Prof. Dr. Werner Lindner EAH Jena „Partizipation zwischen Anspruch und Wirklichkeit“ Aporien, Anfragen, Anregungen (Verschriftlichtung des Vortrags vom 29. Nov. 2013 im Rahmen des Kinder- und Jugendhilfetages des Landkreises Ludwigsburg) Einleitung Das Thema „Partizipation“ erfreut sich in der Sozialen Arbeit bzw. der Kinder- und Jugendhilfe immer wieder mal einer gewissen Beliebtheit, die landauf, landab, belegt durch etliche ähnliche Veranstaltungen an Aktualität nichts eingebüßt hat. Dies ist weder die erste noch die letzte Tagung zur Partizipation und man könnte daher – mit Karl Valentin – meinen, es sei doch nun eigentlich alles gesagt, nur eben noch nicht von allen. Warum das so ist, darüber kann durchaus ein wenig spekuliert werden: Zum einen handelt es sich hierbei um ein allzeit gängiges Thema, das immer irgendwie positiv rüber kommt, weil ja keiner wirklich dagegen sein kann. Merkwürdig an allen Partizipationsveranstaltungen ist zum einen nur, dass es sich bei der Partizipation eigentlich um ein selbstverständliches, zweifelsfrei ausgewiesenes Pflicht- und Querschnittsthema der Kinder- und Jugendhilfe handelt, das im SGB VIII mehrfach eindeutig genannt wird ist: § 5 Wunsch- und Wahlrecht Die Leistungsberechtigten haben das Recht, zwischen Einrichtungen und Diensten verschiedener Träger zu wählen und Wünsche hinsichtlich der Gestaltung der Hilfe zu äußern. Sie sind auf dieses Recht hinzuweisen. § 8 Beteiligung von Kindern und Jugendlichen Kinder und Jugendliche sind entsprechend ihrem Entwicklungsstand an allen sie betreffenden Entscheidungen der öffentlichen Jugendhilfe zu beteiligen. Sie sind in geeigneter Weise auf ihre Rechte im Verwaltungsverfahren sowie im Verfahren vor dem Familiengericht und dem Verwaltungsgericht hinzuweisen. § 36 Mitwirkung Hilfeplan Der Personensorgeberechtigte und das Kind oder der Jugendliche sind vor der Entscheidung über die Inanspruchnahme einer Hilfe und vor einer notwendigen Änderung von Art und Umfang der Hilfe zu beraten und auf die möglichen Folgen für die Entwicklung des Kindes oder des Jugendlichen hinzuweisen. § 80 Jugendhilfeplanung 1 Die Träger der öffentlichen Jugendhilfe haben im Rahmen ihrer Planungsverantwortung 1.den Bestand an Einrichtungen und Diensten festzustellen, 2. den Bedarf unter Berücksichtigung der Wünsche, Bedürfnisse und Interessen der jungen Menschen und der Personensorgeberechtigten für einen mittelfristigen Zeitraum zu ermitteln So gesehen und im Vergleich käme niemand ernsthaft auf die Idee, etwa in einem Vortrag über den Straßenverkehr darüber zu diskutieren, dass wir alle auf der rechten Straßenseite fahren. Das ist doch klar, wozu also darüber noch reden? Und insofern ist auch die Formulierung, dass alle Fachkräfte der Kinder- und Jugendhilfe ja ohnehin und sowie „nach Recht und Gesetz" arbeiten eine irrelevante Selbstverständlichkeit und wirft die Frage auf: Wozu dann diese Veranstaltung? Augenscheinlich sind die Dinge in der Kinder- und Jugendhilfe wohl längst nicht so klar, was dann für das Partizipationsthema meist zu dem leidvollen, auch heute anscheinend unabdingbaren Zusatz „zwischen Anspruch und Realität“ oder Ähnlichem führt. Hier wird vielfach die Diskrepanz zwischen fachpolitischen Zielen und Absichtserklärungen einerseits und der Partizipationswirklichkeit festgestellt. (Lautet der Auftrag wenigstens: „Ja, Partizipation schon. Aber wie?“ . dann wäre die prinzipielle Frage geklärt und es wäre der Einfachheit halber eher ein Methodenvortrag mit ‚Best-Practise-Beispielen‘ etc. angemessen – aber so einfach sind die Debatten wohl nicht…..) Warum sich das Thema „Partizipation“ gerade in den letzten Monaten durchaus wachsender Beliebtheit erfreut, könnte zum anderen daran liegen, dass sich die Kinder- und Jugendhilfe in immer komplexeren Spannungszonen befindet, in denen sich auch das Unbehagen von Fachkräften über viele, seit Jahr und Tag ungelöste oder verschleppte Probleme durchaus seinen Raum schafft. So gesehen, wäre das Thema Partizipation eine Art vorgeschobenes Ersatzobjekt, hinter dem sich eigentlich ganz andere Absichten verbergen. Die Kinder- und Jugendhilfe wächst allgemein an – und allein ob man sich nun ernsthaft darüber freuen soll, ist bereits eine heikle Frage. Aber es sind nicht nur „Wachstumsschmerzen“, sondern immer wieder auch tief greifende Anfragen an die Arbeitsbedingungen und fachlichen Anforderungen, die sich in nach wie vor anhaltenden Spannungszonen