3.3 Eigenwerte und das charakteristische Po

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Lineare Algebra II – Sommersemester 2016
3.3
c Rudolf Scharlau
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Eigenwerte und das charakteristische Polynom
In diesem kurzen, aber zentralen Abschnitt werden die zunächst Begriffe Eigenwert” und Eigenvektor” definiert. Sie beziehen sich auf einen
”
”
Endomorphismus eines Vektorraumes, bzw. auf eine quadratische Matrix. Dann wird, aufbauend auf das Konzept der Determinante aus dem
vorigen Abschnitt, das charakteristische Polynom einer quadratischen
Matrix definiert. Mit Hilfe unserer Kenntnisse über Basiswechsel, insbesondere Satz 2.8.13 wird diese Definition auf Endomorphismen endlichdimensionaler Vektorräume übertragen. Nachdem all dieses entwickelt
ist, erfordert es keinen Aufwand mehr, den zentralen Satz dieses Abschittes zu beweisen: Die Eigenwerte sind genau die Nullstellen des charakteristischen Polynoms.
Definition 3.3.1 (Eigenwert, Eigenvektor) Es sei K ein Körper, V
ein K-Vektorraum und F : V → V ein Endomorphismus von V . Ein
Skalar λ ∈ K heißt Eigenwert von F , falls ein Vektor v ∈ V, v 6= 0
existiert mit F (v) = λv. Ein solcher Vektor v ∈ V heißt Eigenvektor von
F zum Eigenwert λ.
Wenn A ∈ K n×n eine quadratische Matrix ist, dann werden die Eigenwerte und Eigenvektoren des Endomorphismus FA von K n auch einfach
als Eigenwerte bzw. Eigenvektoren von A bezeichnet.
Bemerkung und Definition 3.3.2 (Eigenraum) Es sei F ein Endomorphismus von V und λ ∈ K.
a) Wir bezeichnen mit Eig(F, λ) ⊆ V die Menge aller Eigenvektoren
von F zum Eigenwert λ zusammen mit dem Nullvektor. Es gilt
Eig(F, λ) = Kern(F − λ IdV ) .
Insbesondere ist Eig(F, λ) ein Untervektorraum von V . Er heißt
der zu λ gehörige Eigenraum von F .
b) Ein Skalar λ ist genau dann ein Eigenwert von F , wenn der Kern
von F − λ IdV nicht nur aus dem Nullvektor besteht, d.h. wenn
F − λ IdV nicht injektiv ist.
Entsprechend wird ein Eigenraum einer quadratischen Matrix A als Eigenraum der zugehörigen linearen Abbildung FA definiert. Er ist gleich
den Kern der Matrix A−λEn , also gleich dem Lösungsraum des zu dieser
Matrix gehörigen homogenen Linearen Gleichungssystems:
Eig(A, λ) = L(A − λEn , 0).
Vor dem ersten Beispiel zu Eigenvektoren schieben wir noch eine kleine
Definition ein.
Definition und Bemerkung 3.3.3 (Fixpunkt)
a) Es sei M irgendeine Menge und f : M → M eine Abbildung. Ein
Fixpunkt von f ist ein Element x ∈ M , für das f (x) = x gilt.
b) Die Fixpunkte einer linearen Abbildung sind genau die Eigenvektoren zum Eigenwert 1 zusammen mit dem Nullvektor.
Fixpunkte spielen unter anderem in der Geometrie eine große Rolle. Der
Begriff hat nicht speziell mit linearen Abbildungen zu tun.
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Beispiel 3.3.4 Wir betrachten eine reelle 2 × 2-Matrix der Gestalt
!
a
b
S=
wobei a, b, ∈ R, a2 + b2 = 1 ,
b −a
sowie die zugehörige lineare Abbildung
F S : R2 → R2 ,
~x 7→ S~x .
In Satz 2.10.26 hatten wir behauptet, dass FS eine Spiegelung ist. Insbesondere besitzt FS Fixpunkte, nämlich alle Punkte auf der Geraden,
an der gespiegelt wird. Betrachten der Matrix S − E2 gestattet es, dieses
zu bestätigen und die Fixpunkte unmittelbar zu bestimmen.
Übung. Man zeige, dass auch −1 Eigenwert von FS ist und jeder Eigenvektor zum Eigenwert −1 orthogonal zu jedem Eigenvektor zum Eigenwert 1 ist. Hierbei ist das Standardskalarprodukt auf R2 zugrundegelegt.
Wir beginnen nun damit, die auf K definierte Funktion λ 7→ det(A −
λEn ) genauer zu untersuchen. Die Nullstellen dieser Funktion sind genau
die Werte λ, für die A − λEn nicht regulär ist, d.h. die Nullstellen sind
genau die Eigenwerte.
Beispiel 3.3.5 (Das charakteristische Polynom für n = 2)
!
