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Kapitel VI
Analyse des Begriffs des Ursprungs in der Relativitätstheorie und in der
Quantenmechanik
Der Ursprung in der Relativitätstheorie
A. Fragestellung
Die Frage nach dem Ausgangspunkt des wissenschaftlich-theoretischen Wissens wurde
bisher in allgemein-theoretischer, dialektisch-logischer Hinsicht betrachtet. In den
vorangegangenen Kapiteln wurden am Beispiel konkreter Wissenschaften die
Hauptkriterien des Ausgangsgsallgemeinen eines ganzheitlichen Systems aufgezeigt.
Dabei wurde als Beispiel einer entwickelten Form der Erforschung dieses Problems „Das
Kapital“ von K. Marx genannt, in dem die Grundprinzipien der dialektischmaterialistischen Logik herausgearbeitet sind.
Die Nützlichkeit und Notwendigkeit der Anwendung der logischen Methode von Marx auf
soziale und organische Objekte ruft keinen Zweifel hervor. In der Literatur ist jedoch die
Bedeutung der dialektischen Logik, der Logik des „Kapitals“ bei der Erforschung, dem
theoretischen Verständnis physikalischer Objekte noch schwach beleuchtet. Wenn man die
Natur, den Charakter moderner physikalischer Theorien aufmerksam analysiert, so stellt
sich klar heraus, dass bei allem Unterschied physikalischer Systeme von organischen und
sozialen auf dem Gebiet der Physik eine ähnliche Logik und Methodologie vorherrschen.
Dieses Kapitel unserer Arbeit ist hauptsächlich der Analyse des Begriffs des Ursprungs in
der Logik der Relativitätstheorie von A. Einstein gewidmet.1
Der tiefschürfende
physikalische Inhalt, die Bedeutung der speziellen Relativitätstheorie ist allgemein bekannt
und steht außer Zweifel. Es ist jedoch schwer, das Gleiche von den logischgnoseologischen Problemen der Relativitätstheorie zu sagen. Offensichtlich war seinerzeit
die Diskussion zur Logik der Relativitätstheorie, die A. Alexandrow begonnen hat,
dadurch hervorgerufen. Die von ihm gestellte Frage nach der Logik der Relativitätstheorie,
nach dem inneren Zusammenhang und der Subordination ihrer Kategorien hat zweifellos
große Bedeutung. Die Aktualität der Probleme der Logik der Relativitätstheorie ist
selbstverständlich nicht nur durch diese Fragestellung entstanden. Umgekehrt, die
Diskussion selbst ist die Folge der Aktualität und der Notwendigkeit der Erforschung der
inneren Logik, der inneren Wechselbeziehung der Kategorien der Relativitätstheorie.
Die Frage nach der Logik der Relativitätstheorie, nach der Methode der Wiedergabe der
Wirklichkeit durch Einstein war aktuell und notwendig auch in dem Fall, wenn es keinerlei
Diskussion über Methode und Logik der Relativitätstheorie gegeben hätte. Die Diskussion
über die Logik der Relativitätstheorie trug jedoch zur tiefgründigen Erforschung der
logisch-gnoseologischen Probleme der Relativitätstheorie bei. Darin besteht ihre positive
Bedeutung.
181
Die Erforschung der logischen Probleme der Relativitätstheorie ist aktuell auch in dem
Zusammenhang, dass sie die erste physikalische Theorie des XX. Jahrhunderts ist, mit
deren Schaffung und Erarbeitung eine radikale Umwälzung alter Begriffe und
Vorstellungen in der physikalischen Wissenschaft verbunden ist. Auf dem Gebiet der
Physik ist es üblich, dass viele moderne physikalische Theorien, die mit der
Relativitätstheorie nicht unmittelbar zu tun haben, mit ihr doch dem Denkstil, der Logik
und der Methodologie nach verbunden sind. Es handelt sich darum, dass sich ihrem
Charakter, der Problemstellung, der Struktur und Methode nach die Relativitätstheorie
Einsteins wesentlich von alten, klassischen physikalischen Theorien unterscheidet. Sie
erklärt eine große Klasse physikalischer Erscheinungen, die nicht in den Rahmen früherer
physikalischer Theorien passen.
In der Entwicklung der Physik erforderten diese Erscheinungen eine grundlegende
Veränderung der alten Vorstellung von Raum und Zeit, eine radikale Revision der alten,
klassischen Denkungsart in der physikalischen Theorie. Hauptsächlich kann man hier das
Verständnis und Erfassen der elektromagnetischen Erscheinungen in beweglichen Medien
erwähnen. Im theoretischen Verständnis dieser Erscheinungen hatten sich bestimmte
Schwierigkeiten herausgebildet, die mit der Frage der Wechselbeziehungen von
elektromagnetischen Erscheinungen und Äther zusammenhängen. In der Relativitätstheorie
hat Einstein alle Schwierigkeiten, die mit diesem Problem verbunden sind, von der
Position einer neuen Methodologie aus gelöst und erklärt. In ihr sind eine revolutionär
kühne Erklärung einer großen Klasse physikalischer Erscheinungen und tiefes Verständnis
und Anwendung einer neuen Methode und Logik des Denkens vereinigt und ist ein
tiefgehender Zusammenhang solcher fundamentalen Begriffe in der Physik, wie Raum und
Zeit, Masse und Energie, Relatives und Absolutes gefunden worden, was einen radikalen
Einfluss auf die gesamte Kultur des Denkens genommen hat. „Darum ist das
Relativitätsprinzip“, schrieb Mandelstam, „über den Rahmen hinausgewachsen, der ihm
von den unmittelbaren physikalischen Aufgaben gesteckt war. Darum wurde auch die
Mechanik erfasst und schließlich die gesamte Physik. So ist das gewaltige Interesse zu
erklären, das - wie Sie wissen - die Relativitätstheorie nicht nur unter Physikern
hervorgerufen hat“.2
Bei der Analyse der Logik der Relativitätstheorie darf ebenfalls nicht vergessen werden,
dass Einstein in seiner Theorie nicht einfach alte, klare und exakte Begriffe durch neue
ersetzt hat. Einstein hat in Wirklichkeit gezeigt, dass viele Begriffe und Vorstellungen, mit
denen früher operiert wurde, abstrakt und rational waren. Vom Standpunkt der neuen
Fakten aus hielten sie keiner Kritik stand. Viele Aussagen der alten Physiker hatten, wie in
der Literatur zu Recht vermerkt wird, „überhaupt keinen Sinn, und das war hauptsächlich
der Grund für jene Missverständnisse, auf die man stieß, wenn man sich bemühte, diese
oder jene physikalische Erscheinung theoretisch zu begründen“.3
182
Verstandesmäßige und abstrakte Vorstellungen über Raum und Zeit, ihre Verabsolutierung
behinderten ernstlich das tiefe Verständnis physikalischer Probleme, die mit der
Elektrodynamik beweglicher Medien zusammenhingen und traten in Widerspruch zu exakt
festgestellten Fakten. In der Relativitätstheorie Einsteins sind alle diese Schwierigkeiten
fundamental gelöst mittels Erarbeitung eines konkreten, dialektischen Begriffes von Raum
und Zeit.
Hier ist eine gewisse Analogie mit dem konkreten, dialektischen Verständnis
philosophischer Kategorien in der Logik angebracht. In seiner grandiosen Logik hat Hegel
mit dem Prinzip der Entwicklung als Ergebnis des Widerspruchs das alte, abstrakte
Verständnis der Kategorien „umgekehrt“ verändert, das in der rationalen Philosophie
anzutreffen war. In ihr schien z. B. absolut und unzweifelhaft die Gegenüberstellung von
Zufall und Notwendigkeit, von Positivem und Negativem. Jede Seite einer paarigen
Kategorie wurde einzeln bestimmt, nicht im Verhältnis zur anderen. Aus diesem Grund
wurden der innere Zusammenhang, die Einheit von Zufälligem und Notwendigem nicht
verstanden; man betrachtete sie einfach als einander ausschließende Begriffe.
Im Gegensatz zur gesamten alten, nichtdialektischen Logik deckte Hegel die inneren
Zusammenhänge dieser Kategorien auf der Grundlage des Gesetzes von der Einheit der
Gegensätze auf. Von nun an hatten alle paarigen philosophischen Kategorien - das
Notwendige und das Zufällige, das Positive und das Negative, das Innere und das Äußere
usw. - keine wahre Bedeutung mehr in ihrer Zergliederung, sondern nur innerlich
zusammenhängend und ungetrennt.
In der Relativitätstheorie tat Einstein das Gleiche. Er tauschte radikal das alte, rationale
Verständnis von Raum und Zeit gegen ihr neues, konkretes und dialektisches Verständnis
aus. Deswegen hat die Relativitätstheorie Einstens auch so große Bedeutung für die
dialektische Logik und die moderne Denkkultur.
B. Die Lösungssuche nach Fragen der Elektrodynamik beweglicher Medien und ihre
methodologischen Mängel
Bei der Erarbeitung der Relativitätstheorie ist die Bedeutung der Erforschung optischer und
elektromagnetischer Erscheinungen in beweglichen Medien sehr groß. Die
Relativitätstheorie selbst entstand im Ergebnis der theoretischen Lösung der
Schwierigkeiten mit elektromagnetischen Erscheinungen in beweglichen Medien. Zur
Bedeutung der optischen und elektromagnetischen Erscheinungen in beweglichen Medien
bei der Schaffung der Relativitätstheorie schrieb Louis de Broglie in seinem Buch „Eine
Revolution in der Physik“: „Die Entwicklung der Relativitätstheorie begann faktisch mit
der Erforschung einiger Fragen, die mit optischen Erscheinungen zusammenhängen, die in
beweglichen Medien vor sich gehen. Fresnels Vorstellung vom Licht setzte die Existenz
des Äthers voraus, der das Weltall ausfüllt und in alle Körper dringt. Ein derartiger Äther
183
spielte die Rolle des Mediums, in welchem sich die Lichtwellen ausbreiten. Die
elektromagnetische Theorie von Maxwell schwächte seine Rolle etwas ab, da diese
Theorie nicht erfordert, dass Lichtschwankungen Schwankungen irgendeines Äthers sein
müssen. In der Theorie von Maxwell werden die Lichtschwankungen vollständig durch die
Aufgabe der Vektoren des elektromagnetischen Feldes bestimmt. Nachdem alle Versuche
der mechanistischen Interpretation der Gesetze der Elektrodynamik misslungen waren,
betrachtete man schließlich die Felder in der Theorie von Maxwell als Ausgangsbegriffe,
die es nutzlos ist, in die Sprache der Mechanik zu übersetzen. Ab diesem Moment
verschwand jegliche Notwendigkeit, die Existenz eines elastischen Mediums
vorauszusetzen, welches elektromagnetische Schwankungen überträgt, und man hätte
denken können, dass der Begriff des Äthers unnütz wird. In Wirklichkeit verhielt es sich
nicht ganz so, und die Anhänger von Maxwell, insbesondere Lorentz, waren gezwungen,
die Frage nach dem Äther neu zu stellen ... Denn die elektromagnetischen Gleichungen
von Maxwell genügten dem Relativitätsprinzip der klassischen Mechanik nicht“.4
In diesen Überlegungen von Louis de Broglie ist die gesamte historische Voraussetzung
der speziellen Relativitätstheorie erfasst.
Die große Bedeutung der Relativitätstheorie von Einstein besteht darin, dass in ihr alle
Schwierigkeiten der Erkenntnis der elektromagnetischen Erscheinungen in beweglichen
Medien begriffen und gelöst wurden, wobei von tiefgehenderen theoretischen Grundlagen
ausgegangen wurde, als das früher in der Physik der Fall war. Deshalb hat die Analyse der
hauptsächlichen theoretischen Ansichten vor Einstein große Bedeutung für das
tiefgründige Verständnis des Inhalts der Relativitätstheorie. Die kritische Analyse der
theoretischen Vorstellungen vor der Relativitätstheorie zu Problemen der Elektrodynamik
beweglicher Medien hat nicht nur historische Bedeutung, sondern ist zutiefst mit dem
Verständnis der inneren Logik dieser Theorie verbunden.
Über die Wichtigkeit und Notwendigkeit der vorhergehenden Forschungen für das
Verständnis des Wesens der Relativitätstheorie schrieb Mandelstam: „Die Kenntnis der
historischen Entwicklung irgendeiner Grundtheorie ist immer interessant und lehrreich,
jedoch nicht immer notwendig. Z. B. kann man die Wellenoptik ohne Verbindung mit der
Korpuskularoptik Newtons darlegen. In der Frage des Relativitätsprinzips ist die Situation
m. E. jedoch etwas anders, und das aus einer ganzen Reihe von Gründen. Man muss
allmählich zu den paradoxen Schlüssen der Relativitätstheorie gelangen, muss die
Unvermeidlichkeit dieser Schlüsse begreifen, muss wissen, wie die größten Gelehrten
versucht haben, diese Schwierigkeiten zu umgehen, und wie ihnen das nicht gelungen ist“.5
Die spezielle Relativitätstheorie umfasst eine große Gruppe von physikalischen
Erscheinungen, die nicht in den Rahmen alter physikalischer Theorien und Vorstellungen
hineinpassen. Hauptsächlich geht es hier um elektromagnetische Erscheinungen in
beweglichen Medien. Ende des vorigen Jahrhunderts traten sie bei der Entwicklung der
Physik als wichtigste Probleme (ein bestimmtes Sachgebiet) auf, deren theoretisches
184
Verständnis für die physikalische Wissenschaft notwendig ist. Außerdem führte die
Erforschung dieser Erscheinungen zu bestimmten Schwierigkeiten, die hauptsächlich mit
der Wechselbeziehung von Äther und elektromagnetischem Feld zusammenhängen.
Anfang des XIX. Jahrhunderts setzte sich dank der Forschungen von Jung und
insbesondere von Fresnel in der Physik die Vorherrschaft der Wellen-Theorie gegenüber
der Korpuskular-Theorie des Lichtes durch. Die Wellen-Theorie vermochte alle
Interferenz-, Diffraktions- und Polarisationserscheinungen zu erklären. Mit dem Sieg
dieser Theorie ist jedoch auch die Entstehung des Problems des Äthers verbunden, da die
Wellen-Theorie ein Medium voraussetzte, in welchem sich die Lichtwellen verbreiten.
In den Arbeiten Fresnels wird auch die Frage gestellt und untersucht, wie die
Erdumdrehung auf optische Erscheinungen einwirkt. Dieses wichtige Problem hat er auf
der Grundlage der Wellen-Theorie gelöst, die sich auf die Annahme stützte, dass der
gesamte Raum mit unbeweglichem Äther angefüllt ist. Wenn der Äther unbeweglich ist, ist
es nastürlich anzunehmen, dass sich die Bewegung in Bezug auf den Äther irgendwie auf
die optischen Erscheinungen in beweglichen Medien auswirkt. So muss sich die Brechung
des Lichtes in beweglichen Körpern von der in unbeweglichen Körpern unterscheiden.
Aber eine derartige Annahme hat sich im Versuch nicht gerechtfertigt, darum hat Fresnel
das negative Ergebnis solcher Versuche mit der Hypothese erklärt, dass der erwartete
Effekt in erster Ordnung bezogen auf
w
( w - Geschwindigkeit des beweglichen Körpers
c
in Bezug zum Äther, c - Lichtgeschwindigkeit) durch teilweises Mitreißen des Äthers von
den sich bewegenden Körpern kompensiert wird. Es wurde jedoch angenommen, dass in
zweiter Ordnung bezogen auf
w
die Versuche den Einfluss der Bewegung der Körper im
c
Verhältnis zum Äther auf die optischen Erscheinungen aufdecken müssten.
In seinen Forschungen hat Fresnel noch den wichtigen Gedanken unterstrichen, dass vom
Standpunkt der Wellen-Theorie die Lichtgeschwindigkeit nicht von der Bewegung der
Quelle abhängt, obwohl diese These bei ihm nur als Hypothese vorkommt.
Auf diese Art und Weise hat die Theorie von Fresnel scheinbar alle damals gemachten
Versuche zur Optik beweglicher Medien (sie waren alle nur erster Ordnung bezogen
auf
w
) befriedigend erklärt. Aber dieser glückliche Umstand erwies sich als nur scheinbar.
c
Die Versuche, den Äther als Körper zu charakterisieren, führten nicht zum Erfolg und
schufen für die Physik ständig neue Schwierigkeiten (in den Fragen des freien Passierens
der Planeten, der Widerspiegelung und der Brechung des Lichtes und dgl.).
Mit der Erarbeitung der elektromagnetischen Theorie von Maxwell wurde die Frage nach
der Natur des Äthers noch komplizierter, da hier das Licht als spezieller Fall
elektromagnetischer Wellen betrachtet wurde. Die mechanischen Modelle des Äthers
mussten nun nicht nur optische, sondern auch elektromagnetische Erscheinungen
185
umfassen, und die Schwierigkeiten des Äther-Problems wuchsen an. Schließlich hörten die
Physiker auf, ein mechanisches Modell des Äthers zu konstruieren, nachdem sie sich
davon überzeugt hatten, dass es unmöglich ist, Gesetze der Elektrodynamik mechanisch zu
interpretieren. Man begann, dem Äther elektromagnetische Eigenschaften zuzuschreiben,
und als hypothetisches Medium trat er in den Hintergrund.
Die Äther-Frage wurde neuerlich im Zusammenhang mit elektromagnetischen
Erscheinungen in beweglichen Medien gestellt. Die Gleichungen Maxwells bezogen sich
auf Erscheinungen in ruhenden Körpern, die Versuche von Rowland, Röntgen,
Eichenwald, Wilson und anderen brachten neue Effekte in elektromagnetischen
Erscheinungen in beweglichen Medien zutage. Außerdem entstand die Frage: Welchen
Einfluss hat die gleichmäßige Vorwärtsbewegung der Erde auf elektromagnetische
Erscheinungen? Es gab Versuche von Röntgen, Rankine und anderen, die negative
Ergebnisse brachten, was den Einfluss der Erdumdrehung betraf. So entstand die
Notwendigkeit, eine Theorie der elektromagnetischen Erscheinungen in beweglichen
Medien zu schaffen. Mit anderen Worten - es bestand ein sehr reales Problem: Wie können
die Gleichungen von Maxwell auf bewegliche Körper angewendet werden? Während
diese Gleichungen im unbeweglichen Koordinatensystem bekannt sind, ist unklar, wie sie
in einem anderen System aussehen, das sich im Verhältnis zum ersteren geradlinig und
gleichmäßig bewegt.
Die zweite Frage ist nicht nur für elektromagnetische Erscheinungen spezifisch, sie ist auf
bestimmte Weise auch in der Mechanik untersucht worden. Es wurde festgestellt, dass
mechanische Erscheinungen in Inertialsystemen gleichartig ablaufen (Relativitätsprinzip
von Galilei). Das erhielt seinen mathematischen Ausdruck in der Invarianz der
Gleichungen Newtons im Verhältnis zu den Transformationen von Galilei:
 /
 x  x  wt
/
t  t
die als Verkörperung der Anschauung Newtons zu Raum und Zeit galten.
In der Mechanik wurden das Relativitätsprinzip und die Invarianz der Transformationen
von Galilei identifiziert. Die Invarianz ist eng mit der Vorstellung von der Homogenität
und dem isotropen Charakter des Raumes verbunden. Die Invarianz „besteht darin, dass,
wenn ich den untersuchten Körper im neuen Koordinatensystem genau so unterbringe, wie
früher im alten, die Gleichungen im neuen System mit den Gleichungen im alten identisch
sind. Darin besteht gerade die Homogenität und der isotrope Charakter des Raumes, und
ihr Vorhandensein erfordert, dass ein und der gleiche Versuch in verschiedenen
Koordinatensystemen wiederholt werden kann“.6 Wenn z. B. ein Punkt im Verhältnis zu
dem einen System ruht und sich im Verhältnis zu dem anderen System bewegt, spielt hier
der Unterschied von Anfangsbedingungen eine Rolle. Wenn sie in beiden Systemen gleich
gefasst sind, werden auch die Bewegungen identisch sein. Folglich existiert eine endlose
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Anzahl von Systemen, die sich geradlinig und gleichmäßig im Bezug zur Ausgangsstellung
(und zueinander) bewegen, in denen die Gesetze der Mechanik identisch sind. Unter diesen
Systemen gibt es kein irgendwie herausgehobenes. Wenn so ein Bezugssystem existierte
und die Gleichungen Newtons nur in diesem System richtig wären, gäbe es unbedingt die
absolute Bewegung.
Kehren wir nun zur Elektrodynamik beweglicher Körper zurück. Den ersten Versuch in
Richtung der Verallgemeinerung der Gleichungen von Maxwell für bewegliche Körper
machte bekanntlich H. Hertz. Er bemühte sich, Gleichungen zu erhalten, die in Bezug zu
den Transformationen Galileis invariant sind, d. h. das Relativitätsprinzip auch für
elektromagnetische Erscheinungen zu erhalten. Aber der Versuch von Hertz war nicht von
Erfolg gekrönt. Die Gleichungen von Hertz waren nicht nur invariant in Bezug zu den
Transformationen von Galilei, sondern auch bezüglich jeder beliebigen Bewegung des
untersuchten Systems. Die Analyse der Gleichungen von Hertz führt außerdem zu dem
Standpunkt von der vollständigen Mitführung des Äthers, was der Erscheinung der
Aberration und dem Versuch von Fizeau widerspricht. Über die Ergebnisse der Theorie
von Hertz schrieb Mandelstam: „Die riesige Zahl von Versuchen zeigt, dass sich die
Vorwärtsbewegung der Erde wirklich nicht auf elektromagnetische Erscheinungen
auswirkt, und hier steht scheinbar alles zum Besten. Aber die Theorie von Hertz geht
weiter: Ihre Gleichungen sind invariant bei jeglicher Bewegung des Systems als fester
Körper. Es gibt jedoch eine ganze Reihe von Versuchen mit Körpern, die sich im
Verhältnis zur Erde bewegen (die Versuche von Fizeau, Eichenwald, Wilson u. a.), die die
Theorie von Hertz nicht bestätigen, durch sie entweder gar nicht oder nur qualitativ erklärt
werden; quantitativ ergibt sich ein für die Theorie typisches Auseinandergehen“.7
In der weiteren Entwicklung der Physik zog man aus der Theorie von Hertz den Schluss,
dass das Relativitätsprinzip in der Elektrodynamik keinen Platz hat, da seine Zulassung zu
einem vollständig mitgerissenen Äther führt. H. A. Lorentz hat sich bewusst vom
Relativitätsprinzip bei der Verallgemeinerung der Maxwell-Gleichungen für bewegliche
Körper losgesagt. Er postuliert die Existenz eines alles durchdringenden, homogenen,
isotropen und unbeweglichen Äthers. Das mit dem Äther zusammenhängende
Bezugssystem ist ein ausgewähltes und vorherrschendes System. Deshalb hat in Bezug auf
den Äther die absolute Bewegung einen Sinn. Der Äther unterscheidet sich laut Lorentz
von einem gewöhnlichen Stoff, da er niemals in Bewegung versetzt wird und weder
Geschwindigkeit noch Beschleunigung besitzt. Deshalb darf man nicht von der Masse des
Äthers oder von auf ihn angewendeten Kräften sprechen. In der Theorie von Lorentz tritt
der Äther nur als Überträger aller Kräfte auf, die auf einen Stoff einwirken:
elektromagnetischer, molekularer, Anziehungskräfte u. a. Der Stoff besteht aus positiv und
negativ geladenen Teilchen. Mit der Verteilung und Bewegung von Elektronen bemüht
sich Lorentz, alle elektromagnetischen und optischen Erscheinungen zu erklären, die im
unbeweglichen Äther vor sich gehen.
187
Für den reinen Äther behält Lorentz die Maxwellsche Gleichung für das Vakuum bei,
verfasst dann ein System von Differentialgleichungen für den Fall, dass Ladungen
vorhanden sind, die sich im Verhältnis zum Äther bewegen. Zu diesem Gleichungssystem
fügt er einen Ausdruck für die Dichte der Kraft hinzu, die auf die sich bewegenden
Ladungen einwirkt. Da in ihnen schon die Bewegung berücksichtigt ist, sollten diese
Gleichungen alle elektromagnetischen Erscheinungen, darunter auch die in beweglichen
Medien, erklären. Es muss nochmal betont werden, dass Lorentz seine Theorie
hauptsächlich für bewegliche Körper geschaffen hat. Er schrieb: „Elektromagnetische und
optische Erscheinungen in Systemen, die eine Vorwärtsbewegung haben - und das sind
wegen der Jahres-Umdrehung der Erde alle Körper auf der Erde - sind von großem
Interesse nicht nur an und für sich, sondern auch deshalb, weil sie uns die Möglichkeit
geben, verschiedene Theorien der Elektrizität zu überprüfen. Die Elektronen-Theorie
wurde zum Teil mit dem speziellen Ziel entwickelt, auch diese Erscheinungen zu
erfassen“.8
Bei der Mittelwertbildung der Gleichungen, die für ein echtes
mikroskopisches Feld geschrieben wurden, erhält Lorentz eine Gleichung für
makroskopische Größen, mit denen er es gewöhnlich bei Messungen zu tun hat. Für
unbewegliche Körper fielen sie mit den Gleichungen von Maxwell zusammen und
erklärten die elektromagnetischen und optischen Versuche (Röntgen, Wilson, Fizeau u. a.)
in beweglichen Körpern.
Die Gleichungen von Lorentz sind in Bezug auf die Transformationen von Galilei nicht
invariant. Das ist unmittelbar daraus ersichtlich, dass sie nicht mit den Gleichungen von
Hertz übereinstimmen, bezüglich derer bewiesen worden war, dass sie die einzigen sind,
die die Anforderungen erfüllen: 1) sich für ruhende Körper in Gleichungen von Maxwell
umzuwandeln und 2) invariant in Bezug auf die Transformationen von Galilei zu sein.
Aus der Theorie von Lorentz folgte, dass die Bewegung der Erde im Prinzip schon in der
ersten Ordnung bezogen auf
w
Einfluss haben muss, während die Versuche der ersten
c
Ordnung die Unabhängigkeit elektromagnetischer Erscheinungen von der Erdumdrehung
gezeigt haben. Dessen ungeachtet zeigte Lorentz für jeden derartigen Versuch, dass der
vorhergesagte Einfluss aus Teilen besteht, die in der ersten Ordnung
einander kompensieren. „H. A. Lorentz hat in seiner in höchstem Maße scharfsinnigen
Untersuchung gezeigt, dass die relative Bewegung in der ersten Annäherung keinen
Einfluss auf die Richtung der Strahlen bei beliebigen optischen Experimenten hat“,9
schrieb Einstein aus diesem Anlass.
Lorentz gibt sich damit nicht zufrieden und schreibt aus rein mathematischen
Überlegungen Transformationen:
188



r  r  wt ,

 /
( w, r )

t  t  c ,

/
/
/
/
2

in Bezug auf welche unter der Bedingung:


 1  
Å /  E  w, H
c
/  1  
H  H  E, w
c

mit einer Genauigkeit bis zur ersten Ordnung bezogen auf
Lorentz in den neuen Variablen

r/
und

w
die Gleichungen von
c
t / ähnlich wie die Maxwellschen sind. Bei Feheln
von Leitungsströmen haben die Gleichungen durchaus ein Maxwellsches Aussehen. Diese
Transformationen waren für Lorentz nur ein rein mathematisches Verfahren, dass ihm die
Berechnungen erleichterte.
Physikalischen Sinn haben laut Lorentz nur
Variablen

