Michael Müller Klima und Umweltveränderungen: Last Exit Nachhaltigkeit Gliederung 1. Weltinnenpolitik oder Verteilungskämpfe 2. Das Jahrhundert der Ökologie 3. Manche mögen es heiß 4. Kriege um das schwarze Gold 5. Die Party auf Kosten der Armen, der Natur und der Zukunft 6. Der Wind dreht sich Literatur 1. Weltinnenpolitik oder Verteilungskämpfe Der Schutz der Klimas und des Naturkapitals ist eine globale Herausforderung. Sie erfordert weltweit einen effizienten, innovativen und gerechten Umgang mit den knapper werdenden Rohstoffen. Diese Schlüsselfrage des 21. Jahrhunderts setzt einen grundlegenden Paradigmenwechsel voraus hin zu einem höheren Verantwortungsbewusstsein und einer Ökonomie des Vermeidens hoher Ressourcenverbräuche. Bisher war das Naturkapital das billige Schmiermittel für Beschäftigung und Wohlstand in den Industrieländern. In ihrer nachholenden Industrialisierung orientieren sich auch die Entwicklungs- und Schwellenländer an diesem Modell der Verschwendung, zumal die Preise nirgendwo die ökologische Wahrheit sagen. Jetzt werden die ökologischen Grenzen des Wachstums sichtbar. Unser Jahrhundert wird ein Jahrhundert der Ökologie werden, geprägt von der Überlastung der Natur und der Endlichkeit in 2 der Nutzung traditioneller Energie und Rohstoffe. Damit rücken die Konflikte um die natürliche Mitwelt ins Zentrum von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Die Aufgaben heißen: Klimaschutz, Ressourcenschonung sowie fairer Zugang zu den Rohstoffen. Sie erfordern in erster Linie Einsparen, eine Effizienzrevolution, eine ökologische Kreislaufwirtschaft und den schnellen Übergang in eine solare Zivilisation. Klimaschutz und Energieversorgung sind eng miteinander verbunden - nicht nur in der Innenpolitik, sondern in der schnell zusammenwachsenden Welt zunehmend auch in der Außen- und Sicherheitspolitik. Zwei unterschiedliche Pfade zeichnen sich deutlich ab: • Entweder werden die Sicherung der Energie- und Rohstoffversorgung aus den Krisengebieten der Erde zu einer Militärdoktrin und der Klimaschutz zu einer Form von Ökodiktatur, weil nach langer Zeit der Untätigkeit die notwendigen Reformen demokratisch nicht mehr durchsetzbar erscheinen. • Oder es kommt schnell zu einer zivilen Antwort, zu der neue Formen der internationalen Partnerschaft in Rohstofffragen ebenso gehören wie eine Effizienzrevolution und der schnelle Ausbau der erneuerbaren Energien. Das folgt der Leitidee der nachhaltigen Entwicklung. Last Exit Nachhaltigkeit. Die ökologischen Menschheitsherausforderungen brauchen eine Weltinnenpolitik, deren Grundlagen in wichtigen Handlungsfeldern lokal, regional und national geschaffen werden. Der Begriff der Weltinnenpolitik wurde zwar nicht von Carl Friedrich von Weizsäcker erfunden, aber entscheidend von ihm geprägt: „Der Weltfriede erfordert die allmähliche Verwandlung der bisherigen Außenpolitik in eine Weltinnenpolitik.“ Die Weltinnenpolitik ist eng mit der Nachhaltigkeit verbunden. Dahinter steht - zeitlich wie räumlich – ein Denken und Handeln „in langen Ketten“ (Norbert Elias). Sie fördert das Ethos, das 3 die zerbrechliche Welt dringend braucht. Diese Friedenspolitik für das 21. Jahrhundert hat zwei wichtige Ziele: 1. Die Befriedigung der Bedürfnisse heutiger Generationen in einer Weise, dass künftige Generationen dies auch angemessen tun können. Dieser zentrale Satz aus dem Brundtland-Bericht von 1987 begründet eine globale und generationsübergreifende Verantwortung; 2. die Festlegung gemeinsamer regulativer Prinzipien, die mehr Empathie im Umgang der Akteure miteinander ermöglichen und damit die sozialen und ökologischen Leitplanken für ein gleichgerichtetes und zielorientiertes Handeln setzen. Die Weltinnenpolitik verbindet politischen Pragmatismus mit politischem Idealismus. Sie schafft einen konkreten visionären Überhang für eine gute Zukunft der gesamten Menschheit. Das Schlüsselwort in den UN-Berichten heißt „gemeinsam“. Gemeinsame Sicherheit (Olof Palme), gemeinsames Überleben (Willy Brandt) und gemeinsame Zukunft (Gro Harlem Brundtland). Sie steht in der Tradition des europäischen Wertekanons, der den sozialen Interessenausgleich sucht. Zugleich ermöglicht die Weltinnenpolitik die Bewahrung von Vielfalt und Identität, die eine stabile und demokratische Kultur braucht. Sie setzt nicht allein und auch nicht vorrangig auf globale Institutionen, obwohl sie eine Stärkung der UN-Institutionen einbezieht und auf ein dichtes Netz internationaler Verträge hinarbeitet. In erster Linie stärkt sie dezentrale Strukturen, die in einem kooperativen und solidarischen Zusammenhang ein neues Verständnis von Handeln und Gestalten möglich machen. Realitätsfern ist dagegen die Vorstellung, dass es einfach so weitergehen kann wie bisher. In einer ungleichen Welt des Marktradikalismus drohen Niedergang, Gewalt und Verteilungskämpfe. Nur durch eine grundlegende sozialökologische Modernisierung von Wirtschaft und Gesellschaft – national, europäisch und internatio- 4 nal - kann die Tendenz der Dezivilisierung (Eric Dunning) gebändigt werden, die der modernen Zivilisation inne wohnt und mit der Globalisierung in alten und neuen Formen hervortritt. Sie entspringt der immanenten Ambivalenz der Moderne zwischen Fortschritt und Niedergang, die deshalb eine politische