Praxis der Kinderpsychologie und Kinderpsychiatrie Ergebnisse aus Psychotherapie, Beratung und Psychiatrie Herausgeberinnen und Herausgeber: Ulrike Lehmkuhl, Berlin; Albert Lenz, Paderborn; Franz Resch, Heidelberg; Georg Romer, Münster; Maria von Salisch, Lüneburg; Svenja Taubner, Klagenfurt Verantwortliche Herausgeber: Univ.-Prof. Dr. med. Franz Resch, Klinik für Kinder und Jugendpsychiatrie, Zentrum für Psychosoziale Medizin, Universitätsklinikum Heidelberg, Blumenstr. 8, D-69115 Heidelberg Univ.-Prof. Dr. med. Georg Romer, Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, -psychosomatik und -psychotherapie, Schmeddingstr. 50, D-48149 Münster Redakteur: Dipl.-Psych. Kay Niebank (verantw. i. S. des niedersächs. Pressegesetzes), Hartwigstr. 2c, D-28209 Bremen, E-Mail: [email protected] Gegründet von A. Dührssen und W. Schwidder Frühere Herausgeber: R. Adam, M. Cierpka, A. Dührssen, E. Jorswieck, G. Klosinski, M. Müller-Küppers, W. Schwidder, I. Seiffge-Krenke, F. Specht, A. Streeck-Fischer Manuskripteinsendungen werden an die Redaktion erbeten. Hinweise zur Manuskriptgestaltung bei der Redaktion oder unter www.v-r.de. Eingesandte Manuskripte werden von unabhängigen Gutachtern vor ihrer Annahme beurteilt (referee-Verfahren). Mit der Annahme des Manuskriptes und seiner Veröffentlichung in der Zeitschrift erhält der Verlag das ausschließliche Verlagsrecht für alle Sprachen und Länder. Für die Rücksendung unverlangter Rezensionsexemplare keine Gewähr. Produkthaftung: Autoren und Verlag haben sich um größtmögliche Genauigkeit bemüht. Dennoch kann für Angaben über Dosierungsanweisungen und Applikationsformen keine Gewähr übernommen werden. Bezugsbedingungen: Die Zeitschrift erscheint zehnmal jährlich mit einem Gesamtumfang von ca. 800 Seiten. Der Bezugspreis beträgt jährlich € 84,–/86,40 (A)/sFr 105,–. Inst.-Preis: € 199,–/204,60 (A)/sFr 243,–. Einzelheft € 14,95/15,40 (A)/sFr 20,90. Jeweils zzgl. Versandkosten. Preisänderungen vorbehalten. Die Bezugsdauer verlängert sich um ein Jahr, wenn keine Abbestellung bis zum 1.10. erfolgt. Die in dieser Zeitschrift veröffentlichten Beiträge sind urheberrechtlich geschützt. Übersetzungen, Nachdruck, Vervielfältigungen, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung des Verlags. © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstr. 13, D-37073 Göttingen, Tel.: 0551/5084-40, Fax: 0551/5084-454; E-Mail: [email protected] (für Bestellungen u. Abonnementverwaltung). Verantwortlich für die Anzeigen: Ulrike Vockenberg, Verlag Vandenhoeck & Ruprecht. ONLINE unter www.v-r.de Druck- und Bindearbeiten: Hubert & Co, Göttingen. Die Zeitschrift wird regelmäßig von den Literaturdatenbanken DIMDI, ETHMED, Psyc-INFO und PSYNDEX und den Referatediensten „Current Contents“ (SSCI), „Psychological Abstracts“ und „Psychologischer Index“ ausgewertet. Gedruckt auf umweltfreundlichem, chlor- und säurefreiem Papier. ISSN (Printausgabe): 0032-7034, ISSN (online): 2196-8225, ISSN (E-Journal): 0032-7034 1 Beilage: Pearson Assessment & Information GmbH ipabo_66.249.64.176 Inhalt Übersichtsarbeiten / Review Articles Marina Zulauf Logoz Die Revision und 5. Auflage des Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (DSM-5) und ihre Auswirkungen auf die Diagnostik im Kinder-/ Jugendbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 562 The Revision and 5th Edition of the Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (DSM-5): Consequences for the Diagnostic Work with Children and Adolescents Originalarbeiten / Original Articles Lisa Steger, Maria Höllwarth, Gerhard Rumpold und Barbara Juen Beziehungsmuster bei Müttern von Kleinkindern mit funktioneller Obstipation . . . 577 Relationship Pattern of Mothers with Functional Constipated Infants Katrin Niemann und Frank Häßler Seelische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in der stationären Jugendhilfe/ Heimerziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 590 Children’s and Adolescents’ Mental Health in Residential Youth Care Settings Autoren und Autorinnen / Authors 607 | Buchbesprechungen / Book Reviews 608 Tagungskalender / Congress Dates 611 | Mitteilungen / News 613 Aus dem Inhalt des nächsten Heftes / Preview of the next Issue 613 Prax. Kinderpsychol. Kinderpsychiat. 63: 561 (2014), ISSN: 0032-7034 (print), 2196-8225 (online) © Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen 2014 ÜBERSICHTSARBEITEN Die Revision und 5. Auflage des Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (DSM-5) und ihre Auswirkungen auf die Diagnostik im Kinder-/Jugendbereich Marina Zulauf Logoz Summary The Revision and 5th Edition of the Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (DSM-5): Consequences for the Diagnostic Work with Children and Adolescents The present paper describes and discusses the major revisions in DSM-5 for children and adolescents. A major modification is that the separate chapter for disorders first diagnosed in childhood and adolescence was abandoned in favour of the integration of these clinical pictures into the relevant disorder-specific chapters. Several new diagnoses and diagnostic groups were introduced: “Disruptive mood regulation disorder” is a new diagnosis; the different diagnoses for autism were brought together into one, and a new diagnostic group for obsessive-compulsive disorders has been established. The developmental approach of DSM-5 and the integration of dimensional assessment tools are to be welcomed. Practice will show if the critiques afraid of possible increases in prevalences or those who approve the changes will end up being right. Prax. Kinderpsychol. Kinderpsychiat. 63/2014, 562-576 Keywords DSM-5 – childhood – adolescence – mental disorders Zusammenfassung Die wichtigsten Änderungen im DSM-5 für den Kinder- und Jugendbereich werden erörtert. Sie bestehen unter anderem darin, dass die klinischen Bilder in Kindheit und Jugend nun störungsspezifisch bei den jeweiligen Diagnosen eingeordnet wurden. Neu wurde „Disruptive mood regulation disorder“ als Diagnose eingeführt, die Autismus-Diagnosen zusammengefasst, und für die Zwangsstörungen eine neue Diagnosegruppe gebildet. Zu begrüßen sind die Entwicklungsorientierung und der Einbezug dimensionaler Diagnoseinstrumente. Ob die Kritiker recht behalten, dass es zu häufigeren Diagnosen kommt, oder die Befürworter, und sich die neuen Diagnosen und neuen Kriterien positiv auf die Behandlung auswirken, wird die Praxis in Zukunft zeigen. Prax. Kinderpsychol. Kinderpsychiat. 63: 562 – 576 (2014), ISSN: 0032-7034 (print), 2196-8225 (online) © Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen 2014 ipabo_66.249.64.176 ��������������������������������������������������� DSM-5 und Diagnostik im Kinder-/Jugendbereich������ 563 Schlagwörter DSM-5 – Kinder – Jugendliche – psychische Störungen 1 Hintergrund Im Mai 2013 ist die 5. Auflage des Diagnostischen und statistischen Manuals für psychische Störungen erschienen. Die Vorarbeiten dazu haben 2006 begonnen und umfassen Literaturreviews, Feldstudien, Datenanalysen sowie die Integration von Rückmeldungen aus wissenschaftlich und praktisch arbeitenden Fachkreisen. Im Jahr 2010 wurde der Entwurf von der American Psychiatric Association während sechs Wochen online geschaltet, um den Text neben der Begutachtung durch Expertenkomitees auch einer globalen Meinungsäußerung zugänglich zu machen. Ziele bei der Überarbeitung der Vorgängerversion DSM-IV waren die Präzisierung unscharfer „NNB (nicht näher bezeichnet) Diagnosen“, die verbesserte Überein-stimmung mit dem ICD-System der Weltgesundheitsorganisation WHO, die Weiterentwicklung hinsichtlich der wissenschaftlichen und empirischen Fundierung von Diagnosen und der Einbezug dimensionaler Untersuchungsverfahren, um den Schweregrad von Störungen besser abzubilden (vgl. Zucker, 2012). Eine deutsche Übersetzung liegt noch nicht vor. Die folgende Arbeit gibt im ersten Teil eine Übersicht derjenigen Veränderungen, die Kinder und Jugendliche mit psychischen Störungen betreffen und evaluiert im zweiten Teil die Konsequenzen für die Praxis (vgl. Zulauf Logoz, 2013). Für weiterführende Informationen, insbesondere den späteren Jugend- bis Erwach-senenbereich betreffend, sei auf das Kapitel „Highlights of Changes from DSM-IV to DSM-5“ des DSM-5 (American Psychiatric Association, 2013, S. 809-816) verwiesen. Es bietet einen kurzen Abriss aller Veränderungen pro Diagnosegruppe. Grundsatzüberlegungen sind in der Einleitung des Manuals beschrieben. 1.1 Die grundsätzlichen Neuerungen Die für den Kinderbereich wichtigste Änderung liegt bereits in der Grundstruktur des Manuals: Das DSM-5 ist nach einem „lifespan approach“ organisiert und einem entwicklungsorientierten Ansatz verpflichtet. Im ersten Kapitel des DSM-IV (American Psychiatric Association, 1994, dt. 1998) waren unter „Störungen, die gewöhnlich zuerst im Kleinkindalter, in der Kindheit oder Adoleszenz diagnostiziert werden“ verschiedene, unterschiedliche Störungsbilder subsumiert. Daran schlossen sich die Kapitel „Delir, Demenz, amnestische und andere kognitive Störungen“ / „Psychische Störungen aufgrund eines Medizinischen Krankheitsfaktors“ / „Störungen im Zusammenhang mit Psychotropen Substanzen“ an, und schließlich die Psychischen Erkrankungen im engeren Sinne bei Erwachsenen. Die Liste der diagnostischen Kriterien und Diagnosekodes im neuen Manual DSM-5 folgt der 564 M. Zulauf Logoz Altersentwicklung, separiert aber Störungen des Kindesalters nicht mehr als störungsübergreifenden klinischen Bereich, sondern ordnet sie störungsspezifisch bei den jeweiligen Diagnosen ein. Demnach finden sich am Anfang der Section II („Diagnostic Criteria and Codes“) des DSM-5 Störungsbilder, die bereits im Kindesalter bestehen und entsprechend früh in der Entwicklung diagnostiziert werden können, z. B. „Neurodevelopmental Disorders“, wie Intelligenzminderungen und Entwicklungsverzögerungen, Störungen der sprachlichen Kommunikation, Störungen aus dem Autismus-Spektrum, Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörungen, spezifische Lernstörungen und Störungen der Motorik. Gefolgt werden diese Kapitel von Beschreibungen derjenigen Störungsbilder, die sich typischerweise im Jugend- oder Erwachsenenalter manifestieren, z. B. die Störungen des Schizophrenie-Spektrums, Psychosen und Bipolare Störungen. Im Kapitel „Angststörungen“ finden sich neu die Trennungsangststörung und der selektive Mutismus, die bisher im DSM-IV unter den Störungen des Kindesalters aufgelistet waren. Auch werden im DSM-5 neu für jede einzelne Diagnosekategorie das typische Alter bei der Erstmanifestation, Frühsymptome sowie empirisch belegte Entwicklungsbesonderheiten mit Risikocharakter beschrieben. Der Entwicklungsgedanke zeigt sich darüberhinaus in den Unterabschnitten „Development and Course“ (d. h. Entwicklung und Verlauf): Hier finden Kliniker möglichst präzise Hinweise und Altersangaben für früh erkennbare, störungsspezifische Besonderheiten, die ein spezifisches Entwicklungsrisiko anzeigen können, sowie eine Darstellung möglicher Verläufe über die Lebensspanne hinweg. Im dritten Teil des Manuals (Section III – Emerging Measures and Models) findet sich eine Symptomcheckliste für Eltern bzw. für Bezugspersonen von Kindern zwischen 6 und 17 Jahren. Sie bezieht sich auf 25 klinisch relevante Auffälligkeiten in 12 Bereichen (z. B. Aufmerksamkeitsprobleme, Irritabilität, Psychosesymptome, Suizidgedanken/-versuche) in den vergangenen 2 Wochen. Die Beurteilung erfolgt in 2 Stufen: Level 1 entspricht einem Screening in 12 verschiedenen Bereichen und Level 2 einer genaueren störungsspezifischen Beschreibung. Die Beurteilung der so genannten „level-1-items“ erfolgt auf einer 5-stufigen Häufigkeitsskala (0 = nie, bis 5 = fast täglich). Nur für Substanzgebrauch und Suizidalität erfolgt die Beurteilung dichotom (Ja/Nein/Unbekannt). Online (www.psychiatry.org/dsm5) ist ein entsprechendes Selbstbeurteilungsinstrument für Kinder/Jugendliche im Alter von 11-17 Jahren verfügbar (American Psychiatric Association, 2012). Bei erhöhten Werte in einem der 12 Bereiche soll, ebenfalls online (s. o.) verfügbar, die passende störungsspezifische Symptomliste („level-2-items“) von den Eltern/Bezugspersonen sowie von Patienten ab 11 Jahren bearbeitet werden. Die Resultate liefern keine normierten Werte, können aber eine gute Grundlage für die Beurteilung des Schweregrades durch eine klinische Fachperson bieten. Section III im DSM-5 enthält zudem Störungsbilder, die zunächst provisorisch formuliert wurden (d. h. „weiterer Forschung bedürfen“). Folgende Störungsbilder sind für das Kindes- und Jugendalters noch nicht ausreichend erforscht hinsichtlich ihrer Kriterien und Prävalenzen und aktuell nicht als Diagnosen verwendbar: Die „Persistent Complex ipabo_66.249.64.176 ��������������������������������������������������� DSM-5 und Diagnostik im Kinder-/Jugendbereich������ 565 Bereavement Disorder“ kann bei Kindern nach dem Verlust einer engen Bezugsperson auftreten. Sie beinhaltet einen Zustand mit intensivem, beeinträchtigendem Leiden und emotionale Veränderungen, die eine Anpassung auch sechs Monate nach dem Verlusterlebnis verhindern. Die „Internet Gaming Disorder“ tritt nach derzeitigem Erkenntnisstand bei männlichen Jugendlichen zwischen 12 und 20 Jahren und in asiatischen Ländern am häufigsten auf. Sie besteht in einem suchtartigen Gebrauch von Online-Spielen mit Toleranzentwicklung, Kontrollverlust, Entzugserscheinungen und massiven negativen sozialen Auswirkungen. Die „Neurobehavioral Disorder Associated with Prenatal Alcohol Exposure“ umfasst neurokognitive, emotionale und soziale Beeinträchtigungen bei Kindern, deren Mütter nachweislich während der Schwangerschaft Alkohol in schädlicher Menge konsumiert haben. Im Unterschied zum „Fetalen Alkoholsyndrom“ sollen nicht die körperlichen Merkmale beim Kind ausschlaggebend für die Diagnose sein. „Nonsuicidal Self-Injury“ beginnt meist im frühen Teenageralter. An zumindest fünf Tagen im vergangenen Jahr haben sich solche Jugendliche Blutung, Quetschung oder Schmerz selbst zugefügt. Die Funktion des selbstschädigenden Verhaltens muss diagnostisch in Zusammenhang mit der Erleichterung von negativen Gedanken/Gefühlen stehen, der Lösung interpersoneller Konflikte und der Suche nach einem positiven Gefühlszustand. Suizidale Absichten müssen dabei ausgeschlossen werden können. 2 Die Störungsbilder bei Kindern/Jugendlichen: Was ist neu? Im folgenden werden Neuerungen anhand von Beispielen hervorgehoben. Sowohl in der Reihe der European Journals of Child and Adolescent Psychiatry, z. B. Steinhausen (2013), Thomsen (2013), Lauritsen (2013) als auch in der Zeitschrift für Kinder- und Jugendpsychiatrie (2014) wurden Sonderhefte zu den Änderungen bei den einzelnen Störungsbildern zusammengestellt. Hinsichtlich der „Autism Spectrum Disorder“ (299.00) ergibt sich eine konzeptuelle Neuerung, die alle Störungen des autistischen Spektrums zu einer einzigen, dimensional angelegten diagnostischen Kategorie verbindet. Die bisher fünf verschiedenen Autismus-Diagnosen aus dem DSM-IV (299.00 „Autistische Störung“; 299.10 „Desintegrative Störung im Kindesalter“; 299.80 „Rett-Störung“, 299.80 „Asperger-Störung“, sowie 299.80 „Nicht näher bezeichnete tiefgreifende Entwicklungsstörung einschließlich Atypischer Autismus“) wurden zur Diagnose 299.00 „Autism Spectrum Disorder“ zusammengefasst. Als Kernsymptome gelten 1. Defizite in der sozialen Kommunikation und Interaktion und 2. eingeschränkte, repetitive Muster im Verhalten, den Interessen und Aktivitäten der Betroffenen. Beispielhaft für Essstörungen kann gesagt werden, dass der Bereich der Essstörungen insgesamt weitgehend unverändert blieb. Es wurde aber die bisher provisorische Diagnosekategorie „Binge-Eating disorder“ 307.51 als valide und klinisch relevante Diagnose endgültig aufgenommen. Das Kriterium „Häufigkeit“ ist neu mit einem Essanfall pro Woche (statt wie zuvor zwei) während der vergangenen drei Monate (statt 566 M. Zulauf Logoz wie zuvor während 6 Monaten) erfüllt. Die Änderung des Häufigkeitskriteriums gilt in gleicher Weise für die Diagnose 307.51 Bulimia Nervosa. Um die Diagnose 307.1 Anorexia Nervosa stellen zu können, ist neu das Kriterium „Amenorrhoe“ nicht mehr erforderlich. Außerdem findet sich der neue Hinweis, dass bei Kindern und Jugendlichen das Kriterium „Untergewicht“ statt anhand des errechneten BMI (body mass index < 17.7) anhand der altersentsprechenden BMI-Perzentile (PRBMI < 10) zu bestimmen ist. Hinzu kommt die präzisierte Formulierung, dass entweder eine Angst vor Gewichtszunahme oder spezifische Verhaltensweisen zur Verhinderung von Gewichtszunahme bei den betroffenen Kindern/Jugendlichen festzustellen sind. Die „Fütterstörung im Säuglings- oder Kleinkindalter“ (DSM-IV) wurde umbenannt in 307.59 Avoidant/Restrictive Food Intake Disorder und die diagnostischen Kriterien stark erweitert. Ein Beginn vor dem Alter von sechs Jahren ist nicht mehr erforderlich. Es muss eine signifikante Mangel- oder Unterernährung bestehen, eine Abhängigkeit von künstlicher Ernährung oder von Nahrungsergänzungsmitteln, und zudem ein negativer Einfluss der Störung auf psychosoziale Funktionen deutlich sein. Im Kapitel „Depressive Disorders“ wurde eine ganz neue Diagnose 269.99 Disruptive Mood Dysregulation Disorder für Kinder bis zum Alter von 18 Jahren geschaffen. Das Hauptmerkmal dieser Stimmungsstörung ist chronische, schwerwiegende und überdauernde Irritabilität mit zwei Manifestationsarten: Erstens treten häufig (d. h. mindestens dreimal pro Woche) Wutanfälle in Form von verbalen und/oder aggressiven Ausbrüchen gegenüber Menschen oder Sachen typischerweise als Reaktion auf Frustration des Kindes auf, und zwar seit mindestens einem Jahr in zwei verschiedenen Kontexten (z. B. sowohl zuhause als auch in der Schule). Zweitens besteht auch zwischen den Wutausbrüchen fast täglich und während des größeren Teils der Tage eine chronisch irritable, wütende Stimmungslage. Die irritable und wütende Verfassung muss für das Kind charakteristisch und für Außenstehende erkennbar sein. Die Diagnose „Disruptive Mood Dysregulation Disorder“ kann nicht komorbid mit einer Störung mit oppositionellem Trotzverhalten oder einer bipolaren Störung diagnostiziert werden, hingegen können die Diagnosen ADHS, Depression, Störung des Sozialverhaltens und Substanzmissbrauch gleichzeitig gestellt werden. Bei Kindern, deren Verhalten sowohl die Kriterien der neue Diagnose als auch die Kriterien einer Störung mit oppositionellem Trotzverhalten erfüllen, wird der Diagnose „Disruptive Mood Dysregulation Disorder“ der Vorrang gegeben. Der Beginn der Störung muss vor dem Alter von zehn Jahren liegen und die Diagnosestellung kann ab einem Entwicklungsalter von sechs Jahren erfolgen. Falls bei einem Kind zu einem früheren Zeitpunkt die Kriterien einer bipolaren Störung erfüllt waren, kann die Diagnose „Disruptive Mood Dysregulation Disorder“ nicht vergeben werden. 