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ISSN: 2196-8136
Nr. 01-2015
Gesprächsrunde "ZusammenHALTen - Gegen Gewalt, für
Dialog" am 21. Januar 2015 in Schloss Bellevue - Impulsreferat
Rechtsextremismus
JEX Service
Dr. Bernd Wagner
Am 21. Januar 2015 hatte Bundespräsident Joachim Gauck zu einer Gesprächsrunde mit dem
Titel “ZusammenHALTen – gegen Gewalt, für Dialog” ins Schloss Bellevue eingeladen.
Die rund 45 Gäste aus Bürgerrechtsorganisationen, Wissenschaft, Kultur und Medien
thematisierten Konflikte, die Teil der Debatten über das Einwanderungsland Deutschland sind.
1.
Phänomene
Rechtsextremismus ist ein schillerndes Schlagwort, das Gefahr für die Freiheit und Würde jedes
Menschen signalisiert. Wir verstehen darunter politische Ideologie, Zusammenschlüsse und
Handeln, das vorsätzlich gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung gerichtet ist. Der
Verfassungsstaat etikettiert Rechtsextremismus per Rechtsentscheid. Insofern ist er als
Phänomen begrenzt.
Rechtsextremisten
Der heutige Rechtsextremismus ist im wesentlichen Neo – Nationalsozialismus. Der differenziert
in verschiedene - meist militante - Richtungen und Bewegungszusammenhänge, Netzwerke und
Gruppen und sich als weltanschauliche, politische und kulturelle Missions-Bewegung versteht.
Der ideologische Kern ist das Völkische als Rassismus, die Instrumente sind in Einheit
freiheitsfeindliche Gewalt und Subversion, das Ziel ein System der elitegesteuerten ‚VolksGemeinschaft‘ als sozialistisches Modellbild. Im Selbstverständnis ist er ‚Nationaler Widerstand‘,
eine Partisanenbewegung gegen die Demokratie als System, die ‚Überfremdung‘ und den
‚Volkstod‘. Demokratie und Deutschtum seien naturgemäß unvereinbar, Demokratie zerstöre
die ‚weiße Rasse‘ und den Arier als höchsten Typus.
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JEX Service | ZusammenHALTen - Gegen Gewalt, für Dialog Deradikalisierung
Er tritt aktiv kämpferisch gegen den Wertebund der Freiheit und der Menschenrechte - wie er
seit der Aufklärung entwickelt wird - kulturkämpferisch an. Er setzt dabei alle Stilmittel von
Gewaltförmigkeit und Gewaltzielen bis zum Terror an. Er strebt die Elemination von ‚Feinden‘,
neue ‚Raumordnungen‘, Zeichen- und Deutungskämpfe gehören dazu.
Das Internet ist ein Kampf-, Schutz- und Aufbaufeld sowie Körperhilfe rechtsextremer
Organisationen.
Kultur- und Ästhetik spielen eine wesentliche besonders auf die Jugend gerichtete Rolle. Es
besteht ein eigenständiger kultur-politischer Kampfkomplex (Bands, Merchandising,
Konzertbetrieb, Aktionen). Der Fußball als Aktionsfeld spielt eine analoge Rolle und dient als
Identifikator der Volksgemeinschaftsvorstellung.
Der Neo – NS ist sozial und politisch anti-imperialistisch und antiwestlich, ‚antikapitalistisch‘,
nationalistisch, judenfeindlich. Er tritt Erbschaften aus den deutschen Diktaturen und
internationalen faschistischen, nationalistischen und rassistischen Bewegungen an, ist insofern
internationalistisch, bürgerlich und antibürgerlich zugleich.
Der Neo-NS ist eine Teilmenge der rechtsradikalen Bewegung als soziales und kulturelles sowie
politisches Phänomen.
Rechtsradikale
Rechtsradikale sind die versammelten Träger rechtsradikaler Ideologien mit dem daraus
intendierten Handeln zur politischen Umgestaltung der Gesellschaft entsprechenden der
jeweiligen Obsession, sich in sehr heterogenen Strukturen bewegend. Gemeint sind Parteien,
Vereine, Firmen, Projekte real und virtuell. Der Rechtsradikalismus ist in seiner Grundfigur
völkisch-nationalistisch. (Einheit von Rasse, Gentes, Kultur, Nation, Staat)
Völkische
Die kulturell-ideologische Basis von Rechtsradikalismus und Rechtsextremismus, der
‚Nährboden‘, ist das gelebte Völkische als Element der ideellen und sittlichen Figuren in der
Bevölkerung, Es sind Bilder zu Kultur, Staat und Volk, deren Konstruktion und Konstitution, die
durchaus in Konkurrenz zur politischen Verfassung stehen und in diesem Verhältnis wie eine