Rahmensetzung notwendig macht. Dieser Einsicht entspricht auch die kritische Bewertung der Weltwirtschaftskrise, die der britische Economist 1930 gezogen hat: „Das größte Problem liegt darin, dass die Erfolge auf der ökonomischen Ebene die Erfolge auf politischer Ebene dermaßen übertreffen, dass Wirtschaft und Politik nicht miteinander Schritt halten. Ökonomisch ist die Welt eine umfassende Handlungseinheit, politisch ist sie zerstückelt geblieben. Die Spannung zwischen dieser gegensätzlichen Entwicklung löst reihenweise Erschütterungen aus“. Die politischen Antwort, die US-Präsident Franklin Delano Roosevelt auf die große Depression gab, hießen 1933 der New Deal zur Durchsetzung des Wohlfahrtsstaates und 1944 der Vertrag von Bretton Woods für eine stabile Weltwirtschaftsordnung. Diese Projekte hatten die Ziele, die Wirtschaft sozial zu disziplinieren sowie Protektionismus und spekulative Geldgeschäfte zu begrenzen. Beide Initiativen haben die westlichen Industriestaaten bis in die siebziger Jahre geprägt. Heute mündet alles - auch unter dem Eindruck der Finanzkrise - in der zentralen Frage: Ist unsere Zivilisation in der Lage sich grundlegend zu reformieren, bevor die absehbare Katastrophe völlig eintritt? Gerade beim globalen Klimawandel darf nicht dann erst gehandelt werden, wenn die Folgen in aller Härte zu spüren sind, wie das bisher üblich ist. Der Klimawandel hat nicht nur eine globale Dimension, sondern auch einen zeitlichen Vorlauf von vier bis fünf Jahrzehnten. Und er wird dann lange Zeit nicht mehr zu verändern sein. Heute spüren wir erst die Folgen der Treibhausgaskonzentration von Ende der sechziger Jahre, die in der unteren Atmosphäre angereichert ist und den Klimawandel verursacht hat. 5 Eine Weltinnenpolitik orientiert sich auf allen Ebenen an einer nachhaltigen Entwicklung, die den unterschiedlichsten Akteuren einen normativen Rahmen setzt und sie miteinander vernetzt. Dann werden soziale und ökologische Reformen ebenso möglich wie eine Stärkung der Demokratie. Doch offenkundig ist die Tragweite der Herausforderung bisher nicht hinreichend erkannt. Colin Crouch sieht die Ursache für die Gestaltungsschwäche der Politik in einer Entleerung demokratischer Vielfalt und Vitalität. In allen westlichen Ländern breitet sich die „Postdemokratie“ aus. Im „Zeitalter der globalen Unternehmen“ registriert er ein kurzfristiges ökonomisches Einheitsdenken und damit den Verfall der demokratischen Handlungs- und Gestaltungsfähigkeit. In der Folge wird die Legitimation der Politik von der Bevölkerung in Zweifel gezogen. Eine Weltinnenpolitik muss von daher die Modernisierung des politischen und demokratischen Systems unabdingbar einbeziehen. Im globalen Zeitalter heißt die Alternative, die sich deutlich vor uns aufbaut, Nachhaltigkeit oder Gewalt. Die Konflikte aus der Überlastung der natürlichen Mitwelt, deren schlimme Folgen wir bald nicht mehr vermeiden können, drehen sich um das Wetter, Wasser, Rohstoffe und Ernährung. Folgerichtig ist längst nicht mehr von Vermeiden der Gefahren, sondern immer häufiger von Anpassung die Rede. 2. Das Jahrhundert der Ökologie Wenn nicht schnell gehandelt wird, drohen Klimawandel und Verteilungskonflikte um knappe Energie und Rohstoffe zur bedeutendsten Quelle politischer, sozialer und ökonomischer Konflikte zu werden. Doch die USA und Russland streiten sich weit mehr um die Stationierung neuer Raketen, die Washington in Mitteleuropa gegen „die islamische Gefahr“ stationieren will, als über die Bewältigung der großen ökologischen und sozialen Herausforderungen. Der Klimawandel, die Rohstoffverknappung und die nachholende 6 Industrialisierung der „überbevölkerten, verschmutzten und ungleichen Welt“ (Brundtland-Bericht) sind allerdings mit den traditionellen, nationalstaatlichen Wachstumskonzepten nicht zu bewältigen. Sie erfordern ein neues Denken. Denn: • Mit dem Klimawandel tut sich eine Naturschranke auf, bei deren Überschreiten viele Gesellschaften kollabieren werden. Schon heute ist eine Erwärmung um 1,5 Grad Celsius nicht mehr zu verhindern, im Trend wird bis Ende unseres Jahrhunderts mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Temperaturanstieg von rund 3 Grad Celsius erwartet. Nach neuen Untersuchungen der Klimaforschung nimmt mit über 3,5 Prozent pro Jahr der Anstieg der schädlichen Kohlendioxid-Emissionen (CO2) stärker zu, als dies im 4. Sachstandsbericht des Weltklimarates (IPCC) von 2007 prognostiziert wurde. Ohne eine Trendwende ist schon in rund 25 Jahre eine Erwärmung um 2 Grad Celsius nicht mehr zu verhindern. Sie würde in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts eintreten und hätte katastrophale Folgen: - Für Afrika, wo bereits 230 Millionen Menschen an Hunger und Unterernährung leiden, droht eine Halbierung der Ernteerträge. Das würde den Migrationsdruck gewaltig erhöhen. Schon heute stellen Umweltflüchtlinge weltweit den höchsten Anteil an den globalen Wanderungsbewegungen. - In Lateinamerika werden rund zwei Drittel der Gletscher in den Anden weg schmelzen, von denen heute fast 100 Millionen Menschen in der Energie- und Wasserversorgung abhängig sind. Allein in den letzten 17 Jahren haben die Anden 23 Prozent ihrer Gletschermasse verloren. - In Asien sind rund 40 Prozent der 635 Millionen Menschen, die in Flussdeltas