295.90 Schizophrenie: Die Aufteilung der Schizophrenie in die Subtypen Paranoider Typus, Desorganisierter Typus, Katatoner Typus, Undifferenzierter Typus und Residualer Typus wurde aufgrund ihrer mangelhaften Evidenzbasierung aufgehoben. Neu ist außerdem, dass die Diagnose zwar weiter auf mindestens zwei von fünf Symptomen des Kriteriums A beruht, aber das Vorhandensein mindestens eines der Kernsymptome ipabo_66.249.64.176 ��������������������������������������������������� DSM-5 und Diagnostik im Kinder-/Jugendbereich������ 567 der Psychose erforderlich ist, das heißt Wahn, Halluzinationen oder desorganisierte Sprechweise. Zudem wurde auf die Besonderheit verzichtet, dass die Diagnose einer Schizophrenie bei Bizarrheit des Wahninhaltes, bei einer kommentierenden Stimme oder bei mehreren miteinander kommunizierenden Stimmen allein anhand des Symptoms Wahn gestellt werden konnte. Kliniker sollen anhand der Rating-Skala „Clinician-Rated Dimensions of Psychosis Symptom Severity“ den Ausprä-gungsgrad von Symptomen aus acht Bereichen beurteilen: Halluzinationen, Wahn, desorganisierte Sprechweise, anormales psychomotorisches Verhalten, Negativsymptome, kognitive Beeinträchtigungen, Depression und Manie. Die Ausprägungen umfassen fünf Stufen im Sinne von nicht vorhanden, uneindeutig-, leicht-, mäßig-, oder schwerwiegend vorhanden und beziehen sich auf die vergangenen sieben Tage. Die Einschätzung hat prognostische Bedeutung für die kognitive und neuropsychologische Beeinträchtigung. Für Kinder wird spezifiziert, dass visuelle Halluzinationen häufiger vorkommen als bei Erwachsenen, und dass die halluzinatorischen und wahnhaften Inhalte weniger elaboriert sein können als bei Erwachsenen. Die klare Unterscheidung zwischen kindlichen Fantasiespielen und visuellen Halluzinationen wird betont. 302.6 Gender Dysphoria: Diese Bezeichnung löst die „Störung der Geschlechtsidentität“ des DSM-IV ab. Auf Kinder angewendet wird die Diagnose restriktiver gehandhabt als bisher, da nun „ein starkes Verlangen, dem anderen Geschlecht anzugehören“ (Kriterium A1) neben fünf weiteren Merkmalen, das heißt, insgesamt mindestens sechs erfüllten A-Kriterien, gefordert wird. Bisher konnte die Diagnose mit vier aus fünf A-Merkmalen gestellt werden, wodurch das Kriterium A1 nicht zwingend erfüllt sein musste. Eine weitere Änderung besteht darin, dass in A1 nun die spontane Äußerung des Verlangens, einem anderen Geschlecht anzugehören, nicht mehr gefordert wird. Dies soll eine Diagnosestellung bei Kindern auch dann ermöglichen, wenn sie ihr Bedürfnis nicht direkt mitzuteilen wagen, sich aber dementsprechend verhalten, z. B. heftige Reaktionen zeigen, wenn sie auf ihr biologisches Geschlecht angesprochen oder dementsprechend behandelt werden (vgl. auch Möller u. Romer, 2014). 313.89 bis 309.9 Trauma- and Stressor-Related Disorders: Die DSM-IV-Diagnosen 309.81 Posttraumatische Belastungsstörung und 313.89 Bindungsstörung wurden bezüglich der Kriterien und ihrer Einordnung überarbeitet. Neu ist, dass für die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung vier statt wie zuvor drei Symptombereiche erkennbar sein müssen: 1. Wiedererleben des Traumas, 2. erhöhte Erregbarkeit (z. B. Aggressivität, riskantes oder selbstschädigendes Verhalten, Schlafstörungen), 3. Vermeidung externer und interner Hinweisreize, die an das Trauma erinnern könnten, und 4. negative Gedanken oder Gefühle. Der Symptombereich Vermeidung/emotionale Taubheit des DSM-IV wurde dafür in zwei Bereiche aufgeschlüsselt, nämlich in die Vermeidung traumarelevanter Reize einerseits, und in überdauernde negative Veränderungen von Gefühlen und Gedanken andererseits. Das Kriterium „Intrusi- 568 M. Zulauf Logoz onen“ (Wiedererleben) wird durch die Darstellung möglicher Manifestationsformen bei Kindern ergänzt, z. B. als Wiederholung traumatischer Szenen im Spiel oder als repetitives Spielverhalten hinsichtlich von Aspekten des Traumas. Zudem werden separate, altersspezifische Kriterien für die Diagnose der PTSD bei jungen Kindern bis zum Alter von sechs Jahren beschrieben, die dementsprechend als 309.81 Posttraumatic Stress Disorder (includes Posttraumatic Stress Disorder for Children 6 Years and Younger) aufgeführt ist. Traumatisierende Szenen, die über Filme oder elektronische Medien erlebt werden, sind dabei als traumatische Ereignisse ausgeschlossen. Neu ist insbesondere auch die Einordnung der Bindungsstörungen (313.89 Reactive Attachment Disorder und 313.89 Disinhibited Social Engagement Disorder) in den Bereich der „Trauma- and Stressor-Related-Disorders“. Zuvor wurde die Bindungsstörung im DSM-IV-Kapitel „Andere Störungen mit Beginn im Kleinkindalter“, zwischen „Selektiven Mutismus“ und der „Stereotypen Bewegungsstörung“ aufgeführt. Beide Formen der Bindungsstörung werden nun als klar voneinander abgegrenzte Diagnosen beschrieben. Während eine überdauernde und schwere Vernachlässigung während der ersten Lebensjahre als eine gemeinsame Ursache festgehalten wird, geht das DSM-5 davon aus, dass nur die reaktive Bindungsstörung mit einer unvollständig entwickelten oder fehlenden primären Bindung zusammenhängt. Sie sei durch eine deutliche Reduktion positiver Gefühlsäußerungen, die Abwesenheit von erwartungsgemäßem Bindungsverhalten und durch Episoden von Angst oder Irritabilität ohne äußere Auslöser gekennzeichnet. Insgesamt ist für diese Form der Bindungsstörung Depressivität und sozialer Rückzug kennzeichnend. Hingegen könne die Bindungsstörung mit Enthemmung auch bei vorhandenen primären Bindungsbeziehungen auftreten und manifestiere sich als wahlloses und distanzloses Sozialverhalten bei Kleinkindern, im Vorschulalter zusätzlich durch eine gesteigerte Suche nach Aufmerksamkeit und in der mittleren Kindheit zusätzlich durch gespielte Gefühlsäußerungen besonders im Kontakt mit Erwachsenen. Im Jugendalter fallen neben wahllosem Sozialverhalten auch konflikthafte Gleichaltrigenbeziehungen auf. Diese Form der Bindungsstörung ist durch Enthemmung und externalisierende Verhaltensauffälligkeiten gekennzeichnet. 2.1 Dissoziative Störungen 300.14 Dissoziative Identitätsstörung: Die Kriterien der dissoziativen Identitätsstörung wurden präzisiert. Die Feststellung von Symptomen plötzlich eintretender Veränderungen im Bereich des Bewusstseins, des Affekts sowie kognitiver, sensorischer und motorischer Prozesse (Kriterium A.) kann neu sowohl auf Fremdbeobachtung oder/ und auf Selbstberichten basieren. Wiederholte Gedächtnisprobleme (Kriterium B.) können sich neu nicht nur auf wichtige persönliche Informationen, sondern auch auf Alltagsereignisse beziehen. Die Erstmanifestation der dissoziativen Identitätsstörung kann ab der frühen Kindheit in jedem Alter festgestellt werden. Komorbid entwickeln viele Betroffene eine Posttraumatische Belastungsstörung: Die Abgrenzung der beiden Diagnosen besteht darin, dass spezifisch bei einer Dissoziativen Identitätsstörung a) ipabo_66.249.64.176 ��������������������������������������������������� DSM-5 und Diagnostik im Kinder-/Jugendbereich������ 569 Amnesien auch für normale Alltagsereignisse auftreten können, b) zudem auf posttraumatische flashbacks eine dissoziative Amnesie für die Inhalte folgen kann, c) plötzlich eintretende dissoziative Zustände ohne Bezug zu traumatischen Inhalten das Selbst- und Selbstwirksamkeitsgefühl beeinträchtigen können, und d) seltene, vollständige Wechsel zwischen verschiedenen Identitätszuständen eintreten können. 300.6 Depersonalization/Derealization Disorder: Wie aus dem neu zusammengesetzten Namen ersichtlich wird, basiert die neu konfigurierte Diagnose a) auf dem Vorliegen des wiederholt bzw. überdauernd erlebten Gefühls eigener Unwirklichkeit bezüglich verschiedenster Aspekte wie als unwirklich erlebte Gefühle, Körpersensationen, Zeitempfinden und anderes mehr (Depersonalisation), oder b) dem wiederholten bzw. überdauernden Eindruck einer als unwirklich erlebten Umwelt (Derealisation), oder c) dem gemeinsamen Auftreten beider Phänomene. Im DSM-IV war Derealisation nicht in die Kriterien der Depersonalisationsstörung integriert, sondern als separates Phänomen in der Liste möglicher Beispiele für die „Nicht Näher Bezeichneten Dissoziativen Störung“ (300.15) aufgeführt. Die Depersonalization/Derealization Disorder beginnt nach DSM-5 meist im Jugendalter mit etwa 16 Jahren, kann aber prinzipiell auch früher diagnostiziert werden. Unter den Risikofaktoren werden insbesondere bei dieser Form der Dissoziativen Störung das Erleben interpersonelle Traumata in der Kindheit diskutiert. Empirisch bestehe ein relativ deutlicher Zusammenhang zu emotionalem Missbrauch und emotio­ naler Vernachlässigung. Auch körperliche Misshandlung, häusliche Gewalt, psychisch kranke und ernsthaft beeinträchtigte Eltern zählen zu den psychosozialen Risikofaktoren für eine Erkrankung dieser Art, wogegen sexueller Missbrauch seltener gefunden werde. Komorbid werde selten eine PTSD gefunden, jedoch eine erhöhte Prävalenz der unipolaren Depression und/oder einer Angststörung. 2.2 Somatic Symptom and Related Disorders Die Gruppe der im DSM-IV als „Somatoforme Störungen“ bezeichneten Diagnosen wurde stark überarbeitet. Dies basiert einerseits auf der Zurückhaltung, körperliche Beschwerden bei medizinisch nicht identifizierbarer Ursache automatisch einer psychischen Störung zuzuschreiben, und andererseits auf Kritik an zu unscharfer Abgrenzung der früheren einzelnen Diagnosen. Alle Störungen der Gruppe der Somatic Symptom and Related Disorders können altersunabhängig auftreten. 300.82 Somatic Symptom Disorder, 300.7 Illness Anxiety Disorder: Ein wesentliches diagnostische Kriterium im DSM-5 bezieht sich nun darauf, ob eher die körperlichen Beschwerden im Vordergrund stehen oder vor allem die Angst, unter einer körperlichen Krankheit zu leiden. Die DSM-IV Diagnosen 300.81 Somatisierungsstörung, 300.81 Undifferenzierte Somatoforme Störung, 307 Schmerzstörung und 300.7 Hypochondrie wurden aufgehoben, da sich die entsprechenden klinischen Bilder zumeist in die oben genannten Hauptdiagnosen einordnen lassen. Zwei diagnostische 570 M. Zulauf Logoz Restkategorien (300.89 Other Specified Somatic Symptom and Related Disorder) sind für Zustandbilder vorgesehen, die entweder keiner der Diagnosen zugeordnet werden können oder die nicht alle Kriterien ausreichen erfüllen (300.82 Unspecified Somatic Symptom and Related Disorder). Beibehalten wurde die Konversionsstörung 300.11, allerdings mit präzisierten Kriterien. Kriterium B. betont z. B., dass die beobachteten Ausfälle neurologisch zu untersuchen sind und nur dann als Konversionssyndrom gelten, wenn sie inkompatibel mit neurologischen Gegebenheiten auftreten. Psychologische Stressoren müssen für die Diagnose nicht mehr zwingend zum Untersuchungszeitpunkt feststellbar sein. Es kann spezifiziert werden, ob solche Stressoren bestehen, und ob die Störung akut oder dauerhaft (mehr als sechs Monate) besteht. Die vorgetäuschte Störung 300.19 wurde beibehalten, und eine neue Diagnose eingeführt: 316. Psychological Factors Affecting Other Medical Conditions. Der Aspekt, dass bestehende körperliche Erkrankungen durch psychische Faktoren verschlechtert werden können, wie z. B. durch mangelnde Kooperation in der medizinischen Behandlung, von der Krankheit verursachte Angst, oder Persönlichkeitszüge, die mit einer Genesung interferieren, wie z. B. Wutausbrüche, wurde bisher außerhalb der eigentlichen Diagnoseliste aufgeführt. Dies wurde als psychiatrische Diagnose neu aufgenommen. 300.3 Zwangsstörungen: Die wichtige Neuerung in diesem Bereich besteht darin, dass ein eigenes Kapitel „Obsessive-Compulsive and Related Disorders“ für die Zwangsstörungen eröffnet wurde, während sie im DSM-IV unter den Angststörungen eingeordnet waren. Das Unterkapitel „Development and Course“ hält hier fest, dass 25 % der Patienten bereits im Alter von 14 Jahren erkranken, und fast 25 % der männlichen Patienten bei Störungsbeginn jünger als 10 Jahre alt sind. Zudem wird betont, dass ein Erkrankungsbeginn im Kindes- oder im Jugendalter zu einem chronischen, lebenslangem Verlauf führen kann. Neben der Zwangsstörung (300.3) im engeren Sinn, der Körperdysmorphen Störung (300.7; im DSM-IV den somatoformen Störungen zugeordnet) und der Trichotillomanie (312.39; im DSM-IV unter Störungen der Impulskontrolle) finden sich zwei neue Diagnosen. Die „Hoarding Disorder“ (3003.3), bei der ein exzessives und irrationales Bedürfnis, Dinge zu horten, im Vordergrund steht, kombiniert mit einer deutlichen Beeinträchtigung des sozialen Funktionsniveaus, kann ab dem Alter von elf Jahren durch erste Symptome erkennbar werden. Die „Skin-Picking Disorder“ 698.4 beinhaltet übermäßiges, schädigendes Zupfen der Haut und zeigt einen Beginn um die Pubertät. Für jede Diagnose ist zusätzlich das Kriterium „Krankheitseinsicht“ nach der Ausprägung „gut oder mäßig“, „schwach“ und „nicht vorhanden“ zu spezifizieren. Damit können Kinder, wie schon in DSM-IV, aber auch Erwachsene, die vom Realitätsgehalt ihrer Zwangsgedanken überzeugt sind, diese Diagnose erhalten. 314 Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung ADHS: Nach DSM-IV konnte gegenüber dem ICD-10 bereits zwischen Subtypen unterschieden werden (primär unaufmerksam, hyperaktiv/impulsiv, oder kombiniert), was zu einer höheren Prävalenz ipabo_66.249.64.176 ��������������������������������������������������� DSM-5 und Diagnostik im Kinder-/Jugendbereich������ 571 der Störung geführt hat. Dies wurde beibehalten, die Subtypen werden jetzt aber als „presentations“, das heißt Manifestationsarten derselben Störung, bezeichnet. 315 Specific Learning Disorder: Unter den Lernstörungen als Diagnoseeinheit innerhalb der „Neurodevelopmental Disorders“ werden die bisherigen Diagnosen 315.00 Lesestörung, 315.1 Rechenstörung, 315.2 Störung des Schriftlichen Ausdrucks und 315.9 Nicht näher bezeichnete Lernstörung im DSM-5 kombiniert. Der Grundgedanke dabei ist, dass diese häufig gemeinsam auftreten, und dass ihnen diagnostisch drei Kernmerkmale gemeinsam sind: Die Diskrepanz zur allgemeinen Intelligenz, der Ausschluss organischer Befunde (Sehstörung, Hörstörung, motorische Behinderung) und der Ausschluss unzureichender Beschulung im Bereich der Lernstörung. 3 DSM-5 und mögliche Folgen für die Praxis 3.1 Dem Überdiagnostizieren entgegenwirken: Disruptive Mood Dysregulation Disorder Die Diagnose wurde entwickelt, um dem potenziellen Überdiagnostizieren der bipolaren Störung bei Kindern entgegenzuwirken. Eine bipolare Störung bei Kindern zeigt definitionsgemäß einen episodenhaften Verlauf mit klar abgrenzbaren Phasen, in denen ein manisches oder hypomanischem Zustandsbild vorherrscht, das eindeutig nicht dem gewöhnlichen Verhalten des Kindes entspricht. Da auch kontinuierlich verlaufende Zustandsbilder mit ausgeprägter Irritabilität, das heißt andauernd irritable Stimmung ohne abgrenzbare Phasen von (Hypo-)Manie und Depression bei Kindern in den letzten Jahrzehnten vor allem in den USA immer häufiger als bipolare Störung diagnostiziert wurde, hatte dies zu einem raschen Anstieg dieser Diagnosen geführt. Hier könnte eine Fehldiagnose, das heißt eine zu häufige Diagnose „Bipolare Störung“, umgangen und der Fokus bei diesen Patienten stärker auf psychotherapeutische und psychologischpädagogische Interventionen ausgerichtet werden. Es kann damit allerdings auch zu Verschiebungen von Diagnosen kommen, und zu Recht sollten die Kriterien auch für Disruptive Mood Dysregulation Disorder nicht zu niederschwellig als erfüllt angesehen werden. 3.2 Unterdiagnostizieren im Bereich Autism Spectrum Disorder Die Prävalenz des Autismus sei von der revidierten Diagnose nicht betroffen, betont der Psychiater David Kupfer, Mitglied der DSM-5 Spitzengruppe und Chair der DSM-5 Task Force an der Pressekonferenz im Mai 2013. Anderer Meinung sind Experten, die bereits vor Erscheinen des Manuals auf den Entwurf reagiert hatten. Die Reduktion auf die beiden Kernkriterien „beeinträchtige soziale Interaktion und Kommunikation“ sowie „eingeschränkte Verhaltens-, Aktivitäts- und Interessensmuster“ führt zur Befürchtung, dass 572 M. Zulauf Logoz in Zukunft weniger Kinder mit Autismus erfasst würden. Worley und Matson (2012) zeigten an einer Stichprobe aus 208 Kindern und Jugendlichen mit einer Autismus-Diagnose nach DMS-IV, dass 32 % von ihnen bei Anwendung der DSM-5-Kriterien die Diagnose nicht erhalten hätten. Obwohl die mit DSM-5 weiterhin als autistisch diagnostizierten Kinder schwerwiegendere Symptome im Bereich nonverbaler Kommunikation/sozialer Interaktion zeigten, waren die „herausgefallenen“ Kinder dennoch deutlich beeinträchtigt und behandlungsbedürftig. Dies zieht die Befürchtung nach sich, dass bei solchen Kindern die störungsspezifische Behandlung nicht mehr weiterfinanziert würde, bzw. einige Kinder mit autistischen Symptomen im Kleinkindalter zukünftig gar nicht erst erfasst und einer angemessenen Behandlung zugeführt würden. Wing, Gould und Gillberg (2011) kritisieren, dass sensorische Überempfindlichkeit bei Menschen mit Autismus im DSM-5 nicht als essenzielles Kriterium enthalten ist. Die Frage, ob sensorische Beeinträchtigungen als Hinweis auf eine Störung aus dem Autismus-Spektrum gelten sollen, wird nach Ansicht von Wing et al. (2011) im DSM-5 nicht ausreichend einbezogen. Zudem beurteilen sie als problematisch, dass nach DSM-5 Autismus-Symptome bereits in der Kindheit aufgefallen sein müssen. Für manche erwachsene Patienten würden nämlich gar keine entsprechenden Informanten zur Verfügung stehen. Gerade auch für die Untersuchung weiblicher Jugendlicher und Frauen mit Autismus sei dies eine Erschwernis, da einige erst spät in ihrer Entwicklung an den – komplexer gewordenen – sozialen Anforderungen scheitern und deshalb entsprechend spät eine Untersuchung in Anspruch nehmen würden. 