befinden. Ob man diese Fragen durch Partizipation –also durch die Orientierung an den Adressaten der Jugendhilfe, also quasi auf einem Umweg – mit Aussicht auf Erfolg bearbeiten könnte, soll im Folgenden angerissen werden. Zieht man die drei maßgeblichen Felder der Kinder- und Jugendhilfe, also: Kindertagesstätten, Erziehungshilfen und Jugendarbeit heran, dann sind in jedem Feld spezifische Problematiken vorzufinden, die sich daran ähneln, als dass die Kluft zwischen Anforderungen und Ressourcen immer weiter auseinander geht. Und so eröffnet das Thema Partizipation zweifellos ein gut gefülltes Reservoir von Zugängen, das sich nicht nur auf die einzelnen Handlungsfelder der Jugendhilfe bezieht, sondern sich darüber hinaus in zahlreichen weiteren Aspekten erschließt, wie z. B. - Qualitätsvereinbarungen Subsidiaritätsprinzip Bedürfnisorientierung/ Subjektorientierung Bürgerschaftliches Engagement Governance Dienstleistung/ Ko-Produktion 2 Wenn das Thema „Partizipation“ schließlich noch mit dem Begriff der „Demokratie“ verbunden wird1, entstehen weitere Zugänge, bei denen sich am Ende Fachlichkeit und Politik miteinander verbinden – was den einen freut und den anderen eher beunruhigen mag….. Weil dieses Thema also so vielgestaltig und vielschichtig, und dies ja ein Eröffnungsvortrag ist, hoffe ich, den Erwartungen dadurch gerecht zu werden, indem ich einige ausgewählte verallgemeinernde Zugänge antippe und diese hier und da mit Praxisbezügen garniere. Dabei kann ich nicht von meiner eigenen Rolle absehen: ich komme nicht aus der Gegend und verschwinde auch nach meinem Vortrag wieder. Das ist beruhigend für Sie – und für mich. Und das prädestiniert mich sozusagen für die Rolle des Hofnarren. Ich könnte es mir einfach machen in dem Statement, dass ich ja von den lokalen Verhältnissen hier keine Ahnung habe. Und genau das können Sie mir auch vorwerfen, wenn ich über die Stränge schlagen sollte. Anderseits wäre mein Vortrag wohl wenig sinnvoll, wenn ich nur das noch einmal vorbeten sollte, was Sie ohnehin schon wissen. Dazu brauchen Sie mich nicht, den Weg hätten Sie sich sparen können. Die nächste Kluft tut sich auf zwischen mir, als Hochschullehrer und Ihnen als Fachkräften der Praxis – was dann anlassweise gern abfällig kommentiert wird: „Was will der uns denn hier erzählen? Kommt eingeflogen, hat von unserer Praxis keine Ahnung und gibt hier den Schlaumeier….!“ Im Vorfeld meines Auftritts hier habe ich mich schon vergewissert, was ich Ihnen zumuten darf. Und auch hier lauert eine Falle, wenn Sie nun meinen: „Wir holen uns einen Professor und lassen uns von dem mal die Sache so richtig erklären.“ Damit wäre ich hier in der Rolle als Hofnarr: als von Ihnen angefragter Reflexionsdienstleister, dessen Rolle sich jedoch nicht darin erschöpfen dürfte, Ihnen hier die Leviten zu lesen oder gar eine „Publikumsbeschimpfung“ vorzunehmen. Allerdings hoffe ich auch, dass meine Ausführungen das Verharren in selbstgefälliger Anspruchslosigkeit (vielleicht) ein wenig schwieriger machen. These 1: Partizipation ist nicht nur eine fachliche Anforderung in der Kinder- und Jugendhilfe, sie bezeichnet vielmehr ein grundlegendes Gestaltungsprinzip unseres Gemeinwesens. Bereits hier erhebt sich die Frage, inwiefern diese beiden Aspekte miteinander verbunden, respektive von einander zu isolieren sind. Da ich der Auffassung bin, dass dies nicht geht, kann Partizipation als Querschnittsprinzip bezeichnet werden, ohne dass man aus guten Gründen in der Kinder- und Jugendhilfe nicht weiter kommt. Im allgemeinen Sprachgebrauch bezeichnet der Begriff Partizipation die TEILNAHME von Bürger/innen an politischen Beratungen und Entscheidungen. In einem erweiterten Verständnis auch die TEILHABE an gesellschaftlichen Ressourcen: Macht, Einfluss, Wohlstand, Freiheit, Sicherheit. Die Begründungen für Partizipation lassen sich somit aus mehreren Quellen erschließen: 1 Demokratiebezug Dienstleistungsbezug Bildungs- bzw. Lernbezug Geisen, Th./ Kessl, F./ Olk, Th./ Schnurr, S. (Hrsg.) (2013): Soziale Arbeit und Demokratie. Wiesbaden 3 Diese drei Aspekte sind miteinander verbunden und ich werde mich in meinem Vortrag auf die Themen Demokratie und Bildung beschränken. Im engeren Sinne der Sozialen Arbeit bzw. der Kinderund Jugendhilfe wird Partizipation vorwiegend auf drei Sachverhalte angewandt: 1. Die Beteiligung von Adressaten/ Nutzern an Entscheidungen über Angebots- und Leistungsstrukturen