Leitfaden Traumaambulanz - Zentrum Bayern Familie und Soziales

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Leitfaden
Traumaambulanzen
für Opfer von Gewalttaten im Kindes- und Jugendalter
Fassung: April 2010
Inhaltsverzeichnis
Kurzfassung
4
Vorwort
5
I.
Zielsetzung
6
II.
Opferentschädigungsgesetz
und psychischer Gesundheitsschaden
7
III.
1. Grundvoraussetzungen des Anspruchs
auf Beschädigtenversorgung
7
2. Berechtigter Personenkreis
7
3. Gesundheitliche Schäden – Kausalität
9
4. Leistungen
10
5. Antrag
12
6. Sachverhaltsaufklärung
12
Traumaambulanz
13
1. Trauma und Folgen
13
2. Prävalenz
15
3. Ambulanz
16
4. Regionales Angebot
17
5. Qualitätssicherung
17
-2-
IV.
Verfahren zwischen ZBFS und Traumaambulanz
18
1. Krisenintervention
18
2. Psychosoziale Begleitung
18
3. Nachuntersuchungen
18
4. Dokumentation und Berichtswesen
18
5. Antragstellung/Datenschutz/Auskunftspflicht
19
6. Honorierung
19
7. Ansprechpartner für die Traumaambulanzen
20
8. Schulung der Traumaambulanzen zum OEG
20
9. Evaluation
20
Anlagen
1
Verzeichnis der beteiligten Kliniken
2
Mustervertrag (ohne Vertragsanlagen)
3
Berichte:
a Erstbericht
b Abschlussbericht nach den probatorischen Sitzungen
c Abschlussbericht nach Psychotherapie in der Traumaambulanz
-3-
Kurzfassung
Die Prävention und Rehabilitation von psychischen Gesundheitsstörungen von Opfern von Gewalttaten gewinnt in den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung. Ziel
präventiver Maßnahmen ist es, psychische Traumatisierungen infolge von Gewalttaten zu verhindern. Ziel rehabilitativer Maßnahmen ist es, psychische Traumatisierungen von Gewaltopfern zu lindern und zu heilen.
Die Akutintervention bei Gewalttaten geschieht häufig durch Ersthelfer, Kriseninterventionsteams, Notfallseelsorger und andere betreuende Personen. Die Praxis zeigt
jedoch, dass dies nicht immer ausreicht, sondern oft eine fachspezifische Weiterbetreuung der Gewaltopfer nachfolgen muss.
Das Zentrum Bayern Familie und Soziales (ZBFS), das in Bayern das Opferentschädigungsgesetz (OEG) vollzieht, richtet deshalb für Kinder und Jugendliche, die Opfer
von Gewalttaten geworden sind, sog. Traumaambulanzen in Zusammenarbeit mit
psychiatrischen Kliniken ein. Dort sollen die Gewaltopfer Hilfe und Begleitung erfahren.
-4-
Vorwort
Sehr geehrte Damen und Herren,
wenn es der staatlichen Gemeinschaft trotz aller Anstrengungen zur Verbrechungsverhütung nicht gelingt, Gewalttaten zu verhindern, so muss sie wenigstens für die
Opfer dieser Straftaten einstehen.
Dies ist der Leitgedanke des am 16. Mai 1976 in Kraft getretenen Gesetzes über die
Entschädigung für Opfer von Gewalttaten. Dieses Gesetz ist eine bedeutende rechtsund sozialpolitische Errungenschaft. Die Bundesrepublik Deutschland war einer der
ersten Staaten der Welt, der einen gesetzlichen Opferentschädigungsanspruch verankert hat. In seinem Umfang ist das Opferentschädigungsgesetz im Vergleich mit
ausländischen Regelungen bis heute unübertroffen. Im Jahr 2009 ist zudem beschlossen worden, auch deutsche Staatsbürger, die im Ausland Opfer von Gewalttaten geworden sind, in den Schutzbereich des Gesetzes einzubeziehen.
