1 Alter(n) als Zukunft. Zukunftsbezogenes Alternshandeln in kulturvergleichender Perspektive Frieder R. Lang (Erlangen), Stephan Lessenich (Jena), Klaus Rothermund (Jena) Hintergrund, Begründung und Zielsetzung Dass die hochentwickelten spätindustriellen Gesellschaften in den kommenden Jahrzehnten zunehmend „altern“ werden, ist ein sozialdiagnostisch weitestgehend unumstrittener Befund (Kocka & Staudinger, 2009; Öberg, Närvänen, Näsman & Olsson, 2004). Nach wie vor unklar, und auch wissenschaftlich noch nicht hinlänglich begriffen, ist hingegen, was die unvermeidliche Zukunft des Alterns und des langen Lebens individuell und gesellschaftlich eigentlich bedeutet. Hintergrund dieser Ungewissheit ist das strukturelle Spannungsverhältnis, in dem individuelle und gesellschaftliche Zukunftsperspektiven stehen, und das sich allein schon aus der Differenz der Zeithorizonte individualbiographischen Alternserlebens einerseits, gesellschaftsstruktureller Alterungsprozesse andererseits ergibt. Jedem/r Einzelnen ist zwar bewusst, dass er/sie biographisch mit einer ausgedehnten und sich weiter ausdehnenden Phase des „höheren Alters“ rechnen kann bzw. muss. Doch scheint diese individuelle Zukunft des Alter(n)s nicht nur als Zugewinn an persönlichen Handlungsoptionen und Gestaltungsräumen wahrgenommen zu werden, wird doch das „Alter“ wesentlich auch als Zeit von Einschränkungen, Belastungen und Verlusten gedeutet (Heckhausen, Dixon & Baltes, 1989; Kite, Stockdale, Whitley & Johnson, 2005). So gedacht, wird das Alter eher verdrängt und gleichsam weiter in die Zukunft verschoben: Im eigenen Lebenslauf kann es dann gar nicht spät genug beginnen – und doch ist es lebensgeschichtlich unvermeidlich. Die ambivalente individuelle Deutung des zukünftigen Alters ist dabei immer auch beeinflusst von kollektiven Vorstellungen und öffentlichen Diskursen über die Zukunft einer alternden bzw. „alten“ Gesellschaft, in denen gleichermaßen Gewinnrechnungen – im Sinne einer sozialen Mobilisierung der wachsenden Potenziale des Alters – von multiplen demographischen Krisenprognosen durchkreuzt werden, von der „Überalterung“ bis zum „Pflegenotstand“. Auch auf dieser Ebene des für die Zukunft imaginierten Soziallebens in einer alternden bzw. gealterten Gesellschaft wird unvermeidlich mit Erwartungen, Vorstellungen und Bildern, mit Dramatisierungen ebenso wie mit Euphemismen operiert. Über die Mechanismen, Zusammenhänge und Wechselwirkungen beider Dimensionen des zukunftsbezogenen Denkens und Handelns ist einstweilen aber noch wenig bekannt. 2 Das Forschungsprojekt untersucht das Alter(n) als Zukunftsprojekt und -projektion von Menschen in alternden Gesellschaften. Es setzt auf der Ebene subjektiv-individueller Deutungen, Entwürfe und Strategien zukünftigen Alter(n)s an, um zum einen deren Beeinflussung durch sozialstrukturelle, politisch-institutionelle und soziokulturelle Rahmenfaktoren zu ergründen, zum anderen die Implikationen zu erhellen, die das zukunftsbezogene Alternshandeln von Individuen für die alternden Gesellschaften der Zukunft haben mag. Es macht sich dabei systematisch die Verknüpfung soziologischer und psychologischer Expertise zunutze und trägt so dazu bei, die in der Alternsforschung auf eigentümliche Weise voneinander entkoppelten Diskurse beider Disziplinen wieder stärker aneinander rückzubinden. Projektidee und -konzeption sind entstanden aus der unmittelbaren bzw. mittelbaren Kooperation der drei Antragssteller im Rahmen von zwei durch die VolkswagenStiftung im Rahmen ihres Programms „Individuelle und gesellschaftliche Perspektiven des Alterns“ geförderten Forschungsprojekten an den Universitäten Jena und Erlangen. In Zusammenführung der je unterschiedlichen – und darin komplementären – fachlichen wie methodischen Kompetenzen und Ressourcen der drei Arbeitsgruppen soll der Frage nachgegangen werden, wie Menschen unterschiedlichen Alters ihre persönliche Zukunft als Alternde in einer alternden Gesellschaft wahrnehmen – und welche sozial relevanten Implikationen diese individuellen Wahrnehmungen haben. Das Projekt verbindet dabei ein Mehr-Methoden-Design – unter Einbeziehung quantitativer wie qualitativer Herangehensweisen, experimenteller Ansätze, Online- und Surveyerhebungen sowie einer besonderen Berücksichtigung längsschnittlicher Analysen – mit einem kulturvergleichenden Fokus auf drei differente, hochentwickelte postindustrielle Gesellschaften (Deutschland, USA, Hongkong). Das Erkenntnisinteresse der Untersuchung richtet sich maßgeblich auf die für das alternsbezogene Zukunftshandeln relevanten Dimensionen der Altersbilder, der Zeitgestaltung und des Vorsorgehandelns, im Zentrum der Analyse stehen mögliche Zusammenhänge und Wechselwirkungen zwischen der gesellschaftlichen Ebene sich wandelnder Alters- und Zeitstrukturen und der individuellen Ebene handlungsleitender Vorstellungen, Deutungsmuster und Orientierungen. Der vergleichende Fokus auf unterschiedliche institutionelle und kulturelle Rahmenbedingungen individuellen Alterns soll es ermöglichen, die auf den deutschen Fall bezogenen Daten und Befunde methodisch abzusichern und interpretativ in den Kontext der erwartbaren Spannbreite zukunftsbezogenen Alternshandelns in hochentwickelten, postindustriellen Gesellschaften zu stellen. In seiner Anlage ist das geplante Projekt damit in ebenso hohem Maße innovativ wie es erhöhte Anforderungen an die transdisziplinäre Kooperation und projektinterne Koordination stellt. Die Antragsteller bringen ausweislich ihrer wissenschaftlichen Expertise und ihrer bisherigen, insbesondere jüngsten (gemeinsamen) Projekterfahrung beste Voraussetzungen für die erfolgreiche Durchführung 3 eines solch anspruchsvollen Vorhabens mit. Die Förderinitiative „Schlüsselthemen für Wissenschaft und Gesellschaft“ der VolkswagenStiftung wiederum stellt sich gerade aufgrund dieses besonderen Anforderungsprofils als der ideale Rahmen desselben dar. Analysedimensionen, Forschungsstand, Methoden Das Projekt wird durch die Leitfrage gerahmt, wie sich Strukturveränderungen und Entwicklungsdynamiken alternder Gesellschaften auf individuelle altersbezogene Erwartungen und Handlungsdispositionen auswirken. Vor dem Hintergrund unserer bisherigen