E DIT OR IAL - Deutsche Gesellschaft für Onkologische Pharmazie

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EDITORIAL
Die Diagnose "Krebserkrankung bei
unbekanntem Primärtumor" wird
gestellt, wenn eine Geschwulst als
Metastase identifiziert wurde, sich
der Primärtumor aber trotz umfangreicher Untersuchungen nicht finden lässt.
16. Jahrgang · Nr. 4/2014
Symptome und Verlauf des CUP-Syndroms (Cancer of
Unknown Primary) unterscheiden sich von Patient zu Patient
sehr stark. Über die Biologie dieser Erkrankungen ist weiterhin nur wenig bekannt, obwohl in den letzten Jahrzehnten
neue und verfeinerte Diagnoseverfahren etabliert wurden.
Die wenigsten Patienten überleben die nächsten zwei Jahre
nach der Diagnose.
Inhalt
Das CUP-Syndrom
4
Klug auswählen
Übertherapie in der Onkologie
12
13. NZW-Süd in München
16
Tiere als Krebspatienten
30
DGHO Jahrestagung 2014
32
Krebs und Adipositas:
Eine therapeutische Herausforderung
38
Die Photodynamische Therapie
Eine Option in der palliativen Behandlung von
Gallengangtumoren46
Ständige Rubriken
Seit 2004 arbeitet in der AIO eine Arbeitsgruppe CUPSyndrom 1. Diese stellte fest „Die Forschung zum CUP-Syndrom
fristet gemessen an der Häufigkeit der Erkrankung (2–4%
aller Tumorerkrankungen) weiter ein Schattendasein.“ 2
„… In der Fläche wird weiter meist empirisch oder orientiert
an Expertenmeinung behandelt, wobei viel zu oft jeder Arzt
sein eigener Experte ist 3.“ Deshalb rekrutieren Mitglieder der
Arbeitsgruppe Patienten für die von ihnen initiierte prospektiv randomisierte PACET-CUP- Studie (Paclitaxel/Carboplatin
mit und ohne Cetuximab bei CUP-Syndrom).
Da der Schlüssel für die Behandlung dieser seltenen
Erkrankung deren Diagnostik und prognostische Einordnung
ist, finden Sie, liebe Leser, im vorliegenden Heft hochkarätige Beiträge zu dieser Thematik. Neben den Berichten vom
NZW-Süd und der DGHO Jahrestagung 2014 ergänzen weitere Beiträge wie Übertherapie in der Onkologie, Krebs und
Adipositas und Photodynamische Therapie als Option in der
palliativen Behandlung von Gallengangtumoren das breit
gefächerte Fachwissen für onkologisch tätige Pharmazeuten
in der Praxis.
… und sicher haben Sie bereits in Ihrem persönlichen Fort­bil­dungs­kalender für 2015 einen der nächsten NZWs oder ein Seminar in der FortbildungsAkademie
„ONKOLOGISCHE PHARMAZIE“ notiert (www.nzw.de; http://
fortbildungsakademie.de).
Ihre Karla Domagk
Testiertes interaktives Selbststudium
11
Kommentar des Herausgebers
15
Impressum35
Buchbesprechungen (Seiten 36, 52)
36
Who is who 50
Pharmazeutisch-onkologische Apps
59
1 Arbeitsgemeinschaft Internistische Onkologie in der Deutschen
Krebsgesellschaft e.V.
2 http://www.aio-portal.de/index.php/informationen-2011-353.
html vom 19.10.2014
3 http://www.aio-portal.de/index.php/113.html vom 19.10.2014
Onkologische Pharmazie | 16. Jahrgang | Nr. 4/2014 | 3
Das CUP-Syndrom
Das CUP-Syndrom
Prognosegruppen und therapeutische Strategie
Von Gerhard Fischer und Martin Heuschmid, Ravensburg
T
rotz verbesserter diagnostischer Möglichkeiten ist das CUP-Syndrom (“cancer of
unknown primary“) häufig eine Herausforderung im klinischen Alltag. Unter diesem
Begriff finden sich jedoch sehr heterogene Krankheitsbilder mit einem breiten Spektrum
an Manifestationsformen. Entsprechend schwierig sind die Einschätzung der Prognose
und die Wahl der Therapie.
Durch verbesserte Bildgebung, immunhistochemische und molekulare Diagnostik besteht
neuerdings die Möglichkeit, durch Zuordnung in definierte Subgruppen eine präzisere
Prognoseabschätzung vorzunehmen und die bestmögliche Therapie zu wählen.
Epidemiologie
Das CUP-Syndrom, definiert als eine metastasierte Tumorerkrankung, bei der trotz
intensiver Diagnostik der Primärtumor nicht
identifiziert werden konnte, ist eine häufige
Erkrankung. Die Inzidenz beträgt in westlichen Industrienationen 6-16/100.000, entsprechend 2-4 % aller Tumorerkrankungen
[1]. Mit einer Mortalität von 8,4/100.000
[RKI 2010] liegt es immerhin an 7. Stelle der
Todesursachen bei bösartigen Erkrankungen.
Durch Fortschritte in der Bildgebung, insbesondere durch die PET-CT gelingt es
zwar zunehmend, bisher okkulte Primär­
tumoren zu identifizieren, sodass seit
der Jahrtausendwende sogar ein leichter
Rückgang der Inzidenz zu verzeichnen ist,
jedoch stellt das CUP-Syndroms weiterhin
eine häufige Herausforderung im klinischen
Alltag dar.
Das mittlere 5-Jahres-Überleben dieser
Gesamtpopulation beträgt trotz der medizinischen Entwicklung in den letzten Jahren
weiterhin nur ca. 10% [2]. Die individuelle
Prognose ist jedoch sehr variabel und reicht
vom Langzeit-Überleben bis hin zu der kurzen Überlebenswahrscheinlichkeit von wenigen Wochen [3]; (Abb. 1).
So konnte in Untersuchungen gezeigt
werden, dass Patienten mit einer solitären Organmetastase oder einer befallenen
Lymphknotenregion eine deutlich bessere
Prognose mit bis zu 30% Langzeit-Überleben
haben [4,5] , Patienten mit disseminiertem
Organbefall, insbesondere bei schlechtem
Allgemeinzustand, aber unabhängig von der
Therapie nur ein mittleres Überleben unter
12 Monaten.
Liegen noch weitere negativ-prädiktive Faktoren wie hohes Alter, reduzierter
Allgemeinzustand (ECOG >2) und erhöhte
LDH vor, muss von einer primär infausten
Prognose und einer mittleren Überlebenszeit
von ca. 3 Monaten ausgegangen werden [3].
Hier sollten ein kausaler Therapieansatz kritisch überprüft werden und symptomorientierte palliativ-medizinische Maßnahmen im
Vordergrund stehen.
Prognostische Subgruppen
Eine gute Prognose bis hin zur Möglichkeit
des Langzeitüberlebens besteht bei 8 klar
abgegrenzten prognostischen Subgruppen [6],
die aber leider nur etwa 15% der Betroffenen
einschließen. In diesen Fällen ist eine entsprechende spezifische Therapie erfolgversprechend. Die Kenntnis dieser definierten
Abbildung 1
I: Primär lokalisierte Erkrankung
Eine solitäre Organmetastase oder Metastasierung in nur einer
Lymphknotenregion
Die mittlere Überlebenszeit beträgt ca. 20 Monate, die 5Jahresüberlebensrate 30-35%
II: Primär disseminierte Erkrankung
Primär disseminierter Organbefall ± LK-Befall. Keine Kriterien der
Gruppe III
Die mittlere Überlebenszeit beträgt ca. 7 Monate, die 5Jahresüberlebensrate ca. 5%
III: Primär infauste Prognose
Primär disseminierter Organbefall ± LK-Befall. biol. Alter > 70, red.
AZ (ECOG > 2)
Die mittlere Überlebenszeit beträgt ca. 3 Monate, kein Patient lebt
länger als 2 Jahre
Hübner, G, Tamme C, Schöber C et al. (1989) Prognostically different
subgroups in patients with carcinoma of unknown primary.
Z Antimikrob Antineopl Chemoth (Suppl 1): A16
Abb. 1
4 | Onkologische Pharmazie | 16. Jahrgang | Nr. 4/2014
OBERSCHWABENKLINIK
Das CUP-Syndrom 
Subgruppen ist daher Voraussetzung für eine
sinnvolle Therapie (Abb. 2).
Bildgebende Diagnostik
Mit der Diagnose CUP-Syndrom ist meist
eine diagnostische Bildgebung verbunden, die weitere Erkenntnisse über Aus­
maß und möglichen Ursprungsort der
Erkrankung bringen soll. Ziel ist dabei, aus
der Bildgebung Handlungskonsequenzen
für die Therapie abzuleiten. Es gilt, entsprechende Patientengruppen zu separieren, die
einer zielgerichteten Therapie zugeführt
werden können, wie das okkulte Maligne
Melanom oder das zervikale CUP-Syndrom.
Ein kostenintensiver und ungerichteter
Einsatz der unterschiedlichen bildgebenden
Verfahren sollte hingegen vermieden werden, zumal deren Ergebnisse nicht zwangsläufig ein verbessertes Behandlungskonzept
für die Patienten implizieren [7]. Beim CUP
bestimmen Histologie und Lokalisation
der Erkrankung meist die therapeutische
Strategie.
Bei Patienten mit CUP-Syndrom gilt inzwischen die Durchführung einer sogenannten
Ganzkörper-Computertomographie als
Basisdiagnostik in der Bildgebung [8]. Der
Untersuchungsbereich umfasst die Bereiche
Kopf-Hals, Thorax, Abdomen sowie Becken
und kann bei medizinischer Notwendigkeit
auch auf die unteren Extremitäten ausgeweitet werden. Die Computertomographie
wird unter Verwendung von intravenösen
nicht-ionischen jodhaltigen Kontrastmitteln
in ihrer Aussagekraft verbessert. Die hohe
Verfügbarkeit von CT-Scannern, die Kosten­
effizienz sowie die kurzen Untersuchungs­
zeiten sind nur einige Vorteile der CT bei
Patienten mit CUP [9]. Die diagnostische
Wertigkeit der CT beim CUP zeigt bei unterschiedlichen Autoren eine Detektionsrate
des Primärtumors von 16-50% [10-12].
Der Einsatz konventioneller RöntgenUntersuchungen wie beispielsweise des
Thorax sowie die Sonographie abdomineller Organsysteme als alleinige bildgebende
Diagnostik sind beim CUP-Syndrom hingegen nicht ausreichend.
D urch die hohe Weichteilauflösung
und die fehlende Strahlenexposition der
Magnetresonanztomographie (MRT)
ist deren Einsatz in der onkologischen
Diagnostik zu empfehlen, in den Punkten
Kosten, Verfügbarkeit und Länge der
Untersuchungszeiten ist sie jedoch der
CT unterlegen. In den letzten zehn Jahren
wurde die Ganzkörper-MRT technisch
zur Routineverwendung weiterentwickelt,
wenngleich sie bislang bei der Erkrankung
Abbildung 2
Abb. 2
CUP-Syndrom keine wesentliche Rolle in der
Basisdiagnostik darstellt. Zusätzliche bildgebende Informationen zur weiteren funktionellen Analyse von Tumorcharakteristika
ermöglicht die MRT unter anderem durch
den Einsatz von Perfusionsmessungen sowie
der Diffusionsgewichteten Bildgebung (kurz:
DWI) [7].
Als nuklearmedizinisches Verfahren ist
die Positronen-Emissions-Tomographie
(PET) eine Möglichkeit, erhöhte Stoff­
wechsel­vorgänge von Tumoren durch einen
schwach radioaktiven Tracer wie F18FDG (Fluordesoxyglukose) nachzuweisen.
Insbesondere die Hybridscanner, welche die
PET mit der CT in einem System kombiniert anbieten, ermöglichen neben der hochsensitiven Detektion stoffwechselaktiver
Regionen (am Beispiel des F18-FDG) eine
anatomisch detaillierte Zuordnung dieser
Regionen anhand der CT-Bildinformationen.
In einer Übersichtsarbeit von Neben et al. aus
dem Jahr 2008 wurde der Einsatz der PETund PET/CT-Diagnostik im Rahmen der
CUP-Diagnostik diskutiert. Als Indikation
beim CUP dient die PET-Untersuchung
zum Ausschluss von Metastasen in Fällen
einer lokalisierten Tumorerkrankung.
Hier wird besonders die Unterscheidung
eines cervikalen CUP-Syndroms (histologisch sind Plattenepithelkarzinome überwiegend) von einem extracervikal metastasierten CUP-Syndrom (histologisch
meist Adenokarzinome) getroffen. Für die
extracervicale CUP-Erkrankung zeigte
eine Metaanalyse an 152 Patienten eine
Primärtumor-Detektionsrate von knapp
40% (hiervon etwa 50% in der Lunge). Die
Sensitivität, Spezifität und diagnostische
Genauigkeit wurden mit 87%, 88% bzw.
87,5% angegeben [13].
Kwee et al. [14] konnten in der Auswertung
von 11 Studien mit insgesamt 433 Patienten
mit einem CUP-Syndrom eine Detektionsrate
von 37% hinsichtlich des Primärtumors bei
einer Sensitivität und Spezifität von je 84%
feststellen. Durch PET/CT-Untersuchungen
kann die Detektion von Metastasen bzw.
deren Ausschluss relevanten Einfluss auf die
Therapieentscheidungen nehmen (zwischen
15 und 64% relevante Therapieänderung
aufgrund der PET/CT-Diagnostik).
Eine Arbeitsgruppe aus Tübingen zeigte,
dass die Ganzkörper-MRT- und die
OBERSCHWABENKLINIK
Onkologische Pharmazie | 16. Jahrgang | Nr. 4/2014 | 5
 Das CUP-Syndrom
Das CUP-Syndrom
PET/CT-Diagnostik bei insgesamt 64
Patienten mit Malignem Melanom eine
Therapieveränderung bei 64% (41 Patienten)
zur Folge hatte [15]. Die Lokalisation des
Primärtumors, die Gabe von Kontrastmittel
während der CT und die Bildnachverarbeitung
hatten im Rahmen einer Metaanalyse keinen
signifikanten Einfluss auf die diagnostische
Aussagekraft der PET/CT-Untersuchung
[14]. Da die Diagnostik auch von der FDGAufnahme der Tumoren (beispielsweise bei
Tumoren mit geringem Metabolismus) und
der Läsionsgröße abhängt (Läsionen unter 10
mm sind in der PET-Diagnostik teils nicht
ausreichend darstellbar), sind auch falschnegative PET/CT-Ergebnisse beschrieben. Entzündungen, zeitnah stattgehabte
Eingriffe (wie Biopsien oder Operationen),
erhöhte Muskelaktivität wie auch reaktive
Lymphknoten können hingegen Ursachen
für falsch-positive Befunde sein.
Bei CUP-Syndromen mit der Histologie
eines neuroendokrinen Tumors (NET)
wird der Nachweis einer SomatostatinRezeptor-Expression in der Bildgebung
genutzt; entsprechende Verfahren hierzu sind
die Octreotid-Szintigraphie und die PET/
CT mit den Tracern DOTATATE oder
DOTATOC (Ga-68-DOTA-konjugierten
Peptiden). Einflüsse auf die Tumorresektion
von neuroendokrinen Tumoren durch die
PET/CT-Diagnostik wurden mit 10-15%
angegeben [7,16,17].
Zusammenfassend gilt für die Bild­g e­
bung beim CUP-Syndrom, dass die Diag­
nostik hinsichtlich der Primärtumorsuche
und des Ausmaßes der Erkrankung auch
unter Kosten-/Nutzen­aspekten abzuwägen ist. Neben der Differenzierung einer
lokalen bzw. disseminierten Erkrankung
sollte die Bildgebung zum Erkennen von
Therapie beeinflussenden Subgruppen des
CUP-Syndroms eingesetzt werden. Die
als Basisdiagnostik geltende GanzkörperComputertomographie sollte bei Bedarf
durch eine weiterführende Diagnostik wie der
PET/CT ergänzt werden, die in Bereichen
Primärtumorsuche, Tumorausbereitung und
unklarer Konstel­lation die Bildgebung des
CUP-Syndroms verbessern kann.
Pathologische Diagnostik
Histologisch dominieren beim CUPSyndrom Adenokarzinome (40-60%) vor
undifferenzierten Karzinomen (15-30%)
und Plattenepithelkarzinomen (5%) sowie
5% schlecht oder undifferenzierte Histologie
[18,19].
Immunhistochemie
Neben der Bildgebung ist es vor allem die
differenzierte immunhistochemisch-pathologische und neuerdings auch molekulare
Diagnostik, die die gezieltere Zuordnung zu
speziellen Tumorentitäten ermöglicht [20].
Die Grundlage hierfür ist die Annahme, dass
das immunhistochemische Markerprofil am
ehesten den mutmaßlichen Entstehungsort
des Tumors und damit auch den biologischen
Charakter der Erkrankung widerspiegelt.
Zum Beispiel ist der Phänotyp mit positivem Nachweis des Thyroids Transkriptions
Faktors 1 (TTF 1) mit positivem Zytokeratin
7 Nachweis sehr suggestiv für einen Tumor
bronchialer Genese, beziehungsweise der
Phänotyp mit positivem Zytokeratin 20,
negativem CK 7 und positivem CDX-2
Nachweis sehr suggestiv für einen Tumor
des unteren Gastrointestinaltrakts. Obwohl
prospektive Studien fehlen, konnte gezeigt
werden, dass Patienten mit CDX-2 positiven Tumoren, die analog eines kolorektalen Karzinoms behandelt wurden ein
Abbildung 3
C. Wittekind, L.C. Horn Onkologe 2008 14:870-878
Abb. 3
6 | Onkologische Pharmazie | 16. Jahrgang | Nr. 4/2014
OBERSCHWABENKLINIK
Abbildung 4
Das CUP-Syndrom 
Abbildung 5
C. Wittekind, L.C. Horn Onkologe 2008 14:870-878
Abb. 4
OBERSCHWABENKLINIK
A.Tanna
Onkolo
A. Tannapfel, J. Munding, Onkologe 2013, 19:15–21
Abb. 5
OBERSCHWABENK
Onkologische Pharmazie | 16. Jahrgang | Nr. 4/2014 | 7
 Das CUP-Syndrom
Abbildung 6
Das CUP-Syndrom
„Kopf-Hals-Typ“
„SCLC-Typ“
Cisplatin / 5-FU ±
Radiatio
Cisplatin /
Etoposid
„Magen-Typ“
„Pankreas /
CCC-Typ“
Oxaliplatin / 5-FU
„NSCLC-Typ“
Gemcitabin /
Cisplatin
Abb. 6
Gesamtüberleben von mehr als 30 Monaten
aufwiesen [21].
Der Pathologe benötigt zur Interpretation
unbedingt Anamnese und Symptome des
Patienten, die Mitteilung zur Entnahme­
stelle der Biopsie sowie vorliegende klinische Be­fun­de (Bildgebung, evtl. auch
Tumormarker).
Durch die Bedeutung der Pathologie für die
Subgruppen-Einteilung des CUP-Syndroms
ist es auch wichtig, frühzeitig und nicht erst
nach wochenlanger Primärtumorsuche eine
Histologiegewinnung anzustreben und gegebenenfalls eine weitere immunhistochemische beziehungsweise molekulare Diagnostik
einzuleiten. So kann auch die Information
der Lokalisation der Metastase mit der
Histologie umgekehrt einen Hinweis auf
den möglichen Sitz des Primärtumors liefern [22]; (Abb. 3).
Hierbei ist auch aus Gründen der Kosten­
effizienz ein gewisser Algorithmus in eine
enger Absprache des Klinikers mit dem
Pathologen erforderlich [23]; (Abb. 4 und 5).
Die Möglichkeit durch weitere molekular-pathologische Methoden wie
„Mamma-Typ“
Carboplatin /
Paclitaxel
Hormontherapie
Taxanhaltige
Kombination
Monotherapie
„Ovar-Typ“
Carboplatin /
Paclitaxel
„Kolorektal-Typ“
„Spezielle OberflächenAntigene oder Mutationen“
Oxaliplatin / 5-FU
Targeted Therapy
OBERSCHWABENKLINIK
DNA-Mikroarray oder quantitative Real­
time-PCR eine spezielle Signatur des Tumors
zu identifizieren, ist in zahlreichen prospektiven und retrospektiven Studien untersucht
worden [24].
Diese zeigen eine hohe Plausibilität der
angenommenen Primärhistologie. Obwohl
aus wirtschaftlichen und infrastrukturellen Gründen diese Methoden noch nicht
als Standard angesehene werden können,
bestehen hier sehr interessante Ansätze, die
in innovative prospektiven klinische Studien
integriert werden sollten.
heute in Analogie zur Behandlung spezifischer Tumorerkrankungen deutlich differenzierter vorgegangen werden (Abb. 6).
AUTOREN:
Dr. Gerhard Fischer
Onkologisches Zentrum, Klinik für Innere Medizin,
Gastroenterologie, Hämatologie und Onkologie
[email protected]
Prof. Dr. med. Martin Heuschmid
Klinik für Diagnostische und Interventionelle
Radiologie und Nuklearmedizin
Oberschwabenklinik GmbH,
Krankenhaus St. Elisabeth, Ravensburg
Therapie
REFERENZEN
Trotz seiner Heterogenität wurde das CUPSyndrom lange als eine Entität behandelt,
die in erster Linie mit einer Platin-basierten
Chemotherapie behandelt wurde. Über die
letzten 2 Jahrzehnte wurden verschiedene
Kombinationen in Studien geprüft und zeigten dabei Ansprechraten von 25-35% und
Gesamtüberleben von 6-16 Monaten.
Durch bessere Diagnostik und Kenntnis
prognostisch relevanter Subgruppen kann
8 | Onkologische Pharmazie | 16. Jahrgang | Nr. 4/2014
1. Muir C (1995) Cancer of unknown primary site.
Cancer 75:353–356
2. Hess KR, Abbruzzese MC, Lenzi R et al (1999)
Classification and regression free analysis of 1000
consecutive patients with unknown primary carcinoma. Clin Cancer Res 5:3403–3410
3. Hübner G, Wildfang I, Schmoll H (2006) Metastasen bei unbekanntem Primärtumor. In Schmoll
HJ HKPK (Hrsg.) Kompendium internistische Onkologie: Standards in Diagnostik und Therapie.
Springer, Heidelberg, pp 5317–5364
Das CUP-Syndrom 
Kasuistik 1
51-jährige weibliche Patientin tastete eine noduläre Veränderung am Hals rechts
oberhalb des Schlüsselbeins. Die Ausbreitungsdiagnostik ergab einen singulären,
hoch FDG-aviden Herdbefund mit 2,3 cm Durchmesser an der genannten Lokalisation
(Abb. 1a), die Histologie ergab nach erfolgter Resektion den Nachweis eines Malignen
Melanoms. In Abb. 1b zeigt die PET-Darstellung den beschriebenen stoffwechselaktiven
Tumor rechts cervical, weitere Tumormanifestationen (insbesondere ein kutaner bzw.
subkutaner Primärtumor) konnten mittels PET/CT nicht nachgewiesen werden. Physiologisch hohe Tracerakkumulation findet sich im Gehirn, dem Herzmuskel und der Blase
(durch die Ausscheidung über die Nieren und ableitenden Harnwege).
Abb. 1b
Abb. 1a
4. Copeland EM, McBride CM (1973) Axillary metastases from unknown primary sites. Ann Surg
178:25–27
5. Culine S, Kramar A, Saghatchian M et al (2002)
Development and validation of a prognostic model to predict the length of survival in patients
with carcinomas of an unknown primary site. J
Clin Oncol 20:4679–4683
6. Hübner G CUP-Syndrom Epidemiologie, Prognosegruppen und therapeutische Strategie Onkologe
2013; 19: 8-14
Kasuistik 2
Ein 63-jähriger männlicher Patient stellt sich mit dem klinischen Verdacht auf einen
vergrößerten suspekten Lymphknoten am Hals auf der rechten Seite vor. In der Standard-Diagnostik konnte der Lymphknoten computertomographisch identifiziert werden
(Abb. 2a). Die genaue Lokalisation des Primärtumors (Größe ca. 1,2 cm) am rechten
Zungengrund (Abb. 2b) wurde mittels der 18F-FDG-PET/CT diagnostiziert. Aufgrund
der zentralen Nekrose des Lymphknotens war dessen FDG-Aufnahme nur im Randbereich sehr gering.
7. Brendle C, Pfannenberg C. Bildgebung in der Diagnostik des CUP-Syndroms. Onkologe 2013; 19: 22-28.
8. Neben K, Hübner G, Folprecht G et al. Metastasen
ohne Primärtumor: Fortschritte in Diagnostik und
Therapie des CUP-Syndroms. Deutsches Ärzteblatt 2008; 105: 733-40.
9. Fizazi K, Greco FA, Pavlidis N et al. Cander of unknown primary site: ESMO clinical practice guidelines for diagnostis, treatment and follow-up. Ann
Oncol 2011; 22 (Suppl 6): 64-68.
