Die Problemkinder der Proteinbiochemie

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Die Problemkinder der Proteinbiochemie
Ein wichtiger Teil der Zelleiweiße sitzt in oder an einer Membran. Laut Dr. Dirk Schneider
von der Universität Freiburg muß ein Biochemiker jedoch etwas verrückt sein, sie zu
untersuchen. Den in der exotischen Umgebung der Lipiddoppelschicht sitzenden Molekülen
ist meist nur mit komplizierten Methoden beizukommen. Die Forschung konzentrierte sich
daher lange auf wasserlösliche Eiweiße. Schneider und sein Team haben die
Herausforderung angenommen. Sie fragen vor allem, wie Membranproteine sich falten und
zu Komplexen zusammenlagern.
Etwa ein Viertel bis ein Drittel aller Zellproteine befinden sich in einer biologischen Membran.
Da gibt es Transporter für Stoffe, die die Zelle aufnehmen oder abgeben muss. Oder
Rezeptoren für die Zellkommunikation. Und auch elementare Vorgänge der Photosynthese und
der Atmung finden in und an den Membranen im Zellinneren statt. Rund zwei Drittel aller
Medikamente greifen daher genau hier an. Ein klassisches Beispiel ist das Aspirin, das ein
membranassoziiertes Protein blockiert und so die Synthese von Signalstoffen verhindert, die
entzündliche Reaktionen und Schmerzempfinden auslösen. „Aber Membranproteine zu
untersuchen ist ein totaler Graus“, sagt Dr. Dirk Schneider vom Institut für Biochemie und
Molekularbiologie der Universität Freiburg. Man kann sie nur schlecht in einem großen
Maßstab in Bakterien herstellen und erst recht nicht ohne weiteres reinigen. Für ihre Funktion
in der Lipiddoppelschicht müssen Membranproteine möglichst wasserscheu sein und
verklumpen daher, wenn Biochemiker sie in Lösung bringen wollen.
Ein raffiniertes Testsystem
Schneider und seine Mitarbeiter beschäftigen sich trotzdem mit diesen Problemkindern. Von
der linearen Kette aus Aminosäuren, die in der Zelle anhand der DNA-Vorlage hergestellt wird,
bis zum dreidimensionalen Proteinkomplex, der in der Membran sitzt und eine genau definierte
räumliche Ausrichtung besitzt, ist es ein weiter Weg. Membranproteine werden normalerweise
direkt in die Membran hinein synthetisiert. Wie finden sie in der Umgebung aus Lipiden die
richtige Form? Wie falten sie sich? Wie bilden sie zum Beispiel die Kanäle aus, durch die Ionen
strömen können?
Wissenschaftler nehmen an, dass hierfür Bereiche wichtig sind, die als alpha-Helices bezeichnet
werden. Diese Bereiche sind in sich verdrillte Ketten. Die einzelnen Aminosäurebestandteile
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richten sich so gegeneinander aus, dass sie in der Membran ihre fettliebenden Fortsätze nach
außen strecken – perfekt für einen Aufenthalt in der Lipiddoppelschicht. Die meisten
Membranproteine haben mehrere solche alpha-Helices, die sich innerhalb der Membran
einander annähern. Dadurch kommen entfernte Bereiche des Proteins miteinander in
Berührung: Eine dreidimensionale Struktur entsteht.
Diese Proteine dienen den Forschern um Dr. Dirk Schneider als Modelle. Von links nach rechts: zwei alpha-Helices,
Glykophorin A, Cytochrom b6, GlpF © Dr. Dirk Schneider
„Warum interagieren alpha-Helices?“, fragt Schneider. „Welche Aminosäuren wechselwirken
hier miteinander? Gibt es andere Moleküle, die dabei assistieren?“ Um solche Fragen zu
untersuchen, hat Schneider während seiner Postdoc-Zeit in den USA ein Testsystem in dem
Bakterium E. coli entwickelt. Mit diesem System können die Freiburger Wissenschaftler heute
zum Beispiel zwei in ihrer Aminosäureabfolge genau definierte alpha-Helices in die
Lipiddoppelschicht der bakteriellen Zellmembran einführen. Auf der Innenseite besitzen die
zwei Helices komplementäre Moleküle als Anhängsel. Diese Moleküle funktionieren wie
Schlüssel und Schloss. Vereinigen sie sich, können sie die DNA im Zellinneren aktivieren. Die
DNA ist so manipuliert, dass die aktivierte Bakterienzelle ein vorher erzeugtes Farbsignal
ändert. Die Biochemiker können damit genau feststellen, wie nah sich die zwei alpha-Helices
kommen, denn das Farbsignal verändert sich nur, wenn es eine Vereinigung zwischen
Schlüssel und Schloss gibt. Das System erlaubt raffinierte Experimente: Die Forscher können
zum Beispiel einzelne Aminosäuren in den Helices auswechseln und prüfen, ob die Bindung
zwischen den zwei Ketten dadurch enger oder loser wird. So können sie den Beitrag jedes
einzelnen Bausteins abschätzen.