r
und
t , und nicht
/  /
E ,H
und

E
und

H
in der Funktion von den
t/ .
Nach der Theorie von Lorentz müssen die Versuche der zweiten Ordnung bezogen
auf
w
den Einfluss der Erdbewegung auf elektromagnetische Erscheinungen zeigen. Wie
c
aber der Versuch von Michelson gezeigt hat, der der erste Versuch der zweiten Ordnung
war, existiert ein solcher Einfluss nicht. Der Versuch von Michelson wurde mehrmals
wiederholt, brachte aber nicht den erwarteten Effekt. Auch andere Versuche der zweiten
Ordnung (Experimente zur doppelten Strahlenbrechung in durchsichtigen Körpern, die
durch die Bewegung der Erde bedingt ist) bestätigten das Ergebnis des Versuches von
Michelson. „Es blieb nur ein optisches Experiment übrig“, schrieb Einstein und meinte
damit den Versuch von Michelson, „bei dem die Methode so empfindlich war, dass der
negative Ausgang des Versuches sogar vom Gesichtspunkt der theoretischen Analyse von
H. A. Lorentz aus unverständlich war“.10
Der Versuch von Michelson hat also die Theorie von Lorentz nicht bestätigt. Aber Lorentz
stellt, um seine Theorie zu retten, die Hypothese von der Längsverkürzung der Größe
beweglicher Körper auf, die den Versuch von Michelson erklärt hätte. Tatsächlich zeigen
die Berechnungen, dass bei der Annahme, dass sich der Körper in Bewegungsrichtung im
Verhältnis
l2
w2
 1 2 ,
l1
c
189
wo
l2
 die Größe des beweglichen und
l1  die Größe des ruhenden Körpers ist,
verkürzt und das Ergebnis des Versuches von Michelson durchaus mit der Theorie von
Lorentz übereinstimmt. Aber die Hypothese von der Verkürzung, die schon von Fitzgerald
aufgestellt worden war, entspringt nicht aus der Theorie, trägt künstlichen Charakter.
Lorentz schrieb: „ Diese Hypothese stellt sich auf den ersten Blick zweifellos etwas
seltsam dar, wir kommen aber schwer ohne sie aus, wenn wir auf dem unbeweglichen
Äther bestehen. Ich denke, wir können sogar behaupten, dass bei dieser Annahme der
Versuch von Michelson die Existenz der erwähnten Veränderung der Größe des Körpers
beweist“.11
Im Weiteren hat sich Lorentz bemüht, diese Hypothese mit physikalischem Inhalt zu füllen
und sie, ausgehend von seiner Theorie, zu begründen. Dabei hat er sehr viel für die
Verbreitung der Ideen der Relativitätstheorie getan. Laut Lorentz müssen sich die
Moleküle im Gleichgewicht befinden, damit ein Körper eine bestimmte Länge hat. Dieses
Gleichgewicht wird nicht nur durch elektromagnetische Kräfte erreicht, sondern auch
durch intermolekulare Kräfte. „Wir verstehen die Möglichkeit der postulierten
Größenveränderung,“ schrieb Lorentz, „wenn wir uns daran erinnern, dass die Form eines
festen Körpers von Kräften abhängt, die zwischen seinen Molekülen wirken und dass diese
Kräfte höchstwahrscheinlich durch den sie umgebenden Äther so ähnlich übertragen
werden, wie sich elektromagnetische Handlungen durch dieses Medium ausbreiten. Von
diesem Gesichtspunkt aus ist es natürlich anzunehmen, dass die molekularen Anziehungen
und Abstoßungen, ähnlich wie die elektromagnetischen Kräfte eine gewisse Veränderung
erfahren, wenn dem Körper eine bestimmte Vorwärtsbewegung gegeben wird; im Ergebnis
kann äußerst leicht eine Veränderung der Größe des Körpers erfolgen“.12
Im Verlaufe der Begründung seiner Hypothese gibt Lorentz seinen oben angeführten
Transformationen folgendes Aussehen (1904):
x/ 
x  wt
1
w
2
w
2
t
,
y /  y,
z /  z,
wx
t/ 
1
c2 ,
w2
c2
in denen die Größenveränderung des Körpers schon berücksichtigt ist und in denen die
elektromagnetischen Gleichungen noch invarianter sind. Später haben sich diese
Transformationen, die Poincaré
„Lorentz-Transformationen“ genannt hat, in der
Relativitätstheorie erhalten und dort ihre physikalische Deutung bekommen. Laut Lorentz
haben sie jedoch keinen physikalischen Sinn. Physikalischen Sinn haben nur die „Galilei190
Transformationen“; die Koordinaten
x / , y / , z / nennt Lorentz „effektiv“, und die Zeit t /
nennt er im Unterschied zur echten Zeit
t
„Ortszeit“. Später hat Lorentz aus diesem
Anlass selbst geschrieben: „Der Hauptgrund für meinen Misserfolg lag darin, dass ich
/
immer den Gedanken verfolgt habe, dass nur die Variable t als echte Zeit betrachtet
werden kann und meine Ortszeit t’ nichts weiter als eine mathematische Hilfsgröße ist“.13
Die Bedeutung der Arbeiten von Lorentz für die Schaffung der Relativitätstheorie ist sehr
groß. M. Born schrieb: „Die wichtigen Artikel von Lorentz aus den Jahren 1892 und 1895
zur Elektrodynamik beweglicher Körper enthalten einen bedeutenden Teil des
mathematischen Apparates der Relativitätstheorie. Seine grundlegenden Annahmen waren
jedoch von vollkommen nichtrelativistischem Charakter. Er nahm an, dass ein vollständig
ruhender Äther existiert, eine gewisse Form der „Materialisierung“ des Newtonschen
absoluten Raumes, er übernahm auch die absolute Zeit von Newton“.14
Die Physiker der damaligen Zeit verstanden, dass die Theorie von Lorentz ungenügend ist.
So sprach Poincaré die Idee aus, dass das negative Ergebnis des Versuches von Michelson
auf der Grundlage allgemeiner Prinzipien erklärt werden muss. Er schrieb 1905, wenige
Monate vor dem Erscheinen der ersten Arbeit Einsteins zur Relativitätstheorie, den Artikel
„Über die Dynamik des Elektrons“, in dem er das „Postulat der Relativität“ auch für
elektromagnetische Erscheinungen ausspricht. Er konnte aber genau so wie Lorentz nicht
über den Rahmen der Anschauung Newtons zu Raum und Zeit hinausgehen und die
Transformationen von Lorentz richtig physikalisch erklären. Über die Bedeutung der
Arbeiten von Lorentz und Poincaré schrieb Einstein: „Schon Lorentz hat bemerkt, dass für
die Analyse der Maxwellschen Gleichungen die Transformationen wichtig sind, die später
unter seinem Namen bekannt wurden, und Poincaré hat dieses Wissen noch vertieft“.15
Die Relativitätstheorie von Einstein hat radikal alle Schwierigkeiten mit der
Elektrodynamik beweglicher Körper gelöst. Einstein hat gezeigt, dass die
Transformationen von Lorentz das Wesen von Raum und Zeit berühren und dass die
„Lorentz-Invarianz“ die allgemeine Bedingung für jede beliebige physikalische Theorie ist.
B. Darstellung des Ursprungs der Theorie
Wie die historische Analyse gezeigt hat, waren in der Physik vor Einstein Fresnel, Hertz,
Lorentz und Poincaré bestrebt, optische und elektromagnetische Erscheinungen in
beweglichen Systemen theoretisch wiederzugeben. Ihre Thesen wurden durch Experimente
widerlegt. Die Hypothese von Hertz widersprach dem Versuch von Fizeau, der davon
zeugte, dass es keine vollständige Mitführung des Äthers gibt, sondern nur eine teilweise.
Die Theorie von Lorentz wurde durch den Versuch von Michelson widerlegt.
Diese Theorien enthielten auch methodologische Unzulänglichkeiten. Wie Louis de
Broglie richtig bemerkte, wurden die optischen und elektromagnetischen Erscheinungen
191
vor der Relativitätstheorie nicht als prinzipiell selbständige Erscheinungen betrachtet, die
ihren immanenten Gesetzmäßigkeiten untergeordnet sind. In ihnen wurde die
Substanzionalität des Feldes und die Unnötigkeit, sie in die Sprache der Mechanik zu
übersetzen, ungenügend unterstrichen. Deshalb nahmen in den Hypothesen zur
Elektrodynamik das Verhältnis zum Äther und sein Verständnis einen wichtigen Platz ein.
Freilich hat man sich seit Maxwell immer weniger an die mechanische Charakteristik des
Äthers gehalten. Die Entwicklung des physikalischen Gedankens und der Experimente
überzeugte von der Unhaltbarkeit der mechanischen Auslegung der elektromagnetischen
Erscheinungen. Zu dieser Frage schrieb Broglie: „Der Äther war für sie schon kein
elastisches Medium mehr mit besonderen Eigenschaften, das in der Lage ist,
Lichtschwankungen zu übertragen. Es wurde zu einem gewissen abstrakten, äußerst
konventionellen Medium, das nur zur Fixierung der Bezugssysteme diente, in denen die
Gleichungen der Elektrodynamik von Maxwell berechtigt sind ... Wenn sich die Sache so
verhält, würde ein bestimmtes Medium existieren, das das gesamte Weltall ausfüllt, ein
derartiges Medium, dass die Maxwellschen Gleichungen nur in einem mit ihm
zusammenhängenden Bezugssystem Berechtigung haben. Eben mit diesem Bezugssystem
haben die Anhänger von Maxwell den Begriff des Äthers assoziiert“.16
Der Begriff des Äthers blieb in diesen physikalischen Theorien jedoch erhalten. Das
Bezugssystem, das mit dem Äther zusammenhing, wurde als vorherrschend ausgelegt.
Deshalb kam ein wirklicher Fortschritt auf dem Gebiet des physikalischen Gedankens erst
mit Einstein zustande, der sich kategorisch von jeglichem Äther lossagte. In seiner Arbeit
„Der Äther und die Relativitätstheorie“ schrieb er: „Das elektromagnetische Feld ist eine
primäre, auf nichts zurückzuführende Realität, und deshalb ist es völlig überflüssig, auch
noch die Existenz eines homogenen isotropen Äthers zu postulieren und sich das Feld als
Zustand dieses Äthers vorzustellen“.17
Eine solche prinzipielle Negierung des Äthers und die selbständige Betrachtung des
elektromagnetischen Feldes hatte große Bedeutung bei der Genesis der Relativitätstheorie,
da die Festlegung eines Sachgebietes (des Ganzen) eine wichtige Bedingung der
wissenschaftlichen Erkenntnis ist. In der Physik hat nur die substantielle Betrachtung des
elktromagnetischen Feldes (des Sachgebietes), seine Nichtrückführbarkeit auf den Äther
die Möglichkeit gegeben, die Prinzipien der theoretischen Wiedergabe elektromagnetischer
Erscheinungen in beweglichen Systemen richtig zu verstehen. Eine derartige Betrachtung
ist theoretisch (methodologisch) richtig, da verschiedene Systeme ihre spezifischen,
innerlich zusammenhängenden Gesetzmäßigkeiten haben.
Z.B. ordnet sich das soziale Leben anderen Gesetzmäßigkeiten unter als die organische
Natur. Das soziale Leben selbst bildet auch eine Hierarchie der Systeme, die nicht
aufeinander zurückgeführt werden können. Das ist auch zutreffend für eine allgemeine
Theorie. So existiert die Materie in spezifischen Formen: physikalisch, chemisch usw. Jede
ihrer bestimmten Formen hat ihre Substanz, die nicht auf andere Formen der Existenz der
192
Materie zurückführbar ist. Die gnoseologische Grundlage für den Misserfolg der Theorien
von Fresnel, Hertz und Lorentz ist die, dass sie nicht konsequent den Gedanken von der
Substantionalität des elektromagnetischen Feldes umsetzen konnten.
Diese methodologische Unzulänglichkeit ist eng mit einem anderen vor der
Relativitätstheorie vorherrschenden rationalen, einseitigen Verständnis von Raum und Zeit
verbunden. Raum und Zeit galten damals als absolute, nicht zusammenhängende Wesen.
Die Transformationen Galileis wurden als unumstößliche Verkörperung dieser Ansicht
über Raum und Zeit verstanden. Die Maxwellschen Gleichungen sind jedoch im Verhältnis
zu den Transformationen Galileis nicht invariant. Da die Invarianz bezüglich der
Transformationen Galileis mit dem Relativitätsprinzip identifiziert wurde, wurden die
Schlüsse aus den Maxwellschen Gleichungen als Negation des Relativitätsprinzips
ausgelegt. Deshalb wurde das vorherrschende Bezugssystem anerkannt, das mit dem
unbeweglichen Äther assoziiert wurde. Der Äther war für die Physiker jener Zeit, wie M.
Born zutreffend bemerkte, „eine bestimmte Form der „Materialisierung“ des absoluten
Raumes von Newton“.18
Diese Anschauung von Raum und Zeit ließ auch auf andere Art das Relativitätsprinzip
nicht vorankommen. Aus der Theorie von Maxwell-Lorentz ging hervor, dass die
Lichtgeschwindigkeit im Vakuum nicht von der Bewegung der Quelle abhängt. Aber nach
dem Gesetz der Addition der Geschwindigkeiten, das aus dem Newtonschen Verständnis
von Raum und Zeit folgte, hat dieses Gesetz der Ausbreitung des Lichtes keinen Platz in
anderen Systemen, die sich geradlinig und gleichmäßig im Verhältnis zum Äther bewegen.
Hier wird das Gesetz der Unabhängigkeit der Lichtgeschwindigkeit von der Bewegung der
Quelle als etwas Unvereinbares mit dem Relativitätsprinzip betrachtet. Angesichts dessen,
dass die Negation des ersteren zur Negation der gesamten Theorie von Maxwell-Lorentz
führte, waren die Physiker geneigt, das Relativitätsprinzip zu negieren. Niemand von den
Physikern vor Einstein lehnte das Verständnis Newtons von Raum und Zeit, die
Transformationen Galileis ab. Sogar, als es neue Transformationen gab (die
Transformationen von Lorentz), verstanden die Physiker nicht ihren Zusammenhang mit
dem Verständnis von Raum und Zeit.
Eine andere wichtige theoretische Unzulänglichkeit der Theorie von Lorentz und Hertz ist
das Nichtverstehen des dialektischen Zusammenhangs des Allgemeinen, Besonderen und
Einzelnen beim Aufbau des theoretischen Wissens. In der Physik jener Zeit existierte
einerseits das klassische Relativitätsprinzip als theoretisches Ergebnis einer riesigen Zahl
von Fakten, andererseits existierte der Fakt der Endlichkeit der Lichtgeschwindigkeit, der
elektromagnetischen Strahlungen. Vor Einstein sahen hier viele Physiker eine Antinomie.
Sie erörterten, ob das Relativitätsprinzip oder die Beständigkeit der Lichtgeschwindigkeit
richtig sei. In Wirklichkeit war das der Widerspruch zwischen Allgemeinem und
Einzelnem, zwischen Substanz und Erscheinungsformen.
193
Hertz versuchte in seiner Theorie, ausgehend vom Allgemeinen, dem Relativitätsprinzip
mit Hilfe der Gleichungen von Maxwell-Hertz alles Einzelne auf dem Gebiet der
Elektrodynamik zu erklären. Aber die Theorie von Hertz scheiterte, weil in seinem
Verständnis das Relativitätsprinzip mechanisch auf das Gebiet der Elektrodynamik
übertragen wird. Wenn man eine Analogie mit der Geschichte der politischen Ökonomie
anstellt, geht Hertz ungefähr so vor, wie seinerzeit Ricardo, der konkrete Formen (Profit,
Zinsen usw.) unmittelbar aus der Substanz (dem Wert) ableiten wollte. Hertz ist in seiner
Theorie ebenfalls nicht in der Lage, die Widersprüche zu lösen, wie damals Ricardo in der
politischen Ökonomie. Hertz beachtet nicht die Einheit von Allgemeinem, Besonderem
und Einzelnem und führt dem Wesen nach das Einzelne auf das Allgemeine zurück. Es
kommt keine konkrete, dialektisch-logische Deduktion heraus, sondern eine metaphysische
Reduktion (Rückführung) und das Aufgehen des Einzelnen im Allgemeinen.
In der Theorie von Lorentz stellte sich ein anderes Extrem heraus. Während er das
Einzelne unmittelbar, mechanisch auf das Allgemeine zurückführte, versteht Lorentz den
Misserfolg der Theorie von Hertz als wichtiges Argument gegen das Relativitätsprinzip. In
dieser Theorie wird überhaupt das Allgemeine zugunsten des Einzelnen negiert. Die
Unmöglichkeit der unmittelbaren Ableitung des Einzelnen aus dem Allgemeinen wird als
Mangel, als Schwäche des Allgemeinen ausgelegt.
In der Relativitätstheorie sind die hauptsächlichsten theoretischen Mängel der
vorhergehenden Theorien prinzipiell überwunden. Vor allem hat Einstein, wie schon
gezeigt, deutlich das Sachgebiet herausgestellt und betrachtete, ausgehend vom Versuch
Michelsons, die elektromagnetischen Erscheinungen gesondert. „Die Situation,“ schrieb
M. Born, „klärte sich erst dann auf, als Einstein die Unmöglichkeit der Beobachtung des
Äthers als Ausgangspunkt betrachtete und die Tatsache, dass die Lichtgeschwindigkeit
nicht von der Bewegung des Beobachters abhängt, zum Prinzip erhob“.19
Bei der Begründung des Relativitätsprinzips, bei der Entdeckung des ursprünglichen
Ganzen hatte der Versuch von Michelson fundamentale Bedeutung; er hatte ihn mit dem
Ziel unternommen, die absolute Bewegung der Erde im Verhältnis zum homogenen,
isotropen unbeweglichen Äther aufzudecken. Das negative Ergebnis dieses Versuches
bemühte sich Lorentz künstlich zu erklären und erdachte sich für diesen Fall eine
Hypothese. Im Unterschied zu Lorentz betrachtete Einstein die Ergebnisse des Versuches
von Michelson als Ausgangspunkte. Er war der Ansicht, dass Michelson in seinem
Versuch den Äther deswegen nicht entdeckt hatte, weil es gar keinen Äther gibt. In diesem
Falle zeigte sich der methodologische Vorzug des Einsteinschen Herangehens an
physikalische Erscheinungen. Ähnlich der Bedeutung, die die Erforschung des englischen
Kapitalismus in der Theorie von Marx hatte, ist die Bedeutung des Versuches von
Michelson für die Theorie von Einstein. Im englischen Kapitalismus zeigten sich viele
Zusammenhänge, die für den Kapitalismus typisch sind in entwickelter Form und erhielten
ihren adäquaten Ausdruck, und diejenigen Zusammenhänge, die äußerlich waren, haben
194
sich nicht erhalten, sind verschwunden. So verhält es sich auch mit dem Experiment von
Michelson. Viele angenommene Bestimmtheiten elektromagnetischer Erscheinungen in
beweglichen Medien traten bei diesem Experiment nicht zutage. Das betrifft vor allem den
Äther. Dafür diente das Experiment aber als Grundlage für die Anerkennung der
Richtigkeit des Relativitätsprinzips und die Beständigkeit der Lichtgeschwindigkeit.
Die Untersuchung des am meisten entwickelten Objektes hat fundamentale Bedeutung für
die logische Theorie von Marx, in der das Prinzip der Entwicklung beachtet wurde. Das
dialektisch-logische Prinzip des Wissensaufbaus (die Methode des Aufstiegs vom
Abstrakten zum Konkreten) ist das adäquate Prinzip der Erkenntnis des sich entwickelnden
organischen Objektes. Darum entsteht die Frage nach der Anwendbarkeit dieser Methode
in der Physik, da die physikalische Theorie es hauptsächlich mit einem Objekt zu tun hat,
das an sich relativ beständig ist. Im Unterschied zu organischen und sozialen Systemen
gibt es in der Physik bestimmte Schwierigkeiten bei der Anwendung des Begriffes der
Entwicklung.
Tatsächlich hat sich seit A. Smith und D. Ricardo nicht nur unser Wissen über den
Kapitalismus verändert, sondern der Kapitalismus selbst hat sich wesentlich verändert. Das
hat in der theoretischen Analyse von Marx eine große Bedeutung. Während der
Kapitalismus damals eine embryonale Form hatte und viele seiner Bestimmtheiten das Sein
an sich darstellten, hat er im XIX. Jahrhundert in Form des englischen Kapitalismus seine
Reife erreicht. Deshalb erforscht und analysiert Marx entsprechend seiner logischen
Methode die entwickelte Form des Kapitalismus, d. h. den englischen. Gerade dabei hat er
die tiefen Gesetzmäßigkeiten des Kapitalismus an den Tag gebracht.
Im „Kapital“ ist das alles verständlich. Kann die logische Methode von Marx auch bei der
Erforschung der physikalischen Realität angewandt werden? Es ist doch so, dass sich die
Natur der elektromagnetischen Erscheinungen und ihr Verhalten in beweglichen Systemen
seit Galilei, Newton, Fresnel und Maxwell fast nicht verändert hat. Auf diese Frage muss
man positiv antworten. Während sich die elektromagnetischen Erscheinungen und die
Gesetzmäßigkeiten ihres Verhaltens nicht geändert haben, haben sich jedoch ernsthaft ihre
Erscheinungsformen in Experimenten geändert, sind vollständiger geworden. Die
Entwicklung und Veränderung unseres Wissens über den Gegenstand spiegelt den
Charakter der Veränderung und Entwicklung des Experimentes wider. Der
Hauptunterschied besteht hier in der Vollständigkeit des Experimentes, in dem empirisch
und real elektromagnetische Erscheinungen in beweglichen Medien zu beobachten waren,
z. b. in den Versuchen von Fizeau, Michelson u. a.
Über die Spezifik physikalischer Forschungen schrieb Marx im „Kapital“: „Der Physiker
beobachtet entweder die Prozesse der Natur dort, wo sie in deutlichster Form zutage treten
und von störenden Einflüssen am wenigsten verdunkelt werden, oder, falls das möglich
sein sollte, führt ein Experiment unter Bedingungen durch, die den Verlauf der Prozesse in
reiner Form absichern. Der Forschungsgegenstand in meiner Arbeit ist die kapitalistische
195
Produktionsweise und die ihr entsprechende Beziehung von Produktion und Tausch. Das
klassische Land dieser Produktionsweise ist bisher England. Darin liegt der Grund, warum
es als hauptsächliche Illustration für meine theoretischen Schlüsse dient“.20
Das alles zeugt davon, dass Veränderung und Entwicklung nicht nur der gesellschaftlichen
Realität eigen sind, sondern auch charakteristisch für physikalische Erscheinungen. Die
Besonderheit dieses Problems in der Physik besteht darin, dass sich der Begriff
Entwicklung hauptsächlich auf das Experiment bezieht. Obwohl die physikalischen
Prozesse an sich, darunter auch die elektromagnetischen Erscheinungen, verhältnismäßig
stabil sind, treten sie als Objekt, als Forschungsgegenstand auf den unterschiedlichsten
Ebenen in Abhängigkeit von der Entwicklung des Experimentes auf. Deshalb muss man
deutlich das Sein physikalischer Erscheinungen an sich und ihre objektische
(gegenständliche) Entdeckung im Experiment unterscheiden.
Wenn man diese in nötigem Maße beachtet, gibt es zweifellos etwas Gemeinsames
zwischen organischen, sozialen Objekten und physikalischen Erscheinungen. Organische
und soziale Objekte entwickeln sich und zeigen dadurch klar, was für sie innere und was
nur nebensächliche, äußere Bedeutung hat. Die verbreiteten Behauptungen, dass der
Gegenstand der Naturwissenschaften immer ein und derselbe ist, lassen scheinbar den
Irrtum zu, der von der Identifizierung des Seins des Gegenstandes mit seinem Objektsein
hervorgerufen wird. Aus dem Gesagten ergibt sich der Schluss, dass die logische Methode
von Marx und die Analyse der klassischen Form des Objektes auch auf dem Gebiet der
Physik anwendbar sind.
Den Versuch von Michelson muss man als entscheidendes Experiment bei der Schaffung
der Relativitätstheorie von Einstein betrachten. diese Behauptung ist freilich nicht
allgemein anerkannt. So bestreitet M. Born die Bedeutung des Versuches von Michelson
als grundlegend bei der Genesis der Relativitätstheorie deshalb, weil Einstein ihn nicht in
seiner ersten Arbeit zur Realtivitätstheorie erwähnt. Er meint, „den Weg haben Einstein
offensichtlich eher die Gesetze der elektromagnetischen Induktion gewiesen, als das
Experiment von Michelson“.21
Eine solche Behauptung kann man nicht als richtig
ansehen, weil Einstein schon damals die Arbeiten von Lorentz aus den 90-er Jahren des
XIX. Jahrhunderts kannte, in denen die Untersuchung des Versuches von Michelson einen
zentralen Platz einnimmt. Wie bekannt, hat gerade der Versuch von Michelson der Theorie
von Lorentz den entscheidenden Schlag versetzt und die Bedingungen für ein neues
theoretisches Suchen geschaffen. Jedes, auch das wichtigste Experiment führt jedoch nicht
automatisch zu einer neuen Theorie. Nach dem Versuch von Michelson (1881) vergingen
mehr als 20 Jahre, ehe die Relativitätstheorie geschaffen wurde. Zum Moment ihrer
Enstehung (1905) wurde augenscheinlich ihr Zusammenhang mit dem Versuch von
Michelson ungenügend betont, obwohl später Einstein diesem Versuch die ihm gebührende
Bedeutung beimaß.22
196
Bei der Schaffung und Begründung einer Theorie ist die Rolle des Experimentes sehr groß.
Gerade die Experimente haben die elektromagnetischen Erscheinungen als selbständige
Realität, als ursprüngliches Ganzes zutage gefördert. Aber ihre Bedeutung bei der
Schaffung der Theorie ist unterschiedlich. Das Verhältnis der Versuche zweiter Ordnung
zu den Versuchen erster Ordnung ist das gleiche, wie das Verhältnis der entwickelteren
Form des Kapitalismus zur weniger entwickelten. Tatsächlich, die Versuche der ersten
Ordnung wurden sowieso von der Theorie von Lorentz erfasst, die einen unbeweglichen
Äther zuließ, während der Versuch von Michelson diese Theorie und den Äther ablehnte.
Lorentz versuchte, den Versuch von Michelson und seine Theorie miteinander zu
versöhnen und stellte dabei die Hypothese von der Verkürzung auf. Ein Blick zurück
erlaubt uns die Bemerkung, dass Lorentz nicht die ganze Bedeutung des Versuches von
Michelson erkannt hat. Er stellte ihn sozusagen in die Reihe der Versuche der ersten
Ordnung. Einstein dagegen stützt sich prinzipiell auf die Daten des entscheidenden
Experimentes. Der Versuch von Michelson hat für ihn die gleiche Bedeutung wie der
englische Kapitalismus für den Aufbau der Theorie von Marx. Einstein empfand nicht
einfach alle Experimente sowohl der ersten als auch der zweiten Ordnung als das Gleiche,
sondern ging vom entwickeltsten Versuch, dem Experiment von Michelson aus. In ihm
erscheint kein Äther, und Einstein konstatiert prinzipiell diese Situation.
In der Relativitätstheorie ist auf diese Weise ganz klar der Gedanke herauskristallisiert,
dass der Äther im entscheidenden Experiment deshalb nicht entdeckt wurde, weil es ihn in
der Natur gar nicht gibt. „In dieser Frage“, schrieb Einstein in der Arbeit „Äther und
Relativitätstheorie“, „kann man folgenden Standpunkt einnehmen: Es gibt keinen Äther.
Elektromagnetische Felder sind keine Zustände eines bestimmten Mediums, sondern
selbständig existierende Realitäten, die man nicht auf irgendetwas zurückführen kann und
die, ähnlich wie Atome der wägbaren Materie, nicht mit irgendwelchen anderen Trägern
verbunden sind“.23
Die Negation des Äthers ist bei Einstein eng mit der positiven Behauptung, dem
Relativitätsprinzip, verbunden. Bekanntlich haben schon die Versuche der ersten Ordnung
gezeigt, dass elektromagnetische Erscheinungen von der gleichmäßigen geradlinigen
Bewegung des Systems insgesamt unabhängig sind. Doch sie konnten nicht zum
Relativitätsprinzip führen, da diese Unabhängigkeit von der Theorie von Lorentz als etwas
Zufälliges und nur in den Erscheinungen der ersten Ordnung Anzutreffendes erklärt wurde.
Gerade der Versuch von Michelson hat gezeigt, dass diese Unabhängigkeit mehr als nur
zufällig ist. In seiner Theorie hat Lorentz auch versucht, das Ergebnis des Versuches von
Michelson mit Hilfe der Hypothese von der Verkürzung zu erklären.
Die Genialität von Einstein besteht gerade darin, dass er diese Unabhängigkeit auf die
Ebene eines Gesetzes der Natur erhob, wobei er von der entwickelten Form des
Experimentes ausging. Im gegebenen Fall zeigt sich nochmals in der physikalischen
Theorie die Produktivität der logischen Methode von Marx, laut der der Inhalt, das Wesen
197
des erforschten Objektes nicht im Ergebnis der Offenbarung des vielen Formen
Gemeinsamen entdeckt wird, sondern im Prozess der Erforschung eines bestimmten
Einzelnen, der entwickelten Form des Objektes. In der entwickelten Form offenbaren sich
die Erscheinungen als diejenigen, die sie wirklich sind. Darin besteht auch die Bedeutung
des geflügelten Wortes von Marx: „Die Anatomie des Menschen ist der Schlüssel zur
Anatomie des Affen.“
Es fragt sich, warum die alte Physik sich ständig an den Äther geklammert hat, - sogar
nach dem Versuch von Michelson. Weil die Maxwellschen Gleichungen beim Übergang
von einem Koordinatensystem zum anderen bezogen auf die Transformationen von Galilei
nicht invariant sind. Folglich haben sie in einem Systerm, was mit dem Äther
zusammenhängt, die vorherrschende Form. Ähnlich wie Marx, der sich bei der
Erforschung des englischen Kapitalismus hauptsächlich nicht für dessen Besonderheiten
interessiert, sondern die allgemeinen Gesetze des Kapitalismus aufdeckt, die sich in dieser
einzelnen entwickelten Form zeigen, interessiert sich auch Einstein beim Experiment von
Michelson nicht einfach für die Besonderheit; er wünscht, dieses Experiment nicht nur zu
erklären, wie Lorentz es getan hat, sondern bemüht sich, durch diesen Versuch die
allgemeinen Gesetze der elektromagnetischen Erscheinungen in beweglichen Medien zu
erklären.
Einstein stellte sich die Frage: Was ist das Ausgangsmoment bei der Verallgemeinerung
der Maxwellschen Gleichungen für sich gleichmäßig geradlinig bewegende Systeme, wenn
es keinen Äther gibt? Dieses Moment ist laut Einstein das Prinzip der Relativität, das
lautet: Alle Erscheinungen, sowohl mechanische als auch elektromagnetische, verlaufen in
allen inertialen Bezugssystemen gleichmäßig. Auf diese Weise kommt die
wissenschaftliche Erkenntnis nur im Ergebnis einer qualvollen und schwierigen
Entwicklung zum wahrhaften und wirklichen Ausgangspunkt (Marx).
Freilich bleibt bei Einstein (jedenfalls in seiner ersten Arbeit) jener Weg, auf dem er zum
Ausgang, zur allgemeinen Grundlage kommt, unerschlossen, da er ihm keine vollständige
historische Begründung gibt. Dafür kann man diesen Weg in seinen späteren Arbeiten
verfolgen, in denen er die historischen Wurzeln der Relativitätstheorie bloßlegt.24
Grundlage der Relativitätstheorie ist neben dem Prinzip der Relativität das Prinzip der
Beständigkeit der Lichtgeschwindigkeit. Bei dieser Feststellung entsteht gewöhnlich der
Eindruck, dass die beiden Prinzipien eine identische Rolle spielen und in diesem Sinne
gleichwertig sind. In Wirklichkeit haben derartige Überlegungen aber nichts mit der
Wahrheit zu tun. Das Relativitätsprinzip tritt in der Struktur der Relativitätstheorie als
allgemeine Grundlage, als Ausgangspunkt auf, von dem aus man alle anderen
Bestimmtheiten und Kategorien der Theorie verstehen kann. Aber der Zusammenhang von
allgemeinem Ausgangspunkt und Erscheinungsformen (dem Einzelnen) ist nicht
unmittelbar. Deshalb ist für einen solchen Übergang das Besondere notwendig, das ein
198
vermittelndes Glied zwischen dem Allgemeinen und dem Einzelnen ist. Ein derartiges
Besonderes findet Einstein im Prinzip der Beständigkeit der Lichtgeschwindigkeit.
Vor Einstein ging man von der Unvereinbarkeit des Relativitätsprinzips und der
Beständigkeit der Lichtgeschwindigkeit aus. Im Verlauf der Ausdehnung des
Relativitätsprinzips auf die elektromagnetischen Erscheinungen erwies sich auch die
Produktivität des Relativitätsprinzips.
Hier ist die Analogie mit der Ware offensichtlich. Die Ware hat historisch vor dem
Kapitalismus existiert. Den Warenaustausch treffen wir schon in grauer Vorzeit an. In
vorkapitalistischen Formationen ist die Ware keine allgemeine Ausgangsbestimmtheit
ökonomischer Beziehungen. Die Warenproduktion wird erst im Kapitalismus zu einer
allgemeinen Beziehung, als auch die Arbeitskraft zur Ware wird.
In diesem Zusammenhang muss unbedingt bemerkt werden, dass diese Logik, d. h. das
Auffinden des inneren Zusammenhangs des Allgemeinen und des Einzelnen durch die
Offenbarung des Besonderen, der vermittelnden Glieder durchaus nicht die Spezifik der
Relativitätstheorie von Einstein, sondern das logische Prinzip jeglicher wahren Theorie ist.
Das Prinzip der Beständigkeit der Lichtgeschwindigkeit ergab sich aus dem Wesen der
Theorie von Maxwell-Lorentz und hatte damals nur eine indirekte Bestätigung, nämlich
durch die Bestätigung anderer Folgen der Theorie. Wie bekannt, diente dieser Umstand als
Anlass für Ritz, um die Richtigkeit des Prinzips der Beständigkeit der
Lichtgeschwindigkeit zu negieren. Es schien tatsächlich, dass dieses Prinzip mit dem
Relativitätsprinzip unvereinbar ist, dass die Anerkennung des einen zur Negation des
anderen führt. Diese Situation, die zu einer bestimmten Zeit der Entwicklung der Physik
entstanden war, gibt Einstein selbst gut wieder: „Der Leser, der aufmerksam den oben
dargestellten Überlegungen folgt, nimmt zweifellos an, dass das Relativitätsprinzip, das
dank seiner Natürlichkeit und Einfachheit fast unbestreitbar ist, erhalten werden muss,
während das Gesetz der Ausbreitung des Lichtes im Vakuum durch ein kompliziertes
Gesetz ersetzt werden muss, das mit dem Relativitätsprinzip vereinbar ist. Die Entwicklung
der theoretischen Physik hat jedoch gezeigt, dass dieser Weg nicht annehmbar ist. Die
tiefgründigen theoretischen Forschungen über elektrodynamische und optische Prozesse in
beweglichen Körpern, die Lorentz durchgeführt hat, haben gezeigt, dass Versuche auf
diesen Gebieten zur Notwendigkeit einer solchen Theorie elektromagnetischer
Erscheinungen führen, deren unausweichliche Folge das Gesetz der Beständigkeit der
Lichtgeschwindigkeit im Vakuum ist. Deshalb waren die führenden Theoretiker eher
geneigt, sich von dem Relativitätsprinzip loszusagen, obwohl es nicht gelang, auch nur
einen experimentellen Fakt zu finden, der diesem Prinzip widersprach“.25
Dem Wesen nach entstand im Verlauf der Entwicklung der Elektrodynamik beweglicher
Medien die gleiche Situation wie in der Politökonomie des Kapitalismus. Dort war
einerseits das tiefe Verständnis des Wertgesetzes als Gesetz der Warenkörper
offensichtlich, andererseits existierten als empirische Fakten der Profit, der Zins, die Rente
199
