Genetische Besonderheiten und Erbfehler von Dr

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ERBFEHLER UND LEISTUNGSZUCHT:
EINE UNGLÜCKSELIGE BEZIEHUNG?
Hermann Schwarzenbacher ZuchtData GmbH. (Friedrich
Führer GENOSTAR)
Fortbildungstag Eigenbestandsbesamer
Bergland am 24. Oktober 2015
Erbfehler und Leistungszucht
Eindruck in der Praxis: Vielzahl von neuen Erbfehlern
bei allen Rinderrassen mit umfangreichen Genomdaten
Viele Fragen und Verunsicherung
• Zusammenhang mit der Leistungszucht?
Stichwort ‘ Überzüchtung’
• Sind unsere Rinderrassen dadurch bedroht?
• Wie gehen wir mit dieser Situation in der Zucht um?
Tierärztefachtag | 8. u. 9. Okt 2015 | Hermann Schwarzenbacher
Inhalt
Einige Grundlagen…
• Begriff SNP, Haplotyp
• Vererbung von rezessiven Gendefekten
Identifikation von Erbfehlern
• Phenotypen-basiert: Zwergwuchs
• Genotypen-basiert: Fleckvieh Haplotyp 2
Umgang im Zuchtprogramm
GS HALVAR
Schlussfolgerungen
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Grundlagen der Genetik
Im Zellkern jeder Zelle befindet sich die Bibliothek des
Lebens: DNA (DNS)
• ~2.6 Milliarden Buchstaben (Nucleotide)
• beim Rind verteilt auf 30 Chromosomen
Funktionale Einheiten: rund 23.000 Gene
• Gene werden in Aminosäuren und Proteine übersetzt
Nur rund 5% der DNA beherbergt Gene
• der Rest hat auch eine Funktion
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Single Nucleotide Polymorphism (SNP, „Snip“)
Referenzsequenz
...AGTCTAGGGACTAGATATGCAGATGCACGATGTAGCTTGAGTGT...
Tier 1 (T/T)
...AGTCTAGGGACTAGATATGCAGATGTACGATGTAGCTTGAGTGT...
...AGTCTAGGGACTAGATATGCAGATGTACGATGTAGCTTGAGTGT...
Tier 2 (C/T)
...AGTCTAGGGACTAGATATGCAGATGCACGATGTAGCTTGAGTGT...
...AGTCTAGGGACTAGATATGCAGATGTACGATGTAGCTTGAGTGT...
Tier 3 (C/C)
...AGTCTAGGGACTAGATATGCAGATGCACGATGTAGCTTGAGTGT...
...AGTCTAGGGACTAGATATGCAGATGCACGATGTAGCTTGAGTGT...
Grafik Pausch, H.
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Grundlagen der Genetik
Vergleich zweier Genome in einer Population: rund
99,9% der DNA Bausteine identisch
• nur jeder 1000. Baustein ist unterschiedlich
die häufigsten (>80%) dieser Unterschiede sind
sogenannte SNP Marker
gesamte DNA ist doppelt vorhanden
• je ein Allel vom Vater und Mutter
DNA wird in Einheiten Haplotypen weitergegeben
• “Rekombiantion” kann diese Einheiten neu kombinieren
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Mutationen
Unterschiede in der DNA entstehen durch Mutationen
nur wenige dieser Mutationen können sich halten
• meist nachteilig/letal natürliche Selektion
• Zufallsdrift
Rezessive Mutationen haben eine wesentlich höhere
Wahrscheinlichkeit sich in der Population zu halten
Beim Rind (alle Rassen) sind zur Zeit 475
Erbkrankheiten bekannt.
108 davon konnten in der DNA als Mutation lokalisiert
werden
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Erbkrankheiten bei Tieren
M. Georges 2014, WCGALP
Vancouver:
„Jedes Rind trägt rund 100 rezessive
Defektmutationen“
…lässt einen rigorosen Ausschluss von Trägertieren aus der Zucht
zunehmend absurd erscheinen.