Forschungen erscheinen die analytischen Konzepte des subjektiven Altersbildes, der persönlichen Zeitgestaltung und der individuellen Vorsorgetätigkeit als relevante Kategorien zum Verständnis des zukunftsbezogenen Alternshandelns. Die Relevanz dieser drei Analysedimensionen erhellt sich im Lichte makrosozialer Transformationsprozesse der Gegenwart. Dass sich die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen individuellen Alternshandelns in den vergangenen drei Jahrzehnten grundlegend verändert haben, ist nicht allein den zunächst nur prognostizierten, mittlerweile jedoch bereits alltagsweltlich sichtbaren Änderungen der Altersstruktur in den spätindustriellen Gesellschaften geschuldet. Vielmehr trugen weitere, von den demographischen Umbrüchen relativ unabhängige Faktoren sozialen Wandels zu einem ebenso tiefgreifenden wie facettenreichen Prozess der gesellschaftlichen Neuverhandlung der Altersphase bei. So haben „aktivierende“ Reformen des wohlfahrtsstaatlichen Institutionensystems (Lessenich, 2008) auch vor der Alters(sicherungs)politik nicht Halt gemacht (Ekerdt, 2009) und zu einem veränderten gesellschaftlichen Anforderungsprofil im Sinne eines – nach verlängerter Erwerbsphase – auch im Nacherwerbsleben noch „produktiven Alters“ geführt (Morrow-Howell, Hinterlong & Sherraden, 2001; Walker, 2002; Dyk & Lessenich, 2009). Die parallel dazu fortschreitende Ökonomisierung und Vermarktlichung des Sozialsektors (Nullmeier, 2004; Beckert, Ebbinghaus & Hassel, 2006; Mok & Tan, 2004) impliziert neue politische Erwartungen individueller Vorsorgetätigkeit, nicht nur mit Blick auf die materielle Versorgung im Alter, sondern insbesondere auch mit Bezug auf das Gesundheitsverhalten und nicht zuletzt im Sinne „lebenslangen Lernens“. Schließlich haben sich die gesellschaftlichen Zeitstrukturen im Zeichen von Flexibilisierung (Sennett, 1998) und Beschleunigung (Rosa, 2005) in einer Weise gewandelt, die sämtliche Lebensphasen unter den Druck zunehmender Betriebsamkeit und Ruhelosigkeit setzt – eine Tendenz, die in der Altersforschung unter den Schlagworten „Busy Ethic“ (Ekerdt, 1986) und „Busy Bodies“ (Katz, 2000) verhandelt worden ist. 4 Altersbilder, Zeitgestaltung und Vorsorgetätigkeit sind nicht nur je für sich mit den genannten Tendenzen gesellschaftlichen Strukturwandels verbunden, sondern stehen auch untereinander in einem wechselseitigen Bedingungs- und Vermittlungszusammenhang. Das Forschungsprojekt zielt auf die methodisch und analytisch integrative Untersuchung dieser drei Dimensionen zukunftsbezogenen Alternshandelns. Aus der Perspektive jeder einzelnen Dimension geraten dabei – wie im Folgenden skizziert – die jeweils beiden anderen in den Blick (vgl. graphische Darstellung des inhaltlichen Projektzusammenhangs, Abb. 1, S. 15). Altersbilder. Einflüsse gesellschaftlicher Strukturen des Alter(n)s auf das Denken und Handeln von Individuen – und diesbezüglich erwartete Veränderungen – werden durch Altersnormen, Altersstereotype und persönliche Altersbilder vermittelt (Hess, 2006; Kotter-Grühn & Hess, in press; Rothermund & Wentura, 2007; Weiss & Lang, 2009, in press-a). Diese altersbezogenen Vorstellungen prägen zunächst Konzeptionen des eigenen Alters (persönliches Zukunftsselbstbild); in einem zweiten Schritt erfolgt dann eine Internalisierung dieser personalisierten Altersbilder in das Selbstbild älterer Menschen (Levy, 2009; Rothermund, 2005, 2009; Rothermund & Brandtstädter, 2003a). In dem von der VolkswagenStiftung geförderten interdisziplinären Projekt „Zonen des Übergangs“ konnten wir zeigen, dass für verschiedene Lebensbereiche unterschiedliche und unabhängige Altersbilder existieren, die sich in ihrer Valenz und in ihren Altersgrenzen stark unterscheiden (Kornadt & Rothermund, 2011a). Darüber hinaus fanden sich erste Hinweise, dass auch die Internalisierung von allgemeinen Altersbildern auf Vorstellungen des persönlichen Alters und des Selbstbilds kontextspezifisch erfolgt (Kornadt & Rothermund, 2011a, in press). In dem geplanten Forschungsvorhaben soll der bereichsspezifische Einfluss von Altersbildern auf das Selbstbild, das alternsbezogene Handeln und auf persönliche altersbezogene Veränderungserfahrungen analysiert werden. Von besonderem Interesse sind hierbei auch altersbedingte Veränderungen und Kohortenunterschiede. Wir erwarten, dass sich gesellschaftliche Diskurse zum Thema Alter sowie sich verändernde Anforderungen an und Vorstellungen von alten Menschen auf Personen unterschiedlichen Alters unterschiedlich auswirken sollten. In Abhängigkeit von der subjektiven Entfernung zum Alter sowie den zu erwartenden gesellschaftlichen Veränderungen sollten die persönliche Betroffenheit, aber auch die Möglichkeiten der individuellen Vorsorge für die Lebensphase „Alter“ unterschiedlich ausfallen und zu unterschiedlichen Reaktionsmustern führen. Während einerseits die Dringlichkeit und persönliche Relevanz von Altersvorsorgemaßnahmen mit zunehmendem Alter steigt, müssen andererseits insbesondere jüngere Personen eher mit Veränderungen etwa bzgl. der finanziellen Versorgung im Alter oder gesetzlicher Ruhestandsregelungen rechnen. Diese Unsicherheit könnte zu einer Erhöhung individueller altersbezogener Vorsorgemotive und -bereitschaften gerade bei jüngeren Personen beitragen. 