Kapitel VI Analyse des Begriffs des Ursprungs in der Relativitätstheorie und in der Quantenmechanik Der Ursprung in der Relativitätstheorie A. Fragestellung Die Frage nach dem Ausgangspunkt des wissenschaftlich-theoretischen Wissens wurde bisher in allgemein-theoretischer, dialektisch-logischer Hinsicht betrachtet. In den vorangegangenen Kapiteln wurden am Beispiel konkreter Wissenschaften die Hauptkriterien des Ausgangsgsallgemeinen eines ganzheitlichen Systems aufgezeigt. Dabei wurde als Beispiel einer entwickelten Form der Erforschung dieses Problems „Das Kapital“ von K. Marx genannt, in dem die Grundprinzipien der dialektischmaterialistischen Logik herausgearbeitet sind. Die Nützlichkeit und Notwendigkeit der Anwendung der logischen Methode von Marx auf soziale und organische Objekte ruft keinen Zweifel hervor. In der Literatur ist jedoch die Bedeutung der dialektischen Logik, der Logik des „Kapitals“ bei der Erforschung, dem theoretischen Verständnis physikalischer Objekte noch schwach beleuchtet. Wenn man die Natur, den Charakter moderner physikalischer Theorien aufmerksam analysiert, so stellt sich klar heraus, dass bei allem Unterschied physikalischer Systeme von organischen und sozialen auf dem Gebiet der Physik eine ähnliche Logik und Methodologie vorherrschen. Dieses Kapitel unserer Arbeit ist hauptsächlich der Analyse des Begriffs des Ursprungs in der Logik der Relativitätstheorie von A. Einstein gewidmet.1 Der tiefschürfende physikalische Inhalt, die Bedeutung der speziellen Relativitätstheorie ist allgemein bekannt und steht außer Zweifel. Es ist jedoch schwer, das Gleiche von den logischgnoseologischen Problemen der Relativitätstheorie zu sagen. Offensichtlich war seinerzeit die Diskussion zur Logik der Relativitätstheorie, die A. Alexandrow begonnen hat, dadurch hervorgerufen. Die von ihm gestellte Frage nach der Logik der Relativitätstheorie, nach dem inneren Zusammenhang und der Subordination ihrer Kategorien hat zweifellos große Bedeutung. Die Aktualität der Probleme der Logik der Relativitätstheorie ist selbstverständlich nicht nur durch diese Fragestellung entstanden. Umgekehrt, die Diskussion selbst ist die Folge der Aktualität und der Notwendigkeit der Erforschung der inneren Logik, der inneren Wechselbeziehung der Kategorien der Relativitätstheorie. Die Frage nach der Logik der Relativitätstheorie, nach der Methode der Wiedergabe der Wirklichkeit durch Einstein war aktuell und notwendig auch in dem Fall, wenn es keinerlei Diskussion über Methode und Logik der Relativitätstheorie gegeben hätte. Die Diskussion über die Logik der Relativitätstheorie trug jedoch zur tiefgründigen Erforschung der logisch-gnoseologischen Probleme der Relativitätstheorie bei. Darin besteht ihre positive Bedeutung. 181 Die Erforschung der logischen Probleme der Relativitätstheorie ist aktuell auch in dem Zusammenhang, dass sie die erste physikalische Theorie des XX. Jahrhunderts ist, mit deren Schaffung und Erarbeitung eine radikale Umwälzung alter Begriffe und Vorstellungen in der physikalischen Wissenschaft verbunden ist. Auf dem Gebiet der Physik ist es üblich, dass viele moderne physikalische Theorien, die mit der Relativitätstheorie nicht unmittelbar zu tun haben, mit ihr doch dem Denkstil, der Logik und der Methodologie nach verbunden sind. Es handelt sich darum, dass sich ihrem Charakter, der Problemstellung, der Struktur und Methode nach die Relativitätstheorie Einsteins wesentlich von alten, klassischen physikalischen Theorien unterscheidet. Sie erklärt eine große Klasse physikalischer Erscheinungen, die nicht in den Rahmen früherer physikalischer Theorien passen. In der Entwicklung der Physik erforderten diese Erscheinungen eine grundlegende Veränderung der alten Vorstellung von Raum und Zeit, eine radikale Revision der alten, klassischen Denkungsart in der physikalischen Theorie. Hauptsächlich kann man hier das Verständnis und Erfassen der elektromagnetischen Erscheinungen in beweglichen Medien erwähnen. Im theoretischen Verständnis dieser Erscheinungen hatten sich bestimmte Schwierigkeiten herausgebildet, die mit der Frage der Wechselbeziehungen von elektromagnetischen Erscheinungen und Äther zusammenhängen. In der Relativitätstheorie hat Einstein alle Schwierigkeiten, die mit diesem Problem verbunden sind, von der Position einer neuen Methodologie aus gelöst und erklärt. In ihr sind eine revolutionär kühne Erklärung einer großen Klasse physikalischer Erscheinungen und tiefes Verständnis und Anwendung einer neuen Methode und Logik des Denkens vereinigt und ist ein tiefgehender Zusammenhang solcher fundamentalen Begriffe in der Physik, wie Raum und Zeit, Masse und Energie, Relatives und Absolutes gefunden worden, was einen radikalen Einfluss auf die gesamte Kultur des Denkens genommen hat. „Darum ist das Relativitätsprinzip“, schrieb Mandelstam, „über den Rahmen hinausgewachsen, der ihm von den unmittelbaren physikalischen Aufgaben gesteckt war. Darum wurde auch die Mechanik erfasst und schließlich die gesamte Physik. So ist das gewaltige Interesse zu erklären, das - wie Sie wissen - die Relativitätstheorie nicht nur unter Physikern hervorgerufen hat“.2 Bei der Analyse der Logik der Relativitätstheorie darf ebenfalls nicht vergessen werden, dass Einstein in seiner Theorie nicht einfach alte, klare und exakte Begriffe durch neue ersetzt hat. Einstein hat in Wirklichkeit gezeigt, dass viele Begriffe und Vorstellungen, mit denen früher operiert wurde, abstrakt und rational waren. Vom Standpunkt der neuen Fakten aus hielten sie keiner Kritik stand. Viele Aussagen der alten Physiker hatten, wie in der Literatur zu Recht vermerkt wird, „überhaupt keinen Sinn, und das war hauptsächlich der Grund für jene Missverständnisse, auf die man stieß, wenn man sich bemühte, diese oder jene physikalische Erscheinung theoretisch zu begründen“.3 182 Verstandesmäßige und abstrakte Vorstellungen über Raum und Zeit, ihre Verabsolutierung behinderten ernstlich das tiefe Verständnis physikalischer Probleme, die mit der Elektrodynamik beweglicher Medien zusammenhingen und traten in Widerspruch zu exakt festgestellten Fakten. In der Relativitätstheorie Einsteins sind alle diese Schwierigkeiten fundamental gelöst mittels Erarbeitung eines konkreten, dialektischen Begriffes von Raum und Zeit. Hier ist eine gewisse Analogie mit dem konkreten, dialektischen Verständnis philosophischer Kategorien in der Logik angebracht. In seiner grandiosen Logik hat Hegel mit dem Prinzip der Entwicklung als Ergebnis des Widerspruchs das alte, abstrakte Verständnis der Kategorien „umgekehrt“ verändert, das in der rationalen Philosophie anzutreffen war. In ihr schien z. B. absolut und unzweifelhaft die Gegenüberstellung von Zufall und Notwendigkeit, von Positivem und Negativem. Jede Seite einer paarigen Kategorie wurde einzeln bestimmt, nicht im Verhältnis zur anderen. Aus diesem Grund wurden der innere Zusammenhang, die Einheit von Zufälligem und Notwendigem nicht verstanden; man betrachtete sie einfach als einander ausschließende Begriffe. Im Gegensatz zur gesamten alten, nichtdialektischen Logik deckte Hegel die inneren Zusammenhänge dieser Kategorien auf der Grundlage des Gesetzes von der Einheit der Gegensätze auf. Von nun an hatten alle paarigen philosophischen Kategorien - das Notwendige und das Zufällige, das Positive und das Negative, das Innere und das Äußere usw. - keine wahre Bedeutung mehr in ihrer Zergliederung, sondern nur innerlich zusammenhängend und ungetrennt. In der Relativitätstheorie tat Einstein das Gleiche. Er tauschte radikal das alte, rationale Verständnis von Raum und Zeit gegen ihr neues, konkretes und dialektisches Verständnis aus. Deswegen hat die Relativitätstheorie Einstens auch so große Bedeutung für die dialektische Logik und die moderne Denkkultur. B. Die Lösungssuche nach Fragen der Elektrodynamik beweglicher Medien und ihre methodologischen Mängel Bei der Erarbeitung der Relativitätstheorie ist die Bedeutung der Erforschung optischer und elektromagnetischer Erscheinungen in beweglichen Medien sehr groß. Die Relativitätstheorie selbst entstand im Ergebnis der theoretischen Lösung der Schwierigkeiten mit elektromagnetischen Erscheinungen in beweglichen Medien. Zur Bedeutung der optischen und elektromagnetischen Erscheinungen in beweglichen Medien bei der Schaffung der Relativitätstheorie schrieb Louis de Broglie in seinem Buch „Eine Revolution in der Physik“: „Die Entwicklung der Relativitätstheorie begann faktisch mit der Erforschung einiger Fragen, die mit optischen Erscheinungen zusammenhängen, die in beweglichen Medien vor sich gehen. Fresnels Vorstellung vom Licht setzte die Existenz des Äthers voraus, der das Weltall ausfüllt und in alle Körper dringt. Ein derartiger Äther 183 spielte die Rolle des Mediums, in welchem sich die Lichtwellen ausbreiten. Die elektromagnetische Theorie von Maxwell schwächte seine Rolle etwas ab, da diese Theorie nicht erfordert, dass Lichtschwankungen Schwankungen irgendeines Äthers sein müssen. In der Theorie von Maxwell werden die Lichtschwankungen vollständig durch die Aufgabe der Vektoren des elektromagnetischen Feldes bestimmt. Nachdem alle Versuche der mechanistischen Interpretation der Gesetze der Elektrodynamik misslungen waren, betrachtete man schließlich die Felder in der Theorie von Maxwell als Ausgangsbegriffe, die es nutzlos ist, in die Sprache der Mechanik zu übersetzen. Ab diesem Moment verschwand jegliche Notwendigkeit, die Existenz eines elastischen Mediums vorauszusetzen, welches elektromagnetische Schwankungen überträgt, und man hätte denken können, dass der Begriff des Äthers unnütz wird. In Wirklichkeit verhielt es sich nicht ganz so, und die Anhänger von Maxwell, insbesondere Lorentz, waren gezwungen, die Frage nach dem Äther neu zu stellen ... Denn die elektromagnetischen Gleichungen von Maxwell genügten dem Relativitätsprinzip der klassischen Mechanik nicht“.4 In diesen Überlegungen von Louis de Broglie ist die gesamte historische Voraussetzung der speziellen Relativitätstheorie erfasst. Die große Bedeutung der Relativitätstheorie von Einstein besteht darin, dass in ihr alle Schwierigkeiten der Erkenntnis der elektromagnetischen Erscheinungen in beweglichen Medien begriffen und gelöst wurden, wobei von tiefgehenderen theoretischen Grundlagen ausgegangen wurde, als das früher in der Physik der Fall war. Deshalb hat die Analyse der hauptsächlichen theoretischen Ansichten vor Einstein große Bedeutung für das tiefgründige Verständnis des Inhalts der Relativitätstheorie. Die kritische Analyse der theoretischen Vorstellungen vor der Relativitätstheorie zu Problemen der Elektrodynamik beweglicher Medien hat nicht nur historische Bedeutung, sondern ist zutiefst mit dem Verständnis der inneren Logik dieser Theorie verbunden. Über die Wichtigkeit und Notwendigkeit der vorhergehenden Forschungen für das Verständnis des Wesens der Relativitätstheorie schrieb Mandelstam: „Die Kenntnis der historischen Entwicklung irgendeiner Grundtheorie ist immer interessant und lehrreich, jedoch nicht immer notwendig. Z. B. kann man die Wellenoptik ohne Verbindung mit der Korpuskularoptik Newtons darlegen. In der Frage des Relativitätsprinzips ist die Situation m. E. jedoch etwas anders, und das aus einer ganzen Reihe von Gründen. Man muss allmählich zu den paradoxen Schlüssen der Relativitätstheorie gelangen, muss die Unvermeidlichkeit dieser Schlüsse begreifen, muss wissen, wie die größten Gelehrten versucht haben, diese Schwierigkeiten zu umgehen, und wie ihnen das nicht gelungen ist“.5 Die spezielle Relativitätstheorie umfasst eine große Gruppe von physikalischen Erscheinungen, die nicht in den Rahmen alter physikalischer Theorien und Vorstellungen hineinpassen. Hauptsächlich geht es hier um elektromagnetische Erscheinungen in beweglichen Medien. Ende des vorigen Jahrhunderts traten sie bei der Entwicklung der Physik als wichtigste Probleme (ein bestimmtes Sachgebiet) auf, deren theoretisches 184 Verständnis für die physikalische Wissenschaft notwendig ist. Außerdem führte die Erforschung dieser Erscheinungen zu bestimmten Schwierigkeiten, die hauptsächlich mit der Wechselbeziehung von Äther und elektromagnetischem Feld zusammenhängen. Anfang des XIX. Jahrhunderts setzte sich dank der Forschungen von Jung und insbesondere von Fresnel in der Physik die Vorherrschaft der Wellen-Theorie gegenüber der Korpuskular-Theorie des Lichtes durch. Die Wellen-Theorie vermochte alle Interferenz-, Diffraktions- und Polarisationserscheinungen zu erklären. Mit dem Sieg dieser Theorie ist jedoch auch die Entstehung des Problems des Äthers verbunden, da die Wellen-Theorie ein Medium voraussetzte, in welchem sich die Lichtwellen verbreiten. In den Arbeiten Fresnels wird auch die Frage gestellt und untersucht, wie die Erdumdrehung auf optische Erscheinungen einwirkt. Dieses wichtige Problem hat er auf der Grundlage der Wellen-Theorie gelöst, die sich auf die Annahme stützte, dass der gesamte Raum mit unbeweglichem Äther angefüllt ist. Wenn der Äther unbeweglich ist, ist es nastürlich anzunehmen, dass sich die Bewegung in Bezug auf den Äther irgendwie auf die optischen Erscheinungen in beweglichen Medien auswirkt. So muss sich die Brechung des Lichtes in beweglichen Körpern von der in unbeweglichen Körpern unterscheiden. Aber eine derartige Annahme hat sich im Versuch nicht gerechtfertigt, darum hat Fresnel das negative Ergebnis solcher Versuche mit der Hypothese erklärt, dass der erwartete Effekt in erster Ordnung bezogen auf w ( w - Geschwindigkeit des beweglichen Körpers c in Bezug zum Äther, c - Lichtgeschwindigkeit) durch teilweises Mitreißen des Äthers von den sich bewegenden Körpern kompensiert wird. Es wurde jedoch angenommen, dass in zweiter Ordnung bezogen auf w die Versuche den Einfluss der Bewegung der Körper im c Verhältnis zum Äther auf die optischen Erscheinungen aufdecken müssten. In seinen Forschungen hat Fresnel noch den wichtigen Gedanken unterstrichen, dass vom Standpunkt der Wellen-Theorie die Lichtgeschwindigkeit nicht von der Bewegung der Quelle abhängt, obwohl diese These bei ihm nur als Hypothese vorkommt. Auf diese Art und Weise hat die Theorie von Fresnel scheinbar alle damals gemachten Versuche zur Optik beweglicher Medien (sie waren alle nur erster Ordnung bezogen auf w ) befriedigend erklärt. Aber dieser glückliche Umstand erwies sich als nur scheinbar. c Die Versuche, den Äther als Körper zu charakterisieren, führten nicht zum Erfolg und schufen für die Physik ständig neue Schwierigkeiten (in den Fragen des freien Passierens der Planeten, der Widerspiegelung und der Brechung des Lichtes und dgl.). Mit der Erarbeitung der elektromagnetischen Theorie von Maxwell wurde die Frage nach der Natur des Äthers noch komplizierter, da hier das Licht als spezieller Fall elektromagnetischer Wellen betrachtet wurde. Die mechanischen Modelle des Äthers mussten nun nicht nur optische, sondern auch elektromagnetische Erscheinungen 185 umfassen, und die Schwierigkeiten des Äther-Problems wuchsen an. Schließlich hörten die Physiker auf, ein mechanisches Modell des Äthers zu konstruieren, nachdem sie sich davon überzeugt hatten, dass es unmöglich ist, Gesetze der Elektrodynamik mechanisch zu interpretieren. Man begann, dem Äther elektromagnetische Eigenschaften zuzuschreiben, und als hypothetisches Medium trat er in