Georges M. et al. (2014): NGS-based Reverse Genetic Screen Reveals Loss-of-Function Variants
Compromising Fertility in Cattle. 10th WCGALP, Vancouver, Canada.
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Rezessive Mutationen, Beispiel Zwergwuchs
POLZER 59
BARONIN 63
WAFERL 77
KOMMISSAR 69
LEA 82
Erst wenn am Ort der
Mutation
Inzucht auf POLZER
vorliegt,
kommt der Erbfehler
zum Vorschein!
LEILA 84
LERCHE 89
LEONI 94
LEMONE 96
WIKI 84
gesund
LAVENT 91
BLECKI 98
LIESEL 01
BLECKI 05
Wahrscheinlichkeit:
weniger als 2 aus 100.000 !
WILLE 06
ZWERGI 12
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krank
Risiko für ein betroffenes Kalb
Risiko Kalb
=
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1 aus 4;
25%
Risiko für ein betroffenes Kalb
Risiko Kalb
~
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1 aus 8;
12,5%
Risiko für ein betroffenes Kalb
Risiko Kalb
~
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1 aus 16;
6,3%
Wie können Erbfehler lokalisiert werden?
Chip Genotypen sind hier sehr hilfreich!
• 40.000 FV Genotypen
• 15.000 BV Genotypen
www.Illumina.com
Technologie zur Hochdurchsatz-Genotypisierung
viele Chip-Dichten: z.B. 7.000, 54.000 bzw. 778.000 SNP/Tier
extrem zuverlässig (>99,9%)
relativ niedrige Kosten
Firmen: Illumina / Affymetrix
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Wie können Erbfehler lokalisiert werden?
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• 40.000 FV Genotypen
• 15.000 BV Genotypen
2 Ansätze
• mit betroffenenTieren
• ohne betroffene Tiere
Phänotypen - basiert
Genotypen- basiert
Lokalisierung bedeutet, dass Haplotypen- bzw. Gentest
verfügbar ist!
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Zwergwuchs (DW)
Schwarzenbacher,
Schwarzenbacher,
ZuchtData ZuchtData
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Zwergwuchs (DW)
Schwarzenbacher, ZuchtData
16
Phänotypen–basierter Ansatz
Beispiel Zwergwuchs (DW)
Rinderrunde 05-13: Hinweis auf DW bei Wille Kälbern
• 20 DW-Kälber von Wille im RDV registriert,
2 davon noch lebend
• 2 lebende Tiere seziert und genotypisiert
Ansatz: suche Chromosomenstück für das DW-Kälber
reinerbig sind, aber kein gesundes Tier!
Treffer 06-13: 3. Chromosom, Haplotypenlänge ~5% des
Chromosoms
• Veröffentlichung am 25. 06. 2013
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Phänotypen–basierter Ansatz
Beispiel Zwergwuchs (DW)
Initiative der OÖ Besamung
100€ für Meldung neuer
Fälle,
18 Tiere nachtypisiert
Region besser eingegrenzt
genauerer Haplotypentest
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FH2 - Überlebensrate
Unbedenkliche Anpaarung
Risikoanpaarung (N=8428)
Überlebensrate
Alter des Kalbes (Tage)
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Grafik Pausch, H.
Quelle: H. Schwarzenbacher, ZuchtData
20
ZAR Zuchtwertdatenbank (zar.at)
„mouse-over“ Effekt:
Haplotypen – oder Gentest
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Neuer SNP Chip („Custom Chip“)
Seit 2015 verfügbar!
direkte Gentests für wichtigsten Erbfehler bei FV und
BV und genetische Besonderheiten (z.B. Hornlosigkeit)
• Zuverlässigkeit der Tests wurde geprüft
Monitoring von verdächtigen Mutationen, die in
Sequenzdaten gefunden wurden
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Wichtigste Erbfehler in AT
•
Fleckvieh:
Spinnengliedrigkeit (Arachnomelie): A
Zwergwuchs:
DW
Minderwuchs:
FH2
Zinkdefizienz-like Syndrom:
ZDL
Thrombopathie:
TP
Braunvieh-Haplotyp 2:
BH2
Bovine männl. Subfertilität:
BMS
Fleckvieh Haplotyp 4:
FH4
•
?
