Anwaltschaftlichkeit - ein Herzstück Sozialer Arbeit

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Dr. W. Korbinian Höchstetter
Anwaltschaftlichkeit - ein Herzstück Sozialer Arbeit
Günther Rieger liefert mit seinem Aufsatz „Anwaltschaftlichkeit – ein
Herzstück der Sozialen Arbeit“ in der Zeitschrift Soziale Arbeit, März 2003,
Jhg.52, Seite 96 bis 104, wertvolle Ansatzpunkte, die auch für das
Beratungsverständnis von Bedeutung sind.
Es empfiehlt sich diesen Aufsatz im Orginal zu lesen.
Im Folgenden sind wichtige inhaltliche Aspekte seines Aufsatzes
zusammengefasst, die für die Beratung in der Sozialen Arbeit bedeutungsvoll
sein können.
G. Rieger stellte folgende Fragen an den Anfang seiner Reflexion:
„Was bedeutet Anwaltschaftlichkeit? Ist sie paternalistische Anmaßung oder ideologischer Restbestand?
Ist sie lediglich Positionsvorteil im Kampf um Marktanteile oder eigenständiger, fachlich wie ethisch begründbarer Auftrag Sozialer Arbeit?“
Seine Antwort ist klar. Er versteht Anwaltschaftlichkeit als eine zentrale Form
Sozialer Arbeit. Dies allerdings sieht er in der deutschen Theoriediskussion leider
nicht so klar diskutiert, wie dies in den USA und Großbritannien der Fall ist. In
diesen Ländern wird in der Theoriediskussion kein Zweifel daran gelassen, dass
eine Verpflichtung aller SozialarbeiterInnen besteht in Gemeinden, gegenüber
Organisationen und auf politischer Ebene für soziale Gerechtigkeit einzutreten.
In diesem Zusammenhang erwähnt Rieger die
„Bemühungen der Fachhochschule Köln, je einen Bachelor- und Masterstudiengang zum Sozialanwalt zu
entwickeln. Diese Studiengänge sollen auf dem Beruf des Sozialarbeiters wurzeln, allerdings ein besonderes Gewicht auf die Befähigung zu Tätigkeiten als rechtlicher Betreuer, Mediator, Verfahrenspfleger
und Anwalt des Kindes, Insolvenzberater Asylverfahrensbegleiter und anderes mehr legen" (Crefeld
2000).
In der Krise des Sozialstaates sieht Rieger eine besonderes Herausforderung für
die Anwaltschaftlichkeit der Sozialen Arbeit.
„Auf einen wachsenden Bedarf an Anwaltschaftlichkeit verweisen schließlich die Kontroversen um die
„Spaltung der Gesellschaft" und die„Krise des Sozialstaats". Individualisierung und Pluralisierung der
Gesellschaft führen dazu, dass Lebensrisiken breiter gestreut sind. Schon wird von einer „Normalisierung
Sozialer Arbeit gesprochen, weil sich ihr Dienstleistungsangebot zunehmend auch auf Angehörige der
Mittelschichten erstreckt. Eine anwaltschaftliche Vertretung scheint die neue Klientel der Sozialen Arbeit
weder zu benötigen noch zu wollen. Diese Feststellungen erfassen den gesellschaftlichen und sozialstaatlichen Wandel aber nur unzureichend. Denn die Pluralisierung und Individualisierung moderner postindustrieller Gesellschaften wird von Ausgrenzung begleitet (Herkommer 1999). Während einerseits
eine Diffundierung der Risiken stattfindet und ein nach Lebenslage wie Lebensphase differierender
Unterstützungsbedarf quer über alle Bevölkerungsschichten zu beobachten ist, werden gleichzeitig
bestimmte Personengruppen systematisch benachteiligt. Wachsende Bevölkerungskreise sind in mehrfacher Hinsicht unterprivilegiert und ausgeschlossen. Sie leben in vernachlässigten Wohngebieten und
sind am Arbeitsmarkt nicht konkurrenzfähig. Sie haben soziale oder gesundheitliche Probleme und gehören
gesellschaftlichen Minderheiten (allein Erziehende, Ausländer und andere) an. Eine Spaltung der
Gesellschaft zeichnet sich ab“ (S.98).
