Ethikkommission Kärnten

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Ethikkommission
des Landes Kärnten
Jahresbericht 2003
11. Erster Kärntner Ethik Tag – Ethik quo vadis
11.1 Der Kongress (Prim. Univ. Doz. Dr. Peter Lind)
11.2 Die Ärztliche Aufklärungspflicht (Univ. Prof. Dr. Wolfgang Radner)
11.3 Ausbildungsstand im Fach “Ethik” für Gesundheitsberufe (Kornelia Fiausch, MAS)
11.4 Etwas zum Nachdenken (Prim Dr. Karl Pallasmann)
11.5. Medizinische Ethik ( Dr. Karl-Heinz Kronawetter)
Ethikkommission des Landes Kärnten
Vorsitzender: Prim. Univ. Doz. Dr. med. Peter Lind
Abteilung für Nuklearmedizin & Endokrinologie – PET/CT Zentrum
LKH Klagenfurt, St.Veiter Str.47; A-9020 Klagenfurt
Tel: 0043 463 538 29100 oder -29103; Fax 0043 463 538-23184 E-mail: [email protected]
11. Erster Kärntner Ethik-Tag – Ethik quo vadis
11.1 Der Kongress (Prim. Univ. Doz. Dr. Peter Lind)
Wie bereits im Vorwort erwähnt hat es sich die Ethik Kommission Kärnten zur Aufgabe
gemacht, neben ihrer eigentlichen Funktion, Studien zu beurteilen, einen breiteren Dialog
zum Thema Ethik in der Medizin zu führen. Konsequenterweise entstand daraus der 1.
Kärntner Ethik-Tag, der am 28.11.2003 im Casineum Velden von der Ethikkommission
Kärnten organisiert wurde. Die gesellschaftlichen Veränderungen und der Mangel an einer
Grundausbildung zu ethischen Fragen im medizinischen Alltag, besonders im ärztlichen
Bereich, haben die Mitglieder der EK Kärnten bewogen dieses Thema im Rahmen eines Symposiums darzustellen und zu diskutieren.
Ziel dieser Veranstaltung war es, die Rechtsgrundlagen zur Ethik in der Medizin, Ethik im
medizinischen Alltag und das wichtige Thema „Ethik- quo vadis“ zu diskutieren. Dabei
wurden von namhaften Experten auch Themen wie: „Sinn und Grenzen der Patientenaufklärung“ und die „Auswirkungen der Ökonomie auf die medizinische Ethik“ vorgetragen und
diskutiert.
Im Blickwinkel des in den letzen Jahren reduzierten Vertrauens zwischen Patient und Arzt
bzw. medizinischen Einrichtungen im allgemeinen, scheint eine kritische Standortbestimmung
zwischen dem Versuch, Krankheiten zu heilen oder zumindest zu lindern, und dem Anspruch
des Patienten auf Selbstbestimmung und Eigenverantwortung für seine Gesundheit aber
auch Krankheit, sinnvoll und notwendig.
Der erste Kärntner Ethiktag – ein Stimmungsbild
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Gerade die in den nächsten Jahren geplante Reformierung des Gesundheitssystems scheint
es notwendig zu machen, dass sich all jene, die sich mit Ethik in der Medizin beschäftigen,
wachsam mit den auf das Gesundheitssystem zukommenden Entwicklungen auseinandersetzen.
Dabei beschränkt sich die moralische Kompetenz im Zusammenwirken von Arzt, Pflegedienst
und Patient nicht nur auf den, der versucht, Krankheiten zu heilen oder zu lindern, sondern
auch auf diejenigen, die Hilfe von der Gesellschaft in Anspruch nehmen.
In diesem zukünftig wachsenden Spannungsfeld war der 1. Kärntner Ethik Tag ein Anstoß,
sich intensiver mit dieser Thematik auseinender zu setzen. Die über 300 Teilnehmer an
diesem Kongress haben gezeigt, dass das Thema Ethik in der Medizin die Menschen bewegt
und interessiert.
