Klima und Umweltveränderungen: Last Exit

Werbung
Michael Müller
Klima und Umweltveränderungen:
Last Exit Nachhaltigkeit
Gliederung
1. Weltinnenpolitik oder Verteilungskämpfe
2. Das Jahrhundert der Ökologie
3. Manche mögen es heiß
4. Kriege um das schwarze Gold
5. Die Party auf Kosten der Armen, der Natur und der Zukunft
6. Der Wind dreht sich
Literatur
1. Weltinnenpolitik oder Verteilungskämpfe
Der Schutz der Klimas und des Naturkapitals ist eine globale
Herausforderung. Sie erfordert weltweit einen effizienten, innovativen und gerechten Umgang mit den knapper werdenden
Rohstoffen. Diese Schlüsselfrage des 21. Jahrhunderts setzt einen grundlegenden Paradigmenwechsel voraus hin zu einem
höheren Verantwortungsbewusstsein und einer Ökonomie des
Vermeidens hoher Ressourcenverbräuche.
Bisher war das Naturkapital das billige Schmiermittel für Beschäftigung und Wohlstand in den Industrieländern. In ihrer
nachholenden Industrialisierung orientieren sich auch die Entwicklungs- und Schwellenländer an diesem Modell der Verschwendung, zumal die Preise nirgendwo die ökologische Wahrheit sagen. Jetzt werden die ökologischen Grenzen des Wachstums sichtbar.
Unser Jahrhundert wird ein Jahrhundert der Ökologie werden,
geprägt von der Überlastung der Natur und der Endlichkeit in
2
der Nutzung traditioneller Energie und Rohstoffe. Damit rücken
die Konflikte um die natürliche Mitwelt ins Zentrum von Politik,
Wirtschaft und Gesellschaft. Die Aufgaben heißen: Klimaschutz,
Ressourcenschonung sowie fairer Zugang zu den Rohstoffen.
Sie erfordern in erster Linie Einsparen, eine Effizienzrevolution,
eine ökologische Kreislaufwirtschaft und den schnellen Übergang in eine solare Zivilisation.
Klimaschutz und Energieversorgung sind eng miteinander verbunden - nicht nur in der Innenpolitik, sondern in der schnell zusammenwachsenden Welt zunehmend auch in der Außen- und Sicherheitspolitik. Zwei unterschiedliche Pfade zeichnen sich deutlich ab:
•
Entweder werden die Sicherung der Energie- und Rohstoffversorgung aus den Krisengebieten der Erde zu einer Militärdoktrin und der Klimaschutz zu einer Form von Ökodiktatur, weil nach langer Zeit der Untätigkeit die notwendigen
Reformen demokratisch nicht mehr durchsetzbar erscheinen.
•
Oder es kommt schnell zu einer zivilen Antwort, zu der neue
Formen der internationalen Partnerschaft in Rohstofffragen
ebenso gehören wie eine Effizienzrevolution und der schnelle Ausbau der erneuerbaren Energien. Das folgt der Leitidee
der nachhaltigen Entwicklung.
Last Exit Nachhaltigkeit. Die ökologischen Menschheitsherausforderungen brauchen eine Weltinnenpolitik, deren Grundlagen
in wichtigen Handlungsfeldern lokal, regional und national geschaffen werden. Der Begriff der Weltinnenpolitik wurde zwar
nicht von Carl Friedrich von Weizsäcker erfunden, aber entscheidend von ihm geprägt: „Der Weltfriede erfordert die allmähliche Verwandlung der bisherigen Außenpolitik in eine Weltinnenpolitik.“
Die Weltinnenpolitik ist eng mit der Nachhaltigkeit verbunden.
Dahinter steht - zeitlich wie räumlich – ein Denken und Handeln
„in langen Ketten“ (Norbert Elias). Sie fördert das Ethos, das
3
die zerbrechliche Welt dringend braucht. Diese Friedenspolitik
für das 21. Jahrhundert hat zwei wichtige Ziele:
1. Die Befriedigung der Bedürfnisse heutiger Generationen
in einer Weise, dass künftige Generationen dies auch
angemessen tun können. Dieser zentrale Satz aus dem
Brundtland-Bericht von 1987 begründet eine globale und
generationsübergreifende Verantwortung;
2. die Festlegung gemeinsamer regulativer Prinzipien, die
mehr Empathie im Umgang der Akteure miteinander ermöglichen und damit die sozialen und ökologischen Leitplanken für ein gleichgerichtetes und zielorientiertes
Handeln setzen.
Die Weltinnenpolitik verbindet politischen Pragmatismus mit politischem Idealismus. Sie schafft einen konkreten visionären Überhang für eine gute Zukunft der gesamten Menschheit. Das Schlüsselwort in den UN-Berichten heißt „gemeinsam“. Gemeinsame Sicherheit (Olof Palme), gemeinsames Überleben (Willy Brandt) und
gemeinsame Zukunft (Gro Harlem Brundtland). Sie steht in der Tradition des europäischen Wertekanons, der den sozialen Interessenausgleich sucht.
Zugleich ermöglicht die Weltinnenpolitik die Bewahrung von Vielfalt
und Identität, die eine stabile und demokratische Kultur braucht.
Sie setzt nicht allein und auch nicht vorrangig auf globale Institutionen, obwohl sie eine Stärkung der UN-Institutionen einbezieht und
auf ein dichtes Netz internationaler Verträge hinarbeitet. In erster
Linie stärkt sie dezentrale Strukturen, die in einem kooperativen
und solidarischen Zusammenhang ein neues Verständnis von
Handeln und Gestalten möglich machen.
Realitätsfern ist dagegen die Vorstellung, dass es einfach so weitergehen kann wie bisher. In einer ungleichen Welt des Marktradikalismus drohen Niedergang, Gewalt und Verteilungskämpfe. Nur
durch eine grundlegende sozialökologische Modernisierung von
Wirtschaft und Gesellschaft – national, europäisch und internatio-
4
nal - kann die Tendenz der Dezivilisierung (Eric Dunning) gebändigt werden, die der modernen Zivilisation inne wohnt und mit
der Globalisierung in alten und neuen Formen hervortritt. Sie entspringt der immanenten Ambivalenz der Moderne zwischen Fortschritt und Niedergang, die deshalb eine politische Rahmensetzung
notwendig macht.
Dieser Einsicht entspricht auch die kritische Bewertung der Weltwirtschaftskrise, die der britische Economist 1930 gezogen hat:
„Das größte Problem liegt darin, dass die Erfolge auf der ökonomischen Ebene die Erfolge auf politischer Ebene dermaßen übertreffen, dass Wirtschaft und Politik nicht miteinander Schritt halten. Ökonomisch ist die Welt eine umfassende Handlungseinheit, politisch
ist sie zerstückelt geblieben. Die Spannung zwischen dieser gegensätzlichen Entwicklung löst reihenweise Erschütterungen aus“.