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Dr. W. Korbinian Höchstetter
Sein Verständnis von Anwaltschaftlichkeit bringt Rieger klar auf den Begriff:
„Im Unterschied zu anderen Definitionen wird hier jedoch der Gegenstand der Intervention zum
entscheidenden Kriterium („existing of proposed policies or practices").Anwaltschaftliches Handeln weist
sich dadurch aus, dass es die Veränderung der Handlungen, Praktiken und Verfahrensweisen von
Einzelnen wie Institutionen beabsichtigt beziehungsweise Reformen im Hinblick auf sozialpolitische
Programme, Gesetze, Verordnungen, Dienstanweisungen und so weiter anstrebt. Es ist darauf gerichtet,
die Interessen und sozialen Rechte relativ machtloser Klienten gegenüber Entscheidungsträgern im
Kontext asymmetrischer Machtstrukturen zu vertreten, ihre Interessen gegen Widerstand durchzusetzen
und sie vor Missbrauch und Benachteiligung zu schützen.
Es geht nicht darum, die Klienten zu verändern. Die Notwendigkeit anwaltschaftlichen Handelns ergibt
sich zunächst nicht aus irgendeiner besonderen „sozialen Schwäche" (Lüssi 1992, 5.431) des Klienten.
Jeweils spezifische soziale Schwächen geben Anlass zur Beratung, Betreuung, Beschaffung oder
Intervention. Anwaltschaftlichkeit dagegen ist gefordert, weil die Gesellschaft nicht angemessen auf die
Bedürfnisse der Klienten reagiert, weil Klienten bei allem sozialstaatlichem Fortschritt nach wie vor
diskriminiert, ausgegrenzt und benachteiligt werden. Unter entgegenkommenden sozialstaatlichen
Rahmenbedingungen sind Beratung, Betreuung, Beschaffung oder Intervention die geeigneten Handlungsalternativen. Erst die nicht-responsiven gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, Verletzungen der
Menschenwürde, Ungerechtigkeit oder Diskriminierung und das missbräuchliche, fehlerhafte oder ignorante
Verhalten von Einzelnen wie Institutionen machen Anwaltschaftlichkeit als sozialarbeiterische
Handlungsart notwendig.
Diese Nicht-Responsivität zeigt sich in unterschiedlichster Form dort, wo bestimmte gesellschaftliche
Gruppen systematisch benachteiligt oder diskriminiert werden (Ausländer, Asylbewerber, Drogenabhängige, Wohnsitzlose, psychisch Kranke und andere), wo faire Chancengleichheit nicht verwirklicht ist
(allein Erziehende, Kinderarmut), wo Menschen und Bürgerrechte verletzt (Gewalt in der Pflege,
polizeiliche Übergriffe, Verletzung des Datenschutzes) und Ressourcen vorenthalten werden. Sie ist
eingelassen in bestehende Gesetze und Programme oder drückt sich in politischer Untätigkeit aus.
Bestimmte Bedürfnisse und Missstände kommen erst gar nicht auf die politische Agenda und damit zur
Kenntnis der Öffentlichkeit. Sie werden verschwiegen, unterdrückt und als Nicht-Entscheidungen
ausgesessen.
Nicht-Responsivität drückt sich aber auch in der alltäglichen Praxis der Dienste, Einrichtungen und Träger aus. Ermessensspielräume werden systematisch zu Ungunsten der Klienten genutzt. Sozialämter kommen ihrer gesetzlich vorgeschriebenen Beratungspflicht nicht nach. Der zwischenmenschliche Umgang
in der Ausländerbehörde erweist sich als diskriminierend. Die speziellen Interessen bestimmter Gruppen
(behinderte Menschen, Familien, Jugendliche) werden nicht wahrgenommen. Recht wird gebeugt und
verletzt. Entsprechende Praktiken können auf Unwissenheit oder Unwillen der Mitarbeiter/-innen
beruhen, sie können -verankert in Verwaltungsvorschriften und formellen Dienstanweisungen wie
informellen Absprachen -aber auch zur „Politik“ einer Einrichtung gehören.“ (S.99)
Rieger unterscheidet
Anwaltschaftlichkeit:
dabei
eine
politische
und
eine
fallorientierte
„ Politische Anwaltschaft zielt auf die Änderung der oben genannten Praktiken und Verhältnisse. Hier
geht es um die Durchsetzung allgemein verbindlicher Regelungen. So wird „class advocacy"definiert als
„intervention an behalf of a group of clients who share the Same problem or status (Epstein 1981 nach Ezell
2001, S. 27). Ebenso ist „systems advocacy" „promoted to change policies and practicies affecting all
persons in a certain group or class" (Schloss; Jayne 1994 nach ebd.). „Sozialarbeitspolitik" als der
Versuch, politische und institutionelle Reformen zu Gunsten bestimmter Klientengruppen durchzusetzen,
steht auf der Tagesordnung. Eine Einrichtung wird gezwungen, Missstände abzustellen. Ein Amt wird
veranlasst seine Verwaltungspraxis zu ändern. Die Entscheidungsträger in Bund, Land, Kommune oder
Europäischer Union werden beeinflusst. Bestimmte Programme und Projekte sollen gefördert oder ihre
Abschaffung verhindert, Gesetze erlassen oder reformiert werden. Ziel ist es, Regelungen und
Verfahrensweisen zu fordern, zu fördern oder zu er zwingen, die allen in einer bestimmten Lebenslage
befindlichen, von spezifischen sozialen Problem betroffenen Personen zu Gute kommen (Rieger 2002b).