Das große Interesse von ärztlichen KollegInnen, aus dem Pflegebereich, aber auch aus
unterschiedlichen Bereichen der Gesellschaft wie Kirche und Politik, haben uns ermuntert,
diesen Kärntner Ethik Tag in 2-jährigem Intervall zu veranstalten.
11.2 Die Ärztliche Aufklärungspflicht (Univ. Prof. Dr. Wolfgang Radner)
Die ärztliche Aufklärungspflicht hat als Vertragspflicht im Rahmen des Behandlungsvertrages
eine zentrale Rolle bei Haftungsklagen eingenommen. Kommt es wegen eines behandlungsbedingten Schadens zu einer Klage, wird vom Patienten (bzw. von dessen Anwalt) wegen
des schwierigen Nachweises einer lege artis Verletzung, neben dem Behandlungsfehler beinahe reflexartig eine Verletzung der Aufklärungspflicht mitbehauptet. Damit ergibt sich für
die Gerichte die Frage der Beweiswürdigung und der Glaubwürdigkeit der behaupteten Sachverhaltsdarstellungen. Im Zusammenhang mit der ärztlichen Aufklärung wird von Seiten der
betroffenen Patienten behauptet, dass diese, hätten sie vor der OP gewusst, dass die wider-
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fahrene Komplikation auftreten könne, keine Einwilligung zur OP gegeben hätten. Nach der
bereits gefestigten Rechtsprechung hat nun der Arzt zu beweisen, dass die Aufklärung recte
erfolgt sei.
Diese einseitige Verlagerung der Beweislast setzt aber voraus, dass ein Patient zum Zeitpunkt der Aufklärung, also nachdem er gekommen ist, um eine indizierte und von ihm
gewollte Behandlung durchführen zu lassen, überhaupt imstande ist die an ihn herangetragene Information richtig aufzunehmen, zu verarbeiten, dann die Notwendigkeit der Behandlung zu relativieren und schließlich seine Entscheidung zu ändern. Eine Klärung dieser Fragen
müsste eigentlich im Sinne der Beweiswürdigung und der Beweislast unter Einbeziehung des
dazu vorhandenen naturwissenschaftlichen Wissensstandes und der tatsächlichen Lebensumstände Berücksichtigung finden. Sind dahingehende naturwissenschaftliche Erkenntnisse
vorhanden, dürften diese rechtsgrundsätzlich nicht unbeachtet bleiben.
Für die Frage der Beweiswürdigung sind die Entscheidungssituation der Patienten zum Zeitpunkt der Aufklärung und die Grundsätze der menschlichen Entscheidungsfindung wesentlich. Aus diesem Grund haben wir weltweit erstmals in Zusammenarbeit zwischen Ärzten,
Juristen und klinischen Psychologen eine prospektive Studie zur Beantwortung folgender
Fragestellungen zur präoperativen Entscheidungssituation der Patienten erstellt: 1) Wie geht
ein Patient an seine Operation heran 2) Wie schätzt er diese ein, 3) wie stellt sich seine Entscheidungssituation dar und 4) wie wirkt sich das Aufklärungsgespräch auf deren Entscheidung aus.
An der Universitätsklinik für Augenheilkunde und Optometrie des AKH Wien wurden 70 Patienten befragt, die zur geplanten Kataraktoperation kamen. Das Aufklärungsgespräch enthielt
Informationen (a) zum Wort „Katarakt“ bzw. der Erkrankung, (b) über die Operationsmethode, (c) über die Risken und deren Häufigkeit, (d) über den postoperativen Verlauf, (e)
über die Erfolgsrate der Operation und (f) eventuelle Alternativen.
