Xenotransplantation aus christlich- ethischer Sicht

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Xenotransplantation aus christlichethischer Sicht
Heinrich W Grosse
Pastoralsoziologisches
Institut der Ev. Fachhochschule
Hannover,
D-Hannover
Zusammenfassung
Summary: Xenotransplantation
Bei der Xenotransplantation geht es um "Ethik zwischen
Mensch und Tier". Weil die vom Thema Xenotransplantation in
unterschiedlicher Weise Betroffenen (Patienten, Angehörige,
Medizinerlnnen, "Laien") unterschiedliche Wahrnehmungen
haben, müssen bei der ethischen Urteilsfindung neben der eigenen auch "fremde" Perspektiven bewusst einbezogen werden.
Da sich die Xenotransplantation erst im Stadium präklinischer
Forschung befindet, muss die besondere Chance eines frühen
ethischen Diskurses unbedingt zu einer öffentlichen Diskussion
genutzt werden.
Der Mensch ist nach biblischer Auffassung vor Gott für seine
Mitmenschen verantwortlich, deshalb wäre jede Entscheidung
eines Patienten (oder eines Arztes) für eine Xenotransplantation, die ohne Rücksicht auf das soziale Umfeld bzw. die
Gesamtgesellschaft getroffen wird, ethisch nicht zu rechtfertigen. Aus jüdisch-christlicher Sicht ist im Blick auf Tiere von
einem "Eigenwert der Mitgeschöpfe des Menschen" auszugehen. Das, was mit den für die Transplantationsforschung
eingesetzten Tieren konkret geschieht, darf nicht einfach
" verschwinden" hinter der Vision einer geglückten Xenotransplantation. In der präklinischen Xenotransplantationsforschung
scheint oft genau das zu passieren, was aus der Perspektive
der Schöpfungsverantwortung zu vermeiden wäre: die Instrumentalisierung und Verdinglichung der Tiere für menschliche
Zwecke, ihre Wahrnehmung nur unter der Perspektive des
Nutzwertes. Wir Menschen - nach biblischem Verständnis
Mandatare Gottes für unsere Mitgeschöpfe - müssen darauf
achten, dass die unvermeidbare Güterabwägung zwischen
(vermutetem) Wohl des Menschen und Wohl des Tieres nicht zu
schnell zu Lasten der Tiere ausfällt.
Im Bereich der Xenotransplaruation zeigen sich in besonderer
Weise die Auswirkungen technologischer Möglichkeiten der
Medizin auf Menschenbild und Wertebewusstsein. Sind die mit
der Xenotransplantation verbundenen Hoffnungen Ausdruck
eines mechanistischen
Körperverständnisses
und eines
Menschenbildes, das die Endlichkeit und Unvollkommenheit
des menschlichen Lebens ausblendet?
Die Konzentration auf humanethische Aspekte führt bei
manchen evangelischen Ethikern zu einer Vernachlässigung
tierethischer Aspekte. Es ist jedoch notwendig, zumindest auf
extrem belastende Tierversuche und damit auch auf erhofften
Erkenntnisgewinn zu verzichten, d.h. die Forschungsinteressen
bewusst aus ethischen Gründen zu begrenzen. Die Tendenz zur
Xenotransplantation is a question of "ethics between man and
animal ". Because those affected in different ways by xenotransplantation (patients, relatives, medical doctors, laypeople)
have different perceptions, "foreign" perspectives must be
consciously considered next to one's own perspective in the
ethical judgement.
As xenotransplantation is still at the stage of preclinical
research, this special opportunity for an early public ethical
discussion should be taken. According to biblical teaching, man
is responsible for his fellows before God, therefore every
decision of a patient (or a doctor) in favour of a xenotransplantation made without consideration of the social environment or the society as a whole cannot be ethically justified.
From the Jewish-Christian point of view, the "innate value of
man's fellow creatures" should be considered. What happens
to the animals used for research into transplantation may not
simply "vanish" before the vision of a successful xenotransplantation. What man's responsibility to creatures should
prevent commonly happens: animals are exploited as instruments or treated as objects to reach human goals, they are
perceived only as their utility value. We humans - with God's
biblical mandate for our fellow creatures - must remember that
the unavoidable weighing up between the (proposed) welfare
of man and the welfare of animals should not be decided to the
detriment of the animals too easily.
The effects of medical technological possibilities on the
conception of man and on our value system show themselves in
a special way in xenotransplantation. Are the hopes set in
xenotransplantation an expression of a mechanistic understanding of the human body and a conception of man that
blends out the mortality and imperfection of human life?
Focussing on human-ethical aspects leads to the neglect of
the animal-ethical aspects by some Protestant ethicists.
However, it is necessary to forego at least extremely severe
animal experiments and so also to do without the possible gain
of knowledge, i.e. to consciously limit research interests for
ethical reasons. The tendency towards the reduction of animal
experiments should not be reverted by research into xenotransplantation.
The ethical evaluation of xenotransplantation should also
consider whether economic interests are placed above the
welfare of humans and animals, thus supporting questionable
research processes.
Das Manuskript wurde am 2. 10. 2003 eingereicht;
Druck angenommen
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am 8.10. 2003 wurde die revidierte
from a Christian-ethical perspective
Fassung zum
259
GROSSE
Reduktion von Tierversuchen sollte nicht durch die Xenotransplantationsforschung umgekehrt werden.
Bei einer ethischen Beurteilung der Xenotransplantation ist
auch zu prüfen, ob ökonomische Interessen dem Wohl der
Menschen und der Tiere übergeordnet sind und so fragwürdige
Forschungsprozesse befördern.
Gerechtigkeit und Parteinahme für Benachteiligte sind ein
zentrales Anliegen der biblischen Tradition. Das Gerechtigkeitsproblem stellt sich im Blick auf die Xenotransplantation auf
mehreren Ebenen: Wie kann eine gerechte Organallokation
stattfinden, wenn einmal sowohl tierische als auch menschliche
Organe zur Veifügung stehen sollten? Wie wirkt sich eine
Förderung dieser Medizintechnologie auf die Verteilung der
(begrenzten) Ressourcen im nationalen Gesundheitssystem
aus? Und schließlich: Kann man angesichts des Mangels an
gesundheitlicher Grundversorgung in den armen Regionen
dieser Erde eine kostenintensive Spitzentechnologie für wenige
ethisch rechtfertigen? - eine Technologie, die zudem nach
Einschätzung vieler Experten das Gegenteil des von ihr angestrebten Zieles (Reduktion des Organmangels) erreichen wird.
lustice and partisanship for the disadvantaged is a central
aspect of biblical tradition. The problem in deciding what isfair
in xenotransplantation is multifaceted: How canfair allocation
of organs be ensured when both animal and human organs are
available at the same time? What effects will this medical
technology have on the distribution ofthe (limited) resources on
the national health system? And finally: can such a costintensive technology helping only a few be justified in the light
of the lack of basic medical care in the poor regions of the
earth? - A technology which many experts warn will result in
the opposite of the original goal, i.e. reduction of the lack of
organs.
Keywords: xenotransplantation, Christian ethics, fellow creatures, exploitation of animals, concept of man, problem of justice, societal risks, mortality, self-limitation of research
1
Vorüberlegungen
1.1 Wenn es um Fragen der Bioethik bzw.
Medizinethik geht, wird sehr schnell
deutlich: Die unterschiedlichen Rollen
und Interessen der von dem jeweiligen
Problem Betroffenen führen oft zu unterschiedlichen Problemwahrnehmungen
und entsprechend
unterschiedlichen
ethischen Urteilen.'
Gerade im Blick auf die ethischen Probleme der Transplantationsmedizin wurde
dies dem Betrachter durch Erfahrungen
im eigenen Umfeld bewusst: Zunächst
wurde mit dem Begriff "Organspende"
nur Positives assoziiert, so wie es auch in
einer Gemeinsamen Erklärung des Rates
der EKD (Evangelische Kirche Deutschland) und der Deutschen Bischofskon1 S. dazu: Wolfgang
ferenz zum Ausdruck kommt: "Die
Organspende kann eine Tat der Nächstenliebe über den Tod hinaus sein,'?
Doch dann kam eine persönliche
Konfrontation mit dem tiefen Schmerz
und der Wut einer Mutter an der Beerdigung ihres bei einem Unfall umgekommenen Sohnes. Sie war auf äußerst
fragwürdige Weise zur Einwilligung in
eine Organspende gedrängt worden und
hatte ansehen müssen, wie der Körper
ihres Sohnes gleichsam "ausgeschlachtet" worden war.' Ein anderes Beispiel:
Eine jüngere Frau berichtete von ihrer
Tante, die im Alter von 85 Jahren auf
Anraten ihres Arztes eine Herzklappe
von einem Schwein erhalten hatte. Die
alte Frau musste sich ein Jahr lang von
der Operation erholen und sagte einmal
Lienemann, Neues Herz, neues Leben? Über
unterschiedliche Ebenen der ethischen Reflexion in verschiedenen
mit Transplantation befaßten Gruppen (MS 2002; im Druck).
2 Gott ist ein Freund des Lebens. Gemeinsame Erklärung des Rates
der EKD und der Deutschen Bischofskonferenz, Trier 2000 (im
Folgenden zit. als: Gott ist ein Freund des Lebens), dort S. 103.
Kritisch dazu: Günter Altner, Leben in der Hand des Menschen. Die
Brisanz des biotechnischen Fortschritts, Darmstadt 1998 (im
Folgenden zit. als: Günter Altner, Leben), bes. S. 98.
260
resigniert: "Es war Unsinn, das machen
zu lassen." Ihre Atemnot, Grund für die
Operation, sei wieder da.
Grundsätzlich ergibt sich aus der
Tatsache unterschiedlicher
Problemwahrnehmungen
die Notwendigkeit
(und Schwierigkeit!), bei der ethischen
Urteilsfindung neben der eigenen auch
"fremde" Perspektiven bewusst einzubeziehen. Im Bereich der Medizinwissenschaften gilt dies besonders für das
Verhältnis von "Experten" und "Laien".