3.3 Integration der klinischen Relevanz der Bindungsforschung Der Stellenwert der Bindungsstörung im DSM-5, den das klinische Bild durch seine Einordnung in die traumabedingten Störungen erhält, entspricht dem Stand entwicklungspsychopathologischer Forschung. Die Bindungsstörungen werden damit als ein Zustand von Kindern beschrieben, der auf chronisch traumatisierende Entwicklungsbedingungen zurückgeht. Es würde den Rahmen dieses Artikels sprengen, den Zusammenhang zwischen spezifischen Formen unsicherer Bindungsqualität, insbesondere der desorganisierten Bindung, und der Posttraumatischen Belastungsstörung bei Kindern zu erörtern. Es wird beispielsweise deutlich, dass die verstört wirkenden Reaktionen unsicher-desorganisiert gebundener Kinder auf bindungsrelevante Themen auch als Symptome einer PTSD aufgefasst werden könnten, bei der intensive Stressreaktionen während einer Konfrontation mit Hinweisreizen auftreten. 3.4 Dissoziative Identitätsstörung: Die Präzisierung des Kriteriums A. Die Diagnose einer Dissoziativen Störung stellt hohe Anforderungen an die klinische Expertise. Kriterium A. der Dissoziativen Identitätsstörung nach DSM-5 präzisiert nun die möglichen Informationsquellen für dissoziative Symptome als Fremdbeobachtung und/oder Selbstbericht. Zwar birgt auch dies Fehlermöglichkeiten in alle Richtungen, ipabo_66.249.64.176 ��������������������������������������������������� DSM-5 und Diagnostik im Kinder-/Jugendbereich������ 573 z. B. wenn eine der Informationsquellen einseitig zu stark gewichtet wird. Andererseits wird dem Umstand Rechnung getragen, dass die Symptome durch ihr unkontrollierbares Auftreten während der Untersuchung nicht immer beobachtbar sind, und auch von den Betroffenen nicht unbedingt bewusst wahrgenommen werden können. 3.5 Somatische Beschwerden nicht psychiatrisieren? Dass die Möglichkeit einer noch nicht diagnostizierbaren körperlichen Erkrankung und eine entsprechende deskriptive Diagnose Patienten prinzipiell vor ungerechtfertigten psychologischen Deutungen schützen soll, scheint begrüßenswert. Es könnte aber bei Kindern oder Jugendlichen dazu kommen, dass z. B. Bauch- oder Kopfschmerzen, Übelkeit oder Schlafstörungen nicht als Symptome einer Angststörung erkannt werden. Da die Häufigkeit und klinische Relevanz der Angststörungen bei Kindern erst in den letzten Jahren Beachtung gewonnen hat und es auch Eltern nicht immer leicht fällt, körperliche Beschwerden ihres Kindes in Zusammenhang mit psychologischen Faktoren zu sehen, könnte sich im Bereich der Angststörungen die diagnostische Sensitivität verringern. 3.6 Differentialdiagnose der Zwangsstörung Die Präzisierung der Ausprägung einer Krankheitseinsicht bei Zwangsstörungen kann verhindern, dass zwangskranke Kinder und Jugendliche wegen ihrer irrationalen Überzeugungen als psychotisch oder schizophren diagnostiziert würden, wenn sie ihre zwanghaften Befürchtungen als zutreffend erleben und sich nicht davon distanzieren können. Dies ist auch von großer therapeutischer Bedeutung. Allerdings ist die Einschätzung der Einsichtsfähigkeit dann wiederum abhängig vor allem auch von der Erfahrung des Klinikers. 3.7 Späte ADHS-Diagnosen Die Kernsymptome der ADHS mussten nach DSM-IV bis zum 7. Lebensjahr aufgetreten sein. Da bei Erwachsenen mit Verdacht auf ADHS diese Symptome nur noch retrospektiv erhoben werden konnten, hat man sich auf ein neues Alterskriterium von 12 Jahren geeinigt. Die bisherige Symptomliste wurde nicht geändert, aber um typisch jugendspezifische Symptome für das Alter ab 17 Jahren ergänzt. Zudem muss die Symptomatik zwar noch situationsübergreifend auftreten, aber die Kontexte werden nicht mehr zwingend vorgegeben. All dies wird sehr wahrscheinlich zu einer Zunahme der Diagnose führen. 3.8 Verlust der multiaxialen Diagnostik Gerade im Kinder- und Jugendbereich sind die Umweltfaktoren von eminenter Bedeutung (Achse III mit somatischen Befunden, die auch als Ursachen ausgeschlossen werden 574 M. Zulauf Logoz müssen, Achse IV, die psychosoziale Faktoren erfasst mit Störungen der innerfamiliären Kommunikation, Ereignissen mit gravierenden Auswirkungen auf das Lebensumfeld der Patienten und Achse V, die Beurteilung des psychosozialen Funktionsniveaus). Um ein angemessenes Gesamtbild der Patienten mit ihren Schwierigkeiten zu erhalten und ein Störungsmodell mit ihnen erarbeiten zu können, sind diese Aspekte ätiologisch und therapeutisch ausgesprochen wichtig. In der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie Zürich, wie auch in den meisten deutschsprachigen Kliniken, wird deshalb mit dem multiaxialen Klassifikationsschema nach ICD-10 (Remschmidt, Schmidt, Poustka, 2006) gearbeitet. Ein Verzicht auf die multiaxiale Diagnostik wäre ein großer Verlust für die klinische Arbeit mit Kindern und Jugendlichen, da sich unter anderem aus der genauen Erfassung der psychosozialen Belastungsfaktoren Ziele für die Therapie und für flankierende Maßnahmen ableiten. Auch normale oder überdurchschnittliche kognitive Fähigkeiten können als Ressource auf Achse III des MAS-ICD-10 erfasst werden, was im DSM-5 nicht möglich ist. Die kognitive Testuntersuchung bringt hier wesentliche störungsspezifische Informationen ein, wie z. B. die Testprofile bei Kindern mit ADHS oder mit Teilleistungsschwächen, was auch für Interventionsplanung im schulischen Bereich eine wichtige Grundlage ist. 4 Fazit Es wurde versucht, die wichtigsten Veränderungen im DSM-5 für den Kinder- und Jugendbereich mit ihren Auswirkungen auf die diagnostische Arbeit zusammenzufassen. Dabei war eine sachliche Darstellung für interessierte Fachpersonen das Ziel. Das neue Manual wurde von der Task Force DSM-5 als optimiertes Manual präsentiert, das durch präzisere Kriterien, verbesserte Evidenzbasierung und Integration moderner Erhebungsmethoden die Reliabilität der psychiatrischen Diagnostik erhöhen würde. Dies bewirke eine Qualitätssicherung für Patienten, Kliniker, Wissenschaftler und Leistungsträger. Allen Frances, chair der Task Force für das DSM-IV, stellt in seiner Kritik des DSM-5 (Frances, 2013) die Abgrenzbarkeit von Normalität und psychischer Störung grundsätzlich infrage und befürchtet eine Psychiatrisierung Gesunder durch die methodischen Neuerungen im DSM-5. Ob Kritiker wie Frances recht behalten, dass es zu häufigeren Diagnosen kommt, oder ob die Befürworter recht behalten, und sich die neuen Diagnosen und neuen Kriterien positiv auf die Behandlung auswirken, wird die Praxis in Zukunft zeigen. ipabo_66.249.64.176 ��������������������������������������������������� DSM-5 und Diagnostik im Kinder-/Jugendbereich������ 575 Was ist neu im Kinder- und Jugendbereich? Beispiele: • Nur noch eine Autismus-Diagnose, die sensitiver und spezifischer sein soll. Fraglich ist, ob die symptomspezifische Behandlung der Kinder mit DSM-IVDiagnosen sichergestellt bleibt. • Bindungsstörung als „Trauma- and Stressor Related Disorder“; Posttraumatische Belastungsstörung bei jungen Kindern. • „Disruptive Mood Dysregulation Disorder“ statt zu häufiger Diagnose einer bipolare Störung. • Die Zwangsstörung ist keine Angststörung mehr. • ADHS ist auch später diagnostizierbar. • Verlust der Achsen III (Medizinische Krankheitsfaktoren), IV (Psychosoziale Belastungsfaktoren) und V (Psychosoziale Anpassung). Literatur American Psychiatric Association (2013). Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders, Fifth Edition. Arlington, V.A.: American Psychiatric Association. American Psychiatric Association (2012). News Release. American Psychiatric Association Board of Trustees Approves DSM-5, December 1, 2012. www.psychiatry.org/dsm5 American Psychiatric Association (1994). Diagnostic Criteria from DSM-IV. Washington D.C.: American Psychiatric Association, 1994. Deutsche Bearbeitung: H. Saß, H.-U. Wittchen, M. Zaudig, I. Houben (1998). Diagnostische Kriterien des Diagnostischen und Statistischen Manuals Psychischer Störungen DSM-IV. Frances, A. (2013). Normal. Gegen die Inflation psychiatrischer Diagnosen. Köln: Du Mont. Lauritsen, M. B. (2013). Autism spectrum disorders. Eur Child Adolesc Psychiatry, 22 Suppl, 37-42. Möller, B., Romer, G. (2014). Geschlechtsdysphorie im Kindes- und Jugendalter. Praxis der Kinderpsychololgie und Kinderpsychiatrie, 63, 431-436. Remschmidt, H., Schmidt, M., Poustka, F. (Hrsg.) (2006). Multiaxiales Klassifikationsschema für psychische Störungen des Kindes- und Jugendalters nach ICD-10 der WHO (5. Aufl.). Bern: Huber. Steinhausen, H.-C. (2013). Introduction to the supplement: The Future of Child and Adolescent Psychiatry and Psychology: The impact of DSM-5 and of the Guidelines for Assessment and Treatment. Eur Child Adolesc Psychiatry 22 Suppl 1, 1-3. Thomsen, P. H. (2013). Obsessive-compulsive disorders. Eur Child Adolesc Psychiatry, 22, Suppl 1, 23-28. Wing, L., Gould, J., Gillberg, C. (2011). Autism spectrum disorders in the DSM-V: Better or worse than the DSM-IV? Research in Developmental Disabilities 32, 768-773. Worley, J., Matson, J. (2012). Comparing Symptoms of autism spectrum disorders using the current DSM-IV-TE diagnostic criteria and the proposed DSM-V criteria. Research in Autism Spectrum Disorders 6, 965-970. 576 M. Zulauf Logoz Zucker, K. L. (2012). Towards DSM-5: What’s changing for children and adolescents? iacapap 20th world congress, Paris, 22.7.2012. Zulauf-Logoz, M. (2013). Über- und Unterdiagnostizierung. Wie das neue DSM Kinder und Jugendliche erfasst. Psychoscope, 11, 8-11. Korrespondenzanschrift: Dr. phil. Marina Zulauf Logoz, Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, KJPD Zürich, Neumünsterallee 3, CH-8032 Zürich, Schweiz; E-Mail: [email protected] ipabo_66.249.64.176 ORIGINALARBEITEN Beziehungsmuster bei Müttern von Kleinkindern mit funktioneller Obstipation1 Lisa Steger, Maria Höllwarth, Gerhard Rumpold und Barbara Juen Summary Relationship Pattern of Mothers with Functional Constipated Infants The present article investigates whether or not mothers of infants with functional constipation have a specific relationship pattern. This question is addressed by analyzing the data collected at the day care clinic for infant regulation disorders with appropriate methods like the questionnaire for the assessment of adjustment of mothers with children in infancy (EMKK, Engfer u. Codreanu, 1984) described here. The evaluation of data was performed in two ways: first with regard to the clinical study group of mothers with infants (age range from one to five years) suffering from functional constipation, and then compared to a clinical control group of mothers with infants who are coping with regulation disorders (by definition per Papouŝek, Schieche, Wurmser, 2010). With this comparison differences between the two groups are made visible and clinical interventions can be deduced accordingly. If the groups do not differ in their pattern described by the EMKK, the possible interventions can be adopted from the well-studied area of regulation disorders. The focus on analyzing the data of mothers with functional constipated infants serves as an important starting point for providing the best possible alignment of clinical intervention. Prax. Kinderpsychol. Kinderpsychiat. 63/2014, 577-589 Keywords constipation – regularity problems – infants – mothers – relationship pattern Zusammenfassung Ausgegangen wird von der Annahme, dass Mütter von Kleinkindern mit funktioneller Obstipation ein spezifisches Beziehungsmuster aufweisen. Aspekte des Beziehungsmusters wurden an der Ambulanz für Regulationsstörungen im Kleinkindalter der Universitätsklinik Innsbruck 1 Forschungsprojekt gefördert durch das Doktoratsstipendium aus der Nachwuchsförderung der Leopold-Franzens-Universität, Innsbruck, Österreich. Prax. Kinderpsychol. Kinderpsychiat. 63: 577 – 589 (2014), ISSN: 0032-7034 (print), 2196-8225 (online) © Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen 2014 578 L. Steger et al. unter anderem mithilfe des hier vorgestellten Fragebogens zur Erhebung der Einstellung von Müttern mit Kindern im Kleinkindalter (EMKK, Engfer u. Codreanu, 1984) erhoben und operationalisiert. Für das Projekt erfolgte die Auswertung der Daten im Hinblick auf die klinische Untersuchungsgruppe von Müttern mit Kleinkindern (von einem bis fünf Jahren), welche unter einer funktionellen Obstipation leiden, im Vergleich zur klinischen Kontrollgruppe von Müttern mit Kindern mit Regulationsstörungen (nach Papouŝek, Schieche, Wurmser, 2010). Durch diesen Vergleich kann sichtbar gemacht werden, ob sich die Mütter in ihrem Beziehungsmuster unterscheiden und somit die Interventionen speziell angepasst werden sollten, oder aber die Mütter sich nicht unterscheiden und daher die möglichen Interventionen bei funktioneller Obstipation von dem bereits gut erforschten Bereich der Regulationsstörungen (Definition nach Papouŝek et al., 2010) übernommen werden können. Durch diese speziell auf das vorliegende Krankheitsbild der kindlichen funktionellen Obstipation ausgerichtete Datenanalyse wird eine Basis für die bestmögliche Ausrichtung von Interventionsmöglichkeiten geschaffen. Schlagwörter Obstipation – Regulationsstörungen – Kleinkinder – Mütter – Beziehungsmuster 1 Hintergrund Chronische Verstopfung im Kindesalter ist ein häufiger Vorstellungsgrund bei niedergelassenen Pädiatern und Pädiatrischen Abteilungen an Kliniken – laut einer Metastudie von Van den Berg (2007) liegt die Prävalenzrate von Obstipation in der Kindheit zwischen 0,7 und 29,6 %. Von den chronisch verstopften Kindern sind laut Rolle und Till (2007) wiederum über 95 % bzw. nach Wülker (2007) 90-95 % einer funktionellen Obstipation zuzurechnen, also einer Obstipation ohne physiologische Ursache. Die Daten an der Ambulanz für Regulationsstörungen in Innsbruck zeigen, dass der Prozentsatz von Kindern mit funktioneller Obstipation zu den restlichen Patientengruppen in den letzten zehn Jahren seit Bestehen der Ambulanz (Mai 2001 bis Mai 2011) bei insgesamt 938 vorstellig gewordenen Kleinkindern bei 4,58 % (43 Kinder) liegt, wobei ein Anstieg vor allem im Jahr 2011 zu bemerken ist. Nach den Leitlinien der Gesellschaft für Pädiatrische Gastroenterologie und Ernährung (Koletzko u. Grosse, 2007) wird eine chronische Obstipation als Stuhlretention infolge unvollständiger Stuhlentleerung mit einer Beschwerdedauer von mehr als zwei Monaten beschrieben. Von den dort nach den internationalem Rom III Kriterien angeführten Symptomen müssen mindestens zwei erfüllt sein: 1. Weniger als drei Stuhlentleerungen pro Woche 2. Mehr als eine Episode pro Woche mit Stuhlschmieren 3. Stuhlmassen im Rektum oder Abdomen tastbar 4. Gelegentliche Entleerung großer Stuhlmassen. 5. Rückhaltemanöver 6. Schmerzhafter oder harter Stuhlgang ipabo_66.249.64.176 ��������������������������������������������������������������������������������� Beziehungsmuster bei Müttern von Kleinkindern mit funktioneller Obstipation������ 579 In manchen Familien kann es nun durch diese Verkettung von Verweigerung und Unvermögen des geregelten Stuhlganges zu starken Konflikten zwischen Eltern und Kind kommen (Clayden u. Agnarsson, 1991). Strauß und Schwark (2007) beschreiben sogar ein spezifisches psychosomatisches Beziehungsmuster in diesen Familien: Rigidität, Konfliktscheu, Overprotectiveness sowie Harmonisierung. Auch Papouŝek et al. (2010) beschreiben eine Kombination von frühkindlicher Verhaltensregulationsproblematik, einem dysfunktionalen Kommunikationsmuster in den für das Verhaltensproblem relevanten Kontexten und einem Überlastungssyndrom seitens der Bezugsperson als Problematik in Familien und fassen die daraus entstehenden Auffälligkeiten unter dem Oberbegriff Regulationsstörungen zusammen. Bezogen auf die Regulationsstörungen besteht nun die Intervention nach Papouŝek et al. (2010) darin, Eltern einen „kindorientierten Erziehungsstil“ nahezubringen, um der erwähnten Trias als Auslöser für die jeweilige Regulationsstörung dahingehend entgegenzuwirken, dass die „Entwicklungskrise sich in eine Entwicklungschance“ umwandelt. Dieser kindorientierte Ansatz bedeutet auch laut Largo und Benz-Castellano (2010) für die Eltern, sich bewusst auf die kindlichen Signale einzustellen und sich zudem vom Kind selbst aktiv leiten zu lassen. Den grundsätzlich positiven Anteil an der Beziehungsgestaltung, der von der primären Bezugsperson bzw. von beiden Elternteilen eingebracht wird, nennen Papouŝek et al. (2010) „Intuitive elterliche Kompetenzen“, welche es den Eltern gestattet, adäquat auf die Bedürfnisse des Säuglings und später des Kleinkindes einzugehen und somit einen „kindorientierten Erziehungsstil“ zu ermöglichen, der von Papouŝek et al. (2010) als günstig empfohlen wird. Der kindorientierte Erziehungsstil auf Basis der intuitiven elterlichen Kompetenzen (nach Papouŝek et al. 2010), aber auch die mütterliche Feinfühligkeit nach Ainsworth (Ainswort, Hogan, Stayton, 1971) und die reflexive Kompetenz/Mentalisierungsfähigkeit nach Fonagy und Target (2003), ebenso wie die emotionale Resonanz von Cramer (1991) beschreiben alle jene Fähigkeiten der primären Bezugsperson, sich auf die aktuellen Bedürfnisse des Kleinkindes einzulassen und auf diese angemessen zu reagieren. Die durch das „emotionale Einstellen“ der Mutter zu ihrem Kleinkind entstehende Wechselbeziehung bezeichnen Paar, von Hagen, Kriebel und Wörz (1999) als „Affect Attunement“, welche wiederum die Basis für die Stärkung der Emotionsregulation des Kindes ist und somit eine Hauptbedingung einer gesunden Entwicklung darstellt. Als Therapieziel gilt daher, die Eltern dahingehend anzuleiten, dass es einerseits darum gehen soll, das Kind in seiner Eigenregulation adäquat von außen zu unterstützen, jedoch andererseits nicht durch eine rigide Regelsetzung die eigentlichen Signale des Kindes zu ignorieren. Vielmehr sollen diese kindlichen Signale als Orientierungshinweise für eine Erziehung auf dem Weg zu einem altersgerechten Selbstwirksamkeitserleben des Kindes gesehen werden. Diese Anleitung gelingt nur mit Kooperation der Bezugspersonen, was wiederum die Gewährleistung eines „great deal of assistance“ (Bowlby, 1988) zu einer nötigen Basis für jede weitere Intervention macht. 