sowie an 2. Entscheidungen über Bedarfe und Leistungen im individuellen Betroffenheitsfall und 3. an Entscheidungen in Prozessen der Leistungserbringung. Hinzu kommt die Ausübung von Wahlfreiheit in Bezug auf unterschiedliche Ausformungen von Leistungen.2 Vor diesem Hintergrund werden drei Typen der Partizipation unterschieden3: Konsultative Beteiligung Kinder und Jugendliche werden als Expert/innen in eigener Sache hinzugezogen, um zur Verbesserung von Gesetzen etc. beizutragen. Sie haben jedoch keine Kontrolle über die Ergebnisse Demokratische Beteiligung Kinder und Jugendliche werden beteiligt mit dem Ziel, demokratische Prozesse zu erfahren. Kindern und Jugendliche können Einfluss auf Zielrichtung und Ausgestaltung nehmen, auch wenn sie zur unmittelbaren Mitentscheidung nicht befugt sind. Direkte Mitwirkung Kinder und Jugendliche werden an politischen Entscheidungsprozessen unmittelbar beteiligt. Die Rolle der Erwachsenen ist unterstützend und Prozess und Ergebnis werden von Kindern/ Jugendlichen kontrolliert. 2. These: Partizipation berührt Fragen von Macht und Herrschaft Es ist ersichtlich, dass Partizipation in der Frage von Entscheidungen immer auch mit Aspekten der Entscheidungsmacht zu tun hat, im Gemeinwesen/in der Kommune, aber eben auch in der Sozialen Arbeit und damit in der Kinder- und Jugendhilfe. Hier geht es nicht darum, Macht und Herrschaft grundsätzlich zu verteufeln, aber es geht um Frage, inwiefern die Macht nach demokratischen Grundsätzen legitimiert ist: also transparent, begrenzt auf Zeit; wird sie kontrolliert, wenn ja: von wem? Hierzu hat der Soziologe Max Weber zwei Definitionen vorgestellt, welche im Kontext von Partizipation von Bedeutung sind „Herrschaft soll heißen die Chance, für einen Befehl bestimmten Inhalts bei angebbaren Personen Gehorsam zu finden. Macht ist jede Chance innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance besteht.”4 2 Vgl. Schnurr, S. (2012): Partizipation. In: Otto, H.-U./ Thiersch, H. (Hrsg.): Handbuch Soziale Arbeit. München, S. 1069-1078 3 Vgl. Zentrum Eigenständige Jugendpolitik (2013): Zur Förderung demokratischer Partizipation junger Menschen. In: http://www.allianz-fuer-jugend.de/Aktuelles/Bildung--Beteiligung--uebergaenge--Empfehlungen-der-Expertengruppen-desZentrums-Eigenstaendige-Jugendpolitik/42d94s8/ 4 Weber, M. (1922): Wirtschaft und Gesellschaft. Studienausgabe. Tübingen 1972, S.28; vgl. auch S.541ff. 4 Machtfragen in der Kinder- und Jugendhilfe sind immer wieder ein verstecktes und bisweilen auch verleugnetes Thema. Die Arbeit mit Kinder und Jugendlichen, mit randständigen Menschen zumal aus sozial eher schwachen und marginalisierten Milieus hat gelegentlich dazu geführt, dass sich auch die Soziale Arbeit und ihre Fachkräfte selber immer wieder als hilflos, schwach und vorgekommen sind: herabgewürdigt im öffentlichen Meinungsbild, herabgesetzt in Tarif- und Besoldungsdebatten, verzerrt und vorgeführt in den Medien und vernachlässigt im Verteilungskampf um öffentliche Mittel. Aber spätestens die neuere Kinderschutzdebatte hat auch die Kinder- und Jugendhilfe als staatliche, hoheitliche Aufgabe neu akzentuiert: als Schutz- und Eingriffsbehörde, die fördert und fordert, die auch sanktioniert und von ihren Rechten durchaus Gebrauch macht. Spätestens hier dürfte klar geworden sein, dass – jenseits des bloß konzeptionellen Verweises auf das „doppelte Mandat“ – in den Arbeitsvollzügen der Kinder und Jugendhilfe Machtprozesse nicht nur verborgen, sondern unausweichlich sind. Natürlich kann man die Adressat/innen als „Experten ihrer eigenen Lebenslagen“ hochjubeln, aber die Machtprozesse, die dort zu finden sind - - wo sich Sozialarbeiter/innen, als Akademiker/innen mit strukturiertem und überlegenem Fach- und Paragraphenwissen vor der Ohnmacht und Hilfsbedürftigkeit mancher Klientele finden, wo sich Fachkräfte mit Definitions- und Diagnosemacht an ihre Fälle machen und insbesondere dort, wo wo Erwachsene es mit Kindern und Jugendlichen zu tun haben dürften verdeutlichen, wer hier im Zweifelsfall die Ansagen macht. Solange derartige Sachverhalte unausgesprochen mitschwingen, hat die Kinder- und Jugendhilfe eine „machtanalytische Blindstelle“(Kessl), die mindestens vernebelt, wie sehr auch Fachkräfte der Kinder- und Jugendhilfe die Verhältnisse, deren Unzulänglichkeiten sie andernorts gern beklagen, mit gestalten und reproduzieren. Wer von Partizipation redet, der darf also von Macht