Die politischen Antwort, die US-Präsident Franklin Delano Roosevelt auf die große Depression gab, hießen 1933 der New Deal zur
Durchsetzung des Wohlfahrtsstaates und 1944 der Vertrag von
Bretton Woods für eine stabile Weltwirtschaftsordnung. Diese Projekte hatten die Ziele, die Wirtschaft sozial zu disziplinieren sowie
Protektionismus und spekulative Geldgeschäfte zu begrenzen. Beide Initiativen haben die westlichen Industriestaaten bis in die siebziger Jahre geprägt.
Heute mündet alles - auch unter dem Eindruck der Finanzkrise - in
der zentralen Frage: Ist unsere Zivilisation in der Lage sich grundlegend zu reformieren, bevor die absehbare Katastrophe völlig eintritt? Gerade beim globalen Klimawandel darf nicht dann erst gehandelt werden, wenn die Folgen in aller Härte zu spüren sind, wie
das bisher üblich ist. Der Klimawandel hat nicht nur eine globale
Dimension, sondern auch einen zeitlichen Vorlauf von vier bis fünf
Jahrzehnten. Und er wird dann lange Zeit nicht mehr zu verändern
sein. Heute spüren wir erst die Folgen der Treibhausgaskonzentration von Ende der sechziger Jahre, die in der unteren Atmosphäre
angereichert ist und den Klimawandel verursacht hat.
5
Eine Weltinnenpolitik orientiert sich auf allen Ebenen an einer
nachhaltigen Entwicklung, die den unterschiedlichsten Akteuren einen normativen Rahmen setzt und sie miteinander vernetzt. Dann
werden soziale und ökologische Reformen ebenso möglich wie eine Stärkung der Demokratie. Doch offenkundig ist die Tragweite
der Herausforderung bisher nicht hinreichend erkannt.
Colin Crouch sieht die Ursache für die Gestaltungsschwäche der
Politik in einer Entleerung demokratischer Vielfalt und Vitalität. In allen westlichen Ländern breitet sich die „Postdemokratie“ aus. Im
„Zeitalter der globalen Unternehmen“ registriert er ein kurzfristiges
ökonomisches Einheitsdenken und damit den Verfall der demokratischen Handlungs- und Gestaltungsfähigkeit. In der Folge wird die
Legitimation der Politik von der Bevölkerung in Zweifel gezogen. Eine Weltinnenpolitik muss von daher die Modernisierung des politischen und demokratischen Systems unabdingbar einbeziehen.
Im globalen Zeitalter heißt die Alternative, die sich deutlich vor
uns aufbaut, Nachhaltigkeit oder Gewalt. Die Konflikte aus der Überlastung der natürlichen Mitwelt, deren schlimme Folgen wir bald
nicht mehr vermeiden können, drehen sich um das Wetter, Wasser,
Rohstoffe und Ernährung. Folgerichtig ist längst nicht mehr von
Vermeiden der Gefahren, sondern immer häufiger von Anpassung
die Rede.
2. Das Jahrhundert der Ökologie
Wenn nicht schnell gehandelt wird, drohen Klimawandel und Verteilungskonflikte um knappe Energie und Rohstoffe zur bedeutendsten Quelle politischer, sozialer und ökonomischer Konflikte zu werden. Doch die USA und Russland streiten sich weit mehr um die
Stationierung neuer Raketen, die Washington in Mitteleuropa gegen „die islamische Gefahr“ stationieren will, als über die Bewältigung der großen ökologischen und sozialen Herausforderungen.
Der Klimawandel, die Rohstoffverknappung und die nachholende
6
Industrialisierung der „überbevölkerten, verschmutzten und ungleichen Welt“ (Brundtland-Bericht) sind allerdings mit den traditionellen, nationalstaatlichen Wachstumskonzepten nicht zu bewältigen.
Sie erfordern ein neues Denken. Denn:
•
Mit dem Klimawandel tut sich eine Naturschranke auf, bei deren Überschreiten viele Gesellschaften kollabieren werden.
Schon heute ist eine Erwärmung um 1,5 Grad Celsius nicht
mehr zu verhindern, im Trend wird bis Ende unseres Jahrhunderts mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Temperaturanstieg
von rund 3 Grad Celsius erwartet. Nach neuen Untersuchungen der Klimaforschung nimmt mit über 3,5 Prozent pro Jahr
der Anstieg der schädlichen Kohlendioxid-Emissionen (CO2)
stärker zu, als dies im 4. Sachstandsbericht des Weltklimarates (IPCC) von 2007 prognostiziert wurde.
Ohne eine Trendwende ist schon in rund 25 Jahre eine Erwärmung um 2 Grad Celsius nicht mehr zu verhindern. Sie
würde in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts eintreten
und hätte katastrophale Folgen:
- Für Afrika, wo bereits 230 Millionen Menschen an Hunger
und Unterernährung leiden, droht eine Halbierung der Ernteerträge. Das würde den Migrationsdruck gewaltig erhöhen.
Schon heute stellen Umweltflüchtlinge weltweit den höchsten
Anteil an den globalen Wanderungsbewegungen.
- In Lateinamerika werden rund zwei Drittel der Gletscher in
den Anden weg schmelzen, von denen heute fast 100 Millionen Menschen in der Energie- und Wasserversorgung abhängig sind. Allein in den letzten 17 Jahren haben die Anden
23 Prozent ihrer Gletschermasse verloren.
- In Asien sind rund 40 Prozent der 635 Millionen Menschen,
die in Flussdeltas oder niedrigen Küstenregionen leben,
durch Hochwasser, Hurrikans und steigenden Meeresspiegel
existenziell gefährdet. Der Himalaya speichert bisher rund 15
Prozent der globalen Eismassen. Daraus speisen sich große
7
asiatische Flüsse. Im Extremfall kann der Meeresspiegel bis
Ende des Jahrhunderts um 90 cm ansteigen.
•
Die Zeit billiger Energie und Rohstoffe ist vorbei. Wir können
nicht länger auf Kosten der Natur konsumieren und wirtschaften. Erhebungen von UNO, OECD und Internationaler Energieagentur prognostizieren eine zunehmende Knappheit der
natürlichen Ressourcen - nicht nur von Öl und Gas, sondern
auch wichtiger mineralischer Rohstoffe, die oftmals eine strategische Bedeutung für die Industrie haben. Die Folgen werden schon bald deutlich höhere Preise und problematische
Engpässe sein.