oder niedrigen Küstenregionen leben, durch Hochwasser, Hurrikans und steigenden Meeresspiegel existenziell gefährdet. Der Himalaya speichert bisher rund 15 Prozent der globalen Eismassen. Daraus speisen sich große 7 asiatische Flüsse. Im Extremfall kann der Meeresspiegel bis Ende des Jahrhunderts um 90 cm ansteigen. • Die Zeit billiger Energie und Rohstoffe ist vorbei. Wir können nicht länger auf Kosten der Natur konsumieren und wirtschaften. Erhebungen von UNO, OECD und Internationaler Energieagentur prognostizieren eine zunehmende Knappheit der natürlichen Ressourcen - nicht nur von Öl und Gas, sondern auch wichtiger mineralischer Rohstoffe, die oftmals eine strategische Bedeutung für die Industrie haben. Die Folgen werden schon bald deutlich höhere Preise und problematische Engpässe sein. Von daher sind Attacken auf die Erdölförderung eine wirksame Waffe nicht nur gegen die USA, sondern gegen alle Industrie- und selbst gegen die Schwellenländer. Die Angst vor Knappheit treibt den Ölpreis hoch, denn kurzfristig kann die Förderung kaum noch gesteigert werden. Das eröffnet Spekulanten wie Terroristen einzigartige Möglichkeiten, die Industriestaaten an einer empfindlichen Stelle zu treffen. Die Rohstoffversorgung, speziell der Ölpreis, an dem auch der Gaspreis gekoppelt ist, wurde zur Achillesferse der industriellen Welt. Allein in den zwölf Monaten nach dem Irakkrieg gab es rund 150 Überfälle auf Ölanlagen und Pipelines, die Schäden werden auf über eine Milliarde Dollar geschätzt. Das Öldorado ist voller Risiken. Der Kalte Krieg verdeckte lange Zeit die zentrale Bedeutung billiger Ressourcen, vor allem fossiler Brennstoffe, für die Absicherung des Wohlstands der Industriestaaten. An dem „Ressourcenimperialismus“ (Michael T. Klare) lässt sich beispielhaft der Zustand unserer Welt und die absehbaren Konflikte der Zukunft beschreiben. Schon bald werden PeakWasser, Peak-Öl und Peak-Ernährung erreicht, also der Höhepunkt in der Bereitstellung wichtigster Ressourcen für ein menschenwürdiges Leben. Mit der Knappheit drohen Vertei- 8 lungskonflikte, aus denen Ressourcenkriege werden können. Wasser wird zur Waffe, der Zugang zu Gas und Öl zum zentralen Sicherheitsinteresse, Rohstoffabhängigkeit zu einem brisanten Erpressungspotenzial. Auch Lebensmittel werden in weiten Teilen der Erde knapp und teuer. In den letzten 12 Monaten stieg der Lebensmittelindex der FAO bis zu 60 Prozent an. Auf dem Höhepunkt der Verteuerung war der eine US-Dollar, der als äußerste Armutsschwelle gilt, nur noch 70 Cent wert. Der Preis wird sich durch Nutzungskonflikte zwischen Biodiversität, Energie und Nahrungsproduktion, aber auch durch den Klimawandel weiter erhöhen. Folge: In 40 Staaten fanden bereits Hungerrevolten statt. • Die nachholende Industrialisierung bevölkerungsreicher Länder beschleunigt Klimawandel, Ressourcenknappheit und Ernährungskrise. Zum Beispiel: Obwohl ein Chinese nur 3,66 Tonnen des wichtigsten Treibhausgases Kohlendioxid emittiert, wogegen ein US-Bürger auf 19,74 Tonnen kommt, ist das Land bereits der größte CO2-Emittent der Welt. Aus der Quantität wird eine neue Qualität der Naturzerstörung. Derzeit kommt im Land der Mitte jedes Jahr eine Stromerzeugungskapazität hinzu, die nahezu der entspricht, die in unserem Land installiert ist. China muss bis Mitte des Jahrhunderts den Ausstoß halbieren, damit das globale Klima geschützt wird. Ähnlich sieht es bei Wasser und Mobilität aus. Die Schwellen- und Entwicklungsländer sehen jedoch solange keinen Grund für eine Kurskorrektur, solange die heutigen Industriestaaten mit der ökologischen Modernisierung nicht wirklich beginnen. 3. Manche mögen es heiß Zuerst zu den Sicherheitsrisiken des Klimawandels. Seit den vier Ta- 9 gungen des Weltklimarates im Jahr 2007 sind die Gefahren des anthropogenen Treibhauseffektes ins Zentrum der öffentlichen Debatte gerückt. Der Wissenschaftliche Beirat für Globale Umweltfragen der Bundesregierung (WBGU) legte das Gutachten „Sicherheitsrisiko Klimawandel“ vor. Es hat eine ähnlich hohe Bedeutung wie der Stern-Report der britischen Regierung, der die ökonomischen Folgen der vom Menschen verursachten Erwärmung errechnet hat. Der WBGU-Report stellt die geostrategischen Risiken des globalen Klimawandels dar. Die zentrale Botschaft lautet: Ohne ein schnelles und entschiedenes Gegensteuern werden die klimatischen Veränderungen bereits in den kommenden Jahrzehnten die Anpassungsfähigkeit vieler Gesellschaften weit übersteigen. Daraus erwachsen Gewalt und Destabilisierung, die die nationale und internationale Sicherheit in einem bisher unbekannten Ausmaß bedrohen. Um diese Konflikte zu vermeiden, muss sofort mit einer ambitionierten Klimapolitik begonnen werden und bis Mitte des Jahrhunderts den weltweiten Ausstoß der Treibhausgase gegenüber 1990 halbieren. Abbildung: Konfliktkonstellationen in ausgewählten Brennpunkten (Quelle WBGU/2007) Der Klimawandel wird die Spaltung zwischen Nord und Süd vertiefen und die nationale und internationale Sicherheit vor neue Her- 10 ausforderungen stellen. Wasserknappheiten, Dürren oder Bodendegradation werden verschärft, neuartige Umweltkonflikte kommen hinzu. Dazu zählen Flut- und Hochwasserkatastrophen durch den steigenden Meeresspiegel, häufig schwere Hurrikane durch die Erwärmung der