und Herrschaft nicht schweigen. Insofern sollten sich Fachkräfte der Kinder- und Jugendhilfe zunächst bewusst machen, wie und wo sie selbst damit zu tun haben. Denn das wissen wir mittlerweile auch: Die Macht hat einen gewissen Gestaltwandel hinter sich. Sie kommt – in unseren Breitengraden zumindest – immer weniger daher mit großer Geste und brachialer Ausübung, sondern viel eher mit kleinen, eher unauffälligen und fast beiläufigen Arrangements5 – und ist damit umso wirksamer, je mehr sie sich versteckt.6 Sie dürfen dabei gern an Frau Merkel denken, die in den Rollen als „schwäbische Hausfrau“ und als „Mutti“ auch äußerlich als bescheidene Person daher kommt – aber in ihrer Macht keineswegs zu unterschätzen ist. Partizipation meint weiterhin: Relativierung und Preisgabe von Macht und Herrschaft, Herstellen von Freiräumen, Zurücknehmen von Positionen der Stärke und Dominanz, Abbau von Herrschaft. Dabei fragt es sich jedoch: Wozu sollte man das tun? Wozu mühselig verhandeln, wenn man doch mit einer klaren Ansage alles viel schneller hinbekommen würde? Erstes Argument: Weil Partizipation der Legitimitätssicherung dient. Menschen empfinden die Umstände unter denen sie leben, dann als gerecht, wenn sie diese mitbestimmen und darüber mitentscheiden dürfen. Fachtechnisch wäre hier von einer hohen Input-Legitimität und einer darauf bezogenen hohen Output-Legitimität zu sprechen. (Auffallend ist hier die Tatsache, dass etwa die Wahlbeteiligung in Stadtteilen mit „sozialen Problemen“ in Gestalt von Armut und Ausgrenzung signifikant 5 Vgl. Foucault, M. (1976): Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses. Frankfurt/ Main 6 Die aktuellen Ausformungen der der Internetüberwachung durch die NSA sind hierfür frappierende Beispiele. 5 niedriger ist, diese Menschen also von ihren Rechten keinen Gebrauch (mehr) machen. Insofern wird die Demokratie den artikulationsstarken Mittelschichten überlassen, die schon dafür sorgen, dass ihre spezifischen Interessen vorrangig bedient werden.) Zweites Argument: Partizipation hat infolgedessen eine hohe Integrationswirkung. Spätestens hier aber ist der Unterschied einzuebnen zwischen Demokratie als Regierungsform (also: alle Jahre wieder an die Wahlurne) und Demokratie als alltäglicher Lebensform. Drittens: Weil Partizipation nützlich ist. Wenn wir hier wiederum auf Demokratie zu sprechen kommen, dürfen wir auch von der Post-Demokratie7 nicht schweigen. Die These von der Post-Demokratie besagt nämlich kurz und gut, dass hinter den formal demokratischen Fassaden die wirklich wichtigen Entscheidungen ganz wo anders getroffen werden, und zwar höchst undemokratisch. Und damit hätte sich auch der Charakter der Partizipation gewandelt: von einem Instrument der Herrschaftsund Machtabgabe zu einem Instrument der Machtsicherung, das nicht mehr aus fachlichen Prinzipien, sondern funktional eingesetzt wird – und zwar funktional für die je eigenen Zwecke, auch in der Kinder- und Jugendhilfe. Dann veranstaltet man Partizipation gegen einen Abbau vermeintlicher Politikverdrossenheit, oder Jugendliche werden einbezogen, um Vandalismus zu reduzieren, oder um Planungsprozesse effizienter zu gestalten, oder um etwas gegen die Abwanderung Jugendlicher zu unternehmen. Hierzu formulierte das Bundesjugendkuratorium schon im Jahre 2009: „Die stillschweigende Übereinkunft dahinter läuft darauf hinaus, dass man Kinder und Jugendliche in spezifischen Entscheidungsbereichen beteiligen kann, sofern es zufällig den Interessenlagen und Bedürfnissen beteiligter Erwachsener entgegen kommt. (Bestes Beispiel: Jugendparlament, WL) Und man es ebenso wieder lassen kann, wenn es solche Gründe nicht mehr gibt.“8 Partizipation wird für gewöhnlich in bestimmten Stufenmustern, Partizipationsleitern oder –spiralen dargestellt, die jeweils eine gewisse Steigerungsform mit einem angenommenen Optimum anzeigen. Diese Muster sind alle schön, aber sie bezeichnen eben Ansprüche; die Realität ist eine andere. Denn daneben existieren weitere Handlungsmuster, auch aus der Praxis der Politik und Sozialen Arbeit, in denen Partizipation zur Herrschaftssicherung und zur Manipulation eingesetzt wird nach dem Motto „Es muss was gescheh’n – aber es darf nix passier’n.