580 L. Steger et al. Die bestmögliche Unterstützung dieser elterlichen Kooperationsbereitschaft war nun ausschlaggebend für das vorliegende Projekt, welches die Erhebung des Beziehungsmusters als Basis für die optimale Abstimmung des Interventionssettings in den Forschungsfokus stellt. Laut Keller (2002) ist es nämlich gerade das Fehlen von Compliance, das den Hauptgrund für das Therapieversagen darstellt. Die nötige Compliance kann jedoch nur zustande kommen, wenn sich die Eltern mit ihren Kindern im Therapiesetting auch gut aufgehoben und verstanden fühlen. Neben der Definition von Regulationsstörungen durch Papouŝek et al. (2010) gibt es noch andere Konzepte von Regulationsstörungen wie z. B. die Definitionen nach dem Diagnostikmanual ZERO TO THREE, herausgegeben im Deutschen von Dunitz-Scheer und Scheer (1999) sowie die „Leitlinien Regulationsstörungen, psychische und psychosomatische Störungen im Säuglings- und frühen Kleinkindalter“ (Berger et al., 2006). Den genannten Bespielen gemeinsam ist jedoch, dass die funktionelle Obstipation nicht zu den Regulationsstörungen gezählt wird. Zwar sehen Berger et al. (2006) dezidiert psychosomatische Erkrankungen als Teil der Klassifikation der Regulationsstörungen, nennen dabei jedoch nicht die unter der ICD-10 Diagnose F 45.32 fallende funktionelle Obstipation (deutsche Version nach Remschmidt, Schmidt u. Poustka, 2002). Darum soll im vorliegenden Artikel das Krankheitsbild der funktionellen Obstipation mit Fokus auf das mütterliche Beziehungsmuster mit dem des Beziehungsmusters bei Regulationsstörungen verglichen werden. Die daraus resultierenden Ergebnisse geben einen ersten Hinweis, ob die funktionelle Obstipation dem Konzept der Regulationsstörungen zugeordnet werden kann. 2 Methoden 2.1 Studiendesign und Stichprobe Zusammengefasst liegt die Aufgabe der empirischen Untersuchung darin, das Beziehungsmuster der befragten Mütter erstens zu erheben, um zweitens das Antwortverhalten der Mütter von Kindern mit funktioneller Obstipation jenem der Müttern von Kindern mit Regulationsstörungen nach Papouŝek et al. (2010) gegenüberzustellen. Der optimale Stichprobenumfang zur Erreichung einer großen Effektstärke für unabhängige Stichproben liegt laut Bortz und Döring (1995) bei 20 Probanden je Untersuchungsgruppe. Um die Verwendung von teststärkeren parametrischen Verfahren zu ermöglichen, wurde ursprünglich eine Probandengröße von 30 Müttern je Gruppe angestrebt. Diese Vorgabe musste aufgrund der sehr spezifischen Untersuchungsgruppe bestehend aus den Müttern von Kindern im Kleinkindalter mit funktioneller Obstipation und den zeitlichen Vorgaben der Forschungsarbeit jedoch eingegrenzt werden. Es konnten schließlich im Zeitraum von April 2011 bis Dezember 2012 in der Untersuchungsgruppe 21 Datensätze und in der Kontrollgruppe 24 Datensätze für die Datenanalyse gewonnen werden. Die Mütter der Kontrollgruppe wurden aufgrund ipabo_66.249.64.176 ��������������������������������������������������������������������������������� Beziehungsmuster bei Müttern von Kleinkindern mit funktioneller Obstipation������ 581 folgender, an der Ambulanz verwendeter und unter den Überbegriff Regulationsstörungen fallender ICD-10 Diagnosen ihrer Kleinkinder zugeordnet: Schlafstörung, Anpassungsstörung, Fütterstörung, nicht näher bezeichnete emotionale Störung im Kindesalter sowie einem Kind mit einer Entwicklungsstörung, das aber gleichzeitig unter einer Schlafstörung litt. Für die 21 Kinder (100 %) der Untersuchungsgruppe mit funktioneller Obstipation (F 45.32) liegt die Verteilung der einzelnen Diagnosen in der Kontrollgruppe bei 29,2 % (n = 7) für F51.9 (Nicht näher bezeichnete nicht organische Schlafstörung) und 12,5 % (n = 3) für F.43.2 (Anpassungsstörung). 16,7 % (n = 4) wurden mit F 98.2 (Fütterstörung im frühen Kindesalter) diagnostiziert, 25,0 % (n = 6) F 93.9 (Nicht näher bezeichnete emotionale Störung des Kindesalters) und 16,7 % (n = 4) bekamen sowohl die Diagnose F 93.9 (Nicht näher bezeichnete emotionale Störung des Kindesalters) als auch F 8 (Entwicklungsstörung). 2.2 Verwendete Instrumente Der Fragebogen zur Erhebung der Einstellung von Müttern mit Kindern im Kleinkindalter (EMKK) wurde von Engfer und Codreanu (1984) entwickelt und findet an der Ambulanz für Regulationsstörungen sowohl in der Kurz- wie auch in der Langversion Anwendung. Für die vorliegende Untersuchung wurde die Langversion mit insgesamt 121 Items eingesetzt. Die Aussagen der Items werden von den Müttern auf einer vierstufigen Skala von „trifft sehr zu“ bis „trifft gar nicht zu“ entsprechend zugeordnet. Bei der Anwendung des EMKK ist es wichtig zu betonen, dass die Ladung umso höher ist, je niedriger der Konzept- bzw. Skalenmittelwert ausfällt. Mit anderen Worten: je höher der Wert, umso positiver ist der jeweilige Aspekt der Mutter im Hinblick auf ihre Beziehung zum Kind. 2.3 Verwendete statistische Verfahren Die Auswertung und Analyse der so erhaltenen Daten erfolgte mittels IBM SPSS 20. Für die vorliegende Arbeit werden folgende statistische Verfahren verwendet: • T-Test für eine Stichprobe zum Vergleich Gesamtstichprobe/Normstichprobe • T-Test für unabhängige Stichproben (EMKK-Skalen 2, 3, 4) • Mann-Whitney-U-Test (EMKK-Skalen 1, 5, 6, 7, 8, 9) Als Modifikationen wurde die Umpolung bei folgenden Items vorgenommen: • Items 1, 16, 31, 46, 61, 76, 85, 93 und 101 der Skala Mangelende Freude am Kind; • Items 32 und 94 der Skala Rigidität; • Item 110 der Skala Niedrige Frustrationsschwelle; sowie • Items 8, 14, 23, 83 und 117 der Skala Unglückliche Kindheit 582 L. Steger et al. Fehlende Werte wurden mit -99,0 definiert. Bei mehr als einer Antwort pro Frage wurde für die statistische Berechnung der Mittelwert des jeweiligen Itemscores herangezogen. Für die Reliabilität empfehlen Janssen und Laatz (2005) Werte mindestens zwischen 0,7 und 0,8. Wie in Tabelle 1 ersichtlich wird, fällt die Reliabilität der Skalen Mangelnde Freude sowie Rigidität unter diesen Wert. Tabelle 1: Darstellung Cronbach-Alpha je Item EMKK-Skalen N Items Cronbach Alpha EMKK gesamt EMKK 1 Mangelnde Freude EMKK 2 Rigidität EMKK 3 Überforderung EMKK4 Tendenz zu Strafen EMKK 5 Niedrige Frustrationsschw. EMKK 6 Überfürsorge/Angst EMKK 7 Rollenumkehr EMKK 8 Unglückliche Kindheit EMKK 9 Depressivität 45 45 45 45 45 45 45 45 45 45 121 9 14 11 16 15 17 7 17 15 0,930 0,440 0,646 0,813 0,701 0,866 0,803 0,806 0,960 0,849 3 Auswertung und Ergebnisse Die in Tabelle 2 dargestellten Ergebnisse zeigen für die Skala Mangelnde Freude mit einem mittleren Rang von 21,98 der Untersuchungsgruppe im Vergleich mit dem der Kontrollgruppe von 23,90 keinen signifikanter Unterschied (U = 230,500; p = 0,622). Es wird jedoch ersichtlich, dass die Kontrollgruppe tendenziell mehr Freude am Kind angibt. Hinsichtlich der Skala Niedrige Frustrationsschwelle mit dem mittleren Rang von 25,02 zeigt zwar der Vergleich mit der Kontrollgruppe von 21,23 (U = 209,500; p = 0,333) einen höheren Wert der Untersuchungsgruppe an, jedoch ist auch dieser nicht signifikant. Allerdings lässt der höhere mittlere Rang tendenziell auf eine höhere Frustrationsschwelle bei der Untersuchungsgruppe schließen. Desgleichen besteht bei der Skala Überfürsorge aus Angst kein signifikanter Unterschied (U = 187,500; p = 0,142) zwischen der Untersuchungsgruppe mit dem mittleren Rang von 19,93 und der Kontrollgruppe mit 25,69. Die Kontrollgruppe weist allerdings ebenso tendenziell einen höheren mittleren Rang auf als die Untersuchungsgruppe und scheint somit weniger überfürsorglich aus Angst zu sein. Für die Skala Rollenumkehr mit dem mittleren Rang 19,55 der Untersuchungsgruppe im Vergleich mit dem der Kontrollgruppe (26,02) besteht ebenfalls kein signifikanter Unterschied (U = 179,500; p = 0,098). Auch hier zeigt die Kontrollgruppe einen ipabo_66.249.64.176 ��������������������������������������������������������������������������������� Beziehungsmuster bei Müttern von Kleinkindern mit funktioneller Obstipation������ 583 tendenziell, jedoch nicht signifikant höheren mittleren Rang und weist somit auf eine geringere Neigung zur Rollenumkehr in der Mutter-Kind-Beziehung hin. Die Skala Unglückliche Kindheit mit dem mittleren Rang von 23,74 der Untersuchungsgruppe unterscheidet sich nicht signifikant im Vergleich mit dem mittleren Rang der Kontrollgruppe von 22,35 (U = 236,500; p = 0,724). Der höhere mittlere Rang zeigt aber eine minimal glücklichere Kindheit der Mutter bezogen auf die Untersuchungsgruppe an. Gleichermaßen konnte bezogen auf die Skala Depressivität kein signifikanter Unterschied (U = 229,500; p = 0,608) zwischen der Untersuchungsgruppe mit dem mittleren Rang von 24,07 und der Kontrollgruppe mit 22,06 gefunden werden. Tendenziell lässt sich hier allerdings ebenfalls ein höherer mittlerer Rang und somit eine geringere Depressivität für die Untersuchungsgruppe vermerken. Tabelle 2: Darstellung EMKK-Skalen Mann-Whitney-U-Test EMKK-Skalen EMKK 1 Mangel Freude EMKK 5 Nied. Frustration EMKK 6 Überforderung a. Angst EMKK 7 Rollenumkehr EMKK 8 Unglückliche Kindheit EMKK 9 Depressivität Gruppe MüfOb MüRegSt MüfOb MüRegSt MüfOb MüRegSt MüfOb MüRegSt MüfOb MüRegSt MüfOb MüRegSt N 21 24 21 24 21 24 21 24 21 24 21 24 Mittlerer Rang 21,98 23,90 25,02 21,23 19,93 25,69 19,55 26,02 23,74 22,35 24,07 22,06 M-/W-U Sign. 230,500 0,622 209,500 0,333 187,500 0,142 179,500 0,098 236,500 0,724 229,500 0,608 Bezogen auf die in Tabelle 3 beschrieben Skala konnte hinsichtlich der Rigidität laut TTest für unabhängige Stichproben kein signifikanter Unterschied zwischen klinischer Untersuchungsgruppe und klinischer Kontrollgruppe gefunden werden (T = -0,342; p = 0,734). Tendenziell ist allerdings eine geringere Rigidität hinsichtlich der Kontrollgruppe zu vermerken. Dies gilt ebenfalls für die Skala Überforderung: Auch hier konnte kein signifikanter Unterschied zwischen klinischer Untersuchungsgruppe und klinischer Kontrollgruppe gefunden werden (T = 0,807; p = 0,424). Es wird aber eine minimal höhere Tendenz der Kontrollgruppe in Richtung Überforderung ersichtlich. Auch für die Skala Tendenz zu Strafen besteht kein signifikanter Unterschied zwischen klinischer Untersuchungsgruppe und klinischer Kontrollgruppe (T = 0,485; p = 0,630). Es wird jedoch ersichtlich, dass die Untersuchungsgruppe tendenziell weniger zu Strafen neigt. 584 L. Steger et al. Tabelle 3: Darstellung EMKK-Skalen T-Test für unabhängige Stichproben EMKK-Skalen EMKK 2 Rigidität EMKK 3 Überforderung EMKK 4 Tendenz Strafen Gruppe MüfOb MüRegSt MüfOb MüRegSt MüfOb MüRegSt N 21 24 21 24 21 24 MW 3,0627 3,0968 3,2424 3,1402 3,4154 3,3768 SD 0,37052 0,29758 0,36628 0,46835 0,26906 0,26443 T df Sign. -0,342 43 0,734 0,807 43 0,424 0,485 42,003 0,630 Die oben dargestellten Ergebnisse zeigen deutlich, dass sich die klinische Untersuchungsgruppe nicht von der klinischen Kontrollgruppe unterscheidet. Zwar können Tendenzen bezüglich der einzelnen Müttergruppen festgestellt werden, allerdings sind diese Unterschiede nicht signifikant. In Tabelle 4 folgt daher nun eine Gegenüberstellung der Summenmittelwerte der gesamten Stichprobe (klinische Untersuchungs- wie auch Kontrollgruppe) im Vergleich zur Normstichprobe bezogen auf die einzelnen Skalen des EMKK. Die Berechnung erfolgt mittels T-Test für eine Stichprobe. Zuvor ist jedoch darauf hinzuweisen, dass es sich bei der Gesamtstichprobe (Untersuchungs- wie auch Kontrollgruppe) um eine klinische Kohorte handelt. Gerade im Hinblick auf dieses klinische Setting gilt es für eine optimale Umsetzung der Interventionsstrategien ein Höchstmaß an Behandlungsqualität zu gewährleisten. Je spezifischer dabei auf die Mütter – sowohl der klinischen Untersuchungsgruppe, wie auch der klinischen Kontrollgruppe – eingegangen werden kann, umso positiver für die mütterliche Compliance und damit den Behandlungserfolg (s. z. B. Berger, 2006; Keller, 2002; Papouŝek et al., 2010). So konnten bereits Papouŝek et al. (2010) signifikante Unterschiede der Mütter von regulationsgestörten Kleinkindern im Vergleich zu Müttern von Kindern ohne manifeste Regulationsstörung bezogen auf die Skalen des EMKK finden. Die Normstichprobe besteht aus Datensätzen von 171 Müttern aus dem Jahre 1984 (Engfer u. Coudreanu, 1984) mit auf Summenmittelwert, Varianz, Kronbach-Alpha und Kuder-Richardson-Formula begrenzten Angaben je Skala. Wie Tabelle 4 entnommen werden kann, unterscheidet sich die untersuchte klinische Gesamtstichprobe signifikant von der Normstichprobe in acht Skalen: Mangelnde Freude am Kind (T = 42,060; p < 0,001), Rigidität (T = 20,118; p < 0,001), Überforderung (T = 20,980; p < 0,001), Tendenz zu Strafen (T = 33,886; p < 0,001), Niedrige Frustrationsschwelle (T = 23,293; p < 0,001), Überfürsorge aus Angst (T = 18,698; p < 0,001), sowie Unglückliche Kindheit (T = 11,141; p < 0,001) und Depressivität (T = 10,741; p < 0,001). Bezogen auf die Skala Rollenumkehr besteht kein signifikanter Unterschied (T = 0,399; p = 0,692). ipabo_66.249.64.176 ��������������������������������������������������������������������������������� Beziehungsmuster bei Müttern von Kleinkindern mit funktioneller Obstipation������ 585 Tabelle 4: Darstellung der Gesamtstichprobe im Vergleich zur Normstichprobe EMKK 1 EMKK 2 EMKK 3 EMKK 4 EMKK 5 EMKK 6 EMKK 7 EMKK 8 EMKK 9 4 EMKK-Skalen Mangelnde Freude/Kind Rigidität Überforderung Tendenz zu Strafen Niedrige Frustrations. Überfürsorge aus Angst Rollenumkehr Unglückliche Kindheit Depressivität MW- MWItems ges. Norm 9 30,43 14,75 14 41,03 26,49 11 35,07 20,54 16 53,74 29,36 15 50,40 26,33 17 53,32 31,83 7 17,87 17,64 17 54,24 34,36 15 48,18 26,71 Var.Var.ges. Norm T-Wert df 6,26 9,94 42,060 44 23,52 35,05 20,118 44 21,58 33,91 20,980 44 23,30 46,12 33,886 44 48,05 52,80 23,293 44 59,46 58,82 18,698 44 16,00 21,44 0,399 44 143,36 124,04 11,141 44 179,76 57,90 10,741 44 Sign. < 0,001 < 0,001 < 0,001 < 0,001 < 0,001 < 0,001 0,692 < 0,001 < 0,001 Diskussion Durch die Auswertung der vorliegenden Daten kann sichtbar gemacht werden, dass die Mütter von funktionell obstipierten Kleinkindern zwar nicht signifikant, aber tendenziell weniger zu Überforderung, Tendenz zu Strafen sowie einer glücklicheren Kindheit neigen. Außerdem weisen die Ergebnisse darauf hin, dass sie im Vergleich zu den Müttern mit regulationsgestörten Kindern eine höhere Frustrationsschwelle haben und weniger depressiv zu sein scheinen. Die Ergebnisse zeigen jedoch, dass die untersuchten Mütter von obstipierten Kleinkindern eher geringere Freude am Kind und mehr Rigidität aufweisen sowie zu mehr Überfürsorge aus Angst und Rollenumkehr neigen. Diese Beziehungsaspekte können auch im praktischen Alltag an der Ambulanz für Regulationsstörungen im Umgang mit den Müttern erfahren werden. Überraschend ist, dass diese Beziehungsaspekte zwar tendenziell für diese Müttergruppe spezifisch sind, im Vergleich zur klinischen Kontrollgruppe jedoch nicht signifikant waren. Insgesamt zeigen sich also trotz tendenzieller Unterschiede zwei statistisch homogene Gruppen in Bezug auf das mütterliche Beziehungsmuster. Wir können nun daraus schließen, dass bei den Interventionsstrategien für die funktionelle Obstipation ebenfalls das Behandlungskonzept der Regulationsstörungen (Papouŝek et al., 2010) berücksichtigt werden kann, sowie zur Diskussion stellen, die funktionelle Obstipation unter den Überbegriff Regulationsstörungen einzugliedern. Bereits die Studie zum Thema „Psychische Konstellation der Mütter regulationsgestörter Säuglinge und Kleinkinder“ Papouŝek und von Hofacker (1998, zit. nach Papouŝek et al., 2010) zeigt spezifische Besonderheiten im Vergleich zu Müttern mit unauffälligen Kleinkindern. Es lassen sich hier signifikante Unterschiede in den Bereichen chronischer Erschöpfung, Depressivität, Frustration, ängstliche Überfürsorge sowie negative Kindheitserinnerungen feststellen. 586 L. Steger et al. Bei Papouŝek et al. (2010) wurde die klinische Untersuchungsgruppe mit Müttern gesunder Kinder verglichen. Für die vorliegende Arbeit schien es hingegen von primärem Interesse, das klinische Setting als den wesentlichen Forschungskontext zu sehen, weshalb der Fokus auch auf den Vergleich zweier klinischer Gruppen gelegt wurde. Die Skalen Mangelnde Freude am Kind, Rigidität, Überforderung, Tendenz zu Strafen, Niedrige Frustrationsschwelle, Überfürsorge aus Angst sowie Unglückliche Kindheit und Depressivität sind alle signifikant höher in der klinischen Gesamtstichprobe ausgeprägt. Dies stellt ein überraschendes Ergebnis dar, da höher ausgeprägte Werte auf den EMKK-Skalen auf ein für das Kind positiver ausgelegtes erhobenes Konstrukt hinweisen. Somit wäre die klinische Gruppe im Hinblick auf die einzelnen Skalen positiver in ihrer Einstellung dem Kind gegenüber. Die klinische Gesamtstichprobe setzt sich nun aber aus Müttern zusammen, die an der Klinik zur Beratung im Hinblick auf die vorliegende Problematik (funktionelle Obstipation bzw. Regulationsstörung) vorstellig wurden. Daher kann man davon ausgehen, dass sich bezogen auf die einzelnen Skalen doch Problembereiche im Vergleich zur gesunden Population finden lassen. An dieser Stelle ist darauf hinzuweisen, dass die vorliegende Untersuchung klinische Daten aus einem vorgegebenen Datenpool und einer eingegrenzten Zeitspanne (April 2011 bis Dezember 2012) analysiert. Eine Vergleichbarkeit zur Gesamtpopulation ist daher nur mit diesem Verweis sinnvoll. Es wurde durch den Vergleich der einzelnen Beziehungsaspekte kein eigenes, spezifisches Muster der Mütter mit obstipierten Kleinkindern in Abgrenzung zur Kontrollgruppe der Mütter mit regulationsgestörten Kleinkindern festgestellt. 