Die gesellschaftliche Ausdifferenzierung
hat dazu geführt, dass es zwischen diesen
Gruppen nur in Ausnahmefällen zum
Meinungsaustausch kommt. Dem Autor,
einem in Hannover arbeitenden Theologen, ist erst bei der Vorbereitung dieses
Beitrages deutlich geworden, dass die
3 Sie hat diese Erfahrung in mehreren Veröffentlichungen
verarbeitet: Renate Greinert, Organspende - Nie wieder, in: dies.,
Gisela Wuttke, Hrsg., Organspende. Kritische Ansichten zur
Transplantationsmedizin,
Göttingen, 2. A. 1993, S. 76-90 sowie
dies., Einbahnstrasse Nächstenliebe, in: Uwe Herrmann und
Christa Dommel, Hrsg., Die Seele verpflanzen? Organtransplantation als psychische und ethische Herausforderung, Gütersloh
1996.
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Medizinische
Hochschule Hannover
(MHH) eine Hochburg der Transplantationsmedizin und der Xenotransplantationsforschung ist und dass in der Nähe
das Institut für Tierzucht und Tierverhalten (Mariensee) liegt, in dem transgene Schweine gezüchtet werden.'
Es bedarf also bewusster Anstrengungen, um die "Apartheid" zwischen medizinischen Laien und Experten zu überwinden. Ähnliches gilt innerhalb der Medizinwissenschaften, z.B. zwischen Virologen,
Chirurgen und Tiermedizinern aufgrund
ihres jeweiligen Spezialistentums.
1.2 Um Chancen und Grenzen christlicher Stellungnahmen im Bereich der
Medizin einschätzen zu können, ist es
notwendig, die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen zu berücksichtigen.
Nicht zufällig betonen Kritiker kirchlicher Stellungnahmen, dass die Kirchen
hierzulande nur eine Organisation neben
anderen sind und dass ihre Vertreter und
Gremien kein Deutungs- und Entscheidungsmonopol in ethischen Fragen mehr
haben.' Zudem gibt es vor allem im
Protestantismus einen innerkirchlichen
Pluralismus unterschiedlicher Positionen, wie die kontroverse Debatte zwischen evangelischen Bischöfen und
Ethikprofessoren um den Status von
Embryonen deutlich zeigt.s Das hat nicht
nur soziologische, sondern auch theologische Gründe: In den reformatorischen
Kirchen gibt es kein Lehramt, das dem
der katholischen Kirche vergleichbar
wäre.
Welche Funktion können in einer
solchen gesellschaftlich-kirchlichen Situation ethische Stellungnahmen von
kirchlichen Gremien oder einzelnen
Christinnen und Christen haben? Christlich begründete Voten könnten dazu
beitragen, bestehende Zustände und
Entwicklungen - z.B. in den Medizinwissenschaften oder in der Sozialpolitik
- kritisch zu hinterfragen. Christliche
Ethik sollte tendenziell eher eine "unterbrechende", ideologiekritische Funktion
haben, statt zu einer Akzeptanzethik des
Bestehenden zu werden." Dabei muss
man sich bewusst sein, dass ethische
Stellungnahmen aufgrund der rasanten
technologischen Entwicklungen in den
sog. Leitwissenschaften zunehmend der
Gefahr unterliegen, der Faktizität der
Entwicklungen nur zu folgen, statt sie
steuernd zu beeinflussen."
Für das Problem der Xenotransplantation ist die Ausgangssituation erfreulicherweise (noch) anders: "Die durch die
4 S. dazu: Axel Haverich und Omke E. Teebken, Zur Ethik der
Tierversuche aus biomedizinischer Sicht, in: Tierversuche und
Tierschutz, Tagung der Ev. Akademie Bad BolI, Protokolldienst
26/01, Bad Boll 2001, S. 13-31, sowie: Wilfried Kues, Muss die
Genforschung über Leichen gehen? Eine ethische Kritik der
Methoden, in: Andreas Dally und Christa Wewetzer, Hrsg., Die
Logik der Genforschung, Loccumer Protokolle 24/01, Loccum
2001, S. 85-93.
5 Auch von Kirchenvertretern
wird das wahrgenommen, wie das
Votum des Vizepräsidenten der EKD, Hermann Barth, zeigt: "Einen
Alleinvertretungsanspruch
haben die Kirchen hier nicht. Ihre Antworten konkurrieren mit anderen Antwortangeboten,
und die
kirchliche Stimme behält nur Gewicht, solange und soweit sie Überzeugungskraft besitzt." (ders., Wie wollen wir leben? Beiträge zur
Bioethik aus evangelischer Sicht, Hannover 2003, dort S. 13-14).
6 S. dazu: Reiner Anselm und Ulrich H. J. Körtner, Hrsg., Streitfall
Biomedizin. Urteilsfindung in christlicher Verantwortung, Göttingen
2003. Dort auch: Starre Fronten überwinden. Eine Stellungnahme
evangelischer Ethiker zur Debatte um die Embryonenforschung
(S. 197-208). In dem vom Kirchenamt der EKD herausgegebenen
Text "Im Geist der Liebe mit dem Leben umgehen. Argumentationshilfe für aktuelle medizin- und bioethische Fragen" (EKDTexte Nr. 71, Hannover 2002) heißt es: "Trotz intensiven Bemühens
war es ihr (der EKD-Kammer für Öffentliche Ordnung - H.G.) nicht
möglich, zu einer einmütigen, gemeinsam getragenen Position zu
kommen." (S. 16).
7 Günter Altner nennt Grundsätze, die notwendig sind, "wenn die
Ethik in der Auseinandersetzung
mit dem biotechnischen Fort-
Kompliziertheit des Forschungsprozesses gegebene Langsamkeit der Etablierung der klinischen Xenotransplantation
eröffnet der Bioethik momentan eine
seltene Möglichkeit. Sie kann vor der
Etablierung einer Technologie, die den
medizinischen Alltag revolutionieren
könnte, Kriterien festlegen, ob - und wenn
ja unter welchen Umständen - dieses
Verfahren sittlich vertretbar ist."? Diese
besondere Möglichkeit eines rechtzeitigen ethischen Diskurses nicht zu nutzen,
wäre unverantwortlich angesichts der mit
der Xenotransplantation
verbundenen
Probleme für Menschen und Tiere.
2
Ethik zwischen Mensch und Tier
Das ist ja das Besondere am Problemfeld
der Xenotransplantation: Hier geht es
nicht nur um humanethische bzw. medizinethische Probleme, sondern ebenso
um tierethische Aspekte, mit den Worten
des katholischen Ethikers Dietmar Mieth
um "Ethik zwischen Mensch und Tier".
Wenn es zur klinischen Anwendung der
Xenotransplantation
kommen sollte,
wird "die Therapie die Artgrenze zwischen Mensch und Tier überschreiten,
die Nutzung der Tiere erweitern und
schritt nicht zu einem problematischen
Legitimationsinstrument
verkommen soli". (ders., Leben, S. 8)
8 Vgl. Jürgen Habermas, Auf schiefer Ebene, in: Die Zeit, Nr. 5,
24.1.2002, S.33: "Bisher entfaltet die biotechnologische
Entwicklung eine Dynamik, die die zeitraubenden Selbstverständigungsprozesse der Gesellschaft über ihre moralischen Ziele
immer wieder überrollt. Je kürzer der zeitliche Horizont, den
wir in Betracht ziehen, umso größer wird später die Macht der
dann bereits geschaffenen Fakten sein."
9 Karin Blumer, Ethische Aspekte der Xenotransplantation,
in:
Fuat S. Oduncu, Ulrich Schroth und Wilhelm Vossenkuhl, Hrsg.,
Transplantation. Organgewinnung und -allokation, Göttingen 2003
(im Folgenden zit. als: Fuat Oduncu u.a., Transplantation),
S. 312-332, dort S. 313. - "Dass wir heute die Möglichkeit haben,
ethische Problemstellungen
der Biowissenschaften
im Vorfeld der
Einführung neuer Techniken in die Praxis zu diskutieren, lässt sich
als Indiz für die gewandelte und gestärkte Rolle der bioethischen
Diskussion in unseren Gesellschaften deuten." (Eve-Marie Engels,
Gisela Badura-Lotter und Silke Schicktanz, Hrsg., Neue Perspektiven der Transplantationsmedizin
im interdisziplinären Dialog,
Baden-Baden 2000 - im Folgenden zit. als: Neue Perspektiven,
S. 3-16, dort S. 3). Geradezu euphorisch meint Claus Hammer:
"Es wäre das erste Mal in der Geschichte der Medizin, daß
ethisch-rechtliche
Probleme geklärt wären, bevor die in Frage
kommende Technik Einzug in die Klinik hält." (ders., Tierorgane für
Menschen. Medizinische Möglichkeiten und ethische Fragen der
Xenotransplantation,
Berliner Medizinische Schriften, Heft 32,
Berlin 1999, S. 23.)
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damit u.a. den über die Tiernahrung
(gemeint: menschliche Ernährung von
Tieren - H.G.) weit hinausreichenden
Sonderfall schaffen, dass die menschliche Verantwortung sowohl das Wohl des
menschlichen Empfängers als auch, aufgrund der asymmetrischen Partnerschaft,
das Wohl des Tieres zu beachten hat".'?
Auch der Mediziner Dietrich von Engelhardt identifiziert als "das zentrale ethische Problem der Xenotransplantation"
den ,,Ausgleich der Achtung vor dem Tier
und der Wahrung der Menschenwürde" .11
Wegen der bei der Xenotransplantation
vorliegenden besonderen Mensch- TierBeziehung wird im Folgenden zunächst
sehr knapp auf medizinethische Problemstellungen, dann aber vor allem auf die
spezifischen tierethischen Probleme und
das mit der Xenotransplantation verbundene Menschenbild-Problem eingegangen.