Von daher sind Attacken auf die Erdölförderung eine wirksame Waffe nicht nur gegen die USA, sondern gegen alle Industrie- und selbst gegen die Schwellenländer. Die Angst vor
Knappheit treibt den Ölpreis hoch, denn kurzfristig kann die
Förderung kaum noch gesteigert werden. Das eröffnet Spekulanten wie Terroristen einzigartige Möglichkeiten, die Industriestaaten an einer empfindlichen Stelle zu treffen.
Die Rohstoffversorgung, speziell der Ölpreis, an dem auch
der Gaspreis gekoppelt ist, wurde zur Achillesferse der industriellen Welt. Allein in den zwölf Monaten nach dem Irakkrieg
gab es rund 150 Überfälle auf Ölanlagen und Pipelines, die
Schäden werden auf über eine Milliarde Dollar geschätzt.
Das Öldorado ist voller Risiken.
Der Kalte Krieg verdeckte lange Zeit die zentrale Bedeutung
billiger Ressourcen, vor allem fossiler Brennstoffe, für die
Absicherung des Wohlstands der Industriestaaten. An dem
„Ressourcenimperialismus“ (Michael T. Klare) lässt sich beispielhaft der Zustand unserer Welt und die absehbaren Konflikte der Zukunft beschreiben. Schon bald werden PeakWasser, Peak-Öl und Peak-Ernährung erreicht, also der Höhepunkt in der Bereitstellung wichtigster Ressourcen für ein
menschenwürdiges Leben. Mit der Knappheit drohen Vertei-
8
lungskonflikte, aus denen Ressourcenkriege werden können.
Wasser wird zur Waffe, der Zugang zu Gas und Öl zum zentralen Sicherheitsinteresse, Rohstoffabhängigkeit zu einem
brisanten Erpressungspotenzial.
Auch Lebensmittel werden in weiten Teilen der Erde knapp
und teuer. In den letzten 12 Monaten stieg der Lebensmittelindex der FAO bis zu 60 Prozent an. Auf dem Höhepunkt der
Verteuerung war der eine US-Dollar, der als äußerste Armutsschwelle gilt, nur noch 70 Cent wert. Der Preis wird sich
durch Nutzungskonflikte zwischen Biodiversität, Energie und
Nahrungsproduktion, aber auch durch den Klimawandel weiter erhöhen. Folge: In 40 Staaten fanden bereits Hungerrevolten statt.
•
Die nachholende Industrialisierung bevölkerungsreicher Länder beschleunigt Klimawandel, Ressourcenknappheit und
Ernährungskrise. Zum Beispiel: Obwohl ein Chinese nur 3,66
Tonnen des wichtigsten Treibhausgases Kohlendioxid emittiert, wogegen ein US-Bürger auf 19,74 Tonnen kommt, ist
das Land bereits der größte CO2-Emittent der Welt. Aus der
Quantität wird eine neue Qualität der Naturzerstörung.
Derzeit kommt im Land der Mitte jedes Jahr eine Stromerzeugungskapazität hinzu, die nahezu der entspricht, die in
unserem Land installiert ist. China muss bis Mitte des Jahrhunderts den Ausstoß halbieren, damit das globale Klima geschützt wird. Ähnlich sieht es bei Wasser und Mobilität aus.
Die Schwellen- und Entwicklungsländer sehen jedoch solange keinen Grund für eine Kurskorrektur, solange die heutigen
Industriestaaten mit der ökologischen Modernisierung nicht
wirklich beginnen.
3. Manche mögen es heiß
Zuerst zu den Sicherheitsrisiken des Klimawandels. Seit den vier Ta-
9
gungen des Weltklimarates im Jahr 2007 sind die Gefahren des
anthropogenen Treibhauseffektes ins Zentrum der öffentlichen Debatte gerückt. Der Wissenschaftliche Beirat für Globale Umweltfragen der Bundesregierung (WBGU) legte das Gutachten „Sicherheitsrisiko Klimawandel“ vor. Es hat eine ähnlich hohe Bedeutung
wie der Stern-Report der britischen Regierung, der die ökonomischen
Folgen der vom Menschen verursachten Erwärmung errechnet hat.
Der WBGU-Report stellt die geostrategischen Risiken des globalen
Klimawandels dar. Die zentrale Botschaft lautet: Ohne ein schnelles
und entschiedenes Gegensteuern werden die klimatischen Veränderungen bereits in den kommenden Jahrzehnten die Anpassungsfähigkeit vieler Gesellschaften weit übersteigen. Daraus erwachsen
Gewalt und Destabilisierung, die die nationale und internationale
Sicherheit in einem bisher unbekannten Ausmaß bedrohen. Um
diese Konflikte zu vermeiden, muss sofort mit einer ambitionierten
Klimapolitik begonnen werden und bis Mitte des Jahrhunderts den
weltweiten Ausstoß der Treibhausgase gegenüber 1990 halbieren.
Abbildung: Konfliktkonstellationen in ausgewählten Brennpunkten (Quelle WBGU/2007)
Der Klimawandel wird die Spaltung zwischen Nord und Süd vertiefen
und die nationale und internationale Sicherheit vor neue Her-
10
ausforderungen stellen. Wasserknappheiten, Dürren oder Bodendegradation werden verschärft, neuartige Umweltkonflikte kommen
hinzu. Dazu zählen Flut- und Hochwasserkatastrophen durch den
steigenden Meeresspiegel, häufig schwere Hurrikane durch die Erwärmung der ozeanischen Deckschichten und aufsteigende Feuchte
sowie eine Versauerung der Meere mit weit reichenden Folgen für
die Meeresbiologie. Künftig können großskalige Änderungen im Erdsystem auftreten, wie das Austrocknen des Amazonasgebietes oder
das Ausbleiben des asiatischen Monsuns – mit unkalkulierbaren
Auswirkungen.
Der Bericht des WBGU identifiziert unterschiedliche „klimainduzierte
Konfliktkonstellationen“: Degradation von Süßwasserressourcen,
Rückgang der Nahrungsmittelproduktion, Zunahme von Sturm- und
Flutkatastrophen sowie umweltbedingte Migration. Die Folgen des
Klimawandels treffen alle, wenn auch in unterschiedlichen Zeitspannen und mit unterschiedlicher Intensität, wobei es regionale
Schwerpunkte geben wird, bei denen schwache und fragile Staaten besonders betroffen sind.