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Fallorientierte Anwaltschaft zielt auf eine Änderung der oben diskutierten ungerechten Praktiken
und Verhältnisse im Einzelfall. Gegen Widerstand gilt es, die Rechte des Klienten und seine individuellen
Bedarfe zu vertreten, zu sichern und durchzusetzen. Es gilt zu verhindern, dass die Ansprüche eines
Klienten übersehen oder übergangen werden, Es geht um die Ermächtigung und den Schutz von
Personen, die verletzlich und arm sind und die sich gegenüber einer anonymen und übermächtigen
Bürokratie oft hilflos und ohnmächtig fühlen (Bateman 2001, S.33), Dabei rückt mit der zunehmenden
Verrechtlichung sozialer Beziehungen die Problematik der juristischen Klärung, Vertretung und
Durchsetzung von Ansprüchen in den Vordergrund. Es geht darum, wie Klienten der „Zugang zum
Recht“gesichert werden kann. Sozialanwaltschaft wird hierr immer mehr die Gestalt der
Rechtsdurchsetzung annehmen müssen (Barabes 1999, S. 79-98 ).
Rieger unterscheidet idealtypisch vier Arten anwaltschaftlichen Handelns
in der Sozialen Arbeit:
1) vormundschaftlich/vertretend
„handeln SozialarbeiterInnen, wo eine zeitweise oder dauerhafte
Unfähigkeit des Klienten vorliegt, seine eigenen Interessen zu
erkennen und durchzusetzen.“
„Vormundschaftlich nennen wir advokatorisches Handeln aber auch ohne formalrechtliche Grundlage
allgemein dann, wenn wir den Klienten unterstellen, dass sie nicht über eine aufgeklärte verantwortliche
Kenntnis ihrer Interessen verfügen. Sozialarbeiter/-innen handeln hier im wohlverstandenen Interesse
der Klienten. Sie versuchen eventuell geäußerten Willen und das Wohl der Klienten in Einklang zu
bringen, um dann stellvertretend für sie zu handeln. Einfühlsame Gesprächsführung und gezielte
Beobachtung helfen dabei, die Wünsche und Bedürfnisse der Klienten wahrzunehmen. Fachliche
Standards und ethische Reflexionen bieten Leitlinien zur Rekonstruktion eines „wohlverstandenen
Interesses". Vormundschaftlich/stellvertretend handeln aber auch Einrichtungen und Verbände Sozialer
Arbeit. Sie vertreten die Interessen und Rechte der ihnen anvertrauten Menschen im Rahmen eines
gesetzlichen Auftrags oder aus eigenem politischem Willen, ohne von diesen direkt beauftragt worden
zu sein.“
2) Beauftragt/ stellvertretendes Handeln
„dagegen orientiert sich am explizit formulierten Auftrag der Klienten. Sie kennen ihre Interessen und
Bedürfnisse. Sie sind fähig sie zu artikulieren. Ihnen fehlen aber die Mittel (soziale Kompetenzen, Bildung,
Geld, Zugang zu Medien, Macht und so weiter), um ihre Ansprüche gegen den hinhaltenden oder
aktiven Widerstand von sozialen oder politischen Institutionen durchzusetzen. Die Sozialarbeiter/-innen
handeln hier nach dem erklärten Willen der Klienten. Sie haben ein Mandat erteilt. Beauftragt durch die
Klienten werden sie ihre fachliche Kompetenz, ihre Reputation sowie die ihnen zur Verfügung stehenden
organisatorischen Ressourcen zu Gunsten der Klienten einsetzen. Auch auf der Ebene der
Gruppeninteressen ist die Konstellation des beauftragt/stellvertretenden Handelns zu beobachten. Im
Bewusstsein der eigenen marginalisierten Interessen entstehen Bürgerinitiativen oder
Selbsthilfevereinigungen. Für bestimmte Aufgaben werden hauptamtliche Kräfte benötigt, für
bestimmte Aspekte der politischen Arbeit (Organisation, Öffentlichkeitsarbeit, Lobbyarbeit und anderes)
werden Sozialarbeiter/-innen angestellt. Oder die Initiative, der Verein oder Verband wird Mitglied ein"
Dachverbandes, um mit dessen Hilfe die eigenen Interessen voranzubringen.