ozeanischen Deckschichten und aufsteigende Feuchte sowie eine Versauerung der Meere mit weit reichenden Folgen für die Meeresbiologie. Künftig können großskalige Änderungen im Erdsystem auftreten, wie das Austrocknen des Amazonasgebietes oder das Ausbleiben des asiatischen Monsuns – mit unkalkulierbaren Auswirkungen. Der Bericht des WBGU identifiziert unterschiedliche „klimainduzierte Konfliktkonstellationen“: Degradation von Süßwasserressourcen, Rückgang der Nahrungsmittelproduktion, Zunahme von Sturm- und Flutkatastrophen sowie umweltbedingte Migration. Die Folgen des Klimawandels treffen alle, wenn auch in unterschiedlichen Zeitspannen und mit unterschiedlicher Intensität, wobei es regionale Schwerpunkte geben wird, bei denen schwache und fragile Staaten besonders betroffen sind. Die sektoralen und regionalen Risiken eines globalen Temperaturanstiegs haben die Militär- und Geostrategen, auch die Braintrusts großer Firmen längst entdeckt: Wasserknappheit, Flussumleitungen, Migration oder Verteilungskämpfe um Rohstoffe. Und indirekt ausgelöste Gefahren, beispielsweise der Abbau von Bürgerrechten zur Abwehr von Umweltflüchtlingen oder die Verbreitung der Atomkraft in politisch instabilen Ländern, die eine Nutzung mit einem Verweis auf den Klimaschutz begründen. Davor warnte der Weltklimarat, aber bisher ohne durchschlagenden Erfolg. Länder der Dritten Welt denken über eine verstärkte Nutzung der Atomkraft nach. Und das möglichst zu günstigen Preisen, nicht einmal orientiert am höchsten technischen Standard. Einige Regime wollen die Atomkraft, um an nukleares Know how zu kommen, denn es gibt keine feste Grenzziehung zwischen der zivilen und militärischen Nutzung. In der Folge würden sich die Proliferationskonflikte, 11 die heute mit dem Iran und Nordkorea existieren, vervielfältigen. Auf jeden Fall vergrößert sich die Gefahr von Mini-Nukes und terroristischer Anschlägen. Zudem ist nirgendwo auf der Erde die Entsorgung des Atommülls geklärt, eine über viele tausend Jahre strahlende Hinterlassenschaft für eine kurze technologische Episode. Bei einem massiven Ausbau der Atomkraft würde sich schon bald die Knappheit von Uran zeigen. Bei einer Vervierfachung der heutigen Atomkapazitäten, die angesichts des Energiewachstums, das mit der heutigen Versorgungswirtschaft verbunden ist, aber dennoch nur einen geringen Beitrag zum Klimaschutz leisten würden, wären nach den Angaben im Red Book der OECD die Reserven in wenigen Jahrzehnten erschöpft. Es sei denn, der Weg führe in die Plutoniumwirtschaft mit Schnellbrutreaktoren und Wiederaufbereitung, die die Sicherheitsrisiken potenzieren würde. Andererseits kann gerade die Klimagefahr die Staatengemeinschaft in den nächsten beiden Jahrzehnten zu einer gemeinsamen Energie-, Klima- und Umweltpolitik zusammenführen. Der WBGU schlägt für diese Chance neun Initiativen vor: 1. Mitgestaltung des weltpolitischen Wandels, vor allem durch eine konstruktive Partizipation mit den aufstrebenden Führungsmächten wie China und Indien. Ebenso mit Brasilien, Argentinien und Mexiko sowie Südafrika; 2. Reform der Vereinten Nationen, bei der die Rechte des Sicherheitsrates ausgeweitet, die UNEP aufgewertet und die entwicklungspolitischen Kapazitäten der UNO gestärkt werden; 3. Weiterentwicklung der internationalen Klimapolitik gemäß der 2-Grad Leitplanke; 4. Fortentwicklung einer Vorreiterrolle der EU-Staaten in der Klima- und Energiepolitik; 5. partnerschaftliche Strukturen bei der Entwicklung von Vermeidungsstrategien, insbesondere durch eine Technologie- 12 partnerschaft mit den Entwicklungsländern; 6. Unterstützung von Anpassungsstrategien an den Klimawandel in der Dritten Welt; 7. Stabilisierung von schwachen, fragilen Staaten, die vorrangig vom Klimawandel betroffen werden; 8. kooperative Steuerung der zu erwartenden Migration durch eine Weiterentwicklung des internationalen Rechts; 9. Auf- und Ausbau eines globalen Informations- und Frühwarnsystems. Kriege um das schwarze Gold Das zweite große Sicherheitsrisiko ist die zunehmende Knappheit der Rohstoffe. Diese Gefahr ist nicht neu, aber sie spitzt sich mit der nachholenden Industrialisierung und dem hohen Bevölkerungswachstum zu. Heute werden Kriege um Öl geführt, früher wurden Kriege mit Öl gewonnen. „Erdöl ist so notwendig wie Blut in den kommenden Schlachten. … Es geht um die Sicherheit der alliierten Völker“, schrieb der französische Ministerpräsident Georges Benjamin Clemenceau 1917 in einer Note an US-Präsident Thomas Woodrow Wilson. Als der erste Weltkrieg vorbei war, stellte der britische Außenminister Lord Curzon im November 1918 fest: „Die Alliierten wurden auf einer Erdölwelle zum Sieg getragen“. Schon 1919 stand für die französische Regierung fest: „Derjenige, der das Erdöl besitzt, wird die Welt besitzen.