Die sektoralen und regionalen Risiken eines globalen Temperaturanstiegs haben die Militär- und Geostrategen, auch die Braintrusts
großer Firmen längst entdeckt: Wasserknappheit, Flussumleitungen,
Migration oder Verteilungskämpfe um Rohstoffe. Und indirekt ausgelöste Gefahren, beispielsweise der Abbau von Bürgerrechten zur
Abwehr von Umweltflüchtlingen oder die Verbreitung der Atomkraft in
politisch instabilen Ländern, die eine Nutzung mit einem Verweis
auf den Klimaschutz begründen. Davor warnte der Weltklimarat, aber bisher ohne durchschlagenden Erfolg.
Länder der Dritten Welt denken über eine verstärkte Nutzung der
Atomkraft nach. Und das möglichst zu günstigen Preisen, nicht
einmal orientiert am höchsten technischen Standard. Einige Regime
wollen die Atomkraft, um an nukleares Know how zu kommen, denn
es gibt keine feste Grenzziehung zwischen der zivilen und militärischen Nutzung. In der Folge würden sich die Proliferationskonflikte,
11
die heute mit dem Iran und Nordkorea existieren, vervielfältigen.
Auf jeden Fall vergrößert sich die Gefahr von Mini-Nukes und terroristischer Anschlägen.
Zudem ist nirgendwo auf der Erde die Entsorgung des Atommülls
geklärt, eine über viele tausend Jahre strahlende Hinterlassenschaft
für eine kurze technologische Episode. Bei einem massiven Ausbau
der Atomkraft würde sich schon bald die Knappheit von Uran zeigen. Bei einer Vervierfachung der heutigen Atomkapazitäten, die angesichts des Energiewachstums, das mit der heutigen Versorgungswirtschaft verbunden ist, aber dennoch nur einen geringen
Beitrag zum Klimaschutz leisten würden, wären nach den Angaben
im Red Book der OECD die Reserven in wenigen Jahrzehnten erschöpft. Es sei denn, der Weg führe in die Plutoniumwirtschaft mit
Schnellbrutreaktoren und Wiederaufbereitung, die die Sicherheitsrisiken potenzieren würde.
Andererseits kann gerade die Klimagefahr die Staatengemeinschaft
in den nächsten beiden Jahrzehnten zu einer gemeinsamen Energie-, Klima- und Umweltpolitik zusammenführen. Der WBGU schlägt
für diese Chance neun Initiativen vor:
1. Mitgestaltung des weltpolitischen Wandels, vor allem durch
eine konstruktive Partizipation mit den aufstrebenden Führungsmächten wie China und Indien. Ebenso mit Brasilien,
Argentinien und Mexiko sowie Südafrika;
2. Reform der Vereinten Nationen, bei der die Rechte des Sicherheitsrates ausgeweitet, die UNEP aufgewertet und die
entwicklungspolitischen Kapazitäten der UNO gestärkt werden;
3. Weiterentwicklung der internationalen Klimapolitik gemäß
der 2-Grad Leitplanke;
4. Fortentwicklung einer Vorreiterrolle der EU-Staaten in der
Klima- und Energiepolitik;
5. partnerschaftliche Strukturen bei der Entwicklung von Vermeidungsstrategien, insbesondere durch eine Technologie-
12
partnerschaft mit den Entwicklungsländern;
6. Unterstützung von Anpassungsstrategien an den Klimawandel
in der Dritten Welt;
7. Stabilisierung von schwachen, fragilen Staaten, die vorrangig
vom Klimawandel betroffen werden;
8. kooperative Steuerung der zu erwartenden Migration durch
eine Weiterentwicklung des internationalen Rechts;
9. Auf- und Ausbau eines globalen Informations- und Frühwarnsystems.
Kriege um das schwarze Gold
Das zweite große Sicherheitsrisiko ist die zunehmende Knappheit
der Rohstoffe. Diese Gefahr ist nicht neu, aber sie spitzt sich mit der
nachholenden Industrialisierung und dem hohen Bevölkerungswachstum zu. Heute werden Kriege um Öl geführt, früher wurden
Kriege mit Öl gewonnen. „Erdöl ist so notwendig wie Blut in den kommenden Schlachten. … Es geht um die Sicherheit der alliierten Völker“, schrieb der französische Ministerpräsident Georges Benjamin
Clemenceau 1917 in einer Note an US-Präsident Thomas Woodrow
Wilson. Als der erste Weltkrieg vorbei war, stellte der britische Außenminister Lord Curzon im November 1918 fest: „Die Alliierten wurden auf einer Erdölwelle zum Sieg getragen“.
Schon 1919 stand für die französische Regierung fest: „Derjenige,
der das Erdöl besitzt, wird die Welt besitzen.“ Dieselbe Auffassung
vertrat auch Winston Churchill, damals der erste Lord der britischen
Admiralität: „Der Endzweck unserer Politik ist der, dass die Admiralität unabhängiger Eigentümer und Erzeuger der von ihr benötigten
Vorräte an flüssigen Heizmaterial werde. Erstens müssen wir im
Lande selbst eine Ölreserve schaffen, die genügend groß ist, um uns
für Kriegszeiten zu sichern und in Friedenszeiten Preisschwankungen auszuschalten; zweitens müssen wir die Befugnisse erlangen,
Rohöl einkaufen zu können, wenn es billig auf den Markt kommt; die
13
dritte Seite dieser Politik ist die, dass wir zumindest bezüglich eines
Teils des Rohöls, das wir benötigen, Eigentumsrechte, jedenfalls aber Kontrolle an der Quelle selbst erlangen“.
Amerika verfügte wie kein anderes Land über Erfahrungen mit der
Erschließung, Gewinnung und Verarbeitung von Öl. Zusammen mit
der Kolonialmacht Großbritannien gelang es den USA in den dreißiger Jahren, eine anglo-amerikanische Vorherrschaft in der Golfregion
zu etablieren. Sie verfestigte die dualistische Struktur der Weltökonomie zwischen Nord und Süd, zwischen Industriestaaten und Entwicklungsländern.
Im Zweiten Weltkrieg spielte Öl eine entscheidende Rolle in den strategischen Überlegungen der Kriegsparteien. Im Hitlerfaschismus waren die Spitzen der deutschen Energiewirtschaft eng in die Kriegsführung eingebunden. Schon bei der Vorbereitung des Zweiten Weltkriegs war sie damit befasst, Pläne für die Eroberung und zum
Transport von Energie auszuarbeiten. Sie plante neben der Sicherung des rumänischen Öls auch die Eroberung der russischen Ölfelder am Kaspischen Meer und einen Vorstoß in den Irak und Iran.