und dgl. Laut Wertgesetz mussten im gesellschaftlichen Maßstab die gleichen Werte
ausgetauscht werden, die kapitalistische Produktion setzt jedoch ständiges Anwachsen des
Profits voraus. Folglich schließt das Wertgesetz bei empirischem Herangehen die
Möglichkeit des Profits aus. Daher sagten sich die Vulgärökonomen vom Wertbegriff los.
Alle diese Schwierigkeiten hat Marx in „Kapital“ durch die Entdeckung und Begründung
des Mehrwert-Begriffes gelöst. Laut Marx findet der Kapitalist auf dem Markt eine
besondere Ware - die Arbeitskraft, deren Gebrauch einen zusätzlichen, den Mehrwert
schafft. Deshalb sagt Marx, dass der Mehrwert sowohl in der Sphäre der Zirkulation als
auch außerhalb von ihr entsteht.
Auf ähnliche Weise löste Einstein die Schwierigkeiten mit der Elektrodynamik. Er zeigte
auf, dass der Widerspruch zwischen dem Prinzip der Relativität und dem Prinzip der
Beständigkeit der Lichtgeschwindigkeit lösbar ist. Einstein schrieb: „ ... in Wirklichkeit
sind das Relativitätsprinzip und das Gesetz der Ausbreitung des Lichtes miteinander
vereinbar, und man kann, wenn man sich systematisch an diese beiden Gesetze hält, eine
logisch einwandfreie Theorie aufbauen“.26
Das Relativitätsprinzip von Einstein ist nicht mit dem von Galilei identisch. Einstein
reichert das Allgemeine, das Relativitätsprinzip durch das Besondere, das Prinzip der
Beständigkeit der Lichtgeschwindigkeit an. Letzteres wird ursprünglich für ein
Bezugssystem (laut Einstein - für das „unbewegliche“) als Unabhängigkeit der
Lichtgeschwindigkeit von der Bewegung der Quelle formuliert; danach werden an dieses
Prinzip die Anforderungen des Relativitätsprinzips gestellt. Durch eine derartige
Wechselwirkung wird sowohl das Allgemeine, als auch das Besondere angereichert: Das
Relativitätsprinzip wird auch auf elektromagnetische Erscheinungen ausgedehnt, und das
Prinzip der Unabhängigkeit der Lichtgeschwindigkeit wird zum Prinzip der Beständigkeit
der Lichtgeschwindigkeit in allen Inertialsystemen erhoben.
In der Relativitätstheorie hat die Beständigkeit der Lichtgeschwindigkeit eine substantielle
Bedeutung. Dieses Prinzip wird nicht nur einfach postuliert; es ist innerlich mit der
Formulierung des Relativitätsprinzips verbunden. Der Misserfolg von Hertz bei der
Anwendung des Relativitätsprinzips in der Elektrodynamik ist nun verständlich: Er
versuchte, das Allgemeine mit dem Einzelnen unmittelbar zu verbinden, und deshalb geht
sein Relativitätsprinzip nicht über den Rahmen des Prinzips von Galilei hinaus. Während
vor Einstein das Relativitätsprinzip im wesentlichen als etwas Begrenztes, als Prinzip
mechanischer Erscheinungen auftrat, wird es in der Relativitätstheorie als allgemeines
Prinzip der Bewegung betrachtet, das die radikale Revision aller alten physikalischen
Vorstellungen und Schlüsse beschleunigt.
Laut Einstein entspricht der Wirklichkeit nur eine solche Theorie, die von der notwendigen
Vereinbarkeit des Relativitätsprinzips und der Beständigkeit der Lichtgeschwindigkeit
ausgeht, die das Relativitätsprinzip auf die Erforschung elektromagnetischer
Erscheinungen ausdehnt. In einer derartigen Behandlung tritt das Relativitätsprinzip als
200
Bedingung für die Beständigkeit der Lichtgeschwindigkeit auf. Aber die Produktivität des
Relativitätsprinzips selbst wurde real nachgewiesen, als die substantielle Beständigkeit der
Lichtgeschwindigkeit formuliert wurde. „Für Einstein war die Beständigkeit der
Lichtgeschwindigkeit kein phänomenologisches Resultat der einander kompensierenden
Effekte der absoluten Bewegung, sondern ein objektives Naturgesetz, eine vom
Experiment unabhängige substantielle Eigenschaft materieller Systeme, die sich geradlinig
und gleichmäßig in Bezug aufeinander bewegen“.27 In diesem Fall realisiert sich dem
Wesen nach die gleiche Kausalität, die im „Kapital“ von Marx vorkommt. Die Ware ist die
allgemeine Bedingung des Kapitalismus, aber real verwirklicht sich das nur im
Kapitalismus, wenn auch die Arbeitskraft zur Ware wird.
Die Einheit dieser beiden Prinzipien, die gegenseitige Durchdringung des Allgemeinen und
des Besonderen erhält ihren mathematischen Ausdruck in den Transformationen von
Lorentz. Über die Ergebnisse der Relativitätstheorie schrieb Einstein: „Wenn es dabei
etwas Neues gab, dann die Anerkennung dessen, dass die Bedeutung der Lorentzschen
Transformationen über die Grenzen des Zusammenhangs mit den Gleichungen von
Maxwell hinausgeht; sie berührten das Wesen von Raum und Zeit überhaupt. Neu war
auch die Ansicht, das die „Lorentz-Invarianz“ die allgemeine Bedingung für eine beliebige
physikalische Theorie ist“.28 In der Relativitätstheorie haben die Transformationen von
Lorentz eine außerordentlich wichtige Bedeutung. Ihre Rolle und ihr Platz in der Theorie
sind jedoch etwas anderes als die Ausgangsthesen der Relativitätstheorie, von denen
genetisch alle anderen Bestimmtheiten der Theorie abstammen. Larmor und Lorentz
entdeckten neue Eigenschaften von Raum und Zeit, schrieben eine neue Gleichung; da sie
aber in den Grenzen alter physikalischer Vorstellungen verblieben, haben sie die wahre
Bedeutung dessen, was sie entdeckt hatten, nicht begriffen.
Die Transformationen von Lorentz können nicht der Ausgangspunkt der Relativitätstheorie
sein, sie sind eine komplizierte Kategorie der Theorie. So hat Lorentz, obwohl er es hätte
tun können, keinen Angriff weder auf den Äther, noch auf die absolute Bewegung, noch
auf die Absolutheit von Raum und Zeit unternommen. Seine Transformationen haben nur
dann derartig radikale Folgen, wenn ihre allgemeine Begründung und ihr Ausgangspunkt
verstanden werden - das Relativitätsprinzip. Nach dem Zeugnis von M. Born „... hat
Lorentz selbst nie Anspruch auf die Entdeckung des Relativitätsprinzips erhoben“ und
„hielt Einstein für den Begründer des Relativitätsprinzips“.29 Ungefähr das Gleiche kann
man von Poincaré sagen. Obwohl er das „Postulat der Relativität“ formuliert, die völlige
Invarianz der Gleichungen der Elektrodynamik in Bezug zu den Transformationen von
Lorentz feststellt, ihre Gruppeneigenschaften erforscht hat, konnte er nicht das
Relativitätsprinzip mit der substantiellen Beständigkeit der Lichtgeschwindigkeit
verbinden, d. h. es richtig verstehen. Er gab der Hypothese von Lorentz einen bestimmten
Sinn, und deshalb widerspricht ihr sein „Postulat der Relativität“ nicht.
201
In diesem Zusammenhang hat eine Bemerkung von Lorentz einen tiefen Sinn: „Das
Verdienst von Einstein besteht darin, dass er als Erster das Relativitätsprinzip in Form
eines allgemeinen, strengen und exakt wirkenden Gesetzes formuliert hat“.30 Lorentz
selbst näherte sich in seinen Arbeiten, besonders in dem Artikel „Elektromagnetische
Erscheinungen in einem System, das sich mit beliebiger Geschwindigkeit bewegt, die
geringer als die Lichtgeschwindigkeit ist“ (1904) dem Relativitätsprinzip. Das „Postulat
der Relativität“, das von Poincaré in seiner Arbeit „Über die Dynamik des Elektrons“
verkündet worden war, ist die unmittelbare logische Vollendung der Arbeiten von Lorentz.
Umso bemerkenswerter ist die Bemerkung von Lorentz, die nicht nur seine
wissenschaftliche Ehrlichkeit, sondern auch sein tiefes Verständnis für das Wesen der
Sache zeigt.
Schon beim ersten Versuch, das Relativitätsprinzip und die Beständigkeit der
Lichtgeschwindigkeit in Deckung zu bringen, stieß Einstein auf ein Paradoxon: die
Relativität der Gleichzeitigkeit. Das wollen wir an einem Beispiel illustrieren, das von
Mandelstam stammt.31
Nehmen wir zwei Bezugssysteme K und K1 mag „ruhen“ und K’ mag sich in Bezug auf
K geradlinig und gleichmäßig bewegen. In einem bestimmten Moment, in dem die
Ursprünge dieser Systeme (O und OI) zusammenfallen, wird ein Lichtsignal ausgestrahlt.
Nach einiger Zeit wird das Signal im System K auf der Oberfläche der Kugel mit dem
Radius r =ct und dem Zentrum in O sein. Gleichzeitig werden von dem Signal alle Punkte
auf der Oberfläche dieser Kugel berührt. Entsprechend dem Relativitätsprinzip muss sich
im System KI das Signal nach dem gleichen Gesetz ausbreiten, d. h. ebenfalls die
Kugeloberfläche erreichen. Entsprechend dem Prinzip der Unabhängigkeit der
Lichtgeschwindigkeit von der Bewegung der Quelle befindet sich das Zentrum dieser
Sphäre in OI.
Es ergibt sich, dass das Lichtsignal im System
K
gleichzeitig die Oberfläche der Kugel mit dem Zentrum in O erreicht; im System K I
erreicht dieses Signal gleichzeitig die Oberfläche der Kugel mit dem Zentrum in O/, was
vom Standpunkt der klassischen Physik unmöglich scheint, da dort die Zeit und somit auch
die Gleichzeitigkeit absolut sind.
202
Einstein hat dieses Paradoxon auf radikale Weise gelöst: Die Gleichzeitigkeit ist nicht
absolut. Das, was im System K gleichzeitig ist, ist es nicht im System K I’ und
umgekehrt. Einstein hat begriffen, dass er am Anfang einer neuen Sicht auf Raum und Zeit
steht und hat sie weiterentwickelt. Der Ablauf der Überlegungen Einsteins war ungefähr
folgendermaßen: Wenn die erste Berührung von zwei Prinzipien zur Relativität der
Gleichzeitigkeit führt, so muss ihre systematische Vereinigung, die Einheit des
Allgemeinen und Besonderen zu einem neuen Verständnis von Raum und Zeit führen, was
in den Transformationen von Lorentz widergespiegelt ist: Die Zeit ist nicht absolut; Raum,
Zeit und Bewegung sind miteinander verbunden. Ein derartiges Verständnis von Raum und
Zeit führt zu der Notwendigkeit einer neuen Bestimmung der Gleichzeitigkeit von
Erscheinungen, von ihren räumlichen und zeitlichen Charakteristika.
Manchmal wird die Lage der Dinge in der Relativitätstheorie so dargestellt, als hätte
Einstein zunächst diese neuen Bestimmungen gegeben, die dann notwendigerweise zu
Raum und Zeit in der Relativitätstheorie geführt haben. Dabei werden diese Bestimmungen
als erdachte bequeme Vereinbarungen dargestellt. Dann ist auch die Theorie, die von ihnen
ausgeht das Ergebnis einer Vereinbarung zwischen den Menschen (Konventionalismus;
Poincaré, Eddington). Ein derartiger Standpunkt stellt das objektive Wesen der Dinge auf
den Kopf. Einstein konnte diese Bestimmungen nur deshalb machen, weil er ihre
substantielle Grundlage gefunden hatte - die Beständigkeit der Lichtgeschwindigkeit in
ihrer Einheit mit dem Relativitätsprinzip, in der der Zusammenhang von Raum und Zeit
embryonal ausgedrückt ist.
Auf diese Art und Weise ist die Relativitätstheorie die physikalische Theorie von Raum
und Zeit. Hier ist wieder eine gewisse Analogie mit dem „Kapital“ von Marx angebracht.
Während Marx bei der ökonomischen Analyse des Kapitalismus tiefschürfende logische
und methodologische Probleme der wissenschaftlichen Erkenntnis erarbeitete, hat Einstein,
ausgehend von Problemen der Elektrodynamik beweglicher Medien, die Theorie von
Raum und Zeit geschaffen, die der gesamten modernen Physik zugrunde liegt. Richtig ist
deshalb die Bemerkung von Mandelstam: ... „Die ganze Theorie von Einstein ging weit
über den Rahmen ihrer ursprünglichen Aufgaben hinaus“.32
Tatsächlich, die
Relativitätstheorie gestattete es, am vollständigsten, soweit das im Rahmen der klassischen
(Nichtquanten-) Elektrodynamik möglich ist, alle elektromagnetischen Erscheinungen zu
erfassen. Außerdem hat sie auch die Mechanik relativiert. Sie führte zu der
Wechselbeziehung von fundamentaler Wichtigkeit: E=mc2. Eine riesige methodologische
Bedeutung für die Physik hat auch das, was Einstein „Lorentz-Invarianz“ nennt: Alle
Gesetze müssen in Bezug auf die Transformationen von Lorentz co-variant sein.
Einstein hat die Methode von Minkowski hoch geschätzt, der die adäquateste
mathematische Vorstellung von Raum und Zeit der Relativitätstheorie gegeben hat.
Minkowski führt auf der Grundlage der Relativitätstheorie die vierdimensionale Raum-Zeit
ein, in der Raum und Zeit eng zusammenhängen und absolut untrennbar sind. Sie sind nur
203
relativ; von Raum an sich und Zeit an sich kann man nur in Bezug auf diese oder jene
Inertialsysteme reden. In der klassischen Physik wurden sie angesichts der Absolutheit von
Raum und Zeit als absolut nicht zusammenhängend dargestellt. „Nach der Absage an die
Absolutheit der Zeit und besonders der Gleichzeitigkeit erschien sofort die
Vierdimensionaltität der räumlich-zeitlichen Vorstellung“,33
schrieb Einstein. Die
vierdimensionale Vorstellung von Minkowski half Einstein im Weiteren, den
mathematischen Apparat der allgemeinen Realtivitätstheorie zu schaffen.
Die Idee des räumlich-zeitlichen Kontinuums bestätigt jene These, dass über eine objektive
Wahrhaftigkeit vor allem das Ganze, Konkrete verfügt, das ein System innerlich
zusammenhängender Beziehungen ist. Raum und Zeit sind nur Momente dieses Ganzen.
Eine derartige Auslegung ist nicht nur für die Relativitätstheorie, sondern für jede
wahrhafte Theorie zutreffend. Hegel hat mehrmals unterstrichen, dass die Wahrheit nicht
im Allgemeinen liegt, das getrennt vom Besonderen betrachtet wird, sondern in ihrer
dialektischen Einheit. Diesen dialektischen Gedanken hat Hegel konsequent auf alle
philosophischen Kategorien angewendet. Während vor Hegel solche paarigen Kategorien
wie positiv und negativ, zufällig und notwendig, Freiheit und Notwendigkeit und dgl. als
unvereinbar (getrennt) betrachtet wurden, so hat er ihren inneren Zusammenhang und ihre
Unteilbarkeit bewiesen.
Ähnlich wie Hegel mittels des Gesetzes von der Einheit der Gegensätze das in Einheit
betrachtet hat, was vor ihm als getrennt gedacht worden war, hat Einstein, die
Allgemeinheit und Wahrhaftigkeit der Transformationen von Lorentz anerkennend, das in
Einheit betrachtet und verstanden, was als getrennt angenommen wurde. Ein
hervorragendes Beispiel dafür ist die Aufdeckung der synthetischen Natur von Raum und
Zeit, von Masse und Energie usw.
Das große Verdienst von Einstein besteht darin, dass er nicht nur riesige Schwierigkeiten
in der Entwicklung der Elektrodynamik gelöst hat, sondern das im Ergebnis der
grundlegenden Veränderung der räumlich-zeitlichen Vorstellung infolge der Veränderung
des alten Denkstils getan hat. Einstein schuf eine geschlossene vollendete Theorie und war
der Begründer einer neuen Richtung im physikalischen Denken. Einstein entdeckte keinen
neuen erstaunlichen Fakt in der Natur. Seine Entdeckung ist mit der Veränderung der
Methode des Denkens in der Physik, mit der Veränderung der Herangehensweise an
physikalische Erscheinungen verbunden.
Engels schrieb beim Vergleich der „Wissenschaft der Logik“ von Hegel und des
„Kapitals“ von Marx: „Vergleichen Sie wenigstens die Entwicklung von der Ware zum
Kapital bei Marx und die Entwicklung vom Sein zum Wesen bei Hegel, und Sie haben eine
wunderbare Parallele: einerseits die konkrete Entwicklung, wie sie in der Wirklichkeit vor
sich geht, und andererseits die abstrakte Konstruktion, in der höchst geniale Gedanken und
stellenweise sehr wichtige Übergänge, wie z. B. von Qualität und Quantität und
umgekehrt, zu einer scheinbaren Selbstentwicklung eines Begriffes in den anderen
204
verarbeitet werden“.34 Wenn man aufmerksam die Struktur, den inneren Zusammenhang
der Kategorien der Relativitätstheorie analysiert, kann man sich schwerlich vor einer
derartigen Parallele zurückhalten. In der Relativitätstheorie ist die dialektische Synthese
solcher wichtigen Kategorien wie Relativitätsprinzip und Beständigkeit der
Lichtgeschwindigkeit, Raum und Zeit, Masse und Energie usw. gegeben.
Der Ursprung in der Quantenmechanik
Der dialektisch-logische Begriff des Ursprungs, des Ausgangspunktes hat große Bedeutung
auch für die Analyse des Aufbaus der Quantenmechanik. Die Quantenmechanik hat, wie
auch die Relativitätstheorie, die Logik in der physikalischen Wissenschaft prinzipiell
verändert. Aus diesem Grund haben die Erforschung des Ursprungs, des Ausgangspunktes
und der Logik der Quantenmechanik eine große philosophische Bedeutung.
A. Moderne Interpretation der Quantenmechanik
Ihrer Logik und Methode nach unterscheidet sich die Quantenmechanik wesentlich von
alten physikalischen Theorien. Die Umwälzung, die von der Quantenmechanik in der
Entwicklung der Physik vollzogen wurde, war derart fundamental, dass einzelne
hervorragende Physiker in ihr das Ende des physikalischen (orthodoxen) Denkens sahen.
Bis zum Ende seines Lebens konnte Einstein die Wahrscheinlichkeitsinterpretation der
Quantenmechanik nicht anerkennen und hielt sie für eine abgeschlossene physikalische
Theorie. In seinen Arbeiten hoffte er hartnäckig auf die Möglichkeit der deterministischen
Interpretation der Quantenerscheinungen. Von der Wahrscheinlichkeitsinterpretation der
Quantenmechanik sprechend, scherzte er häufig, dass „Gott nicht Würfel spielt“.
Zeitweise zeigten auch Louis de Broglie und E. Schrödinger ein solches Verhalten
gegenüber der Interpretation der Quantenmechanik.
Max Planck führte die Idee der Diskretion der Energie (E=hv) in die Erforschung der
Wärmestrahlung ein, mit der die Zerstörung der gefestigten Vorstellungen der klassischen
Physik begann. Einstein und Broglie erarbeiteten den grundlegenden Ausgangsbegriff der
Quantenmechanik: den Dualismus der Teilchen-Welle, ohne den ein ganzheitliches und
theoretisches Verständnis eines großen Gebietes von Mikroerscheinungen unmöglich ist.
Das erforderte das Lossagen vom Determinismus der klassischen Physik eines Laplace, da
der Zustand des quantenmechanischen Systems nicht mit Hilfe von Koordinaten und
Impulsen beschrieben werden musste, sondern mit der Wellenfunktion  , deren
Wahrscheinlichkeitsauslegung von N. Bohr kam. Ausgehend von den Ideen Einsteins und
Broglies hat später Schrödinger die Grundgleichung der Wellenmechanik gefunden, die die
Veränderung der Wellenfunktion in der Zeit beschreibt.
205
Aber die Mehrzahl der Physiker der alten Generation konnte sich laut Heisenberg nicht mit
der statistischen, der Wahrscheinlichkeitsinterpretation der Quantenmechanik
einverstanden erklären. Besonders charakteristisch ist die Aussage von Schrödinger in
einem Gespräch mit N. Bohr 1926/27: „Wenn wir uns anschicken, diese verflixten
Quantensprünge zu erhalten, bedaure ich, dass ich es überhaupt mit der Quantentheorie zu
tun hatte.“ Bohr antwortete: „Aber alle übrigen sind Ihnen dafür dankbar“.35 Das alles lässt
keinen Zweifel an der prinzipiellen Tiefe der Umwälzung, die die Quantenmechanik
vollzogen hat, und zeugt von den Schwierigkeiten beim Verständnis und der Interpretation
einzelner ihrer Aspekte.
Ernsthafte Schwierigkeiten und Streitigkeiten beim theoretischen Erfassen des Inhaltes, der
Begriffe der Quantenmechanik haben auch heute noch nicht aufgehört. Laut W. Fok
existieren drei Richtungen in der Interpretation der Quantenmechanik: die Kopenhagener
Physiker-Schule, zu der Bohr, Heisenberg, Born und Dirac gehören. Zu ihnen stoßen nach
dem Inhalt ihrer Interpretation die sowjetischen Physiker W. Fok und
A. Alexandrow, obwohl sie sich prinzipiell von positivistischen Begriffen und der
Terminologie der Kopenhagener Schule abgrenzen.
Eine andere Gruppe ist um Louis de Broglie vereint. Dazu gehören Bohm, Vigié, Terlezki
usw. Ihrer Überzeugung nach sind der statistische Charakter der Quantenmechanik, die
Wechselbeziehungen der Unbestimmtheiten temporäre Erscheinungen, und deshalb kann
man ihre Wahrscheinlichkeit auf eine deterministische, dynamische Interpretation
zurückführen, was auf einem Subquanten-Niveau möglich ist. Infolgedessen ist die
Wahrscheinlichkeit der Quantenmechanik nicht substantiell, sondern der Ausdruck eines
dynamischen Gesetzes. Der statistische Charakter der Quantenerscheinungen ist mit
unserer Unkenntnis verbunden, und mit der Zeit kann man ihn durchaus auf den
klassischen Determinismus zurückführen.
In dieser Richtung arbeiten sie auch gegenwärtig. In einem Vortrag auf einer
philosophischen Konferenz hat Fok die Arbeiten dieser Physiker einer scharfen Kritik
unterzogen, da sie äußerst künstlich und bar jedes heuristischen Wertes sind. „ ... Nicht
eine einzige Aufgabe“, schreibt Fok, „haben die Autoren versucht zu lösen. Im Gegenteil,
ihre Überlegungen wurden (nicht einmal sehr überzeugend) vorher den aus der
Quantenmechanik bekannten Resultaten angepasst. So ist das Kriterium der Praxis
entschlossen gegen diese wissenschaftliche Richtung“.36
Die sorgfältige Analyse der theoretischen Konzeption dieser Gruppe bringt auch ernsthafte
logisch-gnoseologische Mängel zutage. Vor allem haben sie die prinzipielle Spezifik des
Sachgebietes der Mikroerscheinungen nicht bis zu Ende erfasst, wobei sie ernsthaft durch
ihre Identifizierung des Kausalitätsprinzips, der Gesetzmäßigkeit überhaupt und des
klassischen Determinismus gestört wurden.
Tatsächlich, in den Quantenerscheinungen und ihrem theoretischen Ausdruck ist das
klassische Prinzip der Kausalität nicht gerechtfertigt. Die Anhänger der deterministischen
206
Auslegung der Quantenerscheinungen kennen gewöhnlich nur das klassische Prinzip der
Kausalität, der Gesetzmäßigkeit der Erscheinungen. Deshalb halten sie die Verletzung
dieses Prinzips für die Verletzung der rationalen Grundlage jeglicher Wissenschaft. Aus
diesem Grund lehnen sie die Wahrscheinlichkeits-, die statistische Interpretation der
Quantenmechanik ab. Der Hauptmangel dieser Konzeption besteht darin, dass sie die
Kausalität, den Determinismus seinem Wesen nach im Sinne des Determinismus von
Laplace verstehen.
In Wirklichkeit erschöpft der klassische Determinismus die Kausalität nicht, sondern er ist
eine einseitige, abstrakte Kausalität. Der klassische Determinismus ist keine allgemeine
Form der Kausalität, sondern nur ein spezieller Fall, der nur für mechanische Systeme eine
allgemeine Bedeutung hat. Das Bemühen, das klassische Verständnis der Kausalität bei der
Erkenntnis von Mikroerscheinungen wiederherzustellen, ist dem Wesen nach eine
Universalisierung des begrenzten, verstandesmäßigen Verständnisses der Kausalität, was
als gnoseologische Grundlage der unproduktiven Konzeption von Broglie u. a. dient.
Zur dritten Gruppe der Interpretation der Quantenmechanik gehört die Konzeption der
Quantenensembles. Seinerzeit wurde sie von Mandelstam in seinen Vorlesungen zur
Quantenmechanik dargelegt und in den Arbeiten von Blochinzew u. a. weiterentwickelt.
Der Hauptinhalt dieser Interpretation besteht darin, dass die Quantenmechanik nicht die
Theorie eines individuellen Quantenobjektes, sondern die Theorie eines Ensembles von
Teilchen ist. Deshalb bestimmt die Quantenmechanik nur die mittlere Natur der
Gesamtheit
der Mikroerscheinungen. Die Konzeption der Quantenensembles ist ihrem Inhalt nach
empirisch, sie konnte den rationalen Inhalt der Quantenstatistik, der Wahrscheinlichkeit
nicht aufdecken. Laut Fok bringt diese Konzeption der Quantenensembles nichts Neues in
den physikalischen Inhalt der gewöhnlichen Interpretation und unterscheidet sich von ihr
nur durch die Idee der Quantenensembles.
Die Konzeption der Quantenensembles ist empirisch begrenzt, da die Aufmerksamkeit des
Forschers nur auf die Ergebnisse der Messung, auf den statistischen Charakter der
Quantenerscheinungen gerichtet ist. Bei der theoretischen Untersuchung muss das
Quantenobjekt jedoch ganzheitlich betrachtet werden. Dabei ist die Aufmerksamkeit des
Forschers zunächst auf den Zustand der Mikroerscheinungen vor jeglicher Messung
konzentriert, bei der der Wellenfunktion große Bedeutung beigemessen wird. Die
Wellenfunktion charakterisiert auch den Zustand des individuellen Objektes.
In der Wellenfunktion ist der objektive, gesetzmäßige Zustand des Quantenobjektes vor
jeglicher Messung ausgedrückt. Bei der theoretischen Erforschung ist die Untersuchung
des Quantenobjektes in reiner Form, ohne fremde Einwirkung notwendig.
Im „Kapital“ erforscht Marx zunächst den Mehrwert in reiner Form, unabhängig von
seinen Erscheinungsformen. Eine derartige Logik ist bei der Erforschung von
Quantenerscheinungen ebenfalls durchaus anwendbar.
207
Streit und Diskussion um die Interpretation der Quantenmechanik sind auch gegenwärtig
nicht beigelegt. Den theoretischen Gedanken interessiert ernsthaft die Frage: Welche
Konzeption ist die wahre, die dem Wesen der Quantenobjekte entspricht? In den letzten
Jahren erhält die gewöhnliche Kopenhagener Interpretation in der Auslegung von Fok
immer mehr Anerkennung. Uns scheint, dass hier ernsthafte theoretische, philosophische
Ergebnisse erreicht wurden. Der grundlegende physikalische Inhalt dieser Interpretation,
ihre innere Logik verhält sich invariant zu der inhaltlichen Logik, die Hegel und Marx
erarbeitet haben.
Zum produktiven Verständnis der inneren Struktur, der Logik der Quantenmechanik sind
die Arbeiten von Fok wichtig. Seiner Meinung nach hat nur die Kopenhagener PhysikerSchule mit N. Bohr wirkliche und reale theoretische Erfolge erzielt. In physikalischer und
philosophischer Hinsicht hat die Konzeption der versteckten Parameter fast nichts erreicht.
Ihrem physikalischen Inhalt nach ist die Konzeption der Quantenensembles absolut
identisch mit dem Kopenhagener Verständnis; sie unterscheidet sich von ihm nur durch
die Interpretation des Inhalts der Wellenfunktion. In diesem Zusammenhang ist der
physikalische und prinzipielle wissenschaftliche Vorrang der gewöhnlichen Interpretation
der Quantenmechanik unzweifelhaft. Zurzeit hat die Quantenmechanik eine breite
Anerkennung und experimentellen Beweis erhalten. Das, was im Verlauf der Begründung
der fundamentalen Quantenmechanik in das wissenschaftlich-theoretische Denken
aufgenommen wurde, ist eine große Errungenschaft des schöpferischen Geistes.
B. Die logische Begründung des Ursprungs in der Quantenmechanik
Die Quantenmechanik als physikalische Theorie ist vollendet, aber ihre philosophische,
logische Seite bleibt äußerst aktuell.
Die aufmerksame Analyse der theoretischen Konzeptionen von Broglie und anderen bei
der Interpretation der Quantenmechanik zeugt davon, wie schon erwähnt, dass in ihnen
einige logisch-gnoseologische Fehler vorhanden sind.
Mit dem Gebiet der Mikrowelt haben wir ein selbständiges und spezifisches Sachgebiet
vor uns, dessen Gesetzmäßigkeiten nicht auf die Prinzipien und Begriffe der klassischen
Physik zurückführbar sind. Eine produktive Erforschung der Mikroerscheinungen ist nur
auf der Grundlage aller Zusammenhänge und Gesetzmäßigkeiten möglich, die in diesem
System beständig reproduziert werden und innerlich mit ihm zusammenhängen. Dabei
muss man von dem abstrahieren, was für dieses System äußerlich ist und zu ihm keine
unmittelbare Beziehung hat.
Unter diesem Blickwinkel hat das Prinzip der „Unbeobachtbarkeit“ möglicherweise einen
gewissen rationalen Sinn, wenn die Rede von diesen oder jenen Begriffen ist, die in den
vorherigen theoretischen Systemen wichtig sind, aber prinzipiell in diesem System nicht zu
208
entdecken sind, obwohl es einer Vielzahl von Versuchen unterzogen wird. In dieser
Auslegung wird das Prinzip der „Unbeobachtbarkeit“ seinem Inhalt nach der
fundamentalen Idee der marxistischen Logik entsprechen, laut der der Forscher bei der
theoretischen Analyse des Gegenstandes nur das beachtet, was ständig durch das
Funktionieren dieses konkreten Systems reproduziert wird.
Bei der theoretischen Erforschung des Objektes ist die Aussonderung der immanenten,
inneren Zusammenhänge derjenigen Momente des Gegenstandes wichtig, die äußerlich
und für ihn nebensächlich sind. In der Analyse der kapitalistischen Gesellschaft und Logik
des „Kapitals“ sind alle diese Fragen sorgfältig herausgearbeitet. So funktioniert z. B. die
kapitalistische Gesellschaft dort, wo bestimmte Reichtümer, Naturressourcen und
schöpferische Ideen von Erfindern usw. vorhanden sind. Bei der theoretischen
Reproduktion des Kapitalismus werden alle diese Momente einfach aus der Erforschung
ausgeschlossen, da die kapitalistische Produktion ständig nicht Naturressourcen,
schöpferische Ideen reproduziert, sondern ununterbrochen Mehrwert und Arbeitskraft als
Ware schafft.
In der dialektischen Logik hat die kritische Trennung des inneren Zusammenhangs des
Systems von fremden, nebensächlichen Momenten eine fundamentale Bedeutung. In der
theoretischen und ganzheitlichen Reproduktion der Wirklichkeit ist dieses logische Prinzip
unmittelbar mit der Aufdeckung des ursprünglichen Ganzen, des Sachgebietes und der
entwickelten Form des Gegenstandes verbunden.
Eine entwickelte Form ist diejenige Spielart, die am vollständigsten und adäquatesten die
Art ausdrückt. Ihrem Inhalt und Ziel nach helfen die Untersuchungen der entwickelten
Form auch bei der Herausstellung der inneren Zusammenhänge gegenüber den äußeren
und nebensächlichen. Zur Illustration seiner theoretischen Schlüsse betrachtete Marx die
am meisten entwickelte Form des Kapitalismus, d. h. den englischen. Im Frühstadium der
Entwicklung der kapitalistischen Formation war es kompliziert, die immanenten
Zusammenhänge des Kapitalismus von seinen nebensächlichen Momenten zu trennen. Zu
Zeiten von Marx hat der englische Kapitalismus seine entwickelte Form erreicht. Viele
Momente, die für seine frühe Periode charakteristisch waren, waren verschwunden und
haben den Zusammenhängen Platz gemacht, die dem Kapitalismus immanent sind.
In der Geschichte der Physik haben wir eine solche Erscheinung bei der Untersuchung der
Logik der Relativitätstheorie entdeckt. Bei der Erforschung der elektromagnetischen
Erscheinungen in beweglichen Systemen gibt die klassische Form des Experimentes, der
Versuch von Michelson, prinzipiell nicht die Möglichkeit, den Äther zu entdecken. Der
Äther hängt innerlich nicht mit der Natur der elektromagnetischen Erscheinungen
zusammen, und die Theorie geht vom Fehlen des ätherischen Windes aus. Freilich starb die
Konzeption des Äthers nicht infolge des Prinzips der „Unbeobachtbarkeit“ und des
Experimentes von Michelson, sondern kraft der Fundamentalität des Relativitätsprinzips in
elektromagnetischen Erscheinugen.
209
Ein analoges Bild beobachten wir insgesamt auch in der Quantenmechanik. Auf dem
Gebiet der Mikroerscheinungen geht es um ein prinzipiell anderes, spezifisches
Sachgebiet. Viele Begriffe und Thesen der klassischen Mechanik haben hier keinen Sinn.
Es ist unmöglich, das Quantenobjekt als klassisches Teilchen oder als Feld zu
interpretieren. Hier hat das Elektron keine Bahn wie im Falle der klassischen Dynamik.
Auf dem Gebiet der Mikroerscheinungen sind die Wechselbeziehungen der
Unbestimmtheiten von Heisenberg ein fundamentaler Fakt. All das überzeugt davon, dass
es um ein spezifisches Objekt geht, für dessen Verständnis andere fundamentale Prinzipien
und Ausgangsthesen notwendig sind.
In seinem Vortrag auf der philosophischen Konferenz hat W. Fok die hauptsächlichen
Besonderheiten der quantenmechanischen Beschreibung aufgezählt. Laut Fok ist es vor
allem unmöglich, die Wellenfunktion eines komplizierten Systems, das aus vielen Teilchen
besteht, als im Raum verteiltes Feld zu betrachten, das dem klassischen Feld ähnlich ist.
Die Wellenfunktion der Quantenmechanik hängt nicht von drei Koordinaten ab, sondern
von allen Stufen der Freiheit des Systems. Sie ist eine Funktion in einem
vieldimensionalen konfigurativen Raum, und nicht in einem realen physikalischen Raum.
In der Entwicklung der Quantenmechanik hat sich auf diese Weise ein Sachgebiet
herausgebildet. Die Aufgabe des Forschers ist es, alle diese Kategorien und Besonderheiten
des Quantenobjektes in Form einer Theorie als innerlich Zusammenhängendes und
Konkretes zu verstehen und zu erfassen und dabei von den Zusammenhängen auszugehen,
die der Ursprung des Systems sind und die Möglichkeit geben, den theoretischen
Gedanken weiterzuentwickeln.
Der Gegenstand der Quantenmechanik ist spezifisch, er bildet ein qualitativ besonderes
Gebiet. Deshalb ist es für die geistig-theoretische Reproduktion der Mikroerscheinungen
notwendig, von prinzipiell anderen Ausgangselementen, allgemeinen Grundlagen
auszugehen. In diesem Zusammenhang kann das Bestreben, die Wellenfunktion im
klassischen Sinne zu interpretieren, nicht zu irgendwelchen positiven Ergebnissen führen.
Es geht darum, dass die Gesetzmäßigkeiten, die inneren Zusammenhänge eines
komplizierten Systems (der Substanz) nicht einfach auf die früheren, einfachen
Wechselbeziehungen reduziert, zurückgeführt werden können. In methodologischer