Die Befragung war in drei Teile gegliedert: (1) präoperativer Informationsstand, (2) ArztPatient-Beziehung und (3) Evaluationen zum Aufklärungsgespräch. Die Fragen der Teile (1)
und (2) wurden vor der Aufklärung, Teil (3) danach gestellt. Aufklärung und Befragung fanden vor der Aufnahmeuntersuchung statt.
40% unserer Patienten erschienen zur Aufnahme, ohne sich über die Operation des Grauen
Stars informiert zu haben (durchschnittliche Wartezeit ca. 3 Monate!!). 77.1% (n=54) der
Patienten gaben an, dass die Möglichkeit einer schwerwiegenden, die Sehkraft beeinträchtigenden Komplikation die Entscheidung zur Operation nicht beeinflusst. An dieser Stelle sei
bemerkt, dass unsere Patienten recht einhellig sagten, dass sie nicht wegen möglicher Komplikationen auf den medizinisch indizierten Eingriff verzichten wollen. 78.6% der Patienten
sagten, dass die Aufklärung ihre Entscheidung überhaupt nicht beeinflussen konnte. Alle
anderen Patienten fühlten sich durch das ärztliche Gespräch in Ihrer Entscheidung bestärkt.
68.6% unserer Patienten meinten, sich durch das Aufklärungsgespräch „ziemlich“ oder „
sehr“ viel sicherer zu fühlen. Bei der Frage, ob wir Verunsicherung erzeugt haben, antworteten 91.4% mit “nein”. Lediglich 10 von 70 Patienten (14.3%) gaben zu, nun leichte
Bedenken zu haben, die sich aber nicht auf die Entscheidung auswirken.
Zusammenfassend kann man sagen, dass das Aufklärungsgespräch als angenehm empfunden wird, aber scheinbar nicht geeignet ist, die Entscheidung zu beeinflussen. Um diesen
Widerspruch zwischen unserer wissenschaftlichen Analyse und der Verfahrenstrategie von
Patienten bei Gericht zu erklären, lassen sich Forschungsergebnisse aus der klinischen
Psychologie über die Entscheidungsfindungsmechanismen beim Menschen heranziehen.
Gemäß diesem umfassenden Wissenschaftsgebiet prägt die „kognitive Dissonanz“ als
wesentliches Element der Entscheidungsfindung menschliche Entscheidungen. Diese Mecha30
nismen um die kognitive Dissonanz bewahren uns Menschen davor, aus Einzelinformationen
zu schnelle oder falsche Schlussfolgerungen zu ziehen und gelten natürlich auch für die Entscheidungsfindung vor Operationen. Im Zustand der kognitiven Dissonanz ist sowohl die
Informationsaufnahme als auch die Informationsverarbeitung zugunsten der bereits getroffenen Entscheidung selektiv. Da es sinnvoll ist, eine indizierte Operation durchführen zu lassen, wirken sich die Mechanismen der kognitiven Dissonanz richtig aus und bewahren den
Patienten davor eine notwendige Behandlung nicht vornehmen zu lassen.
Zusammenfassend kann man sagen, dass das ärztliche Aufklärungsgespräch am Tag vor der
Operation wegen der kognitiven Dissonanz keinerlei Entscheidungsänderungen der Patienten
hervorzurufen vermag. Hinsichtlich der Beweiswürdigung stellt sich angesichts dieser
Zusammenhänge nun die Frage, ob die Behauptung eines Patienten nunmehr noch immer
solange als richtig angenommen werden kann, bis der Arzt das Gegenteil bewiesen hat und
ob die Beweislage nicht überdacht werden sollte? Die prinzipielle Haltung der gängigen
Rechtssprechung in Form einer einseitigen Beweislast zu lasten der Ärzte sollte im Sinne der
Rechtsstaatlichkeit ebenfalls einer neuen Beurteilung zugeführt werden, unter Berücksichtigung der kognitiven Dissonanz mit ihrem Auswirkungen auf die Entscheidungsfindung und
die Wahrnehmung.