den Hintergrund. Die Äther-Frage wurde neuerlich im Zusammenhang mit elektromagnetischen Erscheinungen in beweglichen Medien gestellt. Die Gleichungen Maxwells bezogen sich auf Erscheinungen in ruhenden Körpern, die Versuche von Rowland, Röntgen, Eichenwald, Wilson und anderen brachten neue Effekte in elektromagnetischen Erscheinungen in beweglichen Medien zutage. Außerdem entstand die Frage: Welchen Einfluss hat die gleichmäßige Vorwärtsbewegung der Erde auf elektromagnetische Erscheinungen? Es gab Versuche von Röntgen, Rankine und anderen, die negative Ergebnisse brachten, was den Einfluss der Erdumdrehung betraf. So entstand die Notwendigkeit, eine Theorie der elektromagnetischen Erscheinungen in beweglichen Medien zu schaffen. Mit anderen Worten - es bestand ein sehr reales Problem: Wie können die Gleichungen von Maxwell auf bewegliche Körper angewendet werden? Während diese Gleichungen im unbeweglichen Koordinatensystem bekannt sind, ist unklar, wie sie in einem anderen System aussehen, das sich im Verhältnis zum ersteren geradlinig und gleichmäßig bewegt. Die zweite Frage ist nicht nur für elektromagnetische Erscheinungen spezifisch, sie ist auf bestimmte Weise auch in der Mechanik untersucht worden. Es wurde festgestellt, dass mechanische Erscheinungen in Inertialsystemen gleichartig ablaufen (Relativitätsprinzip von Galilei). Das erhielt seinen mathematischen Ausdruck in der Invarianz der Gleichungen Newtons im Verhältnis zu den Transformationen von Galilei: / x x wt / t t die als Verkörperung der Anschauung Newtons zu Raum und Zeit galten. In der Mechanik wurden das Relativitätsprinzip und die Invarianz der Transformationen von Galilei identifiziert. Die Invarianz ist eng mit der Vorstellung von der Homogenität und dem isotropen Charakter des Raumes verbunden. Die Invarianz „besteht darin, dass, wenn ich den untersuchten Körper im neuen Koordinatensystem genau so unterbringe, wie früher im alten, die Gleichungen im neuen System mit den Gleichungen im alten identisch sind. Darin besteht gerade die Homogenität und der isotrope Charakter des Raumes, und ihr Vorhandensein erfordert, dass ein und der gleiche Versuch in verschiedenen Koordinatensystemen wiederholt werden kann“.6 Wenn z. B. ein Punkt im Verhältnis zu dem einen System ruht und sich im Verhältnis zu dem anderen System bewegt, spielt hier der Unterschied von Anfangsbedingungen eine Rolle. Wenn sie in beiden Systemen gleich gefasst sind, werden auch die Bewegungen identisch sein. Folglich existiert eine endlose 186 Anzahl von Systemen, die sich geradlinig und gleichmäßig im Bezug zur Ausgangsstellung (und zueinander) bewegen, in denen die Gesetze der Mechanik identisch sind. Unter diesen Systemen gibt es kein irgendwie herausgehobenes. Wenn so ein Bezugssystem existierte und die Gleichungen Newtons nur in diesem System richtig wären, gäbe es unbedingt die absolute Bewegung. Kehren wir nun zur Elektrodynamik beweglicher Körper zurück. Den ersten Versuch in Richtung der Verallgemeinerung der Gleichungen von Maxwell für bewegliche Körper machte bekanntlich H. Hertz. Er bemühte sich, Gleichungen zu erhalten, die in Bezug zu den Transformationen Galileis invariant sind, d. h. das Relativitätsprinzip auch für elektromagnetische Erscheinungen zu erhalten. Aber der Versuch von Hertz war nicht von Erfolg gekrönt. Die Gleichungen von Hertz waren nicht nur invariant in Bezug zu den Transformationen von Galilei, sondern auch bezüglich jeder beliebigen Bewegung des untersuchten Systems. Die Analyse der Gleichungen von Hertz führt außerdem zu dem Standpunkt von der vollständigen Mitführung des Äthers, was der Erscheinung der Aberration und dem Versuch von Fizeau widerspricht. Über die Ergebnisse der Theorie von Hertz schrieb Mandelstam: „Die riesige Zahl von Versuchen zeigt, dass sich die Vorwärtsbewegung der Erde wirklich nicht auf elektromagnetische Erscheinungen auswirkt, und hier steht scheinbar alles zum Besten. Aber die Theorie von Hertz geht weiter: Ihre Gleichungen sind invariant bei jeglicher Bewegung des Systems als fester Körper. Es gibt jedoch eine ganze Reihe von Versuchen mit Körpern, die sich im Verhältnis zur Erde bewegen (die Versuche von Fizeau, Eichenwald, Wilson u. a.), die die Theorie von Hertz nicht bestätigen, durch sie entweder gar nicht oder nur qualitativ erklärt werden; quantitativ ergibt sich ein für die Theorie typisches Auseinandergehen“.7 In der weiteren Entwicklung der Physik zog man aus der Theorie von Hertz den Schluss, dass das Relativitätsprinzip in der Elektrodynamik keinen Platz hat, da seine Zulassung zu einem vollständig mitgerissenen Äther führt. H. A. Lorentz hat sich bewusst vom Relativitätsprinzip bei der Verallgemeinerung der Maxwell-Gleichungen für bewegliche Körper losgesagt. Er postuliert die Existenz eines alles durchdringenden, homogenen, isotropen und unbeweglichen Äthers. Das mit dem Äther zusammenhängende Bezugssystem ist ein ausgewähltes und vorherrschendes System. Deshalb hat in Bezug auf den Äther die absolute Bewegung einen Sinn. Der Äther unterscheidet sich laut Lorentz von einem gewöhnlichen Stoff, da er niemals in Bewegung versetzt wird und weder Geschwindigkeit noch Beschleunigung besitzt. Deshalb darf man nicht von der Masse des Äthers oder von auf ihn angewendeten Kräften sprechen. In der Theorie von Lorentz tritt der Äther nur als Überträger aller Kräfte auf, die auf einen Stoff einwirken: elektromagnetischer, molekularer, Anziehungskräfte u. a. Der Stoff besteht aus positiv und negativ geladenen Teilchen. Mit der Verteilung und Bewegung von Elektronen bemüht sich Lorentz, alle elektromagnetischen und optischen Erscheinungen zu erklären, die im unbeweglichen Äther vor sich gehen. 187 Für den reinen Äther behält Lorentz die Maxwellsche Gleichung für das Vakuum bei, verfasst dann ein System von Differentialgleichungen für den Fall, dass Ladungen vorhanden sind, die sich im Verhältnis zum Äther bewegen. Zu diesem Gleichungssystem fügt er einen Ausdruck für die Dichte der Kraft hinzu, die auf die sich bewegenden Ladungen einwirkt. Da in ihnen schon die Bewegung berücksichtigt ist, sollten diese Gleichungen alle elektromagnetischen Erscheinungen, darunter auch die in beweglichen Medien, erklären. Es muss nochmal betont werden, dass Lorentz seine Theorie hauptsächlich für bewegliche Körper geschaffen hat. Er schrieb: „Elektromagnetische und optische Erscheinungen in Systemen, die eine Vorwärtsbewegung haben - und das sind wegen der Jahres-Umdrehung der Erde alle Körper auf der Erde - sind von großem Interesse nicht nur an und für sich, sondern auch deshalb, weil sie uns die Möglichkeit geben, verschiedene Theorien der Elektrizität zu überprüfen. Die Elektronen-Theorie wurde zum Teil mit dem speziellen Ziel entwickelt, auch diese Erscheinungen zu erfassen“.8 Bei der Mittelwertbildung der Gleichungen, die für ein echtes mikroskopisches Feld geschrieben wurden, erhält Lorentz eine Gleichung für makroskopische Größen, mit denen er es gewöhnlich bei Messungen zu tun hat. Für unbewegliche Körper fielen sie mit den Gleichungen von Maxwell zusammen und erklärten die elektromagnetischen und optischen Versuche (Röntgen, Wilson, Fizeau u. a.) in beweglichen Körpern. Die Gleichungen von Lorentz sind in Bezug auf die Transformationen von Galilei nicht invariant. Das ist unmittelbar daraus ersichtlich, dass sie nicht mit den Gleichungen von Hertz übereinstimmen, bezüglich derer bewiesen worden war, dass sie die einzigen sind, die die Anforderungen erfüllen: 1) sich für ruhende Körper in Gleichungen von Maxwell umzuwandeln und 2) invariant in Bezug auf die Transformationen von Galilei zu sein. Aus der Theorie von Lorentz folgte, dass die Bewegung der Erde im Prinzip schon in der ersten Ordnung bezogen auf w Einfluss haben muss, während die Versuche der ersten c Ordnung die Unabhängigkeit elektromagnetischer Erscheinungen von der Erdumdrehung gezeigt haben. Dessen ungeachtet zeigte Lorentz für jeden derartigen Versuch, dass der vorhergesagte Einfluss aus Teilen besteht, die in der ersten Ordnung einander kompensieren. „H. A. Lorentz hat in seiner in höchstem Maße scharfsinnigen Untersuchung gezeigt, dass die relative Bewegung in der ersten Annäherung keinen Einfluss auf die Richtung der Strahlen bei beliebigen optischen Experimenten hat“,9 schrieb Einstein aus diesem Anlass. Lorentz gibt sich damit nicht zufrieden und schreibt aus rein mathematischen Überlegungen Transformationen: 188 r r wt , / ( w, r ) t t c , / / / / 2 in Bezug auf welche unter der Bedingung: 1 Å / E w, H c / 1 H H E, w c mit einer Genauigkeit bis zur ersten Ordnung bezogen auf Lorentz in den neuen Variablen r/ und w die Gleichungen von c t / ähnlich wie die Maxwellschen sind. Bei Feheln von Leitungsströmen haben die Gleichungen durchaus ein Maxwellsches Aussehen. Diese Transformationen waren für Lorentz nur ein rein mathematisches Verfahren, dass ihm die Berechnungen erleichterte. Physikalischen Sinn haben laut Lorentz nur Variablen r und t , und nicht / / E ,H und E und H in der Funktion von den t/ . Nach der Theorie von Lorentz müssen die Versuche der zweiten Ordnung bezogen auf w den Einfluss der Erdbewegung auf elektromagnetische Erscheinungen zeigen. Wie c aber der Versuch von Michelson gezeigt hat, der der erste Versuch der zweiten Ordnung war, existiert ein solcher Einfluss nicht. Der Versuch von Michelson wurde mehrmals wiederholt, brachte aber nicht den erwarteten Effekt. Auch andere Versuche der zweiten Ordnung (Experimente zur doppelten Strahlenbrechung in durchsichtigen Körpern, die durch die Bewegung der Erde bedingt ist) bestätigten das Ergebnis des Versuches von Michelson. „Es blieb nur ein optisches Experiment übrig“, schrieb Einstein und meinte damit den Versuch von Michelson, „bei dem die Methode so empfindlich war, dass der negative Ausgang des Versuches sogar vom Gesichtspunkt der theoretischen Analyse von H. A. Lorentz aus unverständlich war“.10 Der Versuch von Michelson hat also die Theorie von Lorentz nicht bestätigt. Aber Lorentz stellt, um seine Theorie zu retten, die Hypothese von der Längsverkürzung der Größe beweglicher Körper auf, die den Versuch von Michelson erklärt hätte. Tatsächlich zeigen die Berechnungen, dass bei der Annahme, dass sich der Körper in Bewegungsrichtung im Verhältnis l2 w2 1 2 , l1 c 189 wo l2 die Größe des beweglichen und l1 die Größe des ruhenden Körpers ist, verkürzt und das Ergebnis des Versuches von Michelson durchaus mit der Theorie von Lorentz übereinstimmt. Aber die Hypothese von der Verkürzung, die schon von Fitzgerald aufgestellt worden war, entspringt nicht aus der Theorie, trägt künstlichen Charakter. Lorentz schrieb: „ Diese Hypothese stellt sich auf den ersten Blick zweifellos etwas seltsam dar, wir kommen aber schwer ohne sie aus, wenn wir auf dem unbeweglichen Äther bestehen. Ich denke, wir können sogar behaupten, dass bei dieser Annahme der Versuch von Michelson die Existenz der erwähnten Veränderung der Größe des Körpers beweist“.11 Im Weiteren hat sich Lorentz bemüht, diese Hypothese mit physikalischem Inhalt zu füllen und sie, ausgehend von seiner Theorie, zu begründen. Dabei hat er sehr viel für die Verbreitung der Ideen der Relativitätstheorie getan. Laut Lorentz müssen sich die Moleküle im Gleichgewicht befinden, damit ein Körper eine bestimmte Länge hat. Dieses Gleichgewicht wird nicht nur durch elektromagnetische Kräfte erreicht, sondern auch durch intermolekulare Kräfte. „Wir verstehen die Möglichkeit der postulierten Größenveränderung,“ schrieb Lorentz, „wenn wir uns daran erinnern, dass die Form eines festen Körpers von Kräften abhängt, die zwischen seinen Molekülen wirken und dass diese Kräfte höchstwahrscheinlich durch den sie umgebenden Äther so ähnlich übertragen werden, wie sich elektromagnetische Handlungen durch dieses Medium ausbreiten. Von diesem Gesichtspunkt aus ist es natürlich anzunehmen, dass die molekularen Anziehungen und Abstoßungen, ähnlich wie die elektromagnetischen Kräfte eine gewisse Veränderung erfahren, wenn dem Körper eine bestimmte Vorwärtsbewegung gegeben wird; im Ergebnis kann äußerst leicht eine Veränderung der Größe des Körpers erfolgen“.12 Im Verlaufe der Begründung seiner Hypothese gibt Lorentz seinen oben angeführten Transformationen folgendes Aussehen (1904): x/ x wt 1 w 2 w 2 t , y / y, z / z, wx t/ 1 c2 , w2 c2 in denen die Größenveränderung des Körpers schon berücksichtigt ist und in denen die elektromagnetischen Gleichungen noch invarianter sind. Später haben sich diese Transformationen, die Poincaré „Lorentz-Transformationen“ genannt hat, in der Relativitätstheorie erhalten und dort ihre physikalische Deutung bekommen. Laut Lorentz haben sie jedoch keinen physikalischen Sinn. Physikalischen Sinn haben nur die „Galilei190 Transformationen“; die Koordinaten x / , y / , z / nennt Lorentz „effektiv“, und die Zeit t / nennt er im Unterschied zur echten Zeit t „Ortszeit“. Später hat Lorentz aus diesem Anlass selbst geschrieben: „Der Hauptgrund für meinen Misserfolg lag darin, dass ich / immer den Gedanken verfolgt habe, dass nur die Variable t als echte Zeit betrachtet werden kann und meine Ortszeit t’ nichts weiter als eine mathematische Hilfsgröße ist“.13 Die Bedeutung der Arbeiten von Lorentz für die Schaffung der Relativitätstheorie ist sehr groß. M. Born schrieb: „Die wichtigen Artikel von Lorentz aus den Jahren 1892 und 1895 zur Elektrodynamik beweglicher Körper enthalten einen bedeutenden Teil des mathematischen Apparates der Relativitätstheorie. Seine grundlegenden Annahmen waren jedoch von vollkommen nichtrelativistischem Charakter. Er nahm an, dass ein vollständig ruhender Äther existiert, eine gewisse Form der „Materialisierung“ des Newtonschen absoluten Raumes, er übernahm auch die absolute Zeit von Newton“.14 Die Physiker der damaligen Zeit verstanden, dass die Theorie von Lorentz ungenügend ist. So sprach Poincaré die Idee aus, dass das negative Ergebnis des Versuches von Michelson auf der Grundlage allgemeiner Prinzipien erklärt werden muss. Er schrieb 1905, wenige Monate vor dem Erscheinen der ersten Arbeit Einsteins zur Relativitätstheorie, den Artikel „Über die Dynamik des Elektrons“, in dem er das „Postulat der Relativität“ auch für elektromagnetische Erscheinungen ausspricht. Er konnte aber genau so wie Lorentz nicht über den Rahmen der Anschauung Newtons zu Raum und Zeit hinausgehen und die Transformationen von Lorentz richtig physikalisch erklären. Über die Bedeutung der Arbeiten von Lorentz und Poincaré schrieb Einstein: „Schon Lorentz hat bemerkt, dass für die Analyse der Maxwellschen Gleichungen die Transformationen wichtig sind, die später unter seinem Namen bekannt wurden, und Poincaré hat dieses Wissen noch vertieft“.15 Die Relativitätstheorie von Einstein hat radikal alle Schwierigkeiten mit der Elektrodynamik beweglicher Körper gelöst. Einstein hat gezeigt, dass die Transformationen von Lorentz das Wesen von Raum und Zeit berühren und dass die „Lorentz-Invarianz“ die allgemeine Bedingung für jede beliebige physikalische Theorie ist. B. Darstellung des Ursprungs der Theorie Wie die historische Analyse gezeigt hat, waren in der Physik vor Einstein Fresnel, Hertz, Lorentz und Poincaré bestrebt, optische und elektromagnetische Erscheinungen in beweglichen Systemen theoretisch wiederzugeben. Ihre Thesen wurden durch Experimente widerlegt. Die