10 KLINIKUM 2009 Ausgabe 22 / 30. Oktober 2009 Gesundheit und mehr... AUGENHEILKUNDE Echte Nachtblindheit ist eher selten Besonders im Straßenverkehr mit vielen Verkehrsteilnehmern und hohen Geschwindigkeiten kann sich vermindertes Sehvemögen negativ auswirken. Von einer echter Nachtblindheit kann man in diesem Fall aber nicht sprechen – Betroffenen können nicht einmal mehr Konturen wahrnehmen. Foto: Bettina Hennebach enn die Tage im Herbst kürzer werden und es zeitiger dunkel wird, kann Autofahren zum Problem werden: Die meisten Betroffenen klagen darüber, dass es ihnen schwer fällt, sich auf das Fahren zu konzentrieren, sie erkennen Fahrbahnmarkierungen nur sehr schlecht und fühlen sich häufig von Scheinwerfern und anderen Lichtquellen geblendet. Schnell taucht dann die Frage auf: Bin ich nachtblind? W Der Begriff der Nachtblindheit ist vielen bekannt – per definitionem bezeichnet er das verminderte Sehvermögen in der Dämmerung oder in der Dunkelheit. Weniger bekannt ist, dass Nachtblindheit ein sehr seltenes Phänomen ist und die Betroffenen nicht einmal mehr Konturen wahrnehmen können, wo Vergleichspersonen sich noch gut orientieren können. Kommen Patienten in die Klinik und Poliklinik für Augenheilkunde, bei denen eine Nachtblindheit vermutet wird, fragt Dr. Mathias Otto sie daher im Gespräch zuerst: Sehen Sie im Vergleich zu Personen, die Sie begleiten, in der Dämmerung oder Nacht deutlich schlechter? In den meisten Fällen bestätigt sich die Diagnose einer echten Nachtblindheit nicht, erklärt der Oberarzt. „Patienten mit einer alleinigen Störung des Dämmerungssehvermögens sehen wir hier in der Klinik eher selten. Schon häufiger kommen Patienten zu uns, die eine erbliche Erkrankung haben, bei der Nachtblindheit als Symptom auftritt. Bei der sogenannten Retinitis pigmentosa beispielsweise verkümmert die Peripherie der Netzhaut und die Patienten haben mit der Zeit ein immer kleiner werdendes Gesichtsfeld, bis sie zum Schluss fast blind sind. Im frühen Stadium der Erkrankung tritt meist eine Störung des Sehens in der Dämmerung und in der Dunkelheit auf, bevor das Gesichtsfeld sich verkleinert.“ Die Ursache dafür, dass Patienten mit Nachtblindheit im Dunkeln kaum etwas erkennen können, liegt im Inneren des Auges: in den sogenannten Stäbchen. Das sind winzige Sinneszellen, die in der Peripherie der Netzhaut verborgen liegen und eigentlich für das SchwarzWeiss-Sehen und Dämmerungssehen zuständig sind. Ist die Funktion der Stäbchen gestört, führt das zu Problemen beim Sehen in der Dämmerung und bei Nacht. Bei der sogenannten essenziellen Nachtblindheit besteht eine vererbbare Minderwertigkeit des Stäbchenapparates, das bedeutet, dass die Stäbchen sich nicht an eine geringere Beleuchtung anpassen können. Daneben gibt es noch die erworbene Nachtblindheit, beispielsweise ausgelöst durch Vitamin-A-Mangel bei MagenDarm-Erkrankungen und Leberleiden. Das Vitamin A ist notwendig zur Regeneration des Sehpurpurs, welches in den Stäbchen produziert wird – ohne dieses gelingt dem Auge die Anpassung an die Dunkelheit nicht. In der Bevölkerung wird die Nachtblindheit häufig mit anderen Erkrankungen verwechselt, ist sich Dr. Otto sicher. Das ist wohl auch der Grund dafür, dass der Begriff eine so große Verbreitung erfahren hat. Hinter den Problemen, die viele beim nächtlichen Autofahren haben, sieht der Augenarzt ein ganz anderes Phänomen: „Zehn bis zwanzig Prozent aller Menschen haben eine sogenannte Nachtmyopie, das heißt übersetzt: eine Kurzsichtigkeit in der Nacht. Das ist keine echte Nachtblindheit, meist müssen die Betroffenen nur nachts eine Brille mit geringem Dioptriewert zum Autofahren aufsetzen, um die Probleme in den Griff zu bekommen.“ Auch die Funktion der Pupille spielt beim Dämmerungssehen eine wichtige Rolle – hat jemand von Natur aus eine enge Pupille, in der Fachsprache Miosis genannt, kann das für den Betroffenen ebenfalls den Eindruck einer Nachtblindheit erwecken. Die Beschwerden können aber ebenso auf einen ernsteren Krankheitshintergrund verweisen: Bei einer Linsentrübung, wie sie für den Grauen Star typisch ist, wird das Sehen in der Dunkelheit ebenfalls herabgesetzt. Außerdem entsteht im Auge Streulicht, weshalb sich die Betroffenen vor allem beim Autofahren geblendet fühlen. Anhand einer sogenannten Mesoptometer-Messung beim Augenarzt kann überprüft werden, wie der Patient auf Blendlicht reagiert und ob eine eventuelle Nachtblindheit die Ursache sein kann. Die genaue Diagnose, ob ein Patient an Nachtblindheit leidet, ist allerdings oft nur in einer Klinik möglich – mithilfe einer speziellen Adaptometrie-Messung. Dabei wird der Patient in einen völlig dunklen Messraum gebracht und in Abständen verschiedenen Lichtreizen mit unterschiedlichen Stärken ausgesetzt. Die Ärzte der Augenklinik interessieren sich bei der Untersuchung dafür, ab wann der Patient den Reiz wahrnimmt. Nachdem er zehn Minuten in dem abge- dunkelten Raum war, wird erneut gemessen: Nun müsste der Patient schon schwächere Lichtreize wahrnehmen können, wenn die Stäbchen im Auge richtig funktionieren. Nach circa 30 Minuten sollte er auch ganz schwache Lichtreize bemerken, da die Empfindlichkeit beim gesunden Auge immer weiter zunimmt, je länger das Auge der Dunkelheit ausgesetzt ist. Da der Laie unmöglich selber feststellen kann, ob er tatsächlich an einer Nachtblindheit leidet oder an einer Erkrankung, die ähnliche Symptome aufweist, sollte er bei weiterer Beeinträchtigung des Sehens in der Dunkelheit auf jeden Fall seinen Augenarzt aufsuchen, rät Dr. Mathias Otto. „Vor allem, wenn die Störung des Sehvermögens in der Nacht erst vor Kurzem aufgetreten ist, muss medizinisch abgeklärt werden, welche Ursache dem zugrunde liegt. Meistens kann den Betroffenen dann geholfen werden – Patienten, die eine erworbene Nachtblindheit haben, beispielsweise durch ausreichende Zufuhr von Vitamin A über die Nahrung. Besteht die Nachtblindheit jedoch schon von Geburt an, gibt es leider keine Möglichkeit der Heilung.“ Trotzdem kommen die meisten Nachtblinden gut mit ihrer Krankheit zurecht – nachdem ein Augenarzt ihre Fahrtauglichkeit getestet hat, dürfen sie mit bestimmten Auflagen – nur tagsüber und bei ausreichend Helligkeit – auch Auto fahren. Liegen keine anderen Augenerkrankungen vor, so sind im Hellen die Sehschärfe, das Gesichtsfeld und das Farbensehen bei ihnen nicht eingeschränkt. Bettina Hennebach