Religion in Denken und Verhalten dominant sein kann. (‚Naturnationalisten‘).
Seit Ende der 2000er Jahre ist eine Formierung neo-völkischer ideologischer Strömungen und
‚Querfronten‘ mit rechtsradikaler Valenz festzustellen, die nach organisationellen Ausdrücken
suchen und Protest gegen Dysfunktionalitäten von Demokratie aufnimmt und richtet, da die
Kritik an diesen Dysfunktionalitäten keine ausreichend wirksamen Artikulatoren findet.
2.
Potenziale
Stabilere Potenziale: A: 20.000 / Wählerstimmen 0,5 – 5% | B: Wählerstimmen bis 5% | C:
Nichtwähler | AfD | Pegida | andere Parteien und Gruppierungen
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Gesamtpotenzial des Rechtsradkalen und Völkischen ist amorph und derzeit kaum bestimmbar:
völkisch konnotiert ansprechbar ist wohl weit mehr als die Hälfte der Bevölkerung.
Die soziale Schichtung: Präkariat
Mittelschicht.
-
Mittelschicht – Oberschicht. Schwerpunkt (untere)
Psychosoziale Milieus: ‚Normalbürger‘, deutlich weniger ‚Auffällige‘.
Zentrale Rolle des memetischen Faktors.
3.
ZDK Gesellschaft Demokratische Kultur gGmbH | EXIT-Deutschland
Impulse und Idee
Die Tätigkeit ist eine Reaktion auf den autoritären Antifaschismus und die staatliche Armut der
Bekämpfung der deutschen rechtsradikalen Bewegung seit 1990. Der NSU entstand nicht
zufällig in Thüringen und konnte sich in Sachsen beheimaten und die rechtsradikale und
rechtsextreme Bewegung in Westdeutschland entwickeln. Ausgangspunkt ist das Paradigma der
demokratischen Kultur als Hort und Ort der Freiheit, der der administrative und politische Staat
zu dienen hat und ihn nicht als Selbstzweck leben lässt sondern der lebendigen freiheitlichen
Wertegemeinschaft zu höheren Graden der Freiheit eines jeden verhilft.
Freiheitsfeindliche Gewalt abzubauen, rechtsextreme Exzesse zu verhindern oder im Maß zu
verringern, aktiven Lebensschutz zu betreiben und Würde von feindbildlich stigmatisierten und
Opfern zu schützen, ist der Leitgedanke von EXIT-Deutschland. Instrument ist der Entzug von
Missionskämpfern durch Zweifel, Dissidenz und Ausstieg sowie (Re)Integration in die
demokratische Kultur.
EXIT-Deutschland wendet sich deshalb insbesondere an militante Rechtsextreme, Männer,
Frauen und Familien mit ihren Kindern, um ihnen mit Selbsterkenntnis in ein anderes Leben zu
verhelfen und ihnen Kompetenzen für eine gelebte Freiheit an die Hand zu geben, freiheitliche
Potenziale und Selbstbestimmtheit kritischer, die Menschenwürde aller respektierende
Gesellschafts- und Lebensgestaltung freizusetzen.
Ergebnisse
Bisher konnte über 550 Personen geholfen werden, sehr viele darunter von ‚Schlage‘ der NSU –
Täter, einige Mörder. Ein Viertel derer sind Frauen, auch viele mit Kindern aus allen
rechtsextremen Spektren der ‚kämpfenden Truppe‘.
Ein Teil von ihnen wirkt selbst an EXIT in einem AKTIONSKREIS mit: Counternarrative, #rechts
gegen rechts, Inter-Netze, Bildung, Information, Medien, CaseManagement, Wissenschaft … Der
Rückfall ist gering.
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Probleme
Es gibt enorme Probleme, die Pfade des Ausstiegs sind steinig: Sicherheit und Integration, die
Gesellschaft die Institutionen und rechtlichen Konstruktionen sind voller Hemmnisse. Sie sind
nicht auf die Wege von Freiheits- und Sicherheitsgewinn für alle ausgelegt. Es gibt den
geflügelten Begriff der Lernäische Schlange. Der Sicherheitsstaat ist entgegen mancher
Verlautbarungen nicht optimiert, die Gefahr der Feme bleibt allgegenwärtig und kann als
strukturelle Gefahr (Bundesverfassungsgericht 12/2013) derzeit nicht staatlich ausgeschlossen
werden.
Zusammengefasst wirkt EXIT-Deutschland an folgenden Abschnitten zum Zwecke der Hebung
demokratischer Kultur und der Entwicklung von Freiheit unter den Leitgedanken der
Deradikalisierung und der Bildung von Wertebeziehungen demokratischer Kultur.
Deradikalisierung
Fall- und situationsorientiert und bei Bedarf strukturell bezogen auf Communities (Community
Coaching)