Hypothese von Hertz widersprach dem Versuch von Fizeau, der davon zeugte, dass es keine vollständige Mitführung des Äthers gibt, sondern nur eine teilweise. Die Theorie von Lorentz wurde durch den Versuch von Michelson widerlegt. Diese Theorien enthielten auch methodologische Unzulänglichkeiten. Wie Louis de Broglie richtig bemerkte, wurden die optischen und elektromagnetischen Erscheinungen 191 vor der Relativitätstheorie nicht als prinzipiell selbständige Erscheinungen betrachtet, die ihren immanenten Gesetzmäßigkeiten untergeordnet sind. In ihnen wurde die Substanzionalität des Feldes und die Unnötigkeit, sie in die Sprache der Mechanik zu übersetzen, ungenügend unterstrichen. Deshalb nahmen in den Hypothesen zur Elektrodynamik das Verhältnis zum Äther und sein Verständnis einen wichtigen Platz ein. Freilich hat man sich seit Maxwell immer weniger an die mechanische Charakteristik des Äthers gehalten. Die Entwicklung des physikalischen Gedankens und der Experimente überzeugte von der Unhaltbarkeit der mechanischen Auslegung der elektromagnetischen Erscheinungen. Zu dieser Frage schrieb Broglie: „Der Äther war für sie schon kein elastisches Medium mehr mit besonderen Eigenschaften, das in der Lage ist, Lichtschwankungen zu übertragen. Es wurde zu einem gewissen abstrakten, äußerst konventionellen Medium, das nur zur Fixierung der Bezugssysteme diente, in denen die Gleichungen der Elektrodynamik von Maxwell berechtigt sind ... Wenn sich die Sache so verhält, würde ein bestimmtes Medium existieren, das das gesamte Weltall ausfüllt, ein derartiges Medium, dass die Maxwellschen Gleichungen nur in einem mit ihm zusammenhängenden Bezugssystem Berechtigung haben. Eben mit diesem Bezugssystem haben die Anhänger von Maxwell den Begriff des Äthers assoziiert“.16 Der Begriff des Äthers blieb in diesen physikalischen Theorien jedoch erhalten. Das Bezugssystem, das mit dem Äther zusammenhing, wurde als vorherrschend ausgelegt. Deshalb kam ein wirklicher Fortschritt auf dem Gebiet des physikalischen Gedankens erst mit Einstein zustande, der sich kategorisch von jeglichem Äther lossagte. In seiner Arbeit „Der Äther und die Relativitätstheorie“ schrieb er: „Das elektromagnetische Feld ist eine primäre, auf nichts zurückzuführende Realität, und deshalb ist es völlig überflüssig, auch noch die Existenz eines homogenen isotropen Äthers zu postulieren und sich das Feld als Zustand dieses Äthers vorzustellen“.17 Eine solche prinzipielle Negierung des Äthers und die selbständige Betrachtung des elektromagnetischen Feldes hatte große Bedeutung bei der Genesis der Relativitätstheorie, da die Festlegung eines Sachgebietes (des Ganzen) eine wichtige Bedingung der wissenschaftlichen Erkenntnis ist. In der Physik hat nur die substantielle Betrachtung des elktromagnetischen Feldes (des Sachgebietes), seine Nichtrückführbarkeit auf den Äther die Möglichkeit gegeben, die Prinzipien der theoretischen Wiedergabe elektromagnetischer Erscheinungen in beweglichen Systemen richtig zu verstehen. Eine derartige Betrachtung ist theoretisch (methodologisch) richtig, da verschiedene Systeme ihre spezifischen, innerlich zusammenhängenden Gesetzmäßigkeiten haben. Z.B. ordnet sich das soziale Leben anderen Gesetzmäßigkeiten unter als die organische Natur. Das soziale Leben selbst bildet auch eine Hierarchie der Systeme, die nicht aufeinander zurückgeführt werden können. Das ist auch zutreffend für eine allgemeine Theorie. So existiert die Materie in spezifischen Formen: physikalisch, chemisch usw. Jede ihrer bestimmten Formen hat ihre Substanz, die nicht auf andere Formen der Existenz der 192 Materie zurückführbar ist. Die gnoseologische Grundlage für den Misserfolg der Theorien von Fresnel, Hertz und Lorentz ist die, dass sie nicht konsequent den Gedanken von der Substantionalität des elektromagnetischen Feldes umsetzen konnten. Diese methodologische Unzulänglichkeit ist eng mit einem anderen vor der Relativitätstheorie vorherrschenden rationalen, einseitigen Verständnis von Raum und Zeit verbunden. Raum und Zeit galten damals als absolute, nicht zusammenhängende Wesen. Die Transformationen Galileis wurden als unumstößliche Verkörperung dieser Ansicht über Raum und Zeit verstanden. Die Maxwellschen Gleichungen sind jedoch im Verhältnis zu den Transformationen Galileis nicht invariant. Da die Invarianz bezüglich der Transformationen Galileis mit dem Relativitätsprinzip identifiziert wurde, wurden die Schlüsse aus den Maxwellschen Gleichungen als Negation des Relativitätsprinzips ausgelegt. Deshalb wurde das vorherrschende Bezugssystem anerkannt, das mit dem unbeweglichen Äther assoziiert wurde. Der Äther war für die Physiker jener Zeit, wie M. Born zutreffend bemerkte, „eine bestimmte Form der „Materialisierung“ des absoluten Raumes von Newton“.18 Diese Anschauung von Raum und Zeit ließ auch auf andere Art das Relativitätsprinzip nicht vorankommen. Aus der Theorie von Maxwell-Lorentz ging hervor, dass die Lichtgeschwindigkeit im Vakuum nicht von der Bewegung der Quelle abhängt. Aber nach dem Gesetz der Addition der Geschwindigkeiten, das aus dem Newtonschen Verständnis von Raum und Zeit folgte, hat dieses Gesetz der Ausbreitung des Lichtes keinen Platz in anderen Systemen, die sich geradlinig und gleichmäßig im Verhältnis zum Äther bewegen. Hier wird das Gesetz der Unabhängigkeit der Lichtgeschwindigkeit von der Bewegung der Quelle als etwas Unvereinbares mit dem Relativitätsprinzip betrachtet. Angesichts dessen, dass die Negation des ersteren zur Negation der gesamten Theorie von Maxwell-Lorentz führte, waren die Physiker geneigt, das Relativitätsprinzip zu negieren. Niemand von den Physikern vor Einstein lehnte das Verständnis Newtons von Raum und Zeit, die Transformationen Galileis ab. Sogar, als es neue Transformationen gab (die Transformationen von Lorentz), verstanden die Physiker nicht ihren Zusammenhang mit dem Verständnis von Raum und Zeit. Eine andere wichtige theoretische Unzulänglichkeit der Theorie von Lorentz und Hertz ist das Nichtverstehen des dialektischen Zusammenhangs des Allgemeinen, Besonderen und Einzelnen beim Aufbau des theoretischen Wissens. In der Physik jener Zeit existierte einerseits das klassische Relativitätsprinzip als theoretisches Ergebnis einer riesigen Zahl von Fakten, andererseits existierte der Fakt der Endlichkeit der Lichtgeschwindigkeit, der elektromagnetischen Strahlungen. Vor Einstein sahen hier viele Physiker eine Antinomie. Sie erörterten, ob das Relativitätsprinzip oder die Beständigkeit der Lichtgeschwindigkeit richtig sei. In Wirklichkeit war das der Widerspruch zwischen Allgemeinem und Einzelnem, zwischen Substanz und Erscheinungsformen. 193 Hertz versuchte in seiner Theorie, ausgehend vom Allgemeinen, dem Relativitätsprinzip mit Hilfe der Gleichungen von Maxwell-Hertz alles Einzelne auf dem Gebiet der Elektrodynamik zu erklären. Aber die Theorie von Hertz scheiterte, weil in seinem Verständnis das Relativitätsprinzip mechanisch auf das Gebiet der Elektrodynamik übertragen wird. Wenn man eine Analogie mit der Geschichte der politischen Ökonomie anstellt, geht Hertz ungefähr so vor, wie seinerzeit Ricardo, der konkrete Formen (Profit, Zinsen usw.) unmittelbar aus der Substanz (dem Wert) ableiten wollte. Hertz ist in seiner Theorie ebenfalls nicht in der Lage, die Widersprüche zu lösen, wie damals Ricardo in der politischen Ökonomie. Hertz beachtet nicht die Einheit von Allgemeinem, Besonderem und Einzelnem und führt dem Wesen nach das Einzelne auf das Allgemeine zurück. Es kommt keine konkrete, dialektisch-logische Deduktion heraus, sondern eine metaphysische Reduktion (Rückführung) und das Aufgehen des Einzelnen im Allgemeinen. In der Theorie von Lorentz stellte sich ein anderes Extrem heraus. Während er das Einzelne unmittelbar, mechanisch auf das Allgemeine zurückführte, versteht Lorentz den Misserfolg der Theorie von Hertz als wichtiges Argument gegen das Relativitätsprinzip. In dieser Theorie wird überhaupt das Allgemeine zugunsten des Einzelnen negiert. Die Unmöglichkeit der unmittelbaren Ableitung des Einzelnen aus dem Allgemeinen wird als Mangel, als Schwäche des Allgemeinen ausgelegt. In der Relativitätstheorie sind die hauptsächlichsten theoretischen Mängel der vorhergehenden Theorien prinzipiell überwunden. Vor allem hat Einstein, wie schon gezeigt, deutlich das Sachgebiet herausgestellt und betrachtete, ausgehend vom Versuch Michelsons, die elektromagnetischen Erscheinungen gesondert. „Die Situation,“ schrieb M. Born, „klärte sich erst dann auf, als Einstein die Unmöglichkeit der Beobachtung des Äthers als Ausgangspunkt betrachtete und die Tatsache, dass die Lichtgeschwindigkeit nicht von der Bewegung des Beobachters abhängt, zum Prinzip erhob“.19 Bei der Begründung des Relativitätsprinzips, bei der Entdeckung des ursprünglichen Ganzen hatte der Versuch von Michelson fundamentale Bedeutung; er hatte ihn mit dem Ziel unternommen, die absolute Bewegung der Erde im Verhältnis zum homogenen, isotropen unbeweglichen Äther aufzudecken. Das negative Ergebnis dieses Versuches bemühte sich Lorentz künstlich zu erklären und erdachte sich für diesen Fall eine Hypothese. Im Unterschied zu Lorentz betrachtete Einstein die Ergebnisse des Versuches von Michelson als Ausgangspunkte. Er war der Ansicht, dass Michelson in seinem Versuch den Äther deswegen nicht entdeckt hatte, weil es gar keinen Äther gibt. In diesem Falle zeigte sich der methodologische Vorzug des Einsteinschen Herangehens an physikalische Erscheinungen. Ähnlich der Bedeutung, die die Erforschung des englischen Kapitalismus in der Theorie von Marx hatte, ist die Bedeutung des Versuches von Michelson für die Theorie von Einstein. Im englischen Kapitalismus zeigten sich viele Zusammenhänge, die für den Kapitalismus typisch sind in entwickelter Form und erhielten ihren adäquaten Ausdruck, und diejenigen Zusammenhänge, die äußerlich waren, haben 194 sich nicht erhalten, sind verschwunden. So verhält es sich auch mit dem Experiment von Michelson. Viele angenommene Bestimmtheiten elektromagnetischer Erscheinungen in beweglichen Medien traten bei diesem Experiment nicht zutage. Das betrifft vor allem den Äther. Dafür diente das Experiment aber als Grundlage für die Anerkennung der Richtigkeit des Relativitätsprinzips und die Beständigkeit der Lichtgeschwindigkeit. Die Untersuchung des am meisten entwickelten Objektes hat fundamentale Bedeutung für die logische Theorie von Marx, in der das Prinzip der Entwicklung beachtet wurde. Das dialektisch-logische Prinzip des Wissensaufbaus (die Methode des Aufstiegs vom Abstrakten zum Konkreten) ist das adäquate Prinzip der Erkenntnis des sich entwickelnden organischen Objektes. Darum entsteht die Frage nach der Anwendbarkeit dieser Methode in der Physik, da die physikalische Theorie es hauptsächlich mit einem Objekt zu tun hat, das an sich relativ beständig ist. Im Unterschied zu organischen und sozialen Systemen gibt es in der Physik bestimmte Schwierigkeiten bei der Anwendung des Begriffes der Entwicklung. Tatsächlich hat sich seit A. Smith und D. Ricardo nicht nur unser Wissen über den Kapitalismus verändert, sondern der Kapitalismus selbst hat sich wesentlich verändert. Das hat in der theoretischen Analyse von Marx eine große Bedeutung. Während der Kapitalismus damals eine embryonale Form hatte und viele seiner Bestimmtheiten das Sein an sich darstellten, hat er im XIX. Jahrhundert in Form des englischen Kapitalismus seine Reife erreicht. Deshalb erforscht und analysiert Marx entsprechend seiner logischen Methode die entwickelte Form des Kapitalismus, d. h. den englischen. Gerade dabei hat er die tiefen Gesetzmäßigkeiten des Kapitalismus an den Tag gebracht. Im „Kapital“ ist das alles verständlich. Kann die logische Methode von Marx auch bei der Erforschung der physikalischen Realität angewandt werden? Es ist doch so, dass sich die Natur der elektromagnetischen Erscheinungen und ihr Verhalten in beweglichen Systemen seit Galilei, Newton, Fresnel und Maxwell fast nicht verändert hat. Auf diese Frage muss man positiv antworten. Während sich die elektromagnetischen Erscheinungen und die Gesetzmäßigkeiten ihres Verhaltens nicht geändert haben, haben sich jedoch ernsthaft ihre Erscheinungsformen in Experimenten geändert, sind vollständiger geworden. Die Entwicklung und Veränderung unseres Wissens über den Gegenstand spiegelt den Charakter der Veränderung und Entwicklung des Experimentes wider. Der Hauptunterschied besteht hier in der Vollständigkeit des Experimentes, in dem empirisch und real elektromagnetische Erscheinungen in beweglichen Medien zu beobachten waren, z. b. in den Versuchen von Fizeau, Michelson u. a. Über die Spezifik physikalischer Forschungen schrieb Marx im „Kapital“: „Der Physiker beobachtet entweder die Prozesse der Natur dort, wo sie in deutlichster Form zutage treten und von störenden Einflüssen am wenigsten verdunkelt werden, oder, falls das möglich sein sollte, führt ein Experiment unter Bedingungen durch, die den Verlauf der Prozesse in reiner Form absichern. Der Forschungsgegenstand in meiner Arbeit ist die kapitalistische 195 Produktionsweise und die ihr entsprechende Beziehung von Produktion und Tausch. Das klassische Land dieser Produktionsweise ist bisher England. Darin liegt der Grund, warum es als hauptsächliche Illustration für meine theoretischen Schlüsse dient“.20 Das alles zeugt davon, dass Veränderung und Entwicklung nicht nur der gesellschaftlichen Realität eigen sind, sondern auch charakteristisch für physikalische Erscheinungen. Die Besonderheit dieses Problems in der Physik besteht darin, dass sich der Begriff Entwicklung hauptsächlich auf das Experiment bezieht. Obwohl die physikalischen Prozesse an sich, darunter auch die elektromagnetischen Erscheinungen, verhältnismäßig stabil sind, treten sie als Objekt, als Forschungsgegenstand auf den unterschiedlichsten Ebenen in Abhängigkeit von der Entwicklung des Experimentes auf. Deshalb muss man deutlich das Sein physikalischer Erscheinungen an sich und ihre objektische (gegenständliche) Entdeckung im Experiment unterscheiden. Wenn man diese in nötigem Maße beachtet, gibt es zweifellos etwas Gemeinsames zwischen organischen, sozialen Objekten und physikalischen Erscheinungen. Organische und soziale Objekte entwickeln sich und zeigen dadurch klar, was für sie innere und was nur nebensächliche, äußere Bedeutung hat. Die verbreiteten Behauptungen, dass der Gegenstand der Naturwissenschaften immer ein und derselbe ist, lassen scheinbar den Irrtum zu, der von der Identifizierung des Seins des Gegenstandes mit seinem Objektsein hervorgerufen wird. Aus dem Gesagten ergibt sich der Schluss, dass die logische Methode von Marx und die Analyse der klassischen Form des Objektes auch auf dem Gebiet der Physik anwendbar sind. Den Versuch von Michelson muss man als entscheidendes Experiment bei der Schaffung der Relativitätstheorie von Einstein betrachten. diese Behauptung ist freilich nicht allgemein anerkannt. So bestreitet M. Born die Bedeutung des Versuches von Michelson als grundlegend bei der Genesis der Relativitätstheorie deshalb, weil Einstein ihn nicht in seiner ersten Arbeit zur Realtivitätstheorie erwähnt. Er meint, „den Weg haben Einstein offensichtlich eher die Gesetze der elektromagnetischen Induktion gewiesen, als das Experiment von Michelson“.21 