Hinsicht ist eine solche Betrachtung eine ernste Verletzung des Prinzips des konkreten
Historismus. Im Unterschied zum metaphysischen Reduktionismus stützt sich die
dialektisch-materialistische Logik auf Prinzipien des Historismus, auf die Idee von
Substanz-Subjekt.
Entsprechend den Prinzipien der dialektischen Logik muss die theoretische Begründung
jedes bestimmten Sachgebietes auf seiner eigenen Grundlage realisiert werden. So wird z.
B. die kapitalistische Formation mittels der Aufdeckung ihrer spezifischen. immanenten
Gesetzmäßigkeiten erkannt, und nicht durch ihre Rückführung auf feudale Prinzipien. Auf
dem Gebiet der Physik bilden die Quantenobjekte, die Mikroerscheinungen ein
210
selbständiges System; sie ordnen sich ihren eigenen Gesetzmäßigkeiten unter. Alle
Besonderheiten der Quantenmechanik, die Fok aufgezählt hat, zeugen davon.
Bei der Erforschung der Quantenerscheinungen muss außerdem die Einwirkung des
klassischen Gerätes auf das Verhalten des Mikroobjektes beachtet werden. In diesen
Besonderheiten der Quantenmechanik hat sich nicht nur ihre Nichtrückführbarkeit auf ihre
klassischen Objekte erwiesen, sondern auch das ursprüngliche Ganze (das Sachgebiet)
offenbart. Seine Analyse gestattet es, den Ursprung festzustellen, von dem ausgehend die
theoretische Reproduktion der Quantenerscheinungen möglich wird. Ohne die praktische
Feststellung des Sachgebietes, des ursprünglichen Ganzen ist es unmöglich, den
Ausgangspunkt, den Ursprung und die Logik dieses oder jenes Systems zu offenbaren und
zu erkennen. Für die Feststellung und Hervorhebung des Ursprungs des Systems ist keine
empirische, sondern eine theoretische Analyse notwendig. Während die empirische
Analyse bei der Erforschung des Objektes sich zur Natur des Ganzen gleichgültig verhält,
geht die theoretische Analyse vom Standpunkt des Ganzen an das Objekt heran. Der
Hauptmangel des empirischen Stadiums besteht darin, dass die empirische Analyse in ihrer
unaufhaltsamen Bewegung zum Verlust der Eigenschaft des Ganzen gelangt. In der
theoretischen Erkenntnis wird die Analyse des Gegenstandes nicht gleichgültig realisiert,
sondern von der Position des Ganzen aus. Das Ziel der theoretischen Analyse besteht in der
Entdeckung der allgemeinen Grundlage, des universellsten Zusammenhanges des
erforschten konkreten Ganzen.
Ihrer Natur nach ist die nichtrelativistische Quantenmechanik keine empirische, sondern
eine theoretische Wissenschaft. Während im „Kapital“ von Marx die kapitalistische
Gesellschaftsformation theoretisch und ganzheitlich erkannt ist - beginnend mit der
elementaren Konkretheit, der Ware, und endend mit den entwickelten Formen wie Profit,
Rente und Lohn - ist in der Quantenmechanik auch eine ganzheitliche, theoretische
Erkenntnis der Mikroerscheinungen zu finden. „Das Kapital“ ist von Anfang bis Ende von
K. Marx geschrieben. In der nichtrelativistischen Quantenmechanik wurde die
ganzheitliche Erkenntnis der Natur der Mikroerscheinungen durch gemeinsame
Anstrengungen solcher Physiker wie M. Planck, A. Einstein, L. de Broglie, N. Bohr, M.
Born, Heisenberg, Schrödinger, Dirac, Fok usw. realisiert. Alle gemeinsam haben die
vollendete, logisch wahrhafte und ganzheitliche Quantenmechanik geschaffen.
Die Aufgabe der nichtrelativistischen Quantenmechanik ist die theoretische Erklärung des
Verhaltens des Mikroobjektes und dessen, wie es sich in der Versuchsanordnung zeigt. In
diesem Fall ist die Bemerkung von Fok darüber sehr wertvoll, dass das Verhalten des
Mikroobjektes, die Versuchsanordnung ganzheitlich betrachtet werden, d. h. es werden
zusammengefasst: die Quelle, von der die Strahlung ausgeht, die äußeren Bedingungen und
das Messgerät.
In der Quantenmechanik beschreibt die Wellenfunktion den objektiven Zustand des
Mikroobjektes. Sie ist die objektive Charakteristik des Ergebnisses der Wechselbeziehung
211
des Atomobjektes mit dem Gerät. Die Wellenfunktion gehört ebenfalls zur Natur des
einzelnen Objektes. In ihrer Form ist nur das objektiv Mögliche, nicht jedoch das
Wirkliche ausgedrückt. Die Verwandlung der Möglichkeit in die Wirklichkeit realisiert
sich nur im Endstadium des Versuches. Um experimentell die entsprechende Verteilung
der Wahrscheinlichkeiten zu erhalten, ist eine Serie von Experimenten notwendig. „Diese
experimentelle Verteilung der Wahrscheinlichkeiten“, schreibt Fok, „kann danach mit der
theoretischen, aus der Wellenfunktion erhaltenen [Verteilung] verglichen werden. ... Auf
diese Art können aus der statistischen Bearbeitung einer Serie von Versuchen die
Verteilungen von Wahrscheinlichkeiten nicht nur für die Größen erhalten werden, die
analog den klassischen sind, sondern auch für spezifische Quantengrößen“.37
In der klassischen Physik gibt es eine eindeutige Beschreibung des Verhaltens von
physikalischen Erscheinungen. Im Unterschied zur klassischen Physik hat in der
Quantenmechanik der Unterschied zwischen dem potentiell Möglichen und dem
Zustandegekommenen eine wesentliche Bedeutung. Wenn man das in die Sprache der
Philosophie übersetzt, so unterscheidet sich in ihr das Sein in sich vom Sein für sich, das
Mögliche vom Wirklichen, das Wesen von den Erscheinungsformen. In der klassischen
Mechanik fehlt der Begriff der Entwicklung, und er entspricht der mechanischen
Kausalität, dem klassischen Determinismus. In der dialektischen Logik ist ein solches
Verständnis der Kausalität prinzipiell überwunden, da die Dialektik die Logik organischer
und komplizierter Systeme ist, in denen notwendigerweise die Selbstentwicklung des
Systems Beachtung findet. In derartigen Gegenständen können die Inhalte der Ursache und
der Wirkung nicht eindeutig, identisch sein. Deshalb ist das klassische Verständnis der
Kausalität einseitig.
Nach Meinung von Fok ist die praktische Unmöglichkeit, alle Ereignisse in der klassischen
Physik vorauszusagen, auf die Unvollständigkeit der Ursprungsdaten zurückzuführen. Ein
solches Verständnis der Kausalität, des Determinismus entstand unter bestimmten
historischen Bedingungen. In der Quantenmechanik ist es wichtig, das Mögliche vom
Wirklichen zu unterscheiden. In der Logik der Quantenmechanik wird das Mögliche, das
In-Sich-Sein, das durch die Wellenfunktion ausgedrückt ist, zunächst unabhängig von
Erscheinungsformen, vom Endstadium des Experimentes und der Statistik betrachtet.
In diesem Falle ist die Methodologie der Untersuchung der Frage der Logik des „Kapitals“
von Marx analog. In seinen Briefen hat er mehrmals unterstrichen, dass das Neue an
seinem Herangehen im Vergleich zu den Klassikern der politischen Ökonomie das ist, dass
er zunächst den Mehrwert in reiner Form untersucht, unabhängig von Erscheinungsformen.
Dabei kritisierte er scharf die Empiriker in der politischen Ökonomie, die dem Wesen die
Erscheinungsformen gegenübergestellt haben. „Die Aufgabe der Wissenschaft“, schrieb
Marx, „besteht gerade darin zu erklären, wie das Wertgesetz erscheint; folglich, wenn sie
sofort alle dem Gesetz scheinbar widersprechenden Erscheinungen „erklären“ wollten,
müssten sie die Wissenschaft noch vor der Wissenschaft geben ... Die Pointe der
212
bürgerlichen Wissenschaft besteht ja gerade darin, dass in ihr a priori keine bewusste
gesellschaftliche Regulierung der Produktion existiert. Das Vernünftige und natürlich
Notwendige offenbart sich als blind handelnder Durchschnitt. Und der Vulgärökonom
denkt, dass er eine große Entdeckung macht, wenn er der Aufdeckung des inneren
Zusammenhanges stolz den Fakt gegenüberstellt, dass in den Erscheinungen die Dinge
anders aussehen. Und es kommt heraus, dass er darauf stolz ist, vor der Scheinbarkeit zu
liebedienern, dass er das Scheinbare für das Endliche hält“.38
Die Bedeutung der marxistischen Methodologie in der Logik der Quantenmechanik ist
groß. Während Marx den Mehrwert unabhängig von seinen Erscheinungsformen
tiefgründig erforschte, wird in der Quantenmechanik der Zustand des Mikroobjektes (die
Wellenfunktion) unabhängig von konkreten Erscheinungsformen untersucht, im gegebenen
Fall unabhängig von Beobachtungsmitteln. Eine solche Betrachtung ist das wichtigste
Moment der theoretischen Reproduktion des Objektes. In der Quantenmechanik wird erst
danach der notwendige Zusammenhang der Wellenfunktion und der Ergebnisse der
Messung und des statistischen Charakters der Quantenerscheinungen zutage gefördert und
erforscht. Im Ergebnis haben wir ein ganzheitliches Bild der Reproduktion des
Mikroobjektes.
In den Untersuchungen Foks ist dieser Aspekt der Quantenmechanik herausgearbeitet. Laut
Fok kann man zwei Seiten der Wechselwirkung zwischen Mikroobjekt und Gerät
unterscheiden: erstens die Wechselwirkung als physikalischer Prozess und zweitens die
Wechselwirkung als Nahtstelle zwischen dem System, das quantenmechanisch beschrieben
wird (Mikroobjekt) und dem Teil, der klassisch beschrieben wird. Seine Aufmerksamkeit
konzentriert Fok hauptsächlich auf den zweiten Teil. Dabei muss man unbedingt bedenken,
dass die äußeren Bedingungen des Verhaltens des Quantenobjektes und die Ergebnisse der
Wechselwirkung mit seinem Gerät in Termini der klassischen Physik beschrieben werden.
Nach ihren Angaben muss über die Quanten-Charakteristika des Atomobjektes geurteilt
werden.
In der klassischen Physik kann das Verhalten des physikalischen Körpers eindeutig
vorhergesagt werden. In Atomobjekten verhält es sich prinzipiell anders: Sogar im Falle
fixierter äußerer Bedingungen ist das Resultat ihrer Wechselwirkung mit dem Gerät nicht
eindeutig. „Dieses Resultat“, schreibt Fok, „kann nicht mit Bestimmtheit auf der
Grundlage vorausgegangener Beobachtungen vorhergesagt werden, so exakt letztere auch
sein mögen. Bestimmt ist nur die Wahrscheinlichkeit dieses Resultates. Der vollständigste
Ausdruck der Resultate einer Serie von Messungen wird nicht die exakte Bedeutung der
gemessenen Größe sein, sondern die Verteilung der Wahrscheinlichkeiten für sie“.39
Die Spezifik und Besonderheit der Quanten-Gesetzmäßigkeiten hängen mit der Natur der
Mikroerscheinungen zusammen. „Jener Fakt“, schreibt Fok, „ dass im allgemeinen Fall
keine Präzisierung der vorangegangenen Beobachtungen zur eindeutigen Vorhersage des
Resultates der Messungen führt, hat eine große prinzipielle Bedeutung. Diesen Fakt muss
213
man als Ausdruck eines gewissen Naturgesetzes betrachten, das mit den Eigenschaften von
Atomobjekten zusammenhängt, insbesondere mit dem ihnen eigenen korpuskularen
Wellen-Dualismus. Die Anerkennung dieses Faktes bedeutet die Absage an den
klassischen Determinismus und erfordert neue Formen des Ausdrucks des
Kausalitätsprinzips“.40
Statistische Gesetzmäßigkeiten gab es eigentlich auch in der klassischen Physik. Aber die
Wahrscheinlichkeit hat in der Quantenmechanik eine prinzipiell andere Bedeutung, da die
Wahrscheinlichkeit in der klassischen Physik als Ergebnis eines gewissen Nichtwissens
betrachtet wurde und immer die Möglichkeit einer Rückführung auf eine eindeutige
Lösung vorausgesetzt wurde. Auf dem Gebiet der Quantenmechanik haben wir ein
prinzipiell anderes Bild. „In der Quantenmechanik“, schreibt Fok, „ist ein derartiges
Aussortieren der Atomobjekte unmöglich, da entsprechend der Eigenschaft der
Atomobjekte die gemessenen Größen unter den gegebenen Bedingungen keine bestimmten
Bedeutungen haben können. In der Quantenphysik ist der Begriff der Wahrscheinlichkeit
ein primärer Begriff und spielt dort eine fundamentale Rolle. Mit ihm ist auch der
quantenmechanische Begriff des Zustandes des Objektes verbunden“.41
Auf dem Gebiet der Quantenmechanik geht es um ein prinzipiell neues Verständnis der
Wahrscheinlichkeiten, die der Ausdruck der Bewegung qualitativ anderer physikalischer
Objekte sind und die eine Korpuskularwellen-Natur haben. Auf dem Gebiet der
Quantenmechanik drückt die Wahrscheinlichkeit, die Wellenfunktion etwas Primäres aus,
während die statistische Gesetzmäßigkeit als Beschreibung der Ergebnisse der Messung
eine Erscheinungsform ist. In der Quantenmechanik als theoretischer Wissenschaft werden
die Substanz, die immanenten Gesetzmäßigkeiten und Erscheinungsformen in Einheit und
Ganzheit betrachtet.
Diese theoretische und ganzheitliche Betrachtung ist ein gewisses Ergebnis der
wissenschaftlich-theoretischen Reproduktion des Objektes. Sie unterscheidet sich
wesentlich vom ursprünglichen, chaotischen Ganzen, dem Sachgebiet, mit dessen
theoretischer Analyse die Erkenntnis, die Herausstellung und Offenbarung der allgemeinen
Grundlage, des Ausgangspunktes des konkreten Ganzen eigentlich beginnt. Dem Wesen
nach beginnt mit dieser ursprünglichen „Zelle“, dem Allgemeinen der Aufstieg vom
Abstakten zum Konkreten. Nur im Ergebnis einer solchen Bewegung des theoretischen
Gedankens realisiert sich die geistige Reproduktion des Gegenstandes als lebendiges
Ganzes.
Die nichtrelativistische Quantenmechanik als theoretische Wissenschaft muss die
ganzheitliche Natur des Mikroobjektes erklären. In diesem Zusammenhang entsteht die
Frage: Wenn ein bestimmtes Sachgebiet, ein Gebiet von Mikroerscheinungen bekannt ist,
was ist dann der Ursprung dieses Sachgebietes, von dem ausgehend das theoretische
Verständnis der Mikroerscheinungen möglich ist? Dabei muss man sich unbedingt an die
grundlegenden logischen Kriterien des Ursprungs, der elementaren „Zelle“ erinnern.
214
In der dialektischen Logik wird der Ursprung, die elementare „Zelle“ als allgemeine,
unmittelbare Bestimmtheit des Ganzen verstanden. Im „Kapital“ ist dieses Allgemeine die
Ware und die Warenbeziehungen. Darum beginnt auch Marx die Analyse der Ware, die die
„Zelle“ des Kapitalismus ist, und entdeckt in dieser einfachsten Konkretheit seine
Widersprüche.
In diesem Zusammenhang ensteht die Frage: Was ist der Ausgangspunkt der
Quantenmechanik? Es ist die Korpuskularwellen-Natur des Mikroobjektes.
Die Frage nach dem Korpuskularwellen-Dualismus hat eine fundamentale Bedeutung in
der Quantenmechanik. Von ihm hängen alle spezifischen Besonderheiten des
Quantenobjektes ab, d. h. die fundamentale Wahrscheinlichkeit, der statistische Charakter,
das Fehlen einer Bahn und die Unmöglichkeit der mechanisch-deterministischen
Beschreibung des Quantenobjektes. Methodologisch sind das richtige Verständnis und die
Interpretation der Quantenmechanik nur bei der prinzipiellen Betonung der Besonderheiten
der Quantenerscheinungen möglich.
Auf dem Gebiet der Quantenmechanik ist der Korpuskularwellen-Dualismus sowohl
historisch als auch logisch das Ausgangselement. Alle Besonderheiten des Mikroobjektes
kann man verstehen, wenn man von seiner Korpuskularwellen-Natur ausgeht. Dabei muss
man beachten, dass der Terminus Korpuskularwellen-Dualismus nicht besonders glücklich
gewählt ist. In der Quantenmechanik geht es nicht um Dualismus im philosophischen
Sinne, sondern um die Korpuskularwellen-Natur des einheitlichen Ursprungs selbst. Wie in
der Geschichte der Philosophie das synthetische Urteil a priori falsch als gnoseologischer
Dualismus ausgelegt wurde, wird in der Quantenmechanik der einheitliche
widersprüchliche Ursprung als Korpuskularwellen-Dualismus interpretiert. In den
Teilchenwellen der Quantenmechanik haben wir einen einheitlichen Ursprung, der einen
zwiespältigen Charakter hat. Auf dem Gebiet der Quantenmechanik sind einzelne
terminologische Ungenauigkeiten weit verbreitet, die zu nicht richtigem Verständnis
einiger wichtiger Kategorien, Begriffe in der Quantenmechanik führten. Das bezieht sich
vor allem auf das berühmte Prinzip der Nachträglichkeit. Bei aufmerksamer und
tiefschürfender Untersuchung ist dieses Prinzip seinem Inhalt nach dialektisch. In ihm ist
terminologisch unglücklich die wichtige Idee der Einheit der Gegensätze ausgedrückt.
Ähnlich, wie die Möglichkeit der Krise, des Widerspruchs des Kapitalismus schon
embryonal in der Ware vorhanden ist, sind auch die Wechselbeziehungen der
Unbestimmtheiten, die Unmöglichkeit einer eindeutigen Interpretation, das Prinzip der
Nachträglichkeit im zwiespältigen Charakter der Mikroerscheinungen selbst enthalten. Alle
Geheimnisse und Schwierigkeiten der Quantenmechanik sind embryonal im zwiespältigen
Charakter der Mikroerscheinungen eingeschlossen.
Zu dieser Frage hat Fok mit Bestimmtheit erklärt, dass alle Schwierigkeiten auf dem
Gebiet der Quantenmechanik entfallen, wenn man die zwiespältige KorpuskularwellenNatur des Elektrons anerkennt, das Wesen dieses Dualismus´ aufklärt und begreift, auf was
215
sich die in der Quantenmechanik untersuchten Wahrscheinlichkeiten beziehen. Er hat dann
weiter unterstrichen, dass die aus der Wellenfunktion erhaltenen Wahrscheinlichkeiten für
unterschiedliche Größen sich auf verschiedene Versuchsanordnungen beziehen und dass
sie nicht das Verhalten des Teilchens „an sich“ charakterisieren, sondern seine Einwirkung
auf das Geraät eines bestimmten Typs. „Gerade in dieser potentiellen Möglichkeit“,
schrieb Fok, „verschiedener Äußerungen von Eigenschaften, die dem Atomobjekt eigen
sind, besteht der Dualismus der Welle-Teilchen“.42 „Die Wahrscheinlichkeit diesen oder
jenen Verhaltens des Objektes unter den gegebenen äußeren Bedingungen wird von den
inneren
Eigenschaften des gegebenen individuellen Objektes und diesen äußeren Bedingungen
bestimmt“.43
In der Entstehungsgeschichte der Quantenphysik hat der zwiespältige Charakter der
Strahlung, der Mikroerscheinungen unterschiedliche Schwierigkeiten geschaffen. In den
Wellen von L. de Broglie sahen die Physiker etwas Irrationales. In diesem Zusammenhang
sind die theoretischen Ausführungen von Marx über die Natur der Ware interessant. Im
Kapitel „Der Waren-Fetischismus und sein Geheimnis“ schrieb er: „Auf den ersten Blick
scheint die Ware ein sehr einfaches und triviales Ding. Ihre Analyse zeigt, dass sie ein
Ding mit Schrullen, metaphysischen Feinheiten und theologischen Tricks ist. Als
Verbrauchswert enthält sie nichts Rätselhaftes ... Sobald sie aber zur Ware wird,
verwandelt sie sich in ein sinnliches-übersinnliches Ding. Sie steht nicht nur mit ihren
Beinen auf der Erde, sondern stellt sich vor aller Augen auf den Kopf, und ihr Holzkopf
gebiert Schrullen, in denen mehr Verwunderliches ist, als würde sie aus eigener Initiative
auf dem Tisch tanzen.
Der mystische Charakter der Ware wird nicht durch ihren Verbrauchswert erzeugt.
Genauso wenig wird er durch den Inhalt der Bestimmungen des Wertes erzeugt...
Woher kommt also der rätselhafte Charakter des Produktes der Arbeit, sobald letzteres die
Form der Ware annimmt? Augenscheinlich aus dieser Form selbst“.44
Bei allem Unterschied des Gegenstandes der politischen Ökonomie und der
Quantenmechanik kann man in diesem Fall eine gewisse Analogie konstatieren. In der
Quantenmechanik gibt es auch im Zusammenhang mit der Korpuskularwellen-Natur der
Mikroerscheinungen jede Menge Schwierigkeiten. Lange Zeit haben die Physiker die
fundamentale Wahrscheinlichkeit, die Natur der Wellenfunktion in der Quantenmechanik
nicht verstanden.
In Wirklichkeit ist nichts Kompliziertes oder Geheimnisvolles in der korpuskularen oder
Wellen-Natur der Materie, wenn man nur eine dieser Seiten nimmt. In jedem dieser Fälle
würden wir eine vollkommene Rechtfertigung des klassischen Determinismus, der
eindeutigen Interpretation erhalten, und die Wechselbeziehungen der Unbestimmtheiten
würden als Wechselbeziehungen von Ungenauigkeiten ausgelegt werden. Die
216
Hauptschwierigkeit in der Quantenmechanik entsteht aus jener Form der Materie, in der
die Korpuskularwellen-Eigenschaft in unteilbarer Einheit betrachtet wird.
In der Quantenmechanik ergeben sich notwendig und erklären sich aus der Einheit der
Korpuskularwellen-Eigenschaft die fundamentale Wahrscheinlichkeit, die Wellenfunktion
und die Auslegung der Ergebnisse verschiedener klassischer Messungen, die
Ergänzungscharakter haben. Die Korpuskularwellen-Natur der Materie aht eine allgemeine
Bedeutung in der Quantenmechanik. Sie ist der wahre Ursprung der Quantenmechanik - in
historischer wie in logischer Betrachtung.
C. Die historische Begründung des Ursprungs in der
Quantenmechanik
In der Physik fand ein Umbruch im Denken im Zusammenhang mit der Entdeckung der
Diskontinuität der Strahlungsenergie statt. Bis dahin herrschte die Wellenkonzeption vor,
in der jegliche Strahlung als Kontinuität betrachtet wurde. Im Zusammenhang mit der
Lösung der Aufgaben der Strahlung der absoluten black box führte M. Planck die Idee der
Diskontinuität ein (Wirkungsquantum h). Aber diese Hypothese wurde ursprünglich als
temporäre Erscheinung betrachtet.
Die Hoffnung der Gelehrten hat sich nicht erfüllt. In der Entwicklung der Physik begann
die Konstante von Planck, ein Gebiet nach dem anderen zu erobern.
Die Quantentheorie wurde von Einstein für die Erklärung der Natur des Foto-Effektes
genutzt. Auch N. Bohr hat die Quanten-Idee produktiv für die Erklärung der Struktur der
Atomspektren genutzt. Ein großer Triumph der Idee der Diskretheit war ihre
experimentelle Bestätigung in den Versuchen von Compton. Das alles waren zweifellos
wichtige Abschnitte des Triumphzuges der Quanten-Idee, die immer mehr Gebiet der
Physik eroberte und so ihre Universalität demonstrierte.
Freilich gehört das alles noch zur Vorgeschichte der Quantenmechanik. In letzterer
gewinnt größte Bedeutung die Erarbeitung der Hauptprinzipien und Gleichungen der
Quantenmechanik, die sich auf die Allgemeinheit der Korpuskularwellen-Natur der
Materie stützen. In der Quantenmechanik entspricht die Korpuskularwellen-Natur des
Mikroobjektes seiner logischen Natur nach der Ware im „Kapital“ von Marx. Ähnlich, wie
die Analyse der Ware zur Entdeckung des Wertes und des Mehrwertes führt, führt auch in
der Analyse der Diskretheit der Energie, der Korpuskularwellen-Natur der Materie zur
Schaffung der Wellen-Gleichung der Quantenmechanik.
Während in der theoretischen Begründung des „Kapitals“ die Bedeutung der Allgemeinheit
der Ware, der Entdeckung der Arbeitskraft als Ware sehr groß ist, haben in der
Quantenmechanik die Ideen von Einstein und de Broglie zur Korpuskularwellen-Natur des
Mikroobjektes größte Bedeutung.
217
In der politischen Ökonomie gab die Analyse der Ware, die Entdeckung der Arbeitskraft
als Ware die Möglichkeit zur Begründung des Mehrwertes. In der Quantenmechanik hat
die Entdeckung und Begründung der Korpuskularwellen-Natur des Mikroobjektes
fundamentale Bedeutung für die Aufstellung der Schrödinger-Gleichung.
In der physikalischen Literatur wird richtig hervorgehoben, dass Schrödinger bei der
Schaffung der Wellengleichung von den Ideen Einsteins und de Broglies ausgegangen ist.
Zu dieser Frage hat Schrödinger in seiner Arbeit „Über das Verhältnis der
Quantenmechanik von Heisenberg - Born - Jordan zu meiner“ geschrieben: „Meine
Theorie wurde durch die Dissertation von de Broglie und die kurzen, aber äußerst
tiefschürfenden Bemerkungen von Einstein angeregt“.45 In diesem Fall ist von der Idee
des Teilchens die Rede, das untrennbar mit der Welle verbunden ist. In seinen Arbeiten
über ideale Gase hat Einstein die Idee von de Broglie weiterentwickelt. Eigentlich ist der
Hauptinhalt der Idee von de Broglie und der Arbeiten von Bose innerlich mit den
fundamentalen Ideen Einsteins über die Natur der Strahlung verbunden. „Gerade dann“,
schreibt Klein, „als die Versuche Comptons viele Physiker endgültig von der Realität der
Quanten der Lichtteilchen-Strahlung überzeugt hatten, schloss sich Einstein dem
Vorschlag von de Broglie an, dass Dualismus der Teilchen-Welle sowohl für die Strahlung
als auch für die Materie zutrifft“.46
Bei der aufmerksamen Betrachtung der Geschichte der Physik zeigt sich klar, dass die Idee
der Quantierung ursprünglich als Grenzfall im allgemeinen Bild der Physik entstand. Im
Weiteren, wie schon aufgezeigt, hat die Quanten-Idee, die Korpuskularwellen-Natur der
Materie das physikalische Denken uneingeschränkt erobert. Die Quanten-Idee verwandelte
sich aus einem zufälligen, einem Grenzfall in etwas Fundamentales und Notwendiges in
der neuen Physik.
Für den Sieg der fundamentalen Ideen der neuen Physik, der Begründung der
Korpuskularwellen-Natur der Materie sind die Verdienste von Einstein und de Broglie sehr
groß. die Idee von der Korpuskularwellen-Natur des Lichtes hatte Einstein schon lange
zuvor im Zusammenhang mit der Überwindung der Begrenztheit der vorherigen LichtTheorein geäußert. Bei seinem Auftritt auf dem Kongress in Salzburg hat Einstein
nochmals hervorgehoben, dass „uns die nächste Phase der Entwicklung der theoretischen
Physik die Theorie des Lichtes bringt, die im gewissen Sinne die Vereinigung der WellenTheorie des Lichtes mit der Theorie des Ausflusses ist“.47
Einstein sah klar die Hauptmängel der existierenden Wellen-Theorie des Lichtes. Sie war
außerstande, rational solche Fragen zu klären, wie z. B.: Warum ist das Kurzwellen-Licht
effektiver für den Ablauf chemischer Reaktionen als das Langwellen-Licht? Warum erhält
das einzelne Foto-Elektron mehr Energie von einer Lichtquelle mit geringer
Streuungsdichte? Und warum hängt die Energie eines solchen Foto-Elektrons nicht von der
Intensität des Lichtes ab? - In dieser Hinsicht ist die Theorie produktiv, in der die Idee der
Quanten angewandt und das Licht als Teilchen-Strom betrachtet wird. In diesem Fall wird
218
die Erscheinung des fotoelektrischen Effektes hinreichend erklärt, der eher auf die
ausgerichtete als auf die sphärisch-symmetrische Emission des Lichtes hinweist. In seiner
Theorie hat Einstein klar die fundamentale Bedeutung der Quanten-Idee (hv) und auch das
verstanden, dass sie ernsthaft über den Rahmen der klassischen Physik hinausgeht.
Während sich der Schöpfer der Quanten-Idee M. Planck mehrmals bemühte, die Konstante
(h) mit der klassischen Theorie zu versöhnen, war Einstein von der Erfolglosigkeit eines
solchen Bemühens überzeugt. „Der Schlüsselpunkt der Überlegung von Einstein“, schreibt
Klein, „war die Verwandlung der Methode von Planck. Anstatt sich um die Ableitung des
Gesetzes der Streuung zu bemühen und dabei von irgendeiner fundamentalen These
auszugehen, ging er den entgegengesetzten Weg. Das Gesetz von Planck war durch
Experimente gründlich bewiesen, - warum konnte man seine Richtigkeit nicht anerkennen
und versuchen herauszubekommen, welche Folgen, die die „Struktur“ der Strahlung
anbetreffen, sich aus ihm ergeben? Einstein hatte so etwas Ähnliches schon 1905 getan“.48
Mit seinen Gedanken über das freie Quant, über die Vereinigung der Wellen- und der
Korpuskulartheorie des Lichtes war Einstein damals schon viel weiter als Planck, wovon
zeugt, dass letzterer auf dem Kongress in Salzburg anlässlich des Auftritts von Einstein
bemerkte: „Das scheint mir ein solcher Schritt zu sein, der meiner Ansicht nach heute noch
nicht notwendig ist“.49
Später wurde die Idee des freien Quants durch Experimente, durch Messungen des
fotoelektrischen Effektes durch R. Milikan bestätigt. In diesen Versuchen wurde bewiesen,
dass die Strahlung gerichtet ist und jedes Quant die Bewegungsanzahl hv/c hat. Ein
wichtiges Ereignis beim Beweis dieser Idee war der Compton-Effekt. Dank diesem Effekt
erhielt die Quanten-Idee Einsteins eine breite Anerkennung. In seinem Brief an Compton
schrieb Sommerfeld, dass seine Entdeckung „wie Beerdigungsmusik für die Wellentheorie
der Strahlung klingt“.
Nach den Arbeiten von Compton untersuchte W. Pauli das Wärme-Gleichgewicht der
Strahlung und der freien Elektronen. Er stützte sich dabei auf die Arbeiten Einsteins aus
dem Jahre 1917, um im Rahmen der Quanten-Theorie die Beschreibung der
Wechselwirkung von Elektron und Strahlung zu finden, bei der sich ein thermisches
Gleichgewicht bilden kann. Der entsprechende Mechanismus musste eine Strahlung
ergeben, die dem Gesetz von Planck entsprach, während die kinetischen Energien der
Elektronen der Streuung von Maxwell-Boltzmann genügen mussten. Die elementare
Wechselwirkung musste genau so sein, wie im Compton-Effekt.
In den Resultaten von Pauli traten freilich bestimmte Paradoxa und Schwierigkeiten auf.
Sie wurden später leicht mit Hilfe der Ideen von Einstein überwunden, die mit dem
Doppelcharakter der Strahlung verbunden waren. Die Schlüsse von Pauli erwiesen sich als
natürliche Verallgemeinerung der frühen Arbeiten Einsteins.
Wenn man sich auf die Arbeiten Einsteins stützt, kann man auch die Erscheinung der
Interferenz und der Diffraktion in der Struktur der Strahlung verstehen. „Einstein hat schon
219
lange die Meinung geäußert“, schrieb Klein, „dass man beide Aspekte der Strahlung - die
Welle und das Teilchen - zu einer fundamental neuen Theorie vereinen muss ...“.50
Eine ernsthafte Etappe beim siegreichen Vormarsch der Ideen Einsteins über LichtQuanten waren die Arbeiten von Bose, der sich die Aufgabe gestellt hatte, die Gesetze
unmittelbar aus der Hypothese Einsteins abzuleiten. Auf dieses Ziel waren auch die
Arbeiten von de Broglie ausgerichtet. Er wollte das Gesetz von Planck aus der statistischen
Mechanik der Licht-Quanten ableiten, ohne auf die Theorie des Elektromagnetismus
zurückzugreifen. Im Ergebnis dieser Forschung kam ursprünglich die Streuung von W.
Wien heraus. Aber Louis de Broglie stellt mit Bestimmtheit fest, dass er das Gesetz von
Planck nur unter der Bedingung der Untersuchung der Strahlung als Mischung von Gasen
erhalten kann, deren Quanten die Energien hv, 2hv, 3hv ... nhv haben.
In seiner Hypothese über den Dualismus der Teilchenwelle stützte sich de Broglie
konsequent auf die Ideen Einsteins. „Plötzlich hatte ich eine Erleuchtung“, schrieb er. „Ich
war überzeugt, dass der Dualismus der Teilchenwelle, den Einstein in seiner Theorie der
Licht-Quanten entdeckt hatte, absolut allgemein ist und die gesamte physikalische Welt
erfasst, und es schien mir deshalb unzweifelhaft, dass die Ausbreitung der Welle mit der
Bewegung eines Teilchens beliebiger Art zusammenhängt - Photon, Proton und jedes
anderen“.51 In diesem Fragment ist der Hauptinhalt der Dissertation von de Broglie
widergespiegelt, die Einstein sehr hoch geschätzt hat.
Der Grundgedanke von de Broglie war Einstein sehr nahe. Während Einstein die
Eigenschaft des Teilchens der Strahlung zuschrieb, hat de Broglie die Wellen-Eigenschaft
der Materie anerkannt. Die Wellen der Materie mit der Frequenz v und der Länge  waren
mit der Energie der Teilchen E und der Quantität der Bewegung P durch die Gleichungen
E=hv, P=h/lambda verbunden. Auf der Basis dieser Gleichungen konnte de Broglie die
Quanten-Bedingungen von Bohr-Sommerfeld erklären, die sich als Bedingungen der
Resonanz für die Wellen der Materie erwiesen, wenn sich die entsprechenden Teilchen in
einer Bahn bewegen.
Die Idee der Teilchenwelle von de Broglie war revolutionär. Viele Zeitgenossen haben sie
schwer verstanden. „Für Einstein“, schrieb Klein, „dessen Ideen für de Broglie die
Ausgangspunkte waren, passten die Wellen der Materie natürlich in das allgemeine Bild.
Seine Berechnungen des Quanten-Gases, die er anstellte, als er sich mit der Dissertation
von de Broglie bekanntgemacht hatte, erbrachten tatsächlich neue Beweise für die
Unterstützung der Idee von de Broglie“.52
In seinen Arbeiten hat Einstein die Gedanken von de Broglie entschieden unterstützt.
Daran hat sich de Broglie selbst erinnert. „Die wissenschaftliche Welt jener Zeit“, schrieb
er, „hat auf jedes Wort von Einstein gehört, denn er befand sich damals auf der Höhe
seines Ruhmes. Indem er auf die Wichtigkeit der Wellenmechanik hinwies, hat der
berühmte Gelehrte sehr viel für die Beschleunigung ihrer Entwicklung getan. Ohne seinen
Artikel hätte man meine Dissertation erst viel später richtig eingeschätzt“.53
220
Im Weiteren sind die Ideen von de Broglie dauerhafter Bestandteil der physikalischen
Wissenschaft geworden. Die Vorstellungen von den Wellen der Materie wurden von
Elsasser zur Erklärung des Versuches von Ramsauer genutzt, der entdeckte, dass
Elektronen, die durch das Feld um einige Volt beschleunigt werden, eine anomal große
Laufbahn in inerten Gasen haben. Dieser Effekt ist hervorragend auf der Grundlage der
Formel von de Broglie erklärbar. Was die Bedeutung der Arbeiten Einsteins zur
Begründung der Teilchenwelle betrifft, so schrieb Elsasser: „Auf Umwegen über die
statistische Mechanik erhielt Einstein vor kurzem ein hervorragendes physikalisches