11.3 Ausbildungsstand im Fach “Ethik” für Gesundheitsberufe (Kornelia Fiausch, MAS)
Ethische Richtlinien
Für Menschen, die im Gesundheitswesen tätig sind, gelten folgende ethische Richtlinien:
„ In der Berufsausübung Respekt zeigen vor dem Eigenwert des Patienten und seinen
individuellen Bedürfnissen und Wünschen
„ für die Arbeit die fachliche und persönliche Verantwortung erkennen, die man hinsichtlich der eigenen Handlungen und Beurteilungen trägt, und sich dazu bekennen.
„ bei der Arbeit das fachliche Wissen auf dem neuesten Stand halten und zur Entwicklung des Pflegefaches ihren Beitrag leisten
„ in der Arbeit das Recht des Patienten auf Datenschutz (Schutz von vertraulichen
Informationen) sichern.
„ der Arbeit der Kollegen gegenüber Respekt erweisen und diese in fachlichen Situationen unterstützen
„ durch die Arbeit dazu beitragen, die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen
Fachgruppen zu fördern.
„ innerhalb wie außerhalb des Gesundheitswesens mit ihrer Arbeit bei gesundheits-politischen Vorhaben ihren pflegefachlichen Beitrag leisten und ihren Einfluss geltend
machen
„ dazu beitragen, dass in der Bevölkerung Vertrauen und Respekt gegenüber der im
Gesundheitswesen Tätigen bestehen.
Basis dafür ist das Menschenbild, die Prinzipien der Ethik und das Wissen über die Instrumente zur Lösung ethischer Konflikte.
1. Menschenbild
„ Die medizinische (naturwissenschaftliche) Sichtweise
„ Die geisteswissenschaftliche Sichtweise
„ Die sozialwissenschaftliche Sichtweise
2. Prinzipien der Ethik
Das Prinzip
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vom Wert des Lebens
vom Guten oder Richtigen
der Gerechtigkeit oder Fairness
der Wahrheit oder Ehrlichkeit
der persönlichen Freiheit
3. Instrument zur Lösung ethischer Konflikte
Analysieren
Beraten
Reflektieren
Begründen
Erkennen
Lösen
Der derzeitige Stundenplan im Rahmen der Ausbildung sieht im Gegenstand „Berufsethik und
Berufskunde“ dafür folgende Anzahl an Unterrichtseinheiten vor:
Gesundheits- und Krankenpflege
80 UE
Akad. f. Ergotherapie
40 UE
Akad. f. MTD
30 UE (geplant 38 UE)
Akad. f. PTD
20 UE
Akad. f. RTD
30 UE
Mit folgenden Inhalten:
„ Ethik: Grundbegriffe – Grundtypen – Grundfragen
„ Berufsethik
„ Geschichte der Pflege
Es gilt somit folgende Fragen zu diskutieren:
„ Reichen die Stunden im Rahmen der Ausbildung um den Anforderungen im beruflichen
und persönlichen Alltag gerecht zu werden?
„ Reichen die Erfahrungen im Rahmen der praktischen Ausbildungen um eine Auseinandersetzung der Studierenden und SchülerInnen mit der Theorie zu ermöglichen?
„ Ist das Eintrittsalter in die Gesundheits- und Krankenpflegeschule zu niedrig?
„ Welche Angebote zur Fort- und Weiterbildung gibt es für Menschen in Gesundheitsberufen?
„ Welche Anforderungen in Bezug auf ethisches Wissen stellen Führungskräfte an ihre
derzeitigen und künftigen Mitarbeiter?
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11.4 Etwas zum Nachdenken (Prim Dr. Karl Pallasmann)
Viele Menschen fragen sich wie man eigentlich in
einer Zeit unbegrenzter technischer Möglichkeiten
unter ethischen Gesichtspunkten handeln kann.