10. Abbruzzese JL, Abbruzzese MC, Lenzi R et al.
Analysis of a diagnostic strategy for patients with
suspected tumors of unknown origin. J Clin Oncol
1995; 13: 2094-2103.´
Abb. 2a
Abb.2b
Onkologische Pharmazie | 16. Jahrgang | Nr. 4/2014 | 9
 Das CUP-Syndrom
Das CUP-Syndrom
Kasuistik 3
39-jähriger Mann mit einer LK-Schwellung im Bereich der linken Axilla. Zu diagnostischem Zweck wurde ein Lymphknoten lokal entfernt, histologisch fand sich ein Malignes
Melanom. In der ergänzenden PET/CT-Untersuchung zur Primärtumorsuche und Ausbreitungsdiagnostik fand sich neben den frischen postoperativen Weichteilveränderungen
ein weiterer, nahe der Thoraxwand gelegener Lymphknoten in der linken Achselhöhle
mit hoher Stoffwechselaktivität (18F-FDG-Uptake) (Abb. 3a). In der PET-Bildgebung in
koronarer Schnittführung konnte neben dem Stoffwechselaktiven Lymphknoten kein
Primärtumor gesichert werden (der hohe Stoffwechsel des Gehirns und des Herzens
sowie die Ansammlung von Tracer im Blasenlumen sind physiologisch) (siehe Abb. 3b).
Abb. 3b
Abb. 3a
11. Basu S, Alavi A. FDG-PET in the clinical management of carcinoma of unknown primay with
metastatic cervical lymphadenopathy: shifting
gears from detecting the primary to planning
therapeutic strategies. Eur J Med Mol Imaging
2007: 34; 427-428.
15. Pfannenberg C1, Aschoff P, Schanz S et al. Prospective comparison of 18F-fluorodeoxyglucose positron emission tomography/computed tomography
and whole-body magnetic resonance imaging in
staging of advanced malignant melanoma. Eur J
Cancer 2007; 43: 557-64.
12. Roh JL, Kim JS, Lee JH et al. Utility of combined
(18)F-flourodesoxyglucose-positron emission tomography and computed tomography in patients
with cervical metastases from unknown primary
tumors. Oral Oncol 2009; 45: 218-224.
16. Naswa N, Sharma P, Kumar A et al. ⁶⁸Ga-DOTANOC PET/CT in patients with carcinoma of unknown primary of neuroendocrine origin. Clin Nucl
Med 2012; 37: 245-51.
13. Moller AK, Loft A, Berthelsen AK et al. 18F-FDG
PET/CT as a diagnostic tool in patients with extracervical carcinoma of unknown primary site: a
literature review. Oncologist. 2011;16(4):445-51.
14. Kwee TC1, Kwee RM. Combined FDG-PET/CT for
the detection of unknown primary tumors: systematic review and meta-analysis.Eur Radiol 2009;
19: 731-44.
17. Prasad V, Ambrosini V, Hommann M et al. Detection of unknown primay neuroendocrine tumours
(CUP-NET) using (68)Ga-DOTA-NOC receptor PET/
CT. Eur J Nucl Med Imaging 2010: 37: 67-77.
18. Abbruzzese JL, Abbruzzese MC, Hess KR et al
(1994) Unknown primary carcinoma: natural history and prognostic factors in 657 consecutive
patients. J Clin Oncol 12:1272–1280
10 | Onkologische Pharmazie | 16. Jahrgang | Nr. 4/2014
19. Pavlidis N (2007) Forty years experience of treating cancer of unknown primary. Acta Oncol
46:592–601
20. Varadhachary GR, Raber M N Cancer of unknown
primary site N Engl J Med 371;8 757-861
21. Varadhachary GR, Karanth S Carcinoma if unknown primary with gastrointestinal profile Int J
Clin Onc 2013 June 28
22. Wittekind C Horn L.-C Pathohistologische und molekulargenetische Diagnostik beim CUP-Syndrom
Onkologe 2008: 14: 870-878
23. Munding J Tannapfel A Pathologie des CUP-Syndroms Onkologe 2013 19 15-21
24. Neben K Gattenlöhner S Krämer A Molekulare
Pathogenese und Biologie des CUP Syndroms
Onkologe 2008 14 860-869
Das CUP-Syndrom 
Fragen für das testierte interaktive Selbststudium DGOP 4/2014
1. Welche der folgenden Aussagen trifft zu:
a) Im Zeitalter der PET-CT kommt das CUP-Syndrom fast nicht
mehr vor.
b) Das mittlere 5-Jahres-Überleben aller CUP-Patienten beträgt ca. 10%.)
c) Unabhängig vom mutmaßlichen Ursprungsort des Tumors
ist die Prognose aller CUP-Syndrome schlecht.
d) Bei spezifischen Subgruppen liegt eine deutlich bessere
Prognose vor.
2. Welche der folgenden Manifestationen gelten als günstige
Subgruppen eines CUP
a) Axilläre Lymphknotenmetastase eines Adenokarzinoms
bei Frauen
b) Peritonealkarzinose durch ein (serös-papilläres) Adenokarzinoms bei Frauen
c) Zervikale Lymphknotenmetastasen eines undifferenzierten
oder Plattenepithelkarzinoms
d) Neuroendokrine gut differenzierte Karzinome
3. Der Nachweis von TTF-1 in der Metastase eines Adenokarzinoms legt den Ursprung der Erkrankung in folgendem
Organ nahe:
a)Mamma
b)Lunge
c)Ovar
d)Kolon
4. Die typische immunhistochemische Konstellation für die
Metastase eines Kolorektalen Karzinoms ist:
a) CK7 pos CK20 pos CDX2 pos
b) CK7 pos CK20 pos CDX2 neg
c) CK7 neg CK20 pos CDX2 pos
d) CK7 neg CK20 neg CDX2 neg
5. Als Basisdiagnostik in der Bildgebung beim CUP-Syndrom
wird vorwiegend empfohlen:
a) Röntgen-Thorax und Sonographie als alleinige Bildgebung
b) Ganzkörper-Computertomographie
c) Diffusionsgewichtete Ganzkörper-MR-Tomographie
d) Octreotid-Szintigraphie
Richtige Antworten zum Beitrag „Strahlentherapie
beim Lungenkarzinom“
in Heft 2/2014
Frage 1: a, b, d
Frage 2: a, b, c, d
Frage 3: c
Frage 4: a, b, d
Frage 5: b, d
Testiertes interaktives Selbststudium – DGOP 2014
Nach der Beantwortung der Fragen zu vorangegangenem Artikel
in der „ONKOLOGISCHEN PHARMAZIE“ und der Ergänzung der
erforder­lichen Angaben können Sie den gekennzeichneten
Bereich der Zeitung ausschneiden oder kopieren und an
nachfolgende Fax-Nummer der DGOP faxen. Auch mehrere
Antworten können richtig sein. Beim Selbststudium wünschen
wir viel Erfolg!
Per Fax: +49-40-79 14 03 02
Name:
Vorname:
Einrichtung:
Straße:
PLZ/Ort:
Das CUP-Syndrom
Prognosegruppen und therapeutische Strategie
(ONKOLOGISCHE PHARMAZIE Nr. 4/2014)
Meine Antwort (X) lautet bei:
Frage 1:
a
b
c
d
Frage 2:
a
b
c
d
Frage 3:
a
b
c
d
Frage 4:
a
b
c
d
Frage 5:
a
b
c
d
Ich versichere hiermit, dass ich den o.g. Artikel gelesen und die
Fragen persönlich beantwortet habe.
Zum Zweck der Erreichung von Fortbildungspunkten für „Testiertes
interaktives Selbststudium DGOP“ bitte ich um die Registrierung
meiner Zusendung bei der DGOP und die Übermittlung der
erreichten Punktzahl.
Datum:
Unterschrift:
Onkologische Pharmazie | 16. Jahrgang | Nr. 4/2014 | 11
Übertherapie in der Onkologie
Klug auswählen
Übertherapie in der Onkologie
Von Günther J. Wiedemann, Ravensburg
I
m Rahmen des Projekts „Choosing Wisely“, das vom ABIM (American Board of Internal
Medicine) initiiert wurde, gingen aus den Reihen aller medizinischen Fächer zahlreiche
Vorschläge ein, welche diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen in eine Liste der
evidenzbasierten, konsensbestimmten sinnlosesten Interventionen aufgenommen werden
sollten. Von der American Society of Clinical Oncology (ASCO) wurde zunächst eine
„Hitliste“ der fünf nutzlosesten onkologischen Interventionen erstellt, die mittlerweile
durch fünf weitere ergänzt wurde (1). Es ging darum, die Maßnahmen zu identifizieren, die
zwar nicht evidenzbasiert, aber dennoch weit verbreitet sind. Diese widersprechen damit
den Grundregeln einer vernünftigen Onkologie: ausreichende Evidenz, keine Doppelung
diagnostischer und therapeutischer Maßnahmen, geringstmöglicher Schaden für den
Patienten und tatsächlich gegebene Notwendigkeit. Die Evidenz für die Begründung
der Nutzlosigkeit der genannten Maßnahmen ist sorgfältig in der Literatur belegt (siehe
www.choosingwisely.org bzw. www.choosingwisely.org/wp-content/uploads/2013/10/
ASCO10ThingsList-1020131.pdf ).
Die Top Ten der nutzlosesten
onkologischen Maßnahmen
Die Warnung vor unnötigen Maßnahmen in
der Choosing Wisely-Liste reicht von eher
allgemein gehaltenen Empfehlungen bis zu
sehr konkreten Einzelinterventionen. Nicht
eingeschlossen sind Einschränkungen von
Therapiemöglichkeiten aufgrund besonderer
Organtoxizitäten bzw. Toxizitäten, die sich
aufgrund verminderter renaler oder hepatischer Medikamentenelimination ergeben
(Abb. 1, Tab. 1, Kasten).
Die Liste wird angeführt von der wichtigsten
Voraussetzung, um onkologische Patienten
vor unnötigem Schaden zu bewahren:
1. Eine Anti-Tumor-Therapie außerhalb
von Studien ist zu unterlassen, wenn folgende Bedingungen vorliegen: Patienten
mit unheilbaren, metastasierten/fortgeschrittenen soliden Krebsleiden,
schlechter Allgemeinzustand, fehlender Nutzen bisheriger evidenzbasierter Inter ventionen, geringe
Wahrscheinlichkeit eines klinischen
Nutzens. Diese Patienten benötigen
aber palliativmedizinische und supportive Maßnahmen.
Es schließen sich dann sehr konkret gehaltene Negativempfehlungen an:
2. Kein PET, CT oder Knochenszintigramm
als Staging-Maßnahme bei Patienten
mit Prostata-Frühkarzinom (T1c/T2a,
PSA<10ng/ml, Glea­son Score ≤6) mit
gerin­ger Metas­tasie­rungs­­wahr­scheinlichkeit.
Begründung: keine Evidenz, dass die
frühzeitige Entdeckung von Metastasen
das Überleben verbessert, überflüssige
Strahlenexposition.
5. Keine Granulozyten-Wachstumsfaktoren
zur Prävention einer febrilen Neutropenie
bei Patienten, bei denen diese Kompli­
kation mit weniger als 20% Wahr­
scheinlichkeit zu erwarten ist.
Begrün­dung: ASCO-Guidelines (2).
6. Bei Chemotherapien mit geringem
Risiko für Emesis und Nausea primär
keine Antiemetika einsetzen, die bei
Chemotherapien mit hohem emetischem
Risiko indiziert sind.
Begründung: Die neueren hocheffektiven Antiemetika sind teuer und haben
beträchtliche unerwünschte Wirkungen.
7. Bei metastasierten Mammakarzinomen
ist eine Mono-Chemotherapie gegenüber einer Kombinations-Chemotherapie
zu bevorzugen, es sei denn, ein rasches
Ansprechen ist zur Symptomlinderung
notwendig.
Begründung: Bei palliativer Therapie
sind additive Toxizitäten möglichst zu
vermeiden.
3. Kein PET, CT oder Knochen­szinti­gramm
zum Staging von Mamma-Früh­karzi­
nomen (DCIS, Stadium I und II) mit geringer Metas­ta­sie­rungs­wahrscheinlichkeit.
Begründung: keine Evidenz, dass die
frühzeitige Entdeckung von Metastasen
das Überleben verbessert, überflüssige
Strahlenexposition.
8. Kein PET oder PET-CT in der therapiefreien Nachsorge bei asymptomatischen
Patienten zur Frage eines Tumorrezidivs, es
sei denn in begründeten Einzelfällen (z. B.
Möglichkeit eines kurativen Ein­griffs).
Begründung: PET und PET-CT
sind indiziert in der Diagnostik, zum
Staging und bei der Beurteilung des
Therapieerfolgs, nicht aber in der therapiefreien Nachsorge.
4. Keine Bestimmung von Bio/Tumor­
markern und keine Kontroll-Bild­ge­
bung bei asympto­matischen Brust­­krebsPatientinnen, die kurativ be­h andelt
wurden.
Begründung: kein nachgewiesener
Nutzen, Gefahr falsch positiver Befunde
mit unnötiger Folgediagnostik und
-therapie.
9. Kein PSA-Screening bei symptomfreien
Männern mit einer Lebenserwartung von
unter 10 Jahren.
Begründung: Männer mit erheblichen
Komorbiditäten haben ein größeres
Risiko, aufgrund dieser Erkran­kungen
innerhalb von 10 Jahren zu versterben als
aufgrund eines nicht ent­deckten, asympto­
matischen Pros­ta­ta­karzinoms.
12 | Onkologische Pharmazie | 16. Jahrgang | Nr. 4/2014
Übertherapie in der Onkologie
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16. Jahrgang |BERNER
Nr. 4/2014
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Übertherapie in der Onkologie
10.Keine „Targeted Therapy“ ohne Nachweis
der entsprechenden Zielstruktur.
Die Kampagne „Choosing Wisely“ möchte
dazu beitragen, dass Sinn und Unsinn
geplanter diagnostischer und therapeutischer Interventionen evidenzbasiert mit
Patienten diskutiert werden können. Auf
www.choosingwisely.org gibt es daher auch
Informationen, die sich direkt an Patienten
richten (Patient Friendly Ressources, z.B.
http://www.choosingwisely.org/doctor-patient-lists/pet-scans-after-cancer-treatment/).
Sie sind auch eine gute Grundlage für die
Beratungssituation in der Apotheke.
Korrespondenz:
[email protected]
Clearance
eines Zytostatikums
Clearance eines Zytostatikums
n
n
Totale Arzneimittel-Clearance = renale Clearance + hepatische
Clearance
Anteil der Niere ist substanzspezifisch, wobei:
q
q
1-Qo = bioverfügbarer Anteil bei normaler Nierenfunktion, welcher
in aktiver Form renal eliminiert wird
Qo = Extrarenal ausgeschiedener Dosisanteil bei normaler
Nierenfunktion: errechnet sich als: Qo= T1/2 Normale Nierenfkt
T1/2Anurie
§
Ausscheidung inin
Abhängigkeit
von Qo von
Ausscheidung
Abhängigkeit
und Nierenfunktion
Q0 und Nierenfunktion
Alle Rechte vorbehalten. Copyright © 1998 - 2006 Abt. Innere
Medizin VI, Klinische Pharmakologie &
Pharmakoepidemiologie, Universitätsklinikum Heidelberg
LITERATUR
(1) Schnipper LE, Smith TJ, Raghavan D et al. American Society of Clinical Oncology identifies five
key opportunities to improve care and reduce
costs: the top five list for oncology. J Clin Oncol
2012;30:1715-24
(2) Smith TJ, Khatcheressian J, Lyman GH et al. ASCO
2006 update of recommendations for the use of
white blood cells growth factors: An evidence
based clinical practice guideline. J Clin Oncol
24:3187-3205, 2006
Bei einer Krea-Clearance < 50 ml/Min steigt die Arzneimittelmenge im
Körper für Pharmaka mit niedrigem Qo stark an.
Korrekturen in Dosis oder Dosierintervall sind erforderlich
Abb. 1
Drugs Affected by Changes in Hepatic Metabolism
% Dose reduction for hepatic dysfunction
Mild
(bili* 1.5–3.0; SGOT** 60–180)
Moderate
(bili* 3.1–5.0; SGOT** >180)
Severe
(bili* >5.0)
Anthracyclines
Andriamycin
Daunorubicin
50%
25%
75%
50%
Omit
Omit
Taxanes
Omit
Omit
Omit
Vinca Alkaloids
Epipodophyllotoxins
Synthetic alkaloids
50%
Omit
Omit
Methotrexate
0%
25%
Omit
Cyclophosphamide
0%
5%
Omit
5-Fluorouracil
0%
0%
Omit
Tab. 1
14 | Onkologische Pharmazie | 16. Jahrgang | Nr. 4/2014
* bili = total bilirubin, ** SGOT = serum aspartate
Kommentar des Herausgebers
Kommentar des Herausgebers
Neue Herausforderungen für die
Onkologische Pharmazie in Europa
Klaus Meier
I
n Europa ist die neue EU-Kommission gebildet und gerade zur richtigen Zeit ist die
Entscheidung gefallen: Der neue EU-Kommissar für Gesundheit, Vytenis Andriukaitis
aus Litauen, soll auch in Zukunft für Fragen
des Verbraucherschutzes sowie für Arzneimittel und Medizinprodukte zuständig sein.
Zeit in seinem Amt damit beschäftigt gewesen wäre, Steine zu klopfen und Schwelbrände zu beseitigen. Aber ein Haus kann
nur fertig werden, wenn man über die anfänglichen Widrigkeiten der Realität hinwegkommt und wenn es gelingt, ein Team aus
allen beteiligten Gewerken zu motivieren.
desrepublik Deutschland, so umfasst der
Mittelstand nach quantitativer Definition
Die mögliche Verquickung von Industrie- mit
Verbraucherschutzinteressen im Ressort für
Binnenmarkt hätte ansonsten zu Ungunsten von Patienteninteressen wirken können.
Wenn dafür gesorgt wird, die Sprache und
das Denken der Menschen zu erklären und
inneres Verständnis zu erzeugen, dann ist
Globalisierung im Sinne des wachsenden
Verständnisses aller Völker ein hehres Ziel.
sowie
rund 83,0 % aller Auszubildenden ausge-
Nachdem sich der ESOP (European Society
of Oncology Pharmacy) bei dem scheidenden EU-Kommissar Tonio Borg für die Unterstützung bei der Durchführung des ECOP in
Krakau bedankt hatte, teilte uns dieser mit,
dass ihm nicht nur die Stärkung der Rolle der
Pharmazie im Patientenprozess ein besonderes Anliegen gewesen sei, sondern dass
er auch dafür Sorge getragen hätte, dem
neuen EU-Kommissar durch die Bereitstellung entsprechender Informationen die Fortführung bisheriger Aktivitäten als Auftrag
für die Zukunft ans Herz zu legen.
Unsere Arbeit für die Onkologische Pharmazie ist in Brüssel angekommen! Dieser Zwischen-­Erfolg gibt Kraft, mutig die
Bedürf­nisse der Krebs­patienten in den
einzel­nen Län­dern in den Vordergrund zu
stellen und sich dienstbar als deren Partner zu erweisen.
Die Aktivitäten der DGOP zur Begleitung der
oralen Krebstherapie begannen im Zusammenwirken mit allen Akteuren des Gesundheitswesens vor fünf Jahren. Der Fortschritt
hierbei wurde für Uneingeweihte nicht sofort sichtbar.
Ein bekannter Krankenhausapotheker hat
einmal von sich gesagt, dass er die meiste
Wie steht es in diesem Zusammenhang mit
der Diskussion um das Projekt „Transatlantic Trade and Investment Partnership“
(TTIP)? Wer kennt den Inhalt der Verhandlungen zwischen EU und den Vereinigten
Staaten von Amerika? Politiker von Berlin bis
Brüssel reden nicht gerne über das, was in
dem angestrebten Vertrag zum transatlantischen Freihandelsabkommen stehen soll.
Ist es so, dass Europas Bürger nicht zu
früh erfahren sollen, dass die Privilegien
von Konzernen und Investoren durch dieses Abkommen abgesichert und sogar noch
ausgeweitet werden sollen?
Die EU und die USA wollen ihre jeweiligen
Standards in „nicht handelspolitischen“
Bereichen vereinheitlichen. Aber diese angestrebte „Harmonisierung“ wird voraussichtlich die Interessen der kapitalkräftigen
Konzerne und Investoren vorrangig berücksichtigen. Mögliche Einsprüche, die zu Verzögerungen beschlossener Maßnahmen führen, könnten dann mit der Drohung von Entschädigungszahlungen beantwortet werden.
Nun bestehen Volkswirtschaften nicht allein
aufgrund der Wirtschaftskraft von Großkonzernen. Betrachtet man die Zahlen der Bun-
rund 99,7 % aller umsatzsteuerpflichtigen
Unternehmen, in denen knapp
65,9 % aller sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten angestellt sind,
rund 38,3 % aller Umsätze erwirtschaftet
bildet werden.1
Diese Rolle in einem nationalen Gesellschaftsgefüge ist entscheidend für die dauerhafte Einbeziehung der Gesamtbevölkerung und für soziale Gerechtigkeit.
Den Patienten, nicht nur als zahlenden Verbraucher sondern als Mittelpunkt persönlichen Handelns zu betrachten, wird man am
ehesten von denen erwarten können, die bei
sich selbst die gleiche Erfahrung machen:
nicht namenlos sein, sondern als Teil des
Ganzen wahrgenommen werden.
Der neue EU-Gesundheitskommissar Andriukaitis scheint der richtige Mann hierfür zu sein, nicht nur weil er selber Arzt ist,
sondern bereits seit über zwei Jahren als
Gesundheitsminister Litauens für gesundheitspolitischen Fortschritt im Interesse von
Patienten steht.
Gemeinsam mit ihm wollen wir für eine Verbesserung der pharmazeutischen Betreuung
unserer Krebspatienten auf europäischer
Ebene zusammenarbeiten.
1 Diagnose Mittelstand 2012; Deutscher
Mittelstand – stabil auch in schwierigen Zeiten
(Herausgeber Deutscher Sparkassen und
Giroverband)
Onkologische Pharmazie | 16. Jahrgang | Nr. 4/2014 | 15
13.
NZW-Süd in
in München
München
13. NZW-Süd
13. NZW-Süd in München
NZW weiß-blau: Neuer Standort,
gewohnte Qualität
K
ann man mit einem ganzen Kon­
gress einfach umziehen? Es war
gewiss ein Wagnis, den NZW Süd nach
12 erfolgreichen Jahren vom oberschwäbischen Ravensburg in die bayrische
Landeshauptstadt zu verpflanzen. Doch
die große Zahl der Anmeldungen zeigte,
dass Infrastruktur, touristisches Potenzial
und Erreichbarkeit von München viele
Kongressteilnehmer überzeugten.
Ein leichtes Fremdeln im eher anonymen
Kongresshotel auf dem Messegelände ließ
sich dennoch bei jenen nicht verleugnen, die
das lebensfrohe Ravensburg mit der neubarocken Konzerthalle über die Jahre ins Herz
geschlossen hatten. Ein internationales
Hotel als Tagungsstätte ist ohne Frage anonymer, doch die hervorragende technische
Ausstattung der Vortragssäle, der großzügige
Rahmen für die Industrieausstellung und das
gute Catering in den Pausen sprachen für
sich. Und an der gewohnt hohen Qualität
der Vorträge mit namhaften Referenten aus
Deutschland und Österreich gab es ohnehin keinen Zweifel. Aufgrund der besseren räumlichen Ausstattung war es erstmals
auch möglich, parallel zum Hauptprogramm
eine Fachtagung „Orale Krebstherapie“ für
Offizinapotheker anzubieten.
Am Abend brach sich dann nach einem anregenden und anspruchsvollen Kongresstag
im Augustinerkeller bajuwarische Feierwut
Bahn, der sich auch die „Fischköpfe“ aus dem
Norden nicht entziehen konnten – angeheizt von reichlichem Bierkonsum und einer
Blaskapelle, die niemanden auf den Stühlen
ließ. Der Kongress tanzte!
16 | Onkologische Pharmazie | 16. Jahrgang | Nr. 4/2014
13. NZW-Süd
in München
Chirurgische Therapieoptionen im Behandlungs­konzept von Kopfund Halskarzinomen
Chirurgische Therapieoptionen im Behandlungs­
konzept von Kopf- und Halskarzinomen
Referent: Prof. Dr. Konrad Sommer, Osnabrück
SCCHN-Patienten: Absolutes
Überleben
nachAbsolutes
Tumorlokalisation
SCCHN-Patienten:
Die meisten Kopf- und Halstumoren sind
Plattenepithelkarzinome. Sie stellen eine
heterogene Tumorgruppe mit unterschiedlichen Tumorlokalisationen dar (Lippen,
Mundhöhle, Rachen – hier gibt es die höher
gelegenen Oropharynx- und die tiefer gelegenen Hypopharynxkarzinome – , Kehlkopf
bzw. Larynx, Speicheldrüsen, Haut und
Nasennebenhöhlen).
Überleben nach Tumorlokalisation
Rauchen in Kombination mit übermäßigem
Alkohol­konsum erhöht das Karzinomrisiko
um den Faktor 7.
Unabhängig von diesen Risikofaktoren entstehen schätzungsweise 20-80% der Kopfund Halstumoren auf dem Boden einer
HPV-Infektion.
aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaa
1. Interdisziplinäres Symposion des Operativen Kopfzentrums am MHO - 2008
Abb. 1
Die Prognose hängt stark von der Tumor­
lokalisation ab (Abb. 1).