Ergebnis. Und zwar zeigte er die Glaubwürdigkeit der Annahme, dass man mit jeder
Vorwärtsbewegung des materiellen Teilchens ein Wellen-Feld verbinden kann, wobei die
Eigenschaft dieses Feldes durch die Kinematik des Teilchens bestimmt wird. Die
Hypothese derartiger Wellen, die schon vor Einstein von de Broglie aufgestellt wurde,
erhält eine solche kräftige Unterstützung dank der Theorie Einsteins, dass es vernünftig
erscheint, ihre experimentelle Bestätigung zu suchen“.54
So erkämpfte sich die Idee der Teilchenwelle einen festen Platz in der Physik. Von ihr ging
Schrödinger aus, als er die Wellen-Gleichung der Quantentheorie schuf. „Deshalb“,
schreibt Klein, „war er gut darauf vorbereitet, die Stärke und Novität der Theorie Einsteins
einzuschätzen und zu erforschen, welche Schlussfolgerungen sich aus ihr ergeben“.55
Die Bedeutung der Idee der Teilchenwelle von de Broglie und Einstein ist groß für die
Begründung der Quantenmechanik - sowohl historisch als auch logisch. In der
Quantenmechanik hat die Wellen-Gleichung genau so eine Bedeutung wie der Wert und
der Mehrwert in „Kapital“ von Marx. Während Marx die Entstehung des Mehrwertes
mittels der Entdeckung einer besonderen Ware - der Arbeitkraft - erklärt, wird in der
Quantenmechanik die Wellenfunktion von der Korpuskularwellen-Natur der Materie
abgeleitet. In diesem Zusammenhang muss betont werden, dass es von Anfang an bei der
Wellenfunktion keine Mystik gab. Zu ihrem strengen theoretischen Verständnis war es
notwendig, die besondere Natur des Mikroobjektes zu beachten, das sich kraft
gegensätzlicher Wellen- und Korpuskular-Eigenschaften nicht dem klassischen
Determinismus unterordnet, sondern spezifischen Gesetzen, in denen die
Wahrscheinlichkeiten fundamentale Bedeutung haben.
In Form der Wellen-Gleichung wurde die substantielle Gleichung der Quantenmechanik
geschaffen. Ähnlich, wie Marx den Mehrwert unabhängig von Erscheinungsformen
betrachtet (was die Folge der theoretischen, dialektischen Untersuchung ökonomischer
Erscheinungen ist), wird in der Quantenmechanik die Wellenfunktion unabhängig von den
Erscheinungsformen betrachtet. In der Wellenfunktion drückt sich der objektiv mögliche
Zustand des Mikroobjektes vor der Messung mittels eines klassischen Gerätes aus. In
diesem Zusammenhang hat die Feststellung von Fok einen tiefen Sinn, in der er strikt das
Mögliche und das Wirkliche im Verhalten des Mikroobjektes unterscheidet.
221
In diesem Fall zeigte sich deutlich der Unterschied zwischen theoretischem Herangehen an
wissenschaftliche Forschungen und empirischen Untersuchungen von Erscheinungen. In
der empirischen Forschung hat das Verstehen jeden Faktes, Resultates des Experimentes
eine sich selbst genügende Bedeutung. Aber es ist unzulässig, außerhalb dieser
Erscheinungen nach etwas zu suchen. Im Gegensatz dazu bedeutet das theoretische
Herangehen das Verstehen des Faktes oder einer Gruppe von Erscheinungen ihre
Rückführung auf etwas Einheitliches, eine Substanz, deren Erscheinungsform sie sind. Da
die Substanz, der einheitliche Ursprung der empirischen Form nicht unmittelbar entspricht,
wird sie anfangs unabhängig von ihren Erscheinungsformen betrachtet.
In der nichtrelativistischen Quantenmechanik werden nicht einfach Quantensprünge
beschrieben, die Wechselbeziehungen der Unbestimmtheiten, Statistik u. a., sondern sie
werden alle als Folge der Korpuskularwellen-Natur der Mikroerscheinungen betrachtet. In
den theoretischen Überlegungen Foks über Möglichkeiten und Wirklichkeiten ist dem
Wesen nach die Beziehung der Substanz, des Ursprungs zu den Erscheinungsformen
erfasst. In der Wellen-Gleichung von Schrödinger, in der Wellenfunktion ist das
Substantielle, das Wesen der Mikroerscheinungen aufgedeckt und widergespiegelt. In
ihnen wird der objektive, potentiell mögliche Zustand des Mikroobjektes beschrieben.
Die Wellenfunktion bezieht sich hauptsächlich auf das Verhalten der Mikroerscheinungen,
die in reiner Form erforscht werden, d.h. unabhängig von Erscheinungsformen. Bei der
Analyse des möglichen Zustandes kann man vom Einfluss des Makrogerätes auf das
Verhalten der Mikroerscheinungen abstrahieren. In diesem Fall ist die Lage analog der
theoretischen Analyse im „Kapital“ von Marx. Ursprünglich hat Marx die Genesis des
Kapitals in reiner Form erforscht, er hat noch nicht die Einflüsse der Konkurrenz, den
Kapitalfluss und die Wirkung des Gesetzes der mittleren Profitnorm beachtet. Deshalb
widerspricht die Mehrwertnorm der Profitnorm. Alle diese Schwierigkeiten hat Marx im
„Kapital“ gelöst. Auf dem Gebiet der Quantenmechanik haben wir das gleiche Bild. In der
Wellen-Gleichung und in der Wellenfunktion ist der ideale, objektive Zustand des
Mikroobjektes zu spüren, aber er fällt nicht mit dem Bild zusammen, das nach der
faktischen Messung entsteht. Diese zwei Zustände unterscheiden sich voneinander wie das
Mögliche vom Wirklichen, wie die Substanz von den Erscheinungsformen.
Die Quantenmechanik ist eine theoretische Wissenschaft, die das ganzheitliche Bild der
Quantenerscheinungen beschreibt; sie macht nicht bei der Aufdeckung des
Ausgangspunktes, bei der Beschreibung von Mikroerscheinungen und ihrem
mathematischen Ausdruck halt, sondern bemüht sich, das ganzheitliche Bild der
Mikroerscheinungen zu verstehen. Bei aller seiner Bedeutung ist der Ursprung noch ein
unentwickelter, möglicher, abstrakter Zustand des Objektes. Nur der theoretische Aufstieg
vom Ursprung zum Resultat, vom Möglichen zum Wirklichen, vom Abstrakten zum
Konkreten gibt die Möglichkeit, ein möglichst vollständiges, ganzheitliches Bild des
erforschten Objektes zu verstehen und theoretisch auszudrücken.
222
________________________
1 Die Rede ist hauptsächlich von der speziellen Relativitätstheorie
2 Mandelstam L. I. Gesammelte Werke. M. 1950, Band V, S. 91
3 a. a. O., S. 92
4 Louis de Broglie Eine Revolution in der Physik. M. 1963, S. 65 - 66
5 Mandelstam L. I. Gesammelte Werke, Band V, S. 94
6 a. a. O., S. 120
7 a. a. O., S. 141
8 Lorentz H. A. Theorie der Elektronen. M. 1956, S. 247
9 Einstein A. Sammlung wissenschaftlicher Werke, Teil 1, S. 414
10 a. a. O.
11 Lorentz H. A. Theorie der Elektronen. S. 284
12 a. a. O., S. 293
13 a. a. O., S. 438
14 Born M. die Physik im Leben meiner Generation. M. 1963, S. 318
15 a. a. O., S. 322
16 Louis de Broglie. Eine Revolution in der Physik. S. 66 -67
17 Einstein A. Sammlung wissenschaftlicher Werke, Band 1, S. 686
18 Born M. Die Physik im Leben meiner Generation, S. 318
19 a. a. O., S. 415
20 Marx K., Engels F. Werke, Band 23, S. 6
21 Born M. die Physik im Leben meiner Generation, S. 327
22 Es muss bemerkt werden, dass Einstein in seinen späteren Artikeln immer die
Bedeutung des Versuches von Michelson betont hat. So sagte er in einer seiner
Vorlesungen 1921 zu den Versuchen, die keinen Einfluss der Vorwärtsbewegung der Erde
auf elektromagnetische und optische Erscheinungen aufgezeigt haben: „Die wichtigsten
dieser Versuche sind die von Michelson und Morley.“ (Einstein A. Sammlung
wissenschaftlicher Werke, Band 2, S. 22)
23 Einstein A. Sammlung wissenschaftlicher Werke, Band 1, S. 685
24 a. a. O., S. 65 - 67, 138 - 144, 410 - 415 usw.
25 a. a. o., S. 540
26 a. a. O.
27 Kusnezow B. G. Gespräche über die Relativitätstheorie. M. 1965, S. 122
28 Born M. Die Physik im Leben meiner Generation, S. 322
29 a. a. O., S. 320 - 321
30 Das Relativitätsprinzip, M. - L. 1935, S. 23
223
31 Mandelstam L. I. Werke Band V, S. 173 - 174, 200 - 201
32 a. a. O., S. 181
33 Einstein A. Sammlung wissenschaftlicher Werke. Band 2, S. 25
34 Marx K., Engels F. Werke. Band 38, S.177
35 Zitiert aus: Die Entwicklung der modernen Physik. M. 1964, S. 60
36 Philosophische Probleme der modernen Naturwissenschaft. M. 1959, S. 213
37 a. a. O.
38 Marx K., Engels F. Ausgewählte Werke. Band II, M. 1955, S.442
39 Philosophische Probleme der modernen Naturwissenschaft, S. 221
40 a. a. O.
41 a. a. O., S. 222
42 a. a. O., S. 220
43 a. a. O., S. 227
44 Marx K., Engels F. Werke. Band 23, S. 80 - 81
45 Einstein - Sammelband. M. 1966, S. 213
46 a. a. O., S. 214
47 Einstein A. Sammlung wissenschaftlicher Werke. Band III, S. 181
48 Einstein - Sammelband, S. 219
49 a. a. O., S. 215
50 a. a. O., S. 234
51 a. a. O., S. 241
52 a. A. O., S. 242
53 a. a. O., S. 248
54 a. a. O., S. 249
55 a. a. O., S. 250
224
Kapitel VI
Analyse des Begriffs des Ursprungs in der Relativitätstheorie und in der
Quantenmechanik
Der Ursprung in der Relativitätstheorie
A. Fragestellung
Die Frage nach dem Ausgangspunkt des wissenschaftlich-theoretischen Wissens wurde
bisher in allgemein-theoretischer, dialektisch-logischer Hinsicht betrachtet. In den
vorangegangenen Kapiteln wurden am Beispiel konkreter Wissenschaften die
Hauptkriterien des Ausgangsgsallgemeinen eines ganzheitlichen Systems aufgezeigt.
Dabei wurde als Beispiel einer entwickelten Form der Erforschung dieses Problems „Das
Kapital“ von K. Marx genannt, in dem die Grundprinzipien der dialektischmaterialistischen Logik herausgearbeitet sind.
Die Nützlichkeit und Notwendigkeit der Anwendung der logischen Methode von Marx auf
soziale und organische Objekte ruft keinen Zweifel hervor. In der Literatur ist jedoch die
Bedeutung der dialektischen Logik, der Logik des „Kapitals“ bei der Erforschung, dem
theoretischen Verständnis physikalischer Objekte noch schwach beleuchtet. Wenn man die
Natur, den Charakter moderner physikalischer Theorien aufmerksam analysiert, so stellt
sich klar heraus, dass bei allem Unterschied physikalischer Systeme von organischen und
sozialen auf dem Gebiet der Physik eine ähnliche Logik und Methodologie vorherrschen.
Dieses Kapitel unserer Arbeit ist hauptsächlich der Analyse des Begriffs des Ursprungs in
der Logik der Relativitätstheorie von A. Einstein gewidmet.1
Der tiefschürfende
physikalische Inhalt, die Bedeutung der speziellen Relativitätstheorie ist allgemein bekannt
und steht außer Zweifel. Es ist jedoch schwer, das Gleiche von den logischgnoseologischen Problemen der Relativitätstheorie zu sagen. Offensichtlich war seinerzeit
die Diskussion zur Logik der Relativitätstheorie, die A. Alexandrow begonnen hat,
dadurch hervorgerufen. Die von ihm gestellte Frage nach der Logik der Relativitätstheorie,
nach dem inneren Zusammenhang und der Subordination ihrer Kategorien hat zweifellos
große Bedeutung. Die Aktualität der Probleme der Logik der Relativitätstheorie ist
selbstverständlich nicht nur durch diese Fragestellung entstanden. Umgekehrt, die
Diskussion selbst ist die Folge der Aktualität und der Notwendigkeit der Erforschung der
inneren Logik, der inneren Wechselbeziehung der Kategorien der Relativitätstheorie.
Die Frage nach der Logik der Relativitätstheorie, nach der Methode der Wiedergabe der
Wirklichkeit durch Einstein war aktuell und notwendig auch in dem Fall, wenn es keinerlei
Diskussion über Methode und Logik der Relativitätstheorie gegeben hätte. Die Diskussion
über die Logik der Relativitätstheorie trug jedoch zur tiefgründigen Erforschung der
logisch-gnoseologischen Probleme der Relativitätstheorie bei. Darin besteht ihre positive
Bedeutung.
225
Die Erforschung der logischen Probleme der Relativitätstheorie ist aktuell auch in dem
Zusammenhang, dass sie die erste physikalische Theorie des XX. Jahrhunderts ist, mit
deren Schaffung und Erarbeitung eine radikale Umwälzung alter Begriffe und
Vorstellungen in der physikalischen Wissenschaft verbunden ist. Auf dem Gebiet der
Physik ist es üblich, dass viele moderne physikalische Theorien, die mit der
Relativitätstheorie nicht unmittelbar zu tun haben, mit ihr doch dem Denkstil, der Logik
und der Methodologie nach verbunden sind. Es handelt sich darum, dass sich ihrem
Charakter, der Problemstellung, der Struktur und Methode nach die Relativitätstheorie
Einsteins wesentlich von alten, klassischen physikalischen Theorien unterscheidet. Sie
erklärt eine große Klasse physikalischer Erscheinungen, die nicht in den Rahmen früherer
physikalischer Theorien passen.
In der Entwicklung der Physik erforderten diese Erscheinungen eine grundlegende
Veränderung der alten Vorstellung von Raum und Zeit, eine radikale Revision der alten,
klassischen Denkungsart in der physikalischen Theorie. Hauptsächlich kann man hier das
Verständnis und Erfassen der elektromagnetischen Erscheinungen in beweglichen Medien
erwähnen. Im theoretischen Verständnis dieser Erscheinungen hatten sich bestimmte
Schwierigkeiten herausgebildet, die mit der Frage der Wechselbeziehungen von
elektromagnetischen Erscheinungen und Äther zusammenhängen. In der Relativitätstheorie
hat Einstein alle Schwierigkeiten, die mit diesem Problem verbunden sind, von der
Position einer neuen Methodologie aus gelöst und erklärt. In ihr sind eine revolutionär
kühne Erklärung einer großen Klasse physikalischer Erscheinungen und tiefes Verständnis
und Anwendung einer neuen Methode und Logik des Denkens vereinigt und ist ein
tiefgehender Zusammenhang solcher fundamentalen Begriffe in der Physik, wie Raum und
Zeit, Masse und Energie, Relatives und Absolutes gefunden worden, was einen radikalen
Einfluss auf die gesamte Kultur des Denkens genommen hat. „Darum ist das
Relativitätsprinzip“, schrieb Mandelstam, „über den Rahmen hinausgewachsen, der ihm
von den unmittelbaren physikalischen Aufgaben gesteckt war. Darum wurde auch die
Mechanik erfasst und schließlich die gesamte Physik. So ist das gewaltige Interesse zu
erklären, das - wie Sie wissen - die Relativitätstheorie nicht nur unter Physikern
hervorgerufen hat“.2
Bei der Analyse der Logik der Relativitätstheorie darf ebenfalls nicht vergessen werden,
dass Einstein in seiner Theorie nicht einfach alte, klare und exakte Begriffe durch neue
ersetzt hat. Einstein hat in Wirklichkeit gezeigt, dass viele Begriffe und Vorstellungen, mit
denen früher operiert wurde, abstrakt und rational waren. Vom Standpunkt der neuen
Fakten aus hielten sie keiner Kritik stand. Viele Aussagen der alten Physiker hatten, wie in
der Literatur zu Recht vermerkt wird, „überhaupt keinen Sinn, und das war hauptsächlich
der Grund für jene Missverständnisse, auf die man stieß, wenn man sich bemühte, diese
oder jene physikalische Erscheinung theoretisch zu begründen“.3
226
Verstandesmäßige und abstrakte Vorstellungen über Raum und Zeit, ihre Verabsolutierung
behinderten ernstlich das tiefe Verständnis physikalischer Probleme, die mit der
Elektrodynamik beweglicher Medien zusammenhingen und traten in Widerspruch zu exakt
festgestellten Fakten. In der Relativitätstheorie Einsteins sind alle diese Schwierigkeiten
fundamental gelöst mittels Erarbeitung eines konkreten, dialektischen Begriffes von Raum
und Zeit.
Hier ist eine gewisse Analogie mit dem konkreten, dialektischen Verständnis
philosophischer Kategorien in der Logik angebracht. In seiner grandiosen Logik hat Hegel
mit dem Prinzip der Entwicklung als Ergebnis des Widerspruchs das alte, abstrakte
Verständnis der Kategorien „umgekehrt“ verändert, das in der rationalen Philosophie
anzutreffen war. In ihr schien z. B. absolut und unzweifelhaft die Gegenüberstellung von
Zufall und Notwendigkeit, von Positivem und Negativem. Jede Seite einer paarigen
Kategorie wurde einzeln bestimmt, nicht im Verhältnis zur anderen. Aus diesem Grund
wurden der innere Zusammenhang, die Einheit von Zufälligem und Notwendigem nicht
verstanden; man betrachtete sie einfach als einander ausschließende Begriffe.
Im Gegensatz zur gesamten alten, nichtdialektischen Logik deckte Hegel die inneren
Zusammenhänge dieser Kategorien auf der Grundlage des Gesetzes von der Einheit der
Gegensätze auf. Von nun an hatten alle paarigen philosophischen Kategorien - das
Notwendige und das Zufällige, das Positive und das Negative, das Innere und das Äußere
usw. - keine wahre Bedeutung mehr in ihrer Zergliederung, sondern nur innerlich
zusammenhängend und ungetrennt.
In der Relativitätstheorie tat Einstein das Gleiche. Er tauschte radikal das alte, rationale
Verständnis von Raum und Zeit gegen ihr neues, konkretes und dialektisches Verständnis
aus. Deswegen hat die Relativitätstheorie Einstens auch so große Bedeutung für die
dialektische Logik und die moderne Denkkultur.
B. Die Lösungssuche nach Fragen der Elektrodynamik beweglicher Medien und ihre
methodologischen Mängel
Bei der Erarbeitung der Relativitätstheorie ist die Bedeutung der Erforschung optischer und
elektromagnetischer Erscheinungen in beweglichen Medien sehr groß. Die
Relativitätstheorie selbst entstand im Ergebnis der theoretischen Lösung der
Schwierigkeiten mit elektromagnetischen Erscheinungen in beweglichen Medien. Zur
Bedeutung der optischen und elektromagnetischen Erscheinungen in beweglichen Medien
bei der Schaffung der Relativitätstheorie schrieb Louis de Broglie in seinem Buch „Eine
Revolution in der Physik“: „Die Entwicklung der Relativitätstheorie begann faktisch mit
der Erforschung einiger Fragen, die mit optischen Erscheinungen zusammenhängen, die in
beweglichen Medien vor sich gehen. Fresnels Vorstellung vom Licht setzte die Existenz
des Äthers voraus, der das Weltall ausfüllt und in alle Körper dringt. Ein derartiger Äther
227
spielte die Rolle des Mediums, in welchem sich die Lichtwellen ausbreiten. Die
elektromagnetische Theorie von Maxwell schwächte seine Rolle etwas ab, da diese
Theorie nicht erfordert, dass Lichtschwankungen Schwankungen irgendeines Äthers sein
müssen. In der Theorie von Maxwell werden die Lichtschwankungen vollständig durch die
Aufgabe der Vektoren des elektromagnetischen Feldes bestimmt. Nachdem alle Versuche
der mechanistischen Interpretation der Gesetze der Elektrodynamik misslungen waren,
betrachtete man schließlich die Felder in der Theorie von Maxwell als Ausgangsbegriffe,
die es nutzlos ist, in die Sprache der Mechanik zu übersetzen. Ab diesem Moment
verschwand jegliche Notwendigkeit, die Existenz eines elastischen Mediums
vorauszusetzen, welches elektromagnetische Schwankungen überträgt, und man hätte
denken können, dass der Begriff des Äthers unnütz wird. In Wirklichkeit verhielt es sich
nicht ganz so, und die Anhänger von Maxwell, insbesondere Lorentz, waren gezwungen,
die Frage nach dem Äther neu zu stellen ... Denn die elektromagnetischen Gleichungen
von Maxwell genügten dem Relativitätsprinzip der klassischen Mechanik nicht“.4
In diesen Überlegungen von Louis de Broglie ist die gesamte historische Voraussetzung
der speziellen Relativitätstheorie erfasst.
Die große Bedeutung der Relativitätstheorie von Einstein besteht darin, dass in ihr alle
Schwierigkeiten der Erkenntnis der elektromagnetischen Erscheinungen in beweglichen
Medien begriffen und gelöst wurden, wobei von tiefgehenderen theoretischen Grundlagen
ausgegangen wurde, als das früher in der Physik der Fall war. Deshalb hat die Analyse der
hauptsächlichen theoretischen Ansichten vor Einstein große Bedeutung für das
tiefgründige Verständnis des Inhalts der Relativitätstheorie. Die kritische Analyse der
theoretischen Vorstellungen vor der Relativitätstheorie zu Problemen der Elektrodynamik
beweglicher Medien hat nicht nur historische Bedeutung, sondern ist zutiefst mit dem
Verständnis der inneren Logik dieser Theorie verbunden.
Über die Wichtigkeit und Notwendigkeit der vorhergehenden Forschungen für das
Verständnis des Wesens der Relativitätstheorie schrieb Mandelstam: „Die Kenntnis der
historischen Entwicklung irgendeiner Grundtheorie ist immer interessant und lehrreich,
jedoch nicht immer notwendig. Z. B. kann man die Wellenoptik ohne Verbindung mit der
Korpuskularoptik Newtons darlegen. In der Frage des Relativitätsprinzips ist die Situation
m. E. jedoch etwas anders, und das aus einer ganzen Reihe von Gründen. Man muss
allmählich zu den paradoxen Schlüssen der Relativitätstheorie gelangen, muss die
Unvermeidlichkeit dieser Schlüsse begreifen, muss wissen, wie die größten Gelehrten
versucht haben, diese Schwierigkeiten zu umgehen, und wie ihnen das nicht gelungen ist“.5
Die spezielle Relativitätstheorie umfasst eine große Gruppe von physikalischen
Erscheinungen, die nicht in den Rahmen alter physikalischer Theorien und Vorstellungen
hineinpassen. Hauptsächlich geht es hier um elektromagnetische Erscheinungen in
beweglichen Medien. Ende des vorigen Jahrhunderts traten sie bei der Entwicklung der
Physik als wichtigste Probleme (ein bestimmtes Sachgebiet) auf, deren theoretisches
228
Verständnis für die physikalische Wissenschaft notwendig ist. Außerdem führte die
Erforschung dieser Erscheinungen zu bestimmten Schwierigkeiten, die hauptsächlich mit
der Wechselbeziehung von Äther und elektromagnetischem Feld zusammenhängen.
Anfang des XIX. Jahrhunderts setzte sich dank der Forschungen von Jung und
insbesondere von Fresnel in der Physik die Vorherrschaft der Wellen-Theorie gegenüber
der Korpuskular-Theorie des Lichtes durch. Die Wellen-Theorie vermochte alle
Interferenz-, Diffraktions- und Polarisationserscheinungen zu erklären. Mit dem Sieg
dieser Theorie ist jedoch auch die Entstehung des Problems des Äthers verbunden, da die
Wellen-Theorie ein Medium voraussetzte, in welchem sich die Lichtwellen verbreiten.
In den Arbeiten Fresnels wird auch die Frage gestellt und untersucht, wie die
Erdumdrehung auf optische Erscheinungen einwirkt. Dieses wichtige Problem hat er auf
der Grundlage der Wellen-Theorie gelöst, die sich auf die Annahme stützte, dass der
gesamte Raum mit unbeweglichem Äther angefüllt ist. Wenn der Äther unbeweglich ist, ist
es nastürlich anzunehmen, dass sich die Bewegung in Bezug auf den Äther irgendwie auf
die optischen Erscheinungen in beweglichen Medien auswirkt. So muss sich die Brechung
des Lichtes in beweglichen Körpern von der in unbeweglichen Körpern unterscheiden.
Aber eine derartige Annahme hat sich im Versuch nicht gerechtfertigt, darum hat Fresnel
das negative Ergebnis solcher Versuche mit der Hypothese erklärt, dass der erwartete
Effekt in erster Ordnung bezogen auf
w
( w - Geschwindigkeit des beweglichen Körpers
c
in Bezug zum Äther, c - Lichtgeschwindigkeit) durch teilweises Mitreißen des Äthers von
den sich bewegenden Körpern kompensiert wird. Es wurde jedoch angenommen, dass in
zweiter Ordnung bezogen auf
w
die Versuche den Einfluss der Bewegung der Körper im
c
Verhältnis zum Äther auf die optischen Erscheinungen aufdecken müssten.
In seinen Forschungen hat Fresnel noch den wichtigen Gedanken unterstrichen, dass vom
Standpunkt der Wellen-Theorie die Lichtgeschwindigkeit nicht von der Bewegung der
Quelle abhängt, obwohl diese These bei ihm nur als Hypothese vorkommt.
Auf diese Art und Weise hat die Theorie von Fresnel scheinbar alle damals gemachten
Versuche zur Optik beweglicher Medien (sie waren alle nur erster Ordnung bezogen
auf
w
) befriedigend erklärt. Aber dieser glückliche Umstand erwies sich als nur scheinbar.
c
Die Versuche, den Äther als Körper zu charakterisieren, führten nicht zum Erfolg und
schufen für die Physik ständig neue Schwierigkeiten (in den Fragen des freien Passierens
der Planeten, der Widerspiegelung und der Brechung des Lichtes und dgl.).
Mit der Erarbeitung der elektromagnetischen Theorie von Maxwell wurde die Frage nach
der Natur des Äthers noch komplizierter, da hier das Licht als spezieller Fall
elektromagnetischer Wellen betrachtet wurde. Die mechanischen Modelle des Äthers
mussten nun nicht nur optische, sondern auch elektromagnetische Erscheinungen
229
umfassen, und die Schwierigkeiten des Äther-Problems wuchsen an. Schließlich hörten die
Physiker auf, ein mechanisches Modell des Äthers zu konstruieren, nachdem sie sich
davon überzeugt hatten, dass es unmöglich ist, Gesetze der Elektrodynamik mechanisch zu
interpretieren. Man begann, dem Äther elektromagnetische Eigenschaften zuzuschreiben,
und als hypothetisches Medium trat er in den Hintergrund.
Die Äther-Frage wurde neuerlich im Zusammenhang mit elektromagnetischen
Erscheinungen in beweglichen Medien gestellt. Die Gleichungen Maxwells bezogen sich
auf Erscheinungen in ruhenden Körpern, die Versuche von Rowland, Röntgen,
Eichenwald, Wilson und anderen brachten neue Effekte in elektromagnetischen
Erscheinungen in beweglichen Medien zutage. Außerdem entstand die Frage: Welchen
Einfluss hat die gleichmäßige Vorwärtsbewegung der Erde auf elektromagnetische
Erscheinungen? Es gab Versuche von Röntgen, Rankine und anderen, die negative
Ergebnisse brachten, was den Einfluss der Erdumdrehung betraf. So entstand die
Notwendigkeit, eine Theorie der elektromagnetischen Erscheinungen in beweglichen
Medien zu schaffen. Mit anderen Worten - es bestand ein sehr reales Problem: Wie können
die Gleichungen von Maxwell auf bewegliche Körper angewendet werden? Während
diese Gleichungen im unbeweglichen Koordinatensystem bekannt sind, ist unklar, wie sie
in einem anderen System aussehen, das sich im Verhältnis zum ersteren geradlinig und
gleichmäßig bewegt.
Die zweite Frage ist nicht nur für elektromagnetische Erscheinungen spezifisch, sie ist auf
bestimmte Weise auch in der Mechanik untersucht worden. Es wurde festgestellt, dass
mechanische Erscheinungen in Inertialsystemen gleichartig ablaufen (Relativitätsprinzip
von Galilei). Das erhielt seinen mathematischen Ausdruck in der Invarianz der
Gleichungen Newtons im Verhältnis zu den Transformationen von Galilei:
 /
 x  x  wt
/
t  t
die als Verkörperung der Anschauung Newtons zu Raum und Zeit galten.
In der Mechanik wurden das Relativitätsprinzip und die Invarianz der Transformationen
von Galilei identifiziert. Die Invarianz ist eng mit der Vorstellung von der Homogenität
und dem isotropen Charakter des Raumes verbunden. Die Invarianz „besteht darin, dass,
wenn ich den untersuchten Körper im neuen Koordinatensystem genau so unterbringe, wie
früher im alten, die Gleichungen im neuen System mit den Gleichungen im alten identisch
sind. Darin besteht gerade die Homogenität und der isotrope Charakter des Raumes, und
ihr Vorhandensein erfordert, dass ein und der gleiche Versuch in verschiedenen
Koordinatensystemen wiederholt werden kann“.6 Wenn z. B. ein Punkt im Verhältnis zu
dem einen System ruht und sich im Verhältnis zu dem anderen System bewegt, spielt hier
der Unterschied von Anfangsbedingungen eine Rolle. Wenn sie in beiden Systemen gleich
gefasst sind, werden auch die Bewegungen identisch sein. Folglich existiert eine endlose
230
Anzahl von Systemen, die sich geradlinig und gleichmäßig im Bezug zur Ausgangsstellung
(und zueinander) bewegen, in denen die Gesetze der Mechanik identisch sind. Unter diesen
Systemen gibt es kein irgendwie herausgehobenes. Wenn so ein Bezugssystem existierte
und die Gleichungen Newtons nur in diesem System richtig wären, gäbe es unbedingt die
absolute Bewegung.
Kehren wir nun zur Elektrodynamik beweglicher Körper zurück. Den ersten Versuch in
Richtung der Verallgemeinerung der Gleichungen von Maxwell für bewegliche Körper
machte bekanntlich H. Hertz. Er bemühte sich, Gleichungen zu erhalten, die in Bezug zu
den Transformationen Galileis invariant sind, d. h. das Relativitätsprinzip auch für
elektromagnetische Erscheinungen zu erhalten. Aber der Versuch von Hertz war nicht von
Erfolg gekrönt. Die Gleichungen von Hertz waren nicht nur invariant in Bezug zu den
Transformationen von Galilei, sondern auch bezüglich jeder beliebigen Bewegung des
untersuchten Systems. Die Analyse der Gleichungen von Hertz führt außerdem zu dem
Standpunkt von der vollständigen Mitführung des Äthers, was der Erscheinung der
Aberration und dem Versuch von Fizeau widerspricht. Über die Ergebnisse der Theorie
von Hertz schrieb Mandelstam: „Die riesige Zahl von Versuchen zeigt, dass sich die
Vorwärtsbewegung der Erde wirklich nicht auf elektromagnetische Erscheinungen
auswirkt, und hier steht scheinbar alles zum Besten. Aber die Theorie von Hertz geht
weiter: Ihre Gleichungen sind invariant bei jeglicher Bewegung des Systems als fester
Körper. Es gibt jedoch eine ganze Reihe von Versuchen mit Körpern, die sich im
Verhältnis zur Erde bewegen (die Versuche von Fizeau, Eichenwald, Wilson u. a.), die die
Theorie von Hertz nicht bestätigen, durch sie entweder gar nicht oder nur qualitativ erklärt
werden; quantitativ ergibt sich ein für die Theorie typisches Auseinandergehen“.7
In der weiteren Entwicklung der Physik zog man aus der Theorie von Hertz den Schluss,
dass das Relativitätsprinzip in der Elektrodynamik keinen Platz hat, da seine Zulassung zu
einem vollständig mitgerissenen Äther führt. H. A. Lorentz hat sich bewusst vom
Relativitätsprinzip bei der Verallgemeinerung der Maxwell-Gleichungen für bewegliche
Körper losgesagt. Er postuliert die Existenz eines alles durchdringenden, homogenen,
isotropen und unbeweglichen Äthers. Das mit dem Äther zusammenhängende
Bezugssystem ist ein ausgewähltes und vorherrschendes System. Deshalb hat in Bezug auf
den Äther die absolute Bewegung einen Sinn. Der Äther unterscheidet sich laut Lorentz
von einem gewöhnlichen Stoff, da er niemals in Bewegung versetzt wird und weder
Geschwindigkeit noch Beschleunigung besitzt. Deshalb darf man nicht von der Masse des
Äthers oder von auf ihn angewendeten Kräften sprechen. In der Theorie von Lorentz tritt
der Äther nur als Überträger aller Kräfte auf, die auf einen Stoff einwirken:
elektromagnetischer, molekularer, Anziehungskräfte u. a. Der Stoff besteht aus positiv und
negativ geladenen Teilchen. Mit der Verteilung und Bewegung von Elektronen bemüht
sich Lorentz, alle elektromagnetischen und optischen Erscheinungen zu erklären, die im
unbeweglichen Äther vor sich gehen.
231
Für den reinen Äther behält Lorentz die Maxwellsche Gleichung für das Vakuum bei,
verfasst dann ein System von Differentialgleichungen für den Fall, dass Ladungen
vorhanden sind, die sich im Verhältnis zum Äther bewegen. Zu diesem Gleichungssystem
fügt er einen Ausdruck für die Dichte der Kraft hinzu, die auf die sich bewegenden
Ladungen einwirkt. Da in ihnen schon die Bewegung berücksichtigt ist, sollten diese
Gleichungen alle elektromagnetischen Erscheinungen, darunter auch die in beweglichen
Medien, erklären. Es muss nochmal betont werden, dass Lorentz seine Theorie
hauptsächlich für bewegliche Körper geschaffen hat. Er schrieb: „Elektromagnetische und
optische Erscheinungen in Systemen, die eine Vorwärtsbewegung haben - und das sind
wegen der Jahres-Umdrehung der Erde alle Körper auf der Erde - sind von großem
Interesse nicht nur an und für sich, sondern auch deshalb, weil sie uns die Möglichkeit
geben, verschiedene Theorien der Elektrizität zu überprüfen. Die Elektronen-Theorie
wurde zum Teil mit dem speziellen Ziel entwickelt, auch diese Erscheinungen zu
erfassen“.8
Bei der Mittelwertbildung der Gleichungen, die für ein echtes
mikroskopisches Feld geschrieben wurden, erhält Lorentz eine Gleichung für
makroskopische Größen, mit denen er es gewöhnlich bei Messungen zu tun hat. Für
unbewegliche Körper fielen sie mit den Gleichungen von Maxwell zusammen und
erklärten die elektromagnetischen und optischen Versuche (Röntgen, Wilson, Fizeau u. a.)
in beweglichen Körpern.
Die Gleichungen von Lorentz sind in Bezug auf die Transformationen von Galilei nicht
invariant. Das ist unmittelbar daraus ersichtlich, dass sie nicht mit den Gleichungen von
Hertz übereinstimmen, bezüglich derer bewiesen worden war, dass sie die einzigen sind,
die die Anforderungen erfüllen: 1) sich für ruhende Körper in Gleichungen von Maxwell
umzuwandeln und 2) invariant in Bezug auf die Transformationen von Galilei zu sein.
Aus der Theorie von Lorentz folgte, dass die Bewegung der Erde im Prinzip schon in der
ersten Ordnung bezogen auf
w
Einfluss haben muss, während die Versuche der ersten
c
Ordnung die Unabhängigkeit elektromagnetischer Erscheinungen von der Erdumdrehung
gezeigt haben. Dessen ungeachtet zeigte Lorentz für jeden derartigen Versuch, dass der
vorhergesagte Einfluss aus Teilen besteht, die in der ersten Ordnung
einander kompensieren. „H. A. Lorentz hat in seiner in höchstem Maße scharfsinnigen
Untersuchung gezeigt, dass die relative Bewegung in der ersten Annäherung keinen
Einfluss auf die Richtung der Strahlen bei beliebigen optischen Experimenten hat“,9
schrieb Einstein aus diesem Anlass.
Lorentz gibt sich damit nicht zufrieden und schreibt aus rein mathematischen
Überlegungen Transformationen:
232