In Bayern ist das Zentrum Bayern Familie und Soziales für die Durchführung des Opferentschädigungsgesetzes verantwortlich. Die Praxis zeigt sehr deutlich, dass eine
aktive Opferbetreuung notwendig ist. Die Opfer von Gewalttaten sind durch die Tat
häufig wie gelähmt und mit dem Geschehen und sich selbst zu sehr beschäftigt, um
Hilfe zu suchen.
In Zusammenarbeit mit psychiatrischen Kliniken in allen Regionen Bayerns macht
daher das ZBFS durch die Einrichtung von Traumaambulanzen den Opfern von Gewalttaten, in einem ersten Schritt psychisch traumatisierten Kindern und Jugendlichen, ein Angebot - ähnlich dem in Nordrhein-Westfalen - zur raschen und kompetenten Hilfe.
Bernd Linstädt
Präsident
-5-
I. Zielsetzung
Bis zur abschließenden Entscheidung über einen Sozialleistungsanspruch
verstreicht nicht selten ein längerer Zeitraum, dem das Gesetz durch bestimmte Befugnisse der Leistungsträger entgegentreten will: Leistungspflicht des zunächst unzuständigen Leistungsträgers (§ 16 SGB I), Vorschuss (§ 42 SGB I), vorläufige Heilbehandlung (§ 43 SGB I, § 10 Abs. 8
BVG), vorläufige Bescheide (§ 22 KOV-VfG).
Opfer von Gewalttaten benötigen
rasche Hilfe:
es gilt gerade bei psychischen Störungen der Grundsatz: „wer rasch
hilft, hilft doppelt“
kompetente Hilfe:
die psychoreaktive Störung darf sich nicht verfestigen, um viel
menschliches Leid und in zweiter Linie auch unnötige Kosten für die
Allgemeinheit zu vermeiden
sichere Hilfe:
Hilfe muss gewährt werden, auch wenn die Zuständigkeit noch nicht
geklärt ist.
Dazu dienen auch Netzwerkbildung und Kooperation mit Opferschutzorganisationen, insbesondere dem Weissen Ring e.V., und anderen Einrichtungen.
-6-
II. Opferentschädigungsgesetz und psychischer Gesundheitsschaden
1. Grundvoraussetzungen des Anspruchs auf Beschädigtenversorgung
Wer infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen
seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender
Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (§ 1 Abs. 1
OEG) 1.
2. Berechtigter Personenkreis
Geschützt ist zunächst die unmittelbar geschädigte Person. Aber auch mittelbar Geschädigte werden vom Schutz des OEG erfasst.
Betroffen sind in erster Linie die sog. Schockschadensfälle, in denen eine
schwerwiegende seelische Störung bei einem nahen Angehörigen dadurch
ausgelöst wird, dass der Erstgeschädigte, z.B. der Ehegatte, getötet wird.2
Bei der Anerkennung von solchen Schockschäden mittelbarer Gewaltopfer
als Schädigungsfolge sind nach dem OEG folgende Kriterien zu berücksichtigen:
Zwischen dem Schädigungstatbestand und dem Schaden beim Dritten
muss eine „gewisse Nähe“ bestehen. Dies ist immer dann der Fall, wenn
ein dritter Tatzeuge einer schweren vorsätzlichen Gewalttat, wie z. B.
Mord, Totschlag, schwere Körperverletzung, wird.
1
Neugefasst durch Bek. v. 07.01.1985 (BGBl I, S. 1), zuletzt geändert durch Art. 1 G. v. 25.06.2009
(BGBl I, S. 1580).
2
Heinz, Opferentschädigungsgesetz, Kommentar, Stuttgart 2007, § 1 Rz 29, 39 ff.
-7-
Eine „gewisse Nähe“ liegt ebenfalls bei Dritten vor, die nicht Tatzeuge
der Gewalttat waren, aber durch die Überbringung der Todesnachricht einen Schockschaden erleiden. Versorgung kann allerdings nur dann gewährt werden, wenn zwischen unmittelbarem Opfer und Drittem eine
emotionale Sonderbeziehung besteht, wie sie regelmäßig bei Ehe- und
Eltern-/Kinderverhältnissen angenommen werden kann.
Der Schock muss bei einem Dritten, d. h. bei einer nicht unmittelbar tätlich angegriffenen Person, eine nicht nur vorübergehende psychische Störung von Krankheitswert verursacht haben.