Gibt es molekulare Assistenten?
Mit diesem Verfahren haben die Freiburger zum Beispiel das Membranprotein Glycophorin A
untersucht, das in der Zellmembran von roten Blutkörperchen sitzt. Dieses Molekül besitzt eine
einzelne alpha-Helix in der Membran. Zwei solcher Helices lagern sich eng zusammen und
verbrüdern damit zwei Glycophorine. Die Zusammenlagerung wird enger, wenn an bestimmten
Stellen in der Helix besonders kleine Aminosäuren vorkommen. Offenbar verringert der
Austausch den Abstand zwischen den zwei Helices. Kommen die Helices sich sehr nahe, dann
bilden sich Bindungen zwischen ihnen aus. Schneider und sein Team fanden heraus, dass diese
enge Zusammenlagerung nicht nur durch die besonders kleine Aminosäure Glycin, sondern
auch durch andere kleine Aminosäuren bewirkt werden kann. Einen ähnlichen Befund ergab
die Untersuchung von sogenannten Rezeptortyrosin-Kinasen . Das sind Membranproteine, die
äußere Signale ins Zellinnere leiten können. Es gibt Krankheiten wie etwa bestimmte
Krebserkrankungen, bei denen die alpha-Helices von Rezeptor-Tyrosinkinasen mutiert sind.
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Das Protein ist dann ständig aktiv und meldet die Anwesenheit von Signalen, obwohl
überhaupt keine vorhanden sind. „Bisher hatte man angenommen, dass die alpha-Helices der
Rezeptortyrosin-Kinasen die Moleküle nur in der Membran verankern“, sagt Schneider. „Aber
wir haben mit unserem Testsystem gezeigt, dass auch eine echte Interaktion zwischen den
Helices stattfindet und notwendig für ein korrektes Funktionieren der Proteine sein kann.“
Die Funktionsweise des Testsystems zur Untersuchung von alpha-Helices in einer Membran. © Dr. Dirk Schneider
Proteine wie Glycophorin A oder die Rezeptor-Tyrosinkinasen schaffen es offenbar alleine,
Haltung anzunehmen. Andere jedoch brauchen Hilfe. Im Falle des Membranproteins Cytochrom
b6, das eine wichtige Rolle beim Elektronentransport der Photosynthese spielt, konnten die
Forscher um Schneider die Funktion des Kofaktors Häm bei der Proteinfaltung entschlüsseln.
Häm ist eine Komplexverbindung, die in ihrem Zentrum ein Eisenatom besitzt und an
verschiedene Proteine gebunden sein kann, wie etwa an Hämoglobin im Blut. Cytochrom b6
trägt zwei Häm-Gruppen. Außerdem besitzt es vier alpha-Helices, die in der Membran
verankert sind. Durch eine Blockade der Bindungsstelle für den Cofaktor konnten Schneider
und seine Mitarbeiter feststellen, dass Häm für die korrekte Faltung des Cytochroms in der
Membran essenziell ist. Künstliche Aminosäureaustausche in verschiedenen Bereichen des
Proteins enthüllten ihnen außerdem die einzelnen Schritte der Faltung und hierfür
entscheidende Aminosäuren. In Zukunft möchten die Forscher herausfinden, ob und wie die
vier alpha-Helices miteinander interagieren. „Ich möchte einmal jeden Schritt der Faltung eines
Membranproteins nachvollziehen können“, sagt Schneider. „Vom Anfang bis zum Ende.“
Eingriffe möglich?
Verstehen die Forscher, wie die alpha-Helices von Membranproteinen miteinander
wechselwirken, können sie eines Tages vielleicht sogar Eingriffe in gestörte Signalsysteme der
Zelle vornehmen. Erste Versuche anderer Forschungsgruppen zeigten bereits, dass sich
bestimmte isolierte alpha-Helices sehr gut zwischen die alpha-Helices von RezeptorTyrosinkinasen einlagern können. Damit stören sie die Struktur der Moleküle und stellen zum
Beispiel ihre Aktivität ab, was bei einigen Krankheiten durchaus von Vorteil sein könnte. „Hier
ist man natürlich noch sehr am Anfang“, sagt Schneider. Sie weiterhin beiseite lassen sollte
man jedoch nicht – die Problemkinder der Proteinbiochemie.
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Fachbeitrag
30.11.2009
mn
BioRegion Freiburg
© BIOPRO Baden-Württemberg GmbH
Weitere Informationen
PD Dr. Dirk SchneiderInstitut für Biochemie und MolekularbiologieUniversität Freiburg
Stefan-Meier-Straße 1779104 FreiburgTel.: (+49) 761 203-5222Fax: (+49) 761 203-5284E-Mail:
Dirk.Schneider(at)biochemie.uni-freiburg.de
Albert-Ludwigs-Universität
Freiburg
Der Fachbeitrag ist Teil folgender Dossiers
Signaltransduktion - spannende Forschung mit Zukunft
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