In den fünfziger Jahren begann das eigentliche Ölzeitalter. Mit dem
Einsetzen der Massenproduktion und des Autobooms stieg Öl zur
Weltmacht auf, dominiert von westlichen Konzernen. Die als Gegenstrategie zu der Macht der Industriestaaten gedachten Absprachen
der Organisation Erdöl produzierender Länder (OPEC) über die Fördermenge und den Preis von Rohöl in den siebziger Jahren, bekannt
als „Ölkrisen“, um die Interessen der Ölstaaten stärker zur Geltung
zu bringen, hielten nur kurze Zeit. In den achtziger Jahren wurde das
Dual-System erneut rekonstruiert, damit weiterhin billiges Öl auf den
Weltmarkt kommen konnte.
Rund 1,3 Milliarden Menschen nutzten bis vor wenigen Jahren über
70 Prozent der kommerziellen Energie. Jetzt verschiebt sich das Bild.
Große und bevölkerungsreiche Länder holen die Industrialisierung
mit rasanter Geschwindigkeit nach und brauchen massenhaft Energie und Rohstoffe. China ist bereits zum zweitgrößten Ölverbraucher-
14
land der Welt aufgestiegen, die Steigerung übertraf alle Prognosen.
Die Lunte ist gelegt, eine Explosion kann die ganze Weltwirtschaft
nach unten ziehen.
Für 2010 wird eine Nachfrage von 11 Millionen Barrel pro Tag erwartet. Trotz der gewaltigen Förderung bleiben große Unterschiede bestehen, denn bis heute haben fast zwei Milliarden Menschen keinen
Zugang zu einer gesicherten Energieversorgung. Das System gerät
immer deutlicher an Grenzen. Seine Nutznießer versuchen umso
mehr, ihre Privilegien mit allen Mitteln zu verteidigen.
Ressourcen wie Öl und Erdgas, Mineralien und Metalle, Edelsteine,
Bau- und Edelholz sowie Agrarerzeugnisse spielten in den neunziger
Jahren in rund einem Viertel aller bewaffneten Konflikte eine wichtige
Rolle, so zum Beispiel in Kolumbien, Angola, Kongo, Nigeria, Sudan
und Indonesien. Bei den Kriegen in den Ölregionen ging es um die
Kontrolle über die Vorräte. Seit 1990 gaben die USA rund 500 Milliarden Dollar für ihre Truppenpräsenz zur Sicherung ihrer Energieinteressen aus. Erdöl, das sind für John Rockefeller, seiner Zeit der
größte Ölmagnat der Welt, die „Tränen des Teufels“.
Das Pokern um die Reserven hat begonnen. Ein Paradigmenwechsel von der Verschwendungs- und Ausbeutungswirtschaft zur effizienten und solaren Energieversorgung ist nicht in Sicht, global
schon gar nicht. Er wäre auch eine gewaltige Kraftanstrengung, die
wichtige Akteure, allen voran die USA, vermeiden wollen. Sie suchen
nach technischen Lösungen, ohne das System umzubauen.
Das explosive Wachstum des Energie- und Rohstoffverbrauchs ist
ein Kontinuum der industriellen Welt und eine treibende Kraft der
Globalisierung. Und der Sektor selbst ist ein starkes Bollwerk bei der
Verteidigung der Verschwendungswirtschaft: Die Hälfte der hundert
größten Global Players kommt aus diesem Sektor. So vergrößern
sich in allen Bereichen die Gefahren:
•
die Abhängigkeit von hohen Importen und aus der ungleichen Verteilung und den steigenden Kosten der begrenzten
Energiestoffe;
15
•
absehbare Verteilungskämpfe und mögliche Kriege um
knapper werdende Rohstoffe;
•
die Überlastung der Natur, deren Hauptverursacher die fossilen Brennstoffe Kohle, Gas und Öl sind;
•
Super-Unfälle nicht nur bei der Nutzung der Atomkraft, sondern auch bei der Ölverschiffung auf den Seewegen.
Das 20. Jahrhundert war das Jahrhundert des schwarzen Goldes.
Zuletzt wurde auf den Weltmeeren mehr Öl transportiert als Eisenerz, Getreide und Kohle zusammen, die nächsten drei wichtigen Güter im internationalen Handel. Autos, Kunststoffe und Chemiefasern
sind so preiswert und bequem, so vielfältig und allgegenwärtig, weil
es den Rohstoff Öl gibt. Das begehrte Gut prägte die Zivilisation und
ermöglichte die Überflussgesellschaften.
Öl verfestigt Ungleichheit und Abhängigkeit und verursacht große
Umweltschäden. Daran wird sich vorerst nichts ändern. Bei den ersten Kriegen im 21. Jahrhundert – Afghanistan und Irak – ging es
nicht zuletzt um Öl. Noch ehe ein Schuss gefallen war, rangelten sich
schon russische, französische und amerikanische Firmen um die
Neuaufteilung des Ölgeschäfts mit dem Irak. Auch mit dem Ziel, die
Macht des OPEC-Kartells endgültig zu brechen.
Die Jahresförderung von Öl beträgt aktuell etwa 3,6 Milliarden Tonnen, die geschätzten Reserven liegen bei rund 180 Milliarden Tonnen. Rohöl wird noch mehrere Jahrzehnte sprudeln. Allerdings wird
bereits jedes Jahr mehr Öl verbraucht, als neu entdeckt wird. Derzeit
übertreffen die bekannten, wirtschaftlich nutzbaren Reserven die
Jahresförderung wahrscheinlich um das Vierzigfache, bei Erdgas um
das Sechzigfache. Die Vorkommen für flüssiges Erdöl sind – bei
gleich bleibendem Verbrauch – wahrscheinlich in weniger als fünf
Jahrzehnten erschöpft. Ölsände und Ölschiefer haben höhere Förderkosten und sind ebenfalls begrenzt.
Die Erdgasvorkommen reichen kaum länger als Öl. Durch die Leitungsgebundenheit haben sie eine geringere Flexibilität in der Bereitstellung. Bei den Uranreserven sieht es nicht besser aus: Sollten die
16
nuklearen Ausbaupläne Wirklichkeit werden, die von Lobbygruppen
propagiert werden, sind in rund fünfzig Jahren die Uranreserven erschöpft. Dann bliebe nur der Weg in die hochriskante Plutoniumwirtschaft.
Die Ölförderung wird wahrscheinlich schon in 20 Jahren deutlich zurückgehen. Die Ausbeutung in wichtigen Förderländern wie SaudiArabien erreicht bereits einen Peak, zumal der Druck in den Ölfeldern kaum noch gesteigert werden kann. In den letzten 30 Jahren
ging der Anteil von Erdöl zwar zugunsten von Erdgas und Atomenergie von rund 45 Prozent auf knapp 35 Prozent zurück. In jüngster
Zeit stieg er jedoch wieder an. Er soll im Jahr 2020, wenn der Energieverbrauch wahrscheinlich um 50 Prozent über dem heutigen Niveau liegen wird, rund 40 Prozent erreichen.
