17. April 2013 Immunpathogenese des Morbus Crohn Dr. med. Volker von Baehr Institut für Medizinische Diagnostik Berlin, Nicolaistraße 22, 12247 Berlin +49 3077001-220, [email protected] Chronisch entzündliche Darmerkrankungen Morbus Crohn Colitis indeterminata (nicht klassifizierbare Colitis) Colitis ulcerosa Zunehmende Prävalenz: 2012 ca. 300.000 Betroffene in Deutschland Inzidenz: 7-8/100.000 Einwohner Männer : Frauen ca. 1:1 Erkrankungsalter: 1. Häufigkeitsgipfel: 2. Häufigkeitsgipfel: 25.-30. Lebensjahr ca. 60. Lebensjahr Morbus Crohn Colitis ulcerosa chronisch-granulomatöse Entzündung Erkrankung des ges. Verdauungskanals diskontinulierliche Ausbreitung Erkrankung des Dickdarms kontinuierlich http://www.pharmazeutische-zeitung.de/index.php?id=37429 Morbus Crohn Colitis ulcerosa - alle Wandschichten betroffen - auf die Mukose begrenzt - mesenteriale Lymphknoten - Granulombildung - Fissuren- und Fistelbildung - Ulzerationen - Pseudopolypen - Kryptenabszesse http://www.pharmazeutische-zeitung.de/index.php?id=37429 Prävalenzverteilung Morbus Crohn Colitis ulcerosa hellgrün: 0–1.9, dunkelgrün 2–3.9, gelb 4–5.9, orange 6–9,9, pink 10–12, rot>12 per 100.000 Einwohner Der Morbus Crohn ist eine Erkrankung des 20. Jahrhunderts 1913 - Erstbeschreibung durch Dalzeil 1932 - Burrill Bernard Crohn „regionäre Ileitis“ Inzidenz Anzahl Neuerkrankter pro Jahr auf 100000 Einwohner 10 8 6 4 2 1930 1955 1975 Inzidenz mit Nord-Süd-Gefälle 1990 2000 2010 Entzündungserkrankungen sind die „Epidemie der Moderne“ N Engl J Med, Vol 347, No. 12, 09/2002 Der Morbus Crohn steht in einer Reihe mit anderen Immun-Intoleranz-Erkankungen Verdopplung der Allergiker in den letzten 20 Jahren Schlaud M et al. Allergische Erkrankungen – Ergebnisse aus dem Kinderund Jugendgesundheitssurvey (KiGGS). 2008. Bundesgesundheitsblatt – Gesundheitsforschung – Gesundheitsschutz 50: 701-710 Inzidenz des Morbus Crohn in 24 Jahren mehr als verdoppelt Jacobsen BA et al. Increase in incidence and prevalence of inflammatory bowel disease in northern Denmark: a population-based study, 1978-2002. Eur J Gastroenterol Hepatol. 2006 ;18:601-6 Multiple Sklerose heute fast 3 x häufiger diagnostiziert als 1970 Alonso A, Hernán MA. Temporal trends in the incidence of multiple sclerosis: a systematic review. Neurology 2008. 8;71:129-35 Autoimmun bedingter Diabetes mellitus in 12 Jahren um 70 % gestiegen Neu A et al. Rising incidence of type 1 diabetes in Germany: 12-year trend analysis in children 0-14 years of age. Diabetes Care. 2001 Apr;24(4):785-6. Zunahme der Prävalenz der Parodontitis seit 1997 um 26,9 % (35 - 44-jährige Erwachsene) um 23,7 % (Senioren > 65 Jahre) Schiffner U et al. Community Dent Health. 2009; 26:18-22. Oral health in German children, adolescents, adults and senior citizens in 2005 Pathogenese des Morbus Crohn Gestörte Immunantwort: TH1 / TH2 IL-4 TNF-α IFN-γ IL-10 IL-12 TH1 Morbus Crohn = „TH1-Starre“ IL-5 ? TH2 Colitis ulcerosa Colitis ulcerosa = „TH2-Dominanzerkrankung “ TH1 TNF-α IFN-γ IL-12 IL-4 IL-10 IL-5 TH2 Eine TH2-Dominanz ist relativ typisch für eine Autoimmunerkrankung Alte Theorie: Der Crohn als Autoimmunerkrankung Pro Argumente - gutes Ansprechen der Krankheit auf Immunsuppressiva (Cortison, Azathioprin) - fehlender Nachweis eines spezifischen Erregers - Nachweis von Autoantikörpern bei Morbus Crohn Kontra Argumente - Kein Autoantigen bekannt - TH1-Zytokinmuster in der Schleimhaut - Autoantikörper nur bei 20 – 30 % nachweisbar Forschungsbericht der Deutschen Morbus Crohn Vereinigung (DCCV e.V.) vom 15.9. 2011: „Der Morbus Crohn ist keine Autoimmunerkrankung.