Eine solche Behauptung kann man nicht als richtig ansehen, weil Einstein schon damals die Arbeiten von Lorentz aus den 90-er Jahren des XIX. Jahrhunderts kannte, in denen die Untersuchung des Versuches von Michelson einen zentralen Platz einnimmt. Wie bekannt, hat gerade der Versuch von Michelson der Theorie von Lorentz den entscheidenden Schlag versetzt und die Bedingungen für ein neues theoretisches Suchen geschaffen. Jedes, auch das wichtigste Experiment führt jedoch nicht automatisch zu einer neuen Theorie. Nach dem Versuch von Michelson (1881) vergingen mehr als 20 Jahre, ehe die Relativitätstheorie geschaffen wurde. Zum Moment ihrer Enstehung (1905) wurde augenscheinlich ihr Zusammenhang mit dem Versuch von Michelson ungenügend betont, obwohl später Einstein diesem Versuch die ihm gebührende Bedeutung beimaß.22 196 Bei der Schaffung und Begründung einer Theorie ist die Rolle des Experimentes sehr groß. Gerade die Experimente haben die elektromagnetischen Erscheinungen als selbständige Realität, als ursprüngliches Ganzes zutage gefördert. Aber ihre Bedeutung bei der Schaffung der Theorie ist unterschiedlich. Das Verhältnis der Versuche zweiter Ordnung zu den Versuchen erster Ordnung ist das gleiche, wie das Verhältnis der entwickelteren Form des Kapitalismus zur weniger entwickelten. Tatsächlich, die Versuche der ersten Ordnung wurden sowieso von der Theorie von Lorentz erfasst, die einen unbeweglichen Äther zuließ, während der Versuch von Michelson diese Theorie und den Äther ablehnte. Lorentz versuchte, den Versuch von Michelson und seine Theorie miteinander zu versöhnen und stellte dabei die Hypothese von der Verkürzung auf. Ein Blick zurück erlaubt uns die Bemerkung, dass Lorentz nicht die ganze Bedeutung des Versuches von Michelson erkannt hat. Er stellte ihn sozusagen in die Reihe der Versuche der ersten Ordnung. Einstein dagegen stützt sich prinzipiell auf die Daten des entscheidenden Experimentes. Der Versuch von Michelson hat für ihn die gleiche Bedeutung wie der englische Kapitalismus für den Aufbau der Theorie von Marx. Einstein empfand nicht einfach alle Experimente sowohl der ersten als auch der zweiten Ordnung als das Gleiche, sondern ging vom entwickeltsten Versuch, dem Experiment von Michelson aus. In ihm erscheint kein Äther, und Einstein konstatiert prinzipiell diese Situation. In der Relativitätstheorie ist auf diese Weise ganz klar der Gedanke herauskristallisiert, dass der Äther im entscheidenden Experiment deshalb nicht entdeckt wurde, weil es ihn in der Natur gar nicht gibt. „In dieser Frage“, schrieb Einstein in der Arbeit „Äther und Relativitätstheorie“, „kann man folgenden Standpunkt einnehmen: Es gibt keinen Äther. Elektromagnetische Felder sind keine Zustände eines bestimmten Mediums, sondern selbständig existierende Realitäten, die man nicht auf irgendetwas zurückführen kann und die, ähnlich wie Atome der wägbaren Materie, nicht mit irgendwelchen anderen Trägern verbunden sind“.23 Die Negation des Äthers ist bei Einstein eng mit der positiven Behauptung, dem Relativitätsprinzip, verbunden. Bekanntlich haben schon die Versuche der ersten Ordnung gezeigt, dass elektromagnetische Erscheinungen von der gleichmäßigen geradlinigen Bewegung des Systems insgesamt unabhängig sind. Doch sie konnten nicht zum Relativitätsprinzip führen, da diese Unabhängigkeit von der Theorie von Lorentz als etwas Zufälliges und nur in den Erscheinungen der ersten Ordnung Anzutreffendes erklärt wurde. Gerade der Versuch von Michelson hat gezeigt, dass diese Unabhängigkeit mehr als nur zufällig ist. In seiner Theorie hat Lorentz auch versucht, das Ergebnis des Versuches von Michelson mit Hilfe der Hypothese von der Verkürzung zu erklären. Die Genialität von Einstein besteht gerade darin, dass er diese Unabhängigkeit auf die Ebene eines Gesetzes der Natur erhob, wobei er von der entwickelten Form des Experimentes ausging. Im gegebenen Fall zeigt sich nochmals in der physikalischen Theorie die Produktivität der logischen Methode von Marx, laut der der Inhalt, das Wesen 197 des erforschten Objektes nicht im Ergebnis der Offenbarung des vielen Formen Gemeinsamen entdeckt wird, sondern im Prozess der Erforschung eines bestimmten Einzelnen, der entwickelten Form des Objektes. In der entwickelten Form offenbaren sich die Erscheinungen als diejenigen, die sie wirklich sind. Darin besteht auch die Bedeutung des geflügelten Wortes von Marx: „Die Anatomie des Menschen ist der Schlüssel zur Anatomie des Affen.“ Es fragt sich, warum die alte Physik sich ständig an den Äther geklammert hat, - sogar nach dem Versuch von Michelson. Weil die Maxwellschen Gleichungen beim Übergang von einem Koordinatensystem zum anderen bezogen auf die Transformationen von Galilei nicht invariant sind. Folglich haben sie in einem Systerm, was mit dem Äther zusammenhängt, die vorherrschende Form. Ähnlich wie Marx, der sich bei der Erforschung des englischen Kapitalismus hauptsächlich nicht für dessen Besonderheiten interessiert, sondern die allgemeinen Gesetze des Kapitalismus aufdeckt, die sich in dieser einzelnen entwickelten Form zeigen, interessiert sich auch Einstein beim Experiment von Michelson nicht einfach für die Besonderheit; er wünscht, dieses Experiment nicht nur zu erklären, wie Lorentz es getan hat, sondern bemüht sich, durch diesen Versuch die allgemeinen Gesetze der elektromagnetischen Erscheinungen in beweglichen Medien zu erklären. Einstein stellte sich die Frage: Was ist das Ausgangsmoment bei der Verallgemeinerung der Maxwellschen Gleichungen für sich gleichmäßig geradlinig bewegende Systeme, wenn es keinen Äther gibt? Dieses Moment ist laut Einstein das Prinzip der Relativität, das lautet: Alle Erscheinungen, sowohl mechanische als auch elektromagnetische, verlaufen in allen inertialen Bezugssystemen gleichmäßig. Auf diese Weise kommt die wissenschaftliche Erkenntnis nur im Ergebnis einer qualvollen und schwierigen Entwicklung zum wahrhaften und wirklichen Ausgangspunkt (Marx). Freilich bleibt bei Einstein (jedenfalls in seiner ersten Arbeit) jener Weg, auf dem er zum Ausgang, zur allgemeinen Grundlage kommt, unerschlossen, da er ihm keine vollständige historische Begründung gibt. Dafür kann man diesen Weg in seinen späteren Arbeiten verfolgen, in denen er die historischen Wurzeln der Relativitätstheorie bloßlegt.24 Grundlage der Relativitätstheorie ist neben dem Prinzip der Relativität das Prinzip der Beständigkeit der Lichtgeschwindigkeit. Bei dieser Feststellung entsteht gewöhnlich der Eindruck, dass die beiden Prinzipien eine identische Rolle spielen und in diesem Sinne gleichwertig sind. In Wirklichkeit haben derartige Überlegungen aber nichts mit der Wahrheit zu tun. Das Relativitätsprinzip tritt in der Struktur der Relativitätstheorie als allgemeine Grundlage, als Ausgangspunkt auf, von dem aus man alle anderen Bestimmtheiten und Kategorien der Theorie verstehen kann. Aber der Zusammenhang von allgemeinem Ausgangspunkt und Erscheinungsformen (dem Einzelnen) ist nicht unmittelbar. Deshalb ist für einen solchen Übergang das Besondere notwendig, das ein 198 vermittelndes Glied zwischen dem Allgemeinen und dem Einzelnen ist. Ein derartiges Besonderes findet Einstein im Prinzip der Beständigkeit der Lichtgeschwindigkeit. Vor Einstein ging man von der Unvereinbarkeit des Relativitätsprinzips und der Beständigkeit der Lichtgeschwindigkeit aus. Im Verlauf der Ausdehnung des Relativitätsprinzips auf die elektromagnetischen Erscheinungen erwies sich auch die Produktivität des Relativitätsprinzips. Hier ist die Analogie mit der Ware offensichtlich. Die Ware hat historisch vor dem Kapitalismus existiert. Den Warenaustausch treffen wir schon in grauer Vorzeit an. In vorkapitalistischen Formationen ist die Ware keine allgemeine Ausgangsbestimmtheit ökonomischer Beziehungen. Die Warenproduktion wird erst im Kapitalismus zu einer allgemeinen Beziehung, als auch die Arbeitskraft zur Ware wird. In diesem Zusammenhang muss unbedingt bemerkt werden, dass diese Logik, d. h. das Auffinden des inneren Zusammenhangs des Allgemeinen und des Einzelnen durch die Offenbarung des Besonderen, der vermittelnden Glieder durchaus nicht die Spezifik der Relativitätstheorie von Einstein, sondern das logische Prinzip jeglicher wahren Theorie ist. Das Prinzip der Beständigkeit der Lichtgeschwindigkeit ergab sich aus dem Wesen der Theorie von Maxwell-Lorentz und hatte damals nur eine indirekte Bestätigung, nämlich durch die Bestätigung anderer Folgen der Theorie. Wie bekannt, diente dieser Umstand als Anlass für Ritz, um die Richtigkeit des Prinzips der Beständigkeit der Lichtgeschwindigkeit zu negieren. Es schien tatsächlich, dass dieses Prinzip mit dem Relativitätsprinzip unvereinbar ist, dass die Anerkennung des einen zur Negation des anderen führt. Diese Situation, die zu einer bestimmten Zeit der Entwicklung der Physik entstanden war, gibt Einstein selbst gut wieder: „Der Leser, der aufmerksam den oben dargestellten Überlegungen folgt, nimmt zweifellos an, dass das Relativitätsprinzip, das dank seiner Natürlichkeit und Einfachheit fast unbestreitbar ist, erhalten werden muss, während das Gesetz der Ausbreitung des Lichtes im Vakuum durch ein kompliziertes Gesetz ersetzt werden muss, das mit dem Relativitätsprinzip vereinbar ist. Die Entwicklung der theoretischen Physik hat jedoch gezeigt, dass dieser Weg nicht annehmbar ist. Die tiefgründigen theoretischen Forschungen über elektrodynamische und optische Prozesse in beweglichen Körpern, die Lorentz durchgeführt hat, haben gezeigt, dass Versuche auf diesen Gebieten zur Notwendigkeit einer solchen Theorie elektromagnetischer Erscheinungen führen, deren unausweichliche Folge das Gesetz der Beständigkeit der Lichtgeschwindigkeit im Vakuum ist. Deshalb waren die führenden Theoretiker eher geneigt, sich von dem Relativitätsprinzip loszusagen, obwohl es nicht gelang, auch nur einen experimentellen Fakt zu finden, der diesem Prinzip widersprach“.25 Dem Wesen nach entstand im Verlauf der Entwicklung der Elektrodynamik beweglicher Medien die gleiche Situation wie in der Politökonomie des Kapitalismus. Dort war einerseits das tiefe Verständnis des Wertgesetzes als Gesetz der Warenkörper offensichtlich, andererseits existierten als empirische Fakten der Profit, der Zins, die Rente 199 und dgl. Laut Wertgesetz mussten im gesellschaftlichen Maßstab die gleichen Werte ausgetauscht werden, die kapitalistische Produktion setzt jedoch ständiges Anwachsen des Profits voraus. Folglich schließt das Wertgesetz bei empirischem Herangehen die Möglichkeit des Profits aus. Daher sagten sich die Vulgärökonomen vom Wertbegriff los. Alle diese Schwierigkeiten hat Marx in „Kapital“ durch die Entdeckung und Begründung des Mehrwert-Begriffes gelöst. Laut Marx findet der Kapitalist auf dem Markt eine besondere Ware - die Arbeitskraft, deren Gebrauch einen zusätzlichen, den Mehrwert schafft. Deshalb sagt Marx, dass der Mehrwert sowohl in der Sphäre der Zirkulation als auch außerhalb von ihr entsteht. Auf ähnliche Weise löste Einstein die Schwierigkeiten mit der Elektrodynamik. Er zeigte auf, dass der Widerspruch zwischen dem Prinzip der Relativität und dem Prinzip der Beständigkeit der Lichtgeschwindigkeit lösbar ist. Einstein schrieb: „ ... in Wirklichkeit sind das Relativitätsprinzip und das Gesetz der Ausbreitung des Lichtes miteinander vereinbar, und man kann, wenn man sich systematisch an diese beiden Gesetze hält, eine logisch einwandfreie Theorie aufbauen“.26 Das Relativitätsprinzip von Einstein ist nicht mit dem von Galilei identisch. Einstein reichert das Allgemeine, das Relativitätsprinzip durch das Besondere, das Prinzip der Beständigkeit der Lichtgeschwindigkeit an. Letzteres wird ursprünglich für ein Bezugssystem (laut Einstein - für das „unbewegliche“) als Unabhängigkeit der Lichtgeschwindigkeit von der Bewegung der Quelle formuliert; danach werden an dieses Prinzip die Anforderungen des Relativitätsprinzips gestellt. Durch eine derartige Wechselwirkung wird sowohl das Allgemeine, als auch das Besondere angereichert: Das Relativitätsprinzip wird auch auf elektromagnetische Erscheinungen ausgedehnt, und das Prinzip der Unabhängigkeit der Lichtgeschwindigkeit wird zum Prinzip der Beständigkeit der Lichtgeschwindigkeit in allen Inertialsystemen erhoben. In der Relativitätstheorie hat die Beständigkeit der Lichtgeschwindigkeit eine substantielle Bedeutung. Dieses Prinzip wird nicht nur einfach postuliert; es ist innerlich mit der Formulierung des Relativitätsprinzips verbunden. Der Misserfolg von Hertz bei der Anwendung des Relativitätsprinzips in der Elektrodynamik ist nun verständlich: Er versuchte, das Allgemeine mit dem Einzelnen unmittelbar zu verbinden, und deshalb geht sein Relativitätsprinzip nicht über den Rahmen des Prinzips von Galilei hinaus. Während vor Einstein das Relativitätsprinzip im wesentlichen als etwas Begrenztes, als Prinzip mechanischer Erscheinungen auftrat, wird es in der Relativitätstheorie als allgemeines Prinzip der Bewegung betrachtet, das die radikale Revision aller alten physikalischen Vorstellungen und Schlüsse beschleunigt. Laut Einstein entspricht der Wirklichkeit nur eine solche Theorie, die von der notwendigen Vereinbarkeit des Relativitätsprinzips und der Beständigkeit der Lichtgeschwindigkeit ausgeht, die das Relativitätsprinzip auf die Erforschung elektromagnetischer Erscheinungen ausdehnt. In einer derartigen Behandlung tritt das Relativitätsprinzip als 200 Bedingung für die Beständigkeit der Lichtgeschwindigkeit auf. Aber die Produktivität des Relativitätsprinzips selbst wurde real nachgewiesen, als die substantielle Beständigkeit der Lichtgeschwindigkeit formuliert wurde. „Für Einstein war die Beständigkeit der Lichtgeschwindigkeit kein phänomenologisches Resultat der einander kompensierenden Effekte der absoluten Bewegung, sondern ein objektives Naturgesetz, eine vom Experiment unabhängige substantielle Eigenschaft materieller Systeme, die sich geradlinig und gleichmäßig in Bezug aufeinander bewegen“.27 In diesem Fall realisiert sich dem Wesen nach die gleiche Kausalität, die im „Kapital“ von Marx vorkommt. Die Ware ist die allgemeine Bedingung des Kapitalismus, aber real verwirklicht sich das nur im Kapitalismus, wenn auch die Arbeitskraft zur Ware wird. Die Einheit dieser beiden Prinzipien, die gegenseitige Durchdringung des Allgemeinen und des Besonderen erhält ihren mathematischen Ausdruck in den Transformationen von Lorentz. Über die Ergebnisse der Relativitätstheorie schrieb Einstein: „Wenn es dabei etwas Neues gab, dann die Anerkennung dessen, dass die Bedeutung der Lorentzschen Transformationen über die Grenzen des Zusammenhangs mit den Gleichungen von Maxwell hinausgeht; sie berührten das Wesen von Raum und Zeit überhaupt. Neu war auch die Ansicht, das die „Lorentz-Invarianz“ die allgemeine Bedingung für eine beliebige physikalische Theorie ist“.28 In der Relativitätstheorie haben die Transformationen von Lorentz eine außerordentlich wichtige Bedeutung. Ihre Rolle und ihr Platz in der Theorie sind jedoch etwas anderes als die Ausgangsthesen der Relativitätstheorie, von denen genetisch alle anderen Bestimmtheiten der Theorie abstammen. Larmor und Lorentz entdeckten neue Eigenschaften von Raum und Zeit, schrieben eine neue Gleichung; da sie aber in den Grenzen alter physikalischer Vorstellungen verblieben, haben sie die wahre Bedeutung dessen, was sie entdeckt hatten, nicht begriffen. Die Transformationen von Lorentz können nicht der Ausgangspunkt der Relativitätstheorie sein, sie sind eine komplizierte Kategorie der Theorie. So hat Lorentz, obwohl er es hätte tun können, keinen Angriff weder auf den Äther, noch auf die absolute Bewegung, noch auf die Absolutheit von Raum und Zeit unternommen. Seine Transformationen haben nur dann derartig radikale Folgen, wenn ihre allgemeine Begründung und ihr Ausgangspunkt verstanden werden - das Relativitätsprinzip. Nach dem Zeugnis von M. Born „... hat Lorentz selbst nie Anspruch auf die Entdeckung des Relativitätsprinzips erhoben“ und „hielt Einstein für den Begründer des Relativitätsprinzips“.29 Ungefähr das Gleiche kann man von Poincaré sagen. Obwohl er das „Postulat der Relativität“ formuliert, die völlige Invarianz der Gleichungen der Elektrodynamik in Bezug zu den Transformationen von Lorentz feststellt, ihre Gruppeneigenschaften erforscht hat, konnte er nicht das Relativitätsprinzip mit der substantiellen Beständigkeit der Lichtgeschwindigkeit verbinden, d. h. es richtig verstehen. Er gab der Hypothese von Lorentz einen bestimmten Sinn, und deshalb widerspricht ihr sein „Postulat der Relativität“ nicht. 