Offener
Primäres Therapieziel: Komplette
operative Tumorentfernung mit
Sicherheitsabstand
Aufgrund der anatomischen Gegebenheiten im
Kopf- und Hals-Bereich ist bei der geschlos­
senen Laser­chirurgie eine Tumor­entfernung en
bloc (im Ganzen) oft nicht möglich; hier ist
es, im Gegensatz zu den allgemeinen Regeln
der Tumorchirurgie, zulässig, den Tumor zu
zerteilen und stückweise zu entfernen.
geschlossener Zugang
transcutan
Wenn Tumorgröße, Lokalisation und
Allgemeinzustand des Patienten es zulassen, ist die Operation die primäre Therapie.
Radio- und/oder Chemotherapie kommen
i.d.R. postoperativ zum Einsatz, es gibt
aber auch neoadjuvante Ansätze. Neu sind
Antikörpertherapien.
Grundsätzlich gibt es zwei operative Ver­
fahren: den so genannten offenen Zugang
(von außen) oder den geschlossenen Zugang
durch die Mundhöhle (Abb. 2).
versus
Operation
transoral
Laser
Kalter Stahl
aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaa
1. Interdisziplinäres Symposion des Operativen Kopfzentrums am MHO - 2008
Abb. 2
Larynxkarzinome: Gute Prognose
dank Früherkennung
Das Leitsymptom des Kehlkopfkarzi­noms
ist anhaltende Heiserkeit bereits im Früh­
stadium. Jede Heiserkeit, die länger als 3
Wochen anhält, muss vom HNO-Arzt
abgeklärt werden. Abb.3 zeigt die knotige
Verdickung einer der beiden Stimmlippen
im Kehlkopf, die einem Frühkarzinom entspricht. Mit einem solchen Befund überleben nach alleiniger operativer Therapie
mehr als 80% der Patienten die nächsten
10 Jahre. Doch auch in fortgeschritteneren
Onkologische Pharmazie | 16. Jahrgang | Nr. 4/2014 | 17
13.
NZW-Süd Therapieoptionen
in München
Chirurgische
im Behandlungs­konzept von Kopf- und Halskarzinomen
Larynxkarzinom
Tumorstadien sind die Kontrollraten
annehmbar (Abb. 4).
Bei fortgeschritteneren Tumorstadien wird
häufig eine Entfernung des Kehlkopfes
(Laryngektomie) notwendig. Der damit
einhergehende Verlust der Sprache ist für
die Patienten belastend und stigmatisierend.
Nur eine Minderheit erlernt die so genannte
Ructussprache, bei der Luft aus dem Magen
(„Rülpsen“) zur Stimmbildung in Speiseröhre
und Mundhöhle benutzt wird.
Es gibt auch verschiedene Stimmprothesen,
die zwischen der Trachea- und der
Pharynxwand eingesetzt werden können,
mit denen der Patient eine Stimme bilden
kann. Nicht selten kommt es hier allerdings
zu Undichtigkeiten und Infektionen.
Problemfeld Halslymphknoten
Bei der Operation des Primärtumors ist häufig die Ausräumung verschiedener zervikaler Lymphknotengruppen erforderlich. Das
Ausmaß dieser so genannten Neck Dissection
ist abhängig von Zahl, Größe und Lokalisation
der Lymphknotenmetastasen. Die Neck
Dissection ist gleichermaßen kurativer Eingriff
und Staging-Verfahren. Insbesondere bei einer
Radikalen Neck Dissection (Abb. 5) können
funktionell und ästhetisch beeinträchtigende
Defekte entstehen.
FAZIT: Die möglichst vollständige Resektion des Tumors sowie die gründliche
Entfernung von Lymphknotenmetastasen sind bei operablen Patienten die
wichtigsten Maßnahmen bei kurativer
Intention.
Leitsymptom Heiserkeit
Larynxkarzinom
Leitsymptom Heiserkeit
Wichtig:
Jede Heiserkeit,
die länger als 3
Wochen anhält
muss vom HNO
Arzt abgeklärt
werden
Abb. 3 aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaa
Ergebnisse
1. Interdisziplinäres Symposion des Operativen Kopfzentrums am MHO - 2008
T2, T3 Larynxkarzinome
Ergebnisse
T2, T3 Larynxkarzinome
Strahlentherapie
Extralaryngeale
Larynxresektion
Endoskopische
Laserchirurgie
5 – Jahres
lokale
Kontrollrate
60 – 76%
73 – 83%
71 – 87%
5 – Jahres
Larynxerhaltrate
70 – 76%
76 – 82%
78 – 87%
1. Interdisziplinäres Symposion des Operativen Kopfzentrums am MHO - 2008
Abb. 4 aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaa
Aktuelle Klassifikation der Neck dissection
2000
– American
Academy
of Otolaryngology
–
Aktuelle
Klassifikation
der Neck
dissection
2000
–
American
Academy
of
Otolaryngology
–
Head and Neck
Surgery
Head and Neck Surgery
Radikale
Neck dissection:
Die adjuvante Radio- und Chemotherapie
spielt in der postoperativen und palliativen Situation eine zusätzliche entscheidende Rolle.
Level 1 -5
M. sternocleido.
V. jugularis
N. accessorius
Abb. 5
18 | Onkologische Pharmazie | 16. Jahrgang | Nr. 4/2014
13.KopfNZW-Süd
in München
Strahlentherapie von
und Halstumoren
Strahlentherapie von Kopf- und Halstumoren
Referent: Dr. med. Bernhard Berger, Ravensburg
Lokal fortgeschrittene Kopf-Hals-Tumore (LA HNSCC)
Im Rahmen eines primär operativen
Therapiekonzeptes kommt ab dem Stadium III
(N+) eine adjuvante Radiochemotherapie zum
Einsatz, wenn nach Entfernung des Tumors die
Resektionsränder nicht tumorfrei sind und/
oder wenn Lymphknotenmetastasen vorliegen,
die die Kapselgrenzen überschritten haben.
Bei lokal fortgeschrittenen Kopf- und
Halstumoren (Abb. 1) ist die Radiotherapie
die entscheidende Therapiemodalität. Selbst
bei technisch resektablen Tumoren ist
angesichts häufiger Komorbiditäten und
schwieriger sozialer Hintergründe (z.B. bei
Alkoholabusus) nicht jeder Patient operabel.
Selbst im Stadium IV ist mithilfe kombinierter Therapiemodalitäten eine Heilung prinzipiell möglich (20-30% 5-Jahresüberleben
im Stadium IV A, 10% im Stadium IV B).
Hervorzuheben ist, dass damit auch verstümmelnde operative Eingriffe vermieden werden
können.
Eine simultane Cisplatin-basierte Radio­
chemo­therapie bzw. eine Radioimmun­
therapie mit Cetuximab ergibt bessere
Resultate als eine Radiotherapie alleine (33,7
vs. 27,2% 5-Jahresüberleben; MACH-NC
Pignon Radiother Oncol 2009) und gilt
heute als Therapiestandard. Hinsichtlich der
Bestrahlung ist eine so genannte normofraktionierte Radiotherapie üblich, bei der 5x 2,0 Gy
/Woche bis zu einer Gesamtdosis von 70-74,0
Gy verabreicht werden. Eine hyperfraktioniertakzelerierte Radiotherapie (Bestrahlungen 2x
statt 1x täglich, gleiche Strahlendosis) verbessert
zwar das 5-Jahresüberleben um rund 5%, jedoch
um den Preis deutlich höherer Toxizität. Darüber
hinaus ist ihr Vorteil im Kontext einer Cisplatinbasierten Radiochemotherapie zweifelhaft.
Reduktion strahlenbedingter
Toxizitäten durch verbesserte
Planung und Technik
Die Strahlentherapie lokal fortgeschrittener
Kopf- und Halstumoren war bisher geprägt
von erheblichen Akut- und Spättoxizitäten
Lokal fortgeschrittene Kopf-Hals-Tumore (LA HNSCC)
•Stadien III-IVB (TxN1-TxN3) und bei primärer
Irresektabilität/Inoperabilität
• hohe Komorbidität und schwierige psychosoziale
Hintergründe
•klinische Heterogenität (Epipharynx-Larynx)
Abb. 1
(u.a. Xerostomien, Schluckstörungen, Atemund Sprechstörungen, erhöhte nicht krebsspezifische Gesamtmortalität). Fast die
Hälfte der geheilten Patienten bleibt nach
der Therapie dauerhaft arbeitsunfähig. Die
hohe Toxizität erfordert eine Optimierung
auch der Strahlentherapie. Das Ziel ist eine
effektivere Bestrahlung (höhere Strahlendosis
am Tumor) bei Reduzierung der Toxizität an
den Normalgeweben.
Diesem Ziel ist man in den letzten 10 Jahren
durch verschiedene technische Neuerungen
näher gekommen:
Die Intensitätsmodulierte Radiotherapie
(IMRT) kann heute als klinischer Standard
gelten. Hier ermöglichen dynamische
Blenden im Strahlengang individualisierte
Dosisverteilungen zur Schonung kritischer
Organe. Es kommt beispielsweise signifikant
seltener zu Xerostomien, die Lebensqualität
der Patienten ist deutlich besser.
Bei der Schnittbild-basierten/-fusionierten
Therapieplanung wird mit Unterstützung
funktioneller Bildgebung die Strahlendosis
gezielter im Tumor verabreicht.
Bei der Bildgeführten Strahlentherapie
(IGRT) kann anhand simultan erstellter Schnittbilder (CT) und mithilfe eines
beweglichen Lagerungstisches genau nachjustiert werden.
Dank eines um den Patienten rotierenden
Gerätes (VolumetricArcTherapy (VMAT)
werden in kurzer Zeit komplexe Bestrahlungen
möglich, die Patienten müssen dann während
der Bestrahlung deutlich kürzer still liegen
(z.B. nur 1-2 Minuten statt 10 Minuten).
Es ist auch versucht worden, die radiotherapiebedingte Toxizität durch eine zusätzliche
präoperative Induktionschemotherapie (und
Reduzierung der Strahlendosis) zu mindern,
jedoch ergaben die PARADIGM Studie
(2013) und die DECIDE Studie (2014) keine
eindeutigen Überlebens-/Kontrollvorteile bei
deutlich erhöhter Toxizität und Gefahr der
Kompromittierung der RCT.
Derzeit laufen erste randomisierte Studien, in
denen geprüft wird, ob die Strahlendosis bei
HPV-positiven Kopf- und Halstumoren, die
gut auf eine Induktionstherapie mit Paclitaxel
und Cetuximab ansprechen, reduziert werden
kann (siehe auch Seite 21).
FAZIT: Die Strahlentherapie trägt im Rahmen eines multimodalen Therapiekonzeptes dazu bei, die Therapie zu individualisieren und Toxizitäten zu reduzieren.
Onkologische Pharmazie | 16. Jahrgang | Nr. 4/2014 | 19
13.
NZW-Süd in München
Medikamentöse
Therapie von Kopf- und Halstumoren
Medikamentöse Therapie von Kopf- und
Halstumoren
Referent: Prof. Dr. Günther J. Wiedemann, Ravensburg
In den letzten Jahren hat sich die Erkennt­
nis durchgesetzt, dass ein Großteil (schätzungsweise 70% in den USA) der Platten­
epithelkarzinome im Kopf- und Halsbereich
(Head and Neck Squamous Cell Carcinoma
– HNSCC) durch HP-Viren (vor allem
HPV 16) bedingt ist. Undifferenzierte
Lymphoepitheliale Tumoren (SchminckeRegaud-Tumoren) werden vom Epstein-Barr
Virus (EBV) verursacht. Viren können nach
der Primärinfektion von Nasopharynxzellen
in diesen Zellen persistieren. Oncogene HPVProteine und EBV-DNA bzw. –Proteine
interagieren mit wichtigen Kontrollgenen
der infizierten Zellen und bewirken u.a.
eine inadäquate Zellproliferation und eine
Hemmung der Apoptose.
Clinical Trials Testing Specific Treatments for HPV-Related HNSCC
ADJUVANTE THERAPIE?
HPV-positive Tumoren sind anders
HPV-bedingte Kopf-und Hals-Platten­
epithel­karzinome unterscheiden sich in
ihren Eigenschaften und bezüglich der
Prognose von nicht-HPV-positiven Tumoren
(Tabelle 1).
Presented By Stephen Schwartz at 2014 ASCO Annual Meeting
Abb. 1
Die virale Genese impliziert ein Umdenken
sowohl in diagnostischer, therapeutischer
als auch in präventiver Hinsicht. So ist,
wie bei den ebenfalls HPV-induzierten
Zervixkarzinomen der Frau, eine Primär­
prävention HPV-bedingter Kopf- und
Halstumoren mithilfe einer Impfung vorstellbar. Erste Daten aus dem Jahr 2013 (Herrero
et al.) zeigen, dass HPV 16/18-Infektionen
der Mundhöhle durch eine Impfung zu
92-100% vermieden werden können. Ob
damit auch eine Abnahme der Inzidenz von
HNO-Tumoren einhergeht, werden erst die
Follow up-Daten in den nächsten Jahren
zeigen.
Die generell bessere Prognose HPVpositiver Tumoren lässt möglicherweise
eine Individualisierung der Therapie im
Clinical Trials Testing Specific Treatments for HPV-Related HNSCC
GERINGERE
STRAHLENDOSIS
Presented By Stephen Schwartz atBEI
2014 ASCOR0-RESEKTION?
Annual Meeting
Abb. 2
20 | Onkologische Pharmazie | 16. Jahrgang | Nr. 4/2014
13.KopfNZW-Süd
in München
Medikamentöse Therapie von
und Halstumoren
Sinne einer Dosisreduzierung und geringerer Toxizität zu. Auf dem ASCO 2014
in Chicago wurden mehrere Phase II/III
Studien mit entsprechenden Fragestellungen
vorgestellt (Abb. 1– 4). Allen Studien gemeinsam ist die Risikostratifizierung bei Patienten
mit HPV-positiven Tumoren. Geklärt werden soll, ob bei Low-Risk-Patienten auf
eine adjuvante Therapie verzichtet werden kann, ob die Strahlentherapiedosis
reduziert bzw. im Rahmen der systemischen Therapie auf das besonders toxische Cisplatin (oder überhaupt auf eine
Chemotherapie) verzichtet werden kann. So
könnten häufige unerwünschte Wirkungen
der Therapie wie Schluckstörungen, Mund­
trockenheit, Verlust des Geschmacks­sinns,
Schilddrüsenschädigung und Bewegungs­
einschränkungen des Halses reduziert oder
vermieden werden.
In der ECOG 1308 Studie (Abb. 2) erhielten 90 Patienten mit operablen HPV-posi­
ti­ven Platten­epithelkarzinomen zu­nächst
eine Induk­t ions-Chemo­t herapie mit
Paclitaxel, Cisplatin und Cetuximab. Bei
62 Patienten wurde damit eine komplette
Remission erreicht. Diese erhielten im
Anschluss eine reduzierte Strahlendosis von
54 Gy, Patienten ohne komplette Remission
dagegen die Standarddosis von 70 Gy. Das
2-Jahresüberleben lag unter der reduzierten
Dosis bei 93% (progressionsfreies Überleben
80%). Die prognostisch ungünstigere
Patientengruppe, die die höhere Strahlendosis
erhalten hatte, zeigte erwartungsgemäß
schlechtere Überlebensdaten
Tab. 1 Unterschiedliche Eigenschaften HPV-positiver und -negativer Tumoren
HPV+
HPV-
Lokalisierung
Tonsillen/Zunge
keine Präferenz
Histologie
Basalzellen
verhornend
Alter
jünger
älter
Rauchen/Alkohol
wenig Einfluss
starker Einfluss
Inzidenz
zunehmend
abnehmend
Prognose
besser
schlechter
Clinical Trials Testing Specific Treatments for HPV-Related HNSCC
KÖNNEN WIR CISPLATIN
VERMEIDEN?
Presented By Stephen Schwartz at 2014 ASCO Annual Meeting
Abb. 3
Onkologische Pharmazie | 16. Jahrgang | Nr. 4/2014 | 21
13.
NZW-Süd in München
Medikamentöse
Therapie von Kopf- und Halstumoren
Clinical Trials Testing Specific Treatments for HPV-Related HNSCC
CHEMOTHERAPIE BEI HPV+?
Presented By Stephen Schwartz at 2014 ASCO Annual Meeting
(2-Jahresüberleben 87%, progressionsfreies Überleben 65%). Eine reduzierte
Strahlendosis ist für Patienten mit HPVpositiven Kopf- und Halstumoren im
Rahmen von Studien also möglicherweise
bis zum Stadium IVa zu verantworten,
sofern diese im Vorfeld auf eine InduktionsChemotherapie gut angesprochen haben.
In Zukunft vermehrt
immuntherapeutische Konzepte?
damit die Aktivität der T-Lymphozyten.
Ein solcher monoklonaler PD1-Antikörper
ist Pembrolizumab, der aktuell bei metastasierten Melanomen und fortgeschrittenen nicht-kleinzelligen Lungenkarzinomen
erprobt wird. Tanguy Seiwert präsentierte
beim ASCO 2014 erstmals Daten, die darauf
hinweisen, dass dieser Antikörper auch insbesondere bei Kopf- und Halstumoren mit starker T-Zell Infiltration wirksam sein könnte.
Umdenken in der Diagnostik
Es ist plausibel, dass insbesondere virusbedingte Tumoren eine körpereigene Immun­
antwort, beispielsweise eine T-Zellinfiltration
von Tumor und Tumorum­gebung, induzieren. T-Zellaktionen können jedoch über
PD-L1, (PD1-Liganden) von Tumorzellen
oder Makrophagen unterdrückt werden,
PD-L1 stellt also eine „Immunbremse“
dar. Die Blockierung der PD-L1/PD1Interaktion mit spezifischen Antikörpern
inhibiert diese Immunbremse und verstärkt
Die sich abzeichnenden individualisierten
Therapiekonzepte in Abhängigkeit von einer
Virusgenese erfordern vor Therapiebeginn
eine entsprechende Spezialdiagnostik. Die
HPV-Diagnostik ist im Kopf-Hals-Bereich
noch nicht routinemäßige etabliert. Die
DNA von Epstein-Barr Viren (EBV-DNA)
kann im Blutserum bestimmt werden. Die
Konzentration von EBV-DNA korreliert
bei Lymphoepithelialen HNO-Tumoren
22 | Onkologische Pharmazie | 16. Jahrgang | Nr. 4/2014
Abb. 4
mit der Tumorzellzahl und könnte somit als
Tumormarker sowohl in der Primärdiagnostik
als auch in der Verlaufskontrolle unter
Therapie zum Einsatz kommen.
FAZIT: Virusinduzierte Kopf- und Halstumoren unterscheiden sich bezüglich ihrer
Eigenschaften und Prognose deutlich
von nicht-virusinduzierten Tumoren. Dies
eröffnet die Möglichkeit einer individualisierten systemischen und/oder Strahlentherapie mit reduzierten Toxizitäten.
13. NZW-Süd
in München
Kann/soll ich zu meiner Tumortherapie Vitamine und/oder Antioxidanzien
zu mir
nehmen?
Kann/soll ich zu meiner Tumortherapie Vitamine
und/oder Antioxidanzien zu mir nehmen?
Referent: Jürgen Barth, Gießen
Tumorpatienten gehen generell davon aus,
dass Vitamine und Antioxidanzien „gesund“
seien. Sofern am Nutzen gezweifelt wird, gilt
sowohl in Fachkreisen als auch unter Laien
verbreitet die Annahme, solche Supplemente
könnten jedenfalls nicht schaden. Supplemente
mit Vitaminen, Spurenelementen und
Mineralstoffen werden vornehmlich wegen
ihrer antioxidativen und „guten“ Wirkung
auf das Immunsystem eingenommen. Damit
hoffen Patienten den oxidativen Stress, der
mit einer Radio- oder Chemotherapie (z.B.
Bleomycin, Anthrazykline) einhergeht, in den
Normalgeweben reduzieren zu können und
sich „zu stärken“. So sollen unerwünschte
Therapiewirkungen vermieden werden. Selten
wird bedacht, dass damit auch der therapeutisch
wirksame, also beabsichtigte oxidative Stress
in den Tumorzellen reduziert wird und damit
die Therapiewirkung kompromittiert werden
kann (Selen ist z.B. Bestandteil intrazellulärer Reparaturenzyme – auch in Tumorzellen!).
Unzweifelhaft muss ein nachgewiesenes Vitamindefizit ausgeglichen werden.
Begleitend zu einer onkologischen Therapie
kommt es aber oft zur Übersupplementierung.
Reduzieren Antioxidanzien tatsächlich unerwünschte Wirkungen?
Capecitabin und Interaktionen mit
Vitaminen/vitaminähnlichen Substanzen
• Keine Folate zu Capecitabin
– (Multi-)Vitaminpräparate!
• Clippe et al. Clin Oncol (R Coll Radiol) 2003;15:299-300
• Achtung! Lebensstil
Abb. 1
StiL-Studienzentrale | Justus-Liebig-Universität | Medizinische Klinik IV
Jürgen Barth | Apotheker für Klinische Pharmazie -ONKOLOGISCHE PHARMAZIE-
Vitamine
– antioxidative
Vitamine – antioxidative
„Risiken“? „Risiken“?
•
•
•
•
Prospektiv,
randomisiert,
Placebo kontrolliert,
verblindet
α-Tocopherol (400 U/d = 120 µg), RDA* = 800 µg
Auch wenn die Wirkungsweise von Anti­
β-Carotin = Pro Vit. A (30 mg/d)
oxidanzien bisher nur exemplarisch gezeigt
*= Recommended Daily Allowance
Jürgen Barth | Apotheker für Klinische Pharmazie -ONKOLOGISCHE PHARMAZIEwerden konnte, gibt es doch ca. 50-100
Verbindungen, die aufgrund ihres antioxierforderliche Gewebekonzentrationen und
dativen Potenzials geeignet sein könnten,
die notwendige funktionelle Vernetzung der
Nebenwirkungen zu vermindern oder gar zu
Antioxidanzien untereinander nicht bekannt.
vermeiden. Dazu gehören Vitamin E und
C, Provitamin A (Betacarotin), Carotinoide,
Flavonoide und Spurenelemente wie Selen.
Risiken der Einnahme von
Einige Substanzen reichern sich in bestimmSupplementen
ten Geweben an (Carotinoide: Lunge, Haut;
Lutein, Zeaxanthin: Auge) und könnten so
Getreu des Prinzips „viel hilft viel“ neigen
eine organspezifische Schutzwirkung entPatienten zur Überdosierung. Riskant ist
falten. In vielen Fällen sind Wirkorte,
Abb. 2
StiL-Studienzentrale | Justus-Liebig-Universität | Medizinische Klinik IV
z.B. eine hoch dosierte Folatsubstitution
unter Capecitabin-Therapie, da diese die
Myelosuppression und andere Toxizitäten
verstärkt. Hier muss berücksichtigt werden, dass Folsäure auch in Alltagsprodukten
bereits in hoher Dosierung vorhanden sein
kann (Abb. 1). In den nordamerikanischen
Ländern Kanada, USA und in Mexiko werden im Rahmen von Studien generell mehr
Grad3/4 Toxizitäten unter Capecitabin
Onkologische Pharmazie | 16. Jahrgang | Nr. 4/2014 | 23
13.
NZW-Süd
Kann/soll
ich in
zuMünchen
meiner Tumortherapie Vitamine und/oder Antioxidanzien zu mir nehmen?
Ein paar Worte zu Vitamin C
beobachtet als in anderen Ländern; dies
ist möglicherweise der dort weit verbreiteten Folatanreicherung von Lebensmitteln
geschuldet (Folate Fortification Policy (1)).
Ein warnendes Beispiel für negative Aus­
wirkungen einer Übersupplementierung ist
die CARET-Studie. Hier hatten Raucher
in einer prospektiven Untersuchung 30mg
Betacarotin und 25 000 IE Retinol (vs.
Placebo) täglich erhalten, in der Hoffnung,
damit die Inzidenz von Lungenkarzinomen
reduzieren zu können. Die Studie musste
vorzeitig abgebrochen werden, weil sich
in der Interventionsgruppe die Fälle von
Lungenkrebs häuften (2). Wie man später
herausfand, hatte sich insbesondere Retinol
in der Lunge angereichert und wurde dort
nicht-enzymatisch zu hoch reaktiven, toxischen und karzinogenen Produkten metabolisiert. Ein Beispiel für falsche pharmakologische Vorstellungen einer Substanz.
Ein paar Worte zu Vitamin C
• For example, the mechanism by which oxidized dehydroascorbic
acid universally enters cells via glucose transporters and
accumulates inside the cells in its reduced state (ascorbic acid) has
been well described
– Vera et al. Nature 1993; 364: 79–82.
• Cancer cells have been shown to exhibit upregulation of these
facilitative glucose transporters and hence take up more glucose
and more vitamin C than their normal neighbors
– Vera et al. J Biol Chem 1995; 270: 23706–23712.
• This would suggest that the protective effect of vitamin C might be
even greater for tumors than for normal cells.
• It has been empirically demonstrated that cancer cells can become
resistant to oxidative injury by treatment with vitamin C.
– Guaiquil et al. J Biol Chem 2001; 276: 40955–40961.