Es wird damit zwischen zwei Gruppen von „Dritten“ („Sekundäropfer“ nach
der Terminologie des Bundessozialgerichts)1 unterschieden:
a) Sekundäropfer, die Tatzeugen sind: Insoweit ist ein unmittelbarer örtlicher und zeitlicher Zusammenhang zur Primärschädigung gegeben. Eine emotionale Sonderbeziehung zwischen Primär- und Sekundäropfer
ist nicht erforderlich.
b) Sekundäropfer, die nicht Tatzeugen sind: Hier fehlt ein unmittelbarer örtlicher und zeitlicher Zusammenhang zur Primärschädigung. Eine emotionale Sonderbeziehung zwischen Primär- und Sekundäropfer ist daher
eine unverzichtbare Anspruchsvoraussetzung.
Die bisherige Verwaltungspraxis zeigt, dass besonders Kinder und Jugendliche unter Schockschäden leiden, wenn Gewalttaten gegen ihre Eltern geschehen. Ihr Schutz- und Hilfebedürfnis ist in diesen Fällen besonders
hoch.
1
BSG, Urteil vom 07.11.1979, Az: 9 R Vg 1/78; BSG, Urteil vom 08.08.2001, Az: B 9 VG 1/00 R, BSG,
Urteil vom 07.11.2001, Az: B 9 VG 2/01 R; Rds. des BMA vom 06.08.1996-VI1-52039/3 und vom
26.11.2002-VIc 2-62039/3.
-8-
3. Gesundheitliche Schäden – Kausalität
Das Bundessozialgericht hat dazu in seinem Urteil vom 12.06.20031 unter
Bezug
auf
seine
frühere
Rechtsprechung
folgendes
ausgeführt:
„Insbesondere bei Krankheiten, die auf seelischen Einwirkungen beruhen,
bestehen – anders als bei Verletzungsfolgen – regelmäßig erhebliche
Schwierigkeiten, den rechtlich nach den jeweiligen Entschädigungsgesetzen entscheidenden Vorgang – also das die Entschädigungspflicht auslösende Ereignis – als die wesentliche medizinische Ursache festzustellen.
Es verbleibt meistens die Unsicherheit, ob nicht andere wesentlich mitwirkende Bedingungen, etwa eine bereits vorbestehende Anlage von Krankheitswert, für die Ausbildung einer seelischen Dauererkrankung (des seelischen Dauerschadens) vorhanden sind. Dies bedeutet, dass im Regelfall
zahlreiche Möglichkeiten des Ursachenzusammenhanges bestehen. Wenn
jedoch ein Vorgang nach den medizinischen Erkenntnissen – etwa fußend
auf dem Erfahrungswissen der Ärzte – in signifikant erhöhtem Maß geeignet ist eine bestimmte Erkrankung hervorzurufen, liegt die Wahrscheinlichkeit nahe, dass sich bei einem hiervon Betroffenen im Einzelfall die Gefahr
einer Schädigung auch tatsächlich verwirklicht hat; die Möglichkeit verdichtet sich dann zur Wahrscheinlichkeit“.
Feststellungen zur generellen Eignung bestimmter Belastungen als Auslöser von Schädigungsfolgen waren im Bereich des Sozialen Entschädigungsrechts in den sog. Anhaltspunkten für die Ärztliche Gutachtertätigkeit
im Sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht
(Teil 2 SGB IX)2 – kurz „Anhaltspunkte 2008“ - getroffen. Dort hieß es in
Nr. 71: „Durch psychische Traumen bedingte Störungen kommen sowohl
nach langdauernden psychischen Belastungen (z.B. in Kriegsgefangenschaft, in rechtsstaatswidriger Haft in der DDR) als auch nach relativ kurzdauernden Belastungen (z.B. bei Geiselnahme, Vergewaltigung) in Betracht, sofern die Belastungen ausgeprägt und mit dem Erleben von Angst
und Ausgeliefertsein verbunden waren“.
1
2
BSG, Urteil vom 12.06.03, Az.: B 9 VG 1/02 R.