“ Dieselbe Auffassung vertrat auch Winston Churchill, damals der erste Lord der britischen Admiralität: „Der Endzweck unserer Politik ist der, dass die Admiralität unabhängiger Eigentümer und Erzeuger der von ihr benötigten Vorräte an flüssigen Heizmaterial werde. Erstens müssen wir im Lande selbst eine Ölreserve schaffen, die genügend groß ist, um uns für Kriegszeiten zu sichern und in Friedenszeiten Preisschwankungen auszuschalten; zweitens müssen wir die Befugnisse erlangen, Rohöl einkaufen zu können, wenn es billig auf den Markt kommt; die 13 dritte Seite dieser Politik ist die, dass wir zumindest bezüglich eines Teils des Rohöls, das wir benötigen, Eigentumsrechte, jedenfalls aber Kontrolle an der Quelle selbst erlangen“. Amerika verfügte wie kein anderes Land über Erfahrungen mit der Erschließung, Gewinnung und Verarbeitung von Öl. Zusammen mit der Kolonialmacht Großbritannien gelang es den USA in den dreißiger Jahren, eine anglo-amerikanische Vorherrschaft in der Golfregion zu etablieren. Sie verfestigte die dualistische Struktur der Weltökonomie zwischen Nord und Süd, zwischen Industriestaaten und Entwicklungsländern. Im Zweiten Weltkrieg spielte Öl eine entscheidende Rolle in den strategischen Überlegungen der Kriegsparteien. Im Hitlerfaschismus waren die Spitzen der deutschen Energiewirtschaft eng in die Kriegsführung eingebunden. Schon bei der Vorbereitung des Zweiten Weltkriegs war sie damit befasst, Pläne für die Eroberung und zum Transport von Energie auszuarbeiten. Sie plante neben der Sicherung des rumänischen Öls auch die Eroberung der russischen Ölfelder am Kaspischen Meer und einen Vorstoß in den Irak und Iran. In den fünfziger Jahren begann das eigentliche Ölzeitalter. Mit dem Einsetzen der Massenproduktion und des Autobooms stieg Öl zur Weltmacht auf, dominiert von westlichen Konzernen. Die als Gegenstrategie zu der Macht der Industriestaaten gedachten Absprachen der Organisation Erdöl produzierender Länder (OPEC) über die Fördermenge und den Preis von Rohöl in den siebziger Jahren, bekannt als „Ölkrisen“, um die Interessen der Ölstaaten stärker zur Geltung zu bringen, hielten nur kurze Zeit. In den achtziger Jahren wurde das Dual-System erneut rekonstruiert, damit weiterhin billiges Öl auf den Weltmarkt kommen konnte. Rund 1,3 Milliarden Menschen nutzten bis vor wenigen Jahren über 70 Prozent der kommerziellen Energie. Jetzt verschiebt sich das Bild. Große und bevölkerungsreiche Länder holen die Industrialisierung mit rasanter Geschwindigkeit nach und brauchen massenhaft Energie und Rohstoffe. China ist bereits zum zweitgrößten Ölverbraucher- 14 land der Welt aufgestiegen, die Steigerung übertraf alle Prognosen. Die Lunte ist gelegt, eine Explosion kann die ganze Weltwirtschaft nach unten ziehen. Für 2010 wird eine Nachfrage von 11 Millionen Barrel pro Tag erwartet. Trotz der gewaltigen Förderung bleiben große Unterschiede bestehen, denn bis heute haben fast zwei Milliarden Menschen keinen Zugang zu einer gesicherten Energieversorgung. Das System gerät immer deutlicher an Grenzen. Seine Nutznießer versuchen umso mehr, ihre Privilegien mit allen Mitteln zu verteidigen. Ressourcen wie Öl und Erdgas, Mineralien und Metalle, Edelsteine, Bau- und Edelholz sowie Agrarerzeugnisse spielten in den neunziger Jahren in rund einem Viertel aller bewaffneten Konflikte eine wichtige Rolle, so zum Beispiel in Kolumbien, Angola, Kongo, Nigeria, Sudan und Indonesien. Bei den Kriegen in den Ölregionen ging es um die Kontrolle über die Vorräte. Seit 1990 gaben die USA rund 500 Milliarden Dollar für ihre Truppenpräsenz zur Sicherung ihrer Energieinteressen aus. Erdöl, das sind für John Rockefeller, seiner Zeit der größte Ölmagnat der Welt, die „Tränen des Teufels“. Das Pokern um die Reserven hat begonnen. Ein Paradigmenwechsel von der Verschwendungs- und Ausbeutungswirtschaft zur effizienten und solaren Energieversorgung ist nicht in Sicht, global schon gar nicht. Er wäre auch eine gewaltige Kraftanstrengung, die wichtige Akteure, allen voran die USA, vermeiden wollen. Sie suchen nach technischen Lösungen, ohne das System umzubauen. Das explosive Wachstum des Energie- und Rohstoffverbrauchs ist ein Kontinuum der industriellen Welt und eine treibende Kraft der Globalisierung. Und der Sektor selbst ist ein starkes Bollwerk bei der Verteidigung der Verschwendungswirtschaft: Die Hälfte der hundert größten Global Players kommt aus diesem Sektor. So vergrößern sich in allen Bereichen die Gefahren: • die Abhängigkeit von hohen Importen und aus der ungleichen Verteilung und den steigenden Kosten der begrenzten Energiestoffe; 15 • absehbare Verteilungskämpfe und mögliche Kriege um knapper werdende Rohstoffe; • die Überlastung der Natur, deren Hauptverursacher die fossilen Brennstoffe Kohle, Gas und Öl sind; • Super-Unfälle nicht nur bei der Nutzung der Atomkraft, sondern auch bei der Ölverschiffung auf den Seewegen. Das 20. Jahrhundert war das Jahrhundert des schwarzen Goldes. Zuletzt wurde auf den Weltmeeren mehr Öl transportiert als Eisenerz, Getreide und Kohle zusammen, die nächsten drei wichtigen Güter im internationalen Handel. Autos, Kunststoffe und Chemiefasern sind so preiswert und bequem, so vielfältig und allgegenwärtig, weil es den Rohstoff Öl gibt. Das begehrte Gut prägte die Zivilisation und ermöglichte die Überflussgesellschaften. Öl verfestigt Ungleichheit und Abhängigkeit und verursacht große Umweltschäden. Daran wird sich vorerst nichts ändern. Bei den ersten Kriegen im 21. Jahrhundert – Afghanistan und Irak – ging es nicht zuletzt um Öl. Noch ehe ein Schuss gefallen war, rangelten sich schon russische, französische und amerikanische Firmen um die Neuaufteilung des Ölgeschäfts mit dem Irak. Auch mit dem Ziel, die Macht des OPEC-Kartells endgültig zu brechen. Die Jahresförderung