“ Dieses Prinzip findet sich in dem alt bekannten Satz: „Teile – und herrsche“(divide et impera) , bei dem die Abgabe von Macht explizit als Herrschaftssicherung eingesetzt wird.9 Das Muster „Partizipation als Manipulation“ erstreckt sich auf die Auswahl lediglich im Rahmen vordefinierter Alternativen: Der Gemeinderat, oder ein Adressat, darf wählen zwischen der Vorlage A und der Vorlage B – dass es auch C oder gar D gibt, erfährt dieser gar nicht. Eine damit verwandte Variante ist bestens bekannt, wenn verkündet wird, das, was nun gemacht werden müsse, sei schlicht und ergreifend „alternativlos“10; die „ultima ratio“ - Ende der Debatte. Übertragbarkeiten auf die Praxis der Kinder- und Jugendhilfe, etwa bei einer Heimeinweisung oder eines Sorgerechtsentzuges liegen auf der Hand; da hat man eben oft „keine andere Wahl“. Das hierzu passende Motto lautet: „Wer den Sumpf trocken legen will, darf nicht die Frösche fragen.“ 7 Crouch, C. (2008): Postdemokratie. Frankfurt/ Main 8 Bundesjugendkuratorium (2009): Partizipation von Kinder- und Jugendlichen. Anspruch und Wirklichkeit. Berlin 9 Die lateinische Formulierung geht zurück auf Niccolo Machivelli (1469–1527), der in seinem 1532 erschienenen Buch ‚Il principe‘ (Der Fürst) den Fürsten der Medici erklärte, wie sie ihre Herrschaft ausüben sollten. 10 Hinweis: Der Begriff „alternativlos“ wurde zum „Unwort des Jahres 2010“ gewählt. 6 In einer anderen Version werden die ausschlaggebenden Entscheidungsprozesse vorher schon informell abgestimmt; und in den offiziellen Gremien wird dann nichts mehr diskutiert, sondern nur noch „abgenickt und durchgewunken“. Dies ist geradezu das Geheimnis effektiver (Kommunal)Politik, der es nicht darum geht, formaldemokratisch zuerst einen Antrag zu stellen und danach dafür eine Mehrheit zu bekommen, sondern umgekehrt: zuerst die Mehrheit zu sichern und danach den zugehörigen Antrag zu stellen. Eine weitere Partizipations-Macht-Variante besteht darin, bestimmte Themen gar nicht erst zuzulassen. Deshalb gibt es in der Kommunalpolitik den Satz: „Was der Bürgermeister (wahlweise: der Landrat) nicht wünscht, erblickt niemals das Licht einer Tagesordnung.“ (Und wenn sich dann jemand darüber beschwert, kann immer noch behauptet werden, der- oder diejenige werde jetzt aber „unsachlich“ oder „emotional“, so könne man keine „vernünftige“ Entscheidung fällen….) Eine nächste Lesart bedient sich der Zeitstrategie, indem Adressat/innen mit so viel Informationen und Alternativen überhäuft werden, die sie in der Kürze der Zeit gar nicht verarbeiten können. In einer weiteren Version wird Zeitdruck aufgebaut (was nicht verleugnet, dass dieser manchmal auch ganz real existiert), sodass schnell entschieden werden muss. Eine solche Vorgehensweise ist durchaus zu unterscheiden von einer Situation, wo Fachkräften der Kinder- und Jugendhilfe ihre eigene Organisation im Nacken sitzt mit Effizienzdruck, gedeckelten Fallkostenpauschalen, Dokumentationsanforderungen, Fallüberlastungen, Überstundenregelungen und anderen Einsparnötigungen. Ein wiederum neues Muster der „Manipulationspartizipation“ liegt dort vor, wo Fachkräfte der Kinder- und Jugendhilfe Dinge zur Entscheidung freigeben, von denen sie wissen, dass zum Beispiel die betroffenen Kinder den damit verbundenen Verantwortungen nicht gewachsen sind und scheitern werden; zum Beispiel bei der eigenverantwortlichen Regelung von Kassenabrechnungen. Nach dem Scheitern können die Fachkräfte dann behaupten: „Ja leider habt Ihr Eure Chance nicht genutzt. Dann muss ich es wohl doch wieder selber machen.“ Solche Partizipationsüberlastung äußert sich auch im Kindergarten in der ratlosen Anfrage: „Müssen wir heute schon wieder spielen, was wir wollen?“ Derartiges ist auch immer wieder in der Kinder- und Jugendhilfe festzustellen: Man würde ja gern mehr beteiligen - aber ach, die Adressat/innen sind halt noch nicht so weit, oder eben unmündig. Fachliche Interpretation: So weit kommt’s noch, dass „die Affen den Zoo regieren“.11 Außerdem habe man ja auch eine Verantwortung, staatliches Wächteramt und so, Sie wissen schon, und da dürfe man sich die Entscheidungen gerade nicht aus der Hand nehmen lassen, weil man sie schließlich auch selbst verantworten müsse: „Und der Auftrag für unsere Leute ist eigentlich eindeutig. Der heißt nämlich nicht, den Wünschen der Eltern oder den Wünschen der Kinder entsprechen, sondern der Auftrag heißt ganz klar, hinzuschauen, was braucht die Familie und welche Hilfe ist die notwendig und welche ist die geeignete.