“ Die „Autoantikörperdiagnostik“ dient eher der DD zwischen Crohn und Colitis ulcerosa Es besteht keine Korrelation zwischen der Höhe der Autoantikörper und der Krankheitsaktivität Wesentlich plausibler: Barrierestörung Ursache des Morbus Crohn ist eine pathologische Entzündungsreaktion auf fäkale Antigene durch eine defekte Barriere zwischen dem Darmlumen und dem Organismus (leaky gut) Candida-Hyphen Darmlumen Lipopolysaccharide (LPS) Nahrungsmittelproteine E.coli-Antigene B-Zelle Intestinale Submukosa TH-1 Ausschüttung von Entzündungsmediatoren Lokale und systemische Entzündung 1. Begünstigende Faktoren Alter Pubertät Antikonzeptiva ? Ernährung Zucker ++ Zusatzstoffe ? (Carragenine) Erreger Mykobakterien? Pseudomonas? Candida? Rauchen Schleimhauttoxine (Metalle, Lösemittel) Veränderte Darmflora, Störung der Darmbarriere 2. Genetische Prädisposition Erhöhte Permeabilität der Scheimhaut (Darm, Magen) Antigenexposition des intestinalen Immunsystems erhöht Veränderte Immunregulation, Entzündung Morbus Crohn (Granulombildung, Ulzeration) Stress Überforderung Ängste Morbus Crohn ist eine durch Umweltfaktoren modulierte übersteigerte Entzündungsreaktion auf fäkale Antigene auf einer individuellen genetischen Grundlage Bakterien Hefen, fäkale Antigene Genetik Immunsystem NOD2/ ATG16L1 Umweltfaktoren Lebensstil Rauchen Ernährung Entzündung leaky gut Genetischer Einfluss bei CED Konkordanzrate in Zwillingsstudien eineiige Zwillinge > zweieiige Zwillinge MC 50 % Familiäre Belastung 11 % der Betroffenen haben weitere Verwandte, insbesondere bei jüngeren Erkrankten Verwandte 1. Grades erkranken häufiger als der Ehepartner (5-10 % Risiko) Unterschiedliche Häufigkeit in verschiedenen ethnischen Gruppen Juden in USA und Europa erkranken 3-8 x so häufig wie Nichtjuden Israelis erkranken in Israel seltener als in den USA in USA erkranken Weiße häufiger als Farbige Hampe J et al, The Lancet, Volume 357, 9272: 1925 - 1928 % 40 NOD2 positiv Büning, Aliment Pharmacol Ther 2004 35.6 35 30 25 20 Morbus Crohn 14.3 15.5 15 10 5 0 Colitis Gesunde ulcerosa Morbus Crohn ist eine durch Umweltfaktoren modulierte übersteigerte Entzündungsreaktion auf fäkale Antigene auf einer individuellen genetischen Grundlage Bakterien Hefen, fäkale Antigene Genetik Immunsystem NOD2/ ATG16L1 Umweltfaktoren Lebensstil Rauchen Ernährung Entzündung leaky gut Leaky gut ist die defekte Barriere zwischen dem Darmlumen und dem Organismus Candida-Hyphen Lipopolysaccharide (LPS) Darmlumen Intakte Nahrungsmittelproteine E.coli-Antigene B-Zelle Intestinale Submukosa TH-1 Ausschüttung von Entzündungsmediatoren Lokale und systemische Entzündung Der Nachweis von ASCA spricht bei entsprechender Klinik mit einer Spezifität von ca. 95 % für einen Morbus Crohn wobei die Sensitivität lediglich 30 bis 64 % beträgt. Alle 3 Entzündungssysteme können beteiligt sein Darmlumen B-Zelle Lokale Entzündung Intestinale Submukosa IL-12 TH0 MZ TH1 TNF- Histamin IFN- IP-10 Bakterien LPS Makrophage Pilze TNF- IL-1 Partikel (z.B. Titanoxid) IL-6 IL-8 u.a. Immunkomplexe Myelomonozytäre Entzündung Viren intrazellulär persistierende Bakterien Xenobiotika (z.B. Metalle, Acrylate, Biozide usw.) IFN- T-Lymphozyt IL-17 IL-4 IL-10 u.a. Lymphozytäre Entzündung (TH1-Immunaktivierung) Allergene (bei Sensibilisierung) Bakterien Pilze Xenobiotika (z.B. Flammschutzmittel, Biozide usw.) Mastzelle Histamin Leukotriene TGF- Serotonin u.a. Entzündung durch Mastzellaktivierung (Typ I)-allergische Entzündung Leaky gut fördert die systemische Entzündung ! Zonulin steigt im Serum an bei gesteigerter intestinaler Permeabilität (leaky gut). Human zonulin, a potential modulator of intestinal tight junctions. Wang W et al. J Cell Sci. 2000 24:4435-40. Intestinal permeability and its regulation by zonulin: diagnostic and therapeutic implications. Fasano A., Clin Gastroenterol Hepatol. 