5 Um diesen Fragen systematisch nachgehen zu können, soll die bereits vorliegende Querschnittsstudie in dem beantragten Projekt durch eine weitere, zweite Erhebungswelle zu einem Längsschnittdesign ausgebaut werden, bei dem auch zusätzliche Personen neu rekrutiert werden, um Messzeitpunkts- und drop-out-Effekte zu kontrollieren. Ein solches quersequentielles Design ermöglicht eine Abgrenzung von Alters-, Kohorten- und Zeitwandeleffekten und erlaubt somit eine Analyse echter altersbedingter Veränderungen. Dies gilt sowohl für die Zusammenhänge von Altersbildern und Altershandeln (Altersbilder als positive/negative Motivationsquelle für aktive Vorsorge vs. als erwartetes resultat hinreichender/mangelnder Vorsorge) als auch für die Zusammenhänge von Altersbildern mit dem alternden Selbst. Ein längsschnittliches Design erlaubt sowohl eine saubere Trennung von Internalisierungs- (Altersbild → Selbstbild) und Projektionseffekten (Selbstbild → Altersbild) als auch der Zusammenhänge zwischen Altersbildern und Vorsorge, indem längsschnittliche Veränderungen des Selbst- bzw. Altersbildes sowie der Vorsorge jeweils durch die Ausgangswerte der jeweils anderen Variablen vorhergesagt werden können. Der geplante Ländervergleich (s.u.) soll zudem ermöglichen, die kulturspezifische Varianz der Altersbilder zu erhöhen und in die Untersuchung der Zusammenhänge in verschiedenen Lebensbereichen mit einzubeziehen. Weiterhin können Zusammenhänge und Wechselwirkungen von Altersbildern und ihren Auswirkungen mit unterschiedlichen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen des Alterns (Altersgrenzen, Versorgung im Alter) und diesbezüglich erwarteter Veränderungen analysiert werden. Darüber hinaus sollen in der Längsschnittstudie persönliche Alters- und Zukunftsbilder auch zur Vorhersage des Auftretens von altersbezogenen Veränderungen (kritische Lebensereignisse, Gewinne und Verluste) eingesetzt werden, die im Zuge der Folgeerhebung retrospektiv erfragt werden. Kritische Lebensereignisse sind keine rein zufälligen Widerfahrnisse, ihre Auftretenswahrscheinlichkeit wird auch durch Persönlichkeitsmerkmale und damit verbundene Verhaltensgewohnheiten und Lebensstile bedingt (Saudino, Pedersen, Lichtenstein, McClearn & Plomin, 1997; Schmitz, Rothermund & Brandtstädter, 1999). In Erweiterung dieser Arbeiten möchten wir der Frage nachgehen, inwieweit Altersstereotype und individuelle Vorstellungen des Alters Einfluss auf das Verhalten alternder Personen nehmen und so auch die Auftretenswahrscheinlichkeit bzw. den Zeitpunkt des Auftretens altersbezogener Lebensereignisse mitbestimmen. Prinzipiell lassen sich hier selbsterfüllende von kompensatorischen Wirkungen altersbezogener Vorstellungen unterscheiden (Rothermund, 2005). Die Erwartung negativer Veränderungen kann einerseits eine pessimistische Deutung persönlicher Erfahrungen nahelegen, demotivierend wirken und so dem Auftreten der erwarteten Verluste Vorschub leisten. Andererseits kann die Erwartung möglicher Verluste auch zu Handlungen und Verhaltensweisen motivieren, deren Ziel es ist, genau diese Negativentwicklungen zu verhindern oder aufzuschie- 6 ben (Hess, Emery & Neupert, in press). Solche kompensatorischen Aktivitäten sollten vor allem dann auftreten, wenn potentielle altersbedingte Risiken und Probleme nicht als unvermeidlich, sondern als zumindestens partiell durch eigenes Verhalten kontrollierbar eingeschätzt werden (Rothermund & Brandtstädter, 2003b). Für ausgewählte Teilstichproben soll das standardisierte Format der Erhebung erweitert werden. Qualitative Interviews dienen dazu, detaillierte Informationen zu Veränderungen und ihrer Bewältigung zu erfassen. Auf dieser Basis soll eine Typologie des Altersbezugs erlebter Veränderungen entwickelt werden. Für das vorliegende Projekt ist von besonderem Interesse, mögliche Bereichsunterschiede in dem wahrgenommenen Altersbezug von Veränderungen zu analysieren, und diese Unterschiede mit bereichsspezifischen Alters- und Zukunftsbildern in Beziehung zu setzen, die in der Fragebogenerhebung erfasst werden. Zusätzlich soll die Messung impliziter Altersbilder durch reaktionszeitbasierte Verfahren (semantisches Priming, IAT) Aufschluss über die Korrespondenz automatischer und reflektierter altersbezogener Vorstellungen geben. Auf der Basis eigener Vorarbeiten (Casper, Rothermund & Wentura, 2010, 2011; Gast & Rothermund, 2010) sollen hierbei neue implizite Verfahren zur Erfassung bereichsspezifischer Altersstereotype entwickelt werden. Hierbei interessieren uns der Zusammenhang dieser impliziten Stereotype mit explizit erfassten Altersbildern sowie mögliche bereichsspezifische Unterschiede im Grad der Korrespondenz expliziter und impliziter Bewertungen. Vor allem in Bereichen, in denen hochsaliente und gesellschaftlich verbreitete Altersstereotype die Wahrnehmung älterer Menschen beeinflussen (Krankheit/Gesundheit, Arbeitswelt), sind größere Abweichungen zwischen expliziten und impliziten Altersbildern zu erwarten, da sich eine reflektierte, kritische Distanzierung von verbreiteten Auffassungen vor allem in expliziten Maßen niederschlagen sollte. Von besonderem Interesse ist in diesem Zusammenhang auch ein Vergleich der prädiktiven Validität impliziter und expliziter Maße bzgl. relevanter Kriteriumsvariablen (Selbstkonzept, Einstellungen zur Lebensgestaltung im Alter, Vorsorgehandeln, Zeiterleben und -gestaltung). Diese Analysen geben Aufschluss darüber, ob das altersbezogene Denken und Verhalten in diesen Bereichen eher durch reflektierte Einstellungen oder durch implizite Vorurteile gesteuert wird. Zeitgestaltung. Die Problematik der Zeitgestaltung hat sich im Zuge unserer bisherigen qualitativen Forschungen als eine der zentralen Dimensionen alters- und alternsbezogenen „Zukunftshandelns“ herauskristallisiert. In praktisch allen Sozialmilieus, über unterschiedliche Lebensbereiche hinweg und bis weit ins höhere – noch nicht pflegebedürftige – Alter hinein lässt sich empirisch zunächst ein relativ altersloses Selbstbild der Befragten feststellen (Graefe, Dyk & Lessenich, 2011): In ihrem Selbstverständnis dominiert nicht die Erfahrung des Übergangs in einen neuen Lebensabschnitt des „Alters“, sondern eine Kontinuität des Erwachsenenlebens, die sie in ihrer Selbstbeschreibung zu 7 „älteren Erwachsenen“ macht – „adults who are older“ (Harper, 2004: 3). Für diese Selbstkonzeption der Interviewten als – jedenfalls was das vielzitierte „dritte Lebensalter“ angeht – „ageless selves“ (Kaufman, 1986) spielt die mit dem Übergang in das Nacherwerbsleben einhergehende Erfahrung von Zeitsouveränität eine wichtige Rolle: Was sich im Lebensgefühl mit dem Ausstieg aus der Erwerbsarbeit vor allen Dingen – und zwar in aller Regel positiv – ändert, ist die biographisch zumeist neuartige Erfahrung einer weitgehend autonomen Gestaltbarkeit von Zeit. Vom Korsett betrieblicher (und oft auch familiärer) Zeitvorgaben befreit, werden Tagesablauf und Wochenrhythmus der persönlichen Gestaltung verfügbar, wird auch der Jahreszyklus zu einem Objekt von (vermeintlicher) Planbarkeit. Altersbedingte Veränderungen und Verluste werden von den