Dabei sind die Überlegungen auf die Xenotransplantation von komplexen Organen
beschränkt, weil diese sich - anders als die
Xenotransplantation von Geweben und
Zellen - noch im präklinischen Bereich
befindet und weil sich hier das zentrale
ethische Problem der Verantwortung für
Mensch und Tier besonders deutlich stellt.
3 Den Menschen betreffende
medizin ethische Aspekte
Mit der Technologie der Xenotransplantation ist - das macht ein Blick in die neuesten Untersuchungen sehr deutlich - eine
Vielzahl von Risiken verbunden, deren
Ausmaß nach wie vor schwer abschätzbar
iSt.12 Dabei handelt es sich vor allem um 1.
Probleme immunologisch bedingter Abstoßung des transplantierten Organs; 2.
mikrobiologische Infektionsrisiken und 3.
das Problem der physiologisch-anatomischen Kompatibilität der Organe mit dem
menschlichen Organismus.P
Diese Probleme betreffen nicht nur die
Patienten, sondern auch ihr soziales Umfeld, ja die Gesellschaft insgesamt. Aus
der Perspektive christlicher Verantwortungsethik stellt sich für Medizinerlnnen
damit die Frage, ob sie die mit einer Xenotransplantation verbundenen Risiken
überhaupt mit ihrem Heilungsauftrag
vereinbaren können. Auch wenn die
behandelnden Ärztinnen diese Frage
bejahen würden, entbände der nachvollziehbare Wunsch eines Patienten nach
einem lebensrettenden bzw. lebensverlängernden xenogenen Organ sie nicht
von der Pflicht, den Patienten und sein
Umfeld verständlich, genau und nachdrücklich über individuelle wie gesellschaftliche Risiken zu informieren. Da
der Mensch nach biblischer Auffassung
vor Gott für seine Mitmenschen verantwortlich ist, wäre jede Entscheidung eines Patienten (und eines Arztes) für eine
Xenotransplantation, die ohne Rücksicht
auf das soziale Umfeld bzw. die Gesamtgesellschaft getroffen wird, ethisch nicht
zu rechtfertigen. Neben der individualethischen Perspektive, die das Wohl des
Patienten und seine Autonomie im Auge
hat, darf die sozialethische Perspektive
nicht aus dem Blick geraten.
10 Dietmar Mieth, Was wollen wir können? Ethik im Zeitalter der
Biotechnik, Freiburg 2002, S. 316.
11 Dietrich von Engelhardt, Transplantationsmedizin
heute, in: Hartmut
Kreß und Hans-Jürgen Kaatsch, Hrsg., Menschenwürde, Medizin und
Bioethik, Münster 2000, S. 157-171, dort S. 148.
12 Nur so ist zu erklären, dass fast alle jener Mediziner, die für eine
Weiterführung der Xenotransplantationsforschung
plädieren, die
klinische Forschung in diesem Bereich (noch) ablehnen. Zu den
Risiken S.: Bärbel Hüsing u.a., Technologiefolgenabschätzung
Xenotransplantation, Schweizerischer Wissenschaftsrat TA 30/1998,
Bern 1998; Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW), Medizinisch-ethische
Grundsätze zur Xenotransplantation, Fassung vom Mai 2000, in: Schweizer Ärztezeitung,
2000:81, Nr. 31, S. 1717-1721; Silke Schicktanz, Organlieferant Tier?
Medizin- und tierethische Probleme der Xenotransplantation,
Frankfurt/M. 2002 (im Folgenden zit. als: Silke Schicktanz, Organlieferant Tier?); dies., Medizinische Probleme der Xenotransplantation,
in: Ethik der Medizin 2002, S. 234-251 sowie die Aufsätze zur Xenotransplantation (Aufsätze Nr. X-XVII) in: Neue Perspektiven, S. 131-280.
13 S. vorige Anm.
262
Aufgrund des nicht genau abschätzbaren Infektionsrisikos für den Patienten
und seine Kontaktpersonen haben Befürworter der Xenotransplantation eine
Reihe von Maßnahmen zur (eventuell
lebenslangen!) Überwachung von Patienten und ihres Umfeldes vorgeschlagen.
Die ethischen Probleme, die sich aus
dem sog. Patientenmonitoring ergeben ganz gleich, ob es auf einem .informed
consent" oder auf einem .informed
contracf' beruht -, werden angesichts der
großen Hoffnungen, die manche auf die
Xenotransplantation als Therapie setzen,
oft nicht hinreichend wahrgenommen.I"
Während die ethische Brisanz der mit
der Xenotransplantation verbundenen
medizinischen Risiken von medizinischen ExpertInnen - aufgrund der Faszination durch eine vermutete Zukunftstechnologie? - oft unterschätzt wird,
scheint es, dass Geisteswissenschaftlerlnnen das Problem einer Identitätsänderung durch Transplantation eines tierischen Organs oft überschätzen. Zu Recht
schreibt der Theologe Johannes Fischer:
"Natürlich berührt die Implantierung
eines Tierorgans eminent die eigene
Selbstwahrnehmung
wie auch die
Fremdwahmehrnung durch andere. Doch
genau dies kennzeichnet gerade die
menschliche Identität und Sozialität,
dass sie nicht einfach durch den Leib
determiniert ist, sondern sich in der auch
die Leiblichkeit umfassenden Selbst- und
Fremdwahmehrnung bildet.?"
Diese christlich-theologische Sicht der
mit der Xenotransplantation verbunde-
14 S. die differenzierten
Überlegungen von Silke Schicktanz, in:
dies., Organlieferant Tier?, bes. S. 173-200 und in: dies.,
Medizinethische Probleme der Xenotransplantation, aaO., S. 234251.
15 Johannes Fischer, Zur ethischen Problematik der Xenotransplantation, in: ders., Handlungsfelder angewandter Ethik - eine
theologische Orientierung, Stuttgart 1998, S. 117-133, dort S. 133.
In der Stellungnahme des Kirchenamtes der EKD und des
Sekretariats der deutschen Bischofskonferenz .Xenotransplantation
- Eine Hilfe zur ethischen Urteilsbildung" , Gemeinsame Texte 13,
Hannover/ Bonn 1998 (im Folgenden zit. als: Gemeinsame Texte 13)
heißt es: "Die Implantierung eines Tierorgans kann den Menschen ...
nicht seiner Identität als Mensch berauben, sondern sie kann im
Prinzip in diese integriert werden." (S. 21) Anders: Günter Altner:
"Das Tier als Mitkreatur und Gegenüber wäre hier (im Falle der
Xenotransplantation - H.G.) zum Verschwinden gebracht, aber in
den Tag- und Nachtträumen der Empfängerpatienten würde es eine
bedrückende Wiederauferstehung feiern." (Leben, S. 120-121).
Siehe zum Identitätsproblem auch die differenzierten Überlegungen
von Silke Schicktanz in: Organ lieferant Tier?, S. 119-127.
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nen Identitätsproblematik schließt allerdings besondere seelsorgerliehe Betreuung von Menschen, die ein tierisches
Organ erhalten haben, keineswegs aus so wie das ja auch bei Patientlnnen mit
menschlichen Organen der Fall ist."
4
Tierethische Aspekte
Anders als bei der Allotransplantation
spielen tierethische Aspekte bei der
Xenotransplantation eine zentrale Rolle;
denn hier sollen ja tierische Organe künftig den Mangel an menschlichen Organen beheben. Die ethischen Probleme,
die grundsätzlich mit Tierversuchen gegeben sind;'? stellen sich hier in zugespitzter Form, weil hier Tiere von der
Phase präklinischer Forschung bis zur
eventuellen klinischen Umsetzung der
Therapie konsequent für das menschliche Wohl, für menschliche Gesundheitsbedürfnisse genutzt und verbraucht
werden. Damit stellt sich besonders
16 So auch: Michael Quante,
augenfällig die Frage nach der Sicht des
Verhältnisses von Mensch und Tier, nach
dem Verhältnis von Wohl des Menschen
und Wohl des Tieres.P
Zunächst einige grundsätzliche Bemerkungen zu dieser Frage aus christlicher
Sicht:
Angesichts der unterschiedlichen biblischen Aussagen zum Verhältnis von
Mensch und Tier ist ein naiver Biblizismus unangemessen. Zu fragen ist nach
den Grundtendenzen dieser Aussagen;
dabei scheinen drei Grundtendenzen
besonders wichtig:
• Tiere werden in der Bibel - anders als
in der späteren abendländischen Tradition - nicht als Sachen betrachtet. Sie
haben eine Würde als Mitgeschöpfe
des Menschen.'?
• Die Beauftragung des Menschen zur
Herrschaft über die Tiere (Gen. 1,26
und 28; 9,1-2) ist nicht zu trennen vom
biblischen Verständnis der Gottebenbildlichkeit des Menschen.P "Die
Bestimmung, den Mitgeschöpfen die
Ethische Aspekte der Xenotransplantation, in: ders., Andreas Vieth, Hrsg., Xenotransplantation.
Ethische und rechtliche Probleme, Paderborn 2001, S. 15- 66,
dort S. 51.
17 S. dazu auch Heinrich W. Grosse: Christliche Verantwortung
und
Experimentelle Medizin. Versuche mit und am Menschen;
Tierversuche, in: Altex 4/2002, S. 195-202. Ferner: Franz Paul
Gruber, Haltung oder Experiment - der Respekt vor der Würde des
Tieres geht verloren, in: Martin Liechti, Hrsg., Die Würde des Tieres,
Erlangen 2002 (zit. als: Die Würde des Tieres), S. 296-303.
18 Grundsätzlich
hierzu: Gotthard Teutsch, Ethische Abwägung von
Tierversuchen als gesetzlicher und gesellschaftlicher Auftrag: Von
der zwischenmenschlichen
zur artübergreifenden
Humanität, in:
Franz Paul Gruber und Horst Spielmann, Hrsg., Alternativen zu
Tierexperimenten,
Berlin, Heidelberg, Oxford 1996, S. 15-46.