Hinzu kommen große politische Risiken, denn die meisten Erdölvorkommen liegen in instabilen Ländern, 60 Prozent am Persischen
Golf. Die deutsche Abhängigkeit vom arabischen Öl ist vergleichsweise gering, denn von den 54 Millionen Tonnen Rohöl, die im ersten
Halbjahr 2005 importiert wurden, stammten zwei Drittel aus Russland
(33,5 Prozent), Norwegen (22,5 Prozent) und Großbritannien (11,1
Prozent). Rund ein Drittel kommt aus der Nordsee, wo in etwa einem
Jahrzehnt viele Quellen erschöpft sein werden.
Eine Energiewende ist dringend notwendig. Doch nach wie vor sind
wirtschaftliches Wachstum und Energieverbrauch eng miteinander
verkoppelt. Dehnt sich die Weltwirtschaft um drei Prozent aus, wird
nach den Erfahrungen der beiden letzten Jahrzehnte der Energieverbrauch um zwei Prozent steigen. Dadurch wird die Importabhängigkeit bis zum Jahr 2020 weiter zunehmen: in Asien von 61 auf 74
Prozent, in Europa von 56 auf 61 Prozent und in Nordamerika von 39
auf 62 Prozent.
Im asiatischen Raum wächst die Nachfrage nach dem Schwarzen
Gold schneller als im Rest der Welt. Wie Japan müssen auch Korea
und Taiwan Öl und Gas fast ausschließlich importieren. Indonesien
und Malaysia werden in wenigen Jahren in dieselbe Abhängigkeit ge-
17
raten. Sie beziehen schon mehr als 90 Prozent ihres Öls aus der
Golfregion.
Drei Viertel der bekannten Ölvorkommen lagern in nur sieben Ländern, fünf davon am Persischen Golf. Angeführt wird die Liste von
Saudi-Arabien mit 262 Milliarden Barrel. Es folgt der Irak mit mindestens 113 Milliarden Barrel, wahrscheinlich aber mehr. Danach kommen die Vereinigten Arabischen Emirate mit 98 Milliarden Barrel,
Kuwait mit 97 Milliarden und der Iran mit rund 90 Milliarden. Es folgen Venezuela mit 78 Milliarden und Russland, wo die weitaus größten Erdgasreserven liegen, mit 48 Milliarden Barrel Rohöl.
In den letzten vier Jahrzehnten wirtschafteten die USA als größter
Ölverbraucher und Saudi-Arabien als größter Ölproduzent Hand in
Hand. In Krisenzeiten drehte Saudi-Arabien, das durch seine gewaltigen Reserven am schnellsten auf Preisschwankungen reagieren
kann, den Ölhahn auf, um eine Versorgungskrise abzuwenden. So
geschehen in den drei Golfkriegen von 1980 bis 1988, 1991 und
2003. Diese Strategie gerät mit den abnehmenden Vorräten und der
wachsenden Nachfrage an Grenzen. Auch Saudi-Arabien kann die
Produktion nicht mehr nach Belieben steigern. Die Risiken steigen.
5. Die Party auf Kosten der Armen, der Natur und der Zukunft
Dass Klimawandel und Peak-Öl zusammenkommen, ist nicht
zwangsläufig, aber nicht zufällig, denn es hat viel mit der Einrichtung
der Welt zu tun. Der Reichtum der einen ist die Armut der anderen.
Hierin liegt eine zentrale Ursache für den alltäglichen Krieg gegen die
Natur und gegen die Zukunft.
Der Amerikaner ist der Archetyp des Overconsumers, der an Ressourcen täglich zwei Drittel seines Gewicht konsumiert: 18 Kilo Öl/
Kohle, 13 Kilo Materialien, 12 Kilo Agrarprodukte und 9 Kilo andere
Produkte. Diesen 52 Kilogramm stehen am anderen Ende der Skala
afrikanische und asiatische Staaten mit einem durchschnittlichen
Verbrauch von nur 1,5 Kilo pro Kopf gegenüber. Krasser kann die
18
Ungleichheit der Welt kaum beschrieben werden.
Ein Amerikaner verbraucht bei dieser Party pro Kopf so viel wie 34
Bangladeschis. Würde der Verbrauch umgedreht, lebten in den Vereinigten Staaten rund sieben Milliarden Bangladeschis. In Bangladesch wären es nicht mehr als fünf Millionen Amerikaner. In den
USA kommen auf 1000 Einwohner über 500 Fernseher, in den ärmsten Ländern Asiens, Lateinamerikas und Afrikas dagegen nur rund
zwanzig. In den Vereinigten Staaten entfallen auf 1000 Einwohnen
rund 4000 Flugreisen pro Jahr, in weiten Teilen Afrikas sind es nur
zwei.
Öl ist das Lebenselixier für den American way of life. Selbst die von
der OPEC verordneten Preissprünge, die in den siebziger Jahren
den Wohlstand der Überflussgesellschaften trafen und die Weltwirtschaft in einen Abwärtsstrudel nach unten rissen, bewirkten kein
Umdenken. Doch der Klimawandel und das Ende der Ölzeit können
zur Abenddämmerung für die galante Epoche des reichen Teils der
Menschheit werden.
Statt die Ursachen der Konflikte durch eine Einspar- und Solarwirtschaft zu entschärfen, setzt die Pax Americana auf die Absicherung
der Versorgungsinteressen, die nicht nur dem eigenen Wohlstand
dienen, sondern dem aller Oil-based-Economys. Das ist Teil des
strategischen Konzepts im Nato-Bündnis, das im April 1999 auf dem
Jubiläumsgipfel zum 50-jährigen Bestehen in Washington bestätigt
wurde. Den Industriestaaten geht es vornehmlich um die Durchsetzung ihrer wirtschaftspolitischen Interessen.
Schnelle Eingreiftrupps sollen die heutige Weltordnung absichern.
Ressourcen wie Gas, Öl, Uran, Diamanten und andere „strategische
Rohstoffe“, Lebensgüter wie Wasser oder die Sicherung der Luftund Seewege wurden zu sicherheitspolitisch bedeutsamen Gütern
deklariert. Diese militärisch gestützte Weltwirtschaftsordnung begann
bereits Mitte der 1970er Jahre, als im Pentagon die Idee durchgespielt wurde, sich der großen Ölfelder in der Golfregion direkt zu bemächtigen.