5 Praktische Relevanz Aus den vorliegenden Ergebnissen lässt sich also schlussfolgern, dass für die funktionelle Obstipation ebenfalls das Behandlungskonzept der Regulationsstörungen (Papouŝek et al., 2010) berücksichtigt werden kann. So sehen Papouŝek et al. (2010) wie bereits erwähnt eine Kombination aus einer frühkindlichen Problematik in der Verhaltensregulation, einem schlecht funktionierenden Kommunikationsmuster in den für das Verhaltensproblem relevanten Kontexten und einem Überlastungssyndrom auf Seiten der Hauptbezugspersonen als ausschlaggebend für die Entstehung und Aufrechterhaltung von Störungen. Diese kindorientierte Anleitung kann im praktischen Kontext Hand in Hand mit der klinischen Intervention und den ergänzenden Modifikationen im Hinblick auf die bei Müttern von funktionell obstipierten Kleinkindern gefundenen Tendenzen gehen. ipabo_66.249.64.176 ��������������������������������������������������������������������������������� Beziehungsmuster bei Müttern von Kleinkindern mit funktioneller Obstipation������ 587 6 Grenzen und Ausblick Mit dem Fokus der vorliegenden Arbeit auf die Mutter selbst mussten andere Forschungsansätze für den Moment noch ausgeklammert werden. Auch ist auf die Größe der untersuchten Population hinzuweisen. Da diese aufgrund der sehr spezifischen Patientengruppe relativ klein ist und die Daten sowohl der Untersuchungsgruppe wie auch der Kontrollgruppe zudem im Zuge eines klinischen Settings gewonnen wurden, ist der Vergleich mit der Gesamtpopulation nur unter Vorbehalt möglich. Auch wäre es denkbar, dass bei einer größeren Stichprobe die in der vorliegenden Untersuchung nur tendenziell gemessenen Unterschiede eventuell signifikanter ausfallen würden. Bezüglich der Verwendung des EMKK ist anzumerken, dass dieser an der Ambulanz für Regulationsstörungen routinemäßig angewendet und auch gerne in verschiedenen Studien im Kleinkindbereich eingesetzt wird (s. dazu z. B. Glöggler u. Pauli-Pott, 2008; Mertesacker, Bade, Haverkock, Pauli-Pott, 2004). Die deutsche Version wurde jedoch seit 1984 nicht mehr überarbeitet und es stellt sich daher die Frage nach der Aktualität der Normstichprobe. Ebenso hinterfragt die geringe Reliabilität einzelner Skalen die inhaltliche Gemeinsamkeit der jeweiligen Items. Die Hauptaufgabe der vorliegenden Untersuchung bestand darin, zum ersten Mal den Status Quo zum Beziehungsmuster bei Müttern von Kleinkindern mit funktioneller Obstipation mittels Querschnittstudie zu erheben. Für den weiteren Forschungsverlauf wäre eine Längsschnittstudie zum Vergleich wünschenswert. Fazit für die Praxis Die vorgelegten Ergebnisse bieten eine Ausgangsbasis für die Ableitung nötiger Interventionen, um die bestmögliche Behandlungsqualität zu gewähren und die Compliance durch die Mütter als primäre Bezugsperson im klinischen Setting zu erhöhen. Es kann zudem der Interventionsansatz nach Papouŝek et al. (2010) aus dem bereits gut erforschten Bereich der Regulationsstörungen auch für die Gruppe der Mütter von funktionell obstipierten Kindern empfohlen werden. Ebenso kann der empirische Forschungsfokus auf die Beziehungsaspekte der Mütter als Basis für weitere Forschungen in diesem Bereich dienen, sowie die Aufnahme des Krankheitsbildes der funktionellen Obstipation im Kleinkindalter unter den Oberbegriff der Regulationsstörungen zur Diskussion gestellt werden. 588 L. Steger et al. Literatur Ainsworth, M., Hogan, R., Stayton, D (1971). Infant Obedience and Maternal Behavior: The Origins of Socialization Reconsidered. Society for Research in Child Development, 42, 1057-1069. Berger, M., Freiberger, E., von Kalckreuth, B., Knott, M., Wiesler, C., Windhaus, E. (2006). Leitlinien Regulationsstörungen, psychische und psychosomatische Störungen im Säuglings- und frühen Kleinkindalter; Leitlinien der Vereinigung Analytischer Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeuten. Analytische Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie, 37, 545-576. Bortz, J., Döring, N. (1995). Forschungsmethoden und Evaluation. Berlin: Springer. Bowlby, J. (1988). 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Korrespondenzanschrift: Lisa Steger, Univ.-Klinik für Pädiatrie I, Neuropädiatrie, Anichstraße 35, A-6020 Innsbruck Barbara Juen, Leopold-Franzens-Universität Innsbruck; Gerhard Rumpold, Univ.-Klinik für medizinische Psychologie in Innsbruck; Maria Höllwarth, Univ.-Klinik für Psychiatrie des Kindes- und Jugendalters in Innsbruck; Lisa Steger, Univ.-Klinik für Pädiatrie in Innsbruck Seelische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in der stationären Jugendhilfe/Heimerziehung Katrin Niemann und Frank Häßler Summary Children’s and Adolescents’ Mental Health in Residential Youth Care Settings Young people in residential youth care show a higher prevalence of mental problems than other children. This study gives an overview about the current situation of children and young people in the residential youth welfare service in Rostock (Mecklenburg-Western Pomerania, Germany). In 2008 a similar study for the rural district Bad Doberan (Mecklenburg-Western Pomerania, Germany) was conducted by Engel, Pätow, and Häßler (2009). This research was carried out with two measuring times over a period of eight months starting 2010. 48 young people and their keyworker as well as teachers answered Achenbach’s self- and third-partyassessment forms for mental problems. Furthermore the Barrat-Impulsiveness Scale (BIS-11) and the Youth-Psychopathic Inventory were used to get information about traits of Psychopathy. The result showed that 51 % of the young people rated themselves as clinical relevant. Female probands reached higher scores than the male. The third-party assessment displayed 45 % in clinical scores. These scores, presented by a dimensional assessment, confirm the higher prevalence of mental problems in residential youthcare settings. A long term improvement of the life situation of psychological stressed children and adolescents, who are living in residential care homes, can only be achieved by an intensive cooperation of all the involved institutions and professions. The basis for this is the realisation of this necessity as well as the deduction and implementation of appropriate curricula, which imparts the required abilities needed for the conversion in the respective professions. Prax. Kinderpsychol. Kinderpsychiat. 63/2014, 590-606 Keywords mental health – residential youthcare – prevalence of mental health problems Zusammenfassung Im Vergleich zur Normalpopulation weisen Kinder und Jugendliche in stationärer Jugendhilfe hinsichtlich psychischer Belastungen höhere Prävalenzraten auf. Diese Untersuchung versucht, einen Überblick über die derzeitige Lage und die Bedingungen, unter denen Kinder und Jugendliche heute in der stationären Jugendhilfe in der Hansestadt Rostock (MV) aufwachsen, zu vermitteln. Eine vergleichbare Studie wurde 2008 im Landkreis Bad Doberan durchgeführt (Engel et al., 2009). Die Untersuchung wurde mit zwei Messzeitpunkten über einen Zeitraum von acht Monaten vorgenommen. Es beteiligten sich 48 Jugendliche im Alter von 11-20 Jahren. Als Prax. Kinderpsychol. Kinderpsychiat. 63: 590 – 606 (2014), ISSN: 0032-7034 (print), 2196-8225 (online) © Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen 2014 ipabo_66.249.64.176 ����������������������������������������������������������������������� Seelische Gesundheit in der stationären Jugendhilfe/Heimerziehung������ 591 Untersuchungsinstrumente dienten die standardisierten Fremd- und Selbstbeurteilungsbögen Child-Behavior-Checklist (CBCL 4-18), Teacher-Report-Form (TRF), Youth-Self-ReportForm (YSR), Youth-Psychopath-Inventory (YPI) und Barratt-Impulsiveness-Scale (BIS-11). Insgesamt schätzten sich im Selbsturteil 51 % der befragten Teilnehmer als klinisch auffällig ein, wobei die weiblichen Probanden internal höhere Werte aufwiesen als die männlichen Teilnehmer. Im Fremdurteil liegen die klinischen Werte bei 45 %. Die hier dimensional erfassten Werte zeigen deutlich, dass in der Jugendhilfe stationär untergebrachte Kinder und Jugendliche häufig klinisch relevante psychische Auffälligkeiten aufweisen und hier eine noch stärkere Vernetzung zwischen Jugendhilfe und der Kinder- und Jugendpsychiatrie erfolgen muss. Schlagwörter Prävalenz psychischer Störungen – seelische Gesundheit – stationäre Jugendhilfe 1 Hintergrund der Studie Der bundesweit durchgeführte Kinder- und Jugendsurvey (KiGGS) zeigte, dass von den 14.478 befragten Kindern und Jugendlichen im Alter von 0-17 Jahren 11,5 % der Mädchen und 17,8 % der Jungen verhaltensauffällig bzw. grenzwertig auffällig waren (Hölling, Erhard, Raven-Sieberer, Schlack, 2007; Erhart, Hölling, Bettge, Ravens-Sieberer, Schlack, 2007). Erfasst wurde dieses Ergebnis über den Strengths and Difficulties Questionnaire (SDQ). Im Rahmen einer großen Längsschnittuntersuchung, der Jugendhilfe-Effekte-Studie (JES; Schmidt et al., 2002; Schmid, 2000; Knab u. Macsenaere, 1997), wurden die Maßnahmen der Jugendhilfe hinsichtlich ihrer Angemessenheit und ihrer Effekte bei verhaltensauffälligen Kindern im Alter zwischen 5 und 13 Jahren dargestellt. Die Studie hatte nicht den Anspruch, die Prävalenz psychischer Störungen zu untersuchen; dennoch zeigte sich, dass die psychischen Belastungen der Kinder in stationären Maßnahmen der Jugendhilfe sehr hoch sind, bei gleichzeitig eher unzureichend ausgeprägten sozialen Kompetenzen. Durch eine fremdbeurteilte Einschätzung der Verhaltensauffälligkeiten mit einem Fragebogen (Child Behavior Checklist, CBCL/4-18; Arbeitsgruppe Deutsche Child Behavior Checklist, 1998) wurden bei den untersuchten Kindern Belastungswerte beschrieben, die deutlich über den Werten der Normpopulation lagen. In einer in Süddeutschland an stationären Jugendhilfeeinrichtungen (689 Teilnehmer) durchgeführten Studie zur Prävalenz psychischer Belastungen anhand eines standardisierten klinischen Interviews konnten bei etwa 60 % der Probanden behandlungsbedürftige psychische Störungen festgestellt werden (Fegert, Goldbeck, Schmid, Nützel, 2005), wobei multiple Symptombelastungen (Störungen des Sozialverhaltens, Hyperaktivität sowie einhergehende emotionale Störungen) beschrieben wurden. Noch höher (72.1 %) lag der Anteil der im Erzieherurteil als verhaltensauffällig beschriebenen Kindern und Jugendlichen. Unter der Prämisse, dass seelische Ge- 592 K. Niemann, F. Häßler sundheit mehr umfasst als nur die bloße Abwesenheit einer diagnostizierbaren psychiatrischen Störung (Ford et al., 2007), ist diese Tatsache bedeutsam und unterstreicht den großen Hilfe- und Unterstützungsbedarf dieser Hochrisikopopulation. Diese Zahlen stehen im Einklang mit den Ergebnissen internationaler Studien, die bei bis zu 80 % der Kinder und Jugendlichen im stationären Jugendhilfesektor über bedeutsame emotionale oder Verhaltensauffälligkeiten berichten (McCann, James, Wilson, Dunn, 1996; Farmer et al., 2001; Garland et al., 2001; Meltzer et al., 2003; Blower, Addo, Hodgsen, Lamington, Towlsen, 2004; Burns et al., 2004; Mount, Lister, Bennun, 2004; Costello et al., 2003). Für eine gesicherte Aussage zu Prävalenzraten psychischer Störungen gibt es zu wenige Studien, die dem Anspruch strukturierter klinischer Interviews gerecht werden. In einer britischen Studie an Jugendlichen aus Einrichtungen der stationären Jugendhilfe im Alter von 13-18 Jahren wiesen 67 % der Befragten die Kriterien mindestens einer psychischen Störung auf, wobei externalisierende Verhaltensauffälligkeiten am häufigsten auftraten (McCann et al., 1996). In einer neueren britischen Untersuchung wird die Prävalenz psychischer Störungen in der Gruppe von im Jugendhilfesektor betreuten Kindern mit 45-49 % angegeben, wobei in der Gruppe der Kinder aus stationären Jugendhilfeeinrichtungen („residential care“, n = 279) bei 71 % psychiatrische Störungen diagnostiziert wurden (Ford et al., 2007). Diese Resultate lassen keine andere Schlussfolgerung zu, als dass Kinder und Jugendliche in stationären Jugendhilfeeinrichtungen vielfachen Belastungen ausgesetzt sind und die Prävalenz psychischer Störungen in dieser Gruppe im Vergleich zur Normalpopulation deutlich erhöht ist. Je nach Forschungssetting liegen die Prävalenzzahlen zwischen 44 % und 96 %. (Blower et al., 2004; McCann et al., 1996; Meltzer et al., 2003). Die Spannweite der hier aufgeführten Prävalenzraten ist hauptsächlich durch unterschiedliche Messinstrumente und Stichprobeneffekte erklärbar. Zu den häufigsten Störungsbildern von Kindern und Jugendlichen in Heimerziehung zählen Störungen des Sozialverhaltens, depressive Störungen, Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörungen (Blower et al., 2004; McCann et al., 1996). Eine Befragung der sich in stationärer Heimunterbringung befindlichen Jugendlichen aus dem Landkreis Bad Doberan/Mecklenburg Vorpommern mittels der Achenbachskalen (YSR und TRF) im Jahr 2008 ergab, dass sich im Selbsturteil 57 % der Befragten als psychisch belastet einschätzten. Die weiblichen Probanden wiesen hier deutlich stärkere Belastungen auf der internalisierenden Ebene auf. Diese Studie zeigte, dass eine Vernetzung von Jugendhilfe und Kinder- und Jugendpsychiatrie von großer Bedeutung ist, um adäquate psychiatrisch-psychotherapeutische Arbeit vor Ort zu gewährleisten. ipabo_66.249.64.176 ����������������������������������������������������������������������� Seelische Gesundheit in der stationären Jugendhilfe/Heimerziehung������ 593 2 Methode 2.1 Zusammensetzung der Stichprobe Die Studie umfasste zwölf Wohngruppen im Bereich Rostock, die vier Trägern der Jugendhilfe zugeordnet sind. Zum Zeitpunkt der Erhebung lebten 66 Jugendliche in diesen Einrichtungen. In weiteren gemeinsamen Gesprächen der Betreuer mit den Jugendlichen wurden diese über die Freiwilligkeit der Teilnahme und die Anonymität bei der Datenauswertung aufgeklärt. Von den insgesamt 66 gemeldeten Teilnehmern an dieser Studie haben sich letztlich nur 48 Probanden (26 Jungen, 22 Mädchen) im Alter zwischen 11 und 20 Jahren bereit erklärt, an der Untersuchung teilzunehmen bzw. wurde die Einwilligung der Sorgeberechtigten erteilt. Zum Zeitpunkt der zweiten Befragung standen von den ursprünglich 48 nur noch 29 Probanden, 17 Jungen und 12 Mädchen, zur Verfügung. Von den restlichen Teilnehmern waren 10 inzwischen aus den Einrichtungen ausgezogen. Eine Einrichtung (3 Probanden) hatte die Arbeit einstellen müssen und 6 Jugendliche wollten keiner 2. Befragung zustimmen. 2.2 Untersuchungsverlauf Um Aussagen zur Effizienz der stationären Jugendhilfe treffen zu können, wurden im Rahmen dieser Studie zwei Messzeitpunkte im Abstand von acht Monaten festgelegt. Die erste Messung erfolgte im Juli 2010. Nach einem Zeitraum von acht Monaten wurde im April 2011 mit den Jugendlichen, die an der ersten Messung teilnahmen und weiterhin in den jeweiligen Wohngruppen/Heimen wohnten, eine zweite Befragung durchgeführt, um den Vergleichsdatensatz zu Feststellung möglicher Veränderungen zu erstellen. Die praktische Durchführung konnte in einem Zeitraum von zwei Wochen pro Messung abgeschlossen werden. 2.3 Erhebungsinstrumente Für die Durchführung der Studie wurden die Fragebögen der Arbeitsgruppe Deutsche Child Behavior Checklist, die inhaltlich aufeinander abgestimmt sind und alle für die Befragung in der Altersgruppe von 11-18 Jahre geeignet sind, verwendet: Der Fragebogen für Jugendliche – YSR (Youth-Self-Report 11-18 Jahre) – vom Jugendlichen selbstständig oder unter Anleitung auszufüllen, der Elternfragebogen über das Verhalten von Kindern und Jugendlichen – CBCL (Child Behavior Checklist 4-18 Jahre) – der in dieser Studie vom Bezugsbetreuer auszufüllen war, und der Lehrerfragebogen über das Verhalten von Kindern und Jugendlichen – TRF (Teacher’s Report Form 5-18 Jahre) – auszufüllen vom Lehrer. Weiter wurden zur Erfassung von Persönlichkeitseigenschaften hinsichtlich der Psychopathy das Youth-Psychopathic-Traits-Inventory – YPI (Andershed, Gustafson, 594 K. Niemann, F. Häßler Kerr, Stattin, 2002) und zur Erfassung von Impulsivitätsmerkmalen die Barratt Impulsiveness Scale – BIS-11 (Barratt, 2000) eingesetzt. 2.4 Statistische Analyse Die durch die Befragung erhobenen Daten wurden in MS Excel erfasst und mit der Software „SPSS für Windows“ (Version 16) statistisch ausgewertet. Die allgemeinen Aussagen zu den Stichproben wurden mittels Bestimmung der relativen Häufigkeiten und Mittelwerte der jeweiligen Variablen getroffen. Für die CBCL und die TRF werden die Mittelwerte der Skalenrohwerte bezüglich des Geschlechts, des Alters und der Zugehörigkeit zu einer diagnostischen Gruppe abgebildet und erläutert. Zur Berechnung signifikanter Mittelwertunterschiede wurden T-Tests für unabhängige Stichproben beziehungsweise einseitige Varianzanalysen (ANOVA) durchgeführt und diese durch anschließende Post-Hoc-Analysen überprüft. Die Zuordnung der Kompetenzen und Auffälligkeiten der Probanden zu den Kategorien „nicht auffällig“, „grenzwertig auffällig“ und „klinisch auffällig“ ergab sich aus den erreichten T-Werten, die zu den jeweiligen Kompetenz- und Syndromskalen des Youth-Self-Report (YSR), der Child-Behavior-Checklist (CBCL) und der Teacher’s Report-Form (TRF) ermittelt wurden. Es wurden die Syndrom- und Dimensionsskalen der Fragebögen in ihrer originalen Form verwendet und auf einen Nachweis des Zutreffens der Einteilung verzichtet, obwohl es Quellen und Untersuchungen gibt, in denen die vorliegende Einteilung nach Döpfner angezweifelt wird (Henger, 2006). Eine probeweise durchgeführte Faktoren- und Clusteranalyse für den CBCL dieser Stichprobe bestätigte ebenfalls nicht die gewählten Einteilungen, was aber höchstwahrscheinlich auf die zu geringe Stichprobengröße zurückgeführt werden kann. Beim Youth-Psychopathic-Traits-Inventory (YPI) wurden zunächst die Befragungsrohwerte der Subskalen summiert und nach Andershed et al. in den drei Hauptskalen zusammengefasst und anschließend Z-transformiert (Andershed et al., 2002). Anhand der Summen-Z-Werte der Subskalen erfolgte dann die Einordnung der Probanden in die Domänen „normal“, „mittel“ und „hoch“ der psychopatischen Charakterzüge und aus der Kombination der Eigenschaften in den Hauptgruppen wurde die Gesamtauffälligkeit ermittelt. Die Barratt-Impulsiveness-Scale (BIS-11) wurde über die Aufsummierung der normalisierten Rohdaten in den drei Subskalen, der Bildung einer Gesamtsumme und die Zuweisung einer entsprechenden Perzentile aufbereitet und so der Grad der Impulsivität bestimmt. Um die Aussagen zur Impulsivität mit denen des Teils des YPI, der sich auf die Impulsivität bezieht, vergleichen zu können, erfolgte eine weitere Reduktion der Impulsivitätsgrade auf die drei Stufen „kaum impulsiv“, „impulsiv“ und „hoch Impulsiv“. Mit dem Kolmogorov-Smirnov-Test wurde die Stichprobe einer Überprüfung auf Normalverteilung unterzogen, welche für alle Parameter eine signifikante Abweichung von der Normalverteilung ergab. Daher war der Korrelationskoeffizient nach Spearman als Maß für die Stärke von Zusammenhängen zwischen den Subskalen maßgebend. Für ipabo_66.249.64.176 ����������������������������������������������������������������������� Seelische Gesundheit in der stationären Jugendhilfe/Heimerziehung������ 595 die weitere statistische Betrachtung wurde wegen der relativ geringen Stichprobengröße der Schwellenwert für die Irrtumswahrscheinlichkeit auf 20 % angehoben. 