19 S. auch: Für ein Ethos der Mitgeschöpflichkeit.
Wort der
Kirchenleitung der Nordelbischen Ev.-Iuth. Kirche zum
Welttierschutztag,
0.0. 1998, S. 4: "Tiere sind Mitgeschöpfe des
Menschen. Sie sind wie wir auf Gott als den Ursprung und die
Quelle allen Lebens bezogen. Tiere haben ihre eigene Würde, ihre
eigene Schönheit, ihren eigenen Lebensraum. Ihr Platz in der
Schöpfung verbietet es, sie nur unter Nutzungsinteressen
zu
sehen." (S. auch §1 des deutschen Tierschutzgesetzes,
in dem die
Rede ist von "der Verantwortung des Menschen für das Tier als
Mitgeschöpf dessen Leben und Wohlbefinden zu schützen".)Dabei ist zu bedenken: "Das Geschöpfsein der Tiere wie des
Menschen ist keine empirische Feststellung, sondern eine religionskulturelle Zuschreibung." (Ulrich Körtner, Art. Tier, in: TRE, 3.Aufl.,
Bd. 33, Berlin 2002, S. 527-534, dort S. 528).
20 Helena Röcklinsberg versteht die Gottebenbildlichkeit
als
"Fähigkeit ... , die es dem Menschen ermöglicht, seine
anthropozentrische
und ichbezogene Lebensanschauung
zu
verlassen, um dank des Dialogs mit Gott und aus Dankbarkeit ihm
gegenüber zu versuchen, sich der Schöpfung gegenüber so zu
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Imago Dei vor Augen zu bringen, heißt
nach altorientalischem Verständnis:
königliche Gerechtigkeit und Schutz
der Schwachen zu üben. Gerechtigkeit
und Schutz der Schwachen gegenüber
den Mitgeschöpfen müssen also mit
der Ausbreitung und Herrschaft der
Menschen einhergehen.T" Das bedeutet: Im Umgang mit Tieren steht immer
auch die Humanität des Menschen auf
dem SpieI.22
• Die Gewaltaspekte im Verhältnis zwischen Mensch und Tier werden in der
Bibel realistisch benannt (Gen. 3,1415; 9,1-4). Aber diese Perspektive wird
aufgebrochen durch die Vision eines
Schöpfungsfriedens zwischen Mensch
und Tier (Jes. 11,6-9; 65,17-25; Hos.
2,20; Ez. 34,25-28; Röm. 8,18-25).
Welche ethischen Konsequenzen ergeben sich aus dem biblischen Befund?
Der Theologe Gerhard Liedke resümiert:
"Das gesamtbiblische Zeugnis legt uns
für die heutige Situation extremer Gewalt
gegen die Tiere und extremen Leidens
verhalten, dass sie aus Gottes Perspektive gesehen und geachtet
wird .... Die Ebenbildlichkeit ist demnach primär als eine
funktionale Sonderstellung zu verstehen, die in der Frage der
Mensch- Tier-Beziehung darauf zielt, das Tier seiner Art gemäß
und so zu behandeln, dass es vor Gott nicht klagen muss." In
ihrem Entwurf einer "theozentrischen Tierethik" zieht Helena
Röcklinsberg die konkrete, weitreichende Schlussfolgerung:
"Menschen dürfen Tiere nur dann halten, wenn sie ihnen ein
artgerechtes Leben bieten, und die Tiere nur dann töten - und
zwar möglichst schonend und ohne vorhergehende Transporte -,
wenn sie entweder sterbenskrank sind oder ihr biologisches
Sterbealter erreicht haben. Dann hätte das Seufzen der Schweine
ein Ende." ( dies., Das seufzende Schwein. Zur Theorie und Praxis
in deutschen Modellen zur Tierethik, Erlangen, 2001, S. 362, 365
und 393.)
21 Michael Welker, Person. Menschenwürde
und Gottebenbildlichkeit, in: Jahrbuch für Biblische Theologie, Bd. 15, 2000,
S. 247-262, dort S. 259.
22 Vgl. Frank Surall, Tierschutz im Kontext der Menschenwürde,
in:
Hartmut Kreß u.a., Hrsg., Menschenwürde, Medizin und Bioethik,
aaO., S. 157-171, bes. S. 162. - In dem Diskussionsbeitrag
der
EKD "Zur Verantwortung des Menschen für das Tier als
Mitgeschöpf" (EKD-Texte 41, Hannover 1991) heißt es u.a.:
"Schmerzen und Leiden müssen bei Versuchstieren auf das
unvermeidliche Maß eingeschränkt werden. Bei Tierversuchen
werden immer noch zu viele und zu sensible Tiere eingesetzt. ...
Die Zufügung von Schmerzen und Leiden gegenüber einem
Mitgeschöpf führt ohnehin in eine starke Spannung zur
grundsätzlichen Verpflichtung, barmherzig und human mit ihm
umzugehen. So erklärt sich wohl auch die verbreitete Neigung, die
Schmerzens- und Leidensfähigkeit bestimmter Tiere in Frage zu
stellen oder nur eingeschränkt anzuerkennen. Doch eine bereits
als wahrscheinlich anzunehmende Schmerz- und Leidensfähigkeit
ist ethisch relevant." (ebd., S. 19 und 20.)
263
GROS SE
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I~
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~
der Tiere nahe, Minimierung der Gewalt
gegenüber den Tieren und Linderung
des Leidens der Tiere, wo immer es geht,
als christliche Handlungsmaximen zu
betrachtent'"
Zugegebenermaßen ist die Sicht von
Tieren als "Mitgeschöpfen des Menschen" erst (wieder) möglich geworden
mit der Infragestellung des einseitigen
Anthropozentrismus
der kirchlichen
Tradition." In der Gemeinsamen Erklärung des Rates der EKD und der
Deutschen Bischofskonferenz (aus dem
Jahr 2000) "Gott ist ein Freund des
Lebens" wird bewusst der "Eigenwert
der Mitgeschöpfe des Menschen" betont:
"Die Mitgeschöpfe des Menschen dürfen
nicht nur und nicht zuerst unter dem
Gesichtspunkt des für ihn gegebenen
Nutzwerts betrachtet werden.?"
Die Position des Theologen und Biologen Günter Altner ist einleuchtend:
"Die jüdisch-christliche Schöpfungsverantwortung schließt den verändernden
Eingriff in die Schöpfung und in das
Leben des Menschen nicht aus. Aber der
Vorbehalt gegenüber allen willkürlichen,
belastenden oder zerstörenden Eingriffen
ist hier besonders hoch. Und das hängt
damit zusammen, dass der Mensch (aber
auch jedes andere Geschöpf) ... als
Zweck in sich selbst verstanden wird.
Dadurch sind jeder Verdinglichung
Grenzen gesetzt."26
Was bedeuten diese biblisch-christlichen (in der Geschichte der Kirchen
keineswegs immer geteilten) Überzeugungen konkret für das Problem der
Xenotransplantation?
Silke Schicktanz nennt als tierethische
Probleme vor allem: die Erzeugung
transgener Tiere, die Anwendung und
Weiterentwicklung des Klonverfahrens
bei diesen Tieren, ihre Haltung unter
spezifiziert-pathogenfreien Bedingungen
und den zunehmenden Einsatz von
Primaten in der präklinischen Forschung.?"
Es kann hier auf diese Probleme nicht
im einzelnen eingegangen werden, aber
man sollte versuchen, sich möglichst
konkret vorzustellen, was sich hinter
diesen Stichworten verbirgt. Denn: Die
Wahrheit ist konkret. Das bedeutet:
Das, was mit den für die Xenotransplantationsforschung eingesetzten Tieren geschieht, darf nicht einfach "verschwinden" hinter der Vision einer geglückten
Xenotransplantation. Denn dann wird
deutlich: "Die Herstellung transgener
Tiere geht mit einem ungeheuren Tierverschleiß einher, die typische Erfolgsrate der Transgenese liegt nur bei rund
einem Prozent?" Dann wird deutlich,
dass die Experimente mit Primaten für
letztere Schmerzen, Leiden und den Tod
bedeuten." Dann wird deutlich, "dass
die irrige Annahme, Schweine für die
Liedke, "Tier-Ethik" - biblische Perspektiven, in: ZEE 29
(1985), S. 160-173, dort S. 170.
24Allerdings "bleibt ein erkenntnistheoretischer Anthropozentrismus
unvermeidlich". (Ulrich Körtner, Art. Tier, aaO., S. 532) . So auch:
Wolfgang Lienemann, Biozentrismus oder Anthropozentrismus
in
der Tierethik - ein Gegensatz? (Unveröft. Ms., Bern 2000)
25 Gott ist ein Freund des Lebens, S. 37.
26Günter Altner, Leben, S. 7.
27 Vgl. dazu Silke Schicktanz, Ethische Fragen der Xenotransplantation unter besonderer Berücksichtigung
von tierethischen
Aspekten (Vortrag am 21.9.2003 in Linz); ausführlich dazu: dies.,
Organ lieferant Tier?, S. 201ft.
28 Kurd Stapenhorst, Unliebsame Betrachtungen
zur Transplantationsmedizin, Göttingen 1999, S. 50.
29 Silke Schicktanz,
Organlieferant Tier?, S. 284. Ferner: "Exposed:
Secrets of the Animal Organ Lab", in: The Observer, Apri/20, 1998;
Franz Paul Gruber, Möglichkeiten, die Zahl für Versuchszwecke
gezüchteter und gehaltener Tiere zu verringern und ihr Wohlbefinden zu verbessern, in: Ev. Akademie Bad BolI, Hrsg., Tierversuche und Tierschutz, Bad Boll 2001, S. 133-150.
30 Anita Idel, Xenotransplantation
und Tierschutz, in: Neue Perspektiven, S. 196-220, dort S. 212. Die folgende "Stellungnahme
des Wissenschaftlichen
Beirates der Bundesärztekammer
zur
Xenotransplantation"
ist deshalb abzulehnen: "Sollte sich das
23 Gerhard
264
Xenotransplantation
würden sauberer
und somit ,besser' gehalten, in Unkenntnis der wahren Bedürfnisse der Schweine
Konjunktur hat"." Dann wird deutlich:
Herzen von trans genen Schweinen
werden in die Bauchhöhle von immunsupprimierten Pavianen transplantiert
und der Tod der Tiere dafür in Kauf
genommen.