r  r  wt ,

 /
( w, r )

t  t  c ,

/
/
/
/
2

in Bezug auf welche unter der Bedingung:


 1  
Å /  E  w, H
c
/  1  
H  H  E, w
c

mit einer Genauigkeit bis zur ersten Ordnung bezogen auf
Lorentz in den neuen Variablen

r/
und

w
die Gleichungen von
c
t / ähnlich wie die Maxwellschen sind. Bei Feheln
von Leitungsströmen haben die Gleichungen durchaus ein Maxwellsches Aussehen. Diese
Transformationen waren für Lorentz nur ein rein mathematisches Verfahren, dass ihm die
Berechnungen erleichterte.
Physikalischen Sinn haben laut Lorentz nur
Variablen

r
und
t , und nicht
/  /
E ,H
und

E
und

H
in der Funktion von den
t/ .
Nach der Theorie von Lorentz müssen die Versuche der zweiten Ordnung bezogen
auf
w
den Einfluss der Erdbewegung auf elektromagnetische Erscheinungen zeigen. Wie
c
aber der Versuch von Michelson gezeigt hat, der der erste Versuch der zweiten Ordnung
war, existiert ein solcher Einfluss nicht. Der Versuch von Michelson wurde mehrmals
wiederholt, brachte aber nicht den erwarteten Effekt. Auch andere Versuche der zweiten
Ordnung (Experimente zur doppelten Strahlenbrechung in durchsichtigen Körpern, die
durch die Bewegung der Erde bedingt ist) bestätigten das Ergebnis des Versuches von
Michelson. „Es blieb nur ein optisches Experiment übrig“, schrieb Einstein und meinte
damit den Versuch von Michelson, „bei dem die Methode so empfindlich war, dass der
negative Ausgang des Versuches sogar vom Gesichtspunkt der theoretischen Analyse von
H. A. Lorentz aus unverständlich war“.10
Der Versuch von Michelson hat also die Theorie von Lorentz nicht bestätigt. Aber Lorentz
stellt, um seine Theorie zu retten, die Hypothese von der Längsverkürzung der Größe
beweglicher Körper auf, die den Versuch von Michelson erklärt hätte. Tatsächlich zeigen
die Berechnungen, dass bei der Annahme, dass sich der Körper in Bewegungsrichtung im
Verhältnis
l2
w2
 1 2 ,
l1
c
233
wo
l2
 die Größe des beweglichen und
l1  die Größe des ruhenden Körpers ist,
verkürzt und das Ergebnis des Versuches von Michelson durchaus mit der Theorie von
Lorentz übereinstimmt. Aber die Hypothese von der Verkürzung, die schon von Fitzgerald
aufgestellt worden war, entspringt nicht aus der Theorie, trägt künstlichen Charakter.
Lorentz schrieb: „ Diese Hypothese stellt sich auf den ersten Blick zweifellos etwas
seltsam dar, wir kommen aber schwer ohne sie aus, wenn wir auf dem unbeweglichen
Äther bestehen. Ich denke, wir können sogar behaupten, dass bei dieser Annahme der
Versuch von Michelson die Existenz der erwähnten Veränderung der Größe des Körpers
beweist“.11
Im Weiteren hat sich Lorentz bemüht, diese Hypothese mit physikalischem Inhalt zu füllen
und sie, ausgehend von seiner Theorie, zu begründen. Dabei hat er sehr viel für die
Verbreitung der Ideen der Relativitätstheorie getan. Laut Lorentz müssen sich die
Moleküle im Gleichgewicht befinden, damit ein Körper eine bestimmte Länge hat. Dieses
Gleichgewicht wird nicht nur durch elektromagnetische Kräfte erreicht, sondern auch
durch intermolekulare Kräfte. „Wir verstehen die Möglichkeit der postulierten
Größenveränderung,“ schrieb Lorentz, „wenn wir uns daran erinnern, dass die Form eines
festen Körpers von Kräften abhängt, die zwischen seinen Molekülen wirken und dass diese
Kräfte höchstwahrscheinlich durch den sie umgebenden Äther so ähnlich übertragen
werden, wie sich elektromagnetische Handlungen durch dieses Medium ausbreiten. Von
diesem Gesichtspunkt aus ist es natürlich anzunehmen, dass die molekularen Anziehungen
und Abstoßungen, ähnlich wie die elektromagnetischen Kräfte eine gewisse Veränderung
erfahren, wenn dem Körper eine bestimmte Vorwärtsbewegung gegeben wird; im Ergebnis
kann äußerst leicht eine Veränderung der Größe des Körpers erfolgen“.12
Im Verlaufe der Begründung seiner Hypothese gibt Lorentz seinen oben angeführten
Transformationen folgendes Aussehen (1904):
x/ 
x  wt
1
w
2
w
2
t
,
y /  y,
z /  z,
wx
t/ 
1
c2 ,
w2
c2
in denen die Größenveränderung des Körpers schon berücksichtigt ist und in denen die
elektromagnetischen Gleichungen noch invarianter sind. Später haben sich diese
Transformationen, die Poincaré
„Lorentz-Transformationen“ genannt hat, in der
Relativitätstheorie erhalten und dort ihre physikalische Deutung bekommen. Laut Lorentz
haben sie jedoch keinen physikalischen Sinn. Physikalischen Sinn haben nur die „Galilei234
Transformationen“; die Koordinaten
x / , y / , z / nennt Lorentz „effektiv“, und die Zeit t /
nennt er im Unterschied zur echten Zeit
t
„Ortszeit“. Später hat Lorentz aus diesem
Anlass selbst geschrieben: „Der Hauptgrund für meinen Misserfolg lag darin, dass ich
/
immer den Gedanken verfolgt habe, dass nur die Variable t als echte Zeit betrachtet
werden kann und meine Ortszeit t’ nichts weiter als eine mathematische Hilfsgröße ist“.13
Die Bedeutung der Arbeiten von Lorentz für die Schaffung der Relativitätstheorie ist sehr
groß. M. Born schrieb: „Die wichtigen Artikel von Lorentz aus den Jahren 1892 und 1895
zur Elektrodynamik beweglicher Körper enthalten einen bedeutenden Teil des
mathematischen Apparates der Relativitätstheorie. Seine grundlegenden Annahmen waren
jedoch von vollkommen nichtrelativistischem Charakter. Er nahm an, dass ein vollständig
ruhender Äther existiert, eine gewisse Form der „Materialisierung“ des Newtonschen
absoluten Raumes, er übernahm auch die absolute Zeit von Newton“.14
Die Physiker der damaligen Zeit verstanden, dass die Theorie von Lorentz ungenügend ist.
So sprach Poincaré die Idee aus, dass das negative Ergebnis des Versuches von Michelson
auf der Grundlage allgemeiner Prinzipien erklärt werden muss. Er schrieb 1905, wenige
Monate vor dem Erscheinen der ersten Arbeit Einsteins zur Relativitätstheorie, den Artikel
„Über die Dynamik des Elektrons“, in dem er das „Postulat der Relativität“ auch für
elektromagnetische Erscheinungen ausspricht. Er konnte aber genau so wie Lorentz nicht
über den Rahmen der Anschauung Newtons zu Raum und Zeit hinausgehen und die
Transformationen von Lorentz richtig physikalisch erklären. Über die Bedeutung der
Arbeiten von Lorentz und Poincaré schrieb Einstein: „Schon Lorentz hat bemerkt, dass für
die Analyse der Maxwellschen Gleichungen die Transformationen wichtig sind, die später
unter seinem Namen bekannt wurden, und Poincaré hat dieses Wissen noch vertieft“.15
Die Relativitätstheorie von Einstein hat radikal alle Schwierigkeiten mit der
Elektrodynamik beweglicher Körper gelöst. Einstein hat gezeigt, dass die
Transformationen von Lorentz das Wesen von Raum und Zeit berühren und dass die
„Lorentz-Invarianz“ die allgemeine Bedingung für jede beliebige physikalische Theorie ist.
B. Darstellung des Ursprungs der Theorie
Wie die historische Analyse gezeigt hat, waren in der Physik vor Einstein Fresnel, Hertz,
Lorentz und Poincaré bestrebt, optische und elektromagnetische Erscheinungen in
beweglichen Systemen theoretisch wiederzugeben. Ihre Thesen wurden durch Experimente
widerlegt. Die Hypothese von Hertz widersprach dem Versuch von Fizeau, der davon
zeugte, dass es keine vollständige Mitführung des Äthers gibt, sondern nur eine teilweise.
Die Theorie von Lorentz wurde durch den Versuch von Michelson widerlegt.
Diese Theorien enthielten auch methodologische Unzulänglichkeiten. Wie Louis de
Broglie richtig bemerkte, wurden die optischen und elektromagnetischen Erscheinungen
235
vor der Relativitätstheorie nicht als prinzipiell selbständige Erscheinungen betrachtet, die
ihren immanenten Gesetzmäßigkeiten untergeordnet sind. In ihnen wurde die
Substanzionalität des Feldes und die Unnötigkeit, sie in die Sprache der Mechanik zu
übersetzen, ungenügend unterstrichen. Deshalb nahmen in den Hypothesen zur
Elektrodynamik das Verhältnis zum Äther und sein Verständnis einen wichtigen Platz ein.
Freilich hat man sich seit Maxwell immer weniger an die mechanische Charakteristik des
Äthers gehalten. Die Entwicklung des physikalischen Gedankens und der Experimente
überzeugte von der Unhaltbarkeit der mechanischen Auslegung der elektromagnetischen
Erscheinungen. Zu dieser Frage schrieb Broglie: „Der Äther war für sie schon kein
elastisches Medium mehr mit besonderen Eigenschaften, das in der Lage ist,
Lichtschwankungen zu übertragen. Es wurde zu einem gewissen abstrakten, äußerst
konventionellen Medium, das nur zur Fixierung der Bezugssysteme diente, in denen die
Gleichungen der Elektrodynamik von Maxwell berechtigt sind ... Wenn sich die Sache so
verhält, würde ein bestimmtes Medium existieren, das das gesamte Weltall ausfüllt, ein
derartiges Medium, dass die Maxwellschen Gleichungen nur in einem mit ihm
zusammenhängenden Bezugssystem Berechtigung haben. Eben mit diesem Bezugssystem
haben die Anhänger von Maxwell den Begriff des Äthers assoziiert“.16
Der Begriff des Äthers blieb in diesen physikalischen Theorien jedoch erhalten. Das
Bezugssystem, das mit dem Äther zusammenhing, wurde als vorherrschend ausgelegt.
Deshalb kam ein wirklicher Fortschritt auf dem Gebiet des physikalischen Gedankens erst
mit Einstein zustande, der sich kategorisch von jeglichem Äther lossagte. In seiner Arbeit
„Der Äther und die Relativitätstheorie“ schrieb er: „Das elektromagnetische Feld ist eine
primäre, auf nichts zurückzuführende Realität, und deshalb ist es völlig überflüssig, auch
noch die Existenz eines homogenen isotropen Äthers zu postulieren und sich das Feld als
Zustand dieses Äthers vorzustellen“.17
Eine solche prinzipielle Negierung des Äthers und die selbständige Betrachtung des
elektromagnetischen Feldes hatte große Bedeutung bei der Genesis der Relativitätstheorie,
da die Festlegung eines Sachgebietes (des Ganzen) eine wichtige Bedingung der
wissenschaftlichen Erkenntnis ist. In der Physik hat nur die substantielle Betrachtung des
elktromagnetischen Feldes (des Sachgebietes), seine Nichtrückführbarkeit auf den Äther
die Möglichkeit gegeben, die Prinzipien der theoretischen Wiedergabe elektromagnetischer
Erscheinungen in beweglichen Systemen richtig zu verstehen. Eine derartige Betrachtung
ist theoretisch (methodologisch) richtig, da verschiedene Systeme ihre spezifischen,
innerlich zusammenhängenden Gesetzmäßigkeiten haben.
Z.B. ordnet sich das soziale Leben anderen Gesetzmäßigkeiten unter als die organische
Natur. Das soziale Leben selbst bildet auch eine Hierarchie der Systeme, die nicht
aufeinander zurückgeführt werden können. Das ist auch zutreffend für eine allgemeine
Theorie. So existiert die Materie in spezifischen Formen: physikalisch, chemisch usw. Jede
ihrer bestimmten Formen hat ihre Substanz, die nicht auf andere Formen der Existenz der
236
Materie zurückführbar ist. Die gnoseologische Grundlage für den Misserfolg der Theorien
von Fresnel, Hertz und Lorentz ist die, dass sie nicht konsequent den Gedanken von der
Substantionalität des elektromagnetischen Feldes umsetzen konnten.
Diese methodologische Unzulänglichkeit ist eng mit einem anderen vor der
Relativitätstheorie vorherrschenden rationalen, einseitigen Verständnis von Raum und Zeit
verbunden. Raum und Zeit galten damals als absolute, nicht zusammenhängende Wesen.
Die Transformationen Galileis wurden als unumstößliche Verkörperung dieser Ansicht
über Raum und Zeit verstanden. Die Maxwellschen Gleichungen sind jedoch im Verhältnis
zu den Transformationen Galileis nicht invariant. Da die Invarianz bezüglich der
Transformationen Galileis mit dem Relativitätsprinzip identifiziert wurde, wurden die
Schlüsse aus den Maxwellschen Gleichungen als Negation des Relativitätsprinzips
ausgelegt. Deshalb wurde das vorherrschende Bezugssystem anerkannt, das mit dem
unbeweglichen Äther assoziiert wurde. Der Äther war für die Physiker jener Zeit, wie M.
Born zutreffend bemerkte, „eine bestimmte Form der „Materialisierung“ des absoluten
Raumes von Newton“.18
Diese Anschauung von Raum und Zeit ließ auch auf andere Art das Relativitätsprinzip
nicht vorankommen. Aus der Theorie von Maxwell-Lorentz ging hervor, dass die
Lichtgeschwindigkeit im Vakuum nicht von der Bewegung der Quelle abhängt. Aber nach
dem Gesetz der Addition der Geschwindigkeiten, das aus dem Newtonschen Verständnis
von Raum und Zeit folgte, hat dieses Gesetz der Ausbreitung des Lichtes keinen Platz in
anderen Systemen, die sich geradlinig und gleichmäßig im Verhältnis zum Äther bewegen.
Hier wird das Gesetz der Unabhängigkeit der Lichtgeschwindigkeit von der Bewegung der
Quelle als etwas Unvereinbares mit dem Relativitätsprinzip betrachtet. Angesichts dessen,
dass die Negation des ersteren zur Negation der gesamten Theorie von Maxwell-Lorentz
führte, waren die Physiker geneigt, das Relativitätsprinzip zu negieren. Niemand von den
Physikern vor Einstein lehnte das Verständnis Newtons von Raum und Zeit, die
Transformationen Galileis ab. Sogar, als es neue Transformationen gab (die
Transformationen von Lorentz), verstanden die Physiker nicht ihren Zusammenhang mit
dem Verständnis von Raum und Zeit.
Eine andere wichtige theoretische Unzulänglichkeit der Theorie von Lorentz und Hertz ist
das Nichtverstehen des dialektischen Zusammenhangs des Allgemeinen, Besonderen und
Einzelnen beim Aufbau des theoretischen Wissens. In der Physik jener Zeit existierte
einerseits das klassische Relativitätsprinzip als theoretisches Ergebnis einer riesigen Zahl
von Fakten, andererseits existierte der Fakt der Endlichkeit der Lichtgeschwindigkeit, der
elektromagnetischen Strahlungen. Vor Einstein sahen hier viele Physiker eine Antinomie.
Sie erörterten, ob das Relativitätsprinzip oder die Beständigkeit der Lichtgeschwindigkeit
richtig sei. In Wirklichkeit war das der Widerspruch zwischen Allgemeinem und
Einzelnem, zwischen Substanz und Erscheinungsformen.
237
Hertz versuchte in seiner Theorie, ausgehend vom Allgemeinen, dem Relativitätsprinzip
mit Hilfe der Gleichungen von Maxwell-Hertz alles Einzelne auf dem Gebiet der
Elektrodynamik zu erklären. Aber die Theorie von Hertz scheiterte, weil in seinem
Verständnis das Relativitätsprinzip mechanisch auf das Gebiet der Elektrodynamik
übertragen wird. Wenn man eine Analogie mit der Geschichte der politischen Ökonomie
anstellt, geht Hertz ungefähr so vor, wie seinerzeit Ricardo, der konkrete Formen (Profit,
Zinsen usw.) unmittelbar aus der Substanz (dem Wert) ableiten wollte. Hertz ist in seiner
Theorie ebenfalls nicht in der Lage, die Widersprüche zu lösen, wie damals Ricardo in der
politischen Ökonomie. Hertz beachtet nicht die Einheit von Allgemeinem, Besonderem
und Einzelnem und führt dem Wesen nach das Einzelne auf das Allgemeine zurück. Es
kommt keine konkrete, dialektisch-logische Deduktion heraus, sondern eine metaphysische
Reduktion (Rückführung) und das Aufgehen des Einzelnen im Allgemeinen.
In der Theorie von Lorentz stellte sich ein anderes Extrem heraus. Während er das
Einzelne unmittelbar, mechanisch auf das Allgemeine zurückführte, versteht Lorentz den
Misserfolg der Theorie von Hertz als wichtiges Argument gegen das Relativitätsprinzip. In
dieser Theorie wird überhaupt das Allgemeine zugunsten des Einzelnen negiert. Die
Unmöglichkeit der unmittelbaren Ableitung des Einzelnen aus dem Allgemeinen wird als
Mangel, als Schwäche des Allgemeinen ausgelegt.
In der Relativitätstheorie sind die hauptsächlichsten theoretischen Mängel der
vorhergehenden Theorien prinzipiell überwunden. Vor allem hat Einstein, wie schon
gezeigt, deutlich das Sachgebiet herausgestellt und betrachtete, ausgehend vom Versuch
Michelsons, die elektromagnetischen Erscheinungen gesondert. „Die Situation,“ schrieb
M. Born, „klärte sich erst dann auf, als Einstein die Unmöglichkeit der Beobachtung des
Äthers als Ausgangspunkt betrachtete und die Tatsache, dass die Lichtgeschwindigkeit
nicht von der Bewegung des Beobachters abhängt, zum Prinzip erhob“.19
Bei der Begründung des Relativitätsprinzips, bei der Entdeckung des ursprünglichen
Ganzen hatte der Versuch von Michelson fundamentale Bedeutung; er hatte ihn mit dem
Ziel unternommen, die absolute Bewegung der Erde im Verhältnis zum homogenen,
isotropen unbeweglichen Äther aufzudecken. Das negative Ergebnis dieses Versuches
bemühte sich Lorentz künstlich zu erklären und erdachte sich für diesen Fall eine
Hypothese. Im Unterschied zu Lorentz betrachtete Einstein die Ergebnisse des Versuches
von Michelson als Ausgangspunkte. Er war der Ansicht, dass Michelson in seinem
Versuch den Äther deswegen nicht entdeckt hatte, weil es gar keinen Äther gibt. In diesem
Falle zeigte sich der methodologische Vorzug des Einsteinschen Herangehens an
physikalische Erscheinungen. Ähnlich der Bedeutung, die die Erforschung des englischen
Kapitalismus in der Theorie von Marx hatte, ist die Bedeutung des Versuches von
Michelson für die Theorie von Einstein. Im englischen Kapitalismus zeigten sich viele
Zusammenhänge, die für den Kapitalismus typisch sind in entwickelter Form und erhielten
ihren adäquaten Ausdruck, und diejenigen Zusammenhänge, die äußerlich waren, haben
238
sich nicht erhalten, sind verschwunden. So verhält es sich auch mit dem Experiment von
Michelson. Viele angenommene Bestimmtheiten elektromagnetischer Erscheinungen in
beweglichen Medien traten bei diesem Experiment nicht zutage. Das betrifft vor allem den
Äther. Dafür diente das Experiment aber als Grundlage für die Anerkennung der
Richtigkeit des Relativitätsprinzips und die Beständigkeit der Lichtgeschwindigkeit.
Die Untersuchung des am meisten entwickelten Objektes hat fundamentale Bedeutung für
die logische Theorie von Marx, in der das Prinzip der Entwicklung beachtet wurde. Das
dialektisch-logische Prinzip des Wissensaufbaus (die Methode des Aufstiegs vom
Abstrakten zum Konkreten) ist das adäquate Prinzip der Erkenntnis des sich entwickelnden
organischen Objektes. Darum entsteht die Frage nach der Anwendbarkeit dieser Methode
in der Physik, da die physikalische Theorie es hauptsächlich mit einem Objekt zu tun hat,
das an sich relativ beständig ist. Im Unterschied zu organischen und sozialen Systemen
gibt es in der Physik bestimmte Schwierigkeiten bei der Anwendung des Begriffes der
Entwicklung.
Tatsächlich hat sich seit A. Smith und D. Ricardo nicht nur unser Wissen über den
Kapitalismus verändert, sondern der Kapitalismus selbst hat sich wesentlich verändert. Das
hat in der theoretischen Analyse von Marx eine große Bedeutung. Während der
Kapitalismus damals eine embryonale Form hatte und viele seiner Bestimmtheiten das Sein
an sich darstellten, hat er im XIX. Jahrhundert in Form des englischen Kapitalismus seine
Reife erreicht. Deshalb erforscht und analysiert Marx entsprechend seiner logischen
Methode die entwickelte Form des Kapitalismus, d. h. den englischen. Gerade dabei hat er
die tiefen Gesetzmäßigkeiten des Kapitalismus an den Tag gebracht.
Im „Kapital“ ist das alles verständlich. Kann die logische Methode von Marx auch bei der
Erforschung der physikalischen Realität angewandt werden? Es ist doch so, dass sich die
Natur der elektromagnetischen Erscheinungen und ihr Verhalten in beweglichen Systemen
seit Galilei, Newton, Fresnel und Maxwell fast nicht verändert hat. Auf diese Frage muss
man positiv antworten. Während sich die elektromagnetischen Erscheinungen und die
Gesetzmäßigkeiten ihres Verhaltens nicht geändert haben, haben sich jedoch ernsthaft ihre
Erscheinungsformen in Experimenten geändert, sind vollständiger geworden. Die
Entwicklung und Veränderung unseres Wissens über den Gegenstand spiegelt den
Charakter der Veränderung und Entwicklung des Experimentes wider. Der
Hauptunterschied besteht hier in der Vollständigkeit des Experimentes, in dem empirisch
und real elektromagnetische Erscheinungen in beweglichen Medien zu beobachten waren,
z. b. in den Versuchen von Fizeau, Michelson u. a.
Über die Spezifik physikalischer Forschungen schrieb Marx im „Kapital“: „Der Physiker
beobachtet entweder die Prozesse der Natur dort, wo sie in deutlichster Form zutage treten
und von störenden Einflüssen am wenigsten verdunkelt werden, oder, falls das möglich
sein sollte, führt ein Experiment unter Bedingungen durch, die den Verlauf der Prozesse in
reiner Form absichern. Der Forschungsgegenstand in meiner Arbeit ist die kapitalistische
239
Produktionsweise und die ihr entsprechende Beziehung von Produktion und Tausch. Das
klassische Land dieser Produktionsweise ist bisher England. Darin liegt der Grund, warum
es als hauptsächliche Illustration für meine theoretischen Schlüsse dient“.20
Das alles zeugt davon, dass Veränderung und Entwicklung nicht nur der gesellschaftlichen
Realität eigen sind, sondern auch charakteristisch für physikalische Erscheinungen. Die
Besonderheit dieses Problems in der Physik besteht darin, dass sich der Begriff
Entwicklung hauptsächlich auf das Experiment bezieht. Obwohl die physikalischen
Prozesse an sich, darunter auch die elektromagnetischen Erscheinungen, verhältnismäßig
stabil sind, treten sie als Objekt, als Forschungsgegenstand auf den unterschiedlichsten
Ebenen in Abhängigkeit von der Entwicklung des Experimentes auf. Deshalb muss man
deutlich das Sein physikalischer Erscheinungen an sich und ihre objektische
(gegenständliche) Entdeckung im Experiment unterscheiden.
Wenn man diese in nötigem Maße beachtet, gibt es zweifellos etwas Gemeinsames
zwischen organischen, sozialen Objekten und physikalischen Erscheinungen. Organische
und soziale Objekte entwickeln sich und zeigen dadurch klar, was für sie innere und was
nur nebensächliche, äußere Bedeutung hat. Die verbreiteten Behauptungen, dass der
Gegenstand der Naturwissenschaften immer ein und derselbe ist, lassen scheinbar den
Irrtum zu, der von der Identifizierung des Seins des Gegenstandes mit seinem Objektsein
hervorgerufen wird. Aus dem Gesagten ergibt sich der Schluss, dass die logische Methode
von Marx und die Analyse der klassischen Form des Objektes auch auf dem Gebiet der
Physik anwendbar sind.
Den Versuch von Michelson muss man als entscheidendes Experiment bei der Schaffung
der Relativitätstheorie von Einstein betrachten. diese Behauptung ist freilich nicht
allgemein anerkannt. So bestreitet M. Born die Bedeutung des Versuches von Michelson
als grundlegend bei der Genesis der Relativitätstheorie deshalb, weil Einstein ihn nicht in
seiner ersten Arbeit zur Realtivitätstheorie erwähnt. Er meint, „den Weg haben Einstein
offensichtlich eher die Gesetze der elektromagnetischen Induktion gewiesen, als das
Experiment von Michelson“.21
Eine solche Behauptung kann man nicht als richtig
ansehen, weil Einstein schon damals die Arbeiten von Lorentz aus den 90-er Jahren des
XIX. Jahrhunderts kannte, in denen die Untersuchung des Versuches von Michelson einen
zentralen Platz einnimmt. Wie bekannt, hat gerade der Versuch von Michelson der Theorie
von Lorentz den entscheidenden Schlag versetzt und die Bedingungen für ein neues
theoretisches Suchen geschaffen. Jedes, auch das wichtigste Experiment führt jedoch nicht
automatisch zu einer neuen Theorie. Nach dem Versuch von Michelson (1881) vergingen
mehr als 20 Jahre, ehe die Relativitätstheorie geschaffen wurde. Zum Moment ihrer
Enstehung (1905) wurde augenscheinlich ihr Zusammenhang mit dem Versuch von
Michelson ungenügend betont, obwohl später Einstein diesem Versuch die ihm gebührende
Bedeutung beimaß.22
240
Bei der Schaffung und Begründung einer Theorie ist die Rolle des Experimentes sehr groß.
Gerade die Experimente haben die elektromagnetischen Erscheinungen als selbständige
Realität, als ursprüngliches Ganzes zutage gefördert. Aber ihre Bedeutung bei der
Schaffung der Theorie ist unterschiedlich. Das Verhältnis der Versuche zweiter Ordnung
zu den Versuchen erster Ordnung ist das gleiche, wie das Verhältnis der entwickelteren
Form des Kapitalismus zur weniger entwickelten. Tatsächlich, die Versuche der ersten
Ordnung wurden sowieso von der Theorie von Lorentz erfasst, die einen unbeweglichen
Äther zuließ, während der Versuch von Michelson diese Theorie und den Äther ablehnte.
Lorentz versuchte, den Versuch von Michelson und seine Theorie miteinander zu
versöhnen und stellte dabei die Hypothese von der Verkürzung auf. Ein Blick zurück
erlaubt uns die Bemerkung, dass Lorentz nicht die ganze Bedeutung des Versuches von
Michelson erkannt hat. Er stellte ihn sozusagen in die Reihe der Versuche der ersten
Ordnung. Einstein dagegen stützt sich prinzipiell auf die Daten des entscheidenden
Experimentes. Der Versuch von Michelson hat für ihn die gleiche Bedeutung wie der
englische Kapitalismus für den Aufbau der Theorie von Marx. Einstein empfand nicht
einfach alle Experimente sowohl der ersten als auch der zweiten Ordnung als das Gleiche,
sondern ging vom entwickeltsten Versuch, dem Experiment von Michelson aus. In ihm
erscheint kein Äther, und Einstein konstatiert prinzipiell diese Situation.
In der Relativitätstheorie ist auf diese Weise ganz klar der Gedanke herauskristallisiert,
dass der Äther im entscheidenden Experiment deshalb nicht entdeckt wurde, weil es ihn in
der Natur gar nicht gibt. „In dieser Frage“, schrieb Einstein in der Arbeit „Äther und
Relativitätstheorie“, „kann man folgenden Standpunkt einnehmen: Es gibt keinen Äther.
Elektromagnetische Felder sind keine Zustände eines bestimmten Mediums, sondern
selbständig existierende Realitäten, die man nicht auf irgendetwas zurückführen kann und
die, ähnlich wie Atome der wägbaren Materie, nicht mit irgendwelchen anderen Trägern
verbunden sind“.23
Die Negation des Äthers ist bei Einstein eng mit der positiven Behauptung, dem
Relativitätsprinzip, verbunden. Bekanntlich haben schon die Versuche der ersten Ordnung
gezeigt, dass elektromagnetische Erscheinungen von der gleichmäßigen geradlinigen
Bewegung des Systems insgesamt unabhängig sind. Doch sie konnten nicht zum
Relativitätsprinzip führen, da diese Unabhängigkeit von der Theorie von Lorentz als etwas
Zufälliges und nur in den Erscheinungen der ersten Ordnung Anzutreffendes erklärt wurde.
Gerade der Versuch von Michelson hat gezeigt, dass diese Unabhängigkeit mehr als nur
zufällig ist. In seiner Theorie hat Lorentz auch versucht, das Ergebnis des Versuches von
Michelson mit Hilfe der Hypothese von der Verkürzung zu erklären.
Die Genialität von Einstein besteht gerade darin, dass er diese Unabhängigkeit auf die
Ebene eines Gesetzes der Natur erhob, wobei er von der entwickelten Form des
Experimentes ausging. Im gegebenen Fall zeigt sich nochmals in der physikalischen
Theorie die Produktivität der logischen Methode von Marx, laut der der Inhalt, das Wesen
241
des erforschten Objektes nicht im Ergebnis der Offenbarung des vielen Formen
Gemeinsamen entdeckt wird, sondern im Prozess der Erforschung eines bestimmten
Einzelnen, der entwickelten Form des Objektes. In der entwickelten Form offenbaren sich
die Erscheinungen als diejenigen, die sie wirklich sind. Darin besteht auch die Bedeutung
des geflügelten Wortes von Marx: „Die Anatomie des Menschen ist der Schlüssel zur
Anatomie des Affen.“
Es fragt sich, warum die alte Physik sich ständig an den Äther geklammert hat, - sogar
nach dem Versuch von Michelson. Weil die Maxwellschen Gleichungen beim Übergang
von einem Koordinatensystem zum anderen bezogen auf die Transformationen von Galilei
nicht invariant sind. Folglich haben sie in einem Systerm, was mit dem Äther
zusammenhängt, die vorherrschende Form. Ähnlich wie Marx, der sich bei der
Erforschung des englischen Kapitalismus hauptsächlich nicht für dessen Besonderheiten
interessiert, sondern die allgemeinen Gesetze des Kapitalismus aufdeckt, die sich in dieser
einzelnen entwickelten Form zeigen, interessiert sich auch Einstein beim Experiment von
Michelson nicht einfach für die Besonderheit; er wünscht, dieses Experiment nicht nur zu
erklären, wie Lorentz es getan hat, sondern bemüht sich, durch diesen Versuch die
allgemeinen Gesetze der elektromagnetischen Erscheinungen in beweglichen Medien zu
erklären.
Einstein stellte sich die Frage: Was ist das Ausgangsmoment bei der Verallgemeinerung
der Maxwellschen Gleichungen für sich gleichmäßig geradlinig bewegende Systeme, wenn
es keinen Äther gibt? Dieses Moment ist laut Einstein das Prinzip der Relativität, das
lautet: Alle Erscheinungen, sowohl mechanische als auch elektromagnetische, verlaufen in
allen inertialen Bezugssystemen gleichmäßig. Auf diese Weise kommt die
wissenschaftliche Erkenntnis nur im Ergebnis einer qualvollen und schwierigen
Entwicklung zum wahrhaften und wirklichen Ausgangspunkt (Marx).
Freilich bleibt bei Einstein (jedenfalls in seiner ersten Arbeit) jener Weg, auf dem er zum
Ausgang, zur allgemeinen Grundlage kommt, unerschlossen, da er ihm keine vollständige
historische Begründung gibt. Dafür kann man diesen Weg in seinen späteren Arbeiten
verfolgen, in denen er die historischen Wurzeln der Relativitätstheorie bloßlegt.24
Grundlage der Relativitätstheorie ist neben dem Prinzip der Relativität das Prinzip der
Beständigkeit der Lichtgeschwindigkeit. Bei dieser Feststellung entsteht gewöhnlich der
Eindruck, dass die beiden Prinzipien eine identische Rolle spielen und in diesem Sinne
gleichwertig sind. In Wirklichkeit haben derartige Überlegungen aber nichts mit der
Wahrheit zu tun. Das Relativitätsprinzip tritt in der Struktur der Relativitätstheorie als
allgemeine Grundlage, als Ausgangspunkt auf, von dem aus man alle anderen
Bestimmtheiten und Kategorien der Theorie verstehen kann. Aber der Zusammenhang von
allgemeinem Ausgangspunkt und Erscheinungsformen (dem Einzelnen) ist nicht
unmittelbar. Deshalb ist für einen solchen Übergang das Besondere notwendig, das ein
242
vermittelndes Glied zwischen dem Allgemeinen und dem Einzelnen ist. Ein derartiges
Besonderes findet Einstein im Prinzip der Beständigkeit der Lichtgeschwindigkeit.
Vor Einstein ging man von der Unvereinbarkeit des Relativitätsprinzips und der
Beständigkeit der Lichtgeschwindigkeit aus. Im Verlauf der Ausdehnung des
Relativitätsprinzips auf die elektromagnetischen Erscheinungen erwies sich auch die
Produktivität des Relativitätsprinzips.
Hier ist die Analogie mit der Ware offensichtlich. Die Ware hat historisch vor dem
Kapitalismus existiert. Den Warenaustausch treffen wir schon in grauer Vorzeit an. In
vorkapitalistischen Formationen ist die Ware keine allgemeine Ausgangsbestimmtheit
ökonomischer Beziehungen. Die Warenproduktion wird erst im Kapitalismus zu einer
allgemeinen Beziehung, als auch die Arbeitskraft zur Ware wird.
In diesem Zusammenhang muss unbedingt bemerkt werden, dass diese Logik, d. h. das
Auffinden des inneren Zusammenhangs des Allgemeinen und des Einzelnen durch die
Offenbarung des Besonderen, der vermittelnden Glieder durchaus nicht die Spezifik der
Relativitätstheorie von Einstein, sondern das logische Prinzip jeglicher wahren Theorie ist.
Das Prinzip der Beständigkeit der Lichtgeschwindigkeit ergab sich aus dem Wesen der
Theorie von Maxwell-Lorentz und hatte damals nur eine indirekte Bestätigung, nämlich
durch die Bestätigung anderer Folgen der Theorie. Wie bekannt, diente dieser Umstand als
Anlass für Ritz, um die Richtigkeit des Prinzips der Beständigkeit der
Lichtgeschwindigkeit zu negieren. Es schien tatsächlich, dass dieses Prinzip mit dem
Relativitätsprinzip unvereinbar ist, dass die Anerkennung des einen zur Negation des
anderen führt. Diese Situation, die zu einer bestimmten Zeit der Entwicklung der Physik
entstanden war, gibt Einstein selbst gut wieder: „Der Leser, der aufmerksam den oben
dargestellten Überlegungen folgt, nimmt zweifellos an, dass das Relativitätsprinzip, das
dank seiner Natürlichkeit und Einfachheit fast unbestreitbar ist, erhalten werden muss,
während das Gesetz der Ausbreitung des Lichtes im Vakuum durch ein kompliziertes
Gesetz ersetzt werden muss, das mit dem Relativitätsprinzip vereinbar ist. Die Entwicklung
der theoretischen Physik hat jedoch gezeigt, dass dieser Weg nicht annehmbar ist. Die
tiefgründigen theoretischen Forschungen über elektrodynamische und optische Prozesse in
beweglichen Körpern, die Lorentz durchgeführt hat, haben gezeigt, dass Versuche auf
diesen Gebieten zur Notwendigkeit einer solchen Theorie elektromagnetischer
Erscheinungen führen, deren unausweichliche Folge das Gesetz der Beständigkeit der
Lichtgeschwindigkeit im Vakuum ist. Deshalb waren die führenden Theoretiker eher
geneigt, sich von dem Relativitätsprinzip loszusagen, obwohl es nicht gelang, auch nur
einen experimentellen Fakt zu finden, der diesem Prinzip widersprach“.25
Dem Wesen nach entstand im Verlauf der Entwicklung der Elektrodynamik beweglicher
Medien die gleiche Situation wie in der Politökonomie des Kapitalismus. Dort war
einerseits das tiefe Verständnis des Wertgesetzes als Gesetz der Warenkörper
offensichtlich, andererseits existierten als empirische Fakten der Profit, der Zins, die Rente
243
und dgl. Laut Wertgesetz mussten im gesellschaftlichen Maßstab die gleichen Werte
ausgetauscht werden, die kapitalistische Produktion setzt jedoch ständiges Anwachsen des
Profits voraus. Folglich schließt das Wertgesetz bei empirischem Herangehen die
Möglichkeit des Profits aus. Daher sagten sich die Vulgärökonomen vom Wertbegriff los.
Alle diese Schwierigkeiten hat Marx in „Kapital“ durch die Entdeckung und Begründung
des Mehrwert-Begriffes gelöst. Laut Marx findet der Kapitalist auf dem Markt eine
besondere Ware - die Arbeitskraft, deren Gebrauch einen zusätzlichen, den Mehrwert
schafft. Deshalb sagt Marx, dass der Mehrwert sowohl in der Sphäre der Zirkulation als
auch außerhalb von ihr entsteht.
Auf ähnliche Weise löste Einstein die Schwierigkeiten mit der Elektrodynamik. Er zeigte
auf, dass der Widerspruch zwischen dem Prinzip der Relativität und dem Prinzip der
Beständigkeit der Lichtgeschwindigkeit lösbar ist. Einstein schrieb: „ ... in Wirklichkeit
sind das Relativitätsprinzip und das Gesetz der Ausbreitung des Lichtes miteinander
vereinbar, und man kann, wenn man sich systematisch an diese beiden Gesetze hält, eine
logisch einwandfreie Theorie aufbauen“.26
Das Relativitätsprinzip von Einstein ist nicht mit dem von Galilei identisch. Einstein
reichert das Allgemeine, das Relativitätsprinzip durch das Besondere, das Prinzip der
Beständigkeit der Lichtgeschwindigkeit an. Letzteres wird ursprünglich für ein
Bezugssystem (laut Einstein - für das „unbewegliche“) als Unabhängigkeit der
Lichtgeschwindigkeit von der Bewegung der Quelle formuliert; danach werden an dieses
Prinzip die Anforderungen des Relativitätsprinzips gestellt. Durch eine derartige
Wechselwirkung wird sowohl das Allgemeine, als auch das Besondere angereichert: Das
Relativitätsprinzip wird auch auf elektromagnetische Erscheinungen ausgedehnt, und das
Prinzip der Unabhängigkeit der Lichtgeschwindigkeit wird zum Prinzip der Beständigkeit
der Lichtgeschwindigkeit in allen Inertialsystemen erhoben.
In der Relativitätstheorie hat die Beständigkeit der Lichtgeschwindigkeit eine substantielle
Bedeutung. Dieses Prinzip wird nicht nur einfach postuliert; es ist innerlich mit der
Formulierung des Relativitätsprinzips verbunden. Der Misserfolg von Hertz bei der
Anwendung des Relativitätsprinzips in der Elektrodynamik ist nun verständlich: Er
versuchte, das Allgemeine mit dem Einzelnen unmittelbar zu verbinden, und deshalb geht