Herausgeber: Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Stand: 2008.
-9-
Bei dieser Aufzählung handelt es sich nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ausdrücklich um Beispielsfälle, die den Schweregrad der
psychischen Belastung zum Ausdruck bringen sollen. Das Bundessozialgericht beruft sich insoweit auf den ICD 10. Eine posttraumatische Belastungsstörung wird dort als eine Reaktion auf ein belastendes Ereignis oder
eine Situation kürzerer oder längerer Dauer mit außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmaß beschrieben, die bei fast jedem
eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde (ICD 10 – F 43.1).
Die „Anhaltspunkte 2008“ sind von der Versorgungsmedizin-Verordnung
(VersMedV)1 zum 01.01.2009 abgelöst und als echte Rechtsverordnung im
Sinne von Art. 80 Grundgesetz ausgestaltet worden. Medizinische Lehrmeinungen und Erfahrungswissen können für sich allein nicht Gegenstand
einer Verordnung sein. Deshalb konnte Nr. 71 der „Anhaltspunkte 2008“
nicht unmittelbar in die neue Verordnung übernommen werden; obwohl sie
nach wie vor den maßgebenden medizinischen Erkenntnisstand in aller
Kürze zusammenfasst. Opferschutzorganisationen wie der Weisse Ring
e.V. bemühen sich derzeit, die in Nr. 71 enthalten gewesenen Grundsätze
wirkungsgleich in der Verordnung zur Geltung zu bringen, um verlorengegangene Rechtssicherheit wieder herzustellen.
4. Leistungen
Opfer von Gewaltverbrechen genießen denselben Schutz und erhalten
dieselben Leistungen, die das BVG für die Opfer des Krieges und ihre Hinterbliebenen vorsieht:
Heilbehandlung und alle Leistungen zur medizinischen Rehabilitation und zur Teilhabe am Arbeitsleben werden vom Staat getragen; für Kinder darüber hinaus nichtärztliche sozialpädiatri-
1
Versorgungsmedizin-Verordnung vom 10.12.2008 (BGBl I, S. 2412), zuletzt geändert durch VO vom
01.03.2010.
- 10 -
sche/heilpädagogische Leistungen;
Renten werden denjenigen gezahlt, deren Erwerbsfähigkeit gemindert oder zerstört worden ist (Grad der Schädigungsfolgen
- GdS - mindestens 30), sowie deren Witwen und Waisen.
Der Umfang der Versorgung ergibt sich im Einzelnen aus dem Bundesversorgungsgesetz (§ 9 BVG).
Opfer von Gewalttaten haben nicht nur Anspruch auf Versorgung aufgrund
von körperlichen, sondern auch von seelischen Schäden. Im Rahmen der
Heilbehandlung sieht insoweit das Bundesversorgungsgesetz ausdrücklich Psychotherapie als ärztliche und psychotherapeutische Behandlung
vor (§ 11 Abs. 1 Nr. 11 BVG).
Heil- oder Krankenbehandlung kann auch vor der Anerkennung des Versorgungsanspruches nach dem OEG gewährt werden (§ 10 Abs. 8 BVG).
Die Praxis zum OEG zeigt in den vergangenen Jahren stark zunehmende
Fälle von psychischen Schädigungsfolgen.
In der wissenschaftlichen Literatur werden z.B. bei Kriminalitätsopfern
Prävalenzraten für eine posttraumatische Belastungsstörung zwischen
15 % und 71 % angegeben1 (vgl. im Einzelnen Ziffer III 2).
Hinsichtlich der Folgen einer psychischen Traumatisierung spielt es gerade bei Kindern und Jugendlichen eine wesentliche Rolle, ob sie sich mit
der erfahrenen Traumatisierung mitteilen und therapeutische Hilfe suchen.2 Dafür sollen die Traumaambulanzen ein Angebot sein.
1
2
Fegert/Streeck-Fischer/Freyberger, Adoleszenzpsychiatrie, Stuttgart 2009, S. 313.
Fegert et al., a.a.O., Seite 323.
