Vortrag Eisenach Der Beitrag der Kinder- und Jugendpsychiatrie zur Integration von Hilfen zur Erziehung für seelisch Behinderte gemäß § 35 a SGB VIII M. H. Schmidt Die zum Teil sprunghaft steigende Inanspruchnahme von Leistungen nach § 35 a im ambulanten Bereich, vor allem für Kinder mit Legasthenie und Dyskalkulie, führt häufig zu der Frage, wie berechtigt solche Ansprüche seien und ob nicht die Aufgaben der Schule zu Lasten der Jugendhilfe verschoben werden. Unter diesem Aspekt achten Jugendämter bei der Integrationsprüfung darauf, dass die nach dem Gesetz zuzuziehenden Fachärzte nach Möglichkeit nur prüfen, ob die seelische Gesundheit eines Patienten beeinträchtigt ist, wie es im Gesetzestext heißt. Sie behalten sich vor, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft selbst zu überprüfen. Sie berufen sich darauf, dass dies im Zusammenhang mit anderen Fachkräften und unter Einbeziehung der Eltern des Kindes und der tangierten Institutionen geschehe. Demgegenüber sei es nicht vertretbar, dass fachärztliche Stellungnahmen bereits feststellten, dass die Voraussetzungen des § 35 a SGB VIII bei einem Kind vorlägen. Damit seien die Optionen der Jugendämter gegenüber Anspruchsberechtigten, ihren Eltern, anderen am Verfahren beteiligten Institutionen und auch den gegebenenfalls zugezogenen Jugendämter Verwaltungsgerichten erwarten sich eine stark größere eingeschränkt. Die Entscheidungsfreiheit, Betroffenen wenn die fachärztlichen Diagnosen allein an den Kriterien der Internationalen Klassifikation der Krankheiten ausgerichtet würden, also die Frage beantworteten, ob eine Störung vorliegt oder nicht. Multiaxiale Diagnostik in der Kinder- und Jugendpsychiatrie Zur Feststellung von Krankheiten stützen sich Ärzte zur besseren Verständigung auf die Internationale Klassifikation der Krankheiten, die in der zehnten Revision vorliegt (sogenannte ICD-10). In der Kinder- und Jugendpsychiatrie ist es aber bei der Diagnostik nach ICD-10 (ähnlich wie im amerikanischen Sprachraum nach DSM-VI, dem Diagnostischen Statistischen Manual der Amerikanischen Gesellschaft für Psychiatrie) üblich, multiaxiale Diagnosen zu stellen (vgl. Kasten 1). Kasten 1: Multiaxiales Klassifikationsschema für psychische Störungen des Kindes- und Jugendalters nach ICD-10 der WHO Achse I: Klinisch-psychiatrisches Syndrom Achse II: Umschriebene Entwicklungsstörungen Achse III: Intelligenzniveau Achse IV: Körperliche Symptomatik Achse V: Assoziierte aktuelle abnorme psychosoziale Umstände Achse VI: Globalbeurteilung des psychosozialen Funktionsniveaus Stellen wir uns einen Drittkläßler vor, der schlechter schreibt als 97 % der Gleichaltrigen und das bei einem Intelligenzquotienten von 116 und der daraus entstehenden Spannung in der Schule eine Angstsymptomatik mit Spannungskopfschmerzen entwickelt hat, der in der Schule gehänselt wird und dessen Eltern ihm zu verstehen geben, dass sie bessere Leistungen erwarten, während sich seine Schulunlust bereits auf andere Fächer auszubreiten beginnt, dann ergibt sich daraus beispielhaft folgende Diagnose (vgl. Kasten 2) Kasten 2: Beispielhafte multiaxiale Diagnose für ein Kind mit LeseRechtschreibschwäche Achse 1: Angststörung des Kindesalters Achse 2: Lese-Rechtschreibschwäche Achse 3: überdurchschnittliche Intelligenz Achse 4: Spannungskopfschmerz Achse 5: Überforderungssituation in der Familie, Opferrolle bei Hänseleien in der