Jürgen Barth | Apotheker für Klinische Pharmazie -ONKOLOGISCHE PHARMAZIE-
Vitamin D
•
Abb. 3
Vitamin D
StiL-Studienzentrale | Justus-Liebig-Universität | Medizinische Klinik IV
Diverse Publikationen zu besserem Outcome wenn Vit. D „gut“
– Kolorektal
•
Zgaga et al. Plasma Vitamin D Concentration Influences Survival Outcome After a Diagnosis
of Colorectal Cancer J Clin Oncol. 2014; 32: 2430-2439
– Mamma
•
Mohr et al. Meta-analysis of Vitamin D Sufficiency for Improving Survival of Patients with
Breast Cancer Anticancer Res. 2014; 34(3):1163-1166
– CLL
•
Molica et al. Vitamin D insufficiency predicts time to first treatment (TFT) in early chronic
lymphocytic leukemia (CLL) Leuk Res (2011), doi:10.1016/j.leukres.2011.10.004
– NHL
In einer weiteren Studie wurde versucht, die
• Drake et al. Vitamin D Insufficiency and Prognosis in Non-Hodgkin’s Lymphoma J Clin
Toxizität der Radiotherapie bei Kopf- und
Oncol. 2010; 28: 4191-4198
Halstumoren mit Vitamin E und Betacarotin
– NSCLC
zu reduzieren (Abb. 2). Tatsächlich traten
• Zhou et al. Circulating 25-Hydroxyvitamin D Levels Predict Survival in Early-Stage Non–
Small-Cell Lung Cancer Patients. J Clin Oncol 2007; 25: 479-485
weniger unerwünschte Wirkungen (z.B.
• Reduktion von Nebenwirkungen à AI
Xerostomie, Mukositis) auf – jedoch um
• Rastelli et al. Vitamin D and aromatase inhibitor-induced musculoskeletal symptoms
den Preis einer um 10% (absolut!) höheren
(AIMSS): a phase II, double-blind, placebo-controlled, randomized trial Breast Cancer
Res Treat. 2011;129:107-116
Mortalität nach 8 Jahren. Offenbar hatten
Abb. 4
die Antioxidanzien die oxidativen Schäden
StiL-Studienzentrale | Justus-Liebig-Universität | Medizinische Klinik IV
Jürgen Barth | Apotheker für Klinische Pharmazie -ONKOLOGISCHE PHARMAZIE1. Midgley R, Kerr DJ. Capecitabine: have we got the
der Radiotherapie in den Tumorzellen konund des Rezidivrisikos zu sein (Abb. 4). Wenn
dose right? Nat Clin Pract Oncol 2009;6:17-24.
terkariert (3).
tatsächlich ein Mangel vorliegt (zunächst entsprechende Diagnostik!) sollte hoch dosiert
2. Omenn GS, Goodman GE, Thornquist MD, et al.
Risk factors for lung cancer and for intervention
supplementiert werden (50 I.E./kg).
Auch für Selen konnte in mehreren Studien
effects in CARET, the Beta-Carotene and Retinol
bisher weder ein primär- noch ein sekun­
Efficacy Trial. J Natl Cancer Inst 1996;88:1550-9.
där­präventiver Nutzen (Lungen-, Prostata­
Nach operativer Entfernung des Magens müs3. Bairati I, Meyer F, Gelinas M, et al. Randomized trikarzinome) nachgewiesen werden; in der
sen Patienten mit Vitamin B12 (i.m.) suppleal of antioxidant vitamins to prevent acute adverSekundärprävention ist sogar ein erhöhtes
mentiert werden, da der zur Resorption notwense effects of radiation therapy in head and neck
Rezidivrisiko nicht auszuschließen.
dige Intrinsic Factor nicht mehr vorhanden ist.
cancer patients. J Clin Oncol 2005;23:5805-13.
Vitamin C trägt möglicherweise dazu
bei, Tumorzellen resistent gegen onkologische Therapien zu machen (Abb. 3).
Von einer therapiebegleitenden Vitamin
C-Supplementierung ist abzuraten. Das
gleiche gilt für Thiamin/Vitamin B1 (4, 5).
In welchen Fällen sollte
supplementiert werden?
Viele Patienten sind unzureichend mit
Vitamin D versorgt. Dies scheint ein
Risikofaktor bezüglich der Tumorentstehung
Vor einer Pemetrexed-Therapie müssen
Patienten mit Folat + Viamin. B12 „aufgesättigt“ werden (350-1000 µg Calciumfolinat oral,
min. (!) 5 x ab Tag –7 vor Pemetrexed; dann
weitere 21 Tage + 1000 µg Vitamin B 12 i.m.
in der Woche vor Pemetrexed Applikation).
Dadurch steigt die therapeutische Breite/
Dosistoleranz um ungefähr den Faktor 10.
4. Cascante M, Centelles JJ, Veech RL, Lee WN, Boros LG. Role of thiamin (vitamin B-1) and transketolase in tumor cell proliferation. Nutr Cancer
2000;36:150-4.
5. Comin-Anduix B, Boren J, Martinez S, et al. The
effect of thiamine supplementation on tumour
proliferation. A metabolic control analysis study.
Eur J Biochem 2001;268:4177-82.
FAZIT: Vitamine/Antioxidanzien können die Akuttoxizität von Radio- und Chemotherapie
reduzieren. Sie kompromittieren aber möglicherweise die Effektivität der onkologischen
Therapie. Nachgewiesene Vitamindefizite sollten ausgeglichen werden, eine Übersupplementierung ist nach derzeitiger Datenlage zu vermeiden.
24 | Onkologische Pharmazie | 16. Jahrgang | Nr. 4/2014
13.beim
NZW-Süd
in München
Antiangiogenese- und PARP-Inhibitoren
Ovarialkarzinom
Antiangiogenese- und PARP-Inhibitoren
beim Ovarialkarzinom
Referent: Prof. Dr. Werner Meier, Düsseldorf
Mit einer 5-Jahres-Überlebensrate von knapp
40% stellt das Ovarialkarzinom nach wie vor
eine prognostisch ungünstige Tumorentität
dar. Die Prognose der Patientinnen hängt,
abgesehen vom Tumorstadium, entscheidend davon ab, wie umfassend und sorgfältig die primäre Operation durchgeführt wurde. Entscheidend ist eine radikale
Ausräumung von Lymphknoten, Metastasen
in Nachbarorganen, einer Peritonealkarzinose
oder von Metastasen im großen Netz
(Abb. 1). Um ausreichenden Überblick im
Bauchraum zu gewinnen, ist ein großer
Längsschnitt erforderlich (Abb. 2).
Netzmetastase
Tritt ein Rezidiv auf, hängt die Prognose
wesentlich davon ab, wie früh dieses erfolgt.
Fast jedes 4. Rezidiv ereignet sich innerhalb der ersten 6 Monate nach OP, mit entsprechend negativen Auswirkungen auf die
Überlebenschancen (Abb. 3).
Abb. 1
Xiphoid
Nabel
Symphyse
Abb. 2
Onkologische Pharmazie | 16. Jahrgang | Nr. 4/2014 | 25
13.
NZW-Süd in München
Antiangiogeneseund PARP-Inhibitoren beim Ovarialkarzinom
Progressionsfreies Überleben bei FIGO IIB-IV
Individuelle Patienten-Metaanalyse der AGO-Phase III-Studien
22,5% Rezidiv
innerhalb 6 Monaten
5,3% Progression während Chemotherapie (refraktär)
100
17,2 % Rezidiv in 0-6 Monaten nach Chemotherapie (resistent)
PFS (3,126 pts. / 2,375 events)
Progressionsfreies Überleben
(3.126 Patientinnen / 2.375 Ereignisse)
90
80
22,7% Rezidiv innerhalb 6-12 Monaten nach Chemotherapie (teilweise sensitiv)
70
5-PFS
22,6%
60
50
59,9% Rezidiv
nach >6 Monaten
und 37,2% nach
>12 Monaten
nach Chemotherapie
Median PFS 18,2 Monate
40
33,5% Rezid
iv innerhalb 12-60 Monaten
nach Chemotherapie (sensitiv)
30
20
3,7% Rezidiv 60-120 Monate
nach Chemotherapie (2. Primärtumor?)
10
17,7%
ohne
Rezidiv
0
2
12
24
36
48
Modifiziert nach: Du Bois A et al. | Cancer 2009; 15:1234-44
60
72
Zeit (Monate)
84
96
108
120
132
134,908.011/2014
0
Abb. 3
Neue Optionen in der
Systemtherapie
1. Angiogenese-Inhibitoren: Die primäre/
adjuvante Standardchemotherapie mit
Carboplatin und Paclitaxel (6 Zyklen,
alle 3 Wochen) wird heute in den
Stadien IIIB – IV ergänzt durch den
Angiogenese-Inhibitor Bevacizumab (ein
VEGF-Inhibitor = vascular endothelial
growth factor inhibitor). Damit kann eine
Verlängerung zumindest der progressionsfreien Zeit, bei Hochrisikogruppen auch
eine Verlängerung des Gesamtüberlebens
erreicht werden. In der Phase III
Zulassungsstudie (Perren T et al. Ann
Oncol 2010; 21 (Suppl. 8):viii2 (Abstr.
LBA4) wurde Bevacizumab in der
Interventionsgruppe für 12 Monate
verabreicht. Möglicherweise wäre eine
längere Therapiedauer besser, denn der
Vergleich der progressionsfreien Zeit in
Interventions- und Kontrollarm zeigt, dass
der Vorteil nach 12 Monaten, also nach
Abschluss der Bevacizumab-Behandlung,
wieder verloren geht (Abb. 4); dieser Frage
wird zurzeit in einer Anschlussstudie
(AGO-17) nachgegangen. Eine retrospektive Subgruppenanalyse (Abb. 5)
Bevacizumab plus Carboplatin / Paclitaxel
Phase-III-Zulassungsstudie ICON7 / AGO-OVAR11 – PFS
+2,4 Monate
Avastin® in Kombination mit Carboplatin / Paclitaxel und anschließende Monotherapie über
insgesamt 12 Monate verlängert signifikant das progressionsfreie Überleben.1,3
Der PFS-Vorteil war nach 12 Monaten am größten.
Zu diesem Zeitpunkt wurde protokollgemäß die Avastin®-Gabe beendet.2
1. Kristensen et al. J Clin Oncol 2011; 29(18S): 781s (Abstract LBA5006). 2. Perren T et al. Ann Oncol 2010; 21 (Suppl 8):viii2 (Abstract LBA4).
Abb. 43. Aktuelle Fachinformation Avastin
26 | Onkologische Pharmazie | 16. Jahrgang | Nr. 4/2014
®
13.beim
NZW-Süd
in München
Antiangiogenese- und PARP-Inhibitoren
Ovarialkarzinom
Beim rezidivierenden Platin-sensiblen
Ovarialkarzinom führt Carboplatin/
Gemcitabin + Bevacizumab, gefolgt von
Bevacizumab-Monotherapie bis zum
Progress, zu einem klinisch bedeutsamen
Benefit im Vergleich zur Chemotherapie
allein (signifikante PFS-Verlängerung
um 4 Monate; Aghajanian C et al. J Clin
Oncol 2012;30(17):2039–45). Dieses
Therapieregime sollte daher als neue
Standardtherapie beim rezidivierenden
Platin-sensiblen Ovarialkarzinom berücksichtigt werden.
2. PARP-Inhibitoren: Poly-ADP-RibosePolymerase (PARP)-Inhibitoren hemmen
die Reparatur von DNA-Einzelstrang­
brüchen, die in Tumorzellen häufig
auftreten. Dies führt zum Bruch des
DNA-Doppel­stranges und so zum
Zell­untergang. Vertreter der Substanz­
klasse sind Olaparib und Niraparib.
In einer Phase II Studie wurde Ola­
parib als Erhaltungs­therapie nach der
Chemotherapie rezidivierter Ovarial­
karzinome eingesetzt (Drittlinie nach
mindestens zwei platinhaltigen Regimen;
Jonathan Ledermann et al.). Damit
konnte die progressionsfreie Zeit signifikant verlängert werden (Abb. 6).
Zurzeit laufen prospektiv randomisierte
Studien mit Olaparib und Niraparib
beim Rezidiv (in Kombination mit
Standard-Chemotherapie), auch eine
Studie mit Bevacizumab und Olaparib
in der Primärtherapie soll Anfang 2015
anlaufen.
FAZIT: Die Hinzunahme von Biologicals
hat zu einer Verbesserung der Therapie
beim Ovarialkarzinom geführt. Bevacizumab bewirkt sowohl in der Primär- als
auch in der Rezidivtherapie eine signifikante Verlängerung der progressionsfreien Zeit. Für PARP-Inhibitoren konnte
bisher in Phase II-Studien die Wirksamkeit beim platinsensiblen Rezidiv nachgewiesen werden. Phase III-Studien mit
PARP-Inhibitoren für die Primär- und Rezidivtherapie sind bereits gestartet oder
in Vorbereitung.
Bevacizumab plus Carboplatin / Paclitaxel
Phase-III-Zulassungsstudie ICON7 / AGO-OVAR11 – OS
Retrospektive Subgruppenanalyse zum OS bei Patientinnen mit hohem Rezidivrisiko
(FIGO III Tumorrest > 1 cm und FIGO IV)
+7,8 Monate
et al. J Clin Oncol 2011; 29(18S): 781s (Abstract LBA5006).
Abb. Kristensen
5
Progression-free survival
Placebo
Olaparib
No. of events: Total patients (%) 60:136 (44.1) 93:129 (72.1)
Median PFS (months)
4.8
8.4
1.0
0.9
Proportion of patients
progression free
zeigte, dass Patientinnen mit hohem
Rezidivrisiko besonders von der zusätzlichen Gabe von Bevacizumab profitieren.
0.8
Hazard ratio 0.35 (95% CI, 0.25–0.49)
P<0.00001
0.7
0.6
0.5
0.4
0.3
Randomized treatment
Placebo
Olaparib 400 mg bid
0.2
0.1
0
0
3
At risk (n)
Olaparib 136
Placebo 129
6
9
12
15
18
Time from randomization (months)
104
51
23
6
0
0
72
23
7
1
0
0
Abb. 5
Angiogenese-Hemmung
Die Hemmung der Angioneogenese ist als neuer integraler Bestandteil der Therapie des Ovarialkarzinoms anzusehen.
Die frühe und kontinuierliche Therapie mit Carboplatin / Paclitaxel plus Bevacizumab gefolgt von Bevacizumab Mono über 15 Monate verlängert signifikant das
progressionsfreie Überleben beim Ovarialkarzinom.
Bevacizumab ist die erste zielgerichtete und antiangiogene Therapie, die einen
PFS-Vorteil in der Primärbehandlung des Ovarialkarzinoms zeigt. Hinsichtlich der
Dauer einer Erhaltungstherapie besteht weiterhin Forschungsbedarf.
Andere Wirkmechanismen wie die selektive Beeinflussung von Angiopoeitin 1 und
2 sowie des transmembranen Tie2 Rezeptors zeigen vielversprechende Ansätze.
Die Ergebnisse laufender Studien mit Trebananib bleiben abzuwarten.
Onkologische Pharmazie | 16. Jahrgang | Nr. 4/2014 | 27
13.
NZW-Süd in München
Prostatakarzinom:
Update 2014
Prostatakarzinom: Update 2014
Referent: Prof. Dr. Thomas Otto, Neuss
Langzeitprognose
In den letzten Jahren hat es zahlreiche Verbesserungen in der Therapie des
Prostatakarzinoms gegeben, die sich deutlich im Langzeitüberleben niederschlagen.
So zeigte sich in der EUROCARE Studie
(De Angelis et al. Lancet Oncology 15(1)
23-34,2014), dass nur 73,4% der Patienten,
deren Karzinom zwischen 1999 und 2001
diagnostiziert worden war, länger als 5 Jahre
lebten. Bei Diagnosestellung zwischen 2005
und 2007 hatte sich dieser Anteil auf 81,7%
erhöht.
Tab. 1 Verlauf unter Active Surveillance
Patientenzahl
Studie
Kein Follow up
2494
19%
Progredient
3659
29%
Bokhorst et al. 2014
5357
38%
Loeb et al. 2014
Prostatakarzinom
mCRPC
Radium-223Cl
Reicht aktive Überwachung bei
low risk-Tumoren?
Mehrere große Studien beschäftigten sich
mit dem Verlauf bei Patienten mit low riskTumoren, die primär nicht behandelt, sondern
nur engmaschig kontrolliert wurden (Tab.1).
Diese so genannte „Active Surveillance“
zeigt ungelöste Probleme: Jeder 5. Patient
erscheint nicht zu den Kontrollen, ungefähr
jeder 3. Patient entwickelt einen progredienten Tumor.
Einiges Aufsehen erregte eine Studie (Wilt
et al. 2012 NEJM 367(3):203-213), die
bei frühen Prostatakarzinomen hinsichtlich der Mortalität keinen Unterschied
zwischen Active Surveillance und operativer Therapie fand. Diese Ergebnisse sind
wohl wenig valide, da es im Operationsarm
keinen verbindlichen und hochwertigen
Operationsstandard gab.
Neues zur Systemtherapie
fortgeschrittener Tumoren
1. Behandlungsstandard bei metastasier­
tem Lei­den ist zunächst die Andro­
gen­deprivation, bei Resistenz­entwick­
lung folgen weitere Therapien nach
einem Stufen­schema (Kasten Seite 29).
Bul et al. 2013
n
Placebo
307
Rad-223Cl 614
OS
(Monate)
11.2
p=0.00185
14.0
Time to SRE
(Monate)
8.4
p=0.00046
13.6
Nilsson, ASCO GU 2014
Randomisierte Phase II Studie
n=265 Docetaxel+/- Strontium89
med. OS 27.9 vs 26.5 Monate, p=0.62,ns, Wang et al.2014
PSMA PET/CT
Hellwig et al. 2014
Abb. 1
Christopher Swee­ney zeigte beim ASCO
2014 Daten von hormon­sensitiven
Patienten, die sehr früh, zusätzlich zur
Androgendeprivation, mit Docetaxel
behandelt wurden. Unter Hormon­
entzug alleine betrug das mediane
Überleben 44 Monate, bei gleichzeitiger Gabe von Docetaxel 57,6 Monate.
Besonders Patienten mit hoher Tumor­
last profitierten bei insgesamt schlechterer Gesamtprognose von der frühen Docetaxelbehandlung (medianes
Überleben 49,2 vs. 32,2 Monate).
28 | Onkologische Pharmazie | 16. Jahrgang | Nr. 4/2014
2. Beim ASCO 2014 wurden Daten vorgelegt, die für die Therapie mit dem
Alpha-­S trah­ler Radium-223-Chlorid
(Rd-223Cl) erstmals einen Überlebens­
vorteil beim kastrationsresistenten metastasierten Prostatakarzinom zeigten,
nicht nur eine Symptomlinderung bei
Knochenmetastasen (Abb. 1). Diese Daten
lassen sich offenbar nicht auf andere
Strahler (Strontium) übertragen.
13. NZW-SüdUpdate
in München
Prostatakarzinom:
2014
3. Beim kastrationsresistenten fortgeschritte­
nen Pros­ta­ta­­karzinom verlängert Abira­­
terone das mediane Überleben um 5
Monate (Abiraterone: 35,3 Monate,
Placebo: 30,1 Monate; p=0,015; Rathkopf
et al. 2013, Ryan et al.2013).
4. Neben Abiraterone steht seit neuestem
auch Enzalutamid in der First LineTherapie kastrationsresistenter Karzinome
zur Verfügung. Die Substanz interagiert
mit den Hormonrezeptoren. Im Vergleich
zu Placebo zeigte sich in der PREVAILStudie ein sehr großer Vorteil für das
radiologisch ermittelte progressionsfreie
Überleben (rPFS; Abb. 2). In der Second
Line ist bei Abiraterone-resistenten
Karzinomen mit Enzalutamid im Schnitt
noch eine 8-monatige Lebensverlängerung
zu erzielen (Brasso, Eur Urol, in press.
2014).
5. Zwei Studien, die die neue Substanz
Orteronel/TAK-700 beim kastrationsresistenten metastasierten Prostatakarzinom
testeten, fanden weder für die First noch
für die Second Line einen Überlebens­
vorteil gegenüber Placebo (De Wit
et al.2014; Dreicer et al.2014). Auch
Ipilimumab enttäuschte als Second Line
Therapie (Kwon Lancet Oncol, 2014).
Neue Therapiesequenz für das
primär metastasierte
Prostatakarzinom
Basierend auf den neuen Studiendaten empfiehlt sich jetzt die Docetaxel Behandlung als
4. Stufe im Rahmen der Sequenztherapie des
Prostatakarzinom
mCRPC first line
Enzalutamide vs. Placebo
PREVAIL-Studie
n
ENZ
med. OS
842
Placebo 845
32.4
p<0.0001
30.2
rPFS
13.8
p<0,0001
3.7
Armstrong et al. 2014
Enzalutamide ist auch für alle Nebenzielkriterien signifikant (p<0.0001) überlegen
•FACT-P
•time to SRE
•time to PSA PROG
•best objective response
•time to CTX
Abb. 2
Metastasiertes Prostatakarzinom, hormonsensitiv
1. Stufe: sofort LHRH
2. Stufe: Intermittierende Androgendeprivation (IAD)
3. Stufe: LHRH+Antiandrogen
4. Stufe: LHRH+Docetaxel
Metastasiertes Prostatakarzinom, kastrationsresistent
5. Stufe:LHRH+Abiraterone, alternativ Enzalutamid
6. Stufe:LHRH+Enzalutamid, alternativ Abiraterone
7. Stufe:LHRH+Cabazitaxel
8. Stufe:LHRH+Best Supportive Care
noch hormonsensitiven Prostatakarzinoms.
Damit entfällt die Unterscheidung von First
und Second Line für das kastrationsresistente
Karzinom (siehe Kasten). Stufenunabhängig
wird bei hormonsensitiven Karzinomen bei
Knochenmetastasen Zoledronsäure, alternativ Denosumab, zugegeben. Bei kastrationsresistenten Karzinomen werden
Knochenmetastasen mit LHRH+Rd-223Cl
oder LHRH+Samarium behandelt.
14. NZW-Süd in München
vom 5. bis 6. September 2015
Onkologische Pharmazie | 16. Jahrgang | Nr. 4/2014 | 29
Tiere als Krebspatienten
INTERVIEW
Tiere als
Krebspatienten
Interview mit dem Veterinär
Dr. Ulf Krohn, Hamburg
Von Sigrid Rosen-Marks,
Hamburg
W
er mit seinem geliebten Vierbeiner zum Tierarzt geht, dem geht es ähnlich wie bei
den Begegnungen mit Vertretern der Human-Medizin: Man sollte sich seinen
Tierarzt genau anschauen!
Eine Herzerkrankung unseres Pudels Felix hat mich vor einigen Jahren zu Dr. Krohn
geführt, der auf Herzultraschall-Untersuchungen spezialisiert ist. Seine Untersuchung
war so ausführlich und mit erklärenden Kommentaren versehen, dass ich mir ernsthaft
überlege, meine nächste eigene Herzuntersuchung hier durchführen zu lassen.
Aber natürlich gehören auch Krebserkrankungen von Tieren in einer Tierarztpraxis
zum Alltag. Was wäre, wenn das Familienmitglied Tier an Krebs erkrankt? Denn als
Familienmitglied betrachtet die überwiegende Anzahl der Besitzer ihr Tier. Und die
Fürsorgepflicht für dieses Mitglied beinhaltet selbstverständlich eine gute medizinische
Versorgung - auch wenn an diesem Punkt die Ansichten sicher weit auseinander gehen.
Sigrid Rosen-Marks: Herr Dr. Krohn,
welche Tierarten bekommen besonders
häufig Krebs?
Dr. Krohn: Bei Hunden und Katzen kommen
Krebsdiagnosen eher vor als bei Heimtieren,
wie Kaninchen oder Meerschweinchen.
Krebserkrankungen sind bei Hunden und
Katzen etwa gleich häufig.
Gibt es Krebsarten, die bei Tieren häufiger vorkommen?
Tatsächlich belegen Studien, dass z.B.
Lungenkrebs bei Hunden in Städten häufiger
vorkommt. Das liegt wohl daran, dass Hunde
sich auf Auspuffhöhe bewegen. Außerdem
finden wir sehr häufig diverse Haut- und
Milztumore.
Wie oft haben Sie bei einem Tier den
Verdacht auf eine Krebserkrankung und
welche diagnostischen Möglichkeiten
stehen Ihnen zur Verfügung?
Bei etwa 10% der Patienten entdecken wir eine
Krebserkrankung, die wir dann durch bildgebende Verfahren wie Röntgen, Ultraschall
und ggfs. CT oder MRT untermauern.
Dann können wir mit weiteren diagnostischen Maßnahmen, wie einer Biopsie, einer
Punktion der Zellen oder der Tumorentnahme
den Befund pathologisch absichern. Das
hängt allerdings auch von der Entscheidung
des Besitzers ab. Tumormarker stehen uns
dabei nicht zur Verfügung. Sie sind in der
Veterinärmedizin leider – wenn sie denn überhaupt zur Verfügung stehen – sehr unsicher.
30 | Onkologische Pharmazie | 16. Jahrgang | Nr. 4/2014
Wie geht es nach der Diagnose weiter?