- 11 -
5. Antrag
Leistungen nach dem OEG müssen beantragt werden. Der Antrag ist materiell-rechtliche Voraussetzung des Anspruchs auf Versorgung (§ 1 Abs. 1
OEG, VV Nr. 1 zu § 1 BVG). Dies hat zur Folge, dass Leistungen frühestens mit dem Antragszeitpunkt einsetzen. Von dieser Regel macht jedoch
§ 60 Abs. 1 Satz 2 BVG eine wichtige Ausnahme. Danach ist Versorgung
auch für Zeiträume vor der Antragstellung zu leisten, wenn der Antrag innerhalb eines Jahres nach Eintritt der Schädigung gestellt wird. Anträge
sind zwar an keine bestimmte Form gebunden, jedoch müssen sie schriftlich oder mündlich unter Aufnahme einer Niederschrift bei dem zuständigen Versorgungsamt gestellt werden (§ 6 Abs. 3 OEG i. V. m. § 6 KOVVfG)1. Nach § 16 Abs. 1 SGB I werden Anträge auch von allen anderen
Leistungsträgern im Sinne des Sozialgesetzbuches entgegengenommen.
Zum Lauf der Antragsfrist bei sozialrechtlich handlungsunfähigen Kindern,
die von ihren Eltern sexuell missbraucht wurden, vergleiche: BSG, Urteil
vom 11.12.08, Az.: B 9/9a VG 1/07 R = BehindertenR 2009, 115.
6. Sachverhaltsaufklärung
Die Durchführung des OEG obliegt in Bayern dem ZBFS, einer zentralen
Landesbehörde mit breit gefächertem Zuständigkeitsspektrum. Es ist mit
Sitz der Zentrale in Bayreuth durch sieben Regionalstellen in Augsburg,
Bayreuth, Landshut, München, Nürnberg, Regensburg und Würzburg vertreten.
Auf Antrag prüft das ZBFS, ob eine geltend gemachte Gesundheitsstörung
Folge im Sinne des OEG ist. Dabei gilt der sog. „Untersuchungsgrundsatz“. Danach hat die Verwaltungsbehörde von Amts wegen – d. h. von
sich aus – alle Tatsachen zu ermitteln hat, die für ihre Entscheidung nach
1
Gesetz über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung, neugefasst durch Bek. vom
06.05.1976 (BGBl I, S. 1169), zuletzt geändert durch Art. 20 Abs. 3 G v. 13.12.2007 (BGBl I, S. 2904).
- 12 -
dem OEG von Bedeutung sind. Das ZBFS bestimmt nach seinem pflichtgemäßen Ermessen Art und Umfang der Ermittlungen. Zeugen und Sachverständige können zur Aussage oder Erstattung eines Gutachtens herangezogen werden.
Hier sind auch die Traumaambulanzen für Kinder und Jugendliche, die
Opfer von Gewalttaten geworden sind, einzuordnen. Die in den
Traumaambulanzen tätigen Ärzte und psychologischen Psychotherapeuten sind von ihrer Sachkunde her besonders geeignet, festzustellen, ob im
Sinne des OEG relevante Gesundheitsschäden vorliegen. Damit erfüllt
das ZBFS die aus dem Untersuchungsgrundsatz erwachsenden Pflichten.
So können Gesundheitsschäden nicht nur frühzeitig erkannt, sondern sofort fachgerecht behandelt werden.
III. Traumaambulanzen
1. Trauma und Folgen
Psychische Wunden als Folge traumatischer Erfahrungen werden bereits
seit Jahrhunderten beschrieben, dennoch wurde die Bedeutung psychischer Traumen lange Zeit verdrängt bzw. nicht zur Kenntnis genommen.
„Eher nur punktuell wurde in den Nachkriegsjahren den Überlebenden des
Holocaust zuerkannt, dass ihre multiplen Störungen als eine Folge der
massiven Traumatisierungen durch Konzentrationslagerhaft, Verfolgung
und Flucht anzusehen sind. Im Vergleich zu anderen Staaten wurden in den
deutschsprachigen Ländern die Auswirkungen von Traumatisierungen erheblich später wahrgenommen. So sind auch die Folgen von kindlicher
- 13 -
Misshandlung, Missbrauch und Vernachlässigung aus wissenschaftlicher
Perspektive nur zögernd aufgegriffen worden“1.