Richtig verstanden, geschieht also in
der präklinischen Xenotransplantationsforschung - von der eventuellen Umsetzung in klinische Versuche einmal
abgesehen - oft genau das, was aus der
Perspektive christlich-jüdischer Schöpfungsverantwortung zu vermeiden wäre:
die Instrumentalisierung und Verdinglichung der Tiere für menschliche
Zwecke, ihre Wahrnehmung nur unter
der Perspektive des Nutzwertes." "Die
Xenotransplantation", so die evangelische Ethikerin Renate Knüppel von der
EKD, "ist ein weiterer einschneidender
Schritt in der technologischen Verfügbarmachung von Tieren. Das betrifft insbesondere den gentechnischen Eingriff in
den Organismus der Tiere"32, ihre Funktion als .Drganlager" für die Menschen,
aber auch die Umstände ihrer Haltung."
Deshalb ist auch der Begriff "Spendertier" abzulehnen als ein Euphemismus,
der die wahre Situation und Funktion der
Tiere in der Xenotransplantation verschleiert. 34
Schwein als geeignetes Spendertier herausstellen, dürfte es kaum
Gründe gegen eine keimfreie Zucht geben." (Deutsches Ärzteblatt
96, H. 28-29, A-1920-1926, dort A-1924)
31 Günter Altner fragt provokativ: "Kann es denn angehen, dass
die uns anvertrauten Tiere nur noch Genboxen für uns sind, in die
wir hineinstecken und herausholen, was uns unter dem Druck
unserer Nutzungs- und Profitinteressen gerade richtig erscheint?"
(Leben, S. 60). Ähnlich fragt Florianne Koechlin, "ob die Herstellung transgener Schweine als ,Organlager' für Menschen nicht
eine Instrumentalisierung
tierischen Lebens beinhaltet, die sich
mit ... der ,Würde der Kreatur' nicht vereinbaren lässt". (F. Koechlin,
Freie Fahrt für klinische Versuche?, in: Gen-ethischer Informationsdienst Nr. 135/136, S. 44-47, dort S. 47)
32 Renate Knüppel, Ein weiterer Schritt, um die Tiere technologisch verfügbar zu machen, in: Protexte. Aus der Ev. Akademie
der Pfalz, 5.3.2000, Speyer 2000, o.S.
33 Zu den ethischen Aspekten der Ethologie s.: Helena Röcklinsberg, Das seufzende Schwein. Zur Theorie und Praxis in deutschen
Modellen zur Tierethik, Erlangen 2001, bes. S. 55ft und S. 335ft.
Franz Paul Gruber konstatiert: "Die Wissenschaft und auch die
Industrie setzen sich jedoch vielfach über die gerechtfertigten
Ansprüche an die Tierhaltung hinweg, weil das Experiment sonst
gar nicht möglich wäre." (ders., Haltung oder Experiment - der
Respekt vor der Würde des Tieres geht verloren, aaO., S. 300.)
ALTEX 20, 4/03
--~~ ~~
Gerade weil die Machtbeziehung zwischen Menschen und Tieren asymmetrisch ist, weil es "Tierrechte ... nur von
Gnaden der Menschen'<" gibt, müssen
wir Menschen - nach biblischem Verständnis Mandatare Gottes für unsere
Mitgeschöpfe - darauf achten, dass die
notwendige und unvermeidbare .Abwägung zwischen artgerechtem und möglichst schmerzfreiem Leben auf Seiten
der Tiere und den spezifischen Überlebens- und Heilungsinteressen der Menschen''" nicht vorschnell zu Lasten der
Tiere erfolgt. Grundsätzlich gilt m. E.
für eine ethische Güterabwägung: "Je
geringer die Erfolgsaussichten
der
Xenotransplantation aufgrund der damit
verbundenen Risiken sind, desto schwerer fallen die tierethischen Aspekte bei
der Gesarntbeurteilung der Xenotransplantation ins Gewicht,'?"
5
Xenotransplantation und
christliches Menschenbild
Die nie gekannten technologischen Möglichkeiten der modemen Medizin und die
damit verknüpften Heil(ung)s-Erwartungen und -Versprechen beeinflussen in zunehmendem Maße unser Menschenbild.
34 S. dazu: Eve-Marie
Im Bereich der sog. Hochleistungs- oder
High-Tech-Medizin stellt sich dabei die
ethische Frage: Wie kann vermieden
werden, dass medizinisches Forschen
und Handeln ein mechanistisches und
reduktionistisches Menschenbild fördert,
das die Endlichkeit und wesensmäßige
Unvollkommenheit menschlichen Lebens
ausblendet? Die Frage nach den gewollten und ungewollten Auswirkungen auf
das Menschenbild und Wertebewusstsein
unserer Gesellschaft ist eine zentrale
ethische Herausforderung für die Selbstreflexion der medizinischen Forschung.
Das gilt u. E. in besonderer Weise für den
Bereich der Xenotransplantation.
Es besteht keineswegs die Absicht,
die subjektiven Motive derer, die als
ForscherInnen, potentielle Patientlnnen
bzw. Angehörige auf die Technologie der
Xenotransplantation
hoffen, pauschal
und grundsätzlich in Frage zu stellen.
Aber es soll auf die ethische Problematik
hingewiesen werden, die in der Logik einer
Medizintechnik liegt, die den Mangel an
menschlichen Spenderorganen durch
möglichst unbegrenzt zur Verfügung
stehende tierische Organe beheben will.
Zugespitzt: "Generell könnte eines Tages
jedes Organ des Menschen ausgetauscht
und ersetzt werden. In diesem Aus-
Engels, Xenotransplantation
- eine neue
Freisetzungsproblematik.
Wissenschaftstheoretische
und ethische
Aspekte ihrer Risikobeurteilung, in: Neue Perspektiven, S. 170-175,
dort S. 172, sowie: Silke Schicktanz, Organ lieferant Tier?, S. 201.
35 Wolfgang Lienemann, Zur Ethik der Tierversuche, in: Ev.
Akademie Bad BolI, Hrsg., Tierversuche und Tierschutz, Bad Boll
2001, S. 33-43, dort S. 40.
36 Günter Altner, Leben, S. 119.
37 Stellungnahme der .Eidqen. Ethikkommission
für Gentechnik im
außerhumanen Bereich" (EKAH) vom Februar 2000, zit. n.: Andrea
Arz de Falco, Die Würde des Tieres. Tierethische Aspekte in der
ethischen Debatte um die Xenotransplantation,
in: Martin Liechti,
Hrsg., Die Würde des Tieres, aaO., S. 311-323, dort S. 314. - Der
Verweis auf die ungleich größere Zahl an Tieren, besonders
Schweinen, die für menschlichen Fleischverzehr in Europa
gezüchtet und getötet werden, kann u. E. nicht als Argument für
die Xenotransplantationsforschung
dienen, da in der ethischen
Debatte nicht von einer "Gleichheit im Unrecht" ausgegangen
werden darf und sich ein Übel nicht durch den Hinweis auf ein
anderes größeres Übel entschuldigen lässt. S. dazu: Andrea Arz de
Falco, Die Würde des Tieres, aaO., S. 316 sowie Johannes Fischer,
Zur ethischen Problematik der Xenotransplantation,
aaO., S. 316. In dem "Gemeinsamen Text" des Kirchenamtes der EKD und des
Sekretariats der Deutschen Bischofskonferenz
wird argumentiert:
"Der Nutzen von Tieren bei der Xenotransplantation
ist unvergleichlich größer - nämlich u.U. lebensrettend - als beim weithin
akzeptierten Fleischverzehr." (Gemeinsame Texte 13, S. 20).Michael Quante fordert eine Umkehr der Beweislast: "Angesichts
ALTEX 20, 4/03
GROSSE
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tauschsystem wird der Mensch zum
Reparaturfall und die Mitkreatur zum
Ersatzteillager'<"
Auch wenn man dieses Szenario aus
verschiedenen Gründen für unrealistisch
hält, bleibt doch die Frage, ob die in die
Xenotransplantation gesetzten Hoffnungen nicht auch Ausdruck einer Weigerung sein können (- nicht: müssen -) die
Endlichkeit des menschlichen Lebens
anzunehmen." Zu Recht spricht die von
der EKD und der Deutschen Bischofskonferenz herausgegebene
Stellungnahme zur Xenotransplantation
vom
"Konflikt zwischen der Annahme der
eigenen Endlichkeit, wie sie durch die
Leiblichkeit vorgezeichnet ist, und dem
Hinausschieben der Grenzen um jeden
Preis".4o Und Silke Schicktanz gibt zu
bedenken: "Auch wenn die aktuelle Xenotransplantationsforschung
vielmehr
die Rettung schon fast verlorener Leben
anvisiert und damit nicht mit den
Träumen von ewiger Jugend zu vergleichen ist, so muss man für die Zukunft
fragen dürfen, inwiefern ein (vielleicht
futuristisch klingender) ,sukzessiver'
Organaustausch nicht auch im hohen
Alter eigentlich ein Versuch wäre, das
,Leben zu erobern' und die eigene Sterblichkeit hinauszuzögem'""
der unbestreitbaren Leiden (bei den Experimenten, der gentechnischen Veränderung, der sterilen Haltung xenogener Tiere)
und der Notwendigkeit von Tötungen, die die Xenotransplantation
für die Tiere mit sich bringt, ist es notwendig geworden, Argumente
zugunsten der Xenotransplantation anzuführen. Eine Antwort hängt
u.a. davon ab, ob die notwendigen Experimente unumgänglich,
medizinisch sinnvoll und für ein Forschungsprojekt
eingesetzt
werden, das eine realistische Chance auf Erfolg bietet." (Michael
Quante, Ethische Aspekte der Xenotransplantation,
aaO., S. 39. )
38 Günter Altner, Leben, S. 123. Günter Altner zitiert pointierte
Äußerungen des Chefarztes Linus Geisler: "Der Körper der
modernen Medizin ist reduziert auf die Summe seiner Organe und
Funktionen. Er ist beliebig zergliederbar, in wachsendem Maße in
seinen Teilen austauschbar .... Der Körper wird verstanden und
gehandhabt als Ressource von Fremdkörpern für andere Körper
und mit allen denkbaren Fremdkörpern bestückbar. Nicht mehr in
Afrika oder Südamerika liegen die umkämpften Rohstoffe, sondern
im .körperlichen wie genetischen Material von Menschen'." (ebd.,
S.97)
39 S. dazu: Gott ist ein Freund des Lebens, S.
105.