?
x
x
x
x
x
x
Braunvieh:
Spinnengliedrigkeit (Arachnomelie): A
Weaver:
W
SMA:
M
SDM:
D
Braunvieh-Haplotyp 2:
BH2
x = custom chip
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x
x
x
x
x
MINDERWUCHS: FH2
Wegen Fehlfunktion des Energiestoffwechsels
Kälber sehen normal aus, bleiben im Wachstum aber deutlich
zurück
Kennzeichnung Anlageträger: FH2+- (von Fleckviehhaplotyp 2)
FH2++: FREI von Minderwuchs
Anlageträger: GS Rumgo, Waldbrand, GS Vogt, GS Veneziano,..
ZINKDEFIZIENZ – ÄHNLICHES
SYNDROM: ZDL
ZDL führt dazu, dass Kälber gesund
geboren werden, dann aber sofort
unter wieder-kehrenden Durchfallund Atemwegserkrankungen leiden.
Nach 6 bis 12 Wochen manifestieren
sich charakteristische
Hautveränderungen und die Kälber
sind praktisch nicht überlebensfähig.
Kennzeichnung Anlageträger: ZDL
THROMBOPATHIE: TP
TP führt zu einer Störung der
Blutgerinnung (Bluter) und tritt
auch bei ausgewachsenen Tieren
auf.
Tiere haben in der Regel
ungestörtes Allgemeinbefinden,
leiden aber nach Verletzungen,
Injektionen oder chirurgischen
Eingriffen an massiven, lang
anhaltenden Blutungen der Haut
sowie Blutungen der Nase und
Schleimhäute.
Kennzeichnung Anlageträger: TP
Allelfrequenz von etwa 6 Prozent
Zuchtprogramm
DEA Arbeitsgruppe: Erbfehler und genetische
Besonderheiten
Empfehlungen
• keine Träger einsetzen: A, ZDL, (DW: keine “neuen”
Träger einsetzen)
• nur die besten Träger gezielt einsetzen: FH2, TP, BH2
• nur moderat selektieren gegen: FH4, BMS
• Risikoanpaarungen vermeiden
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Genfrequenz Fleckvieh KB-Stiere
Grafik Fürst
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Genfrequenz Fleckvieh weiblich
Grafik Fürst
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FV Besamungen in AT in den letzten 3
Jahren
Anteil Besamungen mit Trägerstieren
genomische
Jungstiere
nachkommengepr.
Stiere
Besamungen mit Trägern der Erbfehler FH2, TP, ZDL, DW, A, BH2
in den Jahren 2013, 2014, 2015;
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Der Online-Anpaarungsplaner
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Berücksichtigung der Erbfehler in
OptiBull
VVVV
VVV
VV
VVM
Stier
VMV
VM
VMM
Kalb
WINNIPE
G
FH2
MVV
MVM
BIRKE
MMV
MM
MMM
VVVM
VVMV
VVMM
VMVV
VMVM
VMMV
VMMM
MVVV
MVVM
MVMV
MVMM
MMVV
MMVM
RENAX TP
MMMM
Rot: Risiko von mind. 6,25% (mind. jedes 16. Kalb)
Gelb: Risiko 3,125 bis <6,25% (mind. jedes 32. Kalb)
(Dr. Fürst, 2014)
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Praktische Erfahrungen
Besamungsstationen und Zuchtorganisationen reagieren
unterschiedlich
•
•
•
•
ZDL, A bzw. DW: keine Träger selektiert
FH2, TP, BH2: unterschiedliche Strategien
BMS: Selektion nur gegen reinerbige Träger
FH4: moderate Selektion
Erbfehler im ZP wohl nicht optimal berücksichtigt
• gezielter Einsatz der besten Träger in gezielter Paarung
• langsame Reduktion der Allelfrequenz wäre vorteilhaft! ZF, Inzucht
Einstellen auf neue Situation
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DER FALL GS HALVAR
GS HALVAR
FV Fleisch Stier
GS HALVAR
Dr. Windisch
Dr. Windisch
GS HALVAR Sektion
Dr. Windisch
Dr. Windisch
Osteogenesis imperfecta
https://de.wikipedia.org/wiki/Osteogenesis_imperfecta
Glasknochenkrankheit bezeichnet, da der
Knochen zum einen ähnlich leicht „wie Glas“ bricht
und zum anderen im Röntgenbild eine glasige
Struktur aufweist. Die OI ist eine seltene
Erbkrankheit, für die überwiegend autosomaldominante, seltener auch autosomal-rezessive
Erbgänge beschrieben sind. Hauptmerkmal der OI
ist das veränderte Kollagen vom Typ I, was zu einer
abnorm hohen Knochenbrüchigkeit mit
unterschiedlichen Krankheitsbildern führt.