An erster Stelle steht eine intensive Beratung
und Aufklärung der Tierbesitzer. Das ist
für mich das A und O. Was möchte der
Tierbesitzer? Was möchte er seinem Tier
zumuten? Ist er bereit, den Weg einer
Chemotherapie oder je nach Lage einer
Strahlentherapie zu gehen? Wir schicken die
Tiere dann in Fachkliniken, d.h. wir überweisen an spezialisierte Kollegen. Aber die enorm
wichtige erste Aufklärung ist die Aufgabe
eines jeden Tierarztes. Ich denke nicht, dass
es eine Verantwortung ist, die man einfach
so abschieben kann. Ich gehe dabei so weit
wie möglich ins Detail: Was sind die Wege?
Welche Verantwortung kommt auf uns zu?
Welche Prognose kann gestellt werden? Ist
eine Heilung möglich oder kommt eine palliative Behandlung in Frage?
Wie weit gehen Tierbesitzer normalerweise bei der Therapie?
Der zeitliche und finanzielle Aufwand für
die Besitzer kann enorm hoch sein. Es
gibt Besitzer, die sich gegen eine spezifische Behandlung entscheiden. Dann ist
es meine Aufgabe, den Patienten so gut
und schmerzfrei wie möglich zu betreuen,
damit er einen erträglichen Lebensabend
hat. Hier kommen Schmerzmittel und
Tiere als Krebspatienten
Nahrungsergänzungsmittel, Futtermittel mit
erhöhtem Eiweißgehalt und Antioxidanzien
in Frage, da besonders wachsende Tumore
einen Eiweißverlust hervorrufen können.
Ungefähr die Hälfte der Besitzer entscheidet
sich für eine Chemotherapie. Ich empfehle
dann, dass der Besitzer das Tier während der
Therapie begleitet. Das Tier ist dann entspannter und ruhiger. Aber das ist wirklich
meine persönliche Einstellung. Es gibt auch
Kliniken, die das Tier morgens entgegennehmen und wo man es zum verabredeten
Zeitpunkt wieder abholt.
Gibt es ähnlich wie in der Humanmedizin
vorgeschriebene Standards für die
Therapien?
Es gibt auch in der Veterinärmedizin
Chemotherapie-Standards und Chemo­
therapie­p rotokolle für die einzelnen
Tumorarten. Allerdings gibt es Tumorarten,
wie den Krebs der Brustleiste der Hündin,
für die es keine oder keine überzeugende Chemotherapie gibt. Dann käme
je nach Krebsart unter Umständen eine
Strahlentherapie in Frage.
Die Vorbereitung für diese Therapien
entspricht der Vorgehensweise in der
Humanmedizin. Je nach Medikament/
Präparat muss vorher eine Herzuntersuchung
erfolgen, die Blutwerte müssen kontrolliert
werden; Leber und Niere müssen untersucht
werden. Die Mittel werden dann intravenös
oder oral verabreicht, wobei bei letztgenannter Therapie Sicherheitsmaßnahmen, wie das
Tragen von Handschuhen, vom Besitzer eingehalten werden müssen. Teils muss auch der
Urin gesondert entsorgt werden.
Woher beziehen die Kliniken die
Zytos­ta­tika?
Ein Teil der Mittel kommt aus der
Humanmedizin. Ein Teil aber auch aus
der spezialisierten Tiermedizin. Wo uns
Zytostatika aus der Tiermedizin zur
Verfügung stehen, greifen wir natürlich darauf zurück.
Sind Tiere geduldige Patienten?
Zu 99,9 % sind Tiere geduldige Patienten.
Aber auch bei uns gibt es Ausnahmen (hier
müssen wir herzlich lachen, denn Dr. Krohn
kennt meinen Hund gut!). Tiere lassen eine
Chemotherapie normalerweise problemlos
ohne Beruhigungsmittel über sich ergehen.
Lediglich bei der Strahlentherapie muss eine
Narkose gegeben werden.
Spielt ähnlich wie beim Menschen die
Psyche der Tiere eine Rolle?
Nein, das glaube ich nicht. Entscheidender
ist die Belastbarkeit des Tieres. Kommt
ein Tier aufgrund seiner persönlichen
Voraussetzungen für die onkologische
Behandlung in Frage, d.h. kann das Tier es
vertragen, wöchentlich in die Praxis zu kommen oder ein- oder zweimal wöchentlich an
die Infusion gelegt zu werden.
Sind die Besitzer in der Regel bereit, die
Kosten zu übernehmen?
Die Besitzer sind zunächst auf jeden Fall an
der Diagnosestellung interessiert. Die Kosten
einer Strahlen- oder Chemotherapie übernehmen bei einer guten Prognose ca. 70% der
Patientenbesitzer. Schon bei der Diagnostik
kommen allerdings hohe Kosten auf den
Besitzer zu. Alleine eine CT-Untersuchung
kostet je nach Tier 750 bis 1000 Euro. Für
die anschließende Chemotherapie kommen
geschätzte 1000 bis 2000 Euro dazu. Manche
Kliniken erlauben die Abzahlung der Summe
oder arbeiten mit Finanzierungsinstituten
zusammen.
Müssen sich die Besitzer mit in die
Behandlung einbringen?
50% der Therapie ist vom Besitzer abhängig.
Bringt er die Zeit für die Behandlung mit?
Hat er das Durchstehvermögen? Kann er
ertragen, dass es dem Tier vielleicht zunächst
schlechter geht? Und auch damit leben, dass
die Prognose vielleicht nicht so gut ist und
die Bemühungen nicht zum gewünschten
Erfolg führen.
Was können Sie generell über die onkologische Behandlung Ihrer Patienten sagen?
Die Onkologie hat in der heutigen Tier­
medizin einen festen Stellenwert. Sie wird
sicher im Vergleich zur Humanmedizin in
einer abgeschwächten Form angewandt.
Der Patientenbesitzer muss schließlich auch
mit den Nebenwirkungen umgehen können. Wir haben auch Patienten, die wir als
geheilt entlassen. Wenn wir beispielsweise
einen jungen, zweijährigen Hund mit einem
Osteosarkom durch eine Amputation und
eine Strahlenbehandlung retten können, und
sich dann keine Metastasen bilden, dann kann
der Patientenbesitzer mit einer ganz normalen Lebenserwartung seines Tieres rechnen.
Ein dreibeiniger Hund kommt gut mit seiner
Situation klar. Und dann hat sich aus meiner
Sicht der Aufwand auf jeden Fall gelohnt.
Auf der anderen Seite, wenn ich bei einem
13jährigen Hund ein Osteosarkom feststelle, der Hund vielleicht vergrößerte
Lymphknoten oder Begleiterscheinungen
von Tumorerkrankungen, z.B. ein Thymom,
das bei bildgebenden Verfahren diagnostiziert
wurde, hat, dann rate ich von einer aggressiven Therapie ab und schlage eine palliative
Behandlung vor, um dem Tier einen guten
Lebensabend zu ermöglichen.
Zeichnung: RoMa
Da liegt wohl der grundlegende Unterschied
zur Humanmedizin. Hier würde wohl mit
allen Mitteln versucht – wenn sich der Patient
nicht dagegen entscheidet – die Lebensdauer
doch so lange wie möglich zu erhalten.
In der Veterinärmedizin ist die Abwägung
zwischen Lebensdauer und Lebensqualität
der entscheidende Faktor. Für mich ist immer
zuerst die Lebensqualität entscheidend.
Wir können heute gut palliativ begleiten.
Manchmal muss man dann dem PatientenBesitzer die Augen öffnen. Abschied nehmen
bedeutet loslassen, aber auch das Übernehmen
von Verantwortung für ein Wesen, das vielleicht zehn oder dreizehn Jahre mit mir
zusammengelebt hat. In der Tiermedizin
haben wir eben die Möglichkeit, das Leiden
an einer bestimmten Stelle zu beenden. Auch
diese Form der Beratung gehört zu unseren
Aufgaben. Wir müssen sehr sensibel für
die Zeichen der Patienten sein. Halter und
Tierarzt müssen gut zusammenarbeiten.
Onkologische Pharmazie | 16. Jahrgang | Nr. 4/2014 | 31
DGHO Jahrestagung 2014
KO N G R E S S B E R I C H T
DGHO Jahrestagung 2014
Von Petra Jungmayr, Esslingen
B
ei der diesjährigen Jahrestagung der Deutschen, Österreichischen und Schweizerischen
Gesellschaften für Hämatologie und Medizinische Onkologie, die vom 10. bis
14. Oktober 2014 in Hamburg stattfand und von rund 6.000 Teilnehmern besucht wurde,
standen die Immuntherapie und die Behandlung maligner Lymphome im Vordergrund.
Weitere Highlights waren Vorträge zu neuroendokrinen Tumoren, zur Thrombose
und Tumorprogression, zum Signalweg des B-Zellrezeptors sowie zur Bedeutung des
Mikroenviroments und der Angiogenese.
Traditionsgemäß wurde der Kongress
mit einem Rückblick eröffnet, in dem
ein Onkologe, ein Hämatologe und ein
Experte der translationalen Forschung
über wichtige Neuerungen in diesem Jahr
berichteten. Aus der Sicht des Onkologen
fällt eine retrospektive Analyse auf, in der
untersucht wurde, ob beim adjuvanten
Mammakarzinom der Zeitabstand zwischen
Operation und Beginn einer Chemotherapie
eine Rolle spielt. Wie Prof. Martin Schuler,
Essen, erläuterte, ist dem so. Vor allem bei
Patientinnen, die von einer Chemotherapie
profitieren (bei Vorliegen triple-negativer
und HER2-positiver Tumore), sollte diese
innerhalb von zwei Monaten nach dem chirurgischen Eingriff erfolgen. Ein weiterer
Beitrag zum Mammakarzinom befasste
sich mit Trastuzumab Emtansin, das auch
noch nach intensiven Vortherapien wirksam ist. Beim Prostatakarzinom hat sich
gezeigt, dass jüngere Patienten von einer
Operation profitieren, ältere weniger. Beim
Magen- und Ösophaguskarzinom hat sich
die Zweitlinientherapie mit Taxanen und
Ramucirumab etabliert und ist mit einem
Überlebensvorteil verbunden. Bei kolorektalen Karzinomen mit RAS-Wildtyp zeichnet sich ein Trend zur kontinuierlichen
Erhaltungstherapie mit Cetuximab ab. Beim
nicht-kleinzelligen Lungenkarzinom ist eine
dynamische Entwicklung der Biomarkerstratifizierten Therapie zu beobachten.
Neue Erkenntnisse in der Hämatologie
betreffen unter anderem den Eisen­
stoff­wechsel, das multiple Myelom, die
chro­nisch lympha­tische Leukä­mie (CLL)
sowie myeloproliferative Neoplasien.
Wie Prof. Tim Brümmendorf, Aachen,
erläuterte, haben sich insbesondere bei
der Therapie der CLL eindrucksvolle Veränderungen ergeben.
So konnte etwa die ausgeprägte
32 | Onkologische Pharmazie | 16. Jahrgang | Nr. 4/2014
Überlegenheit des Bruton-TyrosinkinaseInhibitors Ibrutinib im Vergleich mit dem
CD20-Antikörper Ofatumumab gezeigt
werden. Beim multiplen Myelom des älteren
Patienten wird aktuell die Erhaltungstherapie
mit Lenalidomid diskutiert.
Die translationale Forschung beschäftigt sich derzeit unter anderem mit neuen
„Hallmarks of Cancer“, die bei Leukämien
und Lymphomen eine Rolle spielen können.
Bis die molekularbiologisch gesammelten
Erkenntnisse allerdings in die Praxis umgesetzt werden können, wird viel Zeit und
Geduld benötigt, so Prof. Andreas Neubauer,
Marburg,
Hoffnungsträger
Immunonkologie
Mit der Zulassung von Ipili­
mu­mab im Juli 2011 fand die
Immuntherapie Einzug in den
klinisch-onkologischen Alltag.
Langezeit im Schatten anderer Entwicklungen wird die
Immuntherapie heute als
Behandlungs­möglichkeit
mit erfolgsversprechendem,
DGHO Jahrestagung 2014
DGHO Jahrestagung
Die Jahrestagung der Deutschen, Österreichischen und Schweizerischen
Gesellschaften für Hämatologie
und Medizinische Onkologie ist der
größte Fachkongress für Hämatologie und medizinische Onkologie
im deutschsprachigen Raum. Der
diesjährige Kongress, der von rund
6.000 Teilnehmern besucht wurde,
umfasste etwa 200 Veranstaltungen, wissenschaftliche Symposien,
Fortbildungsvorträge, Expertenworkshops sowie Posterpräsentationen
und wurde flankiert von einer Industrieausstellung, einer Pflegefachtagung sowie einem Patienten- und
einem Studententag.
aber auch schwer einschätzbarem Potential
betrachtet. Der immunologische Therapie­
ansatz hat ebenfalls Eingang in die
„Hallmarks of Cancer“ gefunden. Diese
beschreiben bekannte Überlebensstrategien
von Tumoren und die entsprechenden
therapeutischen Möglichkeiten, diesen
gegenzusteuern.
Wie Prof. Dr. Andreas Mackensen, Erlangen,
erläuterte, verfolgt eine immunologische
Strategie, die blockierenden körpereigenen
regulatorischen Mechanismen aufzuheben.
Durch die Hemmung wichtiger interner
Kontrollpunkte (Checkpoints) soll das körpereigene Immunsystem wieder in die Lage
versetzt werden, Tumorzellen zu vernichten.
Medikamentös kann dies durch Antikörper
gegen das zytotoxische T-Lymphozyten
assoziierte Antigen (CTLA-4) oder mit
Hilfe von PD-1-Antikörpern (Antikörper
gegen Programmed Death-1-Rezeptor und
seines Liganden PD-L1) erfolgen. Diese
Antikörper richten sich also gegen körpereigene Immunzellen, und nicht wie die klassischen Antikörper gegen Tumorzellen.
Antikörper gegen CTLA-4 unterdrücken
in der frühen Phase der T-Zellaktivierung
im Lymphknoten die Immuntoleranz
und lösen so antitumorale Effekte aus.
Ein Vertreter ist das bereits zugelassene
Ipilimumab, das beim metastasierten
Melanom eingesetzt wird. Bei 20 – 30%
der mit Ipilimumab behandelten Patienten
konnten lang anhaltende Therapieerfolge
erzielt werden – ein bei der üblicherweise
sehr schlechten Prognose eines weit fortgeschrittenen Melanoms beachtenswertes
Ergebnis.
PD-1-Antikörper wirken in der Effektor­
phase des Immunsystems im peripheren
Gewebe und damit an der Kontaktstelle
zwischen Tumorzelle und T-Zelle.
Nivolumab, ein erster Vertreter dieser Wirkstoffgruppe, wurde bereits in
Japan zur Therapie des fortgeschrittenen
Melanoms zugelassen und scheint noch
höhere Ansprechraten als Ipilimumab zu
erzielen. Mit dem in den USA bereits zugelassenen Pembrolizumab steht ein weiterer
PD-1-Antikörper zur Melanomtherapie
zur Verfügung.
Unklar ist derzeit noch, wie die CheckpointBlockade optimiert werden kann. Denkbar
sind Kombinationen unterschiedlicher
Wirkstoffe oder sequenzielle Therapien.
Ein besonderes Augenmerk ist auf neue,
immunologisch basierte Nebenwirkungen
und Autoimmunphänomene zu richten.
In Studien wird der Einsatz von Check­
point-Inhibi­toren bei weiteren Tumor­
entitäten wie etwa dem nicht-kleinzelligen
Immuntherapeutische Ansätze zur Behandlung maligner Erkrankungen
Unspezifische Immuntherapie mit Zytokinen (Interferontherapie)
Allogene Stammzelltransplantation
Checkpoint-Blockade
CTLA-4-Antikörper (Ipilimumab)
PD-1-Antikörper (in klinischen Studien Nivolumab, Pembrolizumab, Pidilizumab)
PD-L1-Antikörper (in klinischen Studien)
Tumor-Impfung (aktive Immunisierung gegen Tumoren)
Bite-Antikörper (bispezifische Antikörper, die sowohl an Immunzellen als auch an
Tumorzellen binden und beide miteinander verknüpfen; in klinischen Studien bei
ALL, Lymphomen)
Transfer von T-Zellen (Entnahme körpereigener T-Zellen, dann Modifikation mit
einem chimären Antigenrezeptor und anschließender Reinfusion; die gentechnisch
veränderte T-Zelle soll dann in der Lage sein, Tumorzellen zu vernichten)
Onkologische Pharmazie | 16. Jahrgang | Nr. 4/2014 | 33
DGHO Jahrestagung 2014
Lun­gen­karzi­nom sowie bei Nieren- und
Blasen­krebs untersucht.
Verbesserte Lymphomtherapie
Ein weiterer wissenschaftlicher Schwer­
punkt lag auf der Behandlung maligner
Lymphome. Einblicke in die Molekular­
genetik der Erkrankungen führten zu
neuen Therapiekonzepten und besseren
Behandlungsergebnissen. Dies gilt für nahezu
alle Lymphomarten, insbesondere für NonHodgkin-Lymphome mit ihren zahlreichen
Subtypen der B- und T-Zell-Lymphome.
So konnte beim diffusen großzelligen
B-Zell-Lymphom durch die Kombination
aus Chemotherapie und Rituximab die
Prognose der Betroffenen deutlich verbessert
werden. Die Therapie der selteneren T-ZellLymphome richtet sich nach dem zugrundeliegenden Genexpressionsmuster und sollte
im Rahmen von Studien erfolgen.
Forderung nach anderen
Studienregularien
Zu den gesellschaftlichen Problemen, die
bei der diesjährigen Jahrestagung angesprochen wurden, zählen unter anderem
Versorgungsaspekte im Hinblick auf die
34 | Onkologische Pharmazie | 16. Jahrgang | Nr. 4/2014
Bevöl­kerungs­entwicklung sowie die Forderung
nach einer anderen Studien­land­schaft. Wie
Prof. Norbert Schmitz, Hamburg, hervorhob, sind die derzeitigen Regularien für die
Durchführung von Studien mit derart hohen
Kosten verbunden, dass ihre Finanzierung
fast ausschließlich von der Industrie erfolgt.
Die öffentliche Förderung von Studien
ist gering, so dass Fragen von klinischer
Relevanz, die nicht mit der Neueinführung
von Medikamenten verbunden sind, ungeklärt
bleiben. Solange die Rahmenbedingungen für
die Durchführung klinischer Studien nicht
geändert werden, besteht die Gefahr, dass der
Einfluss der Industrie in der Studienlandschaft
zu groß wird.
PTA-Weiterqualifizierung
Mündliche Gruppen-Prüfung im Rahmen
der PTA-Weiterqualifizierung:
„PTA Onkologie (DGOP)“
Folgende PTAs haben diese Prüfung bestanden:
am 12. September 2014
am 28. September 2014
Bennecke, Sarah/Köln
Bieg, Renate/Gröbenzell
Giebelhausen, Steffi/Sangerhausen
Hundt, Anett/Sangerhausen
Roth, Sabrina/Gröbenzell
Schnoper, Andrea/Düsseldorf
Schröde, Judith/Lutherstadt Wittenberg
Wittmann, Galina/Balingen
Herausgeber:
Klaus Meier, Soltau
Verlag:
onkopress,
Theo-Mülders-Straße 92,
47918 Tönisvorst,
www.onkopress.de
ISSN-Nr.: 1437-8825
Chefredakteurin:
Dr. Karla Domagk, Cottbus
Fotos:
Seite 51 oben: www.istockphoto.com/Knape,
Seiten 36, 52 oben: www.istockphoto.com/Sasa
Redaktion:
Prof. Dr. Jens Büntzel, Nordhausen;
Dr. Gabriele Gentschew, Frankfurt/M.;
Anja Holsing, Köln; Dr. Brigitte Hübner,
Inter, Gundela/Wittenberge
Kaiser, Birgit/Siegen
Krebs, Mathias/Bremen
Mantsch, Christine/Coburg
Platz, Debora/Chur
Schaffer, Claudia/Leipzig
Schindele, Carmen/Gröbenzell
Wilming, Eva-Maria/Rheine
Zobel, Anja/Mannheim
Quedlinburg; Dr. Petra Jungmayr, Stuttgart;
Henrik Justus, Uslar; Michael Marxen, Wesseling;
Dr. Jochem Potenberg, Berlin; Dr. Susanne
Rau, Hannover; Thomas Schubert, Mönchen­
gladbach; Wioletta Sekular, Oldenburg; Dr. Gisela
Sproßmann-Günther, Berlin; Dr. Robert Terkola,
Wien; Dr. Sabine Thor-Wiedemann, Ravensburg;
Andrea van Treeck, Mistelbach; Simone WidmerHungerbühler, Winterthur.
Wissenschaftlicher Beirat:
Prof. Dr. U. Jaehde, Pharmazeutisches Institut, Abt.
Klinische Pharmazie, Universität Bonn; Prof. Dr.
Günter Wiedemann, Klinik für Innere Medizin,
Hämatologie, Onkologie und Gastroenterologie,
Oberschwabenklinik Ravensburg; Univ. Prof. DI Dr.
Robert Mader, Universitäts­klinik für Innere Medizin
I, Medizinische Universität Wien; Sigrid RosenMarks, Hamburg; Carola Freidank, Hannover.
Alle Rechte, insbesondere die des Nachdrucks, der
Übersetzung, der photomechanischen Wiedergabe
und Speicherung in Datenverarbeitungs­anlagen
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unbedingt die Meinung der Redaktion dar.
Onkologische Pharmazie | 16. Jahrgang | Nr. 4/2014 | 35
Buchbesprechung
Buchbesprechung
Rezension von Carola Freidank, Hannover
Doch nicht unser Kind – Unterstützung für Eltern krebskranker Kinder
Von M. Hoffmann, E. Freudenberg, G. Michauxx, S. Gottschling
Schattauer Verlag, 1. Auflage 2013,
Softcover, 162 Seiten
ISBN: 978-3-7945-2891-2 (Print);
978-3-7945-6725-6 (eBook PDF)
24,99 Euro
Das vorliegende Buch ist eine Neuerscheinung und stellt eine Unterstützung für Eltern
und Bekannte von Kindern mit einer Krebserkrankung dar. Die Autoren dieses Buches,
drei Psycholog(inn)en und ein Mediziner,
befassen sich mit möglichen Strategien,
eine Krebserkrankung bei Kindern und Jugendlichen zu begreifen und zu bewältigen.
Dieses Buch ist sehr übersichtlich in sechs
Kapitel gegliedert. In jedem Kapitel gibt es
neben den entsprechenden Inhalten einen
„Exkurs“, in dem Informationen oder Aussagen erklärt oder vertieft werden, „Tipps“, in
denen den Eltern sehr gute praxisorientierte
Ratschläge gegeben werden, und „Wichtige
Erkenntnisse, die Ihnen dieses Kapitel vermitteln möchte“, in dem abschließend eine
kurze und prägnante Zusammenfassung formuliert wird. Besonders zu beachtende Informationen wurden jeweils rot hinterlegt.
Die ersten beiden Kapitel beschäftigen sich
einführend mit der Definition einer Krebs-
erkrankung und den Unterschieden einer
Krebserkrankung bei Kindern und Jugendlichen im Vergleich zu Erwachsenen. Ein
kurzer Einblick in verschiedene Therapiemöglichkeiten wird durch ausgewählte Nebenwirkungen mit möglichen Interventionen
ergänzt. Dabei werden leider medizinische
Hintergrundinformationen sowie das pflegerische Nebenwirkungsmanagement vernachlässigt.
Im vierten Kapitel „Wie sag’ ich es meinem
Kind“ wird den Eltern ein sehr gut strukturierter Einblick in die altersentsprechenden
Denkweisen der Kinder und Jugendlichen
gegeben. Auch hier werden einzelne Aussagen durch Bilder und Informationen wie
„…Kinder und Jugendliche sollten möglichst
konkret-sachlich und in dem von ihnen vorgegebenem Tempo informiert werden“ klarer
und verständlicher.
Das dritte Kapitel befasst sich mit der veränderten Lebenssituation in der Behandlungsphase und dem Alltag, aber auch in
der Palliativphase und Sterbesituation. Der
Umgang mit den eigenen Gefühlen und Unsicherheiten, sowie das Verständnis für das
Verhalten und die Reaktionen der eigenen
Kinder wird den Eltern durch Zitate von betroffenen Kindern und deren Eltern sowie
mit Tipps wie „Lassen Sie sich Zeit, damit
sich Ihre aufgewühlten Emotionen beruhigen
können“ oder „Beziehen Sie nach Möglichkeit die Geschwisterkinder von Anfang an
in alle Überlegungen und Sorgen mit ein“
verdeutlicht. Die Autor(inn)en ermutigen die
Eltern, auch in der Palliativphase ehrlich mit
ihren Kindern umzugehen und eigene Emotionen und Gedanken zuzulassen.
Im fünften Kapitel zu Entlastung und Entspannung geht es einerseits um Bewältigungsstrategien und Entspannungstechniken für die Angehörigen und andererseits
um Hilfestellungen zur Entspannung für die
Kinder, z.B. Entspannungsgeschichten zum
Vorlesen bzw. ein Download mit Hörspielen
zur Entspannung.