Texte 13, S. 21.
41 Silke Schicktanz, Aus der Geschichte lernen? Die Entwicklung
der Idee der Xenotransplantation
und die Auswirkungen auf das
heutige Verständnis, in: Neue Perspektiven, S. 239-256, dort S.
248. - Die Xenotransplantation würde dann "als eine Therapie zur
Alternsbekämpfung
nicht Ausnahme, sondern potentielle Regel
werden können". (Anita Idel, Xenotransplantation
und Tierschutz,
in: Neue Perspektiven, S. 216)
40 Gemeinsame
265
_G_R_OS_S_E
~~----
~,
Bedenkenswert sind in diesem Zusammenhang auch die Thesen, die der
Chirurg Kurd Stapenhorst zur Transplantationsmedizin insgesamt formuliert hat:
"Die Transplantationsmedizin mit ihrem
unstillbaren Verlangen nach verpflanzbaren Organen hat offenkundig zu einer
Verdinglichung des Menschen und seiner
Organe geführt. ... In ihrer Orientierung
auf eine maximale Lebenserhaltung
erweist sie sich als unfähig, den Tod in
aussichtslosen Fällen zuzulassen und damit Grenzen des ärztlichen Heilauftrags
anzuerkennen.v'?
Dass auch ethische Anfragen an das
mit der Xenotransplantation verbundene
Selbstverständnis der Forschenden notwendig sind, zeigt m. E. die - natürlich
nicht verallgemeinerbare - Aussage des
Veterinärmediziners und Fachtierarztes
für Versuchstierkunde Claus Hammer, in
der Xenotransplantationsforschung gelte
es, ,,180 Millionen Jahre Evolution, die
zwischen Schwein und Mensch liegen,
zu überlisten"."
6
Folgerungen
Eine abschließende ethische Urteilsbildung zur Xenotransplantation
aus
christlicher Sicht ist nicht einfach. Ein
wesentlicher Grund dafür sind die unterschiedlichen Perspektiven von Betroffe42 Kurd Stapenhorst,
nen, die auf ein Organ warten, und ihren
Angehörigen einerseits und von denen,
die von diesem Problem nicht (direkt)
betroffen sind, andererseits." Natürlich
stimmt die Überlegung des Theologen
Wolfgang Lienemann nachdenklich:
"Ohne Zweifel gibt es Menschen, die für
sich selbst - aus welchen Gründen und in
welchen Lebenslagen auch immer - eine
lebensnotwendige Organspende ablehnen würden, und zwar als Spender wie
als Empfänger. Aber ich habe bisher
niemanden kennen gelernt, der willens
und fähig wäre, einem (potentiellen)
Organempfänger gegenüberzutreten und
ihm zu sagen, dass er eigentlich das
Organ, das sein Leben erhalten kann,
nicht bekommen sollte.?" Der Konflikt
der unterschiedlichen Wahrnehmung von
Betroffenen und Nicht-Betroffenen kann
zweifellos Auswirkungen auf die Urteilsbildung haben: "Für eine betroffene
Person können die mit einer Xenotransplantation verbundenen Hoffnungen
leicht dazu führen, sowohl den größeren
Problemzusammenhang außer acht zu
lassen, als auch die Risiken gering zu
bewerten. Demgegenüber besteht für
eine nicht-betroffene Person die Gefahr,
bei der Sichtung des größeren Problemzusammenhangs die existentielle Bedeutung einer Xenotransplantation für
Betroffene und ihre Angehörigen nicht
ausreichend zu berücksichtigen.?"
Unliebsame Betrachtungen zur Transplantationsmedizin, Göttingen 1999, S. 102 bzw. 110. In der
Kundgebung der EKD vom 7. Nov. 2002 lYVas ist der Mensch?
" ...wenig niedriger als Gott"?) heißt es: "Jedes ,Ethos des Heilens'
muss um seine Grenzen wissen, um menschlich zu bleiben.
Das schließt ein, dass Krankheit, Sterblichkeit und Tod
zum Menschsein gehören. Es ist ein wesentlicher Teil des dem
Menschen aufgegebenen Reifungsprozesses,
die eigene
Endlichkeit anzunehmen." (S. 3-4)
43 Claus Hammer, Xenotransplantation
in Deutschland - mögliche
physiologische und anatomische Hindernisse, in: Neue Perspektiven, S. 131-141, dort S. 140.
44 Das betont Johannes Fischer, Zur ethischen Problematik der
Xenotransplantation,
S. 131.
45 Wolfgang Lienemann, Neues Herz, neues Leben?, S.4.
46 Gemeinsame Texte 13, S. 21.
47 Claus Hammer, Xenotransplantation
in Deutschland, ihre
möglichen anatomischen und physiologischen Hindernisse, in:
Neue Perspektiven, S. 131-141, dort S. 139. Axel Haverich
und Omke Teebken sprechen von der Xenotransplantation
als
"Therapie der Zukunft" (in: Zur Ethik der Tierversuche aus
biomedizinischer Sicht, aaO., S.19. S. auch: "Das zweite Leben
beginnt in Hannover", Hannoversche Allgemeine Zeitung,
19.9.2003. S. 15) In den "Medizinisch-ethischen
Grundsätzen zur
Xenotransplantation"
der Schweizerischen Akademie der
266
Ein weiterer Grund für die Schwierigkeit ethischer Urteilsbildung zur Xenotransplantation sind die unterschiedlichen Einschätzungen der Realisierungschancen und Risiken unter den Experten.
Es macht ja einen Unterschied, ob man
davon ausgeht, "dass die Xenotransplantation ein Projekt mit zukünftigen
historischen Dimensionen werden kann
und ein riesiges, positives Potential
in sich birgt"," oder ob man zu dem
Schluss kommt, dass "die gewohnten Argumente, die für die Xenotransplantation
vorgebracht werden, nämlich die Reduktion des Organmangels, die Heilung
vieler Patienten und die Vermeidung
ethischer Probleme der derzeitigen Transplantationsmedizin
nicht tragfähig" 48
sind.
"Der eigentliche Konflikt, den die
Xenotransplantation
aufwirft, betrifft
die Lebensverbindlichkeiten gegenüber
Tieren und Menschen. Auf der einen
Seite steht das, was bei den gegenwärtig
laufenden Forschungen zur Xenotransplantation und bei deren späterer Anwendung mit Tieren gemacht wird .... Auf der
anderen Seite steht die Situation betroffener Menschen, für welche die Xenotransplantation eine mögliche Option
ist."49 Wenn diese Einschätzung des
Theologen Johannes Fischer zutreffend
ist, dann gibt es idealtypisch drei Optionen für eine ethische Entscheidung:
Medizinischen Wissenschaften (SAMW) (Fassung vom 18. Mai
2002) heißt es: "Es gibt einige unbestreitbare Vorteile der
Xenotransplantation,
die man nicht stillschweigend übergehen
kann:
- die erhöhte Anzahl verfügbarer Organe,
- die Verkürzung der Wartezeiten,
- die Möglichkeit, Operationen zu planen,
- die Möglichkeit, Transplantate vor der Operation umfassender
zu testen,
- die Verringerung des Risikos der Übertragung humaner
Krankheitserreger,
- die geringere Gefahr des unerlaubten Handels mit menschlichen
Organen."
Die SAMWerklärt
aber auch: "Die Xenotransplantation
muss
jedoch weiterhin als ,ultima ratio' betrachtet werden." (Schweizerische Ärztezeitung 2000:81: Nr. 31, S. 1719 u. 1720).
48 Silke Schicktanz, Organ lieferant Tier?, S. 302-310. S. auch die
"vier zentralen Schlussfolgerungen
zum Forschungsstand" , die
Silke Schicktanz zieht. (ebd., S. 290)
49 Johannes Fischer, Zur ethischen Problematik der Xenotransplantation, S. 128 und 130.
ALTEX 20, 4/03
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GROSSE
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~c
1. Option: ein grundsätzlicher Verzicht
auf die Technologie der Xenotransplantation und alle damit verbundenen
Versuche
2. Option: ein Moratorium der Xenotransplantation am Menschen bei Zulassung von Tierversuchen
3. Option: die Befürwortung der Xenotransplantation am Menschen"
Überblickt man die Stellungnahmen
evangelischer Ethiker zur Xenotransplantation, dann zeigt sich: Zum jetzigen
Zeitpunkt wird - wie auch von der Mehrheit der medizinischen Experten - die
Durchführung von klinischer Xenotransplantationsforschung am Menschen (Option 3) einhellig abgelehnt wegen der nach
wie vor ungeklärten, möglicherweise
weitreichenden medizinischen Risiken
für die Transplantationspatienten, ihre
Angehörigen und die Gesamtgesellschaft."