!
a c
a−λ
c
A=
, A − λE2 =
.
b d
b
d−λ
det(A − λE2 ) = λ2 − (a + d)λ + det A .
Wir erhalten also ein quadratisches Polynom in λ; die Eigenwerte sind
die Nullstellen einer quadratischen Gleichung.
Wie wir gleich sehen werden, erhält man für Matrizen der Größe n entsprechend eine Polynomfunktion vom Grad n. Wir wollen im folgenden
nicht nur die entsprechende Funktion auf K betrachten, sondern λ durch
eine Unbestimmte X ersetzen (vergleiche Kapitel 3.1). Der Grund hierfür
ist, dass wir anstelle von X später nicht nur Skalare, sondern auch andere
Objekte, insbesondere Matrizen oder Endomorphismen in das Polynom
einsetzen wollen.
Definition 3.3.6 (Charakteristisches Polynom) Für eine n×n-Matrix A mit Koeffizienten in einem Körper K wird das charakteristische
Polynom als
PA := det(A − XEn )
definiert. Dabei wird dieses Polynom (induktiv über n) durch Entwicklung nach der ersten Spalte gemäß der Formel in 3.2.3 gebildet.
Bemerkung 3.3.7 Das charakteristische Polynom PA einer n×n-Matrix
hat den Grad n, den Leitkoeffizient (−1)n und den konstantem Term
det A.
Beweis: Die ersten beiden Behauptungen ergeben sich mit Induktion
über n sofort aus der Definition. Den konstanten Term a0 eines Polynoms
f erhält man immer als a0 = f (0), also durch Einsetzen von Null. Für
PA ergibt sich definitionsgemäß PA (0) = det A.
Wir wollen nun die Definition des charakteristischen Polynoms von Matrizen auf Endomorphismen endlich-dimensionaler Vektorräume übertragen. Dieses geschieht, wie nicht anders zu erwarten, mit Hilfe der früher
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ausführlich behandeltetn Darstellungsmatrix. Im Abschnitt 2.8 wurde
A
geklärt, wie sich diese Matrix MA
(F ) ändert, wenn wir die Basis A
ändern: Man geht über zu einer ähnlichen Matrix. Wir haben diese Tatsache unter 3.2.15 bereits zur Definition der Determinante eines Endomorphismus genutzt. Nun geht es um den analogen Sachverhalt für das
charakteristische Polynom:
Lemma 3.3.8 Ähnliche Matrizen haben dasselbe charakteristische Polynom.
Beweis: Wir machen für den folgenden Beweis eine zusätzliche, nicht
unbedingt erforderliche Annahme, nämlich dass der Grundkörper K unendlich viele Elemente besitzt. Dann wird der Beweis deutlich einfacher,
weil nach Korollar 3.1.9 jedes Polynom P ∈ K[X] durch die zugehörige
Polynomfunktion Pe : K → K, α 7→ P (α) eindeutig bestimmt ist: Wenn
P (α) = Q(α) für alle α ∈ K ist, dann gilt P = Q (Gleichheit von Polynomen, d.h. Gleichheit aller entsprechenden Koeffizienten). Aus dem
Beweis von 3.2.15 wissen wir schon, dass die Determinanten von ähnlichen Matrizen übereinstimmen: det(SAS −1 ) = det A . Für jedes λ ∈ K
können wir dieses auch auf die Matrix A − λEn anwenden. Wegen
S(A − λEn )S −1 = SAS −1 − λSEn S −1 = SAS −1 − λEn
folgt dann PA (λ) = PSAS −1 (λ), wie behauptet.
Nach der Vorarbeit in Lemma 3.3.8 macht nun die folgende Definition
Sinn:
Definition 3.3.9 Das charakteristische Polynom PF eines Endomorphismus F von V wird definiert als das charakteristische Polynom einer
beliebigen Darstellungsmatrix von F :
PF := PA = det(A − XEn ), wobei A = MBB (F ) ,
und B irgendeine Basis von V ist.
Nun können wir das Hauptergebnis dieses Abschnittes in definitiver
Form formulieren und auch leicht beweisen:
Satz 3.3.10 Es sei K ein Körper und F ein Endomorphismus eines
endlichdimensionalen K-Vektorraumes oder eine n × n-Matrix für ein
n ∈ N. Ein Element λ ∈ K ist ein Eigenwert von F genau dann, wenn
λ Nullstelle des charakteristischen Polynoms von F ist: PF (λ) = 0.
Aus Satz 3.1.8 (über die Anzahl der Nullstellen eines Polynoms) ergibt
sich nun eine oft benutzt einfache Folgerung:
Korollar 3.3.11 Eine quadratische Matrix der Größe n bzw. ein Endomorphismus eines n-dimensionalen Vektorraumes kann höchstens n
verschiedene Eigenwerte haben.
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