Schule, Achse 6: erhebliche Schwierigkeiten beim Schulbesuch und in der Familie (ambulant behandlungsbedürftige psychische Störung). Die kinderpsychiatrische Diagnose umfasst in diesem Falle also bereits Hinweise auf eine eingeschränkte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft und sie zählt Rahmenbedingungen auf, unter denen die Lese-Rechtschreibschwäche für die gesamte sozial-emotionale Entwicklung kritisch zu werden droht, nicht nur für den Schulbesuch. Wenn der Kinder- und Jugendpsychiater dies dem Jugendamt mitteilt, wird er also nicht nur die psychische Störung (die in diesem Falle nicht nur in der Legasthenie sondern auch in der sich entwickelnden Angststörung besteht) erwähnen, sondern auch, dass diese Störung langfristig bestehen wird und mit den Mitteln der Schule allein nicht mehr zu beheben ist, aber die schulische Entwicklung des Neunjährigen bedroht. Das Jugendamt wird die Anspruchsvoraussetzungen zur Hilfe nach § 35 a SGB VIII natürlich nachprüfen und Vorstellungen von dem notwendigen Hilfeumfang entwickeln, die Art der Hilfe mit den gesetzlichen Vertretern des anspruchsberechtigten Kindes aushandeln und die notwendige Hilfedauer und die Überprüfung des Hilfeplans fortschreiben. Voraussetzungen seelischer Behinderung Der Anspruch auf Eingliederungshilfe für seelisch Behinderte ergibt sich aus dem Absatz 1 des § 35 a des Kinder- und Jugendhilfegesetzes, eben des achten Sozialgesetzbuchs, siehe Kasten 3. Kasten 3 Dieser Text liest sich zwar einfach und wir glauben alle, ihn ohne weiteres zu verstehen, in ihm verbergen sich aber eine Menge offene Fragen, zu deren Klärung spezifische Kompetenz notwendig ist. Der Terminus seelische Gesundheit wirft die Frage nach einer Definition dafür auf. Der Terminus mit hoher Wahrscheinlichkeit fragt danach, mit welcher Sicherheit das Sechsmonatskriterium zutreffen muss. Der Terminus länger als sechs Monate ist eine zukunftsorientierte Diagnose, die die Frage aufwirft, wie weit die bisherige Bestehensdauer bestimmter Auffälligkeiten die künftige voraussagen lässt. Der Terminus einer Abweichung vom für das Lebensalter typischen Zustand fragt danach, wie weit ein altersbezogener Zustand variieren darf. Die verlangte Abweichung vom für das Lebensalter typischen Zustand fragt nach der Varianz von Zuständen überhaupt, das heißt danach, wodurch sich krankheitswertige Störungen definieren. Die angesprochene Teilhabe am Leben in der Gesellschaft fragt danach, welche Dimensionen des Lebens in der Gesellschaft angesprochen sind. Der Terminus der Beeinträchtigung fragt nach dem Ausmaß der veränderten Teilhabe. Der Hinweis auf eine zu erwartende Beeinträchtigung fragt nach Kriterien für die Prognose solcher Zustandsveränderungen. Was definiert seelische Gesundheit? Wenn wir den genannten Fragen der Reihe nach nachgehen, ergibt sich zunächst das Problem was seelische Gesundheit definiert. Als Seelische Gesundheit hat die WHO in ihren Zielvorstellungen für das Jahr 2000 das Freisein von körperlichen, seelischen oder sozialen Beeinträchtigungen genannt. Da das Freisein von seelischen Beeinträchtigungen extrem schwer zu definieren ist, beschränkt sich die Feststellung in der Regel auf die Umkehrung dieses Freiseins, nämlich auf die Feststellung einer psychischen Störung. Gegeneinander abgrenzbare psychische Störungen werden in der Regel durch ein bestimmtes Symptommuster, bestimmte