Befragten darüber hinaus mit der gewonnenen Zeitautonomie gleichsam „verrechnet“; die Dimension der Zeitgestaltung als Erfahrung einer „späten Freiheit“ (Rosenmayr, 1983) erweist sich so als wesentliche Stütze des alterslosen Selbstbildes. Allerdings hat dieses Selbstbild prospektiv – auch das zeigt unsere bisherige Forschung – eine klare Grenze: Der im weiteren Lebensverlauf drohende Übergang zum „eigentlichen“, d.h. hohen, abhängigen und pflegebedürftigen Alter wird prospektiv als massiver Einschnitt, als Ende des gestaltbaren Erwachsenenlebens, wenn nicht gar als Ende des Lebens selbst gerahmt. Das geplante Forschungsvorhaben schließt an diesen Doppelbefund an und fragt nach der Zeitwahrnehmung und dem (aktuellen wie prospektiven) Zeithandeln älterer und alter Menschen. Dabei bezieht sich die erkenntnisleitende Fragestellung auf das strukturelle Spannungsverhältnis von Zeit und Zeitlichkeit, das in zwei Dimensionen erschlossen werden soll. In einer ersten Dimension stellt sich die Frage des Verhältnisses von Zeitreichtum und Zeitkompetenz älterer und alter Menschen, aus deren Zusammenspiel sich „souveränes“ Zeithandeln erst konstituieren kann: „Freie Zeit“ muss gerahmt und geplant, mit einer objektiven Struktur und einem subjektiven Sinn versehen werden. Wie aber bewältigen die Befragten ihre Zeitfreiheit, auf welche Weise und unter welchen Bedingungen entwickeln sie Zeitgestaltungskompetenzen und damit jene (wahrgenommene) Zeitsouveränität, die das „Alter“ subjektiv auf Distanz hält und in eine mehr oder weniger entfernte Zukunft projiziert? Wie verändern sich diese Zeit(deutungs)praktiken dann im Übergang zum hohen und höchsten Lebensalter? Fällt etwa die Erfahrung von Pflegebedürftigkeit zwangsläufig mit der Erfahrung eines Verlustes von Zeitautonomie zusammen – oder passen die Befragten Formen und Konzepte autonomer Zeitgestaltung den veränderten Lebensumständen an? Inwiefern werden altersbedingt veränderte Zeitregime (v.a. durch Pflegearrangements, aber ggf. auch durch Einschränkungen von Bewegungsgeschwindigkeit und -radius) als problematisch und fremdbestimmt oder durchaus (auch) als selbst gestaltbar erfahren – und welches sind dafür jeweils begünstigende (sozialstrukturelle, materiell-organisatorische, biographische und familiäre) Bedingungen? 8 In der zweiten Dimension steht jenes Verhältnis von Zeitreichtum und Zeitarmut alternder Menschen im Mittelpunkt des Interesses, das sich aus der (möglichen) Erfahrung einer erhöhten Zeitsouveränität einerseits, der (sicheren) Erwartung einer schrumpfenden Restlebenszeit andererseits ergibt. Die relative Zeitautonomie des Nacherwerbslebens kontrastiert scharf mit der absoluten Fremdbestimmtheit von Lebenszeit, wie sie sich in der Unausweichlichkeit und weitgehenden Unbeeinflussbarkeit des Todes äußert(z.B. Lang, in press). Wie bewältigen die Befragten ihre Zeitbegrenztheit, auf welche Weise und unter welchen Bedingungen entwickeln sie auch mit Blick auf das Lebensende Formen des (Lebens-)Zeithandelns, etwa im Sinne des frühzeitigen „down-sizing“ materieller Besitztümer (Smith & Ekerdt 2011)? Von dieser Frage ausgehend soll das Projekt insbesondere klären, ob und inwiefern beide Dimensionen des Spannungsverhältnisses von Zeit und Zeitlichkeit miteinander zusammenhängen und womöglich interagieren: Gibt es positive (und/oder negative) Zusammenhänge zwischen ge- bzw. erlebter Zeitsouveränität und dem Bewusstsein der eigenen Endlichkeit, sprich zwischen der mehr oder weniger selbstbestimmten Verfügung älterer Menschen über ihre Alltagszeit und spezifischen Formen des (deutenden und praktischen) Umgangs mit der Begrenztheit und Unverfügbarkeit der eigenen Lebenszeit? Inwiefern greifen beide Formen der Zeitgestaltung konkret ineinander – und mit welchen Auswirkungen auf die Selbstwahrnehmung und Lebenszufriedenheit der Befragten? Im Mittelpunkt des Forschungsinteresses steht somit das im Zusammenspiel von alltäglichem Zeitreichtum, biographischer Zeitarmut und individuellen Zeitgestaltungskompetenzen sich bildende „Zeitsouveränitätsdreieck“ älterer Menschen in alternden Gesellschaften. In der empirischen Analyse dieses analytischen Konstrukts erwarten wir, jenseits der offenen, qualitativen Herangehensweise an den Gegenstand, Milieu- (Einkommens-, Bildungs- und Herkunfts-) sowie Geschlechtereffekte zu finden. Im Fokus des Projekts stehen aber einerseits Kultureffekte (z.B. hinsichtlich der gesellschaftlichen Bedeutung von Autonomiewerten oder des jeweiligen gesellschaftlichen Umgangs mit dem Tod), die wir über das interkulturell vergleichende Design des Projekts einzufangen suchen (s.u.). Andererseits gilt es insbesondere Alters- und Kohorteneffekte (Ekerdt, 2007) zu erfassen, weswegen wir Personen aus zwei Altersgruppen (60- bis 70- und 75- bis 85-Jährige) erstmalig sowie einen Teil der Proband(inn)en des mittlerweile abgeschlossenen Projekts (aus beiden, insbesondere aber aus der älteren Altersgruppe) ein zweites Mal befragen. Die primäre Untersuchungsmethode in dieser Analysedimension sind problemzentrierte Interviews mit biographisch-narrativen Anteilen. Der Interviewleitfaden wird zum Teil aus dem durch die VolkswagenStiftung geförderten Projekt „Zonen des Übergangs“ übernommen, mit Blick auf die Leitfragen aber systematisch um die interessierenden Aspekte des individuellen (aktuellen wie zukunftsbezogenen) Zeithandelns erweitert. Ergänzt werden diese qualitativen Interviewdaten durch standardi- 9 sierte Fragebogeninstrumente zur Zeitperspektive (Brandtstädter, Wentura & Schmitz, 1997) und subjektiven Restlebenszeit (Rothermund & Brandtstädter, 1998) sowie durch Skalen zur Erfassung von Einstellungen zur Lebensgestaltung im Alter (Kornadt & Rothermund, 2011b), die für die Längsschnittstichprobe ebenfalls bereits zum ersten Messzeitpunkt erfasst wurden. Die Kombination qualitativer Interviews mit standardisierten Instrumenten in einer gemeinsamen Stichprobe erlaubt uns einen Vergleich der Dimensionalität der zeitbezogenen Konstrukte, die sich durch die verschiedenen Herangehensweisen ergeben haben, wie auch ihrer Zusammenhänge. Durch die Identifikation neuer Facetten des Zeiterlebens und der Zeitgestaltung lassen sich zudem die standardisierten