Erst 1980 wurde aufgrund der vielschichtigen Beschwerden von Rückkehrern des Vietnamkrieges (Reizbarkeit, Albträume, emotionale Abstumpfung,
Entfremdungserleben, Dissoziation, Schlaflosigkeit, Schuldgefühle) die Bezeichnung „posttraumattische Belastungsstörung“ für traumabedingte Störungen in den amerikanischen Diagnoseschlüssel (DSM III damals) aufgenommen.
Während es sich bei einer akuten Belastungsreaktion um eine vorübergehende Störung von beträchtlichem Schweregrad als Reaktion auf eine außergewöhnliche körperliche und/oder seelische Belastung handelt, handelt
es sich bei der posttraumatischen Belastungsstörung um eine länger anhaltende eventuell verzögert erst auftretende Reaktion auf ein belastendes Ereignis oder eine Situation außergewöhnlicher Bedrohung.
Grundlegend sind die folgenden Symptome:
Wiedererleben (z. B. in Form von Intrusionen, Flashbacks)
Vermeidung (aktive Vermeidung von Schlüsselreizen oder -situationen
bzw. passive Vermeidung von emotionalen Belastungen mit Rückzug,
Betäubung und Starre)
sowie eine autonome Übererregbarkeit (Unruhe, erhöhte Reizbarkeit,
Konzentrationsstörungen, erhöhte Schreckhaftigkeit, Schlafstörungen).
Anzumerken ist, dass traumatische Ereignisse zu verschiedenen psychischen und psychosozialen Problemen führen können, so z.B. neben einer
posttraumatischen Belastungsstörung auch zu Anpassungsstörungen,
Angst, Depression und Verhaltensauffälligkeiten. In der Adoleszenz kommen Alkohol- und Drogenmissbrauch, Essstörungen, dissoziative, affektive,
somatoforme und sexuelle Störungen dazu.
1
Fegert et al., a.a.O. Seite 312.
- 14 -
Zu Klinik und Begutachtungskriterien der posttraumatischen Belastungsstörungen vergleiche: Internationale Klassifikation psychischer Störungen
(ICD-10), Diagnostisches und Statistisches Manual psychischer Störungen
(DSM-IV TR), Rundschreiben des Sachverständigenbeirats beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales vom 02. Dezember 2008.
2. Prävalenz
Große Studien in den USA haben gezeigt, dass deutlich mehr als 50 % aller
Menschen in ihrem Leben zumindest einmal mit einem schweren traumatischen Ereignis konfrontiert werden, sei es durch Miterleben von Unfall oder
Gewalt (25 %), oder eigenes Erleben von Unfällen (19,4 %), körperlicher
Gewalt (9 %) , sexueller Belästigung (7,5 %), Misshandlung bzw. sexuellem
Missbrauch in der Kindheit (4 %) oder Vergewaltigung (5,5 %). In der Kindheit und Adoleszenz spielen vor allem Vernachlässigung, sexueller Missbrauch, familiäre Gewalt/Misshandlungen, Gewalt in der Schule und im nahen Umfeld, Verlustereignisse oder schwerwiegende Erkrankungen mit
starken Schmerzen eine hervorgehobene Rolle.
1% bis 9 % der Bevölkerung entwickeln im Anschluss an ein Trauma während ihres Lebens eine posttraumatische Belastungsstörung, Frauen doppelt so häufig wie Männer, und dann auch mit längeren Krankheitsverläufen.
Die Wahrscheinlichkeit, eine posttraumatische Belastungsstörung zu entwickeln, hängt mit der Art und dem Ausmaß des Traumas, dem Vorliegen anderer psychischer Erkrankungen vor dem Ereignis, Alter und Geschlecht,
Bildungsstand, Ausmaß der sozialen Vernetzung mit anderen Personen
und der generellen Problembewältigungsstrategie (Übernahme einer aktiven Rolle) zusammen. Generell sind direkte zwischenmenschliche Ereignisse schwerer traumatisierend, besonders schwerwiegend sind traumatische Ereignisse, die einen Angriff auf eine bisher als vertrauensvoll erlebte
- 15 -
Beziehung darstellen, wie Gewalttaten im familiären Kontext. So wurde bei
sexuellem Missbrauch und Misshandlung in der Kindheit in 35,4 % der Fälle
eine posttraumatische Belastungsstörung beobachtet, bei Vergewaltigung
sogar in 55,5 %, dagegen bei Unfall, sei er selbst erlitten oder als Zeuge
beobachtet, nur in 7,6 % bzw. 7 %1.