von Öl beträgt aktuell etwa 3,6 Milliarden Tonnen, die geschätzten Reserven liegen bei rund 180 Milliarden Tonnen. Rohöl wird noch mehrere Jahrzehnte sprudeln. Allerdings wird bereits jedes Jahr mehr Öl verbraucht, als neu entdeckt wird. Derzeit übertreffen die bekannten, wirtschaftlich nutzbaren Reserven die Jahresförderung wahrscheinlich um das Vierzigfache, bei Erdgas um das Sechzigfache. Die Vorkommen für flüssiges Erdöl sind – bei gleich bleibendem Verbrauch – wahrscheinlich in weniger als fünf Jahrzehnten erschöpft. Ölsände und Ölschiefer haben höhere Förderkosten und sind ebenfalls begrenzt. Die Erdgasvorkommen reichen kaum länger als Öl. Durch die Leitungsgebundenheit haben sie eine geringere Flexibilität in der Bereitstellung. Bei den Uranreserven sieht es nicht besser aus: Sollten die 16 nuklearen Ausbaupläne Wirklichkeit werden, die von Lobbygruppen propagiert werden, sind in rund fünfzig Jahren die Uranreserven erschöpft. Dann bliebe nur der Weg in die hochriskante Plutoniumwirtschaft. Die Ölförderung wird wahrscheinlich schon in 20 Jahren deutlich zurückgehen. Die Ausbeutung in wichtigen Förderländern wie SaudiArabien erreicht bereits einen Peak, zumal der Druck in den Ölfeldern kaum noch gesteigert werden kann. In den letzten 30 Jahren ging der Anteil von Erdöl zwar zugunsten von Erdgas und Atomenergie von rund 45 Prozent auf knapp 35 Prozent zurück. In jüngster Zeit stieg er jedoch wieder an. Er soll im Jahr 2020, wenn der Energieverbrauch wahrscheinlich um 50 Prozent über dem heutigen Niveau liegen wird, rund 40 Prozent erreichen. Hinzu kommen große politische Risiken, denn die meisten Erdölvorkommen liegen in instabilen Ländern, 60 Prozent am Persischen Golf. Die deutsche Abhängigkeit vom arabischen Öl ist vergleichsweise gering, denn von den 54 Millionen Tonnen Rohöl, die im ersten Halbjahr 2005 importiert wurden, stammten zwei Drittel aus Russland (33,5 Prozent), Norwegen (22,5 Prozent) und Großbritannien (11,1 Prozent). Rund ein Drittel kommt aus der Nordsee, wo in etwa einem Jahrzehnt viele Quellen erschöpft sein werden. Eine Energiewende ist dringend notwendig. Doch nach wie vor sind wirtschaftliches Wachstum und Energieverbrauch eng miteinander verkoppelt. Dehnt sich die Weltwirtschaft um drei Prozent aus, wird nach den Erfahrungen der beiden letzten Jahrzehnte der Energieverbrauch um zwei Prozent steigen. Dadurch wird die Importabhängigkeit bis zum Jahr 2020 weiter zunehmen: in Asien von 61 auf 74 Prozent, in Europa von 56 auf 61 Prozent und in Nordamerika von 39 auf 62 Prozent. Im asiatischen Raum wächst die Nachfrage nach dem Schwarzen Gold schneller als im Rest der Welt. Wie Japan müssen auch Korea und Taiwan Öl und Gas fast ausschließlich importieren. Indonesien und Malaysia werden in wenigen Jahren in dieselbe Abhängigkeit ge- 17 raten. Sie beziehen schon mehr als 90 Prozent ihres Öls aus der Golfregion. Drei Viertel der bekannten Ölvorkommen lagern in nur sieben Ländern, fünf davon am Persischen Golf. Angeführt wird die Liste von Saudi-Arabien mit 262 Milliarden Barrel. Es folgt der Irak mit mindestens 113 Milliarden Barrel, wahrscheinlich aber mehr. Danach kommen die Vereinigten Arabischen Emirate mit 98 Milliarden Barrel, Kuwait mit 97 Milliarden und der Iran mit rund 90 Milliarden. Es folgen Venezuela mit 78 Milliarden und Russland, wo die weitaus größten Erdgasreserven liegen, mit 48 Milliarden Barrel Rohöl. In den letzten vier Jahrzehnten wirtschafteten die USA als größter Ölverbraucher und Saudi-Arabien als größter Ölproduzent Hand in Hand. In Krisenzeiten drehte Saudi-Arabien, das durch seine gewaltigen Reserven am schnellsten auf Preisschwankungen reagieren kann, den Ölhahn auf, um eine Versorgungskrise abzuwenden. So geschehen in den drei Golfkriegen von 1980 bis 1988, 1991 und 2003. Diese Strategie gerät mit den abnehmenden Vorräten und der wachsenden Nachfrage an Grenzen. Auch Saudi-Arabien kann die Produktion nicht mehr nach Belieben steigern. Die Risiken steigen. 5. Die Party auf Kosten der Armen, der Natur und der Zukunft Dass Klimawandel und Peak-Öl zusammenkommen, ist nicht zwangsläufig, aber nicht zufällig, denn es hat viel mit der Einrichtung der Welt zu tun. Der Reichtum der einen ist die Armut der anderen. Hierin liegt eine zentrale Ursache für den alltäglichen Krieg gegen die Natur und gegen die Zukunft. Der Amerikaner ist der Archetyp des Overconsumers, der an Ressourcen täglich zwei Drittel seines Gewicht konsumiert: 18 Kilo Öl/ Kohle, 13 Kilo Materialien, 12 Kilo Agrarprodukte und 9 Kilo andere Produkte. Diesen 52 Kilogramm stehen am anderen Ende der Skala afrikanische und asiatische Staaten mit einem durchschnittlichen Verbrauch von nur 1,5 Kilo pro Kopf gegenüber. Krasser kann die 18 Ungleichheit der Welt kaum beschrieben werden. Ein Amerikaner verbraucht bei dieser Party pro Kopf so viel wie 34 Bangladeschis. Würde der Verbrauch umgedreht, lebten in den Vereinigten Staaten rund sieben Milliarden Bangladeschis. In Bangladesch wären es nicht mehr als fünf Millionen Amerikaner. In den USA kommen auf 1000 Einwohner über 500 Fernseher, in den ärmsten Ländern Asiens, Lateinamerikas und Afrikas dagegen nur rund zwanzig. In den Vereinigten Staaten entfallen auf 1000 Einwohnen rund 4000 Flugreisen pro Jahr, in weiten Teilen Afrikas sind