201 In diesem Zusammenhang hat eine Bemerkung von Lorentz einen tiefen Sinn: „Das Verdienst von Einstein besteht darin, dass er als Erster das Relativitätsprinzip in Form eines allgemeinen, strengen und exakt wirkenden Gesetzes formuliert hat“.30 Lorentz selbst näherte sich in seinen Arbeiten, besonders in dem Artikel „Elektromagnetische Erscheinungen in einem System, das sich mit beliebiger Geschwindigkeit bewegt, die geringer als die Lichtgeschwindigkeit ist“ (1904) dem Relativitätsprinzip. Das „Postulat der Relativität“, das von Poincaré in seiner Arbeit „Über die Dynamik des Elektrons“ verkündet worden war, ist die unmittelbare logische Vollendung der Arbeiten von Lorentz. Umso bemerkenswerter ist die Bemerkung von Lorentz, die nicht nur seine wissenschaftliche Ehrlichkeit, sondern auch sein tiefes Verständnis für das Wesen der Sache zeigt. Schon beim ersten Versuch, das Relativitätsprinzip und die Beständigkeit der Lichtgeschwindigkeit in Deckung zu bringen, stieß Einstein auf ein Paradoxon: die Relativität der Gleichzeitigkeit. Das wollen wir an einem Beispiel illustrieren, das von Mandelstam stammt.31 Nehmen wir zwei Bezugssysteme K und K1 mag „ruhen“ und K’ mag sich in Bezug auf K geradlinig und gleichmäßig bewegen. In einem bestimmten Moment, in dem die Ursprünge dieser Systeme (O und OI) zusammenfallen, wird ein Lichtsignal ausgestrahlt. Nach einiger Zeit wird das Signal im System K auf der Oberfläche der Kugel mit dem Radius r =ct und dem Zentrum in O sein. Gleichzeitig werden von dem Signal alle Punkte auf der Oberfläche dieser Kugel berührt. Entsprechend dem Relativitätsprinzip muss sich im System KI das Signal nach dem gleichen Gesetz ausbreiten, d. h. ebenfalls die Kugeloberfläche erreichen. Entsprechend dem Prinzip der Unabhängigkeit der Lichtgeschwindigkeit von der Bewegung der Quelle befindet sich das Zentrum dieser Sphäre in OI. Es ergibt sich, dass das Lichtsignal im System K gleichzeitig die Oberfläche der Kugel mit dem Zentrum in O erreicht; im System K I erreicht dieses Signal gleichzeitig die Oberfläche der Kugel mit dem Zentrum in O/, was vom Standpunkt der klassischen Physik unmöglich scheint, da dort die Zeit und somit auch die Gleichzeitigkeit absolut sind. 202 Einstein hat dieses Paradoxon auf radikale Weise gelöst: Die Gleichzeitigkeit ist nicht absolut. Das, was im System K gleichzeitig ist, ist es nicht im System K I’ und umgekehrt. Einstein hat begriffen, dass er am Anfang einer neuen Sicht auf Raum und Zeit steht und hat sie weiterentwickelt. Der Ablauf der Überlegungen Einsteins war ungefähr folgendermaßen: Wenn die erste Berührung von zwei Prinzipien zur Relativität der Gleichzeitigkeit führt, so muss ihre systematische Vereinigung, die Einheit des Allgemeinen und Besonderen zu einem neuen Verständnis von Raum und Zeit führen, was in den Transformationen von Lorentz widergespiegelt ist: Die Zeit ist nicht absolut; Raum, Zeit und Bewegung sind miteinander verbunden. Ein derartiges Verständnis von Raum und Zeit führt zu der Notwendigkeit einer neuen Bestimmung der Gleichzeitigkeit von Erscheinungen, von ihren räumlichen und zeitlichen Charakteristika. Manchmal wird die Lage der Dinge in der Relativitätstheorie so dargestellt, als hätte Einstein zunächst diese neuen Bestimmungen gegeben, die dann notwendigerweise zu Raum und Zeit in der Relativitätstheorie geführt haben. Dabei werden diese Bestimmungen als erdachte bequeme Vereinbarungen dargestellt. Dann ist auch die Theorie, die von ihnen ausgeht das Ergebnis einer Vereinbarung zwischen den Menschen (Konventionalismus; Poincaré, Eddington). Ein derartiger Standpunkt stellt das objektive Wesen der Dinge auf den Kopf. Einstein konnte diese Bestimmungen nur deshalb machen, weil er ihre substantielle Grundlage gefunden hatte - die Beständigkeit der Lichtgeschwindigkeit in ihrer Einheit mit dem Relativitätsprinzip, in der der Zusammenhang von Raum und Zeit embryonal ausgedrückt ist. Auf diese Art und Weise ist die Relativitätstheorie die physikalische Theorie von Raum und Zeit. Hier ist wieder eine gewisse Analogie mit dem „Kapital“ von Marx angebracht. Während Marx bei der ökonomischen Analyse des Kapitalismus tiefschürfende logische und methodologische Probleme der wissenschaftlichen Erkenntnis erarbeitete, hat Einstein, ausgehend von Problemen der Elektrodynamik beweglicher Medien, die Theorie von Raum und Zeit geschaffen, die der gesamten modernen Physik zugrunde liegt. Richtig ist deshalb die Bemerkung von Mandelstam: ... „Die ganze Theorie von Einstein ging weit über den Rahmen ihrer ursprünglichen Aufgaben hinaus“.32 Tatsächlich, die Relativitätstheorie gestattete es, am vollständigsten, soweit das im Rahmen der klassischen (Nichtquanten-) Elektrodynamik möglich ist, alle elektromagnetischen Erscheinungen zu erfassen. Außerdem hat sie auch die Mechanik relativiert. Sie führte zu der Wechselbeziehung von fundamentaler Wichtigkeit: E=mc2. Eine riesige methodologische Bedeutung für die Physik hat auch das, was Einstein „Lorentz-Invarianz“ nennt: Alle Gesetze müssen in Bezug auf die Transformationen von Lorentz co-variant sein. Einstein hat die Methode von Minkowski hoch geschätzt, der die adäquateste mathematische Vorstellung von Raum und Zeit der Relativitätstheorie gegeben hat. Minkowski führt auf der Grundlage der Relativitätstheorie die vierdimensionale Raum-Zeit ein, in der Raum und Zeit eng zusammenhängen und absolut untrennbar sind. Sie sind nur 203 relativ; von Raum an sich und Zeit an sich kann man nur in Bezug auf diese oder jene Inertialsysteme reden. In der klassischen Physik wurden sie angesichts der Absolutheit von Raum und Zeit als absolut nicht zusammenhängend dargestellt. „Nach der Absage an die Absolutheit der Zeit und besonders der Gleichzeitigkeit erschien sofort die Vierdimensionaltität der räumlich-zeitlichen Vorstellung“,33 schrieb Einstein. Die vierdimensionale Vorstellung von Minkowski half Einstein im Weiteren, den mathematischen Apparat der allgemeinen Realtivitätstheorie zu schaffen. Die Idee des räumlich-zeitlichen Kontinuums bestätigt jene These, dass über eine objektive Wahrhaftigkeit vor allem das Ganze, Konkrete verfügt, das ein System innerlich zusammenhängender Beziehungen ist. Raum und Zeit sind nur Momente dieses Ganzen. Eine derartige Auslegung ist nicht nur für die Relativitätstheorie, sondern für jede wahrhafte Theorie zutreffend. Hegel hat mehrmals unterstrichen, dass die Wahrheit nicht im Allgemeinen liegt, das getrennt vom Besonderen betrachtet wird, sondern in ihrer dialektischen Einheit. Diesen dialektischen Gedanken hat Hegel konsequent auf alle philosophischen Kategorien angewendet. Während vor Hegel solche paarigen Kategorien wie positiv und negativ, zufällig und notwendig, Freiheit und Notwendigkeit und dgl. als unvereinbar (getrennt) betrachtet wurden, so hat er ihren inneren Zusammenhang und ihre Unteilbarkeit bewiesen. Ähnlich wie Hegel mittels des Gesetzes von der Einheit der Gegensätze das in Einheit betrachtet hat, was vor ihm als getrennt gedacht worden war, hat Einstein, die Allgemeinheit und Wahrhaftigkeit der Transformationen von Lorentz anerkennend, das in Einheit betrachtet und verstanden, was als getrennt angenommen wurde. Ein hervorragendes Beispiel dafür ist die Aufdeckung der synthetischen Natur von Raum und Zeit, von Masse und Energie usw. Das große Verdienst von Einstein besteht darin, dass er nicht nur riesige Schwierigkeiten in der Entwicklung der Elektrodynamik gelöst hat, sondern das im Ergebnis der grundlegenden Veränderung der räumlich-zeitlichen Vorstellung infolge der Veränderung des alten Denkstils getan hat. Einstein schuf eine geschlossene vollendete Theorie und war der Begründer einer neuen Richtung im physikalischen Denken. Einstein entdeckte keinen neuen erstaunlichen Fakt in der Natur. Seine Entdeckung ist mit der Veränderung der Methode des Denkens in der Physik, mit der Veränderung der Herangehensweise an physikalische Erscheinungen verbunden. Engels schrieb beim Vergleich der „Wissenschaft der Logik“ von Hegel und des „Kapitals“ von Marx: „Vergleichen Sie wenigstens die Entwicklung von der Ware zum Kapital bei Marx und die Entwicklung vom Sein zum Wesen bei Hegel, und Sie haben eine wunderbare Parallele: einerseits die konkrete Entwicklung, wie sie in der Wirklichkeit vor sich geht, und andererseits die abstrakte Konstruktion, in der höchst geniale Gedanken und stellenweise sehr wichtige Übergänge, wie z. B. von Qualität und Quantität und umgekehrt, zu einer scheinbaren Selbstentwicklung eines Begriffes in den anderen 204 verarbeitet werden“.34 Wenn man aufmerksam die Struktur, den inneren Zusammenhang der Kategorien der Relativitätstheorie analysiert, kann man sich schwerlich vor einer derartigen Parallele zurückhalten. In der Relativitätstheorie ist die dialektische Synthese solcher wichtigen Kategorien wie Relativitätsprinzip und Beständigkeit der Lichtgeschwindigkeit, Raum und Zeit, Masse und Energie usw. gegeben. Der Ursprung in der Quantenmechanik Der dialektisch-logische Begriff des Ursprungs, des Ausgangspunktes hat große Bedeutung auch für die Analyse des Aufbaus der Quantenmechanik. Die Quantenmechanik hat, wie auch die Relativitätstheorie, die Logik in der physikalischen Wissenschaft prinzipiell verändert. Aus diesem Grund haben die Erforschung des Ursprungs, des Ausgangspunktes und der Logik der Quantenmechanik eine große philosophische Bedeutung. A. Moderne Interpretation der Quantenmechanik Ihrer Logik und Methode nach unterscheidet sich die Quantenmechanik wesentlich von alten physikalischen Theorien. Die Umwälzung, die von der Quantenmechanik in der Entwicklung der Physik vollzogen wurde, war derart fundamental, dass einzelne hervorragende Physiker in ihr das Ende des physikalischen (orthodoxen) Denkens sahen. Bis zum Ende seines Lebens konnte Einstein die Wahrscheinlichkeitsinterpretation der Quantenmechanik nicht anerkennen und hielt sie für eine abgeschlossene physikalische Theorie. In seinen Arbeiten hoffte er hartnäckig auf die Möglichkeit der deterministischen Interpretation der Quantenerscheinungen. Von der Wahrscheinlichkeitsinterpretation der Quantenmechanik sprechend, scherzte er häufig, dass „Gott nicht Würfel spielt“. Zeitweise zeigten auch Louis de Broglie und E. Schrödinger ein solches Verhalten gegenüber der Interpretation der Quantenmechanik. Max Planck führte die Idee der Diskretion der Energie (E=hv) in die Erforschung der Wärmestrahlung ein, mit der die Zerstörung der gefestigten Vorstellungen der klassischen Physik begann. Einstein und Broglie erarbeiteten den grundlegenden Ausgangsbegriff der Quantenmechanik: den Dualismus der Teilchen-Welle, ohne den ein ganzheitliches und theoretisches Verständnis eines großen Gebietes von Mikroerscheinungen unmöglich ist. Das erforderte das Lossagen vom Determinismus der klassischen Physik eines Laplace, da der Zustand des quantenmechanischen Systems nicht mit Hilfe von Koordinaten und Impulsen beschrieben werden musste, sondern mit der Wellenfunktion , deren Wahrscheinlichkeitsauslegung von N. Bohr kam. Ausgehend von den Ideen Einsteins und Broglies hat später Schrödinger die Grundgleichung der Wellenmechanik gefunden, die die Veränderung der Wellenfunktion in der Zeit beschreibt. 205 Aber die Mehrzahl der Physiker der alten Generation konnte sich laut Heisenberg nicht mit der statistischen, der Wahrscheinlichkeitsinterpretation der Quantenmechanik einverstanden erklären. Besonders charakteristisch ist die Aussage von Schrödinger in einem Gespräch mit N. Bohr 1926/27: „Wenn wir uns anschicken, diese verflixten Quantensprünge zu erhalten, bedaure ich, dass ich es überhaupt mit der Quantentheorie zu tun hatte.“ Bohr antwortete: „Aber alle übrigen sind Ihnen dafür dankbar“.35 Das alles lässt keinen Zweifel an der prinzipiellen Tiefe der Umwälzung, die die Quantenmechanik vollzogen hat, und zeugt von den Schwierigkeiten beim Verständnis und der Interpretation einzelner ihrer Aspekte. Ernsthafte Schwierigkeiten und Streitigkeiten beim theoretischen Erfassen des Inhaltes, der Begriffe der Quantenmechanik haben auch heute noch nicht aufgehört. Laut W. Fok existieren drei Richtungen in der Interpretation der Quantenmechanik: die Kopenhagener Physiker-Schule, zu der Bohr, Heisenberg, Born und Dirac gehören. Zu ihnen stoßen nach dem Inhalt ihrer Interpretation die sowjetischen Physiker W. Fok und A. Alexandrow, obwohl sie sich prinzipiell von positivistischen Begriffen und der Terminologie der Kopenhagener Schule abgrenzen. Eine andere Gruppe ist um Louis de Broglie vereint. Dazu gehören Bohm, Vigié, Terlezki usw. Ihrer Überzeugung nach sind der statistische Charakter der Quantenmechanik, die Wechselbeziehungen der Unbestimmtheiten temporäre Erscheinungen, und deshalb kann man ihre Wahrscheinlichkeit auf eine deterministische, dynamische Interpretation zurückführen, was auf einem Subquanten-Niveau möglich ist. Infolgedessen ist die Wahrscheinlichkeit der Quantenmechanik nicht substantiell, sondern der Ausdruck eines dynamischen Gesetzes. Der statistische Charakter der Quantenerscheinungen ist mit unserer Unkenntnis verbunden, und mit der Zeit kann man ihn durchaus auf den klassischen Determinismus zurückführen. In dieser Richtung arbeiten sie auch gegenwärtig. In einem Vortrag auf einer philosophischen Konferenz hat Fok die Arbeiten dieser Physiker einer scharfen Kritik unterzogen, da sie äußerst künstlich und bar jedes heuristischen Wertes sind. „ ... Nicht eine einzige Aufgabe“, schreibt Fok, „haben die Autoren versucht zu lösen. Im Gegenteil, ihre Überlegungen wurden (nicht einmal sehr überzeugend) vorher den aus der Quantenmechanik bekannten Resultaten angepasst. So ist das Kriterium der Praxis entschlossen gegen diese wissenschaftliche Richtung“.36 Die sorgfältige Analyse der theoretischen Konzeption dieser Gruppe bringt auch ernsthafte logisch-gnoseologische Mängel zutage. Vor allem haben sie die prinzipielle Spezifik des Sachgebietes der Mikroerscheinungen nicht bis zu Ende erfasst, wobei sie ernsthaft durch ihre Identifizierung des Kausalitätsprinzips, der