2012 Oct;10(10):1096-100. Zonulin upregulation is associated with increased gut permeability in subjects with type 1 diabetes and their relatives. Sapone A et al. Diabetes. 2006;55:1443-9. Zonulin steigt im Serum an bei gesteigerter intestinaler Permeabilität (leaky gut). Aber es liegt keine Korrelation zum Zonulin im Stuhl vor ! Zonulin im Stuhl (ng/ml) 60 50 Gesunde 40 Morbus Crohn (vor Therapie) 30 20 10 0 Normbereich 50 100 150 Zonulin im Serum (ng/ml) 200 250 Leaky gut fördert die Inflammation ! Leaky gut fördert die Aufnahme von immunogenen (unverdauten) Nahrungsmittelproteinen Normale Schleimhautintegrität leaky gut Intakte Nahrungsmittelproteine Peptide, Aminosäuren B-Zelle TH-1 TH-1 Entzündungsmediatoren Die gestörte Toleranz gegenüber Nahrungsmitteln ist Ursache und Folge von leaky gut. Nahrungsmittel Stress Pestizide Traumata Pilze Bakterien Metalle Industriegifte Lösungsmittel Viren Weichmacher Nahrungsmittel Nitrosativer Stress Stickstoffmonoxid Superoxid EMF iNOS Peroxynitrit Mitochondriopathie ATP Oxidativer Stress + Entzündung TNF- IFN- Histamin Gestörte Immuntoleranz Verlust von Treg-Zell-Funktion TH2-Dominanz Multiple T-Zellsensibilisierungen auf Nahrungsmittel sind oft Ausdruck einer gestörte Darmpermeabilität Morbus Crohn ist eine durch Umweltfaktoren modulierte übersteigerte Entzündungsreaktion auf fäkale Antigene auf einer individuellen genetischen Grundlage Bakterien Hefen, fäkale Antigene Genetik Immunsystem NOD2/ ATG16L1 Umweltfaktoren Lebensstil Rauchen Ernährung Entzündung leaky gut Was spricht für die Bedeutung von Umweltfaktoren? Eineiige Zwillinge zeigen nur Konkordanzraten von ca. 50 % Triggerhypothese Entwicklungsländer M. Crohn ↓ Industrieländer M. Crohn ↑ Tysc C. et al. Ulcerative colitis and Crohn's disease in an unselected population of monozygotic and dizygotic twins. A study of heritability and the influence of smoking. Gut. 1988;29:990-6. ABER: Australien: M. Crohn ↓ Allergie ↑ Hygienehypothese Inzidenz erhöht in Ländern wo > 10 % der Bevölkerung an Wurmerkrankungen leiden Gent AE et al. Inflammatory bowel disease and domestic hygiene in infancy. Lancet. 1994 26;343:766-7. Kühlschrankhypothese Vor allem kälteliebende Bakterien wie Yersinien und Listerien werden mit M. Crohn assoziiert Hugot JP et al. Crohn's disease: the cold chain hypothesis. Lancet. 2003 362(9400):2012-5. Die Bedeutung des Rauchens Morbus Crohn Colitis ulcerosa: Rauchen fördert das Ausbrechen Rauchen vermindert das Ausbrechen Raucher haben einen schlechteren Verlauf Rauchen verbessert den Verlauf Ex-Raucher: schlechter Verlauf Rauchen schützt vor PSC Ernährung als Umweltfaktor ? mglw. wegen Mykobakterium paratuberkulosis in der Milch ? gehärtete Fette Weißmehlprodukte Fleisch http://www.drfalkpharma.de/ Als Progressionsmarker ist der Mutationsnachweis im ATG16L1-Gen beim Morbus Crohn vorrangig präventionsund therapierelevant. Zusammenfassung 1. Begünstigende Faktoren Alter Pubertät Antikonzeptiva ? Ernährung Zucker ++ Zusatzstoffe ? (Carragenine) Erreger Mykobakterien? Pseudomonas? Candida? Rauchen Schleimhauttoxine (Metalle, Lösemittel) Veränderte Darmflora, Störung der Darmbarriere 2. Genetische Prädisposition Erhöhte Permeabilität der Scheimhaut (Darm, Magen) Antigenexposition des intestinalen Immunsystems erhöht Veränderte Immunregulation, Entzündung Morbus Crohn (Granulombildung, Ulzeration) Stress Überforderung Ängste