Aus Gewebestammzellen werden Krebsstammzellen

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Aus Gewebestammzellen werden Krebsstammzellen
Der Transkriptionsfaktor Tlx bewirkt, dass im erwachsenen Gehirn aus neuralen
Stammzellen neue Nervenzellen hervorgehen. Wissenschaftler des Deutschen
Krebsforschungszentrums konnten jetzt zeigen, dass bei Mäusen eine Überexpression an Tlx
und ein Ausschalten des Tumorsuppressorproteins p53 aus den Hirn-Stammzellen invasiv
wachsende Glioblastomzellen gebildet wurden.
Im Vergleich mit so häufigen Krebsformen wie dem Lungenkarzinom, dem Mammakarzinom
oder dem Kolorektalkarzinom ist das Glioblastom mit etwa 3.000 Erkrankungen pro Jahr in
Deutschland ein eher seltener Tumor. Es ist aber der häufigste hirneigene Krebs und wegen
seiner Aggressivität und seines schnellen, infiltrierenden Wachstums besonders gefürchtet.
Das Glioblastom entsteht zumeist im Großhirn, besonders häufig in der so genannten
subventrikularen Zone, einer den beiden Hirnkammern des Großhirns anliegenden
Gewebeschicht. Diese subventrikulare Zone ist, wie man heute weiß, auch der Ort, an dem die
neuralen Stammzellen angesiedelt sind, also jene Zellen, aus denen im erwachsenen Gehirn
neue Nervenzellen gebildet werden.
Neurale Stammzellen benötigen Tlx
Diese Hirn- Stammzellen der subventrikulären Zone zeichnen sich durch ein spezifisches Protein
namens Tlx aus, wie Wissenschaftler des Deutschen Krebsforschungszentrums aus den
Abteilungen von Professor Dr. Günther Schütz und Professor Dr. Peter Lichter an Mäusen
gezeigt haben. Tlx wird von einem Gen (NR2E1) kodiert, das dem zuerst bei Drosophila
beschriebenen Gen „tailless" homolog ist.
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Prof. Dr. Günther Schütz © privat
Prof. Dr. Peter Lichter © DKFZ
Das Genprodukt gehört zur Proteinfamilie der „orphan nuclear receptors" („WaisenKernrezeptoren" - als Waisen werden sie bezeichnet, weil diese DNA-bindenden Rezeptoren
ohne Liganden auskommen; oder zumindest hat man bisher keine spezifischen Liganden
identifizieren können).
Tlx ist ein Transkriptionsfaktor , der die Expression anderer für die Differenzierung notwendiger
Gene reguliert. Schalteten die Forscher das Tlx- Gen im Gehirn erwachsener Mäuse aus, so kam
es zum vollständigen Verlust der Neurogenese (der Neubildung von Nervenzellen) in der
subventrikulären Zone, und es ließen sich keine Stammzellen im Gehirn mehr nachweisen. Der
Transkriptionsfaktor ist offenbar zur Funktion der neuralen Stammzellen notwendig.
Tlx-Überexpression induziert die Bildung von Hirntumoren
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Wenn man nun - anstatt Tlx auszuschalten - die Hirnstammzellen veranlasste, Tlx im Übermaß
zu produzieren, stieg nicht nur die Zellteilungsaktivität in der subventrikulären Zone an, die
Stammzellen wanderten außerdem aus ihrer Stammzellnische im neuralen Gliagewebe aus
und bildeten glioblastomähnliche Gewebeproliferationen. Das konnten die Teams von Schütz
und Lichter zusammen mit der Arbeitsgruppe von Professor Dr. Guido Reifenberger, Institut für
Neuropathologie der Universität Düsseldorf, in einer neuen Arbeit zeigen.
Glioblastomähnliche Gewebeveränderungen im Gehirn von Mäusen, die zuviel Tlx produzieren. © Haikun Liu, DKFZ
Wenn die Forscher zusätzlich noch das Tumorsuppressorprotein p53, einen wichtigen
Regulator des Zellwachstums, experimentell ausschalteten, so entstanden aus den
tumorähnlichen Proliferationen invasiv wachsende Glioblastome. Die gesteigerte TlxProduktion der Stammzellen induzierte außerdem auch die Angiogenese, die
Gefäßneubildung, im Gehirn. Dadurch waren die Tlx-positiven Glioblastomzellen in der Lage,
weiter entfernte Hirnareale zu infiltrieren, eine charakteristische Eigenschaft dieses Tumors,
die eine wirksame Therapie außerordentlich erschwert oder unmöglich macht.