Gesetzmäßigkeit überhaupt und des klassischen Determinismus gestört wurden. Tatsächlich, in den Quantenerscheinungen und ihrem theoretischen Ausdruck ist das klassische Prinzip der Kausalität nicht gerechtfertigt. Die Anhänger der deterministischen 206 Auslegung der Quantenerscheinungen kennen gewöhnlich nur das klassische Prinzip der Kausalität, der Gesetzmäßigkeit der Erscheinungen. Deshalb halten sie die Verletzung dieses Prinzips für die Verletzung der rationalen Grundlage jeglicher Wissenschaft. Aus diesem Grund lehnen sie die Wahrscheinlichkeits-, die statistische Interpretation der Quantenmechanik ab. Der Hauptmangel dieser Konzeption besteht darin, dass sie die Kausalität, den Determinismus seinem Wesen nach im Sinne des Determinismus von Laplace verstehen. In Wirklichkeit erschöpft der klassische Determinismus die Kausalität nicht, sondern er ist eine einseitige, abstrakte Kausalität. Der klassische Determinismus ist keine allgemeine Form der Kausalität, sondern nur ein spezieller Fall, der nur für mechanische Systeme eine allgemeine Bedeutung hat. Das Bemühen, das klassische Verständnis der Kausalität bei der Erkenntnis von Mikroerscheinungen wiederherzustellen, ist dem Wesen nach eine Universalisierung des begrenzten, verstandesmäßigen Verständnisses der Kausalität, was als gnoseologische Grundlage der unproduktiven Konzeption von Broglie u. a. dient. Zur dritten Gruppe der Interpretation der Quantenmechanik gehört die Konzeption der Quantenensembles. Seinerzeit wurde sie von Mandelstam in seinen Vorlesungen zur Quantenmechanik dargelegt und in den Arbeiten von Blochinzew u. a. weiterentwickelt. Der Hauptinhalt dieser Interpretation besteht darin, dass die Quantenmechanik nicht die Theorie eines individuellen Quantenobjektes, sondern die Theorie eines Ensembles von Teilchen ist. Deshalb bestimmt die Quantenmechanik nur die mittlere Natur der Gesamtheit der Mikroerscheinungen. Die Konzeption der Quantenensembles ist ihrem Inhalt nach empirisch, sie konnte den rationalen Inhalt der Quantenstatistik, der Wahrscheinlichkeit nicht aufdecken. Laut Fok bringt diese Konzeption der Quantenensembles nichts Neues in den physikalischen Inhalt der gewöhnlichen Interpretation und unterscheidet sich von ihr nur durch die Idee der Quantenensembles. Die Konzeption der Quantenensembles ist empirisch begrenzt, da die Aufmerksamkeit des Forschers nur auf die Ergebnisse der Messung, auf den statistischen Charakter der Quantenerscheinungen gerichtet ist. Bei der theoretischen Untersuchung muss das Quantenobjekt jedoch ganzheitlich betrachtet werden. Dabei ist die Aufmerksamkeit des Forschers zunächst auf den Zustand der Mikroerscheinungen vor jeglicher Messung konzentriert, bei der der Wellenfunktion große Bedeutung beigemessen wird. Die Wellenfunktion charakterisiert auch den Zustand des individuellen Objektes. In der Wellenfunktion ist der objektive, gesetzmäßige Zustand des Quantenobjektes vor jeglicher Messung ausgedrückt. Bei der theoretischen Erforschung ist die Untersuchung des Quantenobjektes in reiner Form, ohne fremde Einwirkung notwendig. Im „Kapital“ erforscht Marx zunächst den Mehrwert in reiner Form, unabhängig von seinen Erscheinungsformen. Eine derartige Logik ist bei der Erforschung von Quantenerscheinungen ebenfalls durchaus anwendbar. 207 Streit und Diskussion um die Interpretation der Quantenmechanik sind auch gegenwärtig nicht beigelegt. Den theoretischen Gedanken interessiert ernsthaft die Frage: Welche Konzeption ist die wahre, die dem Wesen der Quantenobjekte entspricht? In den letzten Jahren erhält die gewöhnliche Kopenhagener Interpretation in der Auslegung von Fok immer mehr Anerkennung. Uns scheint, dass hier ernsthafte theoretische, philosophische Ergebnisse erreicht wurden. Der grundlegende physikalische Inhalt dieser Interpretation, ihre innere Logik verhält sich invariant zu der inhaltlichen Logik, die Hegel und Marx erarbeitet haben. Zum produktiven Verständnis der inneren Struktur, der Logik der Quantenmechanik sind die Arbeiten von Fok wichtig. Seiner Meinung nach hat nur die Kopenhagener PhysikerSchule mit N. Bohr wirkliche und reale theoretische Erfolge erzielt. In physikalischer und philosophischer Hinsicht hat die Konzeption der versteckten Parameter fast nichts erreicht. Ihrem physikalischen Inhalt nach ist die Konzeption der Quantenensembles absolut identisch mit dem Kopenhagener Verständnis; sie unterscheidet sich von ihm nur durch die Interpretation des Inhalts der Wellenfunktion. In diesem Zusammenhang ist der physikalische und prinzipielle wissenschaftliche Vorrang der gewöhnlichen Interpretation der Quantenmechanik unzweifelhaft. Zurzeit hat die Quantenmechanik eine breite Anerkennung und experimentellen Beweis erhalten. Das, was im Verlauf der Begründung der fundamentalen Quantenmechanik in das wissenschaftlich-theoretische Denken aufgenommen wurde, ist eine große Errungenschaft des schöpferischen Geistes. B. Die logische Begründung des Ursprungs in der Quantenmechanik Die Quantenmechanik als physikalische Theorie ist vollendet, aber ihre philosophische, logische Seite bleibt äußerst aktuell. Die aufmerksame Analyse der theoretischen Konzeptionen von Broglie und anderen bei der Interpretation der Quantenmechanik zeugt davon, wie schon erwähnt, dass in ihnen einige logisch-gnoseologische Fehler vorhanden sind. Mit dem Gebiet der Mikrowelt haben wir ein selbständiges und spezifisches Sachgebiet vor uns, dessen Gesetzmäßigkeiten nicht auf die Prinzipien und Begriffe der klassischen Physik zurückführbar sind. Eine produktive Erforschung der Mikroerscheinungen ist nur auf der Grundlage aller Zusammenhänge und Gesetzmäßigkeiten möglich, die in diesem System beständig reproduziert werden und innerlich mit ihm zusammenhängen. Dabei muss man von dem abstrahieren, was für dieses System äußerlich ist und zu ihm keine unmittelbare Beziehung hat. Unter diesem Blickwinkel hat das Prinzip der „Unbeobachtbarkeit“ möglicherweise einen gewissen rationalen Sinn, wenn die Rede von diesen oder jenen Begriffen ist, die in den vorherigen theoretischen Systemen wichtig sind, aber prinzipiell in diesem System nicht zu 208 entdecken sind, obwohl es einer Vielzahl von Versuchen unterzogen wird. In dieser Auslegung wird das Prinzip der „Unbeobachtbarkeit“ seinem Inhalt nach der fundamentalen Idee der marxistischen Logik entsprechen, laut der der Forscher bei der theoretischen Analyse des Gegenstandes nur das beachtet, was ständig durch das Funktionieren dieses konkreten Systems reproduziert wird. Bei der theoretischen Erforschung des Objektes ist die Aussonderung der immanenten, inneren Zusammenhänge derjenigen Momente des Gegenstandes wichtig, die äußerlich und für ihn nebensächlich sind. In der Analyse der kapitalistischen Gesellschaft und Logik des „Kapitals“ sind alle diese Fragen sorgfältig herausgearbeitet. So funktioniert z. B. die kapitalistische Gesellschaft dort, wo bestimmte Reichtümer, Naturressourcen und schöpferische Ideen von Erfindern usw. vorhanden sind. Bei der theoretischen Reproduktion des Kapitalismus werden alle diese Momente einfach aus der Erforschung ausgeschlossen, da die kapitalistische Produktion ständig nicht Naturressourcen, schöpferische Ideen reproduziert, sondern ununterbrochen Mehrwert und Arbeitskraft als Ware schafft. In der dialektischen Logik hat die kritische Trennung des inneren Zusammenhangs des Systems von fremden, nebensächlichen Momenten eine fundamentale Bedeutung. In der theoretischen und ganzheitlichen Reproduktion der Wirklichkeit ist dieses logische Prinzip unmittelbar mit der Aufdeckung des ursprünglichen Ganzen, des Sachgebietes und der entwickelten Form des Gegenstandes verbunden. Eine entwickelte Form ist diejenige Spielart, die am vollständigsten und adäquatesten die Art ausdrückt. Ihrem Inhalt und Ziel nach helfen die Untersuchungen der entwickelten Form auch bei der Herausstellung der inneren Zusammenhänge gegenüber den äußeren und nebensächlichen. Zur Illustration seiner theoretischen Schlüsse betrachtete Marx die am meisten entwickelte Form des Kapitalismus, d. h. den englischen. Im Frühstadium der Entwicklung der kapitalistischen Formation war es kompliziert, die immanenten Zusammenhänge des Kapitalismus von seinen nebensächlichen Momenten zu trennen. Zu Zeiten von Marx hat der englische Kapitalismus seine entwickelte Form erreicht. Viele Momente, die für seine frühe Periode charakteristisch waren, waren verschwunden und haben den Zusammenhängen Platz gemacht, die dem Kapitalismus immanent sind. In der Geschichte der Physik haben wir eine solche Erscheinung bei der Untersuchung der Logik der Relativitätstheorie entdeckt. Bei der Erforschung der elektromagnetischen Erscheinungen in beweglichen Systemen gibt die klassische Form des Experimentes, der Versuch von Michelson, prinzipiell nicht die Möglichkeit, den Äther zu entdecken. Der Äther hängt innerlich nicht mit der Natur der elektromagnetischen Erscheinungen zusammen, und die Theorie geht vom Fehlen des ätherischen Windes aus. Freilich starb die Konzeption des Äthers nicht infolge des Prinzips der „Unbeobachtbarkeit“ und des Experimentes von Michelson, sondern kraft der Fundamentalität des Relativitätsprinzips in elektromagnetischen Erscheinugen. 209 Ein analoges Bild beobachten wir insgesamt auch in der Quantenmechanik. Auf dem Gebiet der Mikroerscheinungen geht es um ein prinzipiell anderes, spezifisches Sachgebiet. Viele Begriffe und Thesen der klassischen Mechanik haben hier keinen Sinn. Es ist unmöglich, das Quantenobjekt als klassisches Teilchen oder als Feld zu interpretieren. Hier hat das Elektron keine Bahn wie im Falle der klassischen Dynamik. Auf dem Gebiet der Mikroerscheinungen sind die Wechselbeziehungen der Unbestimmtheiten von Heisenberg ein fundamentaler Fakt. All das überzeugt davon, dass es um ein spezifisches Objekt geht, für dessen Verständnis andere fundamentale Prinzipien und Ausgangsthesen notwendig sind. In seinem Vortrag auf der philosophischen Konferenz hat W. Fok die hauptsächlichen Besonderheiten der quantenmechanischen Beschreibung aufgezählt. Laut Fok ist es vor allem unmöglich, die Wellenfunktion eines komplizierten Systems, das aus vielen Teilchen besteht, als im Raum verteiltes Feld zu betrachten, das dem klassischen Feld ähnlich ist. Die Wellenfunktion der Quantenmechanik hängt nicht von drei Koordinaten ab, sondern von allen Stufen der Freiheit des Systems. Sie ist eine Funktion in einem vieldimensionalen konfigurativen Raum, und nicht in einem realen physikalischen Raum. In der Entwicklung der Quantenmechanik hat sich auf diese Weise ein Sachgebiet herausgebildet. Die Aufgabe des Forschers ist es, alle diese Kategorien und Besonderheiten des Quantenobjektes in Form einer Theorie als innerlich Zusammenhängendes und Konkretes zu verstehen und zu erfassen und dabei von den Zusammenhängen auszugehen, die der Ursprung des Systems sind und die Möglichkeit geben, den theoretischen Gedanken weiterzuentwickeln. Der Gegenstand der Quantenmechanik ist spezifisch, er bildet ein qualitativ besonderes Gebiet. Deshalb ist es für die geistig-theoretische Reproduktion der Mikroerscheinungen notwendig, von prinzipiell anderen Ausgangselementen, allgemeinen Grundlagen auszugehen. In diesem Zusammenhang kann das Bestreben, die Wellenfunktion im klassischen Sinne zu interpretieren, nicht zu irgendwelchen positiven Ergebnissen führen. Es geht darum, dass die Gesetzmäßigkeiten, die inneren Zusammenhänge eines komplizierten Systems (der Substanz) nicht einfach auf die früheren, einfachen Wechselbeziehungen reduziert, zurückgeführt werden können. In methodologischer Hinsicht ist eine solche Betrachtung eine ernste Verletzung des Prinzips des konkreten Historismus. Im Unterschied zum metaphysischen Reduktionismus stützt sich die dialektisch-materialistische Logik auf Prinzipien des Historismus, auf die Idee von Substanz-Subjekt. Entsprechend den Prinzipien der dialektischen Logik muss die theoretische Begründung jedes bestimmten Sachgebietes auf seiner eigenen Grundlage realisiert werden. So wird z. B. die kapitalistische Formation mittels der Aufdeckung ihrer spezifischen. immanenten Gesetzmäßigkeiten erkannt, und nicht durch ihre Rückführung auf feudale Prinzipien. Auf dem Gebiet der Physik bilden die Quantenobjekte, die Mikroerscheinungen ein 210 selbständiges System; sie ordnen sich ihren eigenen Gesetzmäßigkeiten unter. Alle Besonderheiten der Quantenmechanik, die Fok aufgezählt hat, zeugen davon. Bei der Erforschung der Quantenerscheinungen muss außerdem die Einwirkung des klassischen Gerätes auf das Verhalten des Mikroobjektes beachtet werden. In diesen Besonderheiten der Quantenmechanik hat sich nicht nur ihre Nichtrückführbarkeit auf ihre klassischen Objekte erwiesen, sondern auch das ursprüngliche Ganze (das Sachgebiet) offenbart. Seine Analyse gestattet es, den Ursprung festzustellen, von dem ausgehend die theoretische Reproduktion der Quantenerscheinungen möglich wird. Ohne die praktische Feststellung des Sachgebietes, des ursprünglichen Ganzen ist es unmöglich, den Ausgangspunkt, den Ursprung und die Logik dieses oder jenes Systems zu offenbaren und zu erkennen. Für die Feststellung und Hervorhebung des Ursprungs des Systems ist keine empirische, sondern eine theoretische Analyse notwendig. Während die empirische Analyse bei der Erforschung des Objektes sich zur Natur des Ganzen gleichgültig verhält, geht die theoretische Analyse vom Standpunkt des Ganzen an das Objekt heran. Der Hauptmangel des empirischen Stadiums besteht darin, dass die empirische Analyse in ihrer unaufhaltsamen Bewegung zum Verlust der Eigenschaft des Ganzen gelangt. In der theoretischen Erkenntnis wird die Analyse des Gegenstandes nicht gleichgültig realisiert, sondern von der Position des Ganzen aus. Das Ziel der theoretischen Analyse besteht in der Entdeckung der allgemeinen Grundlage, des universellsten Zusammenhanges des erforschten konkreten Ganzen. Ihrer Natur nach ist die nichtrelativistische Quantenmechanik keine empirische, sondern eine theoretische Wissenschaft. Während im „Kapital“ von Marx die kapitalistische Gesellschaftsformation theoretisch und ganzheitlich erkannt ist - beginnend mit der elementaren Konkretheit, der Ware, und endend mit den entwickelten Formen wie Profit, Rente und Lohn - ist in der Quantenmechanik auch eine ganzheitliche, theoretische Erkenntnis der Mikroerscheinungen zu finden. „Das Kapital“ ist von Anfang bis Ende von K. Marx geschrieben. In der nichtrelativistischen Quantenmechanik wurde die ganzheitliche Erkenntnis der Natur der Mikroerscheinungen durch gemeinsame Anstrengungen solcher Physiker wie M. Planck, A. Einstein, L. de Broglie, N. Bohr, M. Born, Heisenberg, Schrödinger, Dirac, Fok usw. realisiert. Alle gemeinsam haben die vollendete, logisch wahrhafte und ganzheitliche Quantenmechanik geschaffen. Die Aufgabe der nichtrelativistischen Quantenmechanik ist die theoretische Erklärung des Verhaltens des Mikroobjektes und dessen, wie es sich in der Versuchsanordnung zeigt. In diesem Fall ist die Bemerkung von Fok darüber sehr wertvoll, dass das Verhalten des Mikroobjektes, die Versuchsanordnung ganzheitlich betrachtet werden, d. h. es werden zusammengefasst: die Quelle, von der die Strahlung ausgeht, die äußeren Bedingungen und das Messgerät. In der Quantenmechanik beschreibt