36 | Onkologische Pharmazie | 16. Jahrgang | Nr. 4/2014
Im sechsten und letzten Kapitel werden Hinweise zur Unterstützung durch Angehörige, Freunde und andere Bezugspersonen
gegeben. Hier wird den Eltern verdeutlicht,
dass es sehr hilfreich sein kann, Hilfe anzunehmen. Aber auch Bekannte und Freunde
werden ermutigt, Hilfe anzubieten „Denken
Sie als Freund daran, dass Worte heilen und
auch verletzen können.“
Buchbesprechung
Dieses Buch gibt sowohl den Eltern als auch
allen, die Kinder mit einer Krebserkrankung
in deren Alltag begleiten (Freunde, Bekannte, Lehrer oder Erzieher), sehr gute Einblicke,
um die erkrankten Kinder besser zu verstehen, deren veränderte Verhaltensweisen
nachzuvollziehen und darauf entsprechend
zu reagieren. Es wäre zu begrüßen, wenn in
einer zweiten Auflage der Beitrag des Pflegepersonals, z.B. in Bezug auf die Symptompflege und entsprechende hilfreiche Interventionen bei Nebenwirkungen durch die
Therapie, berücksichtigt würde.
Besonders für Gespräche mit den betroffenen Kindern (und Geschwisterkindern)
bietet dieses Buch sehr hilfreiche Anregungen, Unterstützungsangebote und klar formulierte Tipps.
Durch die im Anhang aufgeführte Fachliteratur, weiterführende Literatur für die Familien sowie Kontaktadressen in Deutschland,
Österreich und der Schweiz hat der Leser
die Möglichkeit, sich auch weiterführend zu
informieren und Ansprechpartner zu finden.
Krebs und Adipositas: Eine therapeutische Herausforderung
Krebs und Adipositas:
Eine therapeutische Herausforderung
Risikoerhöhung für Krebs durch Adipositas
Ein übermäßig hohes Körpergewicht führt nicht nur zu einer deutlichen Erhöhung der
Sterblichkeit an kardiovaskulären Krankheiten, Diabetes mellitus, Nieren-, Leber- und
Atemwegserkrankungen, sondern auch an Krebskrankheiten (1). Der Body Mass Index
(BMI) setzt das Gewicht einer Person ins Verhältnis zur Körpergröße (Einheit kg/m²) und
wird zur Klassifikation von Übergewicht und Adipositas verwendet. Dabei ist Übergewicht
gemäß der Weltgesundheitsorganisation (WHO) definiert als BMI von 25-29.9, Adipositas
als BMI von 30-34.9 kg/m². Von morbider Adipositas spricht man ab einem BMI von
40 kg/m² (2).
Weltweit gelten über 500 Millionen
Erwachsene als adipös, wobei sich die
Häufigkeit der Fettleibigkeit in den Jahren
zwischen 1980 und 2008 in etwa verdoppelt hat (3). In den USA sind mehr als ein
Drittel der erwachsenen Bevölkerung adipös (4). In Deutschland liegt die Prävalenz
der Adipositas bei erwachsenen Frauen
bei 23.9%, bei erwachsenen Männern
bei 23.3% (5), in der Schweiz bei insgesamt 10.3% der erwachsenen Bevölkerung
(11.2% der Männer, 9.4% der Frauen) (6).
Die Häufigkeit der Adipositas in anderen
europäischen Ländern weist Schwankungen
38 | Onkologische Pharmazie | 16. Jahrgang | Nr. 4/2014
auf von beispielsweise 7.6% in Italien bis
knapp über 20% in Kroatien und England
(7). Schätzungen zufolge sind etwa 6% der
neudiagnostizierten Krebserkrankungen
auf Adipositas zurückzuführen, wobei
Brustkrebserkrankungen bei postmenopausalen Frauen, kolorektale Karzinome,
Endometriumkarzinome, Nieren- und
Ösophaguskarzinome und wahrscheinlich noch weitere andere Krebskrankheiten
gehäuft mit Adipositas assoziiert sind (8).
Auch hämatologische Neo­p lasien wie
akute und chronische Leukämien sowie
Lymphome treten gehäuft bei Adipösen auf
(9). Die pathophysiologischen Ursachen für
den Zusammenhang zwischen Adipositas
und Krebs sind bislang nicht genau geklärt.
Foto: © Ljupco/iStockphoto.com
Von Veronika Nagy, Luzern
Krebs und Adipositas: Eine therapeutische Herausforderung
Abb. 1: Mechanismen der Krebsentstehung
bei Adipositas. COX-2, Cyclooxygenase-2;
IGF-1, Insulin-like Growth Factor-1; mTOR,
Mammalian Target of Rapamycin; PI3K/Akt,
Phosphoinositid 3-Kinase/Akt "NF-kB,
Nuclear Factor kappa B; übersetzt und
adaptiert nach (10).
Wahrscheinlich wird die Krebsentstehung
bei Adipositas durch einen chronischen
Entzündungszustand im Körper begünstigt,
den das übermäßige Fettgewebe über eine
Adipozyten-Dysfunktion, Insulin-Resis­tenz
und exzessive Freisetzung von in­flam­ma­
torischen Zyto­kinen und Wachs­tums­faktoren
hervorruft (Abb. 1) (10). Mög­licher­weise
kann diese chronische Ent­zündungs­reaktion
nicht nur Zellschäden und die Entstehung
von Krebserkrankungen fördern, sondern
sogar eine Resistenz gegenüber Zytostatika
vermitteln (11).
Adipositas, Krebs und Mortalität
Eine im Jahr 2003 publizierte, prospektive
Studie an über 900 000 US-Bürgern zeigte
eine Erhöhung der Mortalität für mehrere
Tumorentitäten bei Adipösen, wobei das
tumorspezifische Sterblichkeitsrisiko mit
zunehmendem BMI anstieg. Bei einem
BMI von über 40 kg/m² war das Risiko,
an einer Krebserkrankung zu versterben,
52% höher für Männer und 62% höher für
Frauen verglichen mit Normalgewichtigen
(12). Eine 2014 am Jahreskongress der
American Society of Clinical Oncology
(ASCO) präsentierte Metaanalyse von 70
Studien zur Therapie bei frühen Stadien des
Mammakarzinoms mit 80 000 Patientinnen
wies eine signifikant höhere BrustkrebsMortalität bei adipösen, prämenopausalen Frauen mit Östrogenrezeptor-positiven
Mammakarzinomen nach (10-Jahres-Brust­
krebs-spezifisches Sterbe­risiko 21,5% bei adipösen gegenüber 16,6% bei normalgewichtigen Erkrankten, relatives Risiko 1.34) (13).
Die Gründe für die Mortalitätser­höhung
bei adipösen Krebskranken sind höchst­
wahrscheinlich multifaktoriell. Einerseits
kann eine bei Adipösen gehäuft bestehende
Komorbidität mit z.B. kardiovaskulären
Erkrankungen oder Diabetes mellitus eine
Auswirkung auf die Überlebenschancen
haben. Das schlechtere tumorspezifische
Überleben bei Adipösen deutet aber darauf
hin, dass dies nicht die alleinige Erklärung
sein kann. Obwohl prospektive, randomisierte Studien zur Zytostatikadosierung bei
Adipösen und Übergewichtigen bislang fehlen, lassen mehrere prospektive und retrospektive Analysen vermuten, dass bei adipösen Krebskranken häufig willkürliche
Dosisreduktionen der onkologischen Therapie
erfolgen und dadurch die Wirkung einer
Chemotherapie stark beeinträchtigt werden
kann.
Berechnung der Zytostatika-Dosis
bei adipösen Krebskranken
Auch im Zeitalter der personalisierten Medi­zin werden in der Tumor­thera­
pie „klassi­s che“ Zyto­s tatika noch häufig ein­ge­setzt. Diese haben eine schmale
thera­p eu­tische Breite und bergen ein
hohes Toxizitäts­risiko im Falle einer
Überdosierung. Zur Dosisberechnung von
Chemotherapien hat sich als Skalierungs­
maß die Körperoberfläche (KOF) etabliert, wobei anhand von Körpergröße und
Gewicht die Zytostatikadosis kalkuliert wird.
Für die Berechnung der KOF stehen mehrere Formeln zur Verfügung: In der täglichen
Praxis werden die Formeln nach DuBois
und DuBois (14) und nach Mosteller (15)
häufig verwendet. Dabei handelt es sich aber
nicht um exakte Berechnungen, sondern um
praxisorientierte Instrumente, die historisch
als Basis zum Vergleich des Metabolismus
zwischen Individuen und Spezies entwickelt
wurden (16). Menschen mit hohem BMI
haben eine hohe Körperoberfläche, weshalb sich bei diesen Patienten sehr hohe
Absolutdosen der Zytostatika ergeben. Diese
ungewöhnlich hohen Zytostatikadosen führen bei vielen onkologisch tätigen Ärzten
zu der Befürchtung, eine übermässige
Toxizität bis hin zu lebensbedrohlichen
Nebenwirkungen zu verursachen. Dass eine
daraus resultierende a priori Reduktion von
klassischen Chemotherapeutika bei adipösen Krebspatienten gelebte Praxis ist, zeigen
beispielsweise zwei Umfragen, die bei spanischen und australischen Onkologen und
Hämatologen durchgeführt wurden. Etwa
70% der befragten spanischen HämatoOnkologen benutzten bei übergewichtigen
und adipösen Patienten eine auf 2.0-2.2 m²
begrenzte Körperoberfläche zur Berechnung
der Zytostatikadosierungen (17). Ein solches Dosis-„Capping“ praktizierten ungefähr die Hälfte der befragten australischen
Onkologen, weitere 22.1% kalkulierten die
Chemotherapiedosis anhand des ermittelten
idealen Körpergewichts, und lediglich 6.1%
Onkologische Pharmazie | 16. Jahrgang | Nr. 4/2014 | 39
verwendeten das tatsächliche Gewicht bzw.
die reale KOF zur Dosisberechnung (18).
Die American Society of Clinical Oncology
hat 2012 eine Guideline herausgegeben, die sich speziell mit dem Thema der
Zytostatikadosierung bei adipösen Patienten
mit soliden Tumoren beschäftigt. In die darin
formulierten Empfehlungen gingen Studien
aus den Jahren 1966 bis 2010 ein. Diese
Leitlinie ist in Ermangelung von Daten
nicht auf die Behandlung von Patienten mit
Leukämien und die Therapie von Kindern
übertragbar, und die Empfehlungen gelten
nicht für „zielgerichtete“ Medikamente wie
Antikörper, Immuntherapien, Tyro­sin­kinase­
inhibitoren oder andere sogenannte „small
molecules“ (19).
Bestrebungen, die Toxizität einer Zytostatika­
therapie zu reduzieren oder zu verhindern,
können die Wirksamkeit der Therapie
beeinträchtigen. Beispielsweise zeigte eine
Analyse bei Patientinnen, deren Brustkrebs
in kurativer Absicht behandelt wurde, dass
stärkere hämatologische Nebenwirkungen
einer Chemotherapie signifikant mit einer
höheren Überlebenswahrscheinlichkeit assoziiert waren (20). Weitere Untersuchungen
bei Patientinnen und Patienten mit
Hodenkarzinomen, Ovarialkarzinomen
und Lymphomen unterstützen diese
Beobachtung (21). In einer Metaanalyse
wurde eine Reduktion des Mortalitätsrisikos
um 30% bei Patienten mit höhergradigen
Zytopenien unter einer Chemotherapie
demonstriert (22). Im Gegensatz dazu deuten mehrere Untersuchungen darauf hin, dass
ein Dosis-Capping bei adipösen Patienten
mit einem schlechteren progressionsfreien
Überleben assoziiert ist (23-25). Hingegen
scheint die Besorgnis über Toxizität durch
Überdosierungen bei Adipösen in den meisten Fällen unberechtigt zu sein. Mehrere retrospektive Analysen bei Patienten mit kleinzelligem Lungenkrebs (26), Brustkrebs (25,
27, 28) und Darmkrebs (24, 29) ergaben keine
Hinweise auf vermehrte toxische Effekte wie
Nausea, Myelosuppression, Diarrhoe oder
Stomatitis bei adipösen Patienten, deren
reale Körperoberfläche zur Berechnung der
Zytostatika-Dosierungen herangezogen
wurde. Adipositas scheint zudem keinen relevanten Risikofaktor für die Neurotoxizität
einer Chemotherapie mit Taxanen oder
Bortezomib darzustellen (30). Ob adipöse Patienten ein höheres Risiko kardialer
Nebenwirkungen bei Anwendung kardiotoxischer Zytostatika haben, ist bisher nicht
ausreichend untersucht worden (30). Für das
Nebenwirkungsspektrum bei morbid adipösen
(BMI > 40 kg/m²) Patientinnen und Patienten
existieren keine verwertbaren Daten, allerdings gibt es auch keine Hinweise darauf, dass
für diese Patienten andere Grundsätze gelten.
Die ASCO gab somit die klare Empfehlung
heraus, Zytostatikadosen generell (mit wenigen Ausnahmen) unter Verwendung der tatsächlichen Körperoberfläche zu berechnen
und Dosisanpassungen bei allen Patienten
nach Auftreten von Toxizitäten und unter
Beachtung von Begleiterkrankungen vorzunehmen (19). Seit dem Erscheinen der
ASCO-Guideline wurden weitere Studien
publiziert, die diese Empfehlungen auch
40 | Onkologische Pharmazie | 16. Jahrgang | Nr. 4/2014
bei anderen Tumorentitäten und modernen
Therapieschemata bestätigen. 2013 wurde
eine Metaanalyse veröffentlicht, in die Daten
von 9314 Patientinnen und Patienten eingeschlossen wurden, die an 13 unterschiedlichen
Krebsarten erkrankt waren und 21 verschiedene Zytostatika erhielten. Schwerwiegende
hämatologische und nichthämatologische
Toxizitäten waren bei Adipösen gleich oder
weniger häufig als bei Normalgewichtigen,
wenn zur Berechnung der Zytostatikadosis
die tatsächliche KOF verwendet wurde. Es
gab keine Hinweise auf eine schlechtere
Überlebenswahrscheinlichkeit bei adipösen
Patientinnen und Patienten. Lediglich in
einer Studie mit Patienten, die einer hochdosierten Chemotherapie mit autologer
Stammzelltransplantation unterzogen wurden, war die hämatologische Toxizität bei
Adipösen höher und das Gesamtüberleben
schlechter als bei den Normalgewichtigen
(31). Wenngleich eine andere aktuelle
Analyse keine negativen Auswirkungen
einer auf der tatsächlichen KOF basierenden
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Zytostatikadosis, Toxizität und
Outcome
Krebs und Adipositas: Eine therapeutische Herausforderung
Dosierung einer Induktions-Chemotherapie
bei adipösen Patienten mit akuter myeloischer Leukämie zeigte (32), sind die
Dosierungsempfehlungen somit nicht zwingend auf alle adipöse Patienten mit hämatologischen Neoplasien übertragbar, insbesondere nicht bei Hochdosis-Chemotherapie mit
Stammzelltransplantation.
Die Beobachtung, dass schwerwiegende
hämatologische Nebenwirkungen bei
Adipösen im Allgemeinen weniger häufig
sind, auch wenn die Chemotherapie-Dosis
mit dem tatsächlichen Körpergewicht berechnet wird, wirft die Frage auf, ob Zytostatika
bei dieser Patientengruppe vielleicht sogar
noch höher dosiert werden müssten. Diese
Frage lässt sich jedoch anhand der bisher verfügbaren Daten nicht beantworten.
Adipositas und Pharmakokinetik in
der Zytostatikatherapie
Tab. 1: Schätzung der Kreatinin-Clearance nach den Formeln nach Cockcroft-Gault
und Jelliffe sowie daraus resultierende berechnete Carboplatin-Dosierungen am
Beispiel einer adipösen und einer normalgewichtigen Patientin.
(ASCO: American Society of Clinical Oncology; AUC: Area under the Curve; BMI, Body
Die Körperoberfläche-basierte Dosis­
Mass Index; KOF: Körperoberfläche; *Jelliffe-Formel korrigiert für Körperoberfläche
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| 16. Jahrgang | Nr. 4/2014 | 41
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Krebs und Adipositas: Eine therapeutische Herausforderung
vielen Chemotherapeutika nur gering mit
Pharmakokinetik-Messungen, insbesondere mit der Gesamtkörper-Clearance (31).
In Dosisfindungsstudien von Zytostatika
sind adipöse Patienten unterrepräsentiert.
Menschen mit Adipositas haben ein höheres Verteilungsvolumen und häufig eine
gesteigerte Medikamen­ten-Clearance im
Vergleich zu Normal­gewichtigen. Eine
Dosisberechnung nach Körperoberfläche
könnte im Vergleich zu einer körpergewichtsbasierten Dosis­k alkulation sogar
zu einer geringeren Konzentration des
Wirkstoffs am Wirkort bzw. zu einer tendenziellen Unterdosierung bei Adipösen
führen (33). Zudem kann bei Adipösen
eine vergleichbare Plasmakonzentration
wie bei Normalgewichtigen auch unter
Verwendung der realen Körperoberfläche
zur Dosisberechnung möglicherweise
nicht erreicht werden (34). Verfügbare
Untersuchungen zur Pharmakokinetik verschiedener Zytostatika bei adipösen Patienten
zeichnen ein widersprüchliches Bild. Dass
sogar zur gleichen Medikamentenklasse
gehörende Chemotherapeutika ein unterschiedliches Verhalten aufweisen, zeigen folgende Beispiele: Cyclophosphamid schien
bei Adipösen eine verminderte Clearance
zu haben, während für Ifosfamid in einer
kleinen Studie eine normale Clearance bei
höherem Verteilungsvolumen nachgewiesen
wurde (35). Während eine Verminderung der
Clearance von Doxorubicin bei Adipösen
beschrieben wurde, die möglicherweise
zudem geschlechtsabhängig ist, weisen
andere Daten im Gegensatz auf eine reduzierte Plasmakonzentration von Doxorubicin
bei Adipositas hin. Hingegen konnte kein
relevanter Effekt des Körpergewichts
oder des BMI auf Pharmakokinetik oder
Toxizitiät von Epirubicin beobachtet werden (35). Während die Clearance von
Paclitaxel bei Adipositas erhöht war, zeigte
das strukturell verwandte Docetaxel bei
gleicher Clearance bei Adipösen ein höheres Verteilungsvolumen (36). Eine Studie
zur Pharmakokinetik bei 152 Patienten,
die Docetaxel erhielten, zeigte hingegen
eine Zunahme der Clearance bei Patienten
mit höherer Körperoberfläche (33% höher
bei KOF über 2.0 m²), aber keine signifikante Assoziation mit dem BMI (37).
Methodologische Schwierigkeiten und
unzureichende Dokumentation von konkomitierend verabreichten Arzneimitteln
(z.B. Inhibitoren von Cytochrom-P450Isoenzymen, P-Glykoprotein, etc.) erschweren die Interpretation dieser Resultate.
Medikamente wie Platinderivate, die über
eine tubuläre Sekretion ausgeschieden werden, werden bei Adipösen überdurchschnittlich schnell eliminiert. Eine durchschnittlich um 13% höhere Cisplatin-Clearance
(60 versus 53.3 L/h) und ein wesentlich
höheres Verteilungsvolumen (58.9 versus
50.2 L) wurden bei Adipösen dokumentiert
(36). Allerdings fehlen Daten darüber, ob
und in welchem Ausmass die Dosis dieser
Medikamente bei Adipösen zu steigern sei.
Die einzigen Zytostatika, für die die ASCO
eine Dosisbegrenzung bei allen Patienten
explizit empfiehlt, sind Vincristin (maximale Absolutdosis 2 mg), Bleomycin im
BEP-Schema (Fixdosis 30 000 I.E.) und
Carboplatin (19). Carboplatin ist ein
Chemotherapeutikum, das seit über drei
Jahrzehnten erfolgreich und noch immer sehr
häufig in der Therapie von Krebserkrankungen
der Lunge, des weiblichen Genitaltraktes
und anderen Organen eingesetzt wird.
Die Carboplatindosis wird anhand der
Calvert-Formel (38) berechnet, in die die
Nierenfunktion des Patienten mittels glomerulärer Filtrationsrate (GFR) miteinbezogen
wird. Eine gute Korrelation der CarboplatinClearance wurde beobachtet, wenn die GFR
mit einer Radioisotopen-Methode gemessen wurde (38). Da diese Methode teuer
und für die meisten Onkologen nicht verfügbar ist, wird die GFR meist durch die
nach der Cockcroft-Gault-Formel berechnete Kreatinin-Clearance ersetzt (39). In
diese Formel geht das Gewicht des Patienten
ein, was besonders bei adipösen Patienten zu
einer erheblichen Überschätzung der GFR
und einer Überdosierung von Carboplatin
führen könnte (Tab. 1) (40). Modifizierte
Kalkulationen unter Verwendung des
berechneten idealen Körpergewichts (Ideal
Body Weight, IBW ) oder des fettfreien
Körpergewichts (Lean Body Mass, LBW)
konnten die Vorhersage der CarboplatinClearance aber nicht steigern (36, 41). Ein
möglicher Lösungsansatz dieser Problematik
ist der Einsatz von Carboplatin als Fixdosis
durch Capping der geschätzten KreatininClearance bei 125 ml/min (Empfehlung der
ASCO) (19) oder 140 ml/min (40) bei adipösen Patienten mit normaler Nierenfunktion.
Andere Autoren empfehlen, dass bei der
42 | Onkologische Pharmazie | 16. Jahrgang | Nr. 4/2014
Berechung der Kreatinin-Clearance nach
Cockcroft-Gault bei Patienten, deren
Körpergewicht mehr als 30% über dem IBW
liegt, das IBW plus 30% in die CockcroftGault-Formel eingesetzt wird (42). Die
Schätzung der Kreatinin-Clearance mit der
Formel nach Jelliffe hingegen (43), die traditionell in den Studien der Gynecologic
Oncology Group (GOG) verwendet wurde,
kann besonders bei adipösen Patienten zu
erheblichen Reduktionen der CarboplatinDosis führen (Tab. 1). Der Einsatz der JelliffeFormel könnte somit zum schlechteren progressionsfreien Überleben bei Adipösen
beigetragen haben (44), das die GOG in
einer retrospektiven Analyse zum Einsatz
von Carboplatin beim Ovarialkarzinom
beobachtet hat.
Zusammenfassung und Fazit für die
Praxis
Adipositas ist ein wichtiger Risikofaktor
für die Entstehung und Prognose von
Krebserkrankungen. Für die häufig praktizierte, willkürliche Dosisreduktion bzw.
ein Dosis-Capping klassischer Zytostatika
bei adipösen Krebskranken existiert keine
wissenschaftliche Grundlage. Adipöse
Patientinnen und Patienten leiden bei volldosierten Chemotherapien nicht häufiger unter
Nebenwirkungen als Normalgewichtige.
Die Pharmakokinetik vieler Zytostatika
scheint bei Adipösen anders als bei
Normalgewichtigen zu sein, die bisherigen
Pharmakokinetik-Analysen lassen praxisrelevante Rückschlüsse aber nicht zu. Bis auf
weiteres gelten für die Chemotherapie bei
Adipösen folgende Empfehlungen:
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Krebs und Adipositas: Eine therapeutische Herausforderung
Die Chemotherapiedosis sollte mit einer etablierten Schätz-Formel (akzeptable Formeln
gemäss ASCO-Guideline: DuBois und DuBois, Mosteller, Haycock, Gehan und George,
Boyd) unter Verwendung des tatsächlichen Körpergewichts bzw. der realen Körperoberfläche ohne Dosis-Capping berechnet werden.
Eine stringente Einhaltung dieser Empfehlung wird besonders bei Chemotherapien
gefordert, die in kurativer Absicht durchgeführt werden.
Ausnahmen bilden laut ASCO die Zytostatika Vincristin (maximale Absolutdosis 2 mg),
Bleomycin im BEP-Schema (Fixdosis 30 000 I.E.) und Carboplatin (Capping der in die
Calvert-Formel eingesetzten GFR bei 125 ml/min).
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Disease (MDRD) formulae in oncology patients.
Annals of oncology : official journal of the European Society for Medical Oncology / ESMO.
2012;23(7):1845-53.
43. Jelliffe RW. Letter: Creatinine clearance: bedside estimate. Annals of internal medicine.
1973;79(4):604-5.
44. Wright JD, Tian C, Mutch DG, Herzog TJ, Nagao
S, Fujiwara K, et al. Carboplatin dosing in obese women with ovarian cancer: a Gynecologic
Oncology Group study. Gynecologic oncology.
2008;109(3):353-8.
AUTORIN:
Dr. med. Veronika Nagy
Oberärztin Medizinische Onkologie
Luzerner Kantonsspital
Email: [email protected]
Die Photodynamische Therapie
Die Photodynamische Therapie
Eine Option in der palliativen Behandlung von Gallengangtumoren
Von Manfred Fleischer, Mistelbach
Einleitung
Unter einer photodynamischen Therapie (PDT) versteht man die therapeutische Nutzung von
Lichtenergie über Vermittlung eines Photosensitizers (PS), der das Körpergewebe für eine
gezielte Bestrahlung mit Licht empfindlich macht. Diese Behandlungsmethode wird vor
allem in der Onkologie bei verschiedenen Tumoren in unterschiedlichen Fachgebieten,
z. B. in der Urologie, Pulmologie, HNO-Heilkunde, Gastroenterologie und Dermatologie
eingesetzt, aber auch bei benignen Hauterkrankungen (z. B. PUVA-Therapie bei Psoriasis
vulgaris).