In der Pressemitteilung (DKFZ Nr. 13 vom 01.04. 2010) zu ihrer neuen Publikation fasste Schütz
die Befunde folgendermaßen zusammen: „Wir erkennen Hirn-Stammzellen spezifisch an ihrer
Tlx-Produktion. Wenn wir diese ankurbeln, verwandelt sich die Gewebe-Stammzelle in eine
Krebs-Stammzelle, aus der bösartige Glioblastome entstehen - daher können wir nun erstmals
die Hirn-Stammzellen direkt für die Entstehung von Hirntumor-Stammzellen verantwortlich
machen."
Dieses aufregende Ergebnis scheint nicht auf die Maus beschränkt zu sein. Lichter und
Reifenberger entdeckten im Tumorgewebe von Glioblastom-Patienten, dass dort in vielen
Fällen das Tlx-Gen amplifiziert ist, was zur Folge hat, dass mehr Tlx-Protein produziert wird. Die
Hirntumor-Stammzellen des Menschen sind offenbar ebenso wie die der Maus auf die
Produktion von Tlx angewiesen. Damit besteht die Aussicht, an der Maus als experimentellem
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Modell für die Entstehung des Glioblastoms wirksame Therapien zur Bekämpfung dieses
bösartigsten Hirntumors zu entwickeln.
Das Glioblastom
Das Glioblastom ist der häufigste und bösartigste Tumor aus der Gruppe der Gliome oder
Astrozytome. Das sind neuroepitheliale Tumoren, die sich von den Gliazellen oder
Astrozyten, den Nähr- und Stützzellen der Nervenzellen des Gehirns, ableiten.
Kennzeichnend für diese Tumoren ist die Expression des „glial fibrillary acidic protein"
(GFAP), eines spezifischen Zytoskelettproteins, das im Zweifelsfall die Unterscheidung von
Hirnmetastasen anderer Herkunft erlaubt.
Am häufigsten tritt das Glioblastom bei älteren Erwachsenen (mehr bei Männern als bei
Frauen) auf. Bei Kindern ist es extrem selten. Hohe Dosen an ionisierender Strahlung sind
als Risikofaktor bekannt; ansonsten wusste man über die Ursachen seiner Entstehung
bisher nichts.
Wegen seines raschen, aggressiven Wachstums entwickeln sich bei einem Glioblastom die
Beschwerden meistens schnell innerhalb weniger Wochen bis Monate. Symptome können
anhaltende, ungewohnte Kopfschmerzen sein; oft treten Lähmungen, Sprach- und
Sehstörungen auf. Epileptische Anfälle und schließlich Persönlichkeitsveränderungen,
Apathie und Verlangsamung der Bewegungen sind oft Symptome eines fortschreitenden
Hirntumors.
Das Glioblastom ist äußerst schwer zu behandeln. Neurochirurgische Operationen können
zwar die Hauptmasse des Tumors entfernen, aber das Fortschreiten der Erkrankung kaum
dauerhaft verhindern, da fast immer eine Infiltration des gesunden Gehirngewebes durch
einzelne, weit verstreute Tumorzellen erfolgt ist, die auch durch Chemotherapie und
Bestrahlung nicht vollständig abgetötet werden können. Aktuell besteht die medizinische
Therapie dennoch aus Operation mit nachfolgender Bestrahlung und Chemotherapie , um
die mittlere Überlebenszeit um einige Monate zu verlängern und die Symptome zu lindern.
Die Fünf-Jahres-Überlebensrate liegt bei unter zwei Prozent. Trotz der schlechten Prognose
gibt es aber immer wieder einzelne Patienten, die bei relativ guter Gesundheit mehrere
Jahre mit einem Glioblastom leben können.
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Fachbeitrag
29.04.2010
EJ - 26.04.2010
BioRN
© BIOPRO Baden-Württemberg GmbH
Weitere Informationen
Publikationen: Liu HK, Belz T, Bock D, Takacs A, Wu H, Lichter P, Chai M, Schütz G: The nuclear receptor
tailless is required for neurogenesis in the adult subventricular zone. Genes & Development 22: 2473-2478
(2008).Liu HK, Wang Y, Belz T, Bock D, Takacs A, Radlwimmer B, Barbus S, Reifenberger G, Lichter P, Schütz
G: The nuclear receptor tailless induces long term neural stem cell expansion and brain tumor initiation.
Genes & Development 24: 647-652 (2010).n zum Artikel:Prof. Dr. Günther SchützDeutsches
KrebsforschungszentrumIm Neuenheimer Feld 58169120 HeidelbergE-Mail: g.schuetz(at)dkfz.de
Der Fachbeitrag ist Teil folgender Dossiers
Krebserkrankungen – Grundlagenforschung, Erfolge und Trends
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