3 Ergebnisse 3.1 Sozialstruktur Der größte Teil der Probanden besucht zum Zeitpunkt der Untersuchung eine sonderpädagogische Einrichtung (35 % Förderschule, 8 % Schule für individuelle Lebensbewältigung und 4 % Lerntherapeutische Werkstatt innerhalb der stationären Einrichtung), gefolgt von Jugendlichen, die sich in einer Ausbildung befinden (19 %), auf die Regional- und Gesamtschule (je 10 %), Realschule (8 %), Gymnasium und Grundschule (je 4 %) gehen. 2 % der Kinder- und Jugendlichen sind derzeit in keinem Beschulungs- oder Ausbildungsverhältnis. Lediglich bei 33 % der Befragten leben beide Elternteile noch zusammen. 22 % der Eltern leben getrennt oder in instabilen Beziehungen, in denen teilweise der Kontakt vom getrennt lebenden Elternteil verweigert wird. 23 % der Jugendlichen sind Halbwaisen, ein Jugendlicher Vollwaise. Bei 19 % der Jugendlichen lagen keine Angaben vor. Fast alle Jugendlichen stammen aus sozioökonomisch schwachen Verhältnissen. 46 % der Väter sind berufstätig und 27 % der Mütter. Im Bereich „arbeitslos“ ist der Anteil der Väter gering (2 %) während 17 % der Mütter sich in keinem Arbeitsverhältnis befinden. Für 44 % der Väter bzw. 25 % der Mütter liegen keine Informationen vor bzw. wurden keine Angaben gemacht. Fast zwei Drittel der Untersuchungsgruppe lebt wegen Überforderung der Eltern/ eines Elternteils in stationärer Heimunterbringung (61 %) und werden nach den §§ 27 und 34 SGB VIII betreut. Vier Jugendliche werden im Rahmen des § 35a SGB VIII – Eingliederungshilfe für seelisch beeinträchtigte Kinder- und Jugendliche – betreut. 3.2 Psychische Belastungen zum Zeitpunkt des ersten Messzeitpunkt Die Ergebnisse der Skalen in Tabelle 1 zeigen, dass die Jugendlichen aus den Heimen psychisch stärker belastet sind als ihre Altersgenossen. Als Vergleichsbasis werden die Ergebnisse der deutschen Normierung mit T-Wert 50 und Standardabweichung (SD) 10 angesetzt. Die Mittelwerte beim Fremdurteil liegen bei den internalisierenden Störungen um eine halbe Standardabweichung (SD) und bei den externalisierenden Störungen sowie dem Gesamtscore um eine Standardabweichung über denen der Normalpopulation. Betrachtet man ergänzend noch den Prozentsatz der Jugendlichen, die im Grenzbereich der klinischen Auffälligkeit und darüber liegen, bestätigt dies die Aussage der psychischen Belastung von Heimkindern, da nur ca. 2 % der Normalpopulation in diesem Bereich scoren. Bei der Selbsteinschätzung wird dieser Unterschied 596 K. Niemann, F. Häßler zur Normalpopulation noch deutlicher, da hier 51 % der Jugendlichen den eigenen Angaben zufolge im klinischen Bereich liegen. Der Mittelwert des Gesamtscore liegt mit 68 (SD = 8,13) um fast 2 SD über dem Normal-T-Wert. Das Fremdurteil der Lehrer ergibt ein ähnliches Bild. 39 % der beurteilten Schüler der Heimstichprobe bewegen sich im klinischen Bereich (MW = 60, SD = 8,76). Tabelle 1: Ergebnisse der einzelnen Instrumente (CBCL, YSR, TRF) Skala Mittelwert Standardabweichung (SD) % im klinischen Bereich CBCL (n = 44) Gesamtscore 60,30 8,76 Int. Störungen 56,64 10,26 Ext. Störungen 59,23 9,04 45 % > 59 T - Wert Pkt. 16 % > 69 T - Wert Pkt. 32 % > 59 T - Wert Pkt. 9 % > 69 T - Wert Pkt. 27 % > 59 T - Wert Pkt. 16 % > 69 T - Wert Pkt. YSR (n = 44) Gesamtscore 68,23 8,13 Int. Störungen 57,37 10,22 Ext. Störungen 59,23 9,68 Gesamtscore 60,39 8,496 Int. Störungen 58,74 8,489 Ext. Störungen 59,74 9,227 51 % > 59 T - Wert Pkt. 37 % > 69 T - Wert Pkt. 28 % > 59 T - Wert Pkt. 12 % > 69 T - Wert Pkt. 37 % > 59 T - Wert Pkt. 14 % > 69 T - Wert Pkt. TRF (n = 44) 39 % > 59 T - Wert Pkt. 16 % > 69 T - Wert Pkt. 45 % > 59 T - Wert Pkt. 3 % > 69 T - Wert Pkt. 45 % > 59 T - Wert Pkt. 10 % > 69 T - Wert Pkt. Signifikante1 Unterschiede gab es jedoch in der Kategorie „körperliche Beschwerden“ (p = 0,161*) für die Mädchen der Altersgruppe 11-15 Jahre, die hier höhere Werte erreichten. Auch die Ergebnisse in der Kategorie „zwanghaft/schizoid“ sind bei den Mädchen – besonders in der Altersgruppe der 11- bis 15-Jährigen – auffälliger (p = 0,236). Auf der Skala der externalisierenden Verhaltensweisen erzielen die Jungen höhere Werte, die sich jedoch nicht signifikant von denen der Mädchen unterscheiden. Auffälliger ist hier die Altersgruppe 11-15 Jahre im Bereich aggressiven Verhaltens. 1 ns. = p > .5 (nicht signifikant), * = p ≤ .2 (signifikant), ** = p ≤ .1 (sehr signifikant), *** = p ≤ .01 (hoch signifikant) ipabo_66.249.64.176 ����������������������������������������������������������������������� Seelische Gesundheit in der stationären Jugendhilfe/Heimerziehung������ 597 T - Wert 70 68,125 68,37 Beim Selbsturteil (YSR) Gesamtscore gibt es keine auffälligen Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Auf der Skala der internalen Verhaltensweisen fällt in der Altersgruppe 16-20 Jahre jedoch die Gruppe der Mädchen durch hohe Werte im Bereich „ängstlich/depressiv“ auf (p = 0,127*). Ähnliche Ergebnisse für diese Altersgruppe zeigen sich in den Kategorie „sozialer Rückzug“ (p = 0,189*) und „Aufmerksamkeitsprobleme“ bei den gemischten Störungen. Für die Altersgruppe 11-15 Jahre beider Geschlechter zeigen sich keine signifikanten Unterschiede. Die externalen Verhaltensweisen sind im Bereich „aggressives Verhalten“ als auffällig zu bezeichnen. Die Werte befinden sich an der Signifikanzgrenze (p = 0,219). Hier schätzten sich besonders die Jungen der Altersgruppe 11-15 Jahre hoch ein. Die Ergebnisse der TRF zeigt Geschlechterunterschiede im internalen Bereich, die jedoch nicht signifikant sind (p = 0,279). Auf der Subskala „schizoid/zwanghaft“ in der Kategorie der gemischten Störungen werden die Mädchen als auffälliger eingeschätzt, wobei diese Beurteilung besonders auf die Altersgruppe der 16- bis 20-Jährigen zutrifft. Gleiches trifft auf die Kategorie der „Aufmerksamkeitsstörung“ zu. Die Mädchen erzielten auch in diesem Bereich höhere Werte und auch hier trifft diese Einschätzung besonders auf die Mädchen der Altersgruppe 16-20 Jahre zu. External sind keine signifikanten Geschlechterunterschiede zu verzeichnen (vgl. Abb. 1). 61,82 59,6 59,9 59,45 61,00 57,5 59,25 57,95 56,625 58,32 60,4 60,16 59,44 58,95 60 56,2 57,21 65 55 50 45 40 Int CBCL Ext CBCL Ges CBCL Jungen Int YSR Mädchen Ext YSR Ges YSR Normalpopulation Int TRF Ext TRF Ges TRF Abbildung 1: Geschlechtsspezifische Mittelwertunterschiede in den Gesamtskalen (CBCL, YSR und TRF) 598 K. Niemann, F. Häßler 3.3 Vergleich erster und zweiter Messzeitpunkt Zwischen dem ersten und zweiten Befragungszeitpunkt lag eine achtmonatige Pause. Zum Zeitpunkt der zweiten Befragung standen von den ursprünglich 48 nur noch 29 Probanden, 17 Jungen und 12 Mädchen, zur Verfügung. Der Vergleich bezieht sich hier auf die 29 Probanden, die am ersten und zweiten Messzeitpunkt teilnahmen. Bei der CBCL wurden 56 % der Jungen und 50 % der Mädchen als auffällig eingeschätzt, im Gegensatz zum ersten Messzeitpunkt, zu dem das nur auf 28 % der Jungen und 26 % der Mädchen zutraf. Der Anteil der sich im Grenzbereich angebenden Jungen (6 %) und Mädchen (17 %) stieg in der zweiten Befragung bei den Jungen auf 16 % und sank bei den Mädchen auf 11 %. Im Gesamtbild ergibt sich ein signifikanter Anstieg im Bereich „aggressives Verhalten“ (p = 0,057**). Dieser ist signifikant den Jungen (p = 0,086**) der Altersgruppe 16-20 Jahre (p = 0,052**) zuzuordnen. Im Bereich der internalisierenden Störungen stieg der Anteil der Mädchen (p = 0,032**) der Altersgruppe 11-15 Jahre (p = 0,043**), die von den Betreuern im 2. Messzeitpunkt im Bereich „körperliche Beschwerden“ auffällig eingeschätzt wurden. Die älteren Mädchen sind bei „sozialer Rückzug“ (p = 0,077**) auffälliger geworden. Die Jungen der Altersgruppe 11-15 Jahre weisen gesunkene Werte bei „Angst, Depressivität“ (p = 0,127*) und „delinquentes Verhalten“ (p = 0,145*) und höhere Ergebnisse bei „soziale Probleme“ (p = 0,022**) auf. Für die Auswertung des TRF lagen nach der zweiten Messung nur noch die Daten von 13 Jungen und 5 Mädchen vor. Signifikante Unterschiede zum ersten Messzeitpunkt ergaben sich für den Bereich „Aufmerksamkeitsprobleme“ (gesunken, p = 0,088**) und „delinquentes Verhalten“ (gestiegen, p = 0,036**). Während der Anstieg in der erstgenannten Kategorie den älteren Jungen zugeordnet werden kann, ist dies bei der 2. Nennung eindeutig den weiblichen Probanden (p = 0,078**) und insbesondere den jüngeren (p = 0,006***) zuzuschreiben. Einen geringfügigeren Anstieg gibt es aber auch bei den älteren Jungen (p = 0,173*). Signifikant gesunken ist der Gesamtscore, den die jüngeren Mädchen erzielten (p = 0,118*). Beim Selbsturteil (YSR) ergaben sich folgende Unterschiede: Nach den acht Monaten schätzen sich 25 % der Jungen als unauffällig bzw. grenzwertig ein und 50 % als auffällig. Bei den Mädchen sind es 17 % im grenzwertigen und 83 % im auffälligen Bereich. Keines der Mädchen schätzte sich als unauffällig ein. Im Gesamtbild des YSR ergibt sich ein signifikanter Unterschied in den Bereichen „sozialer Rückzug“ (gestiegen, p = 0,079**) und „körperliche Beschwerden“ (gesunken, p = 0,176*) zwischen den beiden Messzeitpunkten. Bei internalisierenden Verhaltensweisen schätzen sich 19 % (13 %) der Jungen und 17 % (32 %) der Mädchen als grenzwertig und 6 % (32 %) der Jungen und 33 % (16 %) der Mädchen als auffällig ein. Prozentwerte in Klammern sind die Vergleichswerte der ersten Befragung. Im Vergleich erzielten die Mädchen zum zweiten Messzeitpunkt höhere Werte im Bereich „sozialer Rückzug“ (p = 0,097**). Der Anteil, der sich im Bereich „körperliche ipabo_66.249.64.176 ����������������������������������������������������������������������� Seelische Gesundheit in der stationären Jugendhilfe/Heimerziehung������ 599 Beschwerden“ als auffällig beschrieben hat, sinkt von 11 % auf 8 % (Signifikanzgrenze). Auf der Subskala „Angst/Depressivität“ liegt dagegen ein signifikanter Anstieg vor (p = 0,123*). Damit erreichen die Mädchen auf der Dimension „internalisierende Störungen“ eine signifikante Ausprägung der Auffälligkeit (p = 0,159*). Bei den Jungen ist der Wert bei „körperliche Beschwerden“ signifikant gesunken (p = 0,023**), wobei sich kaum jemand als auffällig (4 %) und nur 6 % (8 %) als grenzwertig einschätzten. Die Mädchen weisen gestiegene Werte in der Kategorie „schizoid, zwanghaft“ (p = 0,032**) auf. Bei den Jungen hat sich in der Selbsteinschätzung das aggressive Verhalten erkennbar verbessert (p = 0,029**), während der Trend bei den Mädchen umgekehrt ist (p = 0,098**). Sie erbringen auf der Dimension „externalisierende Störungen“ signifikant angestiegene Werte (p = 0,070**). 3.4 Vergleich der Studien Bad Doberan (Land) und Rostock (Stadt) Zum Zeitpunkt der zweiten Befragung füllten aus Bad Doberan 23 und aus Rostock 29 Probanden die Fragebögen aus. In der Gesamtbetrachtung unterscheiden sich in der Rostocker Heimstichprobe die Jungen nicht signifikant von den Mädchen. Dies deckt sich auch mit den Ergebnissen aus Bad Doberan (s. Tab. 2 und Tab. 3). Nach der zweiten Messung ergab sich für beide Standorte das in den Tabellen 4 und 5 gezeigte Bild. Tabelle 2: Geschlechtsspezifische prozentuale Verteilung von Auffälligkeiten im Selbsturteil (1. Befragung) Sozialer Rückzug Körperliche Beschwerden Angst/Depressivität Internalisierende Störungen Dissoziales Verhalten Aggressives Verhalten Externalisierende Störungen Soziale Probleme Schizoid/zwanghaft Aufmerksamkeitsprobleme Gesamtauffälligkeiten grenzw. (67 ≤ T ≤ 70; unauffällig ( T ≤ 60; T≤ 67) 60 ≤ T ≤ 63*) % Rang YSR 95 % % Rang YSR 3 % Jungen Mädchen Jungen Mädchen Rostock/Doberan 92 / 90 74 / 50 4/5 16 / 23 88 / 85 74 / 73 8 /10 16 / 4 83 / 90 79 / 50 13 / 5 11 / 9 67 / 60 53 / 32 21 / 20 16 / 18 79 / 50 74 / 55 13 / 5 16 / 18 71 / 70 100 / 82 8 / 15 0 / 14 46 / 25 53 / 32 21 / 15 16 / 18 88 / 90 89 / 59 8 / 10 11 / 27 88 / 90 79 / 82 8 /5 5/9 83 / 80 74 / 50 8 / 15 16 / 14 17 / 35 5 / 27 13 / 10 37 / 14 * Syndromskalen erster und zweiter Ordnung auffällig ( T> 70; T > 64*) % Rang YSR 2 % Jungen Mädchen 4/5 4/5 4/5 13 / 20 8 / 45 21 / 15 33 / 60 4/0 4 /5 8 /5 71 / 55 11 / 17 11 / 14 11 / 24 32 / 36 11 / 36 0 / 10 32 / 55 0 /7 16 / 7 11 / 21 58 / 57 600 K. Niemann, F. Häßler Tabelle 3: Geschlechtsspezifische prozentuale Verteilung von Auffälligkeiten im Fremdurteil durch die Lehrkräfte (1. Befragung) unauffällig ( T ≤ 60; T≤ 67) % Rang TRF 95 % Jungen Mädchen Sozialer Rückzug Körperliche Beschwerden Angst/Depressivität Internalisierende Störungen Dissoziales Verhalten Aggressives Verhalten Externalisierende Störungen Soziale Probleme Schizoid/zwanghaft Aufmerksamkeitsprobleme Gesamtauffälligkeiten 85 / 94 88 / 83 71 / 78 55 / 50 78 / 55 80 / 66 35 / 28 74 / 94 94 / 89 80 / 94 55 / 33 73 / 76 91 / 71 91/ 76 45 / 57 82 / 57 91 / 76 64 / 34 55 / 62 73 / 86 73 / 81 27 / 28 grenzw. (67 ≤ T ≤ 70; 60 ≤ T ≤ 63*) % Rang TRF 3 % Jungen Mädchen Rostock/Doberan 5/0 13 / 19 12 / 17 9 / 10 9/5 9/5 10 / 17 18 / 5 17 / 28 9 / 24 10 / 17 0 / 14 30 / 17 9 / 14 16 / 0 27 / 33 6 / 5,5 27 / 4 20 / 0 18 / 19 15 / 17 27 / 10 auffällig ( T> 70; T > 64*) % Rang TRF 2 % Jungen Mädchen 10 / 6 0/0 0 / 17 35 / 33 6 / 17 10 / 17 35 / 55 11 / 6 0 / 5,5 0/6 30 / 50 27 / 5 0 / 19 0 / 19 36 / 38 9 / 19 9 / 10 27 / 52 18 / 5 0 / 10 9/0 45 / 62 * Syndromskalen erster und zweiter Ordnung Tabelle 4: Geschlechtsspezifische prozentuale Verteilung von Auffälligkeiten im Selbsturteil (2. Befragung) Sozialer Rückzug Körperliche Beschwerden Angst/Depressivität Internalisierende Störungen Dissoziales Verhalten Aggressives Verhalten Externalisierende Störungen Soziale Probleme Schizoid/zwanghaft Aufmerksamkeitsprobleme Gesamtauffälligkeiten grenzw. (67 ≤ T ≤ 70; unauffällig ( T ≤ 60; T≤ 67) 60 ≤ T ≤ 63*) % Rang YSR 95% % Rang YSR 3% Jungen Mädchen Jungen Mädchen Rostock/Doberan 94 / 80 83 / 77 0/0 8/0 94 / 90 92 / 70 6 / 10 0 / 15 100 / 100 67 / 77 0/0 0/8 75 / 50 15 / 46 19 / 20 17 / 15 88 / 60 92 / 62 6 / 20 0 / 15 94 / 80 58 / 84 0 / 10 42 / 8 63 / 50 25 / 54 25 / 10 25 / 15 81 / 90 67 / 92 6/0 33 / 0 88 / 80 67 / 92 0 / 10 25 / 0 81 / 70 83 / 77 0 / 10 17 / 8 25 / 40 0 / 39 25 / 30 17 / 23 * Syndromskalen erster und zweiter Ordnung ipabo_66.249.64.176 auffällig ( T> 70; T > 64*) % Rang YSR 2% Jungen Mädchen 6 / 20 0/0 0/0 6 / 30 6 / 20 6 / 10 13 / 40 13 / 10 13 / 10 19 / 20 50 / 30 8 / 23 8/ 15 33 / 16 33 / 39 8 / 23 0/8 50 / 31 0/8 8/8 0 / 15 83 / 39 ����������������������������������������������������������������������� Seelische Gesundheit in der stationären Jugendhilfe/Heimerziehung������ 601 Tabelle 5: Geschlechtsspezifische prozentuale Verteilung von Auffälligkeiten im Fremdurteil durch die Lehrkräfte (2. Befragung) Sozialer Rückzug Körperliche Beschwerden Angst/Depressivität Internalisierende Störungen Dissoziales Verhalten Aggressives Verhalten Externalisierende Störungen Soziale Probleme Schizoid/zwanghaft Aufmerksamkeitsprobleme Gesamtauffälligkeiten unauffällig grenzw. (67 ≤ T ≤ 70; ( T ≤ 60; T≤ 67) 60 ≤ T ≤ 63*) % Rang TRF 95% % Rang TRF 3% Jungen Mädchen Jungen Mädchen Rostock/Doberan 86 / 100 75 / 93 14 / 0 13 / 7 86 / 91 63 / 71 14 / 0 25 / 22 79 / 73 75 / 86 7 / 18 0/0 57 / 36 75 / 43 14 / 36 0 / 29 71 / 64 63 / 79 29 / 27 13 / 7 93 / 64 50 / 79 0 / 27 13 / 7 50 / 36 38 / 36 21 / 18 13 / 36 86 / 82 88 / 79 7 / 18 0 / 21 93 / 100 100 / 86 7/0 0 / 14 93 / 100 88 / 93 7/0 13 / 7 71 / 36 38 / 36 0 / 27 0 / 29 auffällig ( T> 70; T > 64*) % Rang TRF 2% Jungen Mädchen 0/0 0/9 14 / 9 29 / 27 0/9 7/9 29 / 46 7/0 0/0 0/0 29 / 36 13 / 0 13 / 7 25 / 14 25 / 29 25 / 14 28 / 14 50 / 29 13 / 0 0/0 0/0 63 / 36 * Syndromskalen erster und zweiter Ordnung 4 Diskussion der Ergebnisse In der Selbst- sowie auch in der Fremdbeurteilung liegen beide Geschlechter nach der ersten Befragung über den Werten der Normpopulation. 37 % der befragten Mädchen und 32 % der Jungen liegen beim CBCL im klinischen Bereich (T-Wert > 70). Beim YSR liegen 71 % der Jungen und 58 % der Mädchen im auffälligen Bereich. Bei den externalisierenden Störungen tendieren die männlichen Jugendlichen zu aggressiven Verhaltensweisen, während die Mädchen höhere Werte im Bereich delinquenten Verhalten aufweisen. Die Annahme, dass Mädchen im Vergleich zu den Jungen internal auffälliger sind, kann in dieser Studie teilweise bestätigt werden. In der Selbsteinschätzung (YSR) sind die Mädchen in einem wesentlich größerem Umfang als die Jungen in den Dimensionen „sozialer Rückzug“, „körperliche Probleme“, „ängstlich/depressiv“ und „Internale Auffälligkeit“ auffällig beziehungsweise klinisch auffällig. Somit stimmen die Ergebnisse mit anderen Studien zur Prävalenz psychischer Störungen in der Allgemeinbevölkerung und in stationären Jugendhilfeeinrichtungen überein (Fergusson, Horwood, Lynskey, 1993; McGee et al., 1990; Schmid, 2007; Cohen et al., 1993). Handwerk et al. (2006) bestätigen, dass weibliche Jugendliche stärker psychosozial belastet sind und vor allem mehr internalisierende Symptome aufweisen, die aber im Verlauf der Maßnahme erfolgreicher bearbeitet werden können als die externalisierenden Symptome. Die Stichprobe dieser Untersuchung ist sehr gering und die Effekte hinsichtlich der Symptome können sich auf mehrere Ursachen zurückführen lassen. Zum einen kann diese Stichprobe be- 602 K. Niemann, F. Häßler sonders psychosozial belastet sein. Mädchen reagieren eher internal auf Belastungen als Jungen. Des Weiteren können die Ergebnisse auch Folge isolierter Traumata sein. Mädchen, die traumatischen Ereignissen ausgesetzt waren, reagieren eher mit Dissoziation und depressiven Symptomen (Huber, 2003), während Jungen zu aggressivem und risikoreichem Verhalten, Alkohol-, Substanzmissbrauch und Hyperarousal neigen. Schneider (1995) geht davon aus, dass auch die Art der Traumatisierung für diesen Unterschied der Geschlechter verantwortlich ist. Jungen werden häufiger Opfer körperlicher Gewalt, während Mädchen oft sexuelle Missbrauchserfahrungen haben. Weiterhin sollte auch der soziale Background bei der Betrachtung der Ergebnisse beachtet werden. In der Unterschicht sind Rollenaufteilungen wesentlich stärker ausgeprägt als zum Beispiel in der Mittelschicht (DeVol, Payne, Smith, 2011). Der größte Anteil der Befragten dieser Untersuchung stammt aus sozial benachteiligten Familien. Aufgrund der geringen Stichprobengröße dieser Untersuchung zu den jeweiligen Messzeitpunkten konnte keine repräsentative Anzahl an Probanden erreicht werden. Dies führt zu einer relativ hohen statistischen Unsicherheit. Die Auswertung der CBCL und YSR weisen bezüglich der Gesamtauffälligkeit einen höheren Anteil Jugendlicher im klinischen