Der Versuch einer Einführung medizinischer Ethik
geht bis in die Antike zurück. Der Hippokratische
Eid, der 460 v. Chr. in Kos formuliert wurde – in
dieser Form allerdings sicher nicht von Hippokrates persönlich – sagt unter anderem: Dass von
Menschen Schädigungen fernzuhalten sind. Auch
nicht auf Bitte, tödliches Gift verabreicht werden
darf. Nie einer Frau ein Mittel zur Vernichtung
keimenden Lebens gegeben werden darf.
Michel Petrucciani, Jazz-Pianist
Osteogenesis imperfecta -Exitus im 40. LJ
Ethik und die Lebensgrenzen bei Frühgeburtlichkeit
In der Fachzeitschrift „Frauenarzt 12/1989“ wird auf die Problematik der Frühgeburtlichkeit
an der Grenze der Lebensfähigkeit eingegangen: Einerseits wird versucht Behinderungen von
Kindern mit PID und PND zu vermeiden, andererseits wird aber eine schwere Behinderung
nach neonatologisch/intensiv-medizinischer Betreuung an der Grenze der Lebensfähigkeit in
Kauf genommen.
Es zeigt sich ein Unvermögen, Grenzen zu definieren und unsere Begrenzung am Beginn des
Lebens zu akzeptieren.
In Deutschland haben sich die Gesellschaften
für Gynäkologie und Geburtshilfe, die Gesellschaft für Kinderheilkunde, die Gesellschaft
für Perinatologische Medizin sowie die Gesellschaft für Neonatologische und Pädiatrische Intensivmedizin zu einer Grundsatzerklärung für das Handeln an der Grenze des
Lebens geeinigt: „Lebenserhaltende Maßnahmen sind zu ergreifen, wenn für das Kind
auch nur eine kleine Chance zum Leben besteht“.
FG: 22 + 4 SSW
Die Schweizer Neonatologische Gesellschaft
hat einen anderen Weg eingeschlagen: Die
Betreuung von Frühgeburten unter der 24.
SSW soll sich in der Regel auf Palliativmaßnahmen beschränken.
Im Lancet wurden im Jahr 2000 Untersuchungsergebnisse einer Befragung von 122 NICU’s
(neonatal intensiv care units) über die Strategien bei „End of Life Decisions in the Neonatal
Intensive Care“ veröffentlicht.
Es zeigte sich, dass in den USA und Spanien meist ein Mittelweg mit Einbeziehung von Entscheidungen durch Anverwandte eingeschlagen wird, während in Frankreich, England, Holland und Schweden dagegen kompromisslosere Entscheidungen zur Beendigung der Beatmung getroffen werden.
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H.R. Salzer, Tulln, hat im Rahmen der
Pädiatrischen Tagung in Salzburg 2003 über
die Ergebnisse einer eigenen Umfrage über
„Umgang mit Frühgeborenen an der Grenze
der Lebensfähigkeit“ referiert. Die Entscheidungsträger sind nach seinen Ergebnissen in
den USA, in Kanada, Frankreich, Holland und
in Spanien die Eltern. In Deutschland,
Schweiz und Italien sind es die Ärzte, während es in Griechenland, Slowenien und
England keine eindeutigen Empfehlungen
gibt. In diesen Ländern wird so lange eine
Intensivtherapie angewandt, bis ein Konsens
aller Beteiligten getroffen wird.
NG: 40. SSW – Abt-Letterer-Siwe KH
Die Ethic Working Group CESP (Kurz 2002) schreibt in den allgemeinen Richtlinien über den Therapieabbruch beim Neugeborenen in Punkt 4: Das bestmögliche Ziel jeder Entscheidung sollte sich
nach den „besten Interessen“ des Kindes ausrichten. An der Abteilung für neonatologische und
pädiatrische Intensivmedizin im KH Villach wird diese Entscheidung im Team mit Eltern, Ärzten,
Schwestern und dem Pfarrer getroffen.