Im Blick auf die beiden erstgenannten
Optionen gibt es keine einheitliche
Tendenz, sondern einen Pluralismus der
Positionen unter evangelischen Ethikern
und in kirchlichen Gremien. Eine
Arbeitsgruppe der katholischen und der
evangelischen Kirche hat 1998 im Prinzip für Forschung im Bereich der Xenotransplantation plädiert. 52 Die Theologin
Renate Knüppel, die an Stellungnahmen
der EKD und der deutschen Bundesärztekammer mitgewirkt hat, hat (im Jahr
2000) erklärt: "Die Kirchen geben zum
gegenwärtigen Zeitpunkt keine Empfehlung für oder gegen die Übertragung von
Tierorganen.'<' Johannes Fischer kommt
zum Schluß, "dass eine ethische Beurteilung wegen der noch bestehenden erheblichen Ungewissheiten nur unter
Vorbehalt möglich ist" und "dass in
dieser Frage nur jeder für sich selbst urteilen kann" .54 Günter Altner meint dagegen: "Die Xenotransplantation muß nicht
kommen !" 55
Diese unterschiedlichen Positionen
sind in erster Linie zurückzuführen auf
die unterschiedliche Gewichtung der
medizinischen Chancen und Risiken, vor
allem aber der tierethischen Aspekte und
des Verhältnisses von Wohl des Menschen und Wohl des Tieres.
Im Blick auf die medizinischen Aspekte überzeugt die Argumentation von
Eve-Marie Engels: "Betrachten wir als
Alternativen den Verzicht auf die Xenotransplantation und deren Einführung in
die Transplantationsmedizin, so hätte der
Verzicht als schlechtest mögliche Folge
das Versterben von Patienten auf den
Wartelisten zur Konsequenz, während
50 S. dazu: Uwe Gerber, Xenotransplantation
als Testfall für den
gesellschaftlichen
Diskurs, in: Ethica 7 (1999), 4, S. 339-353, dort
S.346.
51 So auch die gemeinsame Stellungnahme der EKD und der
Deutschen Bischofskonferenz:
.Xenotransplantatlon"
(Gemeinsame Texte 13), S. 20.
53 So das Gruppenmitglied
Dietrich von Engelhardt, in: Transplantationsmedizin
heute, aaO., S. 152. - Die Arbeitsgruppe ist
überzeugt: "Die Transplantation tierischer Organe auf den
Menschen könnte das Problem des Organmangels lösen." (Gemeinsame Texte 13, S. 7). Die kirchliche Arbeitsgruppe stimmt so
mit der Deutschen Bundesärztekammer
überein; diese lehnt
Humanexperimente
in der Xenotransplantation
ab, aber sie "unterstützt ... alle Forschungsaktivitäten
und Bemühungen, die geeignet
sind, offene Fragen abzuklären und das Risiko von Xenotransplantationen besser abschätzen und vermindern zu können". (in:
Stellungnahme des wiss. Beirates der Bundesärztekammer
zur
Xenotransplantation,
aaO., S. 1925).
53 Renate Knüppel, Ein weiterer Schritt, aaO.
54 Johannes Fischer, Zur ethischen Problematik der Xenotransplantation, S. 128 und 131.
55 Günter Altner, Leben, S. 122. - Der Mediziner Claus Hammer
sieht das ganz anders: "Wissenschaftler
und Chirurgen sind von
Patienten und der Gesellschaft aufgefordert, die Xenotransplantation zu einer echten Alternative zur Allotransplantation
zu
entwickeln." (ders., Eckart Thein, Xenotransplantation:
Medizinische und ethische Fragen, in: Fuat S. Oduncu u.a.,
Hrsg., Transplantation, aaO., S. 293-311, dort S. 311).
ALTEX 20, 4/03
die Einführung der Xenotransplantation
im schlimmsten Fall zu einer tödlichen
Infektion der Patienten und einer Übertragung von Krankheitserregern auf die
gesamte Bevölkerung oder gar Menschheit (Epidemie oder Pandemie) führen
könnte,";" Grundsätzlich ist im Blick
auf die medizinischen Aspekte eine
tutioristische Haltung notwendig, also
eine Haltung, die angesichts ungeklärter
Risiken und offener Fragen für möglichst
risikoarme und vorsichtige Handlungsmöglichkeiten plädiert."
Es hat den Anschein, dass viele Ethiker
- weil die Xenotransplantation ja auf
lebensrettende bzw. -erhaltende Maßnahmen für Menschen zielt - stark auf die
humanethischen Aspekte konzentriert
sind, unter Vernachlässigung
tierethischer Aspekte. Natürlich kann es
nicht darum gehen, "das Gut tierischen
Lebens über die Hilfspfiicht gegenüber
erkrankten Menschen zu setzen"." Aber
aus christlicher Sicht ist die unbestreitbare Sonderstellung des Menschen nicht
zu trennen von seiner Fürsorgepfiicht für
die Tiere als seine Mitgeschöpfe. Im
Blick auf Tierversuche - also auch auf
Tierversuche im Rahmen der Xenotransplantation - ergibt sich daraus die Konsequenz, in jedem Fall auf extrem be-
56 Eve-Marie
Engels, Xenotransplantation
- eine neue Freisetzungsproblematik,
in: Neue Perspektiven, S. 184-185.
57 S. dazu: Kirchenamt der EKD, Hrsg., Im Geist der Liebe mit
dem Leben umgehen, Hannover 2002, S. 24. In der kirchlichen
Erklärung "Gott ist ein Freund des Lebens" heißt es: "Generell
lässt sich beobachten, dass heute auf dem Feld der Organverpflanzungen zu viel gemacht und zu viel experimentiert wird."
(Gott ist ein Freund des Lebens, aaO., S. 104)
58 Karin Blumer, Ethische Aspekte der Xenotransplantation,
in:
Fuat S. Oduncu u.a., Hrsg., Transplantation, aaO., S. 312-336,
dort S. 326: "Geht es um die Zielsetzung, durch die Organe von
(gentechnisch veränderten) Tieren das Leben schwerstkranker
Menschen zu erhalten oder die Lebensqualität gesundheitlich
stark eingeschränkter Patienten zu verbessern, so fällt die
Güterabwägung eindeutig zugunsten der Xenotransplantation
aus.
Auf der einen Seite der Waagschale liegt das Leben der Tiere, die
nach einem Leben unter bestmöglichen Bedingungen einen
schonenden, schmerzlosen Tod unter Vollnarkose sterben. Auf der
anderen Seite stehen nicht nur Patienten, die ohne Transplantation
entweder sterben oder massiv an nicht therapierbaren Krankheiten
leiden, sondern auch der Erhalt des Solidaritätsprinzips.
Ausschließlich aus Tierschutzgründen
auf die Etablierung der
Xenotransplantation
zu verzichten, heißt letzten Endes, das Gut
tierischen Lebens über die Hilfspflicht gegenüber erkrankten
Menschen zu setzen." Hier wird u. E. die "eine Seite der
Waagschale" zu undifferenziert, ja euphemistisch beschrieben.
267
I~----
_G_R_O_SS_E
~~
lastende Versuche und damit ggf. auch
auf erhofften Erkenntnisgewinn zu verzichten." Das bedeutet bewusste Selbstbegrenzung des Menschen in seinen
Handlungsmöglichkeiten und Forschungsinteressen/"
Realistischerweise wird man davon
ausgehen müssen, dass ein völliger Verzicht auf Tierversuche zur Xenotransplantation in der scientific community
und wohl auch politisch-gesellschaftlich
bei uns nicht durchsetzbar iSt.61Deshalb
ist der Hinweis von Franz Paul Gruber ..,
wichtig: In der Xenotransplantationsforschung "kann man sehr viel Tierleid
verhindern, wenn man den Zeitpunkt für
das Experiment nicht zu früh ansetzt" 62.
Die jüdisch-christliche Schöpfungsverantwortung lässt sich auch in der Forderung konkretisieren: "Die in den letzten
Jahren beobachtbare Tendenz zur Reduktion von Tierversuchen sollte nicht zugunsten der Transplantationsmedizin
umgekehrt werden."63
Mit den ethischen Anfragen an die
Xenotransplantation von Organen stellt
sich zugleich die Frage nach möglichen
Alternativen zur Lösung des Problems
des Organmangels.v' Es ist heute noch
kaum möglich, Alternativen wie z.B. die
Entwicklung von Kunstorganen zu beurteilen. Hingegen können verstärkte
Präventionsmedizin,
Umweltmedizin,
Lebensstilberatung
und persönliche
Gesundheitsvorsorge
zweifellos dazu
beitragen, dass die Nachfrage nach Organtransplantationen sinkt.65 Das Nachdenken über die ethischen Aspekte der
Xenotransplantation ist nicht zu trennen
von der Frage einer Veränderung unseres
Lebensstils.s"
Bei einer ethischen Beurteilung der
Xenotransplantation sind auch ökonomische Aspekte zu berücksichtigen. Börsenanalytiker, Transplantationsmediziner
und Ethiker weisen darauf hin, dass bei
der Förderung der Xenotransplantationsforschung erhebliche ökonomische Interessen im Spiel sind.f" Solche Interessen
sind nicht per se verwerflich. Aber
aus christlich-ethischer Sicht muss - im
Sinne einer "Hermeneutik des Ver-
59 Anita Idel resumiert: Es "müssen erhebliche Zweifel erhoben
werden, ob der aktuelle Wissensstand ausreicht, um die mit der
Xenotransplantation
verbundenen Tierversuche und das Leiden
der Tiere zu rechtfertigen. Im Sinne des Tierschutzes ist deshalb
zu fragen, durch welche tierversuchsfreie Forschung Fragen zur
grundsätzlichen Machbarkeit der Xenotransplantation
im Vorfeld
abgeklärt werden könnten und müßten." (Xenotransplantation
und
Tierschutz, in: Neue Perspektiven, S. 196-220, dort S. 197).
60 S. dazu: Heinrich W. Grosse, Christliche Verantwortung
und
Experimentelle Medizin. Versuche mit und am Menschen; Tierversuche, in: ALTEX 2002,4, S. 195-2002 sowie: Wolfgang Lienemann, Zur Ethik der Tierversuche, in: Tierversuche und Tierschutz,
Bad Boll 2001, aaO., S. 33-43.
61 Dietrich von Engelhardt vermutet: "Der ethisch nachvollziehbare
Standpunkt des Verbotes oder des Verzichts wird sich nicht
oder nur in Grenzen durchsetzen lassen. Wissen und Fähigkeiten
werden, wenn einmal bekannt, unabhängig von ihrer Genese
beurteilt und genutzt." (ders., Transplantationsmedizin
heute, aaO.,
S.148).