3. Ambulanz
Es gilt, relevante seelische Traumatisierungen zu erfassen und den Opfern
einen raschen Zugang zu kompetenter neurologisch-psychiatrischer bzw.
psychotherapeutischer Hilfe, ohne bürokratische Verzögerung, zu ermöglichen. Gerade Kinder und Jugendliche müssen derzeit z. T. ein halbes Jahr
und länger auf einen freien Therapieplatz warten. Dies ist für Opfer einer
akuten Gewalttat nicht akzeptabel und fördert die an sich zu vermeidende
Entstehung oder eine Verfestigung der Störung.
Das ZBFS entschloss sich daher zur Einrichtung von Traumaambulanzen,
an die sich die Opfer direkt wenden können. Zur Mitwirkung bei dem geplanten Modellvorhaben wurden Kliniken, insbesondere der Universitäten
München und Würzburg, sowie der Bezirke gewonnen, die Akzeptanz in der
Bevölkerung und bei Verbandsorganisationen genießen.
Vorerst ist eine Beschränkung auf diese Kliniken vorgesehen. Hierdurch ist
eine hervorragende Qualität und großes Engagement der durchweg mit
Fachärzten für Kinder- und Jugendpsychiatrie sowie ärztlichen und psychologischen Psychotherapeuten arbeitenden Einrichtungen gesichert. Auch
die ständige Fort- und Weiterbildung ist gewährleistet.
Die Behandlung richtet sich nach den Leitlinien zu Diagnostik und Therapie
von psychischen Störungen im Säuglings-, Kindes- und Jugendalter. 2
1
Kessler, Sonnega, Bromat, Hughes, Nelson. Posttraumatic stress disorder in the National Comorbidity Survey, Arch Gen Psychiatry, 1995; 52: 1048 – 60.
2
Herausgegeben von der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik
und Psychotherapie et al., 3. Auflage 2007, Deutscher Ärzte Verlag.
- 16 -
Die beteiligten Kliniken verfügen nicht nur über eine große Erfahrung mit
der Problematik, sondern auch über umfassende diagnostische und therapeutische Möglichkeiten. Außerdem steht so gut wie immer ein kompetenter
Ansprechpartner bereit.
Das Angebot richtet sich vor allem an akut traumatisierte Kinder und Jugendliche. Für bereits chronifizierte Verläufe ist das begrenzte Angebot
nicht vorgesehen und in der Regel auch nicht ausreichend.
4. Regionales Angebot
Durch die Beteiligung von Kliniken an allen sieben Standorten des ZBFS ist
eine ausreichend gute räumliche Erreichbarkeit gegeben.
Die beteiligten Kliniken ergeben sich aus der Liste in der Anlage.
5. Qualitätssicherung
Qualität und Wirksamkeit der probatorischen Sitzungen und der Leistungen
zur Heilbehandlung müssen dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen. Die Forschung im Bereich der Traumatologie wird sich allerdings kontinuierlich weiterentwickeln. So richtet z. B.
die Bundesrepublik Deutschland ein Forschungsinstitut für traumatisierte
Bundeswehrsoldaten ein. Die bei der Behandlung von Opfern von Gewalttaten eingesetzten Methoden haben deshalb fortlaufend dem medizinischwissenschaftlichen Erkenntnis- und Forschungsstand zu folgen. Die beteiligten Kliniken gewährleisten dies.
Auch die Traumaambulanzen sollen wissenschaftlich begleitet werden.
- 17 -
IV. Verfahren zwischen ZBFS und Traumaambulanzen
1. Krisenintervention
Wegen der Einzelheiten wird auf den in der Anlage beigefügten Mustervertrag verwiesen.