19
Als die Initiative „Alternativen zur Verletzbarkeit der Nation“, mit der
Jimmy Carter 1979 die amerikanischen Ölimporte um 40 Prozent bis
zum Jahr 1990 reduzieren wollte, am Widerstand der damals sieben
großen Ölkonzerne gescheitert war, unterschrieb der US-Präsident
die Regierungsverfügung zur Bildung der Sondereinsatztruppe „Rapid Deployment Force“ für die Golfregion. Bereits vor dem ersten
Golfkrieg wurde die Stoßrichtung der Aktivitäten klar: „Der Versuch
einer auswärtigen Macht, die Kontrolle des Persischen Golfes zu übernehmen, wird als Angriff auf die vitalen Interessen der USA betrachtet. Er wird mit allen Mitteln, einschließlich militärischer Gewalt,
zurückgewiesen.“
Der frühere amerikanische Verteidigungs- und Energieminister James Schlesinger warnte auf der 14. Weltenergiekonferenz im September 1989 in Montreal: „Welche Macht auch immer die Kontrolle
über die Energieressourcen in der Golfregion erringt, sie wird dadurch im großen Ausmaß auch die Entwicklung der Welt beherrschen.“ Und er fügte hinzu, dass ein Dritter Weltkrieg, sollte er kommen, „wahrscheinlich um die Energiequellen in der Golfregion geführt
werden würde“.
Auf dem 15. Kongress in Madrid 1992 ergänzte Schlesinger: „Das
amerikanische Volk hat aus dem Golfkrieg gelernt, dass es wesentlich leichter und wesentlich lustiger ist, den Leuten im Vorderen Orient in den Hintern zu treten, als Opfer zu bringen und die Abhängigkeit Amerikas in Hinblick auf das importierte Öl zu begrenzen.“ Und
er legte Wert auf die Feststellung: „Ich würde es niemals wagen, einen Ausdruck zu verwenden, wie eben von mir getan, wenn dieser
nicht auch auf höchster Regierungsebene so akzeptiert würde“.
Seit mehr als drei Jahrzehnten richteten westliche, russische und
chinesische Militärstrategen ihre Aufmerksamkeit darauf, wie sie den
Zugriff auf die großen Erdöl- und Ergasquellen auf Dauer sichern
könnten. Nicht nur in den OPEC-Staaten, auch in anderen Regionen,
insbesondere im kaspischen Raum und in Georgien wird um Einfluss
gekämpft: Es geht um Gas und Öl.
20
In den letzten Jahren stiegen die Länder des asiatischen Raums zum
größten Abnehmer der Energieellipse Persischer Golf - Kaukasus
auf. Zweifellos werden diese Staaten, so wie zuvor die USA am Golf
und Russland in Tschetschenien alles daran setzen, den Zugriff auf
die Vorkommen zu sichern. Der Kampf um Öl findet auch auf dem afrikanischen Kontinent statt. Dort gehören blutige Kämpfe zum Alltag,
wenn wichtige Ressourcen im Spiel sind, nicht nur in Nigeria, dem
größten Ölland Afrikas, wo die Machenschaften der dortigen Herrschaftselite mit großen Ölkonzernen wie Shell hinlänglich dokumentiert wurden. Auch in der Republik Kongo oder in Angola, dem viertgrößten Ölland Afrikas, in dem neue Quellen gefunden wurden, wetteifern französische und amerikanische Firmen um die Macht.
6. Der Wind dreht sich
In der amerikanischen Bevölkerung existiert durchaus ein waches
Bewusstsein über diesen Ressourcenimperialismus. Die Friedensbewegung skandierte „No, no, no, we won´t go, we won´t die for Texaco!“. Das traf einen Kern des Irakkonflikts. „Man wirft Amerika vor,
wegen Öl Krieg zu führen, das ist sogar ein guter Grund“, reagierte in
frappierender Offenheit der amerikanische Energiestratege John Murawiec. Von den vierzig Riesenölfeldern liegen sechsundzwanzig am
Persischen Golf. Amerika will die Hand am Ölhahn halten, um die
Produktivitätsdefizite der Wirtschaft auszugleichen, die Auslandsverschuldung nicht durch hohe Kosten für Energieimporte weiter belasten und militärische Macht in wirtschaftliche Macht zu verwandeln.
Mit der Wahl von Barak Obama dreht sich der Wind. Der neue USPräsident will den schnellen Ausbau der Solarwirtschaft. Er soll zu
einem strategischen Projekt der nationalen Politik werden. Und die
USA wollen beim Klimaschutz nicht länger abseits stehen. Dennoch
hat die Europäische Union in der Globalisierung größte Chancen,
wenn die ökologische Modernisierung zum Markenzeichen ihrer
Politik wird. Sie nimmt eine Vorreiterrolle in diesen Fragen ein, insbesondere Deutschland beim Klimaschutz.
21
Um weltweit den Ausstoß von Treibhausgasen zu senken, wurde
das Kyoto-Protokoll ausgehandelt. Die Voraussetzung dafür hatte
der Erdgipfel von Rio geschaffen. Anfangs sollte nur die Zusammenarbeit bei Forschung und künftigen Aktivitäten zum Schutz
des Klimas geregelt werden. Doch schon die erste Vertragsstaatenkonferenz in Berlin 1995 kam zu dem Schluss, dass verbindliche
Minderungsziele erarbeitet werden müssen. Zwei Jahre später
wurde nach einem Verhandlungsmarathon in der japanischen
Kaiserstadt Kyoto ein Vertragsentwurf angenommen, in dem verbindliche Pflichten bis zum Jahr 2012 vorgesehen waren.
Ausgangspunkt der Regelungen war der Clean-Air-Act der USA.
Danach mussten alle Industrien, die für den sauren Regen verantwortlich waren, ihre Emissionen drastisch reduzieren. Firmen, die
sich umweltverträglich verhalten, konnten vom Emissionshandel
profitieren. Die EU übernahm diesen Ansatz, um einen Markt für
kohlenstoffarme Technologien zu schaffen. Auch in der amerikanischen Privatwirtschaft setzen IBM, Motorola oder Ford dieses Instrument ein. Mit der Chicagoer Klimabörse entwickelt sich ein
Markt für Umwelt und Energie. Dennoch lehnte die Regierung
George W. Bush das Kyoto-Protokoll ab.
Nachdem Ende 2004 auch Russland den Vertrag ratifizierte, trat es
Anfang 2005 ohne USA und Australien in Kraft. Das Abkommen verlangt von einem Teil der Unterzeichnerstaaten die Einhaltung von
Obergrenzen für den Ausstoß von klimaschädlichen Gasen. Bisher
hat das Protokoll allerdings noch keine großen Minderungen bewirkt. Manche Staaten tun gar nichts für den Klimaschutz.
Derzeit werden die Anstrengungen für einen Folgevertrag nach
2012 verstärkt. Das wichtigste Datum dafür heißt 2009 Kopenhagen. Ob es zu einem Durchbruch kommt, ist von den Weichenstellungen des neuen US-Präsidenten Obama entscheidend abhängig.