Das primäre Gallengangskarzinom (cholangiozelluläre Karzinom) ist ein seltener Tumor
mit einer Inzidenz von 5-6/100.000 Ein­
wohnern/Jahr im mitteleuropäischen Raum.
Es tritt häufiger in den größeren ableitenden
Gallenwegen auf – in ca. 60 % im Bereich
der Leberpforte, der Gallengangsbifurkation
(= sog. Klatskin­tumor). Die Behandlung
ist schwierig, da der Tumor zumeist in
einem bereits fortgeschrittenen Stadium
diagnostiziert wird. Der einzige kurative
Therapieansatz ist die vollständige chirurgische Entfernung des Tumors (im Sinne einer
sog. R0-Resektion), die aber nur in weniger
als 30 % der Patienten in Frage kommt.
Somit kommt der palliativen Therapie des
Gallengangskarzinoms eine große Bedeutung
zu.
Mögliche palliative Therapieoptionen sind:
das Stenting von Tumorstenosen der größeren Gallengänge
die palliative Chemotherapie
die Radiotherapie
die photodynamische Therapie im Gallen­
gang (immer in Kombination mit Stenting)
neuerdings auch die Radiofrequenzablation
von Tumorstenosen im Gallengang
Ablauf der photodynamischen
Therapie
Die photodynamische Therapie wird üblicherweise als zweistufiger Prozess durchgeführt (Tab. 1). Zuerst wird den Patienten
eine photosensibilisierende Substanz i.v.
verabreicht (z. B. Photofrin II® oder
Photosan-3®), die sich bevorzugt und in
höherer Konzentration im Tumorgewebe
anreichert. In einer 2. Stufe wird der Tumor
nach 48-96 Stunden lokal mit einem kalten Laserlicht einer definierten Wellenlänge
bestrahlt, bei welcher der Photosensitizer
(PS) sein Absorptionsmaximum hat:
Profimer-Natrium
Photofrin II®
630 nm
Hämatoporphyrinderivat
Photosan-3®
633 nm
Tab. 1: Ablauf der Photodynamischen
Therapie
Stufe 1 Systemische Verabreichung des
Photosensitizers
Bevorzugte Anreicherung in
Tumorzellen
Abwarten der Verteilungsphase
von z. B. 48-96 Std.
Stufe 2 Lokale Bestrahlung des
Tumors mit kaltem Licht der
absorbierten Wellenlänge
(Farblaser, Dioden-Laser)
Durch die Energie der Laserbestrahlung wird
in Gegenwart von Sauerstoff in der Zielzelle
ein zytotoxischer Prozess ausgelöst.
Der direkte zytotoxische Effekt wird durch
zwei photochemische Reaktionen beschrieben. Nach Anregung des PS durch Licht
kann der PS durch Transfer von Elektronen
46 | Onkologische Pharmazie | 16. Jahrgang | Nr. 4/2014
und Wasserstoffionen auf andere Moleküle
der Zelle toxische Zwischenprodukte wie
Wasserstoffperoxid, Superoxid und weitere
reaktive Sauerstoffspezies bilden (Typ-IReaktion). Die Typ-II-Reaktion wird durch
einen Energietransfer zwischen Sauerstoff im
energetischen Grundzustand und dem aktivierten PS beschrieben, was zur Bildung von
Singulettsauerstoff (¹O₂) führt. Dieser reagiert
mit ungesättigten Fettsäuren, Cholesterin,
Phospholipiden, einigen Aminosäuren und
den Basen Guanin und Guanosin. Dadurch
werden mehrere zelluläre Kompartimente
und ganz besonders Zellmembranen angegriffen. Aufgrund der sehr hohen Reaktivität
des Singulettsauerstoffs ist die Toxizität zeitlich und lokal begrenzt.
Zusätzlich soll auch eine indirekte Wirkung
auf den Tumor durch Störung der lokalen
Mikrozirkulation und durch immunologische Prozesse stattfinden [1, 10].
Prinzip der Photodynamischen Therapie
(PDT)
Photosensibilisator + Licht einer
definierten Wellenlänge + O²
Photochemische Reaktion
Typ-I-Reaktion: Übertragung von
Elektronen direkt auf zelluläre
Moleküle
Typ-II-Reaktion:
Elektronenübertragung auf O² →
Singulett-O-Radikal
Die Eindringtiefe der PDT mit Photofrin®
und Photosan® beträgt ca. 3-4 mm, weshalb
diese Photosensitizer für die Anwendung
im Gallengang besonders geeignet sind. Die
Bestrahlung des Tumors erfolgt entweder im
Rahmen einer endoskopischen Untersuchung
des Gallengangs (ERC; Abb. 1, 2) oder durch
einen perkutanen transhepatischen Zugang
zum Gallengang (PTC).
Bevorzugte Anreicherung in Tumorzellen

Photochemische Reaktion

Die Photodynamische Therapie
Abwarten
der Verteilungsphase
► Typ I – Reaktion: Übertragung
von Elektronen
direkt auf zelluläre Moleküle
► Typ II – Reaktion: Elektronenübertragung
auf
O2
 Singlet-O-Radikal
von z. B. 48-96
Std.

Lokale Bestrahlung
des Tumors mit kaltem Licht
Systemische Verabreichung
des
der absorbierten Wellenlänge
Photosensitizers
(Farblaser, Dioden-Laser)

Bevorzugte Anreicherung in Tumorzellen
Grafik aus: Harrod-Kim, J. Vasc. Interv. Radiol. 2006;17
 Die Eindringtiefe der PDT mit Photofrin und Photosan beträgt ca. 2-3 mm, weshalb sie für die
Abwarten der Verteilungsphase
Anwendung im Gallengang besonders geeignet sind. Die Bestrahlung des Tumors erfolgt
von z. B. 48-96
Std.
entweder
im Rahmen einer endoskopischen Untersuchung des Gallengangs (ERC) oder durch
 einen perkutanen transhepatischen Zugang zum Gallengang (PTC)
Lokale Bestrahlung des Tumors mit kaltem Licht
der absorbierten Wellenlänge
(Farblaser, Dioden-Laser)
Grafik aus: Harrod-Kim, J. Vasc. Interv. Radiol. 2006;17
Die Eindringtiefe der PDT mit Photofrin und Photosan beträgt ca. 2-3 mm, weshalb sie für die
Anwendung im Gallengang besonders geeignet sind. Die Bestrahlung des Tumors erfolgt
1: Schematische
Darstellung der Untersuchung des Gallengangs (ERC) oder durch
entweder imAbb.
Rahmen
einer endoskopischen
intraluminalen
Laserbestrahlung
(rot) eines
einen perkutanen
transhepatischen
Zugang
zum Gallengang (PTC)
Klatskintumors (blau) vom Gallengang aus
Die Tumorzellnekrose entsteht also auf einem
photochemischen Weg und beruht nicht
auf einer thermischen Wirkung des Lasers.
Durch das Absterben von Tumorzellen
kommt es zu einer Verkleinerung des Tumors.
Dies kann den natürlichen Galleabfluss
Laserlichtapplikation im Rahmen einer retrograden endoskop. Cholangiographie (ERC)
über den Gallengang wiederherstellen
und damit neben einer Verbesserung der
Abb. 2: Laserlichtapplikation im Rahmen einer retrograden endoskopischen
Lebensqualität auch zu einer Verlängerung
Cholangiographie (ERC)
der Überlebenszeit führen. Der Tumor kann
[Fotos mit freundl. Genehmigung von G. Hofmann, Photodynamic Therapy Handels GmbH]
mit dieser Therapieform allerdings nicht
geheilt werden.
Laserlichtapplikation im Rahmen einer retrograden endoskop. Cholangiographie (ERC)
Unerwünschte Wirkungen der
Historisch-wissenschaftlicher
Therapie
Kontext
Phototoxizität an der Haut für mehrere
Wochen: bei Einhalten von Sonnen­schutz­
maßnahmen (Sonnenbrille, Hautcreme, etc.)
üblicherweise kein großes Problem.
Gallengangsentzündung bzw. -infektion
(Cholangitis): Dieses Risiko besteht bei
jeder Manipulation an den Gallenwegen (also
auch beim Stenting alleine) und kann für den
Patienten durchaus gefährlich sein (Sepsis!);
daher ist zwingend eine begleitende antibiotische Behandlung notwendig. Üblicherweise
werden Chinolone (z. B. Ciprofloxacin) oder
Amoxicillin in der Prophylaxe verwendet.
Der Begriff der „photodynamischen Wir­
kung“ wurde bereits im Jahre 1904 von
Hermann von Tappeiner, dem damaligen
Direktor des pharmakologischen Instituts
der Universität München, beschrieben. Kurze
Zeit später wurde bereits Hämatoporphyrin
als photosensibilisierende Substanz untersucht (Selbstversuch von Meyer-Betz). Der
eigentliche Beginn des klinischen Einsatzes
der PDT erfolgte aber erst in den 1960er
Jahren als eine Forschungsgruppe um
Schwartz et al. ein Hämatoporphyrinderivat
(HpD) mit doppelter Toxizität und höherer
Spezifität entwickelte [1, 10].
Die technische Entwicklung der Endoskopie
und Lasertechnologie in den 1980er Jahren
ermöglichte schließlich auch die Anwendung
in der Gastroenterologie.
1991 erschien der erste Case-Report für
PDT bei cholangiozellulärem Karzinom
(McCaughan et al., Arch. Surg. 1991 –
Behandlung transhepatisch über perkutanem
Wege).
In weiterer Folge brachten Phase II-Pilot­
studien von Ortner et al. [3], Berr et al. [7] und
Dumoulin et al. [5] mit dem Photosensitizer
“Photofrin” erste messbare klinische Erfolge
in der palliativen Behandlung des hilären
Cholangiokarzinoms (Klatskintumor).
Onkologische Pharmazie | 16. Jahrgang | Nr. 4/2014 | 47
Die Photodynamische Therapie
Anhang:
Langstreckige Tumorstenose im Bereich der
Gallengangsbifurkation mit
Kontrastmitteldarstellung nur des linken
Hepaticusastes
Z. n. Implant
den Tumor
Z. n. Implantation eines Metallstents über
den Tumor
Nach der Du
auch der rec
Kontrastmit
dadurch ein
werden.
Beispiel eines Patienten mit Klatskintumor (ERC-Röntgenbilder):
Langstreckige Tumorstenose im Bereich der
Gallengangsbifurkation mit
Kontrastmitteldarstellung nur des linken
Hepaticusastes
Abb. 3: Beispiel eines Patienten mit Klatskintumor (ERC-Röntgenbilder): Tumorstenose im
Bereich der Gallengangsbifurkation mit Kontrastmitteldarstellung nur des linken
Hepaticusastes und Implantation eines Metallstents
Abb. 4: Z. n. Implantation eines
Metallstents über den Tumor. Nach der
Durchführung einer PDT kann auch der
rechte Hepaticusast mit Kontrastmittel
dargestellt werden und dadurch ein besserer Galleabfluss erzielt werden.
Nach der Durchführung einer PDT kann
auch der rechte Hepaticusast mit
werden undTherapy
4. Ortner et al.,dargestellt
Successful Photodynamic
Überlebenszeit von Patienten mit inoperablen Kontrastmittel
dadurch
ein
besserer
Galleabfluß
erzieltA Ranfor
Nonresectable
Cholangiocarcinoma:
Z. Klatskintumoren
n. Implantation eines
Metallstents
über
gegenüber der alleinigen
werden.
domized Prospective Study; Gastroenterology
den
Tumor
Stenttherapie um das 2-3fache verlängern
2003;125:1355–1363
und dabei auch die Lebensqualität verbessern
5. Dumoulin FL, et al., Phase II study of photodyna(Abb. 3 und 4). Die zusätzliche Kombination
mic therapy and metal stent as palliative treatmit einer palliativen Chemotherapie ist mögment for nonresectable hilar cholangiocarcinoma.
lich. Klinisch relevante Nebenwirkungen sind
Gastrointest Endosc 2003;57:860–867.
eine leicht erhöhte Cholangitisrate und eine
6. Rumalla, et al , Endoscopic application of phoPhototoxizität an der Haut und den Augen
todynamic therapy for cholangiocarcinoma, GIE
für 4-6 Wochen.
Vol. 53, No. 4/2001
Eine prospektive randomisierte Multicenter­
studie [4] an 39 Patienten (plus 31 offen
behandelte Patienten) musste vorzeitig beendet werden, da die mittlere Überlebenszeit in
der PDT-Gruppe mit 493 Tagen gegenüber
der Kontrollgruppe mit 98 Tagen hochsignifikant besser war. Auch wenn man dieser
Studie aufgrund der Patientenselektion und
des offenen Behandlungsarmes methodische
Mängel vorwerfen kann, hat sie doch den
positiven Nutzen der PDT in der palliativen Behandlung des Klatskintumors zeigen
Nach
der Durchführung einer PDT kann
können.
AUTOR:
auch der rechte Hepaticusast mit
Dr. Manfred Fleischer, MPH
dargestellt
werden und
Diese positiven Effekte der PDT konnten Kontrastmittel
N.Ö. Landesklinikum
Mistelbach-Gänserndorf
dadurch
ein
besserer
Galleabfluß
erzielt Jaritz
2. Med. Abteilung, Vorstand: Prim. Dr. Bernhard
2005 auch in einer 2. randomisierten prospekwerden.
A-2130
Mistelbach,
Liechtensteinstrasse
67
tiven Studie von Zoepf et al. an 32 Patien­ten
e-mail: [email protected]
mit Photo­san-3 als Photo­sensi­bilisator wiederholt werden [9].
In nachfolgenden Studien und retrospektiven
Beobachtungen (mit allerdings zumeist kleinen Patientenzahlen) wurden die Studien­
ergebnisse im Wesentlichen bestätigt.
Zusammenfassung
Zusammengefasst kann die PDT in Kombi­
nation mit dem Stenting der Gallenwege die
LITERATUR:
1. Chr. Ell et al., Photodynamische Therapie; Deutsches Ärzteblatt, Jg. 97, Heft 49, 8. Dezember
2000
2. Paul Harrod-Kim, Tumor Ablation with Photodynamic Therapy, J. Vasc. Interv. Radiol.
2006;17:1441-48
3. Ortner et al., Photodynamic Therapy of Nonresectable Cholangiocarcinoma, Gastroenterology
1998;114:536–542
48 | Onkologische Pharmazie | 16. Jahrgang | Nr. 4/2014
7. Berr F, Wiedmann et al. Photodynamic therapy for
advanced bile duct cancer: evidence for improved palliation and extended survival. Hepatology
2000;31:291–298
8. F. Berr, Photodynamic Therapy for Cholangiocarcinoma, SEMINARS IN LIVER DISEASE/VOLUME
24, NUMBER 2 2004
9. Zoepf et al., Palliation of Nonresectable Bile Duct
Cancer: Improved Survival After Photodynamic
Therapy, American J. of Gastroenterology 2005;
100:2426–2430
10. Marek Christoph Mazan, Die photodynamische
Therapie bei Cholangiokarzinom; Dissertation zur
Erlangung des akademischen Grades Doctor medicinae (Dr. med.), vorgelegt der Medizinischen
Fakultät der Charité – Universitätsmedizin Berlin,
Datum der Promotion: 27.03.2009
Handbook of Photomedicine, herausgegeben von
Michael R. Hamblin, Ying-Ying Huang, Oktober
2013 CRC Press
Who is who
Who is who
Bearbeitet von Gisela Sproßmann-Günther, Berlin
Heute: Fortbildungsausschuß der DGOP
A
uf dem Gebiet der pharmazeutischonkologischen Versorgung kann
sich die DGOP zu Recht nach über
20 Jahren als die führende Fort- und Weiterbildungsorganisation in Deutschland
bezeichnen. Die Fort- und Weiterbildung
des pharmazeutischen Personals im großen Themenfeld der Onkologie ist ihr erklärtes Ziel. Mit dem Wissen um die notwendige Kontinuität dieser Aufgabe wurde
der DGOP-Fortbildungsausschuss etabliert.
Seine Mitglieder besitzen fast alle langjährige Erfahrungen in diesem Metier und kümmern sich um die Weiterbildung der PTAs
und Apotheker sowohl in allen Facetten der
Zytostatika-Herstellung als auch um neueste wissenschaftliche Erkenntnisse in der
Krebstherapie. Dabei geht es um die Inhalte
genauso wie um die Auswahl der Referenten
und Prüfungsthemen. Für alle Beteiligten ist
es eine ehrenamtliche Tätigkeit, die nicht
nur Zeit und Organisationstalent sondern
auch die eigene Beschäftigung mit den Themen bedeutet. Deshalb ist es klar, dass für
die Mitglieder diese Ausschussarbeit eine
Herzensangelegenheit ist, die ihnen Arbeit
und manchmal auch Freude bringt.
Prof. Dr. med. Jens Büntzel
Bereits in früher Kindheit interessiert sich
Jens Büntzel für Medizin, Chemie und die
russische Sprache. Deshalb ist es nicht weiter verwunderlich, dass beide Interessen
zu einer Berufsausbildung führten. Parallel
zum Medizinstudium beschäftige er sich mit
der russischen Sprache, so dass er seine
Ausbildung nicht nur als Arzt, sondern auch
als Fachübersetzer für Russisch abschloss.
Die Medizin wurde jedoch zur Leidenschaft
und zum Beruf. Heute arbeitet Jens Büntzel
als Chefarzt der Klinik für Hals-, Nasen- und
Ohrenheilkunde im SüdharzKlinikum Nordhausen. Sein Engagement gilt insbesondere
den onkologischen Patienten, der Palliativmedizin und vor allem der medikamentösen
Tumortherapie. Neben der schulmedizinischen Behandlung der Tumorerkrankungen
ist er den Alternativmethoden gegenüber
sehr interessiert und aufgeschlossen. Zu
diesen Themen betreut er regelmäßig Studien und veröffentlicht Beiträge mit den
Ergebnissen naturheilkundlicher Behandlungen (auch in unserer Zeitschrift). Da neben der russischen Sprache sein Interesse
Osteuropa und der dazugehörigen Literatur
gilt, ist es nicht verwunderlich, dass er mit
seiner Frau und den gemeinsamen Kindern
gerne in Ländern wie Litauen und Lettland
Urlaub macht.
Dr. Karla Domagk
Als Chefredakteurin „unserer“ Zeitung
„ONKOLOGISCHE PHARMAZIE“ ist uns Karla Domagk allen bekannt, denn von Anfang
an war sie aktiv dabei – nicht nur bei der
Erstellung der QuapoS. Ihrem Verständnis
nach ist der Apotheker immer und selbstverständlich Teil des onkologischen Teams.
Sie steht für die fachliche, orts- und zeitnahe multiprofessionelle Zusammenarbeit
im Interesse des onkologischen Patienten. Ihre Arbeit und ihr Wirken innerhalb
der DGOP bei der Weiterentwicklung der
„ONKOLOGISCHEN PHARMAZIE“, beim Organisieren unserer Fachkongresse, als QMAusbilderin und Auditorin für die Zertifizierung der Zytostatika herstellenden Bereiche nach QuapoS stehen auf einer breiten
Basis: Neben dem Studium der Pharmazie,
der Promotion mit einem pharmakoökonomischen Thema hat Karla Domagk eine QMund zusätzlich eine betriebswirtschaftliche
50 | Onkologische Pharmazie | 16. Jahrgang | Nr. 4/2014
Ausbildung. Die beiden Kinder sind bereits
erwachsen, so dass ihr privat mehr Zeit für
Fahrradtouren, Tennis, Skifahren und manchmal auch Segeln mit ihrem Mann bleibt.
Claus Roland
Geboren und aufgewachsen in Bochum,
hat es Claus Roland dann in den Norden
Deutschlands verschlagen. Nach der Praktikantenzeit ist er zunächst in Kiel geblieben
und hat anschließend mehr als 15 Jahre eine
Krankenhausapotheke in Flensburg geleitet.
Von dort aus ging es nach Rostock, um in
der Apotheke der Universitätsmedizin die
Herstellung steriler und unsteriler Arzneimittel zu leiten. Das zeigt, dass Claus Roland
schon von Beginn an der Sterilherstellung
und damit auch der Zytostatika-Herstellung
eng verbunden ist. Nach dieser Zeit ging er
als leitender Angestellter in eine öffentliche
Apotheke, um sich neben der Planung und
Umsetzung der GMP-gerechten Verblisterung
auch dem Aufbau eines Betreuungsmanagements onkologischer Patienten zu widmen.
Seine Tätigkeit im stationären und ambulanten Bereich macht ihn zum Fachmann
in der Vernetzung ambulanter und stationärer Strukturen. Als Gründungsmitglied
der DGOP und Referent bringt er sein Wissen in der Herstellung von Parenteralia, in
der Arzneimittelberatung und -information
und seine Erfahrung in Budgetsteuerung
und Controlling ein. Seine wenige Freizeit
verbringt er mit seiner Frau und seinen drei
inzwischen erwachsenen Kindern.
Corinna Jansen
Corinna Jansen ist der „Youngster“ im Fortbildungsausschuss und der DGOP. Sie ist
Who is who
seit 2013 Apothekerin und hat neben dem
„normalen“ Pharmaziestudium auch ein
Masterstudium im Bereich Arzneimittelforschung (Drug Research) absolviert. Seit
2013 arbeitet sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin der Universität Bonn und promoviert unter der Leitung von Prof. Dr. Jaehde
zum Thema „Multiprofessionelles Medikationsmanagement bei Krebspatienten im
Centrum für Integrierte Onkologie in Bonn“.
Gerade durch diese Arbeit sieht sie, dass es
für onkologische Patienten wichtig ist, kontinuierlich über Jahre pharmazeutisch betreut
zu werden. Da das am Besten im regelmäßigen Austausch mit Kollegen funktioniert, ist
sie seit 2014 DGOP-Mitglied und war auch
gleich bereit im Fortbildungsausschuss mitzuarbeiten. Die private Corinna Jansen spielt
gerne Badminton, liebt Kino und Theater und
findet beim Wandern Erholung vom Alltag.
Daniel Seebach-Schielzeth
Daniel Seebach-Schielzeth ist seit mehr als
5 Jahren PTA für Onkologie (DGOP) in der
Uniklinik Heidelberg in der Klinik mit dem
größten Tumorzentrums Deutschland tätig. Er arbeitet rotierend in der Zytostatikaherstellung und Sterilherstellung/TPN. Das
macht seine Arbeit vielseitig, spannend und
auch manchmal anstrengend.
Diese Erfahrung, seine Lust und Freude
am Beruf und an der Vermittlung von „guter Arbeit“ gibt er gerne als Ausbilder in
Seminaren weiter. So ist er nicht nur Mitglied im Fortbildungsausschuss der DGOP
sondern auch für die Planung der Fortbildungen/ Schulungen in der Apotheke des
Universitätsklinikums zuständig. In seiner
offenen, extrovertierten Art ist er für alle
Kollegen immer ansprechbar und hilfsbe-
reit. Zitat: „Wie wichtig Fort- und Weiterbildung ist, sehe ich immer wieder, wenn ich
als Referent in der FortbildungsAkademie
„ONKOLOGISCHE PHARMAZIE“ tätig bin,
aber auch im Alltag bei uns in der Apotheke.
Dinge verändern sich so schnell, gerade im
Bereich der sterilen (Zytostatika-) Herstellung. Es gibt viele offene Fragen und dabei
rücken immer mehr die Anforderungen der
Behörden in den Mittelpunkt. Es gilt also,
einen guten Kompromiss aus Erfahrungsaustausch, Praxis und Theorie anzubieten,
um diesen Fragen gerecht zu werden. Dazu
bleibt im laufenden Apothekenbetrieb oft
nicht die Zeit, um diese umfassend zu klären“.
Um einen Ausgleich für die körperlich
doch recht anstrengende Arbeit im Labor
zu schaffen, geht er gerne joggen. Doch
auch der Garten bietet ihm eine Oase der
Entspannung. Ansonsten gilt wie für alle
Häuslebesitzer: „Zu tun gibt es immer etwas“. Wenn er mal keine Lust auf „was tun“
hat, ist Entspannen, Lesen oder Treffen mit
Freunden angesagt.
Wioletta Sekular
Wioletta Sekular ist als PTA für Onkologie
(DGOP) prädestiniert, sich den Fragestellungen in der Fort- und Weiterbildung zu
widmen. Einerseits kennt sie die praktische Arbeit in der Zytoherstellung und andererseits kennt sie durch ihre Tätigkeit bei
ConEvent alle Fortbildungsinhalte. Sie organisiert nicht nur Fortbildungsveranstaltungen, sondern ist auch als Ausbilderin
im Bereich „Aseptisches Arbeiten“ vielen
Kolleginnen bekannt. Durch die genaue
Kenntnis des PTA-Alltages und der Fortbildungsinhalte ist sie als Prüferin für die
onkologische Fachprüfung von PTAs hervorragend geeignet. Auch wenn zwei ihrer
drei Kinder schon recht selbstständig sind,
beansprucht der zweieinhalbjährige Jacub
die mütterliche Freizeit und bringt Freude
und beruflichen Ausgleich. Als PTA glücklich, bleibt es ein bisher unerfüllter Traum
als Ärztin Menschen zu helfen. Mal sehen,
was noch nicht ist, kann ja noch werden.