Bereich aus, während der Anteil der unauffälligen Jugendlichen sich nicht signifikant verändert. Die TRF gibt eine positive Entwicklung im Gesamtscore für die Mädchen an. Aufgrund der Übereinstimmung im Selbst- und Fremdurteil hinsichtlich der Gesamtveränderungen könnte man vermuten, dass sich die psychische Belastung der Jugendlichen gegenüber der Erstbefragung nur minimal reduzierte. Für eine Verbesserung würden die positiveren Werte der Kompetenzskalen der CBCL, des YSR und TRF sprechen, aber auch der BIS, denn die Impulsivitätswerte haben sich auch hier zum Positiven verändert. Der Anteil an external auffälligen weiblichen Probanden ist im Vergleich zur ersten Befragung für den YSR und die TRF gestiegen. Die Betrachtung des Anteils an unauffälligen Mädchen zeigt keine Übereinstimmung zwischen Selbst- und Fremdurteil. So errechnet sich eine deutliche Zunahme an external unauffälligen weiblichen Jugendlichen nur beim YSR. Bei den männlichen Jugendlichen zeigt sich wiederum keine gravierende Veränderung gegenüber dem ersten Messzeitpunkt. Im YPI, das Persönlichkeitseigenschaften erfragt, ist eine Zunahme der Probanden zu beobachten, die hohe Werte im Bereich der Eigenschaften erreichten, die Kennzeichen der Psychopathie beschreiben. Diese Eigenschaften stehen mit externalisierendem Verhalten in Zusammenhang (Andershed. Kerr, Stattin, Levander, 2002) und könnten für die in der CBCL, YSR und TRF gemessenen externalen Auffälligkeiten sprechen. Hinsichtlich der internalen Auffälligkeiten steigt der Anteil der Jugendlichen im auffälligen Bereich. Selbst- und Fremdurteil zeigen eine ähnliche Tendenz. Trotz statistischer Unsicherheiten kann insgesamt davon ausgegangen werden, dass sich die psychische Befindlichkeit der Probanden im Untersuchungszeitraum nicht eindeutig verbessert hat. Es ist eine Zunahme der klinisch auffälligen Jugendlichen zu verzeichnen, auch wenn sich die Kompetenzbereiche und die Gesamtauffälligkeit leicht verbessert zu haben scheinen. ipabo_66.249.64.176 ����������������������������������������������������������������������� Seelische Gesundheit in der stationären Jugendhilfe/Heimerziehung������ 603 Während der Untersuchung schieden viele Jugendliche aus der Befragung aus, sei es aufgrund Erreichen der Volljährigkeit, Wechseln des Betreuungsverhältnisses oder auch durch Rückführung ins Elternhaus. Die verbleibenden Jugendlichen könnten diejenigen mit den größten Belastungen sein. Die durchschnittliche Aufenthaltsdauer der verbleibenden Probanden betrug 5 Jahre, Durchschnittsalter bei der Aufnahme in die stationäre Unterbringung 14,5 Jahre. Nun könnte vermutet werden, dass der stationäre Aufenthalt für die Jugendlichen nicht erfolgreich war oder sie im Zeitraum der Befragung nicht profitiert haben. Hukkanen et al. (1999) weisen in ihrer Studie mit finnischen Heimkindern keinen statistischen Zusammenhang zwischen der Unterbringung im Heim und negativen Auswirkungen auf die Psyche nach. Auch die Verbesserung des psychischen Zustandes kann ebenfalls nicht mit Sicherheit dem Heimaufenthalt zugeschrieben werden (Hukkanen et al., 1999). Dennoch könnte vermutet werden, dass die psychischen Belastungen der Jugendlichen ohne diese Betreuungsform ausgeprägter wäre. Trotz der statistischen Unsicherheit aufgrund der geringen Teilnehmerzahl, aber mit Hinblick auf die Widerspiegelung von Ergebnissen und Trends aus anderen Studien, können wichtige praxisrelevante Erkenntnisse für die Jugendhilfe gewonnen werden. Das Hauptproblem, inwieweit die Jugendhilfe auf den sehr hohen Anteil von psychisch belasteten Jugendlichen vorbereitet ist und reagieren kann, bleibt bestehen. Wie sieht es mit dem fachlichen Austausch zwischen der Kinder- und Jugendpsychiatrie und der stationären Jugendhilfe aus? Eine intensiver am individuellen Bedarf orientierte, kooperativ und parallel erfolgende Zusammenarbeit der am Hilfeprozess beteiligten Institutionen und Berufsgruppen wäre ein anzustrebendes Ziel. Die vorliegenden Ergebnisse sprechen in diesem Zusammenhang für einen Ausbau dieser Zusammenarbeit unter intensiverer Nutzung der Möglichkeiten der Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII. Aus dem Missverständnis über die Nutzung des §35a SGB VIII und der tatsächlichen psychischen Belastungen der Kinder und Jugendlichen kann man schlussfolgern, dass §35a SGB VIII in der Praxis der stationären Unterbringung zu wenig zum Einsatz kommt. Im Hilfeplanungsprozess nach §36 SGB VIII werden psychotherapeutische bzw. psychiatrische Kompetenzen außerdem sehr zurückhaltend einbezogen (Schmid, 2007). Ein Großteil der sehr kostenintensiven vollstationären Maßnahmen könnte vielfach über den §35a SGB VIII verbucht werden, wenn man ebenfalls die Kostenfrage einer Maßnahme aus jugendhilfepolitischer Sicht berücksichtigt. Vielfach wird aber auf die Gefahr der Stigmatisierung von Jugendlichen hingewiesen, weshalb auf die Zuhilfenahme des §35a verzichtet wird und über §27 „Hilfen zur Erziehung“ in Verbindung mit §34 SGB VIII die Kinder und Jugendlichen eingliedert. Jedoch ist zu hinterfragen, inwieweit die adäquate Hilfe bzw. Förderung der zum Teil massiv belasteten Kinder und Jugendlichen damit gewährleistet wird. Die stationäre Heimunterbringung steht oft am Ende vorangegangener, gescheiterter, niedrigschwelliger und kostengünstiger Hilfeangebote. Viele Jugendliche befinden sich dann in einer Lebensphase des Autonomiebedürfnisses und der Identitätsfindung. Damit sind sie für pädagogische und therapeutische Interventionen schwerer 604 K. Niemann, F. Häßler erreichbar, denn Verhaltensprobleme können sich manifestiert haben. Auch sind Kinder und Jugendlichen mit Vorerfahrung hinsichtlich anderer Jugendhilfemaßnahmen belasteter als andere Probanden. Somit ist zu hinterfragen, wie früh die Indikation einer Heimunterbringung geprüft wird und wie konsequent diese eingeleitet wird, um die Erfahrung des Verlustes weiterer Bezugspersonen zu vermeiden. Dazu gehört auch die Bereitstellung geschulten Personals und ein entsprechend angepasster Personalschlüssel, um den Kindern und Jugendlichen adäquate und kompetente Unterstützung gewährleisten zu können. Fazit für die Praxis Eine langfristige Verbesserung der Lebenssituationen psychisch belasteter Kinder und Jugendlicher in stationärer Heimunterbringung kann nur durch eine intensive Kooperation aller beteiligten Institutionen und Berufsgruppen erreicht werden. Grundlegend dafür ist, diese Notwendigkeit zu erkennen sowie entsprechende Ausbildungscurricula abzuleiten und zu implementieren, die die zur Umsetzung erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten in den jeweiligen Professionen vermitteln. Neu entwickelte sowie bereits bestehende Konzepte und Arbeitsmodelle sollten sich einer kontinuierlichen empirischen Evaluierung stellen, in die auch sozial- und gesundheitsökonomische Aspekte einfließen. Der Focus sollte auf die Investition in die Zukunft eines Staates – nämlich in die Kinder und Jugendlichen – gerichtet sein. Zusätzlich zum bestehenden Engagement der in den verschiedenen Ausbildungszweigen tätigen Pädagogen, Therapeuten und Ärzten bedarf die Arbeit in der Jugendhilfe – hier im besonderen der stationären Jugendhilfe – auch der Unterstützung und Wertschätzung der Gesellschaft. Literatur Andershed, H., Kerr, M., Stattin, H., Levander, S. (2002). Psychopathic Traits in Non-Referred Youths: Initial Test of a New Assessment Tool. In E. 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Effekte erzieherischer Hilfen und ihre Hintergründe (Band 219). Stuttgart: Kohlhammer. Schneider, A., Dulz, B. (1995). Borderline-Störungen – Theorie und Therapie. Stuttgart: Schattauer. Korrespondenzanschrift: Dipl.-Päd. Katrin Niemann, Hohe Düne 13 B, 18119 Rostock; E-Mail: [email protected] Katrin Niemann, Berufsschule Ecolea in Warnemünde/Rostock; Frank Häßler, Klinik für Psychiatrie, Neurologie, Psychosomatik und Psychotherapie im Kindes- und Jugendalter der Universitätsmedizin Rostock ipabo_66.249.64.176 AUTOREN UND AUTORINNEN Barbara Juen, Ao. Univ.-Prof. Dr., klinische und Gesundheitspsychologin, Leopold-FranzensUniversität Innsbruck, Lehrtätigkeit im Bereich klinische Psychologie und Entwicklungspsychologie, seit 1989 im Bereich Krisenintervention tätig. Frank Häßler, Prof. Dr. med., Facharzt für Neurologie, Psychiatrie sowie Kinder- und Jugendpsychiatrie. Seit 2003 Direktor der Klinik für Psychiatrie, Neurologie, Psychosomatik und Psychotherapie im Kindes- und Jugendalter der Universität Rostock. Maria Höllwarth, Mag., klinische und Gesundheitspsychologin, Universitätsklinik für Psychiatrie des Kindes- und Jugendalters in Innsbruck, Sprechstunde für frühkindliche Regulationsstörungen, Psychotherapeutin, Eltern-Säuglings-Kleinkind-Psychotherapie. Katrin Niemann, Dipl.-Päd. und Förderschullehrerin, Fachbereichsleiterin für Sozialwesen an der Privaten Berufsschule Ecolea in Warnemünde/Rostock. Davor zwei Jahre Teamleiterin in einer Respite Care Unit für Autisten in Long Stratton, UK sowie drei Jahre Primary Mental Health Worker (PMHW) bei CAMHS. Gerhard Rumpold, PD. Dr., klinischer und Gesundheitspsychologe, Universitätsklinik für medizinische Psychologie in Innsbruck, Leitung des psychotherapeutischen und klinisch-psychologischen Konsiliar-Liasondienstes, Lehrtätigkeit im Bereich somatoforme Störungen. Lisa Steger, Mag. PhD., klinische und Gesundheitspsychologin, PhD.-Studium an der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck, aktuell Universitätsklinik für Pädiatrie in Innsbruck, Neuropädiatrie, Sprechstunde für Entwicklungsdiagnostik. Marina Zulauf Logoz, Psychotherapeutin und Lehrbeauftragte an der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie KJPD Zürich. Psychologiestudium an der Universität Marburg, Promotion 1996 an der Universität Zürich. Weiterbildung in Kinder- und Familientherapie, derzeit Weiterbildung zur Verhaltenstherapeutin. Prax. Kinderpsychol. Kinderpsychiat. 63: 607 (2014), ISSN: 0032-7034 (print), 2196-8225 (online) © Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen 2014 BUCHBESPRECHUNGEN Rost, D. H. (2013). Handbuch Intelligenz. Weinheim: Beltz, 655 Seiten, 68,- €. Intelligenz stellt einerseits ein Reizwort in der öffentlichen Diskussion dar, andererseits ist es eines der bedeutendsten und am besten erforschten Konstrukte der Psychologie. Dies gilt insbesondere für den Bereich der klinischen Kinderpsychologie. Ergebnisse von Intelligenztests gehören zu den wichtigsten psychologischen Prädiktoren, insbesondere was Schul- und Berufserfolg anbelangt. Der Autor des vorliegenden Buches ist im deutschen Sprachraum ein ausgewiesener Experte auf diesem Gebiet. In acht Kapiteln bearbeitet er Themenbereiche wie begriffliche Umschreibung des Konstrukts, relevante theoretische Konzeptionen, so genannte „alternative“ Intelligenztheorien, psychometrische Aspekte mit unter anderem interessanten Hinweisen zu Test-Profilinterpretationen, Einfluss von sozialen Variablen, neuropsychologische, neurobiologische und somatisch-genetische Aspekte der Intelligenz, der IQ als bedeutsamer Prädiktor für akademische Leistungen sowie Konstanz, Stabilität und Wandlungsmöglichkeiten von Intelligenzmessungen. Detlef Rost wendet sich gegen unqualifizierte Äußerungen und unbrauchbare, vielfach schon lange widerlegte Ansätze im Bereich der Intelligenzpsychologie, die dennoch immer wieder periodisch die öffentliche Meinung beherrschen, und trägt in beeindruckender Fleißarbeit (127 Seiten Literaturverzeichnis! 20 Seiten Sachregister) Ergebnisse der empirischen Intelligenzforschung zusammen. Die Lektüre des Buches hilft, die Spreu vom Weizen zu trennen. Jedes Kapitel wird am Ende durch eine pointierte Zusammenfassung ergänzt. Bedeutsame empirische Forschungsarbeiten werden immer wieder exemplarisch in ihren Ergebnissen und ihrer Bedeutung dargestellt. Rost arbeitet die zentrale Relevanz des Spearmanschen Generalfaktors der Intelligenz (g) heraus. Er argumentiert scharfzüngig gegen eine zunehmende Verwässerung des Intelligenz-Begriffs und beschreibt ein heutzutage von nahezu allen empirisch arbeitenden Intelligenzforschern weltweit akzeptiertes hierarchisches Modell der Intelligenz mit g an der Spitze. Allerdings fließen neuere Erkenntnisse aus dem Bereich der so genannten CHC-Theorie zur Struktur kognitiver Fähigkeiten (zusammengefasst in Schneider u. McGrew, 2012) nur begrenzt in das Buch ein. Sie werden eher angedeutet. Kritisch und grimmig hält der Autor fundiert Gericht über „alternative“ Intelligenz-„Theorien“ (z. B. emotionale oder multiple Intelligenz) mit ihrer essayistischen Inflation der „Intelligenzen“ sowie ignoranten oder fehlerhaften Darstellungen bisheriger Intelligenzforschung, die immer wieder von Laien oder in der pädagogischen Fachwelt teilweise begeistert aufgegriffen werden. So beschreibt er zutreffend, dass „all diese Variablen … lediglich gemeinsam haben, dass sie kaum etwas miteinander gemeinsam haben“ (S. 146). „Wenig überzeugende theoretische Überlegungen sind einerseits mit mangelhafter Diagnostik und andererseits mit schwacher Empirie verknüpft“ (S. 185). Ernsthafte Intelligenzdiagnostiker finden Prax. Kinderpsychol. Kinderpsychiat. 63: 608 – 610 (2014), ISSN: 0032-7034 (print), 2196-8225 (online) © Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen 2014 ipabo_66.249.64.176 Buchbesprechungen 609 hier eine Fülle wissenschaftlicher Befunden, um sich gegenüber pseudowissenschaftlichen Ansätzen, die oft genug die psychometrische Intelligenzdiagnostik als gefährlich brandmarken, wirkungsvoll abgrenzen zu können. Unbeirrt bearbeitet der Autor auch heiße Eisen der gesellschaftlichen Diskussion im Bereich der Intelligenz. Dies betrifft z. B. den Zusammenhang zwischen Intelligenz und gesellschaftlichem Erfolg, wie er sich etwa im sozioökonomischen Status niederschlägt, also insgesamt die Frage, wie gleich oder ungleich Menschen sind, aber auch gemacht werden. Aus meiner Sicht stellt dieses Buch ein „Muss“ für all diejenigen dar, die sich im Bereich der Intelligenzforschung und -diagnostik kompetent äußern und betätigen wollen. Schneider, W. J., McGrew, K. S. (2012). The Cattell-Horn-Carroll Model of Intelligence. In D. P. Flanagan, P. L. Harrison (Hrsg.), Contemporary Intellectual Assessment (3. Aufl., S. 99144). New York: Guilford Press. Manfred Mickley, Berlin Fröhlich-Gildhoff, K. (2013). Angewandte Entwicklungspsychologie der Kindheit. Begleiten, Unterstützen und Fördern in Familie, Kita und Grundschule. Stuttgart: Kohlhammer, 243 Seiten, 28,90 €. Klaus Fröhlich-Gildhoff, Professor für Entwicklungspsychologie und Klinische Psychologie an der Evangelischen Hochschule Freiburg, formuliert, dass im Mittelpunkt des Buches die „Möglichkeiten, Methoden (und Programme) der Unterstützung einer gesunden Entwicklung von Kindern im Altersbereich von der Geburt bis zum Ende des Grundschulalters“ (S. 22) stehen. Bei der Angewandten Entwicklungspsychologie geht es um die Übertragung der Ergebnisse der Grundlagenforschung auf das Handeln in alltäglichen, pädagogischen, beraterischen oder therapeutischen Zusammenhängen. Nach einem einleitenden Kapitel werden das bio-psycho-soziale Entwicklungsmodell vorgestellt und einzelne Aspekte sowie das Konzept der Risiko- und Schutzfaktoren, entwicklungsfördernde Umwelten und relevante Entwicklungsdimensionen (die Bedeutung früher Bindungserfahrungen, von Emotionsregulation, Perspektivenübernahme, Selbstwirksamkeit und Problemlösekompetenzen) diskutiert. Anschließend werden Fragen der Diagnostik im weitesten Sinne thematisiert, unter anderem Beobachtung und Kriterien für und Beispiele von diagnostischen Verfahren. Nur bei einem Erkennen und Abschätzen von Auffälligkeiten und Störungen können passgenaue Antworten gefunden werden. Entwicklungsförderung gestaltet sich in der „Zone der nächsten Entwicklung“ (Wygotsky). Dort ist auch Förderung effektiv. Fröhlich-Gildhoff bespricht die Förderung kindlicher Normalentwicklung in unterschiedlichen Entwicklungsumwelten, in der 610 Buchbesprechungen Familie, weitaus ausführlicher in den Umwelten Kindertagesstätte und Grundschule, aber auch ein erweitertes Umfeld (Gemeinde, Politik) findet Beachtung. In den nächsten Kapiteln mit ähnlicher Gliederung werden Möglichkeiten der gezielten Prävention von Verhaltens- und Entwicklungsauffälligkeiten und der Unterstützung und Therapie bei diagnostizierten manifesten Verhaltensauffälligkeiten ausführlich behandelt. Ein abschließendes Kapitel stellt die Zusammenarbeit von Bildungsinstitutionen und Eltern heraus und endet mit der Vorstellung spezifischer Elternkurse, wiederum gegliedert in die Bereiche einer primären, sekundären oder tertiären Prävention. Nach einem umfangreichen Literaturverzeichnis werden alle erwähnten Konzepte und Programme in Tabellenform zusammengefasst. Dies ist auch sehr hilfreich, denn die Vielzahl der Programme führt mitunter zur Verwirrung, so gibt es beispielsweise SAFE® (Sichere Ausbildung für Eltern) und SaFE (Schools and Families Educating Children). Insgesamt ist es ein sehr empfehlenswertes Buch, das einen guten Überblick über Fördermöglichkeiten für Kinder im Säuglingsalter bis zur Ende der Grundschulzeit und der Unterstützung der Eltern gibt. Es werden die vielfältigen Programme prägnant, die über Kindertagesstätte und Schule hinausgehenden unterstützenden Institutionen, von Frühförderung bis Jugendhilfe, ausreichend umfangreich dargestellt. Lothar Unzner, Dorfen Die folgenden Neuerscheinungen können zur Besprechung bei der Redaktion angefordert werden: –– Bernard-Opitz, V. (2014). Visuelle Methoden in der Autismus-spezifischen Verhaltenstherapie (AVT). Stuttgart: Kohlhammer, 180 Seiten, 49,99 €. –– Hammel, S. (2014). Therapie zwischen den Zeilen. Das ungesagt Gesagte in Psychotherapie, Beratung und Heilkunde. Stuttgart: Klett-Cotta, 288 Seiten, 29,95 €. –– Lauth, G. W. et al. (Hrsg.) (2014). Interventionen bei Lernstörungen. Förderung, Training und Therapie in der Praxis. Göttingen: Hogrefe, 589 Seiten, 49,95 €. –– Plassmann, R. (Hrsg.) (2014). Die Kunst, seelisches Wachstum zu fördern. Transformationsprozesse in der Psychotherapie. Gießen: Psychosozial-Verlag, ca. 300 Seiten, 32,90 €. –– Romer, G. et al. (Hrsg.) (2014). Kinder krebskranker Eltern. Manual zur kindzentrierten Familienberatung nach dem COSIP-Konzept. Göttingen: Hogrefe, 265 Seiten, 34,95 €. –– Scholz, D. (2014). Systemische Interventionen bei Internetabhängigkeit. Heidelberg: CarlAuer, 224 Seiten, 24,95 €. –– Walg, M., Lauth, G. W. (2014). Erziehungsschwierigkeiten gemeinsam meistern. Informationen und Übungen für gestresste Eltern. Göttingen: Hogrefe, 157 Seiten, 16,95 €. –– Winkelmann, I. (2014). Systemisch-ressourcenorientiertes Arbeiten in der Jugendhilfe. Heidelberg: Carl-Auer, 240 Seiten, 29,95 €. ipabo_66.249.64.176 TAGUNGSKALENDER 26.