62 Franz P. Gruber, Möglichkeiten,
die Zahl für Versuchszwecke
gezüchteter und gehaltener Tiere zu verringern und ihr Wohlbefinden zu verbessern, aao., S. 139. - Nach Andrea Arz de Falco
"gilt für die jetzt durchgeführten präklinischen Versuche mit großer
Sicherheit, dass sie als ,überflüssig', verfrüht und wissenschaftich
ungesichert zu gelten haben". Sie folgert, dass allenfalls
Grundlagenforschungsprojekte
zur Abklärung der Infektionsproblematik und zum Studium der Abstoßungsvorgänge
vorgenommen werden sollten, Grundlagenforschungsprojekte,
die an
Zell kulturen und allenfalls an Labornagetieren durchzuführen sind".
(Die Würde des Tieres: Tierethische Aspekte in der ethischen
Debatte um die Xenotransplantation,
in: Martin Liechti, Hrsg.,
Die Würde des Tieres, aaO., S. 311-323, dort S. 318).
268
dachts" - geprüft werden, ob diese
Interessen dem Wohl der von der Xenotransplantationsforschung
betroffenen
Menschen und Tiere übergeordnet sind
und so fragwürdige Forschungsprozesse
und -technologien fördern."
Ein weiterer wichtiger Aspekt bei der
ethischen Beurteilung der Xenotransplantation ist der Aspekt der Gerechtigkeit. Denn Gerechtigkeit und Parteinahme für Benachteiligte sind ein zentrales
Anliegen der biblischen Tradition. Das
Gerechtigkeitsproblem
stellt sich auf
mehreren Ebenen.
Wenn, wie viele Forscher vermuten,
Xenotransplantate in absehbarer Zeit
allenfalls zur Überbrückung eingesetzt
werden können, bis dann doch ein Allotransplantat übertragen werden muss.s?
stellen sich gravierende neue ethische
Probleme: Der Organmangel würde sich
verschärfen - obwohl es doch das
erklärte Ziel der Xenotransplantationsmedizin ist, den Organmangel zu beheben! Und auch das ethische Problem
einer gerechten Organallokation würde
63 Wolfgang
Lienemann, Neues Herz, neues Leben?, S.16.
Überblick gibt: Anja Haniel, Organe um jeden
Preis? Zur Frage der Alternativen der postmortalen Organspende,
in: ZEE 2000, 44, S. 264-284. S. auch Kp. 11: "Alternativen zur
Xenotransplantation"
in: Bärbel Hüsing u.a., Hrsg., Technologiefolgenabschätzung
Xenotransplantation,
aaO., S.
179-194, sowie: Thomas Reiß, Entwicklungshorizonte
der
Xenotransplantation
und Alternativen, in: Neue Perspektiven,
S.257-264.
65 S. dazu: Günter Altner, Leben, S. 154.
66 S. auch Kurd Stapenhorst, Unliebsame Betrachtungen ..., aaO.,
S. 106: "Dass die Bekämpfung einer ruinösen Lebensweise
sinnvoller ist als eine nachträgliche Schadensbekämpfung
in Form
eines Organtausches, dürfte unstrittig sein."
67 S. dazu: Claus Hammer, Tierorgane für den Menschen, aaO., S.
21; Johannes Fischer, Zur ethischen Problematik der Xenotransplantation, S. 126; Günter Altner, Leben, S. 115. - "Ana!ysts
predict that a market worth 6 billion pound a year awaits the first
firm which can prevent the rejection of genetically modified anima!
organs." (The Observer, London, 30.4.2003).
68 In der 1998 verfassten Stellungnahme des Kirchenamtes der
EKD und des Deutschen Bischofsrates heißt es: "In der jetzigen
Phase des Forschungsstandes
und der Diskussion um die
Xenotransplantation
bleibt für die Bevölkerung unklar, ob in dem
Geflecht von Erwartungen wirklich die Verbesserungen für die
potentiellen Patientinnen und Patienten im Vordergrund stehen
oder ob eventuell die wissenschaftlichen
und wirtschaftlichen
Aspekte die menschlichen Werte in den Hintergrund drängen."
(Gemeinsame Texte Nr. 13, S. 13).
69 S. Anja Haniel, Organe um jeden Preis?, aaO., S. 275.
64 Einen knappen
ALTEX 20, 4/03
--~~
I~
sich zuspitzen: Es müsste entschieden
werden, "welcher Patient gleich das, bessere' Allotransplantat erhält und welcher
sich zunächst mit dem problematischeren
Xenotransplantat begnügen muss't.?"
Angesichts der mit der Xenotransplantationsmedizin verbundenen Kosten stellt
sich die Frage der Gerechtigkeit auch im
Blick auf die Verteilung der (zunehmend
begrenzten) Ressourcen innerhalb des
jeweiligen nationalen Gesundheitssystems. Auch die Gefahr einer .Zweiklassenmedizin" ist nicht von der Hand zu
weisen."
Unter dem - oft verdrängten - Aspekt
weltweiter Gerechtigkeit ist schließlich
zu fragen: "Wie lässt sich die kostenintensive Spitzentechnologie der Transplantationsmedizin in den modemen Industrienationen, die nur einer begrenzten
Anzahl von Menschen zugute kommt,
rechtfertigen gegenüber dem Mangel
an gesundheitlicher Grundversorgung in
Entwicklungsländern
(mangelnde hygienische Bedingungen,
mangelnde
Ernährung und Impfschutz etc.)?"?'
Mit der Xenotransplantation
sind
einerseits große Hoffnungen verbunden von Menschen, die auf ein Organ warten,
und von Forschenden; und wohl auch
von gewinnorientierten Firmen. Andrerseits sind mit dieser Medizintechnik eine
Fülle von medizin- und tierethischen
Problemen, u.U. für die ganze Gesellschaft, verbunden. Und es spricht manches dafür, dass die Xenotransplantation
das Problem des Organmangels gar nicht
lösen wird." Angesichts dieser Situation
scheint es ethisch geboten, dass eine
breite öffentliche Debatte über die Xenotransplantation geführt wird. Dabei
müssen "Laien" nüchtern und ehrlich
über Chancen und Risiken der geplanten
Therapie, über Erfolge und Misserfolge (!)
der Forschung informiert werden. Alle
DiskussionsteilnehmerInnen müssen sich
über die spezifischen ethischen Probleme, aber auch über ihre Menschenbilder
und ihr Medizinverständnis verständigen.?"
In Psalm 36 steht das Wort: "Herr, du
hilfst Menschen und Tieren" (Ps. 36,7).
Bärbel Hüsing und Silke Schicktanz, Überblick und Bewertung:
Derzeitige Trends in der Erforschung der Xenotransplantation
von
komplexen Organen, in: Neue Perspektiven, S. 221-223, dort S.
235. Auch Michael Quante hält es für wahrscheinlich, dass die
Xenotransplantation
"bestehende Verteilungsprobleme
noch
verschärft oder zusätzliche neue Verteilungsprobleme
schafft". (M.
Quante, Ethische Aspekte der Xenotransplantation,
aaO., S. 60.)
71 Martin Luther King konstatierte 1968 im Blick auf die Situation in
den USA: "Ärztliche Versorgung zählt im Grunde nicht zu den
Möglichkeiten der schwarzen und weißen Armen. Sie wissen von
den großen Erfolgen der medizinischen Wissenschaft Herzverpflanzungen,
Wunderdrogen -, aber ihre Kinder sterben
immer noch an vermeidbaren Krankheiten und leiden sogar an
Gehirnschäden, verursacht durch Proteinmangel." (ders.,
Gewaltlosigkeit in der Entscheidung, in: Heinrich W. Grosse, Hrsg.,
Martin Luther King, Testament der Hoffnung, Gütersloh 1974, S.
63-74, dort S. 73).
70
ALTEX 20. 4/03
GROSSE
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In der jüdisch-christlichen Tradition wird
der Mensch als Mandatar Gottes verstanden, dem die Mitgeschöpfe - Menschen
wie Tiere - anvertraut sind. Bedeutet das
nicht, dass auch wir angesprochen sind,
wenn es heißt: "Du hilfst Menschen und
Tieren."?
Korrespondenzadresse
Prof. Dr. Heinrich W. Grosse
Pastoralsoziologisches Institut
Ev. Fachhochschule Hannover
Blumhardtstr. 2a
D-30625 Hannover
Tel. +49-511-5301421
Fax +49-511-5301444
E-Mail: [email protected]
72 Kurt W. Schmidt,
Ethische Probleme der Organtransplantation,
in: Neue Perspektiven, S. 35-55, dort S. 41. S. auch: Wolfgang
Lienemann, Neues Herz, neues Leben?, S. 15 und: Kirchenamt
der EKD, Hrsg., Im Geist der Liebe mit dem Leben umgehen: "Die
Einseitigkeit, mit der die medizinische Forschung auf die Bedürfnisse der reichen Gesellschaften orientiert ist, ist ethisch
problematisch."
(S. 19) N. - Auf einer Tagung der Akademie
Loccum zum Thema "Organtransplantation
und kulturelle Unterschiede" erklärte ein Vertreter der Native Americans lakonisch:
"We cannot afford transplants". (George E. Tinker, Native American
Cuitures and the Problem of Organ Transplantation, in: Loccumer
Protokolle 61,96, Loccum 1997, S. 46-52, dort S. 52.)
73 S. Silke Schicktanz, Organlieferant Tier?, S. 301ff.
74 Zu den Inhalten einer solchen öffentlichen
Diskussion s.: Silke
Schicktanz, Organlieferant Tier?, S. 313, und: Günter Altner,
Leben, S. 122. Die Verfasserinnen der .Technoloqietolqenabschätzung Xenotransplantation"
schlagen das Instrument
einer Konsensuskonferenz
vor. (aaO., S. 208); s. auch: Stellungnahme der SAMW, aaO., S. 1721.
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