2. Psychosoziale Begleitung
Die Traumaambulanzen sind berechtigt, Opfer von Gewalttaten zu Terminen bei Strafverfolgungsbehörden oder Gerichten in erforderlichem Umfang
zu begleiten, um Sekundärtraumatisierungen zu vermeiden. Das ZBFS ist
vor der Erbringung dieser Leistung rechtzeitig zu informieren. Es kann sich
vorbehalten, diese Leistung auszuschließen bzw. zu beschränken.
Im Übrigen wird auf § 406h StPO - neu (vgl. 2. Opferrechtsreformgesetz)1
verwiesen.
3. Nachuntersuchungen
Das ZBFS kann die Traumaambulanzen nach Abschluss der Behandlung
der Gewaltopfer mit einer Nachuntersuchung beauftragen.
4. Dokumentation und Berichtswesen
a)
Die Traumaambulanzen informieren das ZBFS über Beginn und Abschluss der probatorischen Sitzungen bzw. dreitägigen stationären
1
Gesetz zur Stärkung der Rechte von Verletzten und Zeugen im Strafverfahren (2. Opferrechtsreformgesetz) vom 29.07.2009, BGBl I, S. 2280.
- 18 -
Krisenintervention durch die hierfür vorgesehenen Erst- und Abschlussberichte (vgl. Formulare in der Anlage).
Die Berichte enthalten in der Regel folgende Angaben:
biographische, soziale und schulische Anamnese
Krankheitsanamnese incl. evtl. vorausgegangener psychischer
und/oder somatischer Probleme und Behandlungen
durchgeführte Untersuchungen und deren Ergebnisse (Verhaltensbeobachtung, psychopathologischer und somatischer Befund, Testergebnisse, etc.)
Diagnose
Verlauf der probatorischen Sitzungen
Behandlungsplan für weitergehende Heilbehandlung
b)
Im Falle einer Akut-Therapie (6. bis 15. Sitzung) berichten die
Traumaambulanzen auf jeweilige Anforderung durch das ZBFS.
Gleiches gilt für den Fall der Nachuntersuchung.
5. Antragstellung/Datenschutz/Auskunftspflicht
Leistungen nach dem OEG sind nur dann zu erbringen, wenn das Opfer
von Gewalttaten einen Antrag gestellt hat.
Für den Fall, dass zu Beginn der probatorischen Sitzungen bzw. der dreitätigen Krisenintervention noch kein Antrag vorliegt, werden die Traumaambulanzen einen Kurzantrag mit den Opfern ausfüllen. Dieser enthält auch
eine Einwilligungserklärung zur Entbindung von der ärztlichen Schweigepflicht.
6. Honorierung
Die Honorierung richtet sich nach dem Vertrag (vgl. anliegenden Mustervertrag).
- 19 -
7. Ansprechpartner für die Traumaambulanzen
Das ZBFS hat in der Zentrale und in den Regionalstellen Oberfranken und
Oberpfalz spezialisierte Einheiten zur Entscheidung und Bearbeitung sog.
Katalogfälle eingerichtet. Dabei werden die psychischen Folgen bei Opfern
schwerer Gewalttaten medizinisch aufgeklärt, rechtlich bewertet und angemessen entschädigt.
Diese spezialisierten Einheiten tragen die Gesamtverantwortung.
Ansprechpartner vor Ort sind die Sonderbetreuer der Regionalstelle des Regierungsbezirks, in dem der Antragsteller seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hat (Art. 14 Abs. 2, 3 und 5 des OrgPl ZBFS).
Soweit grundsätzliche medizinische Fragen betroffen sind, ist die Strategische Produktmanagerin/Leitende Ärztin der Produktgruppe VII zu beteiligen.
8. Schulung der Traumaambulanzen zum OEG
Ein Schulungskonzept wird erstellt.
9. Evaluation
Eine wissenschaftliche Auswertung ist vorgesehen.
- 20 -
www.zbfs.bayern.de
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Zentrum Bayern Familie und Soziales
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Stand: April 2010
Vermittlung: 09 21/ 6 05-03
Zentrales Telefax: 09 21/ 6 05-39 03
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