durch komplexe und feine Analyse gestützte unmittelbare Auseinandersetzung mit
völkischen, rechtradikalen und besonders gewaltgeladenen Ideen, Zusammenschlüssen und
Aktivitäten auf

allen Ebenen in allen sozialen Räumen und kulturellen Milieus

in alle relevanten ideologischen Richtungen

Aktivitäten mit dem Ziel des Ausstiegs und dessen Sicherung

Integration von Deradikalisierten in demokratisch konstituierte Bereiche
(demokratische Kultur)
Wertebildung – demokratische Kultur

Bereitstellung von Erfahrungen, Methoden, Analyse, Information,

Beratung und Coaching von Akteuren

Diskursangebote und Kampagnen

Mediale Vermittlungen
Der Schwerpunkt liegt in der Dauerhaftigkeit von Wirkung.
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4.
Zusammenfassung
Der Rechtsradikalismus ist eine politisch bedeutsame ideologische, sozio-kulturell vielfältig
verankerte Bewegung, der sich durch beide deutschen Staaten zog, in den 1980er und dann in
den 1990er Jahren Aufwind erfährt.
Der Neo-Nationalsozialismus ist deren extremistischer Teil (Rechtsextremismus), der ab 1990
eine Offensive im Prozess der deutschen Einheit startete. Freiheitsfeindliche Gewalt und
kulturelle Subversion sind die strategischen Dimensionen als ‚Nationaler Widerstand‘ mit einem
Terrorarm. Die NPD ist ein Bestandteil dessen.
Es gibt eine starke basale Dimension des Völkischen, die nicht direkt als
rechtsextrem/rechtsradikal zu etikettieren aber für die Demokratie relevant ist. Seit Ende der
2000er Jahren entwickeln sich vielfältige neo-völkische Artikulationen, Ideologien, Bilder,
Zusammenhänge. Es gibt einen Zusammenhang zu Dysfunktionalitäten der Demokratie. ‚Volk‘
und ‚Gemeinschaft‘ sind wichtige Entitäten des Selbstverständnisses.
Zahlen und Wirkungsmaß sind in den verschiedenen Richtungen derzeit unbestimmt. Das
Völkische - als ideologische Größe - scheint über 50 Prozent der Bevölkerung in Einzelwerten zu
liegen. Der direkte Extremismuskomplex wird der Zeit mit gerundet 20.000 Personen beziffert
(Verfassungsschutz). Es gibt nicht zufällig das Theorem des ‚Extremismus der Mitte‘.
Die ZDK Gesellschaft Demokratische Kultur gGmbH (www.zentrum-demokratische-kultur.de) mit
EXIT-Deutschland arbeitet seit 1997 nach dem Paradigma der ‚demokratischen Kultur‘. Das
Hauptfeld sind Analyse, Beratung und Coaching mit wissenschaftlichem Arm sowie Publikation
(www.journal-exit.de ). Islamismus gehört ebenfalls zum Arbeitsfeld (HAYAT-Deutschland).
EXIT-Deutschland als Initiative geht direkt und unmittelbar an den Neo-Nationalsozialismus
heran und versucht Nazis aus der ‚kämpfenden Truppe‘ zu lösen, die Bindungen in Zweifel zu
bringen, Ausstiege zu organisieren, zu sichern und Integration der betreffenden für Männer,
Frauen und Kinder in Selbsthilfe und persönlicher Freiheitsentwicklung zu ermöglichen. Schutz
vor Feme und Integration sind die Hauptaufgaben. Ehemalige Nazis werden in Vertrauen
einbezogen und engagieren sich für die demokratische Kultur (#rechts gegen rechts,
#AKTIONSKREIS).
EXIT-Deutschland ist professionell angelegte Deradikalisierung und Arbeit an der Wertebildung
in der Demokratie (Immunisierung gegen Freiheitsfeindlichkeit).
Das Video der Veranstaltung enthält u.a. Impulsreferate von
Expertinnen und Experten zu den Themen Islamfeindlichkeit,
Radikalisierung von Jugendlichen, Antisemitismus, Rechtsextremismus
und Hooligans gegen Salafisten: Weltanschaulich radikale Bewegungen,
Gruppen und Netzwerke sind im Alltag für viele Menschen ein
persönliches Problem. VIDEO
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