es nur zwei. Öl ist das Lebenselixier für den American way of life. Selbst die von der OPEC verordneten Preissprünge, die in den siebziger Jahren den Wohlstand der Überflussgesellschaften trafen und die Weltwirtschaft in einen Abwärtsstrudel nach unten rissen, bewirkten kein Umdenken. Doch der Klimawandel und das Ende der Ölzeit können zur Abenddämmerung für die galante Epoche des reichen Teils der Menschheit werden. Statt die Ursachen der Konflikte durch eine Einspar- und Solarwirtschaft zu entschärfen, setzt die Pax Americana auf die Absicherung der Versorgungsinteressen, die nicht nur dem eigenen Wohlstand dienen, sondern dem aller Oil-based-Economys. Das ist Teil des strategischen Konzepts im Nato-Bündnis, das im April 1999 auf dem Jubiläumsgipfel zum 50-jährigen Bestehen in Washington bestätigt wurde. Den Industriestaaten geht es vornehmlich um die Durchsetzung ihrer wirtschaftspolitischen Interessen. Schnelle Eingreiftrupps sollen die heutige Weltordnung absichern. Ressourcen wie Gas, Öl, Uran, Diamanten und andere „strategische Rohstoffe“, Lebensgüter wie Wasser oder die Sicherung der Luftund Seewege wurden zu sicherheitspolitisch bedeutsamen Gütern deklariert. Diese militärisch gestützte Weltwirtschaftsordnung begann bereits Mitte der 1970er Jahre, als im Pentagon die Idee durchgespielt wurde, sich der großen Ölfelder in der Golfregion direkt zu bemächtigen. 19 Als die Initiative „Alternativen zur Verletzbarkeit der Nation“, mit der Jimmy Carter 1979 die amerikanischen Ölimporte um 40 Prozent bis zum Jahr 1990 reduzieren wollte, am Widerstand der damals sieben großen Ölkonzerne gescheitert war, unterschrieb der US-Präsident die Regierungsverfügung zur Bildung der Sondereinsatztruppe „Rapid Deployment Force“ für die Golfregion. Bereits vor dem ersten Golfkrieg wurde die Stoßrichtung der Aktivitäten klar: „Der Versuch einer auswärtigen Macht, die Kontrolle des Persischen Golfes zu übernehmen, wird als Angriff auf die vitalen Interessen der USA betrachtet. Er wird mit allen Mitteln, einschließlich militärischer Gewalt, zurückgewiesen.“ Der frühere amerikanische Verteidigungs- und Energieminister James Schlesinger warnte auf der 14. Weltenergiekonferenz im September 1989 in Montreal: „Welche Macht auch immer die Kontrolle über die Energieressourcen in der Golfregion erringt, sie wird dadurch im großen Ausmaß auch die Entwicklung der Welt beherrschen.“ Und er fügte hinzu, dass ein Dritter Weltkrieg, sollte er kommen, „wahrscheinlich um die Energiequellen in der Golfregion geführt werden würde“. Auf dem 15. Kongress in Madrid 1992 ergänzte Schlesinger: „Das amerikanische Volk hat aus dem Golfkrieg gelernt, dass es wesentlich leichter und wesentlich lustiger ist, den Leuten im Vorderen Orient in den Hintern zu treten, als Opfer zu bringen und die Abhängigkeit Amerikas in Hinblick auf das importierte Öl zu begrenzen.“ Und er legte Wert auf die Feststellung: „Ich würde es niemals wagen, einen Ausdruck zu verwenden, wie eben von mir getan, wenn dieser nicht auch auf höchster Regierungsebene so akzeptiert würde“. Seit mehr als drei Jahrzehnten richteten westliche, russische und chinesische Militärstrategen ihre Aufmerksamkeit darauf, wie sie den Zugriff auf die großen Erdöl- und Ergasquellen auf Dauer sichern könnten. Nicht nur in den OPEC-Staaten, auch in anderen Regionen, insbesondere im kaspischen Raum und in Georgien wird um Einfluss gekämpft: Es geht um Gas und Öl. 20 In den letzten Jahren stiegen die Länder des asiatischen Raums zum größten Abnehmer der Energieellipse Persischer Golf - Kaukasus auf. Zweifellos werden diese Staaten, so wie zuvor die USA am Golf und Russland in Tschetschenien alles daran setzen, den Zugriff auf die Vorkommen zu sichern. Der Kampf um Öl findet auch auf dem afrikanischen Kontinent statt. Dort gehören blutige Kämpfe zum Alltag, wenn wichtige Ressourcen im Spiel sind, nicht nur in Nigeria, dem größten Ölland Afrikas, wo die Machenschaften der dortigen Herrschaftselite mit großen Ölkonzernen wie Shell hinlänglich dokumentiert wurden. Auch in der Republik Kongo oder in Angola, dem viertgrößten Ölland Afrikas, in dem neue Quellen gefunden wurden, wetteifern französische und amerikanische Firmen um die Macht. 6. Der Wind dreht sich In der amerikanischen Bevölkerung existiert durchaus ein waches Bewusstsein über diesen Ressourcenimperialismus. Die Friedensbewegung skandierte „No, no, no, we won´t go, we won´t die for Texaco!“. Das traf einen Kern des Irakkonflikts. „Man wirft Amerika vor, wegen Öl Krieg zu führen, das ist sogar ein guter Grund“, reagierte in frappierender Offenheit der amerikanische Energiestratege John Murawiec. Von den vierzig Riesenölfeldern liegen sechsundzwanzig am Persischen Golf. Amerika will die Hand am Ölhahn halten, um die Produktivitätsdefizite der Wirtschaft auszugleichen, die Auslandsverschuldung nicht durch hohe Kosten für Energieimporte weiter belasten und militärische Macht in wirtschaftliche Macht zu verwandeln. Mit der Wahl von Barak Obama dreht sich der Wind. Der neue USPräsident will den schnellen Ausbau der Solarwirtschaft. Er soll zu einem strategischen Projekt der nationalen Politik werden. Und die USA wollen beim Klimaschutz nicht länger abseits stehen. Dennoch hat die Europäische Union in der Globalisierung größte Chancen, wenn die ökologische Modernisierung zum Markenzeichen ihrer Politik wird. Sie nimmt eine Vorreiterrolle in diesen Fragen ein, insbesondere Deutschland beim Klimaschutz. 