Instrumente differenzieren und weiterentwickeln. In einem zusätzlichen Schritt wird das psychologische Erleben von Zeit und Zeitverwendung im Alltag mittels der „Day Reconstruction“-Methode (Kahneman, Krueger, Schkade, Schwarz, & Stone, 2004) untersucht. Eine auf die Erfassung des Zeiterlebens im Alltag hin adaptierte Version des DRMVerfahrens liegt bereits vor und kann auch als Online-Version eingesetzt werden (vgl. htpp://www.gerotest.geronto.uni-erlangen. de/studien/gestern/index.php). Es ist dies eine nicht nur methodisch naheliegende, sondern auch theoretisch relevante Schnittstelle zur Frage des Vorsorgehandelns älterer Menschen (John, Matthes & Lang, 2012; Lang, in press). Vorsorgehandeln. Gesellschaften des langen Lebens fordern von Individuen zunehmend, bereits frühzeitig für das eigene Altern vorzusorgen, wobei sich diese Vorsorge auf alle Bereiche der Lebensplanung, der Pflege- und Gesundheitsvorsorge wie auch der finanziellen Vorsorge bezieht. Dabei ist allerdings bislang nicht gut verstanden, wie sich motivationale und kognitive Entwicklungsveränderungen im Erwachsenenalter auf zukunftsbezogenen Entscheidungen und Handlungen auswirken. Gut belegt ist, dass individuelle Konstruktionen der Zukunft einen starken Einfluss darauf haben, welche persönlichen Handlungspräferenzen und Ziele im Leben verfolgt werden (Carstensen, Isaacowitz & Charles, 1999; Carstensen & Lang, 2007; Kornadt & Rothermund, 2012; Lang, Rohr & Williger, 2011). Vorsorgepräferenzen und -handlungen werden zunehmend dringlich erlebt, wenn mit steigendem Alter die verbleibende (gesunde, aktive) Lebenszeit als begrenzt erlebt wird. Aber nicht nur die Endlichkeit und Begrenztheit der verbleibenden Lebenszeit wird zunehmend bewusst, sondern eben auch die Risiken, die mögliche funktionelle, gesundheitliche und soziale Verluste für die Selbstbestimmung und Autonomie im Alter bedeuten. Unklar ist bislang noch, wodurch das Denken über die persönliche Zukunft und auch die daraus resultierenden Handlungsplanungen beeinflusst werden. In bisherigen Arbeiten des VW-Vorgängerprojekts („Altern als Zukunftsunternehmung“) wurden zwei grundsätzliche Arten entwicklungsbezogener Einflüsse auf Vorsorgeplanung und Vorsorgehandeln unterschieden (Lang, Baltes & Wagner, 2007): Dies sind zum Einen persönliche (idiotypische) Erfah- 10 rungen und biographisch verankerte individuelle Besonderheiten, welche sich auf das selbstbezogene Zukunftsdenken auswirken. Beispielsweise zeigt sich eine deutlich erhöhte Vorsorgeorientierung bei Personen, die bereits pflegebedürftige oder auch demente Angehörige im eigenen familialen Umfeld erlebt haben (Lang & Wagner, 2007). Zum Zweiten prägen auch gesellschaftliche, kulturelle und wissenschaftliche Diskurse über das Alter und Altern (z.B. Normen, Altersbilder) in den Medien und Bildungseinrichtungen das Denken über die eigenen in der Zukunft liegenden Risiken, Anforderungen und Möglichkeiten (Denninger, Dyk, Lessenich & Richter, 2012; Kornadt & Rothermund, 2012; Lang, in press; Rager, Lang & Wagner, in press; Weiss & Lang, 2009, in press-a, in press-b). Vorsorgehandeln ist nicht allein ein Produkt entwicklungsbezogener Veränderungsprozesse des Erwachsenenalters, sondern das Vorsorgehandeln verändert zugleich auch die persönlichen Zukunftsperspektiven, beispielsweise indem Möglichkeiten und Risiken der Zukunft besser kontrolliert erscheinen. Hierbei spielt eine wesentliche Rolle, ob das präventive Vorsorgehandeln auf das zukünftige Selbst (z.B. selbstbezogene Vorsorge, instrumentelle Sparmotive) oder auf die Situation des eigenen Umfelds in der Zukunft zielt (z.B. Vorsorge für nachkommende Generation, generative Sparmotive; Rager et al., in press). In diesem Kontext unterscheiden wir zwischen der selbstbezogenen Vorsorge (z.B. Ruhestandsplanung) und einer auf nachkommende Generationen zielenden generativen Vorsorge (z.B. Testament, Risikolebensversicherung; Lang, in press, 2008; Rager et al., in press). Beide Arten des Vorsorgehandelns widerspiegeln hierbei besondere Entwicklungsaufgaben des mittleren und höheren Erwachsenenalters, von deren Bearbeitung und Meisterung abhängt, wie die eigene Zukunft im Alter bewertet und erlebt wird. In ersten Analysen zu dieser These konnte belegt werden (Lang, Rohr & Wagner, 2012; Rager et al., in press; Weiss & Lang, in press-b), dass ein stärkeres Engagement in (selbstbezogenen) Vorsorgehandlungen auch mit einer positiveren Bewertung des eigenen Alters einhergeht und einer stärkeren generativen (auf zukünftige Generationen gerichteten) Zukunftsperspektive. Bereits in früheren Studien fanden sich für die auf nachkommende Generationen gerichtete (generative) Zukunftsperspektive günstige Effekte auf die Befindlichkeit im Alter (Carstensen & Lang, 2007; Lang & Carstensen, 2002). Allerdings ist die Richtung der Wirkung solcher Zusammenhänge noch unklar. So kann erst im Rahmen einer längsschnittlichen Analyse geklärt werden, inwiefern Veränderungen im Vorsorgehandeln möglichen Veränderungen der subjektiven Zukunftskonstruktionen (Zukunftsdenken) vorausgehen oder umgekehrt erst aus diesen folgen. Dabei ist zunächst bedeutsam, in welchem Wirkungszusammenhang selbst- und fremdbezogene (generative) Zukunftsperspektiven und Vorsorgeorientierungen stehen. Bisherige Befunde legen nahe, dass die gelungene selbstbezogene Auseinandersetzung mit der Endlichkeit das generative, an nachkommenden Generationen ausgerichtete (fremdbezogene) Zukunftsdenken fördert. Allerdings ist auch möglich, dass die Entwicklung generativer Verantwortun- 11 gen für zukünftige Generationen mit sich bringt, dass die selbstbezogene Vorsorge als Ausdruck einer Übernahme von Selbstverantwortung (Lang & Baltes, 1997) und zugleich als Schutz der persönlichen Selbstbestimmung im Alter betrachtet wird (z.B. als Motiv für die Erstellung von Patientenverfügungen). Erwartet wird auch, dass ein höheres Investment in die Vorsorge für das (eigene) Alter zu einer generell positiveren und generativen Zukunftssicht beiträgt. Allerdings ist nicht auszuschließen, dass das (positive oder negative) Zukunftsdenken sich auch umgekehrt förderlich oder hinderlich auf präventive (selbstbezogene, generative) Vorsorgehandlungen