sein Relativitätsprinzip nicht über den Rahmen des Prinzips von Galilei hinaus. Während
vor Einstein das Relativitätsprinzip im wesentlichen als etwas Begrenztes, als Prinzip
mechanischer Erscheinungen auftrat, wird es in der Relativitätstheorie als allgemeines
Prinzip der Bewegung betrachtet, das die radikale Revision aller alten physikalischen
Vorstellungen und Schlüsse beschleunigt.
Laut Einstein entspricht der Wirklichkeit nur eine solche Theorie, die von der notwendigen
Vereinbarkeit des Relativitätsprinzips und der Beständigkeit der Lichtgeschwindigkeit
ausgeht, die das Relativitätsprinzip auf die Erforschung elektromagnetischer
Erscheinungen ausdehnt. In einer derartigen Behandlung tritt das Relativitätsprinzip als
244
Bedingung für die Beständigkeit der Lichtgeschwindigkeit auf. Aber die Produktivität des
Relativitätsprinzips selbst wurde real nachgewiesen, als die substantielle Beständigkeit der
Lichtgeschwindigkeit formuliert wurde. „Für Einstein war die Beständigkeit der
Lichtgeschwindigkeit kein phänomenologisches Resultat der einander kompensierenden
Effekte der absoluten Bewegung, sondern ein objektives Naturgesetz, eine vom
Experiment unabhängige substantielle Eigenschaft materieller Systeme, die sich geradlinig
und gleichmäßig in Bezug aufeinander bewegen“.27 In diesem Fall realisiert sich dem
Wesen nach die gleiche Kausalität, die im „Kapital“ von Marx vorkommt. Die Ware ist die
allgemeine Bedingung des Kapitalismus, aber real verwirklicht sich das nur im
Kapitalismus, wenn auch die Arbeitskraft zur Ware wird.
Die Einheit dieser beiden Prinzipien, die gegenseitige Durchdringung des Allgemeinen und
des Besonderen erhält ihren mathematischen Ausdruck in den Transformationen von
Lorentz. Über die Ergebnisse der Relativitätstheorie schrieb Einstein: „Wenn es dabei
etwas Neues gab, dann die Anerkennung dessen, dass die Bedeutung der Lorentzschen
Transformationen über die Grenzen des Zusammenhangs mit den Gleichungen von
Maxwell hinausgeht; sie berührten das Wesen von Raum und Zeit überhaupt. Neu war
auch die Ansicht, das die „Lorentz-Invarianz“ die allgemeine Bedingung für eine beliebige
physikalische Theorie ist“.28 In der Relativitätstheorie haben die Transformationen von
Lorentz eine außerordentlich wichtige Bedeutung. Ihre Rolle und ihr Platz in der Theorie
sind jedoch etwas anderes als die Ausgangsthesen der Relativitätstheorie, von denen
genetisch alle anderen Bestimmtheiten der Theorie abstammen. Larmor und Lorentz
entdeckten neue Eigenschaften von Raum und Zeit, schrieben eine neue Gleichung; da sie
aber in den Grenzen alter physikalischer Vorstellungen verblieben, haben sie die wahre
Bedeutung dessen, was sie entdeckt hatten, nicht begriffen.
Die Transformationen von Lorentz können nicht der Ausgangspunkt der Relativitätstheorie
sein, sie sind eine komplizierte Kategorie der Theorie. So hat Lorentz, obwohl er es hätte
tun können, keinen Angriff weder auf den Äther, noch auf die absolute Bewegung, noch
auf die Absolutheit von Raum und Zeit unternommen. Seine Transformationen haben nur
dann derartig radikale Folgen, wenn ihre allgemeine Begründung und ihr Ausgangspunkt
verstanden werden - das Relativitätsprinzip. Nach dem Zeugnis von M. Born „... hat
Lorentz selbst nie Anspruch auf die Entdeckung des Relativitätsprinzips erhoben“ und
„hielt Einstein für den Begründer des Relativitätsprinzips“.29 Ungefähr das Gleiche kann
man von Poincaré sagen. Obwohl er das „Postulat der Relativität“ formuliert, die völlige
Invarianz der Gleichungen der Elektrodynamik in Bezug zu den Transformationen von
Lorentz feststellt, ihre Gruppeneigenschaften erforscht hat, konnte er nicht das
Relativitätsprinzip mit der substantiellen Beständigkeit der Lichtgeschwindigkeit
verbinden, d. h. es richtig verstehen. Er gab der Hypothese von Lorentz einen bestimmten
Sinn, und deshalb widerspricht ihr sein „Postulat der Relativität“ nicht.
245
In diesem Zusammenhang hat eine Bemerkung von Lorentz einen tiefen Sinn: „Das
Verdienst von Einstein besteht darin, dass er als Erster das Relativitätsprinzip in Form
eines allgemeinen, strengen und exakt wirkenden Gesetzes formuliert hat“.30 Lorentz
selbst näherte sich in seinen Arbeiten, besonders in dem Artikel „Elektromagnetische
Erscheinungen in einem System, das sich mit beliebiger Geschwindigkeit bewegt, die
geringer als die Lichtgeschwindigkeit ist“ (1904) dem Relativitätsprinzip. Das „Postulat
der Relativität“, das von Poincaré in seiner Arbeit „Über die Dynamik des Elektrons“
verkündet worden war, ist die unmittelbare logische Vollendung der Arbeiten von Lorentz.
Umso bemerkenswerter ist die Bemerkung von Lorentz, die nicht nur seine
wissenschaftliche Ehrlichkeit, sondern auch sein tiefes Verständnis für das Wesen der
Sache zeigt.
Schon beim ersten Versuch, das Relativitätsprinzip und die Beständigkeit der
Lichtgeschwindigkeit in Deckung zu bringen, stieß Einstein auf ein Paradoxon: die
Relativität der Gleichzeitigkeit. Das wollen wir an einem Beispiel illustrieren, das von
Mandelstam stammt.31
Nehmen wir zwei Bezugssysteme K und K1 mag „ruhen“ und K’ mag sich in Bezug auf
K geradlinig und gleichmäßig bewegen. In einem bestimmten Moment, in dem die
Ursprünge dieser Systeme (O und OI) zusammenfallen, wird ein Lichtsignal ausgestrahlt.
Nach einiger Zeit wird das Signal im System K auf der Oberfläche der Kugel mit dem
Radius r =ct und dem Zentrum in O sein. Gleichzeitig werden von dem Signal alle Punkte
auf der Oberfläche dieser Kugel berührt. Entsprechend dem Relativitätsprinzip muss sich
im System KI das Signal nach dem gleichen Gesetz ausbreiten, d. h. ebenfalls die
Kugeloberfläche erreichen. Entsprechend dem Prinzip der Unabhängigkeit der
Lichtgeschwindigkeit von der Bewegung der Quelle befindet sich das Zentrum dieser
Sphäre in OI.
Es ergibt sich, dass das Lichtsignal im System
K
gleichzeitig die Oberfläche der Kugel mit dem Zentrum in O erreicht; im System K I
erreicht dieses Signal gleichzeitig die Oberfläche der Kugel mit dem Zentrum in O/, was
vom Standpunkt der klassischen Physik unmöglich scheint, da dort die Zeit und somit auch
die Gleichzeitigkeit absolut sind.
246
Einstein hat dieses Paradoxon auf radikale Weise gelöst: Die Gleichzeitigkeit ist nicht
absolut. Das, was im System K gleichzeitig ist, ist es nicht im System K I’ und
umgekehrt. Einstein hat begriffen, dass er am Anfang einer neuen Sicht auf Raum und Zeit
steht und hat sie weiterentwickelt. Der Ablauf der Überlegungen Einsteins war ungefähr
folgendermaßen: Wenn die erste Berührung von zwei Prinzipien zur Relativität der
Gleichzeitigkeit führt, so muss ihre systematische Vereinigung, die Einheit des
Allgemeinen und Besonderen zu einem neuen Verständnis von Raum und Zeit führen, was
in den Transformationen von Lorentz widergespiegelt ist: Die Zeit ist nicht absolut; Raum,
Zeit und Bewegung sind miteinander verbunden. Ein derartiges Verständnis von Raum und
Zeit führt zu der Notwendigkeit einer neuen Bestimmung der Gleichzeitigkeit von
Erscheinungen, von ihren räumlichen und zeitlichen Charakteristika.
Manchmal wird die Lage der Dinge in der Relativitätstheorie so dargestellt, als hätte
Einstein zunächst diese neuen Bestimmungen gegeben, die dann notwendigerweise zu
Raum und Zeit in der Relativitätstheorie geführt haben. Dabei werden diese Bestimmungen
als erdachte bequeme Vereinbarungen dargestellt. Dann ist auch die Theorie, die von ihnen
ausgeht das Ergebnis einer Vereinbarung zwischen den Menschen (Konventionalismus;
Poincaré, Eddington). Ein derartiger Standpunkt stellt das objektive Wesen der Dinge auf
den Kopf. Einstein konnte diese Bestimmungen nur deshalb machen, weil er ihre
substantielle Grundlage gefunden hatte - die Beständigkeit der Lichtgeschwindigkeit in
ihrer Einheit mit dem Relativitätsprinzip, in der der Zusammenhang von Raum und Zeit
embryonal ausgedrückt ist.
Auf diese Art und Weise ist die Relativitätstheorie die physikalische Theorie von Raum
und Zeit. Hier ist wieder eine gewisse Analogie mit dem „Kapital“ von Marx angebracht.
Während Marx bei der ökonomischen Analyse des Kapitalismus tiefschürfende logische
und methodologische Probleme der wissenschaftlichen Erkenntnis erarbeitete, hat Einstein,
ausgehend von Problemen der Elektrodynamik beweglicher Medien, die Theorie von
Raum und Zeit geschaffen, die der gesamten modernen Physik zugrunde liegt. Richtig ist
deshalb die Bemerkung von Mandelstam: ... „Die ganze Theorie von Einstein ging weit
über den Rahmen ihrer ursprünglichen Aufgaben hinaus“.32
Tatsächlich, die
Relativitätstheorie gestattete es, am vollständigsten, soweit das im Rahmen der klassischen
(Nichtquanten-) Elektrodynamik möglich ist, alle elektromagnetischen Erscheinungen zu
erfassen. Außerdem hat sie auch die Mechanik relativiert. Sie führte zu der
Wechselbeziehung von fundamentaler Wichtigkeit: E=mc2. Eine riesige methodologische
Bedeutung für die Physik hat auch das, was Einstein „Lorentz-Invarianz“ nennt: Alle
Gesetze müssen in Bezug auf die Transformationen von Lorentz co-variant sein.
Einstein hat die Methode von Minkowski hoch geschätzt, der die adäquateste
mathematische Vorstellung von Raum und Zeit der Relativitätstheorie gegeben hat.
Minkowski führt auf der Grundlage der Relativitätstheorie die vierdimensionale Raum-Zeit
ein, in der Raum und Zeit eng zusammenhängen und absolut untrennbar sind. Sie sind nur
247
relativ; von Raum an sich und Zeit an sich kann man nur in Bezug auf diese oder jene
Inertialsysteme reden. In der klassischen Physik wurden sie angesichts der Absolutheit von
Raum und Zeit als absolut nicht zusammenhängend dargestellt. „Nach der Absage an die
Absolutheit der Zeit und besonders der Gleichzeitigkeit erschien sofort die
Vierdimensionaltität der räumlich-zeitlichen Vorstellung“,33
schrieb Einstein. Die
vierdimensionale Vorstellung von Minkowski half Einstein im Weiteren, den
mathematischen Apparat der allgemeinen Realtivitätstheorie zu schaffen.
Die Idee des räumlich-zeitlichen Kontinuums bestätigt jene These, dass über eine objektive
Wahrhaftigkeit vor allem das Ganze, Konkrete verfügt, das ein System innerlich
zusammenhängender Beziehungen ist. Raum und Zeit sind nur Momente dieses Ganzen.
Eine derartige Auslegung ist nicht nur für die Relativitätstheorie, sondern für jede
wahrhafte Theorie zutreffend. Hegel hat mehrmals unterstrichen, dass die Wahrheit nicht
im Allgemeinen liegt, das getrennt vom Besonderen betrachtet wird, sondern in ihrer
dialektischen Einheit. Diesen dialektischen Gedanken hat Hegel konsequent auf alle
philosophischen Kategorien angewendet. Während vor Hegel solche paarigen Kategorien
wie positiv und negativ, zufällig und notwendig, Freiheit und Notwendigkeit und dgl. als
unvereinbar (getrennt) betrachtet wurden, so hat er ihren inneren Zusammenhang und ihre
Unteilbarkeit bewiesen.
Ähnlich wie Hegel mittels des Gesetzes von der Einheit der Gegensätze das in Einheit
betrachtet hat, was vor ihm als getrennt gedacht worden war, hat Einstein, die
Allgemeinheit und Wahrhaftigkeit der Transformationen von Lorentz anerkennend, das in
Einheit betrachtet und verstanden, was als getrennt angenommen wurde. Ein
hervorragendes Beispiel dafür ist die Aufdeckung der synthetischen Natur von Raum und
Zeit, von Masse und Energie usw.
Das große Verdienst von Einstein besteht darin, dass er nicht nur riesige Schwierigkeiten
in der Entwicklung der Elektrodynamik gelöst hat, sondern das im Ergebnis der
grundlegenden Veränderung der räumlich-zeitlichen Vorstellung infolge der Veränderung
des alten Denkstils getan hat. Einstein schuf eine geschlossene vollendete Theorie und war
der Begründer einer neuen Richtung im physikalischen Denken. Einstein entdeckte keinen
neuen erstaunlichen Fakt in der Natur. Seine Entdeckung ist mit der Veränderung der
Methode des Denkens in der Physik, mit der Veränderung der Herangehensweise an
physikalische Erscheinungen verbunden.
Engels schrieb beim Vergleich der „Wissenschaft der Logik“ von Hegel und des
„Kapitals“ von Marx: „Vergleichen Sie wenigstens die Entwicklung von der Ware zum
Kapital bei Marx und die Entwicklung vom Sein zum Wesen bei Hegel, und Sie haben eine
wunderbare Parallele: einerseits die konkrete Entwicklung, wie sie in der Wirklichkeit vor
sich geht, und andererseits die abstrakte Konstruktion, in der höchst geniale Gedanken und
stellenweise sehr wichtige Übergänge, wie z. B. von Qualität und Quantität und
umgekehrt, zu einer scheinbaren Selbstentwicklung eines Begriffes in den anderen
248
verarbeitet werden“.34 Wenn man aufmerksam die Struktur, den inneren Zusammenhang
der Kategorien der Relativitätstheorie analysiert, kann man sich schwerlich vor einer
derartigen Parallele zurückhalten. In der Relativitätstheorie ist die dialektische Synthese
solcher wichtigen Kategorien wie Relativitätsprinzip und Beständigkeit der
Lichtgeschwindigkeit, Raum und Zeit, Masse und Energie usw. gegeben.
Der Ursprung in der Quantenmechanik
Der dialektisch-logische Begriff des Ursprungs, des Ausgangspunktes hat große Bedeutung
auch für die Analyse des Aufbaus der Quantenmechanik. Die Quantenmechanik hat, wie
auch die Relativitätstheorie, die Logik in der physikalischen Wissenschaft prinzipiell
verändert. Aus diesem Grund haben die Erforschung des Ursprungs, des Ausgangspunktes
und der Logik der Quantenmechanik eine große philosophische Bedeutung.
A. Moderne Interpretation der Quantenmechanik
Ihrer Logik und Methode nach unterscheidet sich die Quantenmechanik wesentlich von
alten physikalischen Theorien. Die Umwälzung, die von der Quantenmechanik in der
Entwicklung der Physik vollzogen wurde, war derart fundamental, dass einzelne
hervorragende Physiker in ihr das Ende des physikalischen (orthodoxen) Denkens sahen.
Bis zum Ende seines Lebens konnte Einstein die Wahrscheinlichkeitsinterpretation der
Quantenmechanik nicht anerkennen und hielt sie für eine abgeschlossene physikalische
Theorie. In seinen Arbeiten hoffte er hartnäckig auf die Möglichkeit der deterministischen
Interpretation der Quantenerscheinungen. Von der Wahrscheinlichkeitsinterpretation der
Quantenmechanik sprechend, scherzte er häufig, dass „Gott nicht Würfel spielt“.
Zeitweise zeigten auch Louis de Broglie und E. Schrödinger ein solches Verhalten
gegenüber der Interpretation der Quantenmechanik.
Max Planck führte die Idee der Diskretion der Energie (E=hv) in die Erforschung der
Wärmestrahlung ein, mit der die Zerstörung der gefestigten Vorstellungen der klassischen
Physik begann. Einstein und Broglie erarbeiteten den grundlegenden Ausgangsbegriff der
Quantenmechanik: den Dualismus der Teilchen-Welle, ohne den ein ganzheitliches und
theoretisches Verständnis eines großen Gebietes von Mikroerscheinungen unmöglich ist.
Das erforderte das Lossagen vom Determinismus der klassischen Physik eines Laplace, da
der Zustand des quantenmechanischen Systems nicht mit Hilfe von Koordinaten und
Impulsen beschrieben werden musste, sondern mit der Wellenfunktion  , deren
Wahrscheinlichkeitsauslegung von N. Bohr kam. Ausgehend von den Ideen Einsteins und
Broglies hat später Schrödinger die Grundgleichung der Wellenmechanik gefunden, die die
Veränderung der Wellenfunktion in der Zeit beschreibt.
249
Aber die Mehrzahl der Physiker der alten Generation konnte sich laut Heisenberg nicht mit
der statistischen, der Wahrscheinlichkeitsinterpretation der Quantenmechanik
einverstanden erklären. Besonders charakteristisch ist die Aussage von Schrödinger in
einem Gespräch mit N. Bohr 1926/27: „Wenn wir uns anschicken, diese verflixten
Quantensprünge zu erhalten, bedaure ich, dass ich es überhaupt mit der Quantentheorie zu
tun hatte.“ Bohr antwortete: „Aber alle übrigen sind Ihnen dafür dankbar“.35 Das alles lässt
keinen Zweifel an der prinzipiellen Tiefe der Umwälzung, die die Quantenmechanik
vollzogen hat, und zeugt von den Schwierigkeiten beim Verständnis und der Interpretation
einzelner ihrer Aspekte.
Ernsthafte Schwierigkeiten und Streitigkeiten beim theoretischen Erfassen des Inhaltes, der
Begriffe der Quantenmechanik haben auch heute noch nicht aufgehört. Laut W. Fok
existieren drei Richtungen in der Interpretation der Quantenmechanik: die Kopenhagener
Physiker-Schule, zu der Bohr, Heisenberg, Born und Dirac gehören. Zu ihnen stoßen nach
dem Inhalt ihrer Interpretation die sowjetischen Physiker W. Fok und
A. Alexandrow, obwohl sie sich prinzipiell von positivistischen Begriffen und der
Terminologie der Kopenhagener Schule abgrenzen.
Eine andere Gruppe ist um Louis de Broglie vereint. Dazu gehören Bohm, Vigié, Terlezki
usw. Ihrer Überzeugung nach sind der statistische Charakter der Quantenmechanik, die
Wechselbeziehungen der Unbestimmtheiten temporäre Erscheinungen, und deshalb kann
man ihre Wahrscheinlichkeit auf eine deterministische, dynamische Interpretation
zurückführen, was auf einem Subquanten-Niveau möglich ist. Infolgedessen ist die
Wahrscheinlichkeit der Quantenmechanik nicht substantiell, sondern der Ausdruck eines
dynamischen Gesetzes. Der statistische Charakter der Quantenerscheinungen ist mit
unserer Unkenntnis verbunden, und mit der Zeit kann man ihn durchaus auf den
klassischen Determinismus zurückführen.
In dieser Richtung arbeiten sie auch gegenwärtig. In einem Vortrag auf einer
philosophischen Konferenz hat Fok die Arbeiten dieser Physiker einer scharfen Kritik
unterzogen, da sie äußerst künstlich und bar jedes heuristischen Wertes sind. „ ... Nicht
eine einzige Aufgabe“, schreibt Fok, „haben die Autoren versucht zu lösen. Im Gegenteil,
ihre Überlegungen wurden (nicht einmal sehr überzeugend) vorher den aus der
Quantenmechanik bekannten Resultaten angepasst. So ist das Kriterium der Praxis
entschlossen gegen diese wissenschaftliche Richtung“.36
Die sorgfältige Analyse der theoretischen Konzeption dieser Gruppe bringt auch ernsthafte
logisch-gnoseologische Mängel zutage. Vor allem haben sie die prinzipielle Spezifik des
Sachgebietes der Mikroerscheinungen nicht bis zu Ende erfasst, wobei sie ernsthaft durch
ihre Identifizierung des Kausalitätsprinzips, der Gesetzmäßigkeit überhaupt und des
klassischen Determinismus gestört wurden.
Tatsächlich, in den Quantenerscheinungen und ihrem theoretischen Ausdruck ist das
klassische Prinzip der Kausalität nicht gerechtfertigt. Die Anhänger der deterministischen
250
Auslegung der Quantenerscheinungen kennen gewöhnlich nur das klassische Prinzip der
Kausalität, der Gesetzmäßigkeit der Erscheinungen. Deshalb halten sie die Verletzung
dieses Prinzips für die Verletzung der rationalen Grundlage jeglicher Wissenschaft. Aus
diesem Grund lehnen sie die Wahrscheinlichkeits-, die statistische Interpretation der
Quantenmechanik ab. Der Hauptmangel dieser Konzeption besteht darin, dass sie die
Kausalität, den Determinismus seinem Wesen nach im Sinne des Determinismus von
Laplace verstehen.
In Wirklichkeit erschöpft der klassische Determinismus die Kausalität nicht, sondern er ist
eine einseitige, abstrakte Kausalität. Der klassische Determinismus ist keine allgemeine
Form der Kausalität, sondern nur ein spezieller Fall, der nur für mechanische Systeme eine
allgemeine Bedeutung hat. Das Bemühen, das klassische Verständnis der Kausalität bei der
Erkenntnis von Mikroerscheinungen wiederherzustellen, ist dem Wesen nach eine
Universalisierung des begrenzten, verstandesmäßigen Verständnisses der Kausalität, was
als gnoseologische Grundlage der unproduktiven Konzeption von Broglie u. a. dient.
Zur dritten Gruppe der Interpretation der Quantenmechanik gehört die Konzeption der
Quantenensembles. Seinerzeit wurde sie von Mandelstam in seinen Vorlesungen zur
Quantenmechanik dargelegt und in den Arbeiten von Blochinzew u. a. weiterentwickelt.
Der Hauptinhalt dieser Interpretation besteht darin, dass die Quantenmechanik nicht die
Theorie eines individuellen Quantenobjektes, sondern die Theorie eines Ensembles von
Teilchen ist. Deshalb bestimmt die Quantenmechanik nur die mittlere Natur der
Gesamtheit
der Mikroerscheinungen. Die Konzeption der Quantenensembles ist ihrem Inhalt nach
empirisch, sie konnte den rationalen Inhalt der Quantenstatistik, der Wahrscheinlichkeit
nicht aufdecken. Laut Fok bringt diese Konzeption der Quantenensembles nichts Neues in
den physikalischen Inhalt der gewöhnlichen Interpretation und unterscheidet sich von ihr
nur durch die Idee der Quantenensembles.
Die Konzeption der Quantenensembles ist empirisch begrenzt, da die Aufmerksamkeit des
Forschers nur auf die Ergebnisse der Messung, auf den statistischen Charakter der
Quantenerscheinungen gerichtet ist. Bei der theoretischen Untersuchung muss das
Quantenobjekt jedoch ganzheitlich betrachtet werden. Dabei ist die Aufmerksamkeit des
Forschers zunächst auf den Zustand der Mikroerscheinungen vor jeglicher Messung
konzentriert, bei der der Wellenfunktion große Bedeutung beigemessen wird. Die
Wellenfunktion charakterisiert auch den Zustand des individuellen Objektes.
In der Wellenfunktion ist der objektive, gesetzmäßige Zustand des Quantenobjektes vor
jeglicher Messung ausgedrückt. Bei der theoretischen Erforschung ist die Untersuchung
des Quantenobjektes in reiner Form, ohne fremde Einwirkung notwendig.
Im „Kapital“ erforscht Marx zunächst den Mehrwert in reiner Form, unabhängig von
seinen Erscheinungsformen. Eine derartige Logik ist bei der Erforschung von
Quantenerscheinungen ebenfalls durchaus anwendbar.
251
Streit und Diskussion um die Interpretation der Quantenmechanik sind auch gegenwärtig
nicht beigelegt. Den theoretischen Gedanken interessiert ernsthaft die Frage: Welche
Konzeption ist die wahre, die dem Wesen der Quantenobjekte entspricht? In den letzten
Jahren erhält die gewöhnliche Kopenhagener Interpretation in der Auslegung von Fok
immer mehr Anerkennung. Uns scheint, dass hier ernsthafte theoretische, philosophische
Ergebnisse erreicht wurden. Der grundlegende physikalische Inhalt dieser Interpretation,
ihre innere Logik verhält sich invariant zu der inhaltlichen Logik, die Hegel und Marx
erarbeitet haben.
Zum produktiven Verständnis der inneren Struktur, der Logik der Quantenmechanik sind
die Arbeiten von Fok wichtig. Seiner Meinung nach hat nur die Kopenhagener PhysikerSchule mit N. Bohr wirkliche und reale theoretische Erfolge erzielt. In physikalischer und
philosophischer Hinsicht hat die Konzeption der versteckten Parameter fast nichts erreicht.
Ihrem physikalischen Inhalt nach ist die Konzeption der Quantenensembles absolut
identisch mit dem Kopenhagener Verständnis; sie unterscheidet sich von ihm nur durch
die Interpretation des Inhalts der Wellenfunktion. In diesem Zusammenhang ist der
physikalische und prinzipielle wissenschaftliche Vorrang der gewöhnlichen Interpretation
der Quantenmechanik unzweifelhaft. Zurzeit hat die Quantenmechanik eine breite
Anerkennung und experimentellen Beweis erhalten. Das, was im Verlauf der Begründung
der fundamentalen Quantenmechanik in das wissenschaftlich-theoretische Denken
aufgenommen wurde, ist eine große Errungenschaft des schöpferischen Geistes.
B. Die logische Begründung des Ursprungs in der Quantenmechanik
Die Quantenmechanik als physikalische Theorie ist vollendet, aber ihre philosophische,
logische Seite bleibt äußerst aktuell.
Die aufmerksame Analyse der theoretischen Konzeptionen von Broglie und anderen bei
der Interpretation der Quantenmechanik zeugt davon, wie schon erwähnt, dass in ihnen
einige logisch-gnoseologische Fehler vorhanden sind.
Mit dem Gebiet der Mikrowelt haben wir ein selbständiges und spezifisches Sachgebiet
vor uns, dessen Gesetzmäßigkeiten nicht auf die Prinzipien und Begriffe der klassischen
Physik zurückführbar sind. Eine produktive Erforschung der Mikroerscheinungen ist nur
auf der Grundlage aller Zusammenhänge und Gesetzmäßigkeiten möglich, die in diesem
System beständig reproduziert werden und innerlich mit ihm zusammenhängen. Dabei
muss man von dem abstrahieren, was für dieses System äußerlich ist und zu ihm keine
unmittelbare Beziehung hat.
Unter diesem Blickwinkel hat das Prinzip der „Unbeobachtbarkeit“ möglicherweise einen
gewissen rationalen Sinn, wenn die Rede von diesen oder jenen Begriffen ist, die in den
vorherigen theoretischen Systemen wichtig sind, aber prinzipiell in diesem System nicht zu
252
entdecken sind, obwohl es einer Vielzahl von Versuchen unterzogen wird. In dieser
Auslegung wird das Prinzip der „Unbeobachtbarkeit“ seinem Inhalt nach der
fundamentalen Idee der marxistischen Logik entsprechen, laut der der Forscher bei der
theoretischen Analyse des Gegenstandes nur das beachtet, was ständig durch das
Funktionieren dieses konkreten Systems reproduziert wird.
Bei der theoretischen Erforschung des Objektes ist die Aussonderung der immanenten,
inneren Zusammenhänge derjenigen Momente des Gegenstandes wichtig, die äußerlich
und für ihn nebensächlich sind. In der Analyse der kapitalistischen Gesellschaft und Logik
des „Kapitals“ sind alle diese Fragen sorgfältig herausgearbeitet. So funktioniert z. B. die
kapitalistische Gesellschaft dort, wo bestimmte Reichtümer, Naturressourcen und
schöpferische Ideen von Erfindern usw. vorhanden sind. Bei der theoretischen
Reproduktion des Kapitalismus werden alle diese Momente einfach aus der Erforschung
ausgeschlossen, da die kapitalistische Produktion ständig nicht Naturressourcen,
schöpferische Ideen reproduziert, sondern ununterbrochen Mehrwert und Arbeitskraft als
Ware schafft.
In der dialektischen Logik hat die kritische Trennung des inneren Zusammenhangs des
Systems von fremden, nebensächlichen Momenten eine fundamentale Bedeutung. In der
theoretischen und ganzheitlichen Reproduktion der Wirklichkeit ist dieses logische Prinzip
unmittelbar mit der Aufdeckung des ursprünglichen Ganzen, des Sachgebietes und der
entwickelten Form des Gegenstandes verbunden.
Eine entwickelte Form ist diejenige Spielart, die am vollständigsten und adäquatesten die
Art ausdrückt. Ihrem Inhalt und Ziel nach helfen die Untersuchungen der entwickelten
Form auch bei der Herausstellung der inneren Zusammenhänge gegenüber den äußeren
und nebensächlichen. Zur Illustration seiner theoretischen Schlüsse betrachtete Marx die
am meisten entwickelte Form des Kapitalismus, d. h. den englischen. Im Frühstadium der
Entwicklung der kapitalistischen Formation war es kompliziert, die immanenten
Zusammenhänge des Kapitalismus von seinen nebensächlichen Momenten zu trennen. Zu
Zeiten von Marx hat der englische Kapitalismus seine entwickelte Form erreicht. Viele
Momente, die für seine frühe Periode charakteristisch waren, waren verschwunden und
haben den Zusammenhängen Platz gemacht, die dem Kapitalismus immanent sind.
In der Geschichte der Physik haben wir eine solche Erscheinung bei der Untersuchung der
Logik der Relativitätstheorie entdeckt. Bei der Erforschung der elektromagnetischen
Erscheinungen in beweglichen Systemen gibt die klassische Form des Experimentes, der
Versuch von Michelson, prinzipiell nicht die Möglichkeit, den Äther zu entdecken. Der
Äther hängt innerlich nicht mit der Natur der elektromagnetischen Erscheinungen
zusammen, und die Theorie geht vom Fehlen des ätherischen Windes aus. Freilich starb die
Konzeption des Äthers nicht infolge des Prinzips der „Unbeobachtbarkeit“ und des
Experimentes von Michelson, sondern kraft der Fundamentalität des Relativitätsprinzips in
elektromagnetischen Erscheinugen.
253
Ein analoges Bild beobachten wir insgesamt auch in der Quantenmechanik. Auf dem
Gebiet der Mikroerscheinungen geht es um ein prinzipiell anderes, spezifisches
Sachgebiet. Viele Begriffe und Thesen der klassischen Mechanik haben hier keinen Sinn.
Es ist unmöglich, das Quantenobjekt als klassisches Teilchen oder als Feld zu
interpretieren. Hier hat das Elektron keine Bahn wie im Falle der klassischen Dynamik.
Auf dem Gebiet der Mikroerscheinungen sind die Wechselbeziehungen der
Unbestimmtheiten von Heisenberg ein fundamentaler Fakt. All das überzeugt davon, dass
es um ein spezifisches Objekt geht, für dessen Verständnis andere fundamentale Prinzipien
und Ausgangsthesen notwendig sind.
In seinem Vortrag auf der philosophischen Konferenz hat W. Fok die hauptsächlichen
Besonderheiten der quantenmechanischen Beschreibung aufgezählt. Laut Fok ist es vor
allem unmöglich, die Wellenfunktion eines komplizierten Systems, das aus vielen Teilchen
besteht, als im Raum verteiltes Feld zu betrachten, das dem klassischen Feld ähnlich ist.
Die Wellenfunktion der Quantenmechanik hängt nicht von drei Koordinaten ab, sondern
von allen Stufen der Freiheit des Systems. Sie ist eine Funktion in einem
vieldimensionalen konfigurativen Raum, und nicht in einem realen physikalischen Raum.
In der Entwicklung der Quantenmechanik hat sich auf diese Weise ein Sachgebiet
herausgebildet. Die Aufgabe des Forschers ist es, alle diese Kategorien und Besonderheiten
des Quantenobjektes in Form einer Theorie als innerlich Zusammenhängendes und
Konkretes zu verstehen und zu erfassen und dabei von den Zusammenhängen auszugehen,
die der Ursprung des Systems sind und die Möglichkeit geben, den theoretischen
Gedanken weiterzuentwickeln.
Der Gegenstand der Quantenmechanik ist spezifisch, er bildet ein qualitativ besonderes
Gebiet. Deshalb ist es für die geistig-theoretische Reproduktion der Mikroerscheinungen
notwendig, von prinzipiell anderen Ausgangselementen, allgemeinen Grundlagen
auszugehen. In diesem Zusammenhang kann das Bestreben, die Wellenfunktion im
klassischen Sinne zu interpretieren, nicht zu irgendwelchen positiven Ergebnissen führen.
Es geht darum, dass die Gesetzmäßigkeiten, die inneren Zusammenhänge eines
komplizierten Systems (der Substanz) nicht einfach auf die früheren, einfachen
Wechselbeziehungen reduziert, zurückgeführt werden können. In methodologischer
Hinsicht ist eine solche Betrachtung eine ernste Verletzung des Prinzips des konkreten
Historismus. Im Unterschied zum metaphysischen Reduktionismus stützt sich die
dialektisch-materialistische Logik auf Prinzipien des Historismus, auf die Idee von
Substanz-Subjekt.
Entsprechend den Prinzipien der dialektischen Logik muss die theoretische Begründung
jedes bestimmten Sachgebietes auf seiner eigenen Grundlage realisiert werden. So wird z.
B. die kapitalistische Formation mittels der Aufdeckung ihrer spezifischen. immanenten
Gesetzmäßigkeiten erkannt, und nicht durch ihre Rückführung auf feudale Prinzipien. Auf
dem Gebiet der Physik bilden die Quantenobjekte, die Mikroerscheinungen ein
254
selbständiges System; sie ordnen sich ihren eigenen Gesetzmäßigkeiten unter. Alle
Besonderheiten der Quantenmechanik, die Fok aufgezählt hat, zeugen davon.
Bei der Erforschung der Quantenerscheinungen muss außerdem die Einwirkung des
klassischen Gerätes auf das Verhalten des Mikroobjektes beachtet werden. In diesen
Besonderheiten der Quantenmechanik hat sich nicht nur ihre Nichtrückführbarkeit auf ihre
klassischen Objekte erwiesen, sondern auch das ursprüngliche Ganze (das Sachgebiet)
offenbart. Seine Analyse gestattet es, den Ursprung festzustellen, von dem ausgehend die
theoretische Reproduktion der Quantenerscheinungen möglich wird. Ohne die praktische
Feststellung des Sachgebietes, des ursprünglichen Ganzen ist es unmöglich, den
Ausgangspunkt, den Ursprung und die Logik dieses oder jenes Systems zu offenbaren und
zu erkennen. Für die Feststellung und Hervorhebung des Ursprungs des Systems ist keine
empirische, sondern eine theoretische Analyse notwendig. Während die empirische
Analyse bei der Erforschung des Objektes sich zur Natur des Ganzen gleichgültig verhält,
geht die theoretische Analyse vom Standpunkt des Ganzen an das Objekt heran. Der
Hauptmangel des empirischen Stadiums besteht darin, dass die empirische Analyse in ihrer
unaufhaltsamen Bewegung zum Verlust der Eigenschaft des Ganzen gelangt. In der
theoretischen Erkenntnis wird die Analyse des Gegenstandes nicht gleichgültig realisiert,
sondern von der Position des Ganzen aus. Das Ziel der theoretischen Analyse besteht in der
Entdeckung der allgemeinen Grundlage, des universellsten Zusammenhanges des
erforschten konkreten Ganzen.
Ihrer Natur nach ist die nichtrelativistische Quantenmechanik keine empirische, sondern
eine theoretische Wissenschaft. Während im „Kapital“ von Marx die kapitalistische
Gesellschaftsformation theoretisch und ganzheitlich erkannt ist - beginnend mit der
elementaren Konkretheit, der Ware, und endend mit den entwickelten Formen wie Profit,
Rente und Lohn - ist in der Quantenmechanik auch eine ganzheitliche, theoretische
Erkenntnis der Mikroerscheinungen zu finden. „Das Kapital“ ist von Anfang bis Ende von
K. Marx geschrieben. In der nichtrelativistischen Quantenmechanik wurde die
ganzheitliche Erkenntnis der Natur der Mikroerscheinungen durch gemeinsame
Anstrengungen solcher Physiker wie M. Planck, A. Einstein, L. de Broglie, N. Bohr, M.
Born, Heisenberg, Schrödinger, Dirac, Fok usw. realisiert. Alle gemeinsam haben die
vollendete, logisch wahrhafte und ganzheitliche Quantenmechanik geschaffen.
Die Aufgabe der nichtrelativistischen Quantenmechanik ist die theoretische Erklärung des
Verhaltens des Mikroobjektes und dessen, wie es sich in der Versuchsanordnung zeigt. In
diesem Fall ist die Bemerkung von Fok darüber sehr wertvoll, dass das Verhalten des
Mikroobjektes, die Versuchsanordnung ganzheitlich betrachtet werden, d. h. es werden
zusammengefasst: die Quelle, von der die Strahlung ausgeht, die äußeren Bedingungen und
das Messgerät.
In der Quantenmechanik beschreibt die Wellenfunktion den objektiven Zustand des
Mikroobjektes. Sie ist die objektive Charakteristik des Ergebnisses der Wechselbeziehung
255
des Atomobjektes mit dem Gerät. Die Wellenfunktion gehört ebenfalls zur Natur des
einzelnen Objektes. In ihrer Form ist nur das objektiv Mögliche, nicht jedoch das
Wirkliche ausgedrückt. Die Verwandlung der Möglichkeit in die Wirklichkeit realisiert
sich nur im Endstadium des Versuches. Um experimentell die entsprechende Verteilung
der Wahrscheinlichkeiten zu erhalten, ist eine Serie von Experimenten notwendig. „Diese
experimentelle Verteilung der Wahrscheinlichkeiten“, schreibt Fok, „kann danach mit der
theoretischen, aus der Wellenfunktion erhaltenen [Verteilung] verglichen werden. ... Auf
diese Art können aus der statistischen Bearbeitung einer Serie von Versuchen die
Verteilungen von Wahrscheinlichkeiten nicht nur für die Größen erhalten werden, die
analog den klassischen sind, sondern auch für spezifische Quantengrößen“.37
In der klassischen Physik gibt es eine eindeutige Beschreibung des Verhaltens von
physikalischen Erscheinungen. Im Unterschied zur klassischen Physik hat in der
Quantenmechanik der Unterschied zwischen dem potentiell Möglichen und dem
Zustandegekommenen eine wesentliche Bedeutung. Wenn man das in die Sprache der
Philosophie übersetzt, so unterscheidet sich in ihr das Sein in sich vom Sein für sich, das
Mögliche vom Wirklichen, das Wesen von den Erscheinungsformen. In der klassischen
Mechanik fehlt der Begriff der Entwicklung, und er entspricht der mechanischen
Kausalität, dem klassischen Determinismus. In der dialektischen Logik ist ein solches