-28.9.2014 in Lindau am Bodensee: 65. Jahrestagung der DGPT. IDENTITÄTen Auskunft: Geschäftsstelle der DGPT, Johannisbollwerk 20, 20459 Hamburg; Tel.: 040-75664990, Fax: 040-756649929, E-Mail: [email protected], Internet: http://jahrestagung2014.dgpt.de 2.10.2014 in Essen: Fachtagung des ifs. Kinder in der Familientherapie, Eltern in der Kindertherapie – wer ist zu viel, wer fehlt? Auskunft: ifs – Bochumer Str. 50, 45276 Essen; Tel.: 0201-8486560, E-Mail: [email protected], Internet: www.ifs-essen.de 11./12.10.2014 in München: 13. Internationale Bindungskonferenz. Bindung und Migration Auskunft: Internet: www.bindungskonferenz-muenchen.de 16.-18.10.2014 in Alpbach, Tirol, Österreich: 22. Internationale Wissenschaftliche Tagung. Kongress Essstörungen 2014 Auskunft: Netzwerk Essstörungen, Templstraße 22, A-6020 Innsbruck, Österreich; Tel.: +43-512-576026, Fax: +43-512-583654, E-Mail: [email protected] 21./22.10.2014 in Essen: Workshop: Systemisch pflegen? Impulse für den Pflege- und Erziehungsdienst in der Kinder- und Jugendpsychiatrie Auskunft: ifs – Bochumer Str. 50, 45276 Essen; Tel.: 0201-8486560, E-Mail: [email protected], Internet: www.ifs-essen.de 24./25.10.2014 in Bochum: 22. Wissenschaftliches Symposium für Psychotherapie: Das Gedächtnis in Biographie, Psychopathologie und Psychotherapie Auskunft: Frau C. Beyer, Tel.: 0234-5077-3440, E-Mail: [email protected], Internet: www.lwl-klinik-bochum.de, 31.10.-1.11.2014 in Essen: Workshop: Traumatherapie mit komplextraumatisierten Kindern und Jugendlichen Auskunft: ifs – Bochumer Str. 50, 45276 Essen; Tel.: 0201-8486560, E-Mail: [email protected], Internet: www.ifs-essen.de Prax. Kinderpsychol. Kinderpsychiat. 63: 611 - 613 (2014), ISSN: 0032-7034 (print), 2196-8225 (online) © Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen 2014 612 Tagungskalender 17./18.11.2014 in Essen: Kursbeginn Marte Meo Grundkurs Auskunft: ifs – Bochumer Str. 50, 45276 Essen; Tel.: 0201-8486560, E-Mail: [email protected], Internet: www.ifs-essen.de 26.11.2014 in Essen: Fachtagung des ifs. Anleitung zum Andersdenken – Die Idee des Konstruktivismus. Auskunft: ifs – Bochumer Str. 50, 45276 Essen; Tel.: 0201-8486560, E-Mail: [email protected], Internet: www.ifs-essen.de 29.11.2014 in München: Internationales und interdisziplinäres Symposium: Kognitive Entwicklung, Begabung und Lernen bei Kindern mit besonderem Förderbedarf Auskunft: Internationale Akademie für Entwicklungs-Rehabiliation in der Theodor-Hellbrügge-Stiftung, Heiglhofstr. 63/II, 81377 München; Tel.: 089-72469040, Fax: 089-7193610, Internet: www.theodor-hellbruegge-stiftung.de 09./10.12.2014 in Essen: Workshop: Stärke statt Macht – Neue Autorität Auskunft: ifs – Bochumer Str. 50, 45276 Essen; Tel.: 0201-8486560, E-Mail: [email protected], Internet: www.ifs-essen.de 16.1.2015 in Essen: Beginn der Seminarreihe Hypno-Systemisches Arbeiten in Beratung und Therapie Auskunft: ifs – Bochumer Str. 50, 45276 Essen; Tel.: 0201-8486560, E-Mail: [email protected], Internet: www.ifs-essen.de 27./28.1.2015 in Essen: Workshop: Systemische Beratung/Therapie mit multikulturellen Klienten Auskunft: ifs – Bochumer Str. 50, 45276 Essen; Tel.: 0201-8486560, E-Mail: [email protected], Internet: www.ifs-essen.de 12.2.2015 in Essen: Beginn der Seminarreihe KOF – Kinderorientierte Familientherapie Auskunft: ifs – Bochumer Str. 50, 45276 Essen; Tel.: 0201-8486560, E-Mail: [email protected], Internet: www.ifs-essen.de 12.-15.2.2015 in Brixen/Südtirol: Start der Fortbildung tiefenpsychologisch fundierte Gruppentherapie für Kinder und Jugendliche Auskunft: Ärztliche Akademie für Psychotherapie von Kindern und Jugendlichen e.V., Spiegelstr. 5, 81241 München; Internet: www.aerztliche-akademie.de ipabo_66.249.64.176 Tagungskalender 613 7./8.3.2015 in Bremen: 64. Kindertherapietage an der Universität Bremen Auskunft: Eva Todisco, Zentrum für Klinische Psychologie der Universität Bremen, Grazer Straße 6, 28359 Bremen; Tel.: 0421-218-68603, Fax: 0421-218-68629, E-Mail: [email protected], Internet: www.zrf.uni-bremen.de 19./20.9.2015 in Bremen: 65. Kindertherapietage an der Universität Bremen Auskunft: Eva Todisco, Zentrum für Klinische Psychologie der Universität Bremen, Grazer Straße 6, 28359 Bremen; Tel.: 0421-218-68603, Fax: 0421-218-68629, E-Mail: [email protected], Internet: www.zrf.uni-bremen.de MITTEILUNGEN Hermann Emminghaus-Preis 2015 – Teilnahmeberechtigt sind Wissenschaftler, die empirische Forschung auf dem Gebiet der Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie, insbesondere der biologischen Kinder- und Jugendpsychiatrie, betreiben und in der Regel nicht länger als zehn Jahre im Fach wissenschaftlich tätig sind. Psychodynamisch, genetisch oder zerebralorganisch orientierte Untersuchungen kommen ebenso für eine Bewerbung in Betracht wie epidemiologische, katamnestische oder therapeutische Studien. Die Arbeit ist in Deutsch oder Englisch einzureichen. Es können ausschließlich Arbeiten eingereicht werden, die noch nicht anderweitig ausgezeichnet worden sind. Der Preisträger wird mit der Hermann Emminghaus-Medaille und einem Preisgeld in Höhe von 5.500 Euro gewürdigt. Bewerbungsschluss ist der 5. November 2014. Weitere Informationen zum Hermann Emminghaus-Preis und zu den Teilnahmebedingungen sind unter www.emminghaus-preis.de zu finden. Aus dem Inhalt des nächsten Heftes K. Sarimski: Familiäre Belastungen in Pflege- und Adoptionsfamilien mit Kindern mit fetalem Alkoholsyndrom – M. Suing et al.: Das Kompetenzanalyseverfahren (KANN): Autismus-Spektrum-Störungen und/oder ADHS im Vergleich – C. Ulke et al.: Auswirkungen struktureller Interventionen auf wiederholte kritische Ereignisse – J. Quitmann et al.: Wie erleben betroffene Kinder und Jugendliche ihren Kleinwuchs? Ein Leitfaden für die Anwendung der OPDKJ-2-Achse in der therapeutischen Praxis Die Konfliktachse der OPD-KJ-2 Ein Fallbuch für die klinische Arbeit Von Inge Seiffge-Krenke, Heiko Dietrich, Petra Adler-Corman, Helene Timmermann, Maike Rathgeber, Sibylle Winter, Christine Röpke. 2014. 164 Seiten, mit 2 Abb. und 6 Tab., kartoniert € 19,99 D ISBN 978-3-525-40244-3 eBook: € 15,99 D ISBN 978-3-647-40244-4 Die Konfliktachse der OPD-KJ-2 stellt eine Bereicherung für die therapeutische Arbeit dar. Wie sie im Einzelnen hilfreich einbezogen werden kann, zeigt dieses Buch aus der Praxis für die Praxis. Die Operationalisierte Psychodynamische Diagnostik liegt seit 2013 in überarbeiteter Fassung vor (OPD-KJ-2). Im Zentrum dieses Buchs steht die Konfliktachse. Es zeigt, welche typischen intrapsychischen, entwicklungshemmenden Konflikte bei Kindern und Jugendlichen diagnostiziert und wie sie behandelt werden können. Therapeutische Vorgehensweisen in Kurz- und Langzeitbehandlungen, die Elternarbeit und die Anwendung der OPD-KJ-2 bei der Berichterstellung an den Gutachter werden anschaulich beschrieben. Zahlreiche Fallbeispiele aus der Praxis und Supervision verdeutlichen die Relevanz der Konfliktachse für den Alltag in Psychotherapie, Beratung sowie Kinder- bzw. Jugendlichenpsychiatrie und -psychosomatik. www.v-r.de ipabo_66.249.64.176 Karina Weichold Rainer K. Silbereisen Karina Weichold · Rainer K. Silbereisen Suchtprävention in der Schule Suchtprävention in der Schule IPSY – Ein Lebenskompetenzenprogramm für die Klassenstufen 5-7 mit CD-ROM Auch als IPSY – Ein Lebenskompetenzenprogramm für die Klassenstufen 5-7 2014, 146 Seiten, Großformat, inkl. CD-ROM, € 36,95 / CHF 49,90 ISBN 978-3-8017-2129-9 E-Book Gerhard W. Lauth · Matthias Grünke Joachim C. Brunstein (Hrsg.) Interventionen bei Lernstörungen Förderung, Training und Therapie in der Praxis Förderung, Training und Therapie in der Praxis 2., überarbeitete und erweiterte Auflage Auch als als pädagogische Herausforderung Ein Programm zur Förderung der Medienkompetenz im Jugendalter mit CD-ROM Auch als 2., überarbeitete und erweiterte Auflage 2014, 589 Seiten, € 49,95 / CHF 66,90 ISBN 978-3-8017-2486-3 Auch in der überarbeiteten und erweiterten Neuauflage präsentiert dieses Buch zahlreiche effektive Möglichkeiten der Lernförderung. Führende Expertinnen und Experten stellen Interventionen mit einer empirisch gut belegten Wirksamkeit so dar, dass sie im (Förder-) Unterricht, in Trainings und in Therapien leicht umgesetzt werden können. Im ersten Teil geht es um die wichtigsten Formen von Lernstörungen. Der zweite Teil enthält Informationen über Interventionen zur Förderung spezifischer Lernleistungen. Im dritten Teil werden bereichsübergreifende Techniken präsentiert, die sich bei der Behandlung von Lernschwierigkeiten als nützlich erwiesen haben. Ingrid Möller · Barbara Krahé Mediengewalt Interventionen bei Lernstörungen E-Book Das Lebenskompetenzenprogramm IPSY wurde für die Klassenstufen 5 bis 7 basierend auf dem aktuellen Forschungsstand zur Entstehung von jugendlichem Substanzmissbrauch entwickelt und erfolgreich evaluiert. Es soll Jugendliche umfassend in ihrer Persönlichkeitsentwicklung fördern und ihnen Kompetenzen vermitteln. Das Programm fördert darüber hinaus nachweislich Lebenskompetenzen und die Bindung an die Schule bei Jugendlichen. Auch das Miteinander im Klassenverband wird positiv beeinflusst. Das Buch bietet eine nutzerfreundliche Handreichung der Arbeitsmaterialien zur Durchführung des Programms im Schulalltag. Ingrid Möller · Barbara Krahé Gerhard W. Lauth · Matthias Grünke Joachim C. Brunstein (Hrsg.) Mediengewalt als pädagogische Herausforderung Torsten Porsch · Stephanie Pieschl (Hrsg.) Neue Medien und deren Schatten Mediennutzung, Medienwirkung und Medienkompetenz E-Book Das Manual beschreibt ein sieben Einheiten umfassendes Trainingsprogramm zur Konsumreduktion von Gewaltmedien und zur Förderung der kritischen Auseinandersetzung mit gewalthaltigen Medieninhalten bei Jugendlichen. Es enthält ausführliche Durchführungsanleitungen sowie zahlreiche Trainingsmaterialien, wie z.B. Eltern- und Schülerbroschüren, Arbeitsblätter sowie ein Medientagebuch. Das Training wurde hinsichtlich seiner Wirksamkeit sowie seiner Praktikabilität zum Einsatz im Schulalltag erfolgreich evaluiert. Neue Medien und deren Schatten Mediennutzung, Medienwirkung und Medienkompetenz Ein Programm zur Förderung der Medienkompetenz im Jugendalter 2013, 89 Seiten, Großformat, inkl. CD-ROM, € 34,95 / CHF 46,90 ISBN 978-3-8017-2445-0 Torsten Porsch · Stephanie Pieschl (Hrsg.) 2014, 336 Seiten, € 34,95 / CHF 46,90 ISBN 978-3-8017-2479-5 Auch als E-Book ll vieler Kinder, Jugendlicher Medien sind aus ddem Alltag und Erwachsener nicht mehr wegzudenken. Der Band beschäftigt sich mit Fragen der Mediennutzung und Medienwirkung und geht dazu auf verschiedene in der Wissenschaft zum Teil kontrovers diskutierte Themen, wie z.B. Gewalt in Computerspielen, Cybermobbing und sexuelle Belästigung im Internet, ein. Er liefert einen Überblick zum Forschungsstand und zeigt insbesondere am Beispiel Cybermobbing auf, welche Punkte bei der Entwicklung von Präventions- und Interventionsmaßnahmen beachtet werden sollten. Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG Merkelstraße 3 · 37085 Göttingen · Tel.: (0551) 99950-0 · Fax: -111 E-Mail: [email protected] · Internet: www.hogrefe.de Präventives Bindungstraining für Alleinerziehende Matthias Franz wir2 Bindungstraining für Alleinerziehende Unter Mitarbeit von Tanja Buddenberg, Jörn Güttgemanns, Daniela van Buggenum. 2014. 500 Seiten, mit 37 Abb., 6 Tab. und einer CD, gebunden € 44,99 D ISBN 978-3-525-40463-8 Alleinerziehende Mütter geraten aufgrund von Stress und Überforderung schnell in depressive Strukturen, was auch die Beziehung zu ihrem Kind beeinträchtigen kann. Das Gruppentraining wir2 beugt dem vor, indem es positive Mutter-KindBindungen fördert. wir2 – mit früherem Namen PALME – ist ein präventives Bindungstraining, das sich an psychosozial belastete alleinerziehende Mütter mit Kindern im Vorschulalter richtet. Ziel ist es, das Befinden von Mutter und Kind und ihre Beziehung zueinander zu verbessern. Die emotionszentrierten und bindungsorientierten Gruppensitzungen werden von einem speziell geschulten Leiterpaar durchgeführt. Wirksamkeit des Programms, theoretische Grundlagen sowie Inhalte und Ablauf der 20 Sitzungen sind in dem didaktisch sorgfältig aufbereiteten Manual ausführlich beschrieben. Auf der beiliegenden CD finden sich Druckvorlagen für Arbeitsmaterialien. www.v-r.de ipabo_66.249.64.176 RIAS Reynolds Intellectual Assessment Scales and Screening Deutschsprachige Adaptation der Reynolds Intellectual Assessment Scales (RIAS)TM & des Reynolds Intellectual Screening Test (RIST)TM von Cecil R. Reynolds und Randy W. Kamphaus von Priska Hagmann-von Arx & Alexander Grob Die RIAS sind ein zeitökonomisches, leicht zu handhabendes Testverfahren zur Intelligenzeinschätzung über praktisch die gesamte Lebensspanne (3 bis 99 Jahre). Sie umfassen einen Verbalen Intelligenz Index (VIX) und einen Nonverbalen Intelligenz Index (NIX), die sich jeweils aus zwei Untertests zusammensetzen. Die T-Werte der vier Untertests lassen sich aufsummiert in den Gesamtintelligenz Index (GIX) umwandeln, der eine Schätzung der globalen Intelligenz darstellt. Ein Gesamtgedächtnis Index (GGX) wird über zwei zusätzliche Gedächtnisuntertests gebildet. Die Intelligenzindizes entsprechen gängigen IQ-Werten. Der integrierte RIST ermöglicht als Screening-Version eine noch ökonomischere, reliable und valide Intelligenzeinschätzung. RIAS Test komplett, bestehend aus: Manual, 20 Protokollbogen RIAS, 20 Protokollbogen RIST, Stimulusbücher 1, 2, und 3, Sichtschutz und Koffer Bestellnummer 03 172 01, € 650.00/CHF 873.00 Zu beziehen bei Ihrer Testzentrale: Herbert-Quandt-Str. 4 · D-37081 Göttingen · Tel.: 0049-(0)551 999 50-999 · Fax: -998 E-Mail: [email protected] · www.testzentrale.de Länggass-Strasse 76 · CH-3000 Bern 9 · Tel.: 0041-(0)31 30045-45 · Fax: -90 E-Mail: [email protected] · www.testzentrale.ch Die Besonderheiten bei Kindertrauer – in Theorie und Praxis Franziska Röseberg / Monika Müller (Hg.) Handbuch Kindertrauer Die Begleitung von Kindern, Jugendlichen und ihren Familien 2014. 547 Seiten, mit 27 Abb. und 9 Tab., gebunden € 49,99 D ISBN 978-3-525-40227-6 eBook: € 39,99 D ISBN 978-3-647-40227-7 Dieses Handbuch bündelt mit fachlicher Expertise die große Bandbreite der Aspekte, die mit Trauer von Kindern zusammenhängen. Die elementaren Unterschiede zur Erwachsenentrauer machen solch ein Nachschlagewerk unentbehrlich. Das Buch gibt einen praxisbezogenen und theoretisch fundierten Einblick in die Thematik Trauer von Kindern und deren Familien. Trauer ist dabei weit gefasst und bezieht sowohl Erfahrungen vom Tod nahestehender Menschen, das Erleben von Sterben als auch andere Verlustsituationen ein. Hierbei werden die besonderen Bedürfnisse von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen berücksichtigt. Die langjährig erfahrenen Autorinnen und Autoren beschreiben Unterstützungsmöglichkeiten in der Familie, in Institutionen sowie in spezifischen Trauerbegleitungsangeboten. Praxisbeispiele oder Aussagen von Betroffenen leiten in die thematischen Aspekte ein. www.v-r.de ipabo_66.249.64.176 No risk, no fun! 158 Seiten, Kt, 2014 € 21,95 ISBN 978-3-8497-0039-3 217 Seiten, Kt, 2014 €29,95 ISBN 978-3-8497-0018-8 283 Seiten, 41 Abb., Kt, 2014 € 29,95 ISBN 978-3-8497-0034-8 249 Seiten, Kt 2., unveränd. Aufl. 2013 € 27,95 ISBN 978-3-89670-766-6 287 Seiten, 62 Abb., Kt 4. Aufl. 2011 € 29,95 ISBN 978-3-89670-804-5 252 Seiten, Kt 3., unveränd. Aufl. 2013 € 24,95 ISBN 978-3-89670-674-4 Carl-Auer Verlag • www.carl-auer. de Bei www.carl-auer.de bestellt, deutschlandweit portofrei geliefert! Yecheskiel Cohen Das traumatisierte Kind Psychoanalytische Therapie im Kinderheim Mit dem Film Die zweite Geburt (DVD) Herausgegeben von Sybille Drews und Manfred Endres 284 S., € 34,90, geb. Großoktav ISBN 978-3-95558-052-0 Cohen entwickelte ein therapeutisches Konzept, das seit Jahren erfolgreich umgesetzt wird. Die Behandlungsergebnisse zeigen eine beeindruckende Resozialisierungsrate. Der Film »Die zweite Geburt« (als DVD beigelegt) schildert anschaulich die tragenden Säulen der Therapie traumatisierter Kinder. Hans Hopf Schulangst und Schulphobie Wege zum Verständnis und zur Bewältigung Hilfen für Eltern und Lehrer 212 S., € 19,90, Pb. Großoktav ISBN 978-3-95558-035-3 Sowohl Eltern als auch Lehrer werden in das Geschehen um Schulängste hineingezogen. Das ist nicht immer einfach, und so bieten die Erfahrung und Kompetenz von Hopf in Sachen Angststörungen eine verlässliche Grundlage, um ein komplexes psychisches Geschehen im sozialen Raum zu verstehen. Hopf gelingt es, dies auf anschauliche Weise hervorragend zu vermitteln. Bitte fordern Sie auch unseren kostenlosen Psychoanalysekatalog an: Brandes & Apsel Verlag: E-Mail: [email protected] • www.brandes-apsel-verlag.de Gerne senden wir Ihnen auch unseren kostenlosen Newsletter zu: [email protected] ipabo_66.249.64.176 Weil jedes Kind es wert ist! Martin Baierl / Kurt Frey (Hg.) Praxishandbuch Traumapädagogik Lebensfreude, Sicherheit und Geborgenheit für Kinder und Jugendliche 2014. 294 Seiten, mit 23 Abb. und 1 Tab., kartoniert € 29,99 D ISBN 978-3-525-40245-0 eBook: € 23,99 D ISBN 978-3-647-40245-1 Lebensfreude ist Grundhaltung, Transportmittel und pädagogisches Ziel in der Traumapädagogik. Wie traumatisierte Kinder und Jugendliche das Leben wieder lieben lernen, zeigt dieses Buch aus der stationären Jugendhilfe-Praxis. Es gehört zu den grundlegenden Zielen in der Arbeit mit traumatisierten Kindern und Jugendlichen, sie darin zu unterstützen, wieder Vertrauen in sich und andere zu setzen, und sie zu ermutigen, das Leben in die eigenen Hände zu nehmen. Je schlimmer das Geschehen und je größer die Verletzung, desto wichtiger ist es, sich auf die gesunden Anteile zu konzentrieren, sie zu würdigen und zu stärken. Doch wie kann dies im erzieherischen Alltag gelingen? Mit dem Praxishandbuch lassen sich traumapädagogische Kompetenzen weiterentwickeln. Es vermittelt aktuelles traumatologisches Grundwissen und steckt voller erprobter Methoden und wertvoller Praxiserfahrungen. www.v-r.de