Das Verständnis von Demokratie als Herrschafts

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Demokratie als Herrschafts-, Gesellschafts- und Lebensform
Das Verständnis von Demokratie als Herrschafts-, Gesellschafts- und Lebensform
(Gerhard Himmelmann)1 macht deutlich: entscheidend ist die ‚Kultur der
Demokratie’, die sich im Alltag manifestieren muss.
Demokratie als Herrschaftsform: Aus einer politologischen Perspektive betrachtet,
beruht demokratische Herrschaft auf politischer Gleichheit und politischen
Beteiligungsrechten der erwachsenen Bevölkerung (Volkssouveränität) und
fokussiert auf den Staat, seine Funktionen und Aufgaben. Die meisten westlichen
Demokratien sind repräsentativ, die Stimmberechtigten wählen ihre parlamentarische
Vertretung; eine Ausnahme sind die Schweiz und einzelne US-amerikanische
Bundesstaaten, welche der Bevölkerung (halb-)direkte demokratische
Mitsprachemöglichkeiten (Referendum, Initiative) einräumen. Die ungehinderte
Mitwirkung politischer Parteien unterschiedlicher Ausrichtungen an politischen
Aushandlungsprozessen und ihre Teilnahme an Wahlen bilden Voraussetzungen für
demokratische Staaten. Demokratische Kernziele sind Freiheit, Gleichheit,
Gerechtigkeit, Sicherheit und Wohlfahrt, was die Anerkennung der Menschen- und
Bürgerrechte, Volkssouveränität mit Wahlen, Parlamentarismus, parlamentarische
Machtkontrolle sowie Gewaltenteilung beinhaltet.
Demokratie als Gesellschaftsform: Soziologisch verstanden, beinhaltet Demokratie
zudem eine gesellschaftliche Dimension. Die Herausbildung „junger“ europäischer
Demokratien und eine zunehmende Globalisierung, die über die Grenzen bestehender
Staaten hinaus wirkt, haben gezeigt, dass Demokratie nicht einfach auf die
Staatlichkeit beschränkt gesehen werden darf. Denn nur eine gesellschaftliche
Verankerung und Tradierung demokratischer Prinzipien ermöglichen das
Funktionieren politischer demokratischer Systeme. Dies bedingt eine starke
Zivilgesellschaft, in der Pluralismus und soziale Differenz Raum haben und
Konflikte friedlich geregelt werden. Auch wirtschaftlicher Wettbewerb, ausgetragen
unter fairen Bedingungen, sollte in einer solchen demokratischen Zivilgesellschaft
möglich sein.
Demokratie als Lebensform: Aus dem Blickwinkel der politischen Kulturforschung
heraus war ein drittes Demokratie-Verständnis auf das alltägliche Leben, auf die
Kultur des sozialen Zusammenlebens, ausgerichtet. Wie kann Demokratie erfahrbar
gemacht werden, und wie können solche Erfahrungen wachsen? Dabei geht es um die
Mikro-Ebene demokratischer Kultur, beispielsweise in der Familie oder in der
Schule. Wer in einer von Toleranz und Fairness geprägten Umwelt aufwächst, die
Vielfalt der Lebensstile als Chance begreift und zu Solidarität und Selbstorganisation
erzogen wird, hat gemäss dieser Sicht gute Voraussetzungen, innerhalb der
Gesellschaft demokratisch zu agieren und sich demokratisch in das politische System
einzubringen.
1 Gerhard Himmelmann (2001): Demokratie Lernen. Als Lebens-, Gesellschafts- und Herrschaftsform. Schwalbach/Ts:
Wochenschau-Verlag.
[email protected]_www.phzh.ch/ipe
Auf die schulische Praxis bezogen, sind diese drei verschiedenen DemokratieVerständnisse stufengerecht zu vermitteln. Aufbauend auf den kindlichen und
jugendlichen Entwicklungsphasen und den jeweiligen Erfahrungshorizont, kann
Demokratie-Lernen als Lebensform bereits in der Eingangsstufe und in der
Primarschule ansetzen. Ausgehend von den persönlichen Verhaltensweisen der
Kinder, steht hier die Stärkung der Ich-Kompetenz (Individualität, Selbstwertgefühl)
im Vordergrund, ebenso das Einüben sozial-kooperativer, verantwortlicher und
toleranter Verhaltensweisen sowie das Erlernen von Gewaltverzicht. Auch auf den
höheren Schulstufen sollten Lehrkräfte dieses auf Erfahrung in der Lebenswelt
aufbauende Lernen immer wieder aufgreifen.
Das Verständnis für Demokratie als Gesellschaftsform kann ebenfalls auf der
Primarstufe geweckt werden, schwerpunktmässig steht aber die Sekundarstufe I im
Vordergrund. Der Fokus wird hier weg vom Individuum auf das soziale Lernen und
die Stärkung der sozialen und gesellschaftlichen Kompetenz gerichtet. Weil ein
Bewusstsein für Demokratie als Herrschaftsform systematisch zu erwerbender
abstrakter Kenntnisse bedarf, sollte politologisches Demokratiewissen hauptsächlich
auf der Sekundarstufe II vermittelt werden, verbunden mit einer Festigung der
politischen Urteils-, Kritik- und Handlungsfähigkeit.
Besonders Gerhard Himmelmann plädiert für eine Konzentration von PB auf ein
Demokratie-Lernen unter den oben genannten drei Zugängen. Demgegenüber hält
Bernhard Sutor fest, dass Himmelmanns Demokratie-Definition zwar didaktisch
stimmig sei, doch keine schlüssige Politikdefinition beinhalte. Damit sind zwei
konträre Grundpositionen skizziert, die besonders in Deutschland zu einer breiten
Diskussion innerhalb der PB um Demokratie-Lernen versus Politik-Lernen geführt
hat.2
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Siehe auch: http://www.politischebildung.ch
[email protected]_www.phzh.ch/ipe
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