Es gibt keine Alternative zu einem multilateralen Ansatz der Klimapolitik. Kyoto ist ein innovativer und völkerrechtlich verbindlicher, aber
leider noch schwacher Vertrag.
22
Bei Kyoto II müssen die Zielmarken erhöht, die Schwellenländer einbezogen, die Zahl der Akteure ausgeweitet, das Instrumentarium
erweitert, die Sanktionen verschärft und die Anreize verstärkt werden. Der Vertrag muss über die nächste Periode hinausweisen, um
die Zeit bis 2050 in den Blick zu nehmen.
Die UN-Klimarahmenkonvention lässt grundsätzlich mehrere Umsetzungsprotokolle zu. Es ist weder sinnvoll noch notwendig, die
internationale Klimapolitik auf ein primär ökonomisches Protokoll
zu reduzieren, so wichtig eindeutige Obergrenzen für den Ausstoß
der Treibhausgase sind. Um Widerstände zu überwinden und die
Schwellenländer ins Boot zu holen, sind ein Technologie- und
Waldprotokoll denkbar. Mit dem ersten lassen sich strategische Innovationen in enger internationaler Partnerschaft vereinbaren. Das
zweite trägt der Tatsache Rechnung, dass es biogene Pfade zu
mehr Klimaschutz gibt: Erhalt der Wälder, nachhaltige Nutzung der
Böden und Wiederaufforstung, Schutz der Meeressysteme.
Energiesicherheit ist Friedenspolitik. Der Klimawandel trifft die Achillesferse unseres Planeten, den Himalaya und die Anden, die Meeressysteme und die Flussmündungen, die Polregionen, die Ernährungswirtschaft und die Landnutzung. Der Vorwurf, die reichen Industriestaaten würden zu wenig die Interessen der Armen sehen, ist
durchaus berechtigt. Auch der nach wie vor beschämend geringe
Anteil, den die reichen Länder des Nordens für die Entwicklungszusammenarbeit leisten, ist kein Zeichen globaler Verantwortung.
Es gibt keine Alternative zu einer kooperativen Weltordnung im Sinne des Kant’schen Friedens. Die Hobbes’sche Welt der Stärke
kann die Probleme nicht lösen, zumal die NATO schon heute an
die Grenzen ihrer Kapazitäten gerät. Es geht um eine Weltinnenpolitik, die ein neues, ein ökologisches Bretton Woods möglich
macht. Es würde aus den Fehlern der Vergangenheit lernen und in
die Ökologie investieren. Auch der Plan von John Maynard Keynes
zielte damals darauf ab, mit Hilfe einer supranationalen Weltwährung, genannt Bancor, alle Überschuss- und Defizitländer dazu zu
23
bringen, Ungleichgewichte in ihren Zahlungsbilanzen abzubauen.
Zudem machte er den Vorschlag für eine International Trade Organisation (ITO), die eine internationale Zentralbank mit weit reichenden
Rechten für den Schutz von Unternehmen und für den Erhalt der natürlichen Ressourcen vorsah.
Unter dem Dach der Nachhaltigkeit liegt die Chance zur Neuordnung
der Weltwirtschaft und zur Sicherung des Friedens. Die Möglichkeit
ist da, wenn Europa seine Anstrengungen für eine nachhaltige Entwicklung verstärkt, für eine Weltinnenpolitik, die den sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Zielen Rechnung trägt. Das ist moderne Friedens- und Sicherheitspolitik.
24
Literatur:
•
Brandt, Willy; Vorstellung des Nord-Süd-Reports am 20. Dezember 1979; New York 1979
•
Brandt, Willy; Über Europa hinaus. Dritte Welt und Sozialistische Internationale; Bonn 2006
•
Conkin, Paul; Der New Deal – Die Entstehung des Wohlfahrtsstaates; in: Wolf-Dieter Narr / Claus
Offe (Hg.) Wohlfahrtsstaat und Massenloyalität; Köln 1975
•
Crouch, Colin; Postdemokratie; Frankfurt am Main 2008
•
Czempiel, Ernst-Otto; Die amerikanische Weltordnung; in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 48;
Berlin 2002
•
Elias, Norbert; Über den Prozess der Zivilisation; Frankfurt am Main 1981
•
Eppler, Erhard; Vom Gewaltmonopol zum Gewaltmarkt? - Die Privatisierung und Kommerzialisierung der Gewalt; Frankfurt am Main 2002
•
Gore, Al; Wege zum Gleichgewicht. Ein Marshallplan für die Erde; Frankfurt am Main 1992
•
Gore, Al, An inconventient truth, London 2006
•
Hauff, Volker; Unsere Gemeinsame Zukunft; Greven 1987
•
Hennicke, Peter / Michael Müller; Weltmacht Energie; Stuttgart 2005
•
Kagan, Robert; Macht und Ohnmacht; München 2004
•
Kant, Immanuel; Zum ewigen Frieden (Neuauflage); Berlin 1995
•
Kant, Immanuel; Kritik der reinen Vernunft; Frankfurt am Main 2001
•
Keynes; John Maynard; The End of Laissez Faire; Hamburg 2003
•
Kristol, William / Robert Kagan; Toward a Neo-Reaganite foreign policy; in: Foreign Affairs, Juli
1996; New York 1996
•
Müller, Michael / Peter Hennicke; Die Klimakatastrophe; Bonn 1990
•
Müller, Michael / Ursula Fuentes / Harald Kohl; Der UN-Weltklimareport; Köln 2007
•
Münkler, Herfried; Schwärende Wunden; in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 30. August 2001;
Frankfurt am Main 2001
•
Münkler, Herfried; Die neuen Kriege und ihre Akteure; in: Das Magazin 2/2002; Düsseldorf 2002
•
Pentagon; Defense Planning Guidance (Fiscal Years 1994 – 1999); zitiert nach New York Times
vom 08. März 1992; New York 1992
•
Petermann, Jürgen (Hrsg.); Sichere Energie im 21. Jahrhundert; Hamburg 2006
•
Preuß, Ulrich K.; Eher Nietzsche als Hobbes; in: Blätter für deutsche und internationale Politik
11/02; Köln 2002
•
Simonis, Ernst Udo; Schumpeter’sche Botschaft und Rio-Imperativ; in: Grünstift-Extra; Berlin 1997
•
Stern-Review; The Economics of Climate Change; [email protected]; Berlin 2006
•
Wurzbacher, Karin; Peak Oil. Auf dem Scheitelpunkt der Ölförderung; Münchner Stadtgespräche
40/41; München 2006
•
United Nations; World Commission Environment and Development; New York 1987
Herunterladen