“12 Hier wird Partizipation nicht als Element von Fachlichkeit gesehen, sondern eher abgespalten als schädlich; die Entscheidung der Fachkraft hat Vorrang von den Wünschen der Nutzer. Aushandlung verkommt dann zu einem Meinungsaustausch, bei dem die Meinung der Nutzer durch die Meinung der Fachkräfte ausgetauscht wird. Ein letztes Motiv für eine fehlgeleitete Partizipation liegt im Effizienzmotiv, bei dem vor allem Ressourcen eingespart werden sollen. Diese Paradoxie findet sich in dem Spruch „Ich habe ja nichts ge11 Kühl. S. (1994): Wenn die Affen den Zoo regieren: die Tücken flacher Hierarchien. Frankfurt/ Main 12 DJI (2003): Partizipation im Kontext erzieherischer Hilfen. München, S.50 7 gen lange Haare. Aber gepflegt müssen sie sein.“ Partizipation soll ja schon sein, aber sie darf halt nichts kosten. Der Klient darf zwar schon sagen, was er für sich als optimal empfindet – aber schließlich ist Jugendhilfe kein „Wunschkonzert“ und angesichts der kommunalen Finanzlage wird eben weniger das gemacht, was fachlich sinnvoll ist, sondern, was die Wirtschaftliche Erziehungshilfe genehmigt. Eine Variante der simplen Kostenverschiebung nach dem „Do it Yourself-Prinzip“ findet sich im Alltagsleben dort, wo wir unser Gemüse im Supermarkt selbst wiegen und unsere Möbel selbst zusammen bauen; wo ehrenamtliche Tafeln den Hunger verwalten und das freiwillige Engagement als Ausfallbürge für professionelle Kinder- und Jugendhilfe herangezogen wird. Es findet sich in der Kinder- und Jugendhilfe dort, wo Jugendliche ihre Einrichtung selber putzen oder reparieren sollen und Mütter in Kindergärten Aufsicht führen. Diese Phänomene sind durchaus bekannt und auch in Maßen akzeptabel, zumal die Unterscheidungslinien sich bisweilen verwischen. Es ist aber etwas anders, als Partizipation zunächst an der wohlverstandenen Entwicklung der Adressat/innen auszurichten. Weitere Partizipationskiller liegen in zahlreichen Rechts-, Verwaltungs- und Versicherungsfragen, in Gesundheitsvorschriften und Dienstzeitregelungen, die sich ohne Not vor fachlich sinnvolle Partizipationsmöglichkeiten schieben. Wenn Jugendliche mal allein eine Party im Jugendhaus feiern wollen, wenn sie einmal – in begrenztem Maße und unter Beachtung aller Gesetze – Alkohol auf einer Ferienfreizeit trinken, oder – Höchstmaß des pädagogischen Grauens! – einmal selbstbestimmt und eigenverantwortlich gemeinsam in einem Zelt schlafen wollen: „Die Erzieher haben auch eine Pflicht zur Konfrontation und Auseinandersetzung, zur Erziehung. Die haben nicht immer nur die, die können nicht immer nur netter Kumpel sein und erlauben und die Kinder wollen das und dann wird das beschlossen. Und was weiß ich, wir als Gruppe beschließen jetzt, wir dürfen alle bis 12 Uhr weggehen, und dann sagen die Erzieher, na gut, ihr habt das beschlossen, und im Sinne von Partizipation, Mitbestimmung, ihr dürft das machen. Klasse, das geht nicht. Da gibt es auch Gesetze und da gibt es Aufsichtspflicht …..“ 13 Spätestens hier dürfte deutlich werden: Partizipation findet nicht im luftleeren Raum statt; sie ist immer Partizipation unter Bedingungen. Zweifellos müssen Fachkräfte der Kinder- und Jugendhilfe Grenzen setzen – aber dies dürfte nicht erfolgen, ohne darüber nachzudenken, ob diese Grenzen wirklich sinnvoll im Sinne ihrer Adressat/innen sind. Wir leben ja mittlerweile in einer Präventionsgesellschaft, in der wir uns möglichst vor allem schützen möchten, möglichst noch bevor es passiert. Und deshalb werden die Einschränkungen sozialpädagogischen Handelns viel zu oft hingenommen, zumal dann, wenn sie mit eigenen Bequemlichkeiten verbunden sind. (Beispiel aus der Kinder- und Jugendarbeit: „Das wäre ja noch schöner, wenn sich die Öffnungszeiten in den Jugendhäusern an den Bedarfen der Jugendlichen ausrichten würden. Wo bleibt denn da mein Familienleben….?“) These 3: Partizipation ist grundsätzlich „riskantes Handeln“. Dieses Risiko aber ist elementar für jede gelingende Partizipation Spätestens hier ist zu ersehen, dass Partizipation – wie jedes pädagogische Handeln – mit Risiken behaftet ist, denen Fachkräfte aber auch nicht ausweichen können, weil sonst keine wirkliche Verantwortungsübernahme stattfindet. Fachkräfte der Kinder- und Jugendhilfe können grundsätzlich 13 DJI (2003): Partizipation im Kontext erzieherischer Hilfen. München 8 niemals sicher sein, dass ihre Adressat/innen die eröffneten Partizipationsspielräume so ausfüllen, wie sie selbst das gern hätten. Ironisch formuliert geht es um die Frage, wie Freiräume für die eigenständige Ausgestaltung eröffnet werden - aber am liebsten so, dass dabei möglichst das heraus kommt, was man selber für sinnvoll hält. Und genau das geht eben nicht, solange wir es in der Kinder- und Jugendhilfe mit Menschen und nicht mit Maschinen zu tun haben (Stichwort: strukturelles Technologiedefizit der Erziehung). Trotzdem ist Partizipation nicht so beliebig, wie es manche Fachkräfte gern sehen: „Also es gibt dann immer so‘n – die Fachleute nennen das Aushandlungsprozess. Das klingt so wie auf‘m Basar….