auswirkt. Eine Klärung dieser Frage erfordert eine längsschnittliche Untersuchung. Das Teilprojekt untersucht mithin die generelle Frage, ob und in welchem Umfang sich individuelle Zeit- und Zukunftskognitionen, alltägliche Zeitgestaltung und Altersbilder auf selbst- und fremdbezogenes Vorsorgehandeln und -planen auswirken. Dabei soll geprüft werden, ob Veränderungen des Vorsorgehandelns (z.B. präventives Sparen, Testament, Patientenverfügung, Gesundheitsprävention) mit Veränderungen der Zukunftsperspektive, persönlicher Altersbilder und der Zeitgestaltung einhergehen. Erwartet wird beispielsweise, dass sich generative Zukunftsperspektiven positiv auf das selbst- und fremdbezogene (generative) Vorsorgeverhalten auswirken. Zudem wird angenommen, dass sich persönliche Lebensumstände und alltägliches Zeiterleben (etwa im Sinne subjektiv verknappter Alltagszeit) auch auf eine erhöhte Vorsorgebereitschaft und -orientierung auswirken. Zur Klärung der erwarteten Wechselwirkungen zwischen Zukunftsperspektiven und persönlichen Vorsorgehandlungen wird die im Rahmen des VW-Projekts „Altern als Zukunftsunternehmung“ durchgeführte Online-Querschnitterhebung durch eine Wiederholungsbefragung längsschnittlich erweitert. Das methodische Vorgehen beruht auf einer internet-basierten Erhebung, an der namentlich bekannte Studienteilnehmer an einer Online-Studie teilnehmen und bewährte Erhebungsinstrumente zur Erfassung von selbst- und fremdbezogenem (generativem) Vorsorgehandeln, subjektivem Zukunftsdenken und zeitlicher Zukunftsperspektive sowie persönlicher Zeitgestaltung in alltäglichen Episoden bearbeiten. Erhebungen mit einzelnen Studienteilnehmer/innen werden bei Bedarf vor Ort und in Anwesenheit eines Interviewers durchgeführt, um somit auch die Güte der erhobenen Daten zu dokumentieren und zu gewährleisten. Ergänzt werden die eingesetzten Fragebögen durch erprobte Skalen zur Erfassung der Zeitperspektive (Brandstädter, Wentura & Schmitz, 1997), der zeitlichen Zukunftsperspektive (Lang & Carstensen, 2002) und der Einstellungen zur Lebensgestaltung im Alter (Kornadt & Rothermund, 2011b). Darüber hinaus sollen schließlich in einigen (randomisiert ausgewählten) Teilstichproben unterschiedliche Zukunfts- und Vorsorgeszenarien mittels eines VignettenAnsatzes (z.B. zukünftige Bedrohung der Selbstbestimmung, Pflegebedürftigkeit) experimentell manipuliert und in ihrer Wirkung auf Vorsorgehandeln und Zukunftsdenken untersucht werden. Hierbei ist insbesondere bedeutsam, inwieweit sich Manipulationen des Zukunftsdenkens auf das selbst- und 12 fremdbezogene (generative) Vorsorgehandeln im Hinblick auf mögliche funktionelle Verluste, Pflegerisiken und den Umgang mit Endlichkeit und Sterben auswirken. Durch den direkten Vergleich mit einem südostasiatischen (Hong Kong) und nordamerikanischen (USA) Kontext wird darüber hinaus auch möglich, den Einfluss unterschiedlicher kulturspezifischer Konstruktionen des Selbst (z.B. interdependentes Selbst; cf. Fung, Yeung, Li & Lang, 2009; Yeung, Fung & Lang, 2008) zu analysieren. Vergleichende Kontextualisierung der Befunde Die im Rahmen des Projekts angestrebte kulturvergleichende Kontextualisierung und Absicherung der Befunde soll dafür sensibilisieren, mit welcher Bandbreite zukunftsbezogenen Alter(n)shandelns in der Welt hochentwickelter nachindustrieller Gesellschaften zu rechnen ist – und auch zukünftig zu rechnen sein wird. Die Anlage des Vergleichs zielt darauf, die immer noch übliche Selbstbeschränkung der Alter(n)sforschung auf die Erkundung des „Eigenen“ zu durchbrechen und über die Einbeziehung institutionell wie kulturell kontrastierender Kontexte dessen Besonderheiten (und damit auch Elemente seiner „Eigenartigkeit“) herauszuarbeiten. Das vorrangige Ziel dieser Herangehensweise besteht darin, durch die Betrachtung und den Vergleich verschiedener kultureller Kontexte die in der Untersuchung analysierte Varianz und Bandbreite in gesellschaftlich vorherrschenden Altersbildern, institutionell ermöglichten Vorsorgestrategien und Vorstellungen zur Zeitgestaltung im Alter deutlich zu erhöhen. Der Vergleich unterschiedlicher Länder erlaubt eine Analyse möglicher Zusammenhänge zwischen gesellschaftlichen Unterschieden und ihren individuellen Auswirkungen, die sich innerhalb nur einer Gesellschaft, die durch relativ homogene Altersbilder und entsprechende Einstellungen charakterisiert ist, aufgrund mangelnder Varianz nicht durchführen lässt. So ermöglichen die – ergänzend zur Hauptuntersuchung – in den USA und Hongkong erhobenen Daten einen systematisch erweiterten Blick auf die in der deutschen Stichprobe sich ergebenden Ausprägungen und Zusammenhänge zwischen individuellen Altersbildern, Zeit- und Lebensgestaltung im Alter und persönlichem Vorsorgehandeln (zum interkulturellen Vergleich von Altersbildern unter Einschluss der USA und Hong Kongs eindrucksvoll Keith et al. 1994). Der in dem Projekt verfolgte Abgleich der Befunde zum deutschen Fall mit Altersbildern, Zeitgestaltung und Vorsorgehandeln in den Vereinigten Staaten und Hongkong ist alternswissenschaftlich von hoher Relevanz. Die Fallauswahl führt drei hochentwickelte spät- bzw. nachindustrielle Gesellschaften zusammen, die bei strukturanaloger (gleichwohl im Ausmaß unterschiedlicher) Betroffenheit vom demographischen Wandel signifikante Unterschiede mit Blick auf die Vergesellschaftung des (höheren) Alters, die kulturellen Muster altersspezifischer Lebensführung wie auch das individuelle Zeithandeln und gesellschaftliche Zeitstrukturen aufweisen. So hat etwa Levine (1997) gezeigt, wie das gesellschaftliche Zeittempo in Abhängigkeit von sozialstrukturellen und soziokulturellen Rah- 13 menbedingungen variiert und spezifischen Modi der Veränderung unterliegt. Stabilität und Wandel gesellschaftlichen Zeiterlebens und sozialer Zeithorizonte wirken sich ihrerseits auf die individuellen Umgangsformen mit Zeit und Zeitlichkeit aus. In einer Reihe von Studien konnte die Arbeitsgruppe um Helene Fung zeigen, dass sich im Vergleich zu chinesischen Befragten für den amerikanischen und europäischen Raum andere Muster des Zeiterlebens ergeben (z.B. Fung, Stoeber, Yeung & Lang, 2008). Beispielsweise zeigen Cheng, Fung und Chan (2009), dass