21 Um weltweit den Ausstoß von Treibhausgasen zu senken, wurde das Kyoto-Protokoll ausgehandelt. Die Voraussetzung dafür hatte der Erdgipfel von Rio geschaffen. Anfangs sollte nur die Zusammenarbeit bei Forschung und künftigen Aktivitäten zum Schutz des Klimas geregelt werden. Doch schon die erste Vertragsstaatenkonferenz in Berlin 1995 kam zu dem Schluss, dass verbindliche Minderungsziele erarbeitet werden müssen. Zwei Jahre später wurde nach einem Verhandlungsmarathon in der japanischen Kaiserstadt Kyoto ein Vertragsentwurf angenommen, in dem verbindliche Pflichten bis zum Jahr 2012 vorgesehen waren. Ausgangspunkt der Regelungen war der Clean-Air-Act der USA. Danach mussten alle Industrien, die für den sauren Regen verantwortlich waren, ihre Emissionen drastisch reduzieren. Firmen, die sich umweltverträglich verhalten, konnten vom Emissionshandel profitieren. Die EU übernahm diesen Ansatz, um einen Markt für kohlenstoffarme Technologien zu schaffen. Auch in der amerikanischen Privatwirtschaft setzen IBM, Motorola oder Ford dieses Instrument ein. Mit der Chicagoer Klimabörse entwickelt sich ein Markt für Umwelt und Energie. Dennoch lehnte die Regierung George W. Bush das Kyoto-Protokoll ab. Nachdem Ende 2004 auch Russland den Vertrag ratifizierte, trat es Anfang 2005 ohne USA und Australien in Kraft. Das Abkommen verlangt von einem Teil der Unterzeichnerstaaten die Einhaltung von Obergrenzen für den Ausstoß von klimaschädlichen Gasen. Bisher hat das Protokoll allerdings noch keine großen Minderungen bewirkt. Manche Staaten tun gar nichts für den Klimaschutz. Derzeit werden die Anstrengungen für einen Folgevertrag nach 2012 verstärkt. Das wichtigste Datum dafür heißt 2009 Kopenhagen. Ob es zu einem Durchbruch kommt, ist von den Weichenstellungen des neuen US-Präsidenten Obama entscheidend abhängig. Es gibt keine Alternative zu einem multilateralen Ansatz der Klimapolitik. Kyoto ist ein innovativer und völkerrechtlich verbindlicher, aber leider noch schwacher Vertrag. 22 Bei Kyoto II müssen die Zielmarken erhöht, die Schwellenländer einbezogen, die Zahl der Akteure ausgeweitet, das Instrumentarium erweitert, die Sanktionen verschärft und die Anreize verstärkt werden. Der Vertrag muss über die nächste Periode hinausweisen, um die Zeit bis 2050 in den Blick zu nehmen. Die UN-Klimarahmenkonvention lässt grundsätzlich mehrere Umsetzungsprotokolle zu. Es ist weder sinnvoll noch notwendig, die internationale Klimapolitik auf ein primär ökonomisches Protokoll zu reduzieren, so wichtig eindeutige Obergrenzen für den Ausstoß der Treibhausgase sind. Um Widerstände zu überwinden und die Schwellenländer ins Boot zu holen, sind ein Technologie- und Waldprotokoll denkbar. Mit dem ersten lassen sich strategische Innovationen in enger internationaler Partnerschaft vereinbaren. Das zweite trägt der Tatsache Rechnung, dass es biogene Pfade zu mehr Klimaschutz gibt: Erhalt der Wälder, nachhaltige Nutzung der Böden und Wiederaufforstung, Schutz der Meeressysteme. Energiesicherheit ist Friedenspolitik. Der Klimawandel trifft die Achillesferse unseres Planeten, den Himalaya und die Anden, die Meeressysteme und die Flussmündungen, die Polregionen, die Ernährungswirtschaft und die Landnutzung. Der Vorwurf, die reichen Industriestaaten würden zu wenig die Interessen der Armen sehen, ist durchaus berechtigt. Auch der nach wie vor beschämend geringe Anteil, den die reichen Länder des Nordens für die Entwicklungszusammenarbeit leisten, ist kein Zeichen globaler Verantwortung. Es gibt keine Alternative zu einer kooperativen Weltordnung im Sinne des Kant’schen Friedens. Die Hobbes’sche Welt der Stärke kann die Probleme nicht lösen, zumal die NATO schon heute an die Grenzen ihrer Kapazitäten gerät. Es geht um eine Weltinnenpolitik, die ein neues, ein ökologisches Bretton Woods möglich macht. Es würde aus den Fehlern der Vergangenheit lernen und in die Ökologie investieren. Auch der Plan von John Maynard Keynes zielte damals darauf ab, mit Hilfe einer supranationalen Weltwährung, genannt Bancor, alle Überschuss- und Defizitländer dazu zu 23 bringen, Ungleichgewichte in ihren Zahlungsbilanzen abzubauen. Zudem machte er den Vorschlag für eine International Trade Organisation (ITO), die eine internationale Zentralbank mit weit reichenden Rechten für den Schutz von Unternehmen und für den Erhalt der natürlichen Ressourcen vorsah. Unter dem Dach der Nachhaltigkeit liegt die Chance zur Neuordnung der Weltwirtschaft und zur Sicherung des Friedens. Die Möglichkeit ist da, wenn Europa seine Anstrengungen für eine nachhaltige Entwicklung verstärkt, für eine Weltinnenpolitik, die den sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Zielen Rechnung trägt. Das ist moderne Friedens- und Sicherheitspolitik. 24 Literatur: • Brandt, Willy; Vorstellung des Nord-Süd-Reports am 20. Dezember 1979; New York 1979 • Brandt, Willy; Über Europa hinaus. Dritte Welt und Sozialistische Internationale; Bonn 2006 • Conkin, Paul; Der New Deal – Die Entstehung des Wohlfahrtsstaates; in: Wolf-Dieter Narr / Claus Offe (Hg.) 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