die Wellenfunktion den objektiven Zustand des Mikroobjektes. Sie ist die objektive Charakteristik des Ergebnisses der Wechselbeziehung 211 des Atomobjektes mit dem Gerät. Die Wellenfunktion gehört ebenfalls zur Natur des einzelnen Objektes. In ihrer Form ist nur das objektiv Mögliche, nicht jedoch das Wirkliche ausgedrückt. Die Verwandlung der Möglichkeit in die Wirklichkeit realisiert sich nur im Endstadium des Versuches. Um experimentell die entsprechende Verteilung der Wahrscheinlichkeiten zu erhalten, ist eine Serie von Experimenten notwendig. „Diese experimentelle Verteilung der Wahrscheinlichkeiten“, schreibt Fok, „kann danach mit der theoretischen, aus der Wellenfunktion erhaltenen [Verteilung] verglichen werden. ... Auf diese Art können aus der statistischen Bearbeitung einer Serie von Versuchen die Verteilungen von Wahrscheinlichkeiten nicht nur für die Größen erhalten werden, die analog den klassischen sind, sondern auch für spezifische Quantengrößen“.37 In der klassischen Physik gibt es eine eindeutige Beschreibung des Verhaltens von physikalischen Erscheinungen. Im Unterschied zur klassischen Physik hat in der Quantenmechanik der Unterschied zwischen dem potentiell Möglichen und dem Zustandegekommenen eine wesentliche Bedeutung. Wenn man das in die Sprache der Philosophie übersetzt, so unterscheidet sich in ihr das Sein in sich vom Sein für sich, das Mögliche vom Wirklichen, das Wesen von den Erscheinungsformen. In der klassischen Mechanik fehlt der Begriff der Entwicklung, und er entspricht der mechanischen Kausalität, dem klassischen Determinismus. In der dialektischen Logik ist ein solches Verständnis der Kausalität prinzipiell überwunden, da die Dialektik die Logik organischer und komplizierter Systeme ist, in denen notwendigerweise die Selbstentwicklung des Systems Beachtung findet. In derartigen Gegenständen können die Inhalte der Ursache und der Wirkung nicht eindeutig, identisch sein. Deshalb ist das klassische Verständnis der Kausalität einseitig. Nach Meinung von Fok ist die praktische Unmöglichkeit, alle Ereignisse in der klassischen Physik vorauszusagen, auf die Unvollständigkeit der Ursprungsdaten zurückzuführen. Ein solches Verständnis der Kausalität, des Determinismus entstand unter bestimmten historischen Bedingungen. In der Quantenmechanik ist es wichtig, das Mögliche vom Wirklichen zu unterscheiden. In der Logik der Quantenmechanik wird das Mögliche, das In-Sich-Sein, das durch die Wellenfunktion ausgedrückt ist, zunächst unabhängig von Erscheinungsformen, vom Endstadium des Experimentes und der Statistik betrachtet. In diesem Falle ist die Methodologie der Untersuchung der Frage der Logik des „Kapitals“ von Marx analog. In seinen Briefen hat er mehrmals unterstrichen, dass das Neue an seinem Herangehen im Vergleich zu den Klassikern der politischen Ökonomie das ist, dass er zunächst den Mehrwert in reiner Form untersucht, unabhängig von Erscheinungsformen. Dabei kritisierte er scharf die Empiriker in der politischen Ökonomie, die dem Wesen die Erscheinungsformen gegenübergestellt haben. „Die Aufgabe der Wissenschaft“, schrieb Marx, „besteht gerade darin zu erklären, wie das Wertgesetz erscheint; folglich, wenn sie sofort alle dem Gesetz scheinbar widersprechenden Erscheinungen „erklären“ wollten, müssten sie die Wissenschaft noch vor der Wissenschaft geben ... Die Pointe der 212 bürgerlichen Wissenschaft besteht ja gerade darin, dass in ihr a priori keine bewusste gesellschaftliche Regulierung der Produktion existiert. Das Vernünftige und natürlich Notwendige offenbart sich als blind handelnder Durchschnitt. Und der Vulgärökonom denkt, dass er eine große Entdeckung macht, wenn er der Aufdeckung des inneren Zusammenhanges stolz den Fakt gegenüberstellt, dass in den Erscheinungen die Dinge anders aussehen. Und es kommt heraus, dass er darauf stolz ist, vor der Scheinbarkeit zu liebedienern, dass er das Scheinbare für das Endliche hält“.38 Die Bedeutung der marxistischen Methodologie in der Logik der Quantenmechanik ist groß. Während Marx den Mehrwert unabhängig von seinen Erscheinungsformen tiefgründig erforschte, wird in der Quantenmechanik der Zustand des Mikroobjektes (die Wellenfunktion) unabhängig von konkreten Erscheinungsformen untersucht, im gegebenen Fall unabhängig von Beobachtungsmitteln. Eine solche Betrachtung ist das wichtigste Moment der theoretischen Reproduktion des Objektes. In der Quantenmechanik wird erst danach der notwendige Zusammenhang der Wellenfunktion und der Ergebnisse der Messung und des statistischen Charakters der Quantenerscheinungen zutage gefördert und erforscht. Im Ergebnis haben wir ein ganzheitliches Bild der Reproduktion des Mikroobjektes. In den Untersuchungen Foks ist dieser Aspekt der Quantenmechanik herausgearbeitet. Laut Fok kann man zwei Seiten der Wechselwirkung zwischen Mikroobjekt und Gerät unterscheiden: erstens die Wechselwirkung als physikalischer Prozess und zweitens die Wechselwirkung als Nahtstelle zwischen dem System, das quantenmechanisch beschrieben wird (Mikroobjekt) und dem Teil, der klassisch beschrieben wird. Seine Aufmerksamkeit konzentriert Fok hauptsächlich auf den zweiten Teil. Dabei muss man unbedingt bedenken, dass die äußeren Bedingungen des Verhaltens des Quantenobjektes und die Ergebnisse der Wechselwirkung mit seinem Gerät in Termini der klassischen Physik beschrieben werden. Nach ihren Angaben muss über die Quanten-Charakteristika des Atomobjektes geurteilt werden. In der klassischen Physik kann das Verhalten des physikalischen Körpers eindeutig vorhergesagt werden. In Atomobjekten verhält es sich prinzipiell anders: Sogar im Falle fixierter äußerer Bedingungen ist das Resultat ihrer Wechselwirkung mit dem Gerät nicht eindeutig. „Dieses Resultat“, schreibt Fok, „kann nicht mit Bestimmtheit auf der Grundlage vorausgegangener Beobachtungen vorhergesagt werden, so exakt letztere auch sein mögen. Bestimmt ist nur die Wahrscheinlichkeit dieses Resultates. Der vollständigste Ausdruck der Resultate einer Serie von Messungen wird nicht die exakte Bedeutung der gemessenen Größe sein, sondern die Verteilung der Wahrscheinlichkeiten für sie“.39 Die Spezifik und Besonderheit der Quanten-Gesetzmäßigkeiten hängen mit der Natur der Mikroerscheinungen zusammen. „Jener Fakt“, schreibt Fok, „ dass im allgemeinen Fall keine Präzisierung der vorangegangenen Beobachtungen zur eindeutigen Vorhersage des Resultates der Messungen führt, hat eine große prinzipielle Bedeutung. Diesen Fakt muss 213 man als Ausdruck eines gewissen Naturgesetzes betrachten, das mit den Eigenschaften von Atomobjekten zusammenhängt, insbesondere mit dem ihnen eigenen korpuskularen Wellen-Dualismus. Die Anerkennung dieses Faktes bedeutet die Absage an den klassischen Determinismus und erfordert neue Formen des Ausdrucks des Kausalitätsprinzips“.40 Statistische Gesetzmäßigkeiten gab es eigentlich auch in der klassischen Physik. Aber die Wahrscheinlichkeit hat in der Quantenmechanik eine prinzipiell andere Bedeutung, da die Wahrscheinlichkeit in der klassischen Physik als Ergebnis eines gewissen Nichtwissens betrachtet wurde und immer die Möglichkeit einer Rückführung auf eine eindeutige Lösung vorausgesetzt wurde. Auf dem Gebiet der Quantenmechanik haben wir ein prinzipiell anderes Bild. „In der Quantenmechanik“, schreibt Fok, „ist ein derartiges Aussortieren der Atomobjekte unmöglich, da entsprechend der Eigenschaft der Atomobjekte die gemessenen Größen unter den gegebenen Bedingungen keine bestimmten Bedeutungen haben können. In der Quantenphysik ist der Begriff der Wahrscheinlichkeit ein primärer Begriff und spielt dort eine fundamentale Rolle. Mit ihm ist auch der quantenmechanische Begriff des Zustandes des Objektes verbunden“.41 Auf dem Gebiet der Quantenmechanik geht es um ein prinzipiell neues Verständnis der Wahrscheinlichkeiten, die der Ausdruck der Bewegung qualitativ anderer physikalischer Objekte sind und die eine Korpuskularwellen-Natur haben. Auf dem Gebiet der Quantenmechanik drückt die Wahrscheinlichkeit, die Wellenfunktion etwas Primäres aus, während die statistische Gesetzmäßigkeit als Beschreibung der Ergebnisse der Messung eine Erscheinungsform ist. In der Quantenmechanik als theoretischer Wissenschaft werden die Substanz, die immanenten Gesetzmäßigkeiten und Erscheinungsformen in Einheit und Ganzheit betrachtet. Diese theoretische und ganzheitliche Betrachtung ist ein gewisses Ergebnis der wissenschaftlich-theoretischen Reproduktion des Objektes. Sie unterscheidet sich wesentlich vom ursprünglichen, chaotischen Ganzen, dem Sachgebiet, mit dessen theoretischer Analyse die Erkenntnis, die Herausstellung und Offenbarung der allgemeinen Grundlage, des Ausgangspunktes des konkreten Ganzen eigentlich beginnt. Dem Wesen nach beginnt mit dieser ursprünglichen „Zelle“, dem Allgemeinen der Aufstieg vom Abstakten zum Konkreten. Nur im Ergebnis einer solchen Bewegung des theoretischen Gedankens realisiert sich die geistige Reproduktion des Gegenstandes als lebendiges Ganzes. Die nichtrelativistische Quantenmechanik als theoretische Wissenschaft muss die ganzheitliche Natur des Mikroobjektes erklären. In diesem Zusammenhang entsteht die Frage: Wenn ein bestimmtes Sachgebiet, ein Gebiet von Mikroerscheinungen bekannt ist, was ist dann der Ursprung dieses Sachgebietes, von dem ausgehend das theoretische Verständnis der Mikroerscheinungen möglich ist? Dabei muss man sich unbedingt an die grundlegenden logischen Kriterien des Ursprungs, der elementaren „Zelle“ erinnern. 214 In der dialektischen Logik wird der Ursprung, die elementare „Zelle“ als allgemeine, unmittelbare Bestimmtheit des Ganzen verstanden. Im „Kapital“ ist dieses Allgemeine die Ware und die Warenbeziehungen. Darum beginnt auch Marx die Analyse der Ware, die die „Zelle“ des Kapitalismus ist, und entdeckt in dieser einfachsten Konkretheit seine Widersprüche. In diesem Zusammenhang ensteht die Frage: Was ist der Ausgangspunkt der Quantenmechanik? Es ist die Korpuskularwellen-Natur des Mikroobjektes. Die Frage nach dem Korpuskularwellen-Dualismus hat eine fundamentale Bedeutung in der Quantenmechanik. Von ihm hängen alle spezifischen Besonderheiten des Quantenobjektes ab, d. h. die fundamentale Wahrscheinlichkeit, der statistische Charakter, das Fehlen einer Bahn und die Unmöglichkeit der mechanisch-deterministischen Beschreibung des Quantenobjektes. Methodologisch sind das richtige Verständnis und die Interpretation der Quantenmechanik nur bei der prinzipiellen Betonung der Besonderheiten der Quantenerscheinungen möglich. Auf dem Gebiet der Quantenmechanik ist der Korpuskularwellen-Dualismus sowohl historisch als auch logisch das Ausgangselement. Alle Besonderheiten des Mikroobjektes kann man verstehen, wenn man von seiner Korpuskularwellen-Natur ausgeht. Dabei muss man beachten, dass der Terminus Korpuskularwellen-Dualismus nicht besonders glücklich gewählt ist. In der Quantenmechanik geht es nicht um Dualismus im philosophischen Sinne, sondern um die Korpuskularwellen-Natur des einheitlichen Ursprungs selbst. Wie in der Geschichte der Philosophie das synthetische Urteil a priori falsch als gnoseologischer Dualismus ausgelegt wurde, wird in der Quantenmechanik der einheitliche widersprüchliche Ursprung als Korpuskularwellen-Dualismus interpretiert. In den Teilchenwellen der Quantenmechanik haben wir einen einheitlichen Ursprung, der einen zwiespältigen Charakter hat. Auf dem Gebiet der Quantenmechanik sind einzelne terminologische Ungenauigkeiten weit verbreitet, die zu nicht richtigem Verständnis einiger wichtiger Kategorien, Begriffe in der Quantenmechanik führten. Das bezieht sich vor allem auf das berühmte Prinzip der Nachträglichkeit. Bei aufmerksamer und tiefschürfender Untersuchung ist dieses Prinzip seinem Inhalt nach dialektisch. In ihm ist terminologisch unglücklich die wichtige Idee der Einheit der Gegensätze ausgedrückt. Ähnlich, wie die Möglichkeit der Krise, des Widerspruchs des Kapitalismus schon embryonal in der Ware vorhanden ist, sind auch die Wechselbeziehungen der Unbestimmtheiten, die Unmöglichkeit einer eindeutigen Interpretation, das Prinzip der Nachträglichkeit im zwiespältigen Charakter der Mikroerscheinungen selbst enthalten. Alle Geheimnisse und Schwierigkeiten der Quantenmechanik sind embryonal im zwiespältigen Charakter der Mikroerscheinungen eingeschlossen. Zu dieser Frage hat Fok mit Bestimmtheit erklärt, dass alle Schwierigkeiten auf dem Gebiet der Quantenmechanik entfallen, wenn man die zwiespältige KorpuskularwellenNatur des Elektrons anerkennt, das Wesen dieses Dualismus´ aufklärt und begreift, auf was 215 sich die in der Quantenmechanik untersuchten Wahrscheinlichkeiten beziehen. Er hat dann weiter unterstrichen, dass die aus der Wellenfunktion erhaltenen Wahrscheinlichkeiten für unterschiedliche Größen sich auf verschiedene Versuchsanordnungen beziehen und dass sie nicht das Verhalten des Teilchens „an sich“ charakterisieren, sondern seine Einwirkung auf das Geraät eines bestimmten Typs. „Gerade in dieser potentiellen Möglichkeit“, schrieb Fok, „verschiedener Äußerungen von Eigenschaften, die dem Atomobjekt eigen sind, besteht der Dualismus der Welle-Teilchen“.42 „Die Wahrscheinlichkeit diesen oder jenen Verhaltens des Objektes unter den gegebenen äußeren Bedingungen wird von den inneren Eigenschaften des gegebenen individuellen Objektes und diesen äußeren Bedingungen bestimmt“.43 In der Entstehungsgeschichte der Quantenphysik hat der zwiespältige Charakter der Strahlung, der Mikroerscheinungen unterschiedliche Schwierigkeiten geschaffen. In den Wellen von L. de Broglie sahen die Physiker etwas Irrationales. In diesem Zusammenhang sind die theoretischen Ausführungen von Marx über die Natur der Ware interessant. Im Kapitel „Der Waren-Fetischismus und sein Geheimnis“ schrieb er: „Auf den ersten Blick scheint die Ware ein sehr einfaches und triviales Ding. Ihre Analyse zeigt, dass sie ein Ding mit Schrullen, metaphysischen Feinheiten und theologischen Tricks ist. Als Verbrauchswert enthält sie nichts Rätselhaftes ... Sobald sie aber zur Ware wird, verwandelt sie sich in ein sinnliches-übersinnliches Ding. Sie steht nicht nur mit ihren Beinen auf der Erde, sondern stellt sich vor aller Augen auf den Kopf, und ihr Holzkopf gebiert Schrullen, in denen mehr Verwunderliches ist, als würde sie aus eigener Initiative auf dem Tisch tanzen. Der mystische Charakter der Ware wird nicht durch ihren Verbrauchswert erzeugt. Genauso wenig wird er durch den Inhalt der Bestimmungen des Wertes erzeugt... Woher kommt also der rätselhafte Charakter des Produktes der Arbeit, sobald letzteres die Form der Ware annimmt? Augenscheinlich aus dieser Form selbst“.44 Bei allem Unterschied des Gegenstandes der politischen Ökonomie und der Quantenmechanik kann man in diesem Fall eine gewisse Analogie konstatieren. In der Quantenmechanik gibt es auch im Zusammenhang mit der Korpuskularwellen-Natur der Mikroerscheinungen jede Menge Schwierigkeiten. Lange Zeit haben die Physiker die fundamentale Wahrscheinlichkeit, die Natur der Wellenfunktion in der Quantenmechanik nicht verstanden. In Wirklichkeit ist nichts Kompliziertes oder Geheimnisvolles in der korpuskularen oder Wellen-Natur der Materie, wenn man nur eine dieser Seiten nimmt. In jedem dieser Fälle würden wir eine vollkommene Rechtfertigung des klassischen