Ethik in der pädiatrischen Medikamentenforschung
Der Spiegel schreibt in der 23. Ausgabe 1999, dass Säuglinge und Kinder therapeutische
Waisen seien, Stiefkinder des Fortschrittes, da in der Pädiatrie Medikamentenwirkungen zu
70 % unbekannt wären. In dem Artikel formuliert H. Seyberth, Marburg, dass es den
meisten Ärzten nicht klar wäre, dass sie dauernd experimentelle Heilversuche machten.
Seyberth (derzeit Präsident der Europäischen Gesellschaft für pharmakologische Entwicklung
in der Pädiatrie) hat nicht nur Kritik geübt, sondern richtet auch derzeit einen Kongress mit
diesem Schwerpunkt im Juli 2004 in Marburg (D) aus.
Ethik und Fetozid
J. Hackeloer, Brambeck hat auf der Ethiktagung in Salzburg 2002 die treffende Aussage:
„Eine natürliche Mehrzahl wird unnatürlich reduziert“ über die Selektion durch Fetozid von
Mehrlingsschwangerschaften, die durch In vitro Fertilisation induziert wurden, gemacht. Ab
Vierlingen wird in Hamburg Brambeck mit Ethikkonferenzbeschluss die Reduktion beschlossen. Das ist ein Vorgehen, das es in Wien so nicht gibt.
Ethik und PID/PND
M. Hengstschläger definiert die Präimplantationsdiagnostik (PID) so, dass dabei im Zug einer
künstlichen Befruchtung ein Embryo vor Einsetzen in den Uterus auf genetische Erkrankungen untersucht wird.
Die entnommenen Zellen werden bei spezieller Familienanamnese auf Vorliegen genetischer
Erkrankungen untersucht. Das Ziel der PID ist, nur Embryonen im Uterus einzusetzen, die
nicht von der Erkrankung betroffen sind. Die nicht eingesetzten Embryonen werden verworfen.
Die Deutsche Akademie für Kinder- und Jugendmedizin sieht in der Argumentation pro PID,
dass der Konflikt über Schwangerschaftsabbruch erspart bleibe. In der Argumentation dagegen, dass das menschliche Leben nach wie vor unantastbar sei, und dass in der Gesellschaft eine Zunahme der Diskriminierung Behinderter festzustellen sei.
Gesetzlich erlaubt ist die PID in Frankreich, Dänemark, Spanien, England. Keine gesetzliche
Regelung liegt in Italien, Holland, Polen, Belgien, Kanada, Frankreich, Schweden, Griechen-
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land und den USA vor. Verboten ist die PID in Deutschland, Irland, der Schweiz und in
Österreich.
Beispiel monogener Erkrankungen mit bereits durchgeführter PID sind: Adrenogenitales Syndrom, Charcot-Marie-Tooth-Syndrom, Epidermolysis bullosa, Marfan Syndrom, Muskeldystrophie Typ Duchenne, Neurofibromatose, Spinale Muskelatrophie, Zystische Fibrose
u.a.m.
Roman. P, 15 J. St. p. IVH IV bds., Drillings-FG 29. SSW
Die Problematik der Pädiatrie beim Umgang mit Eltern behinderter Kinder zeigt
den Bogen von liebevoller Aufnahme und
Integration bis hin zur Überforderung
und Zerbrechen von Familien. In der
Stellungnahme zur PND und PID der
Deutschen Akademie für Kinderheilkunde
und Jugendmedizin wird festgehalten,
dass man einerseits dem individuellen
Wohl des Kindes verpflichtet sei, andererseits auch eine vielleicht zu große
Belastung der Familie im Auge haben
müsse.
Aus einer Umfrage mit betroffenen Familien stammt folgendes Zitat aus einer Arbeit über psychologische Aspekte der PID von I. Götz am AKH Wien 2003: Aus welchen Überlegungen heraus wagen
wir es, Eltern (erneutes) Leid zuzumuten?