negative Zukunftserwartungen positive Konsequenzen für das Wohlbefinden älterer Chinesen haben können. Gleichzeitig wirkten sich soziale Umbrüche wie z.B. die Rückgabe Hongkongs an China oder aber die SARS-Epidemie auf das eigene Zeiterleben und die Gestaltung der eigenen Entwicklung aus (Fung & Carstensen, 2006; Yeung & Fung, 2007). Entsprechende Unterschiede sind, angesichts strukturell divergierender Altersnormen, Altersübergänge und Altersstereotypen in den drei Gesellschaften, auch mit Blick auf Fragen der Alterswahrnehmung und Selbstwahrnehmung sowie deren Auswirkung auf persönliche altersbezogene Handlungsorientierungen zu vermuten (Westerhof, Whitbourne & Freeman, 2011). Beispielsweise konnte in einer Arbeit von Levy und Langer (1994) gezeigt werden, dass in China kaum Vorurteile bzgl. altersbedingter kognitiver Defizite vorherrschen, sodass auch eine Aktivierung der Kategorie „alt“ bei älteren Studienteilnehmern keine Selbststereotypisierungseffekte im Sinne eines schlechteren Abschneidens älterer Personen bei Gedächtnisaufgaben nachweisen ließen. Hintergrund dieser Differenzen sind oft tief verankerte Unterschiede mit Blick auf kulturelle Einstellungsmuster etwa des Individualismus bzw. Kollektivismus (oder Familialismus), der Idee selbstbestimmter Lebensführung oder des normativen Stellenwerts von Kurz- oder Langfristigkeit von Handlungsorientierungen (z.B. Cross, Hardin & Gercek-Swing, 2011; Hannover & Kühnen, 2002; Levy, 1999; Markus & Kitayama, 1991). Für die Organisation und Durchführung der Erhebungen in Hong Kong und in den USA konnten internationale Kooperationspartner gewonnen werden, die im Bereich der psychologischen, soziologischen und psycho-gerontologischen Alternsforschung ausgewiesen sind und die zu allen projektrelevanten Themen bereits hochrangige und international beachtete Forschungsarbeiten vorgelegt haben (Prof. David Ekerdt, University of Kansas; Prof. Helene Fung, Chinese University of Hong Kong; Prof. Thomas Hess, North Carolina State University; die einschlägige Expertise der Kooperationspartner für die genannten Projektthemen ist in den als Anlage beigefügten CVs dokumentiert). Mit den Kooperationspartnern besteht außerdem bereits ein intensiver langjähriger Austausch zu projektrelevanten Themen, sodass eine perfekte Passung der Forschungsthemen und -methoden gewährleistet ist. Im Rahmen eines mehrtägigen, von der VolkswagenStiftung finanzierten Workshops, der im Januar 2012 in Jena durchgeführt wurde, wurden mit den internationalen Kooperationspartnern alle inhalt- 14 lichen und methodischen Details des geplanten Projektes diskutiert und besprochen. Als gemeinsame Diskussionsgrundlage für die internationalen Kooperationspartner wurde zuvor eine englische Übersetzung aller relevanten Teile des Projektantrags erstellt. Neben einer inhaltlichen Abstimmung der Projektinhalte wurde ein genauer Zeit- und Arbeitsplan erstellt, der die Koordination der deutschen mit den internationalen Erhebungen während der gesamten Projektlaufzeit festlegt (s.u., Projektstruktur und -design; s. auch Anlage „Zeit- und Erhebungsplan“). Die Ergebnisse des Workshops wurden in einem ausführlichen Ergebnisprotokoll dokumentiert (s. Anlage „Ergebnisprotokoll Workshop internationale Kooperation“). Auf der Basis der Gespräche wurden von den Kooperationspartnern detaillierte Planungen zu den benötigten Personal- und Sachmitteln erstellt und entsprechende Kostenpläne kalkuliert, die in die Kostenkalkulation der Teilprojekte übernommen wurden (s. Kostenkalkulationen der Teilprojekte: Studien Ekerdt – Finanzierung über Teilprojekt Lessenich; Studien Fung – Finanzierung über Teilprojekt Lang; Studien Hess – Finanzierung über Teilprojekt Rothermund). Von allen internationalen Kooperationspartnern wurden darüber hinaus verbindliche Kooperationszusagen der jeweiligen Heimatuniversitäten eingeholt und vorgelegt (s. Anlage „Letters of approval“). Der gegenwärtige Stand der Vorbereitung gewährleistet eine hochkompetente und reibungslose Organisation und Durchführung der geplanten Erhebungen in den USA und in Hong Kong. An den verschiedenen Standorten werden Daten erhoben, die bzgl. der eingesetzten Instrumente und Stichprobenmerkmale genau aufeinander abgestimmt sind, sodass die Ergebnisse des Ländervergleichs in optimaler Weise Rückschlüsse über länder- und kulturspezifische Eigenheiten und Unterschiede in altersbezogenen Vorstellungen, im Zeiterleben und Vorsorgeverhalten sowie bezüglich wechselseitiger Beeinflussungen dieser Variablen ermöglichen. Durch die aktive Beteiligung der hochkarätigen Kooperationspartner gewinnt das Projekt eine immense internationale Sichtbarkeit, sodass die Projektergebnisse substantiellen Einfluss auf die internationale Forschungslandschaft nehmen können. Für die weitere Qualifikation der im Projekt beschäftigten Nachwuchswissenschaftlerinnen bietet die Internationalität und Interdisziplinarität des Projektes die allerbesten Rahmenbedingungen (internationale Vernetzung, Möglichkeit zu hochrangigen und einflussreichen Veröffentlichungen auf der Grundlage einer für den untersuchten Themenbereich einzigartigen längsschnittlichen Datenbasis). Projektstruktur und Design Die interdisziplinäre Kooperation und das damit verbundene multimethodische Vorgehen erlauben es, das Wechselspiel von Altersbildern (Selbst, Gesellschaft) und Zeitgestaltung (individuell, gesellschaftlich) in seiner systematischen Beziehung zu selbstbezogenem und generativem Vorsorgehan- 15 deln zu analysieren. Einen Überblick der basalen thematisch-inhaltlichen Projektstruktur findet sich in Abbildung 1. Subjektive Altersbilder werden dabei als (nomotypische) Einflussquelle der subjektiven Zukunftskonstruktionen analysiert, sind aber ihrerseits auch wiederum abhängig von persönlichen (idiotypischen) Sichtweisen auf die Zukunft und unmittelbaren Vorerfahrungen. Altersbilder, Zeitgestaltung und Vorsorgehandeln bilden dabei eine Trias, auf deren Grundlage sich individuelle und gesellschaftlich konstruierte Alternsprozesse unmittelbar identifizieren und aufeinander beziehen lassen. Der übergeordnete Ländervergleich erlaubt darüber hinaus eine systematische Analyse gesellschaftlicher Rahmenbedingungen