebracht. Flüssige Abfälle werden verfestigt und genauso wie radioaktive Feststoffe in ein schwer lösliches Bindemittel eingebunden (Bild 3). Für die Einlagerung werden jeweils mehrere ­Fässer mit schwach- und mittelaktiven Abfällen in ­einen Betoncontainer (Bild 4) einzementiert. Brennbare schwachaktive Abfälle können in einem Plasmaofen mineralisiert werden. Dabei werden organische Stoffe vernichtet und gleichzeitig das Abfallvolumen deutlich verringert. Die Radioaktivität bleibt aber bestehen. Deshalb müssen die Nagra Schwach- und mittelaktive Abfälle 3 Abfallfässer mit schwach- und mittelaktiven Abfällen. Metall­teile (links) werden in einem 100-Liter-Fass in Mörtel e ­ ingegossen und dann zusätzlich in einem 200-Liter-Fass einbetoniert. Andere Abfälle werden nach der Verarbeitung im Zwilag in Würenlingen als erstarrte Schlacke (rechts) einzementiert und ­z wischengelagert. Nagra 4 Teilweise verfüllter Betoncontainer mit Fässern für schwachund mittelaktive Abfälle. Solche Container werden in Lager­ kavernen gestapelt. Am Ende werden die Hohlräume zwischen den Containern mit einem Spezialmörtel verfüllt. wussten Sie, … 18 …, was wäre, wenn bereits Napol Der grösste Teil der radioaktiven Abfälle zerfällt rasch. Der Rest muss für sehr lange Zeit sicher von der Biosphäre fern­ge­halten werden. Abfälle enthalten ein Gemisch verschiedener radio­ aktiver Isotope, deren Halbwertszeiten sehr unterschiedlich sind. Jedes radioaktive Isotop hat eine ­charakteristische Zerfallszeit, während der die Hälfte der vorhandenen radioaktiven Isotope zerfallen (Halbwertszeit). Natürliches Uran-238 hat zum Beispiel eine Halbwertszeit von 4,5 Milliarden Jahren. Radioaktive Die meisten Stoffe verlieren ihre Strah­ lung bereits vor der Tiefenlagerung Messlatte Natur In 30 000 Jahren sind die schwach- und mittelaktiven Abfälle so ­r adioaktiv wie Granit. Bei der Spaltung von Uran-235 in einem Kern­ reaktor entstehen radioaktive Spaltprodukte. Sie beginnen sofort zu zerfallen. In den Ab­kling­becken und Zwischenlagern müssen die ver­brau­­chten Brenn­elemente wegen der hohen Strahlung isoliert und ihre Strahlung muss abgeschirmt werden. ­Diese Auf­gabe erfüllen unsere Kernanlagen mit höchster Zuverlässigkeit. Mit dem Abfall gelangt wegen des raschen Zerfalls letztlich weniger als ein Hundertstel der anfänglichen Radioaktivität in ein Tiefen­lager. Abfälle in Tiefenlager Abfälle in Zwischenlagern Aktivität (Bq) 3,0 .1019 Zerfall des schwach- und mittelaktiven Abfalls SMA 2,5 .1019 1 Rechts: Rund 99 Prozent der Aktivität wird durch die hochaktiven Abfälle (Brennelemente) verur­sacht (Stichjahr 2050). 2,0 .1019 1,5 .1019 1,0 .1019 Die Aktivität der SMA beträgt nur rund 1 Prozent der Aktivität aller radioaktiven Abfälle. 0,5 .1019 0 2050 100% Restaktivität SMA +100 Jahre 24,2% +200 Jahre +300 Jahre +1000 J. 6,4% 0,4% Links: Die schwachund mittelaktiven Abfälle dominieren zwar volumen­ mässig, ihre Aktivität ist aber gering. Aufsummierte Aktivität sämtlicher Brennelemente 1 Monat nach Entnahme aus Reaktor. 100% 19 eon ein Tiefenlager gebaut hätte? Wenn Napoleon ein Tiefenlager ­gebaut hätte ... In einem Tiefenlager zerfallen die Abfälle im Vergleich zum Einlagerungszeitpunkt rasch weiter. Hätte Napoleon vor rund zwei­hundert Jahren ­bereits ein Tiefenlager gebaut, so betrüge die Strahlung der Abfälle heute nur noch wenige ­Prozent im Vergleich zum Einlagerungszeitpunkt. Im Jahr 2250 beträgt die Strahlung der Ab­fälle ­eines Lagers für hochaktive Abfälle nur noch 3,3 Prozent im Vergleich zum Referenzjahr 2050 (Bild 1). Diese Tatsache hat damit zu tun, dass in den radioaktiven Abfällen die Anteile mit kurzer ­Zerfallszeit und hoher Aktivität zu Beginn extrem dominieren. Die ­Abfälle enthalten aber auch einen kleinen Anteil an strahlenden Stoffen, die über sehr lange Zeit mit geringer Aktivität strahlen. W4 Messlatte Natur In 200 000 Jahren sind die hochaktiven Abfälle so r­ adioaktiv wie die äquivalente Menge Uranerz, die zur Herstellung der Brennelemente abgebaut wurde. Abfälle in Tiefenlager (Einlagerung ab 2050) Aktivität (Bq) 3,0 .1019 1,0 .1019 Im Jahr 2050. Bei Einlagerungsbeginn noch vorhandene Aktivität. 0,5 .1019 0 Caesium-137 Barium-137M Strontium-90 1,5 .1019 Radionuklide mit kurzer Halbwertszeit verursachen den Hauptanteil der Aktivität der HAA. Sie sind in den ersten 100 bis 200 Jahren für die hohe Strahlung verantwortlich. Diese nimmt aber rasch ab. Yttrium-90 2,0 .1019 HAA Die Anteile mit langer Halbwertszeit strahlen mit geringer Aktivität, aber über lange Zeit. Diverse 2,5 .1019 Zerfall des hochaktiven Abfalls 2050 100% +100 Jahre 11,1% +200 Jahre +300 Jahre +1000 J. +10 000 J. +100 000 J. +1 000 000 J. 3,3% 2,2% 1,0% 0,3% 0,03% 0,003% 0,003% 0,0015% 0,0005% 0,00005% 0,000005% Restaktivität HAA im Vergleich zum Einlagerungsbeginn 0,15% 0,15% Restaktivität HAA im Vergleich zur aufsummierten Aktivität 0,017% 0,005% wussten Sie, … 20 Nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle Hardstrasse 73 5430 Wettingen Schweiz Tel. 056 437 11 11 Fax 056 437 12 07 [email protected] www.nagra.ch Themenheft Nr. 6 / Mai 2013