E. Berger (PND und Behinderung, Wien 2003) zeigt die Haltung der Gesellschaft auf: Das
nämlich die IVF wegen des bestehenden Kinderwunsches erwünscht, eine daraus resultierende Behinderung gesellschaftlich und individuell nicht erwünscht sei.
R. Oberhofer, München zitiert in diesem Zusammenhang eine Mutter, die mit der Diagnose
Morbus Fallot im Rahmen eines Pränatalscreenings konfrontiert wurde: „Mit meiner Lebensführung nicht vereinbar....“.
Im Rahmen des Pränatalscreenings durch Dr. J. Gellen am LKH Villach wurden von 1997 bis
2003 30 Fälle von Trisomie 21 diagnostiziert. Heute lebend: 9!!!
Gerne würde ich mich der Aussage des
Ethikers G. Virt anschließen: nämlich dass
das ethisch Richtige sich langfristig als das
wirklich Nützliche für den Menschen und
die Gesellschaft von morgen herausstellen
würde. Leider bin ich diesbezüglich nicht
so optimistisch.
Literaturangaben:
Dörries, A.: Ethische Entscheidungsfindung in der Pädiatrie. Kriterien und Strategien. pädiat. prax. 63, 589-595 (2003)
Pieter J. J. Sauer an d the members of the Working Group: Ethical dilemmas in neonatology: recommendations of the Ethics
Working Group of the CESP (Confederation of European Specialists in Paediatrics). Eur. J. Pediatr. (2001) 160: 364-368
EURONIC Study Group: Neonatal End-of-Life Decision Making, Physicians’ Attitudes and Relationship with Self-reported Practices in 10 European Countries. Lancet 2000, 355:2112-18
H. R. Salzer, A. Dilch, B. Grünbaum, Tulln, Wien: Frühgeborene an der Grenze der Lebensfähigkeit. Vergleich verschiedener
internationaler „Guidelines“. Vortrag am Pädiatrischen Kongress 2003, Salzburg
E. G. Huber, Salzburg: Der Wandel der medizinischen Ethik im 20. Jahrhundert. Vortrag beim Ethiksymposium 2002
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11.5. Medizinische Ethik ( Dr. Karl-Heinz Kronawetter)
Die gegenwärtige Medizinische Ethik ist weit mehr als ein reflektiertes Ärzte-Ethos, weil der
Kreis der medizinisch Handelnden auch das Pflegepersonal, die Patienten, die Krankenhausverwalter und die Gesundheitspolitiker umfasst. Die verstärkte Wahrnehmung der Patientenautonomie verändert das traditionelle Arzt-Patient-Verhältnis. Neben den individualethischen
sind verstärkt auch sozialethische Frage- und Problemstellungen (z. B. der gerechte Zugang
zum Gesundheitssystem) zu bedenken.
Der weltweit anerkannte Gedanke der Menschenwürde eignet sich am besten, um in der
Pluralität der gegenwärtigen Ethosformen überkulturell akzeptierte ethische Grundüberzeugungen für die Medizinische Ethik zu begründen.
Auch die Medizinische Ethik benötigt ein hervorragend gelebtes Ethos, um Werte und Normen nachhaltig vermitteln zu können. Die rationale Einsicht im Diskurs braucht die ergänzende Bestätigung durch das gelebte Vorbild von helfenden und heilenden Menschen. Dabei
spielt die motivierende Kraft des christlichen Glaubens eine wichtige Rolle.
Literaturhinweise:
Dietmar Mieth, Was wollen wir können? Ethik im Zeitalter der Biotechnik, Freiburg/Br.-Basel-Wien: Herder, 2002, 114-120.
Günther Pöltner, Grundkurs Medizin-Ethik, Wien: Facultas 2002 (= UTB f. Wissenschaft; 2177).
Günter Virt, Theologie als Dimension bioethischer Politikberatung, in: SaThZ 7 (2003), 180-194.
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