Entstehungswege, einen typischen Verlauf und eine voraussehbare Behandelbarkeit mit bestimmten Mitteln definiert. Das heißt, dass die Abweichung von seelischer Gesundheit nur über ein bestimmtes Merkmalsmuster zu ermitteln ist und also Diagnosewissen voraussetzt. Was ist hohe Wahrscheinlichkeit? Das Sechsmonatskriterium soll mit hoher Wahrscheinlichkeit erfüllt sein. Dieser Wahrscheinlichkeitsbezug stellt auf einen künftigen Zustand ab. Wahrscheinlich ist etwas bereits, wenn es mit einer Häufigkeit von mehr als 50 % auftritt. Wahrscheinlich ist aber auch, dass beim Würfelspielen ein Sechstel aller Würfel, das heißt 16,7 % zu einer sechs führen. Wenn es darum geht, ein Sommerfest wegen drohenden Schlechtwetters einen Tag vorher abzusagen, dann muss die Wahrscheinlichkeit für das Eintreten dieser Witterung sehr hoch sein, weil dann ja viele Vorbereitungen umsonst waren. Geht es aber darum, dass ein Patient aufgrund eines bestimmten Symptoms an Blutkrebs leiden könnte, dann genügt schon eine geringe Wahrscheinlichkeit, um weitere diagnostische Maßnahmen zu veranlassen. Ähnlich gehen Wahrscheinlichkeitsaussagen bei psychischen Störungen vor: je schwerwiegender die mögliche Störung ist, um so sicherer muss ihr vorgebeugt werden. Die Schwelle für die Annahme komplizierter Folgen bei Kinderdelinquenz ist also höher als die Schwelle für die Annahme solcher Folgen bei einer Angstsymptomatik, die Beurteilung setzt aber Prognosewissen voraus. Was bedeutet das Sechsmonatskriterium Die Feststellung länger als sechs Monate wird als prognostische Feststellung gebraucht. Eine solche Voraussage stützt sich aber selten auf den aktuellen Zustand allein, sondern fragt in der Regel nach dem bisherigen Verlauf. Wenn ein Sechsjähriger an einer autistischen Störung leidet, dann ist das in der Regel vor wenigstens zwei oder drei Jahren erkannt worden und wird sich im Laufe seines Lebens nicht mehr ändern. Viele seelische Behinderungen beruhen auf Störungen, bei der Entscheidungen zur Inanspruchnahme von Hilfe bereits einen langen Vorlauf haben. Er hilft zu entscheiden, ob das Sechsmonatskriterium erfüllt ist, während die Frage, ob die seelischen Folgen eines Autounfalls vor drei Wochen über sechs Monate anhalten werden, viel schwerer zu beantworten ist. Verlaufswissen hilft also dazu, die Frage nach dem Sechsmonatskriterium richtig zu beurteilen. Was ist typisch für ein Lebensalter? In Folge der Beeinträchtigung der seelischen Gesundheit soll eine Abweichung von einem für ein Lebensalter typischen Verhaltensweisen erfolgen. Nun lassen sich zwar bestimmte Verhaltensweisen, Fertigkeiten oder Fähigkeiten einem bestimmten Altersbereich zuordnen, aber keinem distinkten Alter. Nicht alle Kinder sind an ihrem sechsten Geburtstag gleich, sondern manche erreichen die sogenannte Schulreife um diesen Zeitpunkt, einige früher, nicht wenige aber erst später. In der Regel verfügt ein Kind am Ende des ersten Schuljahres über basale Lesefähigkeiten, einige schon vorher, 15% aber erst später und nicht alle von diesen leiden an einer LeseRechtschreibschwäche. Die Zuordnung von Zuständen zu einem Alter setzt Entwicklungswissen voraus. Worauf wirken sich atypische Zustände seelischer Gesundheit aus? Worauf sich atypische Zustände seelischer Gesundheit auswirken, ist zunächst offen. In der Regel stellt man sich dabei seelische Prozesse vor, das heißt Dispositionen zu bestimmten