3) Vormundschaftlich ermächtigend
„ist advokatorisches Handeln dort, wo es den Sozialarbeitern oder dem Verband zunächst darum geht,
bei den Klienten ein Bewusstsein für die Vernachlässigung und Unterdrückung ihrer individuellen
oder Gruppeninteressen zu wecken. Das Ziel der Arbeit heißt Aufklärung. Die hier angenommene
Ausgangssituation ist dadurch charakterisiert, dass der Klient nicht über ein ausreichendes
Bewusstsein seiner eigenen Interessen und deren Vernachlässigung und Unterdrückung durch
soziale und politische Institutionen verfügt, es jedoch angezeigt und möglich ist, dieses Bewusstsein
zu wecken oder zu stärken. Erneut ist hier definitorische Grenzziehung gefordert. Gemeint ist nicht
jede Form selbstreflexiver Kommunikation, die Klienten dazu befähigt, sich selbst im Sinne der
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Selbsterfahrung besser zu verstehen. Dies ist allgemein Gegenstand sozialer Beratung. Gemeint sind
ausschließlich jene (erwachsenen)pädagogischen Anstrengungen, die darauf zielen, das soziale und
politische Bewusstsein der Klientel für ihre Interessen und Rechte und deren gesellschaftliche
Vernachlässigung zu entwickeln.“
4) Als beauftragt/ermächtigend schließlich kann
„anwaltschaftliches
Handeln
dann
beschrieben
werden,
wenn
ein
entsprechendes
Interessenbewusstsein vorhanden ist, aber die Mittel zur Durchsetzung fehlen und gleichzeitig davon
auszugehen ist, dass die Klienten bei entsprechender Förderung und Ressourcenbeschaffung dazu
befähigt werden können, die jeweiligen Interessen selbst zu vertreten. Klienten werden dabei unterstützt,
Beschwerden zu formulieren oder Rechtsmittel einzulegen. Sie werden auf Verhandlungen mit Ämtern
und Einrichtungen vorbereitet und beim Schreiben von Petitionen angeleitet. Ihnen wird geholfen, sich
selbst zu organisieren, Initiativen zu gründen, Vereine ins Leben zu rufen, Demonstrationen und andere
soziale Aktionen durchzuführen.“
Als übergeordnetes Prinzip in allen Fällen anwaltschaftlichen Handelns nennt
Rieger Empowerment:
„Stets ist darauf zu achten, ob und inwieweit nicht doch Möglichkeiten bestehen, die Klienten zu
ermächtigen und zu beteiligen. Auch wenn akut vormundschaftliche und/oder stellvertretende
Vorgehensweisen zum Wohl des Klienten notwendig sind, bleibt Empowerrnent als Grundhaltung und
Leitlinie fachlichen Handelns unverzichtbar. Allzu leicht werden ansonsten vorhandene oder sich
entwickelnde Potenziale der Klienten übersehen und eine wohlmeinende Expertenherrschaft auf Dauer
gestellt. Ziel ist es, die Klienten wo immer möglich in die Lage zu versetzen, für sich selbst zu sprechen
(Self-Advocacy).“
Anwaltschaftliches Handeln bedarf nach Rieger ein fundiertes theoretisches
Wissen, reflexives methodisches Vorgehen und differenzierte Kenntnisse in
Beratung - und Gesprächsführung.
„In der alltäglichen sozialarbeiterischen Praxis ist allerdings oft schwer zu unterscheiden, ob die spezifische Schwäche der Klienten oder die Nicht-Responsivität des Systems im Vordergrund steht, ob Hilfe im
Einzelfall oder politische Reformen angesagt sind, ob hier und jetzt ermächtigend oder stellvertretend zu
handeln ist oder ob und wie unterschiedliche Handlungsrichtungen in Einklang zu bringen sind. Entsprechende methodische Entscheidungen und Planungen sind aber unverzichtbar. Zu groß ist die Gefahr
einer Entmündigung, Instrumentalisierung oder eine Schadens für den Klienten. Engagement und guter
Wille reichen auch für professionelles anwaltschaftliches Handeln nicht aus. Notwendige Entscheidungen
sind systematisch und fachlich begründet zu treffen. ........ Das bedeutet, dass Sozialarbeiter/-innen über
solides Wissen hinsichtlich der sozialrechtlichen, sozialpolitischen und organisatorischen wie
verwaltungstechnischen Rahmenbedingungen Sozialer Arbeit verfügen müssen. Ihre Handlungen
müssen an normativem Wissen zur Bedeutung und zum Inhalt von Menschen-, Bürger- und
Grundrechten (Rieger2002a) orientiert sein. Ihre anwaltschaftliche Einflussnahme muss getragen sein von
einer solidarischen, einfühlenden, die Würde und Selbstständigkeit der Klienten respektierenden
Grundhaltung. Die Sozialanwältin, der Sozialanwalt sollten konfliktfähig, parteilich und reflektiert sein.