Dr. Windisch
Dr. Windisch
derzeitige Einschätzung
Stier selbst ist gesund
~30 % der Kälber sind betroffen (199 Kalbungen)
Erklärungsmodell:
Spontanmutation bei GS HALVAR
dominanter Erbgang in Verbindung mit
Keimzellenmosaik
Keimzellenmosaik
Eine besondere Form ist das so genannte Keimzellen-Mosaik,
wenn eine Mutation in der Embryonalphase während der
Keimzellenbildung in nur einer Embryonalzelle auftritt.
Diese Erbgutveränderung ist in anderen Geweben, z.B. Blutzellen
nicht vorhanden. Blut- und (einige) Keimzellen haben also
unterschiedliches Erbgut.
http://www.wissenschaft-im-dialog.de
derzeitige Einschätzung
Trägerstatus von GS HALVAR war im Vorfeld nicht absehbar
Besamungsstation hat Verantwortung zu 100%
wahrgenommen und schnell gehandelt
Problem dürfte auf diesen Stier beschränkt sein
An der wissenschaftlichen Aufklärung wird derzeit
gearbeitet – erste vielversprechende Ergebnisse liegen
bereits vor
Schlussfolgerungen
Erbfehler und Leistungszucht
• Zusammenhang mit der Leistungszucht?
Stichwort ‘ Überzüchtung’
• Die Mutationensrate in einer Population ist
unabhängig vom Zuchtprogramm.
• Je stärker ingezüchtet wird, umso eher treten Erbfehler
zutage.
• Inzucht erleichtert frühzeitige Entdeckung neuer Erbfehler
• Anpaarungsplanung hilft dann Risikopaarungen
effizient zu vermeiden
• Heute sind gute Programme für den Züchter verfügbar:
OptiBull, AIO
Tierärztefachtag | 8. u. 9. Okt 2015 | Hermann Schwarzenbacher
Schlussfolgerungen
Erbfehler und Leistungszucht
• Sind unsere Rinderrassen dadurch bedroht?
• Nein, nie zuvor gab es ein derartig gutes Monitoring
• Genomdaten (SNP Chips, Sequenzdaten)
• Phänotypen Gesundheitsmonitoring, Meldemoral in der Praxis
• Wie gehen wir mit dieser Situation in der Zucht um?
• möglichst unaufgeregt
• der Umgang mit genetische Defekte gehört zur Tierzucht
• vermeiden von Risikopaarungen
• frühzeitig verhindern dass die Frequenzen zu stark ansteigen
Tierärztefachtag | 8. u. 9. Okt 2015 | Hermann Schwarzenbacher
wichtige Kooperationspartner
Lehrstuhl für Tierzucht, TU München
DR. PAUSCH, PROF. FRIES
DEA Arbeitsgruppe genetische Besonderheiten :
AUMANN, BIRKENMAIER, FRIES, GÖTZ, MIESENBERGER, PAUSCH,
RÖHRMOSER, SCHWARZENBACHER, TANZLER, TISCHLER,
WEIDELE, ZIEGLGÄNSBERGER
Tierärztefachtag | 8. u. 9. Okt 2015 | Hermann Schwarzenbacher
Danke für Ihre Aufmerksamkeit!
Foto: Winter
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