Verständnis der Kausalität prinzipiell überwunden, da die Dialektik die Logik organischer
und komplizierter Systeme ist, in denen notwendigerweise die Selbstentwicklung des
Systems Beachtung findet. In derartigen Gegenständen können die Inhalte der Ursache und
der Wirkung nicht eindeutig, identisch sein. Deshalb ist das klassische Verständnis der
Kausalität einseitig.
Nach Meinung von Fok ist die praktische Unmöglichkeit, alle Ereignisse in der klassischen
Physik vorauszusagen, auf die Unvollständigkeit der Ursprungsdaten zurückzuführen. Ein
solches Verständnis der Kausalität, des Determinismus entstand unter bestimmten
historischen Bedingungen. In der Quantenmechanik ist es wichtig, das Mögliche vom
Wirklichen zu unterscheiden. In der Logik der Quantenmechanik wird das Mögliche, das
In-Sich-Sein, das durch die Wellenfunktion ausgedrückt ist, zunächst unabhängig von
Erscheinungsformen, vom Endstadium des Experimentes und der Statistik betrachtet.
In diesem Falle ist die Methodologie der Untersuchung der Frage der Logik des „Kapitals“
von Marx analog. In seinen Briefen hat er mehrmals unterstrichen, dass das Neue an
seinem Herangehen im Vergleich zu den Klassikern der politischen Ökonomie das ist, dass
er zunächst den Mehrwert in reiner Form untersucht, unabhängig von Erscheinungsformen.
Dabei kritisierte er scharf die Empiriker in der politischen Ökonomie, die dem Wesen die
Erscheinungsformen gegenübergestellt haben. „Die Aufgabe der Wissenschaft“, schrieb
Marx, „besteht gerade darin zu erklären, wie das Wertgesetz erscheint; folglich, wenn sie
sofort alle dem Gesetz scheinbar widersprechenden Erscheinungen „erklären“ wollten,
müssten sie die Wissenschaft noch vor der Wissenschaft geben ... Die Pointe der
256
bürgerlichen Wissenschaft besteht ja gerade darin, dass in ihr a priori keine bewusste
gesellschaftliche Regulierung der Produktion existiert. Das Vernünftige und natürlich
Notwendige offenbart sich als blind handelnder Durchschnitt. Und der Vulgärökonom
denkt, dass er eine große Entdeckung macht, wenn er der Aufdeckung des inneren
Zusammenhanges stolz den Fakt gegenüberstellt, dass in den Erscheinungen die Dinge
anders aussehen. Und es kommt heraus, dass er darauf stolz ist, vor der Scheinbarkeit zu
liebedienern, dass er das Scheinbare für das Endliche hält“.38
Die Bedeutung der marxistischen Methodologie in der Logik der Quantenmechanik ist
groß. Während Marx den Mehrwert unabhängig von seinen Erscheinungsformen
tiefgründig erforschte, wird in der Quantenmechanik der Zustand des Mikroobjektes (die
Wellenfunktion) unabhängig von konkreten Erscheinungsformen untersucht, im gegebenen
Fall unabhängig von Beobachtungsmitteln. Eine solche Betrachtung ist das wichtigste
Moment der theoretischen Reproduktion des Objektes. In der Quantenmechanik wird erst
danach der notwendige Zusammenhang der Wellenfunktion und der Ergebnisse der
Messung und des statistischen Charakters der Quantenerscheinungen zutage gefördert und
erforscht. Im Ergebnis haben wir ein ganzheitliches Bild der Reproduktion des
Mikroobjektes.
In den Untersuchungen Foks ist dieser Aspekt der Quantenmechanik herausgearbeitet. Laut
Fok kann man zwei Seiten der Wechselwirkung zwischen Mikroobjekt und Gerät
unterscheiden: erstens die Wechselwirkung als physikalischer Prozess und zweitens die
Wechselwirkung als Nahtstelle zwischen dem System, das quantenmechanisch beschrieben
wird (Mikroobjekt) und dem Teil, der klassisch beschrieben wird. Seine Aufmerksamkeit
konzentriert Fok hauptsächlich auf den zweiten Teil. Dabei muss man unbedingt bedenken,
dass die äußeren Bedingungen des Verhaltens des Quantenobjektes und die Ergebnisse der
Wechselwirkung mit seinem Gerät in Termini der klassischen Physik beschrieben werden.
Nach ihren Angaben muss über die Quanten-Charakteristika des Atomobjektes geurteilt
werden.
In der klassischen Physik kann das Verhalten des physikalischen Körpers eindeutig
vorhergesagt werden. In Atomobjekten verhält es sich prinzipiell anders: Sogar im Falle
fixierter äußerer Bedingungen ist das Resultat ihrer Wechselwirkung mit dem Gerät nicht
eindeutig. „Dieses Resultat“, schreibt Fok, „kann nicht mit Bestimmtheit auf der
Grundlage vorausgegangener Beobachtungen vorhergesagt werden, so exakt letztere auch
sein mögen. Bestimmt ist nur die Wahrscheinlichkeit dieses Resultates. Der vollständigste
Ausdruck der Resultate einer Serie von Messungen wird nicht die exakte Bedeutung der
gemessenen Größe sein, sondern die Verteilung der Wahrscheinlichkeiten für sie“.39
Die Spezifik und Besonderheit der Quanten-Gesetzmäßigkeiten hängen mit der Natur der
Mikroerscheinungen zusammen. „Jener Fakt“, schreibt Fok, „ dass im allgemeinen Fall
keine Präzisierung der vorangegangenen Beobachtungen zur eindeutigen Vorhersage des
Resultates der Messungen führt, hat eine große prinzipielle Bedeutung. Diesen Fakt muss
257
man als Ausdruck eines gewissen Naturgesetzes betrachten, das mit den Eigenschaften von
Atomobjekten zusammenhängt, insbesondere mit dem ihnen eigenen korpuskularen
Wellen-Dualismus. Die Anerkennung dieses Faktes bedeutet die Absage an den
klassischen Determinismus und erfordert neue Formen des Ausdrucks des
Kausalitätsprinzips“.40
Statistische Gesetzmäßigkeiten gab es eigentlich auch in der klassischen Physik. Aber die
Wahrscheinlichkeit hat in der Quantenmechanik eine prinzipiell andere Bedeutung, da die
Wahrscheinlichkeit in der klassischen Physik als Ergebnis eines gewissen Nichtwissens
betrachtet wurde und immer die Möglichkeit einer Rückführung auf eine eindeutige
Lösung vorausgesetzt wurde. Auf dem Gebiet der Quantenmechanik haben wir ein
prinzipiell anderes Bild. „In der Quantenmechanik“, schreibt Fok, „ist ein derartiges
Aussortieren der Atomobjekte unmöglich, da entsprechend der Eigenschaft der
Atomobjekte die gemessenen Größen unter den gegebenen Bedingungen keine bestimmten
Bedeutungen haben können. In der Quantenphysik ist der Begriff der Wahrscheinlichkeit
ein primärer Begriff und spielt dort eine fundamentale Rolle. Mit ihm ist auch der
quantenmechanische Begriff des Zustandes des Objektes verbunden“.41
Auf dem Gebiet der Quantenmechanik geht es um ein prinzipiell neues Verständnis der
Wahrscheinlichkeiten, die der Ausdruck der Bewegung qualitativ anderer physikalischer
Objekte sind und die eine Korpuskularwellen-Natur haben. Auf dem Gebiet der
Quantenmechanik drückt die Wahrscheinlichkeit, die Wellenfunktion etwas Primäres aus,
während die statistische Gesetzmäßigkeit als Beschreibung der Ergebnisse der Messung
eine Erscheinungsform ist. In der Quantenmechanik als theoretischer Wissenschaft werden
die Substanz, die immanenten Gesetzmäßigkeiten und Erscheinungsformen in Einheit und
Ganzheit betrachtet.
Diese theoretische und ganzheitliche Betrachtung ist ein gewisses Ergebnis der
wissenschaftlich-theoretischen Reproduktion des Objektes. Sie unterscheidet sich
wesentlich vom ursprünglichen, chaotischen Ganzen, dem Sachgebiet, mit dessen
theoretischer Analyse die Erkenntnis, die Herausstellung und Offenbarung der allgemeinen
Grundlage, des Ausgangspunktes des konkreten Ganzen eigentlich beginnt. Dem Wesen
nach beginnt mit dieser ursprünglichen „Zelle“, dem Allgemeinen der Aufstieg vom
Abstakten zum Konkreten. Nur im Ergebnis einer solchen Bewegung des theoretischen
Gedankens realisiert sich die geistige Reproduktion des Gegenstandes als lebendiges
Ganzes.
Die nichtrelativistische Quantenmechanik als theoretische Wissenschaft muss die
ganzheitliche Natur des Mikroobjektes erklären. In diesem Zusammenhang entsteht die
Frage: Wenn ein bestimmtes Sachgebiet, ein Gebiet von Mikroerscheinungen bekannt ist,
was ist dann der Ursprung dieses Sachgebietes, von dem ausgehend das theoretische
Verständnis der Mikroerscheinungen möglich ist? Dabei muss man sich unbedingt an die
grundlegenden logischen Kriterien des Ursprungs, der elementaren „Zelle“ erinnern.
258
In der dialektischen Logik wird der Ursprung, die elementare „Zelle“ als allgemeine,
unmittelbare Bestimmtheit des Ganzen verstanden. Im „Kapital“ ist dieses Allgemeine die
Ware und die Warenbeziehungen. Darum beginnt auch Marx die Analyse der Ware, die die
„Zelle“ des Kapitalismus ist, und entdeckt in dieser einfachsten Konkretheit seine
Widersprüche.
In diesem Zusammenhang ensteht die Frage: Was ist der Ausgangspunkt der
Quantenmechanik? Es ist die Korpuskularwellen-Natur des Mikroobjektes.
Die Frage nach dem Korpuskularwellen-Dualismus hat eine fundamentale Bedeutung in
der Quantenmechanik. Von ihm hängen alle spezifischen Besonderheiten des
Quantenobjektes ab, d. h. die fundamentale Wahrscheinlichkeit, der statistische Charakter,
das Fehlen einer Bahn und die Unmöglichkeit der mechanisch-deterministischen
Beschreibung des Quantenobjektes. Methodologisch sind das richtige Verständnis und die
Interpretation der Quantenmechanik nur bei der prinzipiellen Betonung der Besonderheiten
der Quantenerscheinungen möglich.
Auf dem Gebiet der Quantenmechanik ist der Korpuskularwellen-Dualismus sowohl
historisch als auch logisch das Ausgangselement. Alle Besonderheiten des Mikroobjektes
kann man verstehen, wenn man von seiner Korpuskularwellen-Natur ausgeht. Dabei muss
man beachten, dass der Terminus Korpuskularwellen-Dualismus nicht besonders glücklich
gewählt ist. In der Quantenmechanik geht es nicht um Dualismus im philosophischen
Sinne, sondern um die Korpuskularwellen-Natur des einheitlichen Ursprungs selbst. Wie in
der Geschichte der Philosophie das synthetische Urteil a priori falsch als gnoseologischer
Dualismus ausgelegt wurde, wird in der Quantenmechanik der einheitliche
widersprüchliche Ursprung als Korpuskularwellen-Dualismus interpretiert. In den
Teilchenwellen der Quantenmechanik haben wir einen einheitlichen Ursprung, der einen
zwiespältigen Charakter hat. Auf dem Gebiet der Quantenmechanik sind einzelne
terminologische Ungenauigkeiten weit verbreitet, die zu nicht richtigem Verständnis
einiger wichtiger Kategorien, Begriffe in der Quantenmechanik führten. Das bezieht sich
vor allem auf das berühmte Prinzip der Nachträglichkeit. Bei aufmerksamer und
tiefschürfender Untersuchung ist dieses Prinzip seinem Inhalt nach dialektisch. In ihm ist
terminologisch unglücklich die wichtige Idee der Einheit der Gegensätze ausgedrückt.
Ähnlich, wie die Möglichkeit der Krise, des Widerspruchs des Kapitalismus schon
embryonal in der Ware vorhanden ist, sind auch die Wechselbeziehungen der
Unbestimmtheiten, die Unmöglichkeit einer eindeutigen Interpretation, das Prinzip der
Nachträglichkeit im zwiespältigen Charakter der Mikroerscheinungen selbst enthalten. Alle
Geheimnisse und Schwierigkeiten der Quantenmechanik sind embryonal im zwiespältigen
Charakter der Mikroerscheinungen eingeschlossen.
Zu dieser Frage hat Fok mit Bestimmtheit erklärt, dass alle Schwierigkeiten auf dem
Gebiet der Quantenmechanik entfallen, wenn man die zwiespältige KorpuskularwellenNatur des Elektrons anerkennt, das Wesen dieses Dualismus´ aufklärt und begreift, auf was
259
sich die in der Quantenmechanik untersuchten Wahrscheinlichkeiten beziehen. Er hat dann
weiter unterstrichen, dass die aus der Wellenfunktion erhaltenen Wahrscheinlichkeiten für
unterschiedliche Größen sich auf verschiedene Versuchsanordnungen beziehen und dass
sie nicht das Verhalten des Teilchens „an sich“ charakterisieren, sondern seine Einwirkung
auf das Geraät eines bestimmten Typs. „Gerade in dieser potentiellen Möglichkeit“,
schrieb Fok, „verschiedener Äußerungen von Eigenschaften, die dem Atomobjekt eigen
sind, besteht der Dualismus der Welle-Teilchen“.42 „Die Wahrscheinlichkeit diesen oder
jenen Verhaltens des Objektes unter den gegebenen äußeren Bedingungen wird von den
inneren
Eigenschaften des gegebenen individuellen Objektes und diesen äußeren Bedingungen
bestimmt“.43
In der Entstehungsgeschichte der Quantenphysik hat der zwiespältige Charakter der
Strahlung, der Mikroerscheinungen unterschiedliche Schwierigkeiten geschaffen. In den
Wellen von L. de Broglie sahen die Physiker etwas Irrationales. In diesem Zusammenhang
sind die theoretischen Ausführungen von Marx über die Natur der Ware interessant. Im
Kapitel „Der Waren-Fetischismus und sein Geheimnis“ schrieb er: „Auf den ersten Blick
scheint die Ware ein sehr einfaches und triviales Ding. Ihre Analyse zeigt, dass sie ein
Ding mit Schrullen, metaphysischen Feinheiten und theologischen Tricks ist. Als
Verbrauchswert enthält sie nichts Rätselhaftes ... Sobald sie aber zur Ware wird,
verwandelt sie sich in ein sinnliches-übersinnliches Ding. Sie steht nicht nur mit ihren
Beinen auf der Erde, sondern stellt sich vor aller Augen auf den Kopf, und ihr Holzkopf
gebiert Schrullen, in denen mehr Verwunderliches ist, als würde sie aus eigener Initiative
auf dem Tisch tanzen.
Der mystische Charakter der Ware wird nicht durch ihren Verbrauchswert erzeugt.
Genauso wenig wird er durch den Inhalt der Bestimmungen des Wertes erzeugt...
Woher kommt also der rätselhafte Charakter des Produktes der Arbeit, sobald letzteres die
Form der Ware annimmt? Augenscheinlich aus dieser Form selbst“.44
Bei allem Unterschied des Gegenstandes der politischen Ökonomie und der
Quantenmechanik kann man in diesem Fall eine gewisse Analogie konstatieren. In der
Quantenmechanik gibt es auch im Zusammenhang mit der Korpuskularwellen-Natur der
Mikroerscheinungen jede Menge Schwierigkeiten. Lange Zeit haben die Physiker die
fundamentale Wahrscheinlichkeit, die Natur der Wellenfunktion in der Quantenmechanik
nicht verstanden.
In Wirklichkeit ist nichts Kompliziertes oder Geheimnisvolles in der korpuskularen oder
Wellen-Natur der Materie, wenn man nur eine dieser Seiten nimmt. In jedem dieser Fälle
würden wir eine vollkommene Rechtfertigung des klassischen Determinismus, der
eindeutigen Interpretation erhalten, und die Wechselbeziehungen der Unbestimmtheiten
würden als Wechselbeziehungen von Ungenauigkeiten ausgelegt werden. Die
260
Hauptschwierigkeit in der Quantenmechanik entsteht aus jener Form der Materie, in der
die Korpuskularwellen-Eigenschaft in unteilbarer Einheit betrachtet wird.
In der Quantenmechanik ergeben sich notwendig und erklären sich aus der Einheit der
Korpuskularwellen-Eigenschaft die fundamentale Wahrscheinlichkeit, die Wellenfunktion
und die Auslegung der Ergebnisse verschiedener klassischer Messungen, die
Ergänzungscharakter haben. Die Korpuskularwellen-Natur der Materie aht eine allgemeine
Bedeutung in der Quantenmechanik. Sie ist der wahre Ursprung der Quantenmechanik - in
historischer wie in logischer Betrachtung.
C. Die historische Begründung des Ursprungs in der
Quantenmechanik
In der Physik fand ein Umbruch im Denken im Zusammenhang mit der Entdeckung der
Diskontinuität der Strahlungsenergie statt. Bis dahin herrschte die Wellenkonzeption vor,
in der jegliche Strahlung als Kontinuität betrachtet wurde. Im Zusammenhang mit der
Lösung der Aufgaben der Strahlung der absoluten black box führte M. Planck die Idee der
Diskontinuität ein (Wirkungsquantum h). Aber diese Hypothese wurde ursprünglich als
temporäre Erscheinung betrachtet.
Die Hoffnung der Gelehrten hat sich nicht erfüllt. In der Entwicklung der Physik begann
die Konstante von Planck, ein Gebiet nach dem anderen zu erobern.
Die Quantentheorie wurde von Einstein für die Erklärung der Natur des Foto-Effektes
genutzt. Auch N. Bohr hat die Quanten-Idee produktiv für die Erklärung der Struktur der
Atomspektren genutzt. Ein großer Triumph der Idee der Diskretheit war ihre
experimentelle Bestätigung in den Versuchen von Compton. Das alles waren zweifellos
wichtige Abschnitte des Triumphzuges der Quanten-Idee, die immer mehr Gebiet der
Physik eroberte und so ihre Universalität demonstrierte.
Freilich gehört das alles noch zur Vorgeschichte der Quantenmechanik. In letzterer
gewinnt größte Bedeutung die Erarbeitung der Hauptprinzipien und Gleichungen der
Quantenmechanik, die sich auf die Allgemeinheit der Korpuskularwellen-Natur der
Materie stützen. In der Quantenmechanik entspricht die Korpuskularwellen-Natur des
Mikroobjektes seiner logischen Natur nach der Ware im „Kapital“ von Marx. Ähnlich, wie
die Analyse der Ware zur Entdeckung des Wertes und des Mehrwertes führt, führt auch in
der Analyse der Diskretheit der Energie, der Korpuskularwellen-Natur der Materie zur
Schaffung der Wellen-Gleichung der Quantenmechanik.
Während in der theoretischen Begründung des „Kapitals“ die Bedeutung der Allgemeinheit
der Ware, der Entdeckung der Arbeitskraft als Ware sehr groß ist, haben in der
Quantenmechanik die Ideen von Einstein und de Broglie zur Korpuskularwellen-Natur des
Mikroobjektes größte Bedeutung.
261
In der politischen Ökonomie gab die Analyse der Ware, die Entdeckung der Arbeitskraft
als Ware die Möglichkeit zur Begründung des Mehrwertes. In der Quantenmechanik hat
die Entdeckung und Begründung der Korpuskularwellen-Natur des Mikroobjektes
fundamentale Bedeutung für die Aufstellung der Schrödinger-Gleichung.
In der physikalischen Literatur wird richtig hervorgehoben, dass Schrödinger bei der
Schaffung der Wellengleichung von den Ideen Einsteins und de Broglies ausgegangen ist.
Zu dieser Frage hat Schrödinger in seiner Arbeit „Über das Verhältnis der
Quantenmechanik von Heisenberg - Born - Jordan zu meiner“ geschrieben: „Meine
Theorie wurde durch die Dissertation von de Broglie und die kurzen, aber äußerst
tiefschürfenden Bemerkungen von Einstein angeregt“.45 In diesem Fall ist von der Idee
des Teilchens die Rede, das untrennbar mit der Welle verbunden ist. In seinen Arbeiten
über ideale Gase hat Einstein die Idee von de Broglie weiterentwickelt. Eigentlich ist der
Hauptinhalt der Idee von de Broglie und der Arbeiten von Bose innerlich mit den
fundamentalen Ideen Einsteins über die Natur der Strahlung verbunden. „Gerade dann“,
schreibt Klein, „als die Versuche Comptons viele Physiker endgültig von der Realität der
Quanten der Lichtteilchen-Strahlung überzeugt hatten, schloss sich Einstein dem
Vorschlag von de Broglie an, dass Dualismus der Teilchen-Welle sowohl für die Strahlung
als auch für die Materie zutrifft“.46
Bei der aufmerksamen Betrachtung der Geschichte der Physik zeigt sich klar, dass die Idee
der Quantierung ursprünglich als Grenzfall im allgemeinen Bild der Physik entstand. Im
Weiteren, wie schon aufgezeigt, hat die Quanten-Idee, die Korpuskularwellen-Natur der
Materie das physikalische Denken uneingeschränkt erobert. Die Quanten-Idee verwandelte
sich aus einem zufälligen, einem Grenzfall in etwas Fundamentales und Notwendiges in
der neuen Physik.
Für den Sieg der fundamentalen Ideen der neuen Physik, der Begründung der
Korpuskularwellen-Natur der Materie sind die Verdienste von Einstein und de Broglie sehr
groß. die Idee von der Korpuskularwellen-Natur des Lichtes hatte Einstein schon lange
zuvor im Zusammenhang mit der Überwindung der Begrenztheit der vorherigen LichtTheorein geäußert. Bei seinem Auftritt auf dem Kongress in Salzburg hat Einstein
nochmals hervorgehoben, dass „uns die nächste Phase der Entwicklung der theoretischen
Physik die Theorie des Lichtes bringt, die im gewissen Sinne die Vereinigung der WellenTheorie des Lichtes mit der Theorie des Ausflusses ist“.47
Einstein sah klar die Hauptmängel der existierenden Wellen-Theorie des Lichtes. Sie war
außerstande, rational solche Fragen zu klären, wie z. B.: Warum ist das Kurzwellen-Licht
effektiver für den Ablauf chemischer Reaktionen als das Langwellen-Licht? Warum erhält
das einzelne Foto-Elektron mehr Energie von einer Lichtquelle mit geringer
Streuungsdichte? Und warum hängt die Energie eines solchen Foto-Elektrons nicht von der
Intensität des Lichtes ab? - In dieser Hinsicht ist die Theorie produktiv, in der die Idee der
Quanten angewandt und das Licht als Teilchen-Strom betrachtet wird. In diesem Fall wird
262
die Erscheinung des fotoelektrischen Effektes hinreichend erklärt, der eher auf die
ausgerichtete als auf die sphärisch-symmetrische Emission des Lichtes hinweist. In seiner
Theorie hat Einstein klar die fundamentale Bedeutung der Quanten-Idee (hv) und auch das
verstanden, dass sie ernsthaft über den Rahmen der klassischen Physik hinausgeht.
Während sich der Schöpfer der Quanten-Idee M. Planck mehrmals bemühte, die Konstante
(h) mit der klassischen Theorie zu versöhnen, war Einstein von der Erfolglosigkeit eines
solchen Bemühens überzeugt. „Der Schlüsselpunkt der Überlegung von Einstein“, schreibt
Klein, „war die Verwandlung der Methode von Planck. Anstatt sich um die Ableitung des
Gesetzes der Streuung zu bemühen und dabei von irgendeiner fundamentalen These
auszugehen, ging er den entgegengesetzten Weg. Das Gesetz von Planck war durch
Experimente gründlich bewiesen, - warum konnte man seine Richtigkeit nicht anerkennen
und versuchen herauszubekommen, welche Folgen, die die „Struktur“ der Strahlung
anbetreffen, sich aus ihm ergeben? Einstein hatte so etwas Ähnliches schon 1905 getan“.48
Mit seinen Gedanken über das freie Quant, über die Vereinigung der Wellen- und der
Korpuskulartheorie des Lichtes war Einstein damals schon viel weiter als Planck, wovon
zeugt, dass letzterer auf dem Kongress in Salzburg anlässlich des Auftritts von Einstein
bemerkte: „Das scheint mir ein solcher Schritt zu sein, der meiner Ansicht nach heute noch
nicht notwendig ist“.49
Später wurde die Idee des freien Quants durch Experimente, durch Messungen des
fotoelektrischen Effektes durch R. Milikan bestätigt. In diesen Versuchen wurde bewiesen,
dass die Strahlung gerichtet ist und jedes Quant die Bewegungsanzahl hv/c hat. Ein
wichtiges Ereignis beim Beweis dieser Idee war der Compton-Effekt. Dank diesem Effekt
erhielt die Quanten-Idee Einsteins eine breite Anerkennung. In seinem Brief an Compton
schrieb Sommerfeld, dass seine Entdeckung „wie Beerdigungsmusik für die Wellentheorie
der Strahlung klingt“.
Nach den Arbeiten von Compton untersuchte W. Pauli das Wärme-Gleichgewicht der
Strahlung und der freien Elektronen. Er stützte sich dabei auf die Arbeiten Einsteins aus
dem Jahre 1917, um im Rahmen der Quanten-Theorie die Beschreibung der
Wechselwirkung von Elektron und Strahlung zu finden, bei der sich ein thermisches
Gleichgewicht bilden kann. Der entsprechende Mechanismus musste eine Strahlung
ergeben, die dem Gesetz von Planck entsprach, während die kinetischen Energien der
Elektronen der Streuung von Maxwell-Boltzmann genügen mussten. Die elementare
Wechselwirkung musste genau so sein, wie im Compton-Effekt.
In den Resultaten von Pauli traten freilich bestimmte Paradoxa und Schwierigkeiten auf.
Sie wurden später leicht mit Hilfe der Ideen von Einstein überwunden, die mit dem
Doppelcharakter der Strahlung verbunden waren. Die Schlüsse von Pauli erwiesen sich als
natürliche Verallgemeinerung der frühen Arbeiten Einsteins.
Wenn man sich auf die Arbeiten Einsteins stützt, kann man auch die Erscheinung der
Interferenz und der Diffraktion in der Struktur der Strahlung verstehen. „Einstein hat schon
263
lange die Meinung geäußert“, schrieb Klein, „dass man beide Aspekte der Strahlung - die
Welle und das Teilchen - zu einer fundamental neuen Theorie vereinen muss ...“.50
Eine ernsthafte Etappe beim siegreichen Vormarsch der Ideen Einsteins über LichtQuanten waren die Arbeiten von Bose, der sich die Aufgabe gestellt hatte, die Gesetze
unmittelbar aus der Hypothese Einsteins abzuleiten. Auf dieses Ziel waren auch die
Arbeiten von de Broglie ausgerichtet. Er wollte das Gesetz von Planck aus der statistischen
Mechanik der Licht-Quanten ableiten, ohne auf die Theorie des Elektromagnetismus
zurückzugreifen. Im Ergebnis dieser Forschung kam ursprünglich die Streuung von W.
Wien heraus. Aber Louis de Broglie stellt mit Bestimmtheit fest, dass er das Gesetz von
Planck nur unter der Bedingung der Untersuchung der Strahlung als Mischung von Gasen
erhalten kann, deren Quanten die Energien hv, 2hv, 3hv ... nhv haben.
In seiner Hypothese über den Dualismus der Teilchenwelle stützte sich de Broglie
konsequent auf die Ideen Einsteins. „Plötzlich hatte ich eine Erleuchtung“, schrieb er. „Ich
war überzeugt, dass der Dualismus der Teilchenwelle, den Einstein in seiner Theorie der
Licht-Quanten entdeckt hatte, absolut allgemein ist und die gesamte physikalische Welt
erfasst, und es schien mir deshalb unzweifelhaft, dass die Ausbreitung der Welle mit der
Bewegung eines Teilchens beliebiger Art zusammenhängt - Photon, Proton und jedes
anderen“.51 In diesem Fragment ist der Hauptinhalt der Dissertation von de Broglie
widergespiegelt, die Einstein sehr hoch geschätzt hat.
Der Grundgedanke von de Broglie war Einstein sehr nahe. Während Einstein die
Eigenschaft des Teilchens der Strahlung zuschrieb, hat de Broglie die Wellen-Eigenschaft
der Materie anerkannt. Die Wellen der Materie mit der Frequenz v und der Länge  waren
mit der Energie der Teilchen E und der Quantität der Bewegung P durch die Gleichungen
E=hv, P=h/lambda verbunden. Auf der Basis dieser Gleichungen konnte de Broglie die
Quanten-Bedingungen von Bohr-Sommerfeld erklären, die sich als Bedingungen der
Resonanz für die Wellen der Materie erwiesen, wenn sich die entsprechenden Teilchen in
einer Bahn bewegen.
Die Idee der Teilchenwelle von de Broglie war revolutionär. Viele Zeitgenossen haben sie
schwer verstanden. „Für Einstein“, schrieb Klein, „dessen Ideen für de Broglie die
Ausgangspunkte waren, passten die Wellen der Materie natürlich in das allgemeine Bild.
Seine Berechnungen des Quanten-Gases, die er anstellte, als er sich mit der Dissertation
von de Broglie bekanntgemacht hatte, erbrachten tatsächlich neue Beweise für die
Unterstützung der Idee von de Broglie“.52
In seinen Arbeiten hat Einstein die Gedanken von de Broglie entschieden unterstützt.
Daran hat sich de Broglie selbst erinnert. „Die wissenschaftliche Welt jener Zeit“, schrieb
er, „hat auf jedes Wort von Einstein gehört, denn er befand sich damals auf der Höhe
seines Ruhmes. Indem er auf die Wichtigkeit der Wellenmechanik hinwies, hat der
berühmte Gelehrte sehr viel für die Beschleunigung ihrer Entwicklung getan. Ohne seinen
Artikel hätte man meine Dissertation erst viel später richtig eingeschätzt“.53
264
Im Weiteren sind die Ideen von de Broglie dauerhafter Bestandteil der physikalischen
Wissenschaft geworden. Die Vorstellungen von den Wellen der Materie wurden von
Elsasser zur Erklärung des Versuches von Ramsauer genutzt, der entdeckte, dass
Elektronen, die durch das Feld um einige Volt beschleunigt werden, eine anomal große
Laufbahn in inerten Gasen haben. Dieser Effekt ist hervorragend auf der Grundlage der
Formel von de Broglie erklärbar. Was die Bedeutung der Arbeiten Einsteins zur
Begründung der Teilchenwelle betrifft, so schrieb Elsasser: „Auf Umwegen über die
statistische Mechanik erhielt Einstein vor kurzem ein hervorragendes physikalisches
Ergebnis. Und zwar zeigte er die Glaubwürdigkeit der Annahme, dass man mit jeder
Vorwärtsbewegung des materiellen Teilchens ein Wellen-Feld verbinden kann, wobei die
Eigenschaft dieses Feldes durch die Kinematik des Teilchens bestimmt wird. Die
Hypothese derartiger Wellen, die schon vor Einstein von de Broglie aufgestellt wurde,
erhält eine solche kräftige Unterstützung dank der Theorie Einsteins, dass es vernünftig
erscheint, ihre experimentelle Bestätigung zu suchen“.54
So erkämpfte sich die Idee der Teilchenwelle einen festen Platz in der Physik. Von ihr ging
Schrödinger aus, als er die Wellen-Gleichung der Quantentheorie schuf. „Deshalb“,
schreibt Klein, „war er gut darauf vorbereitet, die Stärke und Novität der Theorie Einsteins
einzuschätzen und zu erforschen, welche Schlussfolgerungen sich aus ihr ergeben“.55
Die Bedeutung der Idee der Teilchenwelle von de Broglie und Einstein ist groß für die
Begründung der Quantenmechanik - sowohl historisch als auch logisch. In der
Quantenmechanik hat die Wellen-Gleichung genau so eine Bedeutung wie der Wert und
der Mehrwert in „Kapital“ von Marx. Während Marx die Entstehung des Mehrwertes
mittels der Entdeckung einer besonderen Ware - der Arbeitkraft - erklärt, wird in der
Quantenmechanik die Wellenfunktion von der Korpuskularwellen-Natur der Materie
abgeleitet. In diesem Zusammenhang muss betont werden, dass es von Anfang an bei der
Wellenfunktion keine Mystik gab. Zu ihrem strengen theoretischen Verständnis war es
notwendig, die besondere Natur des Mikroobjektes zu beachten, das sich kraft
gegensätzlicher Wellen- und Korpuskular-Eigenschaften nicht dem klassischen
Determinismus unterordnet, sondern spezifischen Gesetzen, in denen die
Wahrscheinlichkeiten fundamentale Bedeutung haben.
In Form der Wellen-Gleichung wurde die substantielle Gleichung der Quantenmechanik
geschaffen. Ähnlich, wie Marx den Mehrwert unabhängig von Erscheinungsformen
betrachtet (was die Folge der theoretischen, dialektischen Untersuchung ökonomischer
Erscheinungen ist), wird in der Quantenmechanik die Wellenfunktion unabhängig von den
Erscheinungsformen betrachtet. In der Wellenfunktion drückt sich der objektiv mögliche
Zustand des Mikroobjektes vor der Messung mittels eines klassischen Gerätes aus. In
diesem Zusammenhang hat die Feststellung von Fok einen tiefen Sinn, in der er strikt das
Mögliche und das Wirkliche im Verhalten des Mikroobjektes unterscheidet.
265
In diesem Fall zeigte sich deutlich der Unterschied zwischen theoretischem Herangehen an
wissenschaftliche Forschungen und empirischen Untersuchungen von Erscheinungen. In
der empirischen Forschung hat das Verstehen jeden Faktes, Resultates des Experimentes
eine sich selbst genügende Bedeutung. Aber es ist unzulässig, außerhalb dieser
Erscheinungen nach etwas zu suchen. Im Gegensatz dazu bedeutet das theoretische
Herangehen das Verstehen des Faktes oder einer Gruppe von Erscheinungen ihre
Rückführung auf etwas Einheitliches, eine Substanz, deren Erscheinungsform sie sind. Da
die Substanz, der einheitliche Ursprung der empirischen Form nicht unmittelbar entspricht,
wird sie anfangs unabhängig von ihren Erscheinungsformen betrachtet.
In der nichtrelativistischen Quantenmechanik werden nicht einfach Quantensprünge
beschrieben, die Wechselbeziehungen der Unbestimmtheiten, Statistik u. a., sondern sie
werden alle als Folge der Korpuskularwellen-Natur der Mikroerscheinungen betrachtet. In
den theoretischen Überlegungen Foks über Möglichkeiten und Wirklichkeiten ist dem
Wesen nach die Beziehung der Substanz, des Ursprungs zu den Erscheinungsformen
erfasst. In der Wellen-Gleichung von Schrödinger, in der Wellenfunktion ist das
Substantielle, das Wesen der Mikroerscheinungen aufgedeckt und widergespiegelt. In
ihnen wird der objektive, potentiell mögliche Zustand des Mikroobjektes beschrieben.
Die Wellenfunktion bezieht sich hauptsächlich auf das Verhalten der Mikroerscheinungen,
die in reiner Form erforscht werden, d.h. unabhängig von Erscheinungsformen. Bei der
Analyse des möglichen Zustandes kann man vom Einfluss des Makrogerätes auf das
Verhalten der Mikroerscheinungen abstrahieren. In diesem Fall ist die Lage analog der
theoretischen Analyse im „Kapital“ von Marx. Ursprünglich hat Marx die Genesis des
Kapitals in reiner Form erforscht, er hat noch nicht die Einflüsse der Konkurrenz, den
Kapitalfluss und die Wirkung des Gesetzes der mittleren Profitnorm beachtet. Deshalb
widerspricht die Mehrwertnorm der Profitnorm. Alle diese Schwierigkeiten hat Marx im
„Kapital“ gelöst. Auf dem Gebiet der Quantenmechanik haben wir das gleiche Bild. In der
Wellen-Gleichung und in der Wellenfunktion ist der ideale, objektive Zustand des
Mikroobjektes zu spüren, aber er fällt nicht mit dem Bild zusammen, das nach der
faktischen Messung entsteht. Diese zwei Zustände unterscheiden sich voneinander wie das
Mögliche vom Wirklichen, wie die Substanz von den Erscheinungsformen.
Die Quantenmechanik ist eine theoretische Wissenschaft, die das ganzheitliche Bild der
Quantenerscheinungen beschreibt; sie macht nicht bei der Aufdeckung des
Ausgangspunktes, bei der Beschreibung von Mikroerscheinungen und ihrem
mathematischen Ausdruck halt, sondern bemüht sich, das ganzheitliche Bild der
Mikroerscheinungen zu verstehen. Bei aller seiner Bedeutung ist der Ursprung noch ein
unentwickelter, möglicher, abstrakter Zustand des Objektes. Nur der theoretische Aufstieg
vom Ursprung zum Resultat, vom Möglichen zum Wirklichen, vom Abstrakten zum
Konkreten gibt die Möglichkeit, ein möglichst vollständiges, ganzheitliches Bild des
erforschten Objektes zu verstehen und theoretisch auszudrücken.
266
________________________
1 Die Rede ist hauptsächlich von der speziellen Relativitätstheorie
2 Mandelstam L. I. Gesammelte Werke. M. 1950, Band V, S. 91
3 a. a. O., S. 92
4 Louis de Broglie Eine Revolution in der Physik. M. 1963, S. 65 - 66
5 Mandelstam L. I. Gesammelte Werke, Band V, S. 94
6 a. a. O., S. 120
7 a. a. O., S. 141
8 Lorentz H. A. Theorie der Elektronen. M. 1956, S. 247
9 Einstein A. Sammlung wissenschaftlicher Werke, Teil 1, S. 414
10 a. a. O.
11 Lorentz H. A. Theorie der Elektronen. S. 284
12 a. a. O., S. 293
13 a. a. O., S. 438
14 Born M. die Physik im Leben meiner Generation. M. 1963, S. 318
15 a. a. O., S. 322
16 Louis de Broglie. Eine Revolution in der Physik. S. 66 -67
17 Einstein A. Sammlung wissenschaftlicher Werke, Band 1, S. 686
18 Born M. Die Physik im Leben meiner Generation, S. 318
19 a. a. O., S. 415
20 Marx K., Engels F. Werke, Band 23, S. 6
21 Born M. die Physik im Leben meiner Generation, S. 327
22 Es muss bemerkt werden, dass Einstein in seinen späteren Artikeln immer die
Bedeutung des Versuches von Michelson betont hat. So sagte er in einer seiner
Vorlesungen 1921 zu den Versuchen, die keinen Einfluss der Vorwärtsbewegung der Erde
auf elektromagnetische und optische Erscheinungen aufgezeigt haben: „Die wichtigsten
dieser Versuche sind die von Michelson und Morley.“ (Einstein A. Sammlung
wissenschaftlicher Werke, Band 2, S. 22)
23 Einstein A. Sammlung wissenschaftlicher Werke, Band 1, S. 685
24 a. a. O., S. 65 - 67, 138 - 144, 410 - 415 usw.
25 a. a. o., S. 540
26 a. a. O.
27 Kusnezow B. G. Gespräche über die Relativitätstheorie. M. 1965, S. 122
28 Born M. Die Physik im Leben meiner Generation, S. 322
29 a. a. O., S. 320 - 321
30 Das Relativitätsprinzip, M. - L. 1935, S. 23
267
31 Mandelstam L. I. Werke Band V, S. 173 - 174, 200 - 201
32 a. a. O., S. 181
33 Einstein A. Sammlung wissenschaftlicher Werke. Band 2, S. 25
34 Marx K., Engels F. Werke. Band 38, S.177
35 Zitiert aus: Die Entwicklung der modernen Physik. M. 1964, S. 60
36 Philosophische Probleme der modernen Naturwissenschaft. M. 1959, S. 213
37 a. a. O.
38 Marx K., Engels F. Ausgewählte Werke. Band II, M. 1955, S.442
39 Philosophische Probleme der modernen Naturwissenschaft, S. 221
40 a. a. O.
41 a. a. O., S. 222
42 a. a. O., S. 220
43 a. a. O., S. 227
44 Marx K., Engels F. Werke. Band 23, S. 80 - 81
45 Einstein - Sammelband. M. 1966, S. 213
46 a. a. O., S. 214
47 Einstein A. Sammlung wissenschaftlicher Werke. Band III, S. 181
48 Einstein - Sammelband, S. 219
49 a. a. O., S. 215
50 a. a. O., S. 234
51 a. a. O., S. 241
52 a. A. O., S. 242
53 a. a. O., S. 248
54 a. a. O., S. 249
55 a. a. O., S. 250
268
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