Befindlichkeiten oder Verhaltensweisen wie Aufmerksamkeit, Wahrnehmung, Konzentration, Denken, Fühlen, Regulation oder Planung. Welche von diesen Verhaltensweisen müssen betroffen sein, welche sind bedeutsam? Es ist leichter, psychische Störungen über qualitative Abweichungen von bestimmten Erwartungen zu definieren als über quantitative. Ein Kind, das stottert oder dysgrammatisch spricht, tut etwas, was nur in sehr frühen Altersstufen "normal ist". Ein Kind, das mit der Bildung der Zukunftsform von Verben oder im Verständnis von Präpositionen Schwierigkeiten hat, muss hingegen darauf geprüft werden, ob das in seinem Alter ohnehin noch schwierig ist oder ob das Ausmaß der Abweichung von der Altersnorm bereits als krankhaft anzusehen ist. Deshalb stellt die Ermittlung nicht alterstypischer psychischer Prozesse bestimmte Anforderungen an das Wissen über die Entstehung von Auffälligkeiten. Was ist Teilhabe am Leben der Gesellschaft? Bezüglich der Beschränkung der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft ist zunächst zu fragen, ob eine rein passive Teilhabe genügt oder eine aktive Teilnahme zu fordern ist. Allgemein wird von dem Letzteren ausgegangen. Bei Minderjährigen kann sich diese Teilnahme nicht auf die gleichen gesellschaftlichen Rollen stützen wie bei Erwachsenen. Zu fordern ist, dass ein Kind oder Jugendlicher seiner Rolle in der Familie oder Gleichaltrigen Primärbezugsgruppe, im Freizeitverhalten in der und Schule oder bezüglich Ausbildung, unter altersentsprechender Selbstständigkeit nachkommen kann. Das Ausmaß der Beeinträchtigung lässt sich nicht ohne weiteres aus dem Schweregrad der psychischen Störung ableiten. Psychische Störungen können die Kompetenzen eines Minderjährigen in gesellschaftlichen Rollen beeinträchtigen, sie müssen es aber nicht. Zu 50 % ist mit einer Überschneidung zu rechnen. Etwas mehr als 10% der unter 18-Jährigen haben aber Defizite in ihren Rollenkompetenzen, obwohl ihre Symptome nicht das Ausmaß einer Störung erreichen, die eine Diagnose nach ICD-10 rechtfertigt. Diese Gruppe bedarf einer besonderen Betrachtung. Wann ist eine Beeinträchtigung der Teilhabe zu erwarten? Das führt zur Frage der drohenden seelischen Behinderung. Zunächst wird ohnehin auch der Arzt, der die psychische Störung, das heißt, die Beeinträchtigung der seelischen Gesundheit diagnostiziert überlegen, welche Maßnahmen geeignet sind Teilhabedefizite zu kompensieren bzw. ihnen vorzubeugen. Er wird dann überlegen, welche von diesen Maßnahmen zugänglich sind und wie der Betroffene auf sie hingewiesen werden kann, beispielsweise die maximal achtzigstündige Verhaltenstherapie bei Kindern mit deutlichen hyperkinetischen Störungen, die zu einer Teilhabebeeinträchtigung geführt haben und durch eine medikamentöse Behandlung nicht ausreichend zu beeinflussen sind. Dazu muss der Arzt wissen, wie eine psychische Störung verläuft, wenn keine Intervention erfolgt, denn nur auf dieser Basis kann er abschätzen, ob eine seelische Behinderung droht. Wie sich Lese-Rechtschreibschwäche bei Achtjährigen auf Berufstatus und Verhaltensauffälligkeiten im Alter von 25 Jahren in der in Mannheim durchgeführten Kurpfalzstudie ausgewirkt haben, ist Kasten 4 zu entnehmen. Natürlich ist nicht automatisch auf einen ungünstigen Ausgang zu schließen, wenn aber die Randbedingungen ungünstig, die Lese-Rechtschreibschwäche ausgeprägt und bereits Sekundärstörungen