“14 Hier ist darauf hinzuweisen, dass es durchaus professionelle und methodische Mittel und Wege gibt, dieses Risiko bewusst(er) ins Auge zu fassen und, so gut es geht, zu minimieren: 1. Vor aller Sozialpädagogik und Partizipation müssen Fachkräfte der Kinder- und Jugendhilfe ihre Adressat/innen erst einmal möglichst genau kennen (lernen). 2. Hinzu gelangen muss die Komponente „Vertrauen“, die aber etwas anderes ist als falsche Kumpanei, sondern eher auf Transparenz und Verlässlichkeit beruht. 3. Jedes Partizipationsangebot ist ein Test, der am Anfang in kleinen und später in größeren Freiräumen abzulaufen hätte. Und insofern sind Experimente, Irrtümer und auch revisionäres, fehlerfreundliches Vorgehen unvermeidlich. 4. Schließlich erfolgt – idealtypisch - das eigentliche sozialpädagogische Handeln im Ausloten der „Zone der nächsten Entwicklung“, der optimalem Diskrepanz zu dem, was den jeweiligen Adressaten weder überfordert noch unterfordert. Dies alles gilt umso mehr, als dass Partizipation und sein angemessener Gebrauch nicht per se vorausgesetzt werden können, sondern gelernt werden müssen. Hier geraten wir in Grundfragen sozialpädagogischen Handelns, wenn dieses mehr und anderes sein soll als bloße Überwachung, Sanktion, Dressur, Kontrolle und Machtausübung. Letztere Herrschaftsformen wirken in aller Regel nur, solange sie kontrolliert werden und die Adressat/innen wissen, dass sie beobachtet werden – nur solange passen sie sich den fremden Erwartungen an. Die elementare Pointe sozialpädagogischen Handelns liegt jedoch gerade darin, dass deren Adressat/innen ab irgendeinem Punkt nicht mehr aus Angst oder wegen Kontrollen, sondern aus eigener innerer Einsicht handeln, also Fremdsteuerung durch Selbststeuerung ersetzt haben – und das können sie nur in Freiräumen. Und deshalb geht es partizipations-konzeptionell weniger um die direkte Einwirkung auf eine Person, sondern um das kluge Arrangement von Lernumgebungen. So gesehen sind partizipative Arrangements Angebot und Zumutung zugleich. Partizipation, also: von Gestaltungsfreiräumen verantwortungsvoll so Gebrauch zu machen, dass man sich selbst und andere nicht schädigt, kann man nur in der Praxis lernen. Genau so, wie man Fahrradfahren nur beim Fahrradfahren und Schwimmen nur beim Schwimmen lernen kann. Benötigt werden in der Kinder- und Jugendhilfe in allen Arbeitsfeldern partizipative Arrangements. In solchen Arrangements wird die prinzipielle Nichtprogrammierbarkeit menschlichen Lernens aber gerade nicht als unliebsame Fehlerquelle zu vermeiden oder zu reduzieren gesucht. Sondern sie wird, bewusst in Rechnung gestellt und ihr im Lernprozess eine ausschlaggebende produktive Funktion eingeräumt. Ob also aus sozialpädagogischen Verhaltenserwartungen nur Dressur resultiert, oder eine wirkliche Aneignung, ist ein essentieller Unterschied und darin besteht die sozialpädagogische 14 DJI (2003): Partizipation im Kontext erzieherischer Hilfen. München 9 Kunst - deren letztendliche Entscheidung nur der Jugendliche selbst trifft. Davor allerdings liegen die Bemühungen der Fachkräfte, eine solche Entscheidung erst einmal zu ermöglichen. Denn wo die solchermaßen angebahnten Lernanstöße und die mit ihnen notwendig verbundenen Freiheitsgrade, aus welchen Gründen immer, nicht erkannt und ergriffen werden, werden auch die erwarteten Lernund Partizipationsgewinne bei Kindern und Jugendlichen nicht erzielt. Ab diesem Punkt wird die Frage der Partizipation durchaus komplex und kompliziert. Natürlich kann man pauschal – und mit Blick auf den Vortragstitel – behaupten, die Partizipation in der Kinder- und Jugendhilfe wäre irgendwie unterentwickelt. Da ist durchaus etwas dran, aber das Thema ist ebenso wenig pauschal mit der alten Parole „Mehr Demokratie wagen“ abzuhandeln. Denn bei der Partizipation können prinzipiell zwei Fehler erfolgen: wenn auf der einen Seite zu wenig Partizipation erfolgt, auf der anderen Seite aber auch zu viel. Weitere