Dazu gehört auch - und das mag manche Sozialarbeiter/-innen überraschen - ein reflektiertes
Bekenntnis zu den jeweils eigenen Interessen. Denn nur wer gelernt hat, für sich selbst zu sprechen, der
kann auch für andere sprechen (MacIntyre 2001, S.174).
Eingebunden in den methodischen Kreislauf von Assessment, Planung, Durchführung und Evaluation
entfalten dann unterschiedliche phasenspezifische Strategien und Techniken anwaltschaftlichen
Handelns ihre Wirkung, Diese entsprechen zum Teil den über alle Handlungsarten regelmäßig
erforderlichen Kompetenzen (von der empathischen, reflektierenden und motivierenden
Gesprächsführunq, Netzwerkarbeit und Gutachtertätigkeit bis zur Selbstreflexion oder Supervision).“
(S.102)
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Anwaltschaftlichkeit ist mit Grenzen konfrontiert:
„Selbstverständlich kann und wird nicht jede Sozialarbeiterin,jeder Sozialarbeiter über das entsprechende Repertoire an anwaltschaftlichen Fertigkeiten verfügen, Dies ist auch gar nicht erforderlich. Denn je
nach Aufgabengebiet gestaltet sich die Notwendigkeit advokatorischer Intervention höchst unterschiedlich. Aber die Profession als Ganzes muss über Praxis, Forschung und Lehre sicherstellen, dass
Anwaltschaftlichkeit als Prinzip und ausgearbeitete Methode verfügbar ist. Nur so wird das Bewusstsein
für die Notwendigkeit advokatorischen Handelns gefördert.......
und koordiniert mit den je Anwaltschaftlichkeit gehört zum Kern Sozialer Arbeit. Sie sollte
unverzichtbarer Bestandteil der beruflichen Identität von Sozialarbeiter/-innen sein. Damit ist nicht
gemeint, dass sich Sozialarbeit ganz oder in erster Linie über anwaltschaftliches Handeln definieren
könnte. Derartige Versuche wären ebenso abwegig wie es die Therapeutisierung oder Ökonomisierung
Sozialer Arbeit waren und sind. Anwaltschaftliches Handeln - wie es in diesem Aufsatz konzeptualisiert
wurde - beansprucht seinen Platz neben anderen für die Soziale Arbeit identitätsstiftenden
Handlungsarten (Beratung und Betreeung und anderes mehr).Anwaltschaftliches Handeln ist nur
sinnvoll vor dem Hintergrund und koordiniert mit den generellen Hilfe undUnterstützungsleistungen
Sozialer Arbeit.“
Rieger zieht ein klares Fazit:
„Es gilt Anwaltschaftlichkeit ins Zentrum Sozialer Arbeit zurückzuholen. Dieser Anspruch mag manchem
unangenehm sein. Er mag erschrecken. Maßt sich Sozialarbeit hier nicht erneut ein Mandat an, das sie
nicht hat? Öffnet Anwaltschaftlichkeit nicht dem Paternalismus Tür und Tor? Stört das Beharren auf
Anwaltschaftlichkeit nicht auf dem Weg der Normalisierung und Professionalisierung?
Zwei abschließende Bemerkungen dazu: Zum einen kann Soziale Arbeit nicht normal im Sinne von
unpolitisch und angepasst sein. Soziale Reformen folgen nicht allein der Logik fachlicher Diskurse
und sie lassen sich auch nicht über Marktmechanismen entwickeln. Sie sind immer auch
Machtfragen. Die berechtigten Ansprüche der Klienten müssen einzelfallorientiert oder politisch auch
gegen Widerstand durchgesetzt werden. Deshalb kann - zum anderen - Professionalisierung auch
nicht bedeuten, Anwaltschaftlichkeit auszuklammern. Es geht vielmehr darum, anwaltschaftliches
Handeln selbst zu professionalisieren.“ (S.104)
Diesen Aufsatz von Günter Rieger im Orginal zu lesen, lohnt sich. Er stellt
einen wichtigen Beitrag zum Verständnis Sozialer Arbeit dar und hat gerade
in der heutigen sozialpolitischen Diskussion und Praxis hohe Relevanz.
K. Höchstetter
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