Claudia Woeste
Claudia Woeste ist bereits seit 40 Jahren
als PTA, inzwischen als PTA für Onkologie
(DGOP), tätig. So hat sie den Beruf der PTA
fast von Anfang an bis heute in seiner Entwicklung erlebt. Es waren für sie meist spannende Jahre in öffentlichen Apotheken, im
Gesundheitsamt, im Krankenhaus bis hin
zur Tätigkeit im Herstellungsbetrieb. Da sich
die Anforderungen im Alltag ständig verändern, muss sie auch als „Oldie im Beruf“ –
eigentlich heißt das Experte – immer wieder neu anpassen und mit lernen. Doch das
ständige Lernen, sich entwickeln macht ihr
Freude. Diese Freude gibt Claudia bei ihrer
Tätigkeit in der PTA-Weiterqualifizierung,
bei den Seminaren über „Aseptisches Arbeiten“ und im Fortbildungsausschuss gerne weiter. Zusammen mit Wioletta Sekular
und Daniel Seebach-Schielzeth ist sie in der
Prüfungskommission bei den onkologischen
Fachprüfungen für PTAs.
Claudia Woeste lebt in Berlin und sie liebt
die kulturellen Möglichkeiten der Stadt. Musik, Theater, Ausstellungen – alles was die
Stadt so hergibt, steht auf dem Programm
und auch noch: Ohne Krimi geht die Claudia
nicht ins Bett.
Onkologische Pharmazie | 16. Jahrgang | Nr. 4/2014 | 51
Buchbesprechung
Buchbesprechung
Rezension von Susanne Bertels, Hamburg
Achtsamkeit und Krebs
Von Dr. rer. nat. Dipl.-Psych. Katja Geuenich
Schattauer Verlag 2013,
24,99 Euro
In ihrem ersten Buch hat sich Katja Geuenich
mit der Akzeptanz in der Psychoonkologie
als Weg zu einer Verbesserung der Lebensqualität in der Krebserkrankung befasst. In
dem nun vorliegenden neuen Buch beschäftigt sich die Autorin mit dem aktuellen und
wichtigen Thema Achtsamkeit als Hilfe zur
emotionalen und mentalen Bewältigung von
Krebs. Auf 182 Seiten umkreist sie das Thema in drei Kapiteln.
Im ersten Kapitel geht es um die Beschreibung von Achtsamkeit – sie beschreibt
sechs Merkmale des Themas: Wahrnehmen,
Beschreiben, Sich-einlassen, Konzentration, Nichtbewerten und Wirkungsvoll. Diese
Merkmale werden auf ihre Bedeutung hin
untersucht und durch Übungen erfahrbar
gemacht.
Das zweite Kapitel behandelt den Zusammenhang von Achtsamkeit und psychischen
Grundbedürfnissen. Die Autorin bezieht sich
hier auf die Konsistenztheorie von Grawe mit
den menschlichen Grundbedürfnissen nach
Kontrolle und Orientierung, Lustgewinn und
Vermeiden von Unlust, Stabilität des Selbstwerts sowie Bindungsangst und Zugehörigkeit. Geuenich beschreibt Achtsamkeit
als Hilfe zur Regulation dieser Bedürfnisse.
Indem man sie bei sich selber erkennt und
versteht sowie in der Auseinandersetzung
damit zu einer Befriedigung und Verteidigung der eigenen Bedürfnisse kommt. Dieses Kapitel ist angereichert durch Symbole
(z.B. Bedürfnisse als „Wasserfässer“) und
Weisheitsgeschichten (z.B. Überquerung
des Abgrundes), welche helfen, die Theorie
ins Leben zu übertragen.
Das dritte Kapitel beschäftigt sich mit den
unterschiedlichen Phasen der Krebserkrankung, von der Diagnose bis zum evtl.
Fortschreiten, d.h. Abschied und Tod. Hier
werden die Möglichkeiten von Achtsamkeit
als Bedürfnisregulation ausgelotet. Dieser
Teil des Buches ist von besonders vielen
Anleitungen zur Imagination durchzogen
(Gefühlstorte, Sicherer Ort). Im Anhang befinden sich 22 Arbeitsbögen als Vorlage für
die Übungen der einzelnen Kapitel.
Das Buch richtet sich überwiegend an betroffene Krebserkrankte und an mitbetroffene Angehörige. Das Motto, welches die Autorin in ihrem Vorwort gewählt hat, stammt
von Seneca: „Weise Lebensführung gelingt
keinem Menschen durch Zufall. Man muss,
solange man lebt, lernen wie man leben
soll.“ Das klingt erst einmal anstrengend.
Will ich das, wenn ich krank bin? Doch wohl
nur, wenn etwas Wichtiges dabei herauskommt! Was hat das Buch dafür zu bieten?
Die Autorin verspricht drei Funktionen von
Achtsamkeit:
Achtsamkeit als Hilfe zur Selbsthilfe in Krisensituationen.
Achtsamkeit als innerer Kompass für Lebensqualität und Zufriedenheit.
Achtsamkeit als Hilfe zur Beziehungshilfe.
52 | Onkologische Pharmazie | 16. Jahrgang | Nr. 4/2014
„Achtsamkeit und Krebs“ ist ein Arbeitsbuch. Es gibt Verständnishilfen und leitet
an, sie einzuüben. Das erfordert vom Leser
einiges an Disziplin. Die Autorin unterstützt
ihn hierbei mit vielen Arbeitshilfen und Geschichten. Sowohl Fall- als auch narrative
Geschichten. Sehr sympathisch liest sich,
dass alle „Fälle“ einen Namen, ein Alter und
eine Krebsart als Überschrift haben. Das
erleichtert die Identifizierung und macht es
lebensnah. Ebenso stellt die Hervorhebung
besonders wichtiger Gedanken in kleinen
Kästchen eine deutliche Lesehilfe dar.
Krebspatienten erleben ihre Situation weitgehend von Ohnmacht und dem Gefühl des
Ausgeliefertseins an Institutionen, Menschen und Maschinen geprägt. In dieser Situation bietet der Ansatz von Achtsamkeit
die Möglichkeit, wieder handlungsfähig zu
werden, eine Möglichkeit zur Selbstkontrolle und zur Kontrolle des entstandenen Gefühlschaos. Auch vermittelt es das Gefühl,
etwas tun zu können in einer Situation, die
dazu einlädt, sich abzugeben an Ärzte und
Behandlung. Es braucht Geduld, innere Ruhe
und ein gewisses Durchhaltevermögen, sich
Buchbesprechung
mit den vielen Anregungen in diesem Buch
zu beschäftigen. Ob Betroffene das in der
Situation ihrer Krankheit können, ist die Frage. Sich mit den eigenen Gefühlen auseinander zu setzen, ist für die meisten Menschen
nicht selbstverständlich und eine Herausforderung. Es besteht die Gefahr, dass es
den Einzelnen überfordert und das Buch
aus der Hand gelegt wird. Das wäre schade.
Hier wäre das Buch mehr in der Hand eines
erfahrenen Therapeuten zu sehen, der es
zusammen mit seinem Patienten bearbeitet,
sei es in einer Gruppe für Krebskranke oder
im Einzelgespräch. Gewinnbringend ließe
sich das Buch auch einsetzen in Selbsthilfegruppen; es bietet gute Möglichkeiten, über
die verschiedenen Aspekte von Achtsamkeit
ins Gespräch zu kommen.
Nach der Lektüre des Buches ist es schlüssig vorstellbar, dass sich die Lebensqualität durch Achtsamkeit erhöht. Letztendlich
empfiehlt es sich aber, diesen Weg selber
auszuprobieren und zu einer eigenen Beantwortung zu kommen. Stellvertretend
soll hier ein Patient aus dem Buch zu Wort
kommen:
Hannes, 66 Jahre, Lungenkrebs,
„Manche Übungen konnte ich nicht, kann
sie auch heute nicht und habe sie für mich
abgehakt. Andere Übungen taten mir gut,
auch wenn ich sie erst üben musste. Achtsamkeit als Hilfe, um sich zu verstehen und
das, was der Krebs in einem durcheinander
gebracht hat, zu sortieren, würde ich auf
jeden Fall bejahen.“
Dieses Buch wird ohne Zweifel Leser finden, die von ihm profitieren können.
Susanne Bertels
Onkologische Pharmazie | 16. Jahrgang | Nr. 4/2014 | 53
Informationen aus der Industrie
INF ORM AT IONEN AUS DER INDUS T RIE
Die Bedeutung von E-Commerce in der Onkologie:
Eine marktwirtschaftliche Betrachtung
Von Eldar Sultanow und Michael Kretzer, Gattendorf
D
er Pharmamarkt ist durch besondere
Eigenschaften gekennzeichnet, aus
denen sich Rückschlüsse auf die Bedeutung des elektronischen Handels ziehen
lassen. Der vorliegende Beitrag arbeitet
aus marktwirtschaftlicher Perspektive
diese Eigenschaften heraus, leitet daraus eine Notwendigkeit von E-Commerce
für die Onkologie ab und stellt ein Pilotprojekt vor.
Marktbesonderheiten im Umfeld der
Onkologie
Der onkologische Pharmamarkt, insbesondere jener der lange auf dem Markt befindlichen generischen Zytostatika, kennzeichnet
sich durch einen strengen Verdrängungswettbewerb. Die vermehrte Verwendung von
oralen onkologischen Therapeutika als auch
das fokussierte Therapiemanagement führen zu einer Reduzierung von Infusionszubereitungen. Zudem wird die Verdrängung
durch bestimmte Markteigenschaften hervorgerufen, aufrechterhalten und weiter ausgeprägt, die nachfolgend genannt und näher
erläutert werden.
Keine Geltung von Marken
Ein fundamentales und vor allem diesem
Wettbewerb zugrundeliegendes Spezifikum
ist die Markengleichgültigkeit. Während in einem markenbewussten Wettbewerb wie etwa
im Automobilhandel der Leitsatz „Fahrzeug
ist nicht gleich Fahrzeug“ gilt, werden alle
Produkte mit ein und demselben Wirkstoff
gleichgesetzt, unabhängig davon, wer ihn
wo und unterwelchen Bedingungen herge-
stellt hat – solange die Herstellung im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen erfolgt.
In einem solchen Wettbewerbsumfeld zählt
nur der Preis. In jüngster Zeit spielt in diesem
Zusammenhang die Versorgungssicherheit
eine zunehmende Rolle.
delserlaubnis mit dem Ziel, günstiger einzukaufen und untereinander Handel zu treiben.
Ein bekanntes Beispiel für Markengeltung
findet sich außerhalb der Onkologie und ist
die am 10. August 1897 erstmals im BayerStammwerk in Elberfeld gelungene Synthese
von nebenproduktfreier o-Acetylsalicylsäure aus Acetanhydrid und Salicylsäure als
Grundlage für das 1897 „Aspirin“ genannte
Produkt, das unter gleichem Namen immer
noch im Original nachgefragt und (teurer als
die generischen Produkte) verkauft wird.
In der Pharmaindustrie ist der Prozess der
Produktentwicklung zeitlich stark getrennt
vom Prozess der Produktverwertung, da hier
der Entwicklungsprozess (im Mittel 12,7 Jahre) und die Genehmigungs- und Zulassungsverfahren (circa 2,2 Jahre) sehr langwierig
sind (Feldmann, 2007, S. 132). Diesem Zeitraum stehen noch keine Einnahmen aus der
Nutzung gegenüber, wobei die frühzeitige
Lizenzvergabe eine Ausnahme bildet. Unter Berücksichtigung der F&E-Kosten von
ungefähr 800 Millionen Euro für einen neuen Wirkstoff (Blockbuster) wird ersichtlich,
welch existenzielle Bedeutung die Innovationssicherung seitens des Staates für die
Pharmaindustrie hat (Bayer, 2014). Paradoxerweise sind die Sicherungsinstrumentarien der Pharmaindustrie besonders stark
eingeschränkt, da der Produzent die Zusammensetzung seines Arzneimittels, die präklinischen und klinischen Befunde sowie die
medizinische Wirksamkeit und Sicherheit
(einschließlich der Nebenwirkungen) genau
offenlegen muss.
Disintermediation
Ein Wettbewerb, der ausschließlich über
den Preis ausgetragen wird, muss sich
Kosteneffizienz-steigernden Mechanismen
bedienen. Einer der wesentlichsten und
weitreichendsten ist die Ausschaltung von
Wertschöpfungsstufen zwischen Hersteller (Pharmaunternehmen) und Verbraucher
(Patienten). Je weniger Beteiligte an einem
Produkt entlang seiner Wertschöpfungskette verdienen, desto größer ist der Spielraum
für die Preisgestaltung durch den Hersteller.
Eine Erscheinungsform dieses in der Wirtschaftswissenschaft als Disintermediation
bezeichneten Phänomens im Pharmamarkt
ist der paradigmatische Wechsel des Begriffs
„Großhändler“ vom Dienstleister zum Rechteinhaber beziehungsweise Besitzer einer
Großhandelserlaubnis. So beantragen Apotheken, die zugleich Herstellungsbetriebe
nach Paragraph 13 AMG sind, eine Großhan-
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Großes Zeitfenster zwischen
Entwicklung und Verwertung
Politischer und staatlicher Einfluss
Der Pharmamarkt ist aufgrund von politischem und staatlichem Einfluss nicht charakteristisch innerhalb des Begriffsverständnisses der freien Marktwirtschaft. Neben
dem Mehr- und Fremdbesitzverbot von Apotheken zählen hierzu staatlich vorgeschrie-
bene Gewinnmargenreduktionen (GKV-ÄndG
2010; AMNOG 2011) für Arzneimittel, die
bereits Einsparungen auf Seite der GKV und
damit Kosten auf Seite der Pharmaindustrie von 1,2 Milliarden EUR für den Zeitraum
Januar bis April 2011 ergaben (IMS Health,
2011). Verschärft wird die Situation durch die
Änderung der Hilfstaxe, des Abrechnungspreises zwischen Apotheke und Krankenversicherung, zum 1. September dieses Jahres, die den Preisdruck auf Großhandel und
Hersteller erhöht, welche die Arzneimittel
zu niedrigeren Preisen anbieten müssen.
Hoher Globalisierungsgrad
Forschungs- und Produktionskapazitäten
kommen weltweit vor, insbesondere zunehmend in den asiatischen Ländern China und
Indien. Im Zeitraum von 1970 bis 2005 existierte kein wirksamer Patentschutz in Indien. Dies führte dazu, dass viele indische
Pharmahersteller teure Originalpräparate
ausländischer Herstellern kopierten und mit
Hilfe alternativer Herstellungsverfahren produzierten, was aufgrund des entfallenen
finanziellen Risikos der eigenen Forschung
kostengünstiger war als die teure Entwicklung von Originalpräparaten (Perlitz, 2008).
Dafür gilt heute jede fernöstliche Beteiligung
am deutschen, europäischen oder insgesamt westlichen Pharmamarkt als zuverlässiger Indikator für eine stark negative
Preisentwicklung generischer Arzneimittel.
Zugang an, über diesen sie
Arzneimittel bestellen können. Im Vordergrund dabei
steht die Bestellmöglichkeit
auf elektronischem Wege als
Alternative zur telefonischen
Bestellung. Diese Form des
Online-Handels im Bereich
der Onkologie ist stark auf
den Primärzweck, den Arzneimittelverkauf an sich,
ausgerichtet. E-Commerce
bietet jedoch über den bloßen Verkauf hinausgehende
Möglichkeiten und Vorteile
für den elektronischen Handel. Diese Vor teile, nachfolgend vorgestellt, werden
durch die verfügbaren Lösungen momentan nicht vollumfänglich ausgeschöpft. Insbesondere existieren erhebliche
Potenziale im Bereich der direkten Interaktion zwischen
Apotheke und Hersteller, in
der Auf wer tung von Leistungsangebot durch Personalisierung und Optimierung
der Bedarfsgenauigkeit von
an Kunden kommunizierten
Angeboten und im Bereich
der Resteverwertung.
Vorteile von
E-Commerce in der
Onkologie
Stand der Technik
Nach heutigem Stand der Technik bieten
Großhändler ihren Kunden einen Online-
Die oben genannten Eigenschaften des onkologischen
Pharmamarkts, insbesondere
Abbildungen: Screenshots vom MaxShop
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Informationen aus der Industrie
der hohe Preisdruck, Globalisierungsgrad
und die Disintermediation, sind indikativ
dafür, dass der Markt sich durch eine extrem
hohe Affinität zu effizienzsteigernden Mechanismen kennzeichnet, wobei ausschließlich der Preis und nicht die Qualität eine tragende Rolle spielen. Die zu gewährleistende
Qualität legen gesetzliche Bestimmungen
fest, was in diesem Markt dazu führt, dass
ihre Teilnehmer die, nur geringste Kosten
verursachende, Erfüllung des geforderten
Mindestmaßes zur Maxime erheben. Mehr
Qualität im Angebot enthalten, kann unter
den genannten Marktbedingungen kein Vorteil, sondern nur ein Nachteil des Anbieters
sein. Im Folgenden werden die Vorteile von
E-Commerce beschrieben (siehe auch Sultanow, 2010).
Kostenreduktion
E-Commerce bietet genau den passenden
Mechanismus, der die Effizienz von Kundenund Unternehmensprozessen steigert und
außerdem einen disintermediativen Charakter aufweist. Eine wesentliche Effizienzsteigerung von E-Commerce-Lösungen besteht darin, dass sie informationstechnisch
den Bestellprozess sowie die Prozesse der
Auftragserfassung, Beschaffung und des
Verkaufs auf Seiten des Anbieters automatisieren.
Reduktion örtlicher
Geschäftsbeschränkungen
Das Produkt- und Dienstleistungsangebot
über traditionelle Medien unterliegt räumlichen Schranken. Dementgegen ergibt sich
für den Anbieter im Internet eine weltweit
sichtbare Präsenz, ohne dass dieser physisch vor Ort sein müsste. So liegt in der
überregionalen (ja sogar globalen) Angebotsverfügbarkeit das Hauptpotential zur
Kundenkreiserweiterung.
Reduktion zeitlicher
Geschäftsbeschränkungen
Im Internet stehen Angebote permanent zur
Verfügung. Demzufolge können Nachfrager
beliebiger Orte zu jedem Zeitpunkt auf diese Angebote zugreifen. Schließlich ist eine
zeitlich nicht limitierte Abwicklung von Geschäften möglich.
von genau auf ihre Belange zugeschnittenen
Angeboten.
Zusammenarbeit mit
Geschäftspartnern
Aufwertung von Leistungsangebot
E-Commerce-Lösungen erweitern das Leistungsangebot durch zusätzliche Services
und kundenindividuellere Produkte. Neben
bedarfsgenauen Produktvorschlägen, die
von Empfehlungsdiensten (Recommender
Systemen) generiert werden, werten zum
Beispiel eine Preisverhandlungs-, Merkzettel- sowie Preisalarm-Funktion das Leistungsangebot auf.
Direkte Interaktion zwischen Kunde
und Anbieter
Auf einem elektronischen Marktplatz interagieren Kunden mit Herstellern direkt, indem sie zum Beispiel Anbietern eine Liste
nachgefragter Produkte und gegebenenfalls Preisvorschläge (sofern diese Funktion
vom Anbieter aktiviert wird) übermitteln.
Die unmittelbare Interaktion umfasst auch
die herstellerseitige Benachrichtigung in
Echtzeit der Kunden über die Verfügbarkeit
Die Max Pharma GmbH nimmt die Veränderungen der Märkte auf und bietet
seinen Kunden und zukünftigen Kunden
einen 24/7/365 Shop für Apotheken und
Kliniken. Besonderheit ist, dass die Laufzeiten kurz und die Preise für Produkte
für die parenterale Zubereitung sehr klein
sein werden.
Online als Plattform sozusagen im Hintergrund?
Reduzierter und fokussierter Ser vice
senkt die Preise für die Kunden. Dies ist
nur mit einer Online-Plattform möglich.
Als Leistungsmerkmal des Arzneimittelgroßhändlers?
Dies ist eine offene Plattform. Alle Hersteller können ihre Angebote zum Ver-
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Die Architektur von Onlineplattformen liefert
eine integrierte Informations- und Kommunikationsbasis für den effizienten, medienbruchfreien Daten- und Dokumenten-Austausch. So lassen sich die online generierten
Kunden- und Bestellinformationen direkt in
das Warenwirtschaftssystem des Herstellers und in jenes des Kunden importieren.
Auf Seiten der Hersteller werden Lagerwirtschaft, Nachschub und Logistik optimiert
sowie auf Kundenseite die Kaufbestände und
mit der Kassenabrechnung (Taxierung) zusammenhängenden Prozesse automatisiert.
Rettung von kurz vor Verfall
stehender Ware
Ein weiterer Vorteil des Online-Handels (vor
allem im Pharmabereich) ist die Bewerbung
besonders günstiger Angebote solcher Produkte, die kurz vor dem Verfall stehen, sogenannte Kurzläufer. Anbieter verkaufen die
Produkte und nehmen einen geringfügige-
werten zur Max Pharma geben. Unsere
breite Kundenbasis erlaubt die rasche
Umsetzung zum Vorteil der Kunden und
der Hersteller.
Lieferant muss ein inländischer Betrieb
sein?
Auf der Online-Plattform werden ausschließlich in Deutschland zugelassene, verkehrsfähige Fertigarzneimittel
angeboten.
Tangiert das die „Arzneimittelvermittlung“ gesetzestechnisch?
Wir arbeiten als ganz normaler Großhandel mit Wareneingang, Ausgang und GDPTransport. Nur das Bestellwesen hat sich
um die Option online erweitert.
Informationen aus der Industrie
Der Markt prägt seine Teilnehmer auf Konsumentenseite, die sich durch einen rein Preisfixierten Habitus hervorheben. Aus diesem
Grund hat sich die E-Commerce-Plattform an
seine Benutzer in ihrem Stil und äußeren Erscheinungsbild angepasst, um die Aufmerksamkeit auf den nicht zu unterbietenden
niedrigen Preis zu richten (Abb. 1).
Es sind bereits Angebote von mehr als 10
Herstellern im Shop. Die Usermeldungen
verändern sich täglich und zielen im onkologischen Bereich auf 250 bis 300 ab.
LITERATUR
Bayer (2014). IMI – Innovative Medicines Initiative.
Projekt SAFE-T: Forscher suchen nach Biomarkern
zur frühzeitigen Identifizierung von Arzneimittel-bedingten Organschäden. Abgerufen am 09.10.2014 von
http://www.bayerpharma.com/de/presse/im-fokus/
imi-innovative-medicines-initiative-projekt-safe-t.php
Abbildung 1: Flyer des E-Commerce Portals shop.max-pharma.de
Feldmann, C. (2007). Strategisches Technologiemanagement. Wiesbaden: GWV Fachverlage.
ren Verlust hin, der dann größer ausfällt,
wenn er seine Produkte nach ihrem Verfall
vernichten muss (nicht nur Zytostatika sind
toxische Abbauprodukte). Der Markt mit
Kurzläufern ist sehr heterogen und desorientiert – er liefert keinen systematischen
Absatzweg für Anbieter und gleichermaßen
keine dedizierte Bezugsquelle für die Abnehmer. Ein strukturierter Online-Vertrieb
von Kurzläufern ist die synergetische Kombination aus dem
Absatz von kurz vor Verfall stehender
Ware, welcher den Schaden auf Herstellerseite begrenzt und
Einsparpotenzial für Apotheker, welche
auf dieses in Anbetracht der aktuellen
Marktbedingungen in hohem Maße angewiesen sind.
Das Risiko, dass die kurzen Haltbarkeitszeiten zu einem Lagerverlust führen, ist
vernachlässigbar gering, da im Bereich der
Onkologie die Arzneimittel oft am selben
oder spätestens am nächsten Tag verbraucht
werden. Kaum eine Apotheke kauft Zytostatika auf Vorrat. Selbst wenn auf Seite der
Apotheke Ware verfällt, entsteht wegen der
niedrigen Preise kein großer Schaden.
IMS Health (2011). AMNOG-Einsparungen im ersten
Jahresdrittel 2011: Zwangsrabatte überschreiten bereits die Milliardenmarke. Abgerufen am 25.08.2011
von http://www.imshealth.de/de/artikel/id/15375
Die Tatsache, dass permanent neue Hersteller in den gesättigten onkologischen
Markt eintreten, beeinträchtigt nicht das
auf E-Commerce basierende Geschäftsmodell, sondern fördert dieses, weil mit der
wachsenden Überversorgung die Zahl der
Kurzläufer im Gleichschritt zunimmt.
Sultanow, E. (2010). Zusammenarbeit in verteilten
Projekten: Dekomposition, Barrieren und Lösungen
im Kontext der Webentwicklung. Berlin, Deutschland: Gito.
Perlitz, U. (2008). Indische Pharmaindustrie auf Globalisierungskurs. Deutsche Bank Research, Aktuelle
Themen 413.
Das Pilotprojekt der onkologischen
Resterampe
Die Einführung von E-Commerce in den Onkologiemarkt ist daher die folgerichtige Konsequenz aus dessen beschriebenen Markteigenschaften.
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