vorhanden sind, dann drohen die mitgeteilten Nachteile und Auffälligkeiten. Niemand wird bestreiten, dass man dann von einer drohenden seelischen Behinderung sprechen muss. Kasten 4 Auch die Entscheidungsträger in der Jugendhilfe benötigen deswegen ein bestimmtes Wissen um nicht alterstypische Zustände seelischer Gesundheit, also um psychische Störungen. Sie müssen über Diagnose und Entstehungswissen verfügen, um das Vorliegen einer psychischen Störung nachvollziehen und ihre Hintergründe gegen reine Erziehungsdefizite abgrenzen zu können. Sie müssen über Entwicklungs- und Kompetenzwissen verfügen, um zu unterscheiden, ob Defizite eines Minderjährigen Variationen im Rahmen der üblichen Entwicklung darstellen oder echte Kompetenzdefizite, und um das Ausmaß der Kompetenzdefizite zu erkennen, denn es ist leicht zu verstehen, dass sich Kompetenzdefizite in mehreren Bereichen gegenseitig verstärken. Schließlich brauchen solche Mitarbeiter der Jugendhilfe Wissen über die Verläufe psychischer Störungen mit und ohne Intervention, das heißt über die Beeinflussungsaussichten und sie müssen in der Lage sein, prognostische Aussagen des Arztes nachzuvollziehen und solche bezüglich der Kompetenzentwicklung selbst zu treffen. Gleichzeitig schafft solches Wissen auch Präventionswissen, das auch im Rahmen der Jugendhilfe dazu beitragen sollte, allgemeine Vorbeugungsmaßnahmen und Frühinterventionen zu forcieren. Kinder mit seelischen Behinderungen und ihre Bedürfnisse Kasten 5 enthält Beispiele für psychische Störungen bei Kindern, die in der Regel einen Interventionsbedarf nach § 35 a SGB VIII auslösen. Dies sind durchweg Störungen mit chronischem Verlauf, also geringer Rückbildungstendenz ohne Intervention. Kasten 5: Psychische Störung mit Interventionsbedarf gemäß § 35 a SGB VIII beim Kind h Autistische Störungen ohne geistige Behinderung h Bindungsstörungen h Sprachproduktion- und Sprachverständnisstörungen h Chronifizierter Mutismus (Sprechverweigerung) h Hyperkinetische Störungen mit impulsivem Verhalten (gestörtem Sozialverhalten) h Lese-Rechtschreibstörungen und Rechenstörungen h Störungen des Sozialverhaltens mit Bindungsstörung h Psychische Störungen nach sexueller Misshandlung h Angst-, Zwangs- und depressive Störungen bestimmten Ausmaßes h Chronische Essstörungen, Dissoziations- und Somatisierungsstörungen bei älteren Kindern und Jugendlichen Kasten 6 enthält Beispiele für besondere Behandlungsbedürfnisse bei Kindern mit seelischen Behinderungen wobei ausdrücklich gesagt sei, dass diese Behandlung keineswegs allein im Rahmen der Hilfen für seelisch Behinderte möglich und notwendig sind, da beispielsweise Übungsbehandlung für sprachentwicklungsgestörte oder legasthene Kinder zunächst im Vorfeld der Hilfe für seelisch Behinderte zu erfolgen hat und zu finanzieren ist. Das gleiche gilt bei der häufig anzuwendenden Verhaltenstherapie, für die Krankenkassen für maximal 80 Stunden aufkommen, und für körperbezogene Therapien. Elterntraining, familientherapeutische Behandlungen und intensiver Kontakt mit Schulen hingegen sind in der Regel nicht bzw. in nur sehr beschränktem Maße aus dem Gesundheitswesen finanzierbar. Kasten 6 Kasten 7: Häufige Formen der Behandlung bei seelischen Behinderungen im Rahmen der Hilfen zur Erziehung hAmbulante Behandlung hBehandlung in Erziehungsberatungsstellen hBehandlung (nicht nur Beratung !) im Rahmen