Verkomplizierungen sind dort vorzufinden, wo Aushandlungen zwischen mehreren Beteiligten, etwa Eltern und Kindern stattfinden, deren Partizipationswünsche mitunter gegeneinander stehen. These 4: Von der sozialpädagogischen zur kommunalpolitischen Partizipation Wenn Partizipation sich verortet als Querschnittsprinzip und sich – mit John Dewey15 - sowohl als Regierungs- wie als Lebensform verstehen lässt, gibt es keine prinzipielle Grenze zwischen fachlichem, privatem und öffentlichem Handeln. Ich beziehe dies wiederum auf das Thema „Partizipation“ in der Kinder- und Jugendhilfe – diesmal aber explizit auf den kommunalen Raum, denn dieser ist das wesentliche Aktionsfeld der Kinder- und Jugendhilfe. Hier gibt es zweifellos viele Partizipationszugänge, z. B. in Jugendparlamenten, bei Bürgeranhörungen, bei der Spielplatzplanung – aber eben auch in der Kommunalpolitik selbst. Es fragt sich nur, ob Fachkräfte der Kinder- und Jugendhilfe dies auch im Blick haben vor dem Hintergrund ihrer fachlichen Arbeit. Es dürfte bis hierhin klar geworden sein, dass eine angemessene Partizipation immer wieder vor manch unnötigen und fachwidrigen Hindernissen steht: Zeitdruck, fehlende Ressourcen, Fallüberlastung – die aber in erstaunlicher Duldsamkeit hingenommen werden, und zwar von denselben Fachkräften, die in ihrer Praxis vehement mehr Partizipation für ihre Adressat/innen fordern. Die Kinder- und Jugendhilfe aber wird nicht nur geregelt von fachlichen sozialpädagogischen Leitsätzen, sondern auch von Gesetzen und Strukturen, letztlich von politischen Entscheidungen. Diese Entscheidungen werden in ihren wichtigsten Elementen informell getroffen, also im kleinen Kreis, ohne Transparenz, ohne Mitwirkung. Nicht umsonst werden die Jugendhilfeausschüsse immer wieder als „geschlossene Gesellschaften“ bezeichnet, in den die Insider die Mittel unter sich verteilen. Die Tagesordnung wird im Vorfeld von Sitzungen abgestimmt, an denen in der Regel die von den jeweiligen Fraktionen nominierten freien Träger teilnehmen. Die politischen Weichenstellungen, der Fahrplan werden jedoch nicht nur nichtöffentlich in den zuständigen Gremien, sondern „im Geheimen", im Fraktionsvorstand, zwischen Bürgermeister und Kämmerer, bisweilen mit den Vertreter(inne)n der Verwaltung austariert, so dass hinterher nicht mehr zu unterscheiden ist, worin der Anteil der Verwaltung und worin der Anteil der (Partei-)Politik besteht. Und wenn es ernst wird, erfolgt gerade im Jugendhilfeausschuss im Zweifelsfall eine nichtöffentliche Abstimmung.16 Mit Blick auf solche (und andere) Entwicklungen geht es nicht mehr nur 15 Dewey, J. (1964): Demokratie und Erziehung: eine Einleitung in die philosophische Pädagogik. 3. Aufl. Braunschweig 16 Vgl. Lindner, W. (2012): „All politics is local“. – Aktuelle Herausforderungen der Kinder- und Jugendarbeit auf kommunaler Ebene. Zugänge und Bausteine für eine lokale Politikfeldanalyse. In: deutsche jugend, 60. Jg.; Heft 6/ 2012, S. 249-258 10 darum, dass Fachkräfte der Kinder- und Jugendhilfe Partizipation auf einer fachlichen Insel betreiben, oder nur dort, wo dies mit wohlwollender Herablassung genehmigt wird. Hier würde es bedeutsam, von sozialpädagogischer auf kommunalpolitische Partizipation umzuschalten: Es geht nicht mehr nur darum, die Kinder- und Jugendhilfe lediglich innerhalb der rechtlich und politisch gesetzten Rahmungen umzusetzen und zu verbessern, sondern darum, die Rahmungen selbst zum Thema zu machen und diese einer kritischen Überprüfung auszusetzen. Hierzu gibt es noch zu wenige zielgenaue Antworten, aber manchmal reicht es aus, die richtigen Fragen zu stellen, wie z. B.: „Wo werden die relevanten (jugend-)politischen Entscheidungen in der Kommune getroffen?“ Eine solche Sichtweise ist in der Tat etwas anderes als eine lediglich fachlich reduzierte Partizipation, die nur für Kinder- und Jugendliche gilt. Damit verbinden sich auch für Sozialpädagog/innen zweifellos neue Fragen, wie: „Ja, dürfen wir das denn? Ist das denn überhaupt unser Auftrag?“ Wenn Partizipation notwendig an die Fragen von Macht und Herrschaft rührt, wenn Machtbalancen hinterfragt werden – im kleinen wie im großen –, nicht mit billigem Aufruhr, sondern reflektiert und wohlüberlegt, dann dürften auch Fachkräfte der Kinder- und Jugendhilfe an solchen Fragen – und an deren Beantwortung – nicht vorbei kommen. Dies sollte hinreichend Gelegenheit für Reflexionen in den nachfolgenden Workshops bieten. 11