des Alterns (Altersstereotype und -normen, Versorgungsstrukturen) sowie der Auswirkungen dieser strukturellen Unterschiede auf individuelle Vorstellungen des Alters und Alterns zum Einen, der sich daraus ergebenden Implikationen für entwicklungsregulatives Handeln und dessen motivationale Grundlagen (Vorsorgeverhalten, Einstellungen zum Leben im Alter, Zeiterleben) zum Anderen. Abb. 1: Übersicht der Zusammenhänge und Wechselwirkungen der inhaltlichen Schwerpunkte des geplanten Projekts und ihrer methodischen Umsetzung. Abbildung 2 (s. u.) gibt einen Überblick über das Forschungsdesign des geplanten Projekts und enthält die wesentlichen Details bzgl. der zeitlichen Anordnung der Erhebungen und der Stichprobengrößen. Das Projekt baut auf Daten (T1) auf, die im Zuge einer erfolgreichen Förderung durch die VolkswagenStiftung erhoben und ausgewertet wurden. Dieser thematisch zentrierte, qualitative und quantitative Erhebungsmethoden kombinierende Datensatz soll im Zuge des Projektes sowohl in inhaltlich-konzeptueller als auch in methodischer Hinsicht ausgebaut und erweitert werden. Im Vordergrund stehen dabei: 16 (a) die längsschnittliche Fortsetzung des Datensatzes durch einen weiteren Messzeitpunkt (T2; Analyse altersbedingter Veränderungen über ein 4-Jahres-Intervall, Trennung von Alters- und Kohorteneffekten, Identifikation eindeutiger Kausalbeziehungen zwischen den Variablen), (b) der Ländervergleich (Analyse gesellschaftlicher Rahmenbedingungen und ihrer Auswirkungen auf individuelle Aspekte des Alterserlebens im Mehr-Methoden-Design: Interviews, Fragebögen, OnlineErhebung), (c) die Ergänzung um weitere Forschungsansätze (implizite/reaktionszeitbasierte Messverfahren; experimentelle Manipulationen von Gewinn-/Verlustszenarien), (d) die Fokussierung auf und Hinzunahme weiterer relevanter Konstrukte und Referenzvariablen (Zeitsouveränität, retrospektive Erfassung von Veränderungen und kritischen Lebensereignissen), (e) die systematische Verbindung der existierenden Datensätze durch Vereinigung/Kombination der Stichproben bzgl. der verschiedenen Erhebungsmethoden (Methodentriangulation). Abb. 2: Forschungsdesign des geplanten Projekts. 17 Erwartete Resultate Wissenschaftlicher Erkenntnisgewinn. Das Projekt zielt auf die Gewinnung eines Datensatzes im Bereich des Alterserlebens und alternsbezogenen Handelns, der sowohl in seiner Breite (Altersbereich und Umfang der Stichproben, Ländervergleich, Methodenspektrum, 4-Jahres-Längsschnitt, interdisziplinäre Herangehensweise) als auch in der Tiefe (bereichsspezifische Erfassung von Altersbildern, Vorsorgehandeln und Zeiterleben) national wie auch international einzigartig ist. Die mit Hilfe dieses Datensatzes adressierbaren Fragestellungen sind von höchster Relevanz. So lassen sich Auswirkungen gesellschaftlicher Rahmenbedingungen des Alterns (Altersbilder, demographischer Wandel, Aufweichung und Neuverhandlung von Altersgrenzen und Versorgungsstrukturen) auf individuelles, alternsbezogenenes Handeln und Erleben analysieren. Zugleich werden die Prozesse und Mechanismen verständlich, mit denen gesellschaftliche Vorstellungen des Alters und Alterns in individuelle Erwartungen und Handlungsbereitschaften übersetzt – oder auch von diesen abgewehrt – werden, die dann in ihrer Gesamtheit neue soziale Realitäten konstituieren und korrigierend oder stabilisierend auf bestehende stereotype Vorstellungen des Alters und Alterns zurückwirken. Gesellschaftspolitische Relevanz. Angesichts der offenkundigen gesellschaftspolitischen Relevanz des Forschungsgegenstands trägt das Projekt aber nicht nur zu einer Erweiterung und Vertiefung der wissenschaftlichen Diskussion zu Fragen zukunftsbezogenen Alternshandelns und seiner Determinanten bei, sondern ebenso sehr auch zu einer Vermittlung der Forschungsbefunde in eine nichtwissenschaftliche Öffentlichkeit. Neben der Präsentation und Publikation der Ergebnisse auf nationalen und internationalen Kongressen und in einschlägigen wissenschaftlichen Zeitschriften soll daher zum einen ein Band produziert werden, der den erforschten Zusammenhang von Altersbildern, Zeitgestaltung und Vorsorgehandeln in für ein breiteres (Fach-)Publikum der Altenarbeit und -hilfe zugänglicher Weise präsentiert. Gedacht ist hierbei an ein Handbuch für Entscheidungsträger in politischen Institutionen und Privatwirtschaft, das die Implikationen von Altersbildern und des Wandels der Zeitgestaltung im Hinblick auf Planung und Vorsorge für das Alter wie auch für Themen etwa der gesellschaftlichen Partizipation älterer Menschen und deren möglicher Benachteiligung (Altersdiskriminierung) zusammenfasst. Zum anderen sollen, entsprechend der dargelegten Untersuchungsdimensionen, über interne Workshops und/oder öffentliche Foren gezielt Akteure aus öffentlichen Institutionen und privaten Organisationen angesprochen werden, die in beratender oder dienstleistender Funktion mit Fragen des zukunftsbezogenen Alternshandelns befasst sind, z.B. kommunale Behörden, betriebliche Personalabteilungen, Versicherungsunternehmen usw. Nachwuchsförderung. Das geplante Projekt leistet einen wesentlichen Beitrag zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses. In den drei Teilprojekten sollen jeweils Mitarbeiterinnen beschäftigt werden, die bereits in den jeweiligen von der VW-Stiftung geförderten Vorläuferprojekten gear- 18 beitet und sich dort in exzellenter Weise wissenschaftlich qualifiziert haben. Das geplante Projekt bietet für diese Mitarbeiterinnen eine optimale Möglichkeit, ihre bisherigen Qualifikationen weiter auszubauen und so die Voraussetzungen für die Übernahme einer Professur bzw. Juniorprofessur zu schaffen. Die im Projekt gewonnenen Längsschnitt- und Ländervergleichsdaten liefern eine hervorragende Grundlage für hochrangige internationale Publikationen. Durch die enge Zusammenarbeit mit den Kooperationspartnern aus den USA und Hong Kong werden die Mitarbeiterinnen in internationale Netzwerke integriert. Zusammen mit der im Kern des Projektes angelegten interdisziplinären Zusammenarbeit liefert das geplante Projekt somit beste Bedingungen für eine erfolgreiche wissenschaftliche Karriere der im Projekt beschäftigten Nachwuchswissenschaftlerinnen.