sozialpädagogischer Familienhilfe hBehandlung in heilpädagogischen / therapeutischen Tagesgruppen hBehandlung im Rahmen von Sonderpflegestellen hBehandlung im Rahmen von Heimerziehung / betreutem Wohnen Ambulante Behandlung besteht in der Regel in ambulanter Erziehungshilfe oder intensiver Einzelfallhilfe. Beide werden in der Regel multisystemisch durchgeführt. Die Behandlung im Rahmen der sozialpädagogischen Familienhilfe bedarf besonderer Schulung, sie darf sich nicht auf Beratung beschränken. Bei Interventionen in Tagesgruppen ist zu bedenken, dass die Interventionen nur über 25 % der täglichen Wachzeit reicht und sogar nur über 18 % der wöchentlichen Wachzeit. Behandlung im Rahmen von Sonderpflegestellen setzt besonders geschulte Pflegeeltern voraus. Spezifische Forderungen ergeben sich in der Regel daraus, dass Behandlung von Kindern mit seelischer Behinderung (vgl. Kasten 8) bestimmten Prinzipien folgen muss, die nicht auseinanderdividiert werden können. Kasten 8 Das Ausmaß des Hilfebedarfs ergibt sich, wie schon erwähnt, nicht nur aus Art und Ausmaß der psychischen Störung, sondern auch aus Art und Ausmaß der Kompetenzdefizite, dann aus den Beeinträchtigungen im Umfeld des Betroffenen bzw. dessen Ressourcen und den Ressourcen des Kindes selbst. Natürlich müssen anderweitige, nach dem Gesetz vorrangige, Interventionsmöglichkeiten ausgeschöpft sein. Unzureichende oder ungerechtfertigte Inanspruchnahme Es besteht einerseits kein Zweifel (vgl. Kasten 9, in dem Pothmann und Schilling Daten aus dem Jahre 2000 und 2001 einander gegenüber stellen), dass Hilfen zur Erziehung für seelisch Behinderte im Rahmen stationärer Maßnahmen zu wenigen Kindern zugute kommen, das heißt, dass Maßnahmen nach § 34 vermutlich in dieses Feld hinein ausgeweitet werden. Es wäre ja auch nicht vorstellbar, dass unter den ambulanten Hilfen, die generell leichtere Störungen und Kompetenzdefizite treffen, ein wesentlich höherer Prozentsatz Anspruchsberechtigter vorkommt. Keine empirischen Studien liegen darüber vor, ob der Satz von 15 % tatsächlich dem der seelisch Behinderten in der Gruppe der unter 21-Jährigen entspricht, er nähert sich ihm wahrscheinlich aber. Nicht nachvollziehbar ist, dass Hilfen für Kinder mit Legasthenie und Dyskalkulie fast ein Viertel aller ambulanten Hilfen nach § 35 a ausmachen. Das würde ja bedeuten, dass von den 8 % lese-rechtschreib- und rechenschwachen Kindern fast die Hälfte so schwerwiegend sind, dass sie seelische Behinderung erwarten lassen. Kasten 9 Kasten 10 informiert über Fehlermöglichkeiten bei Entscheidungen zu Hilfen nach § 35 a SGB VIII im Vergleich mit dem oben Gesagten. Die genannten Fehler entstehen durch mangelndes Wissen über Diagnose und Entstehung psychischer Störungen und Kompetenzdefizite, über alterstypische Zustände, die Kompetenzentwicklung und die typische Verlaufsdynamik bestimmter Störungsbilder. Es kann zur Wahl unzureichender Hilfen führen. Die Unterschätzung der Akzeptanz und Durchführbarkeit ausgehandelter Hilfen ist mit diesem Wissen nicht zu vermeiden. Hierfür sind spezifische Kenntnisse und Erfahrungen über Kooperationsfähigkeit von Minderjährigen und Familien notwendig, also sozialpädagogisches Prognosewissen. Kasten 10 Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. M.H. Schmidt Zentralinstitut für Seelische Gesundheit Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters J5 68159 Mannheim