Determinismus, der eindeutigen Interpretation erhalten, und die Wechselbeziehungen der Unbestimmtheiten würden als Wechselbeziehungen von Ungenauigkeiten ausgelegt werden. Die 216 Hauptschwierigkeit in der Quantenmechanik entsteht aus jener Form der Materie, in der die Korpuskularwellen-Eigenschaft in unteilbarer Einheit betrachtet wird. In der Quantenmechanik ergeben sich notwendig und erklären sich aus der Einheit der Korpuskularwellen-Eigenschaft die fundamentale Wahrscheinlichkeit, die Wellenfunktion und die Auslegung der Ergebnisse verschiedener klassischer Messungen, die Ergänzungscharakter haben. Die Korpuskularwellen-Natur der Materie aht eine allgemeine Bedeutung in der Quantenmechanik. Sie ist der wahre Ursprung der Quantenmechanik - in historischer wie in logischer Betrachtung. C. Die historische Begründung des Ursprungs in der Quantenmechanik In der Physik fand ein Umbruch im Denken im Zusammenhang mit der Entdeckung der Diskontinuität der Strahlungsenergie statt. Bis dahin herrschte die Wellenkonzeption vor, in der jegliche Strahlung als Kontinuität betrachtet wurde. Im Zusammenhang mit der Lösung der Aufgaben der Strahlung der absoluten black box führte M. Planck die Idee der Diskontinuität ein (Wirkungsquantum h). Aber diese Hypothese wurde ursprünglich als temporäre Erscheinung betrachtet. Die Hoffnung der Gelehrten hat sich nicht erfüllt. In der Entwicklung der Physik begann die Konstante von Planck, ein Gebiet nach dem anderen zu erobern. Die Quantentheorie wurde von Einstein für die Erklärung der Natur des Foto-Effektes genutzt. Auch N. Bohr hat die Quanten-Idee produktiv für die Erklärung der Struktur der Atomspektren genutzt. Ein großer Triumph der Idee der Diskretheit war ihre experimentelle Bestätigung in den Versuchen von Compton. Das alles waren zweifellos wichtige Abschnitte des Triumphzuges der Quanten-Idee, die immer mehr Gebiet der Physik eroberte und so ihre Universalität demonstrierte. Freilich gehört das alles noch zur Vorgeschichte der Quantenmechanik. In letzterer gewinnt größte Bedeutung die Erarbeitung der Hauptprinzipien und Gleichungen der Quantenmechanik, die sich auf die Allgemeinheit der Korpuskularwellen-Natur der Materie stützen. In der Quantenmechanik entspricht die Korpuskularwellen-Natur des Mikroobjektes seiner logischen Natur nach der Ware im „Kapital“ von Marx. Ähnlich, wie die Analyse der Ware zur Entdeckung des Wertes und des Mehrwertes führt, führt auch in der Analyse der Diskretheit der Energie, der Korpuskularwellen-Natur der Materie zur Schaffung der Wellen-Gleichung der Quantenmechanik. Während in der theoretischen Begründung des „Kapitals“ die Bedeutung der Allgemeinheit der Ware, der Entdeckung der Arbeitskraft als Ware sehr groß ist, haben in der Quantenmechanik die Ideen von Einstein und de Broglie zur Korpuskularwellen-Natur des Mikroobjektes größte Bedeutung. 217 In der politischen Ökonomie gab die Analyse der Ware, die Entdeckung der Arbeitskraft als Ware die Möglichkeit zur Begründung des Mehrwertes. In der Quantenmechanik hat die Entdeckung und Begründung der Korpuskularwellen-Natur des Mikroobjektes fundamentale Bedeutung für die Aufstellung der Schrödinger-Gleichung. In der physikalischen Literatur wird richtig hervorgehoben, dass Schrödinger bei der Schaffung der Wellengleichung von den Ideen Einsteins und de Broglies ausgegangen ist. Zu dieser Frage hat Schrödinger in seiner Arbeit „Über das Verhältnis der Quantenmechanik von Heisenberg - Born - Jordan zu meiner“ geschrieben: „Meine Theorie wurde durch die Dissertation von de Broglie und die kurzen, aber äußerst tiefschürfenden Bemerkungen von Einstein angeregt“.45 In diesem Fall ist von der Idee des Teilchens die Rede, das untrennbar mit der Welle verbunden ist. In seinen Arbeiten über ideale Gase hat Einstein die Idee von de Broglie weiterentwickelt. Eigentlich ist der Hauptinhalt der Idee von de Broglie und der Arbeiten von Bose innerlich mit den fundamentalen Ideen Einsteins über die Natur der Strahlung verbunden. „Gerade dann“, schreibt Klein, „als die Versuche Comptons viele Physiker endgültig von der Realität der Quanten der Lichtteilchen-Strahlung überzeugt hatten, schloss sich Einstein dem Vorschlag von de Broglie an, dass Dualismus der Teilchen-Welle sowohl für die Strahlung als auch für die Materie zutrifft“.46 Bei der aufmerksamen Betrachtung der Geschichte der Physik zeigt sich klar, dass die Idee der Quantierung ursprünglich als Grenzfall im allgemeinen Bild der Physik entstand. Im Weiteren, wie schon aufgezeigt, hat die Quanten-Idee, die Korpuskularwellen-Natur der Materie das physikalische Denken uneingeschränkt erobert. Die Quanten-Idee verwandelte sich aus einem zufälligen, einem Grenzfall in etwas Fundamentales und Notwendiges in der neuen Physik. Für den Sieg der fundamentalen Ideen der neuen Physik, der Begründung der Korpuskularwellen-Natur der Materie sind die Verdienste von Einstein und de Broglie sehr groß. die Idee von der Korpuskularwellen-Natur des Lichtes hatte Einstein schon lange zuvor im Zusammenhang mit der Überwindung der Begrenztheit der vorherigen LichtTheorein geäußert. Bei seinem Auftritt auf dem Kongress in Salzburg hat Einstein nochmals hervorgehoben, dass „uns die nächste Phase der Entwicklung der theoretischen Physik die Theorie des Lichtes bringt, die im gewissen Sinne die Vereinigung der WellenTheorie des Lichtes mit der Theorie des Ausflusses ist“.47 Einstein sah klar die Hauptmängel der existierenden Wellen-Theorie des Lichtes. Sie war außerstande, rational solche Fragen zu klären, wie z. B.: Warum ist das Kurzwellen-Licht effektiver für den Ablauf chemischer Reaktionen als das Langwellen-Licht? Warum erhält das einzelne Foto-Elektron mehr Energie von einer Lichtquelle mit geringer Streuungsdichte? Und warum hängt die Energie eines solchen Foto-Elektrons nicht von der Intensität des Lichtes ab? - In dieser Hinsicht ist die Theorie produktiv, in der die Idee der Quanten angewandt und das Licht als Teilchen-Strom betrachtet wird. In diesem Fall wird 218 die Erscheinung des fotoelektrischen Effektes hinreichend erklärt, der eher auf die ausgerichtete als auf die sphärisch-symmetrische Emission des Lichtes hinweist. In seiner Theorie hat Einstein klar die fundamentale Bedeutung der Quanten-Idee (hv) und auch das verstanden, dass sie ernsthaft über den Rahmen der klassischen Physik hinausgeht. Während sich der Schöpfer der Quanten-Idee M. Planck mehrmals bemühte, die Konstante (h) mit der klassischen Theorie zu versöhnen, war Einstein von der Erfolglosigkeit eines solchen Bemühens überzeugt. „Der Schlüsselpunkt der Überlegung von Einstein“, schreibt Klein, „war die Verwandlung der Methode von Planck. Anstatt sich um die Ableitung des Gesetzes der Streuung zu bemühen und dabei von irgendeiner fundamentalen These auszugehen, ging er den entgegengesetzten Weg. Das Gesetz von Planck war durch Experimente gründlich bewiesen, - warum konnte man seine Richtigkeit nicht anerkennen und versuchen herauszubekommen, welche Folgen, die die „Struktur“ der Strahlung anbetreffen, sich aus ihm ergeben? Einstein hatte so etwas Ähnliches schon 1905 getan“.48 Mit seinen Gedanken über das freie Quant, über die Vereinigung der Wellen- und der Korpuskulartheorie des Lichtes war Einstein damals schon viel weiter als Planck, wovon zeugt, dass letzterer auf dem Kongress in Salzburg anlässlich des Auftritts von Einstein bemerkte: „Das scheint mir ein solcher Schritt zu sein, der meiner Ansicht nach heute noch nicht notwendig ist“.49 Später wurde die Idee des freien Quants durch Experimente, durch Messungen des fotoelektrischen Effektes durch R. Milikan bestätigt. In diesen Versuchen wurde bewiesen, dass die Strahlung gerichtet ist und jedes Quant die Bewegungsanzahl hv/c hat. Ein wichtiges Ereignis beim Beweis dieser Idee war der Compton-Effekt. Dank diesem Effekt erhielt die Quanten-Idee Einsteins eine breite Anerkennung. In seinem Brief an Compton schrieb Sommerfeld, dass seine Entdeckung „wie Beerdigungsmusik für die Wellentheorie der Strahlung klingt“. Nach den Arbeiten von Compton untersuchte W. Pauli das Wärme-Gleichgewicht der Strahlung und der freien Elektronen. Er stützte sich dabei auf die Arbeiten Einsteins aus dem Jahre 1917, um im Rahmen der Quanten-Theorie die Beschreibung der Wechselwirkung von Elektron und Strahlung zu finden, bei der sich ein thermisches Gleichgewicht bilden kann. Der entsprechende Mechanismus musste eine Strahlung ergeben, die dem Gesetz von Planck entsprach, während die kinetischen Energien der Elektronen der Streuung von Maxwell-Boltzmann genügen mussten. Die elementare Wechselwirkung musste genau so sein, wie im Compton-Effekt. In den Resultaten von Pauli traten freilich bestimmte Paradoxa und Schwierigkeiten auf. Sie wurden später leicht mit Hilfe der Ideen von Einstein überwunden, die mit dem Doppelcharakter der Strahlung verbunden waren. Die Schlüsse von Pauli erwiesen sich als natürliche Verallgemeinerung der frühen Arbeiten Einsteins. Wenn man sich auf die Arbeiten Einsteins stützt, kann man auch die Erscheinung der Interferenz und der Diffraktion in der Struktur der Strahlung verstehen. „Einstein hat schon 219 lange die Meinung geäußert“, schrieb Klein, „dass man beide Aspekte der Strahlung - die Welle und das Teilchen - zu einer fundamental neuen Theorie vereinen muss ...“.50 Eine ernsthafte Etappe beim siegreichen Vormarsch der Ideen Einsteins über LichtQuanten waren die Arbeiten von Bose, der sich die Aufgabe gestellt hatte, die Gesetze unmittelbar aus der Hypothese Einsteins abzuleiten. Auf dieses Ziel waren auch die Arbeiten von de Broglie ausgerichtet. Er wollte das Gesetz von Planck aus der statistischen Mechanik der Licht-Quanten ableiten, ohne auf die Theorie des Elektromagnetismus zurückzugreifen. Im Ergebnis dieser Forschung kam ursprünglich die Streuung von W. Wien heraus. Aber Louis de Broglie stellt mit Bestimmtheit fest, dass er das Gesetz von Planck nur unter der Bedingung der Untersuchung der Strahlung als Mischung von Gasen erhalten kann, deren Quanten die Energien hv, 2hv, 3hv ... nhv haben. In seiner Hypothese über den Dualismus der Teilchenwelle stützte sich de Broglie konsequent auf die Ideen Einsteins. „Plötzlich hatte ich eine Erleuchtung“, schrieb er. „Ich war überzeugt, dass der Dualismus der Teilchenwelle, den Einstein in seiner Theorie der Licht-Quanten entdeckt hatte, absolut allgemein ist und die gesamte physikalische Welt erfasst, und es schien mir deshalb unzweifelhaft, dass die Ausbreitung der Welle mit der Bewegung eines Teilchens beliebiger Art zusammenhängt - Photon, Proton und jedes anderen“.51 In diesem Fragment ist der Hauptinhalt der Dissertation von de Broglie widergespiegelt, die Einstein sehr hoch geschätzt hat. Der Grundgedanke von de Broglie war Einstein sehr nahe. Während Einstein die Eigenschaft des Teilchens der Strahlung zuschrieb, hat de Broglie die Wellen-Eigenschaft der Materie anerkannt. Die Wellen der Materie mit der Frequenz v und der Länge waren mit der Energie der Teilchen E und der Quantität der Bewegung P durch die Gleichungen E=hv, P=h/lambda verbunden. Auf der Basis dieser Gleichungen konnte de Broglie die Quanten-Bedingungen von Bohr-Sommerfeld erklären, die sich als Bedingungen der Resonanz für die Wellen der Materie erwiesen, wenn sich die entsprechenden Teilchen in einer Bahn bewegen. Die Idee der Teilchenwelle von de Broglie war revolutionär. Viele Zeitgenossen haben sie schwer verstanden. „Für Einstein“, schrieb Klein, „dessen Ideen für de Broglie die Ausgangspunkte waren, passten die Wellen der Materie natürlich in das allgemeine Bild. Seine Berechnungen des Quanten-Gases, die er anstellte, als er sich mit der Dissertation von de Broglie bekanntgemacht hatte, erbrachten tatsächlich neue Beweise für die Unterstützung der Idee von de Broglie“.52 In seinen Arbeiten hat Einstein die Gedanken von de Broglie entschieden unterstützt. Daran hat sich de Broglie selbst erinnert. „Die wissenschaftliche Welt jener Zeit“, schrieb er, „hat auf jedes Wort von Einstein gehört, denn er befand sich damals auf der Höhe seines Ruhmes. Indem er auf die Wichtigkeit der Wellenmechanik hinwies, hat der berühmte Gelehrte sehr viel für die Beschleunigung ihrer Entwicklung getan. Ohne seinen Artikel hätte man meine Dissertation erst viel später richtig eingeschätzt“.53 220 Im Weiteren sind die Ideen von de Broglie dauerhafter Bestandteil der physikalischen Wissenschaft geworden. Die Vorstellungen von den Wellen der Materie wurden von Elsasser zur Erklärung des Versuches von Ramsauer genutzt, der entdeckte, dass Elektronen, die durch das Feld um einige Volt beschleunigt werden, eine anomal große Laufbahn in inerten Gasen haben. Dieser Effekt ist hervorragend auf der Grundlage der Formel von de Broglie erklärbar. Was die Bedeutung der Arbeiten Einsteins zur Begründung der Teilchenwelle betrifft, so schrieb Elsasser: „Auf Umwegen über die statistische Mechanik erhielt Einstein vor kurzem ein hervorragendes physikalisches Ergebnis. Und zwar zeigte er die Glaubwürdigkeit der Annahme, dass man mit jeder Vorwärtsbewegung des materiellen Teilchens ein Wellen-Feld verbinden kann, wobei die Eigenschaft dieses Feldes durch die Kinematik des Teilchens bestimmt wird. Die Hypothese derartiger Wellen, die schon vor Einstein von de Broglie aufgestellt wurde, erhält eine solche kräftige Unterstützung dank der Theorie Einsteins, dass es vernünftig erscheint, ihre experimentelle Bestätigung zu suchen“.54 So erkämpfte sich die Idee der Teilchenwelle einen festen Platz in der Physik. Von ihr ging Schrödinger aus, als er die Wellen-Gleichung der Quantentheorie schuf. „Deshalb“, schreibt Klein, „war er gut darauf vorbereitet, die Stärke und Novität der Theorie Einsteins einzuschätzen und zu erforschen, welche Schlussfolgerungen sich aus ihr ergeben“.55 Die Bedeutung der Idee der Teilchenwelle von de Broglie und Einstein ist groß für die Begründung der Quantenmechanik - sowohl historisch als auch logisch. In der Quantenmechanik hat die Wellen-Gleichung genau so eine Bedeutung wie der Wert und der Mehrwert in „Kapital“ von Marx. Während Marx die Entstehung des Mehrwertes mittels der Entdeckung einer besonderen Ware - der Arbeitkraft - erklärt, wird in der Quantenmechanik die Wellenfunktion von der Korpuskularwellen-Natur der Materie abgeleitet. In diesem Zusammenhang muss betont werden, dass es von Anfang an bei der Wellenfunktion keine Mystik gab. Zu ihrem strengen theoretischen Verständnis war es notwendig, die besondere Natur des Mikroobjektes zu beachten, das sich kraft gegensätzlicher Wellen- und Korpuskular-Eigenschaften nicht dem klassischen Determinismus unterordnet, sondern spezifischen Gesetzen, in denen die Wahrscheinlichkeiten fundamentale Bedeutung haben. In Form der Wellen-Gleichung wurde die substantielle Gleichung der Quantenmechanik geschaffen. Ähnlich, wie Marx den Mehrwert unabhängig von Erscheinungsformen betrachtet (was die Folge der theoretischen, dialektischen Untersuchung ökonomischer Erscheinungen ist), wird in der Quantenmechanik die Wellenfunktion unabhängig von den Erscheinungsformen betrachtet. In der Wellenfunktion drückt sich der objektiv mögliche Zustand des Mikroobjektes vor der Messung mittels eines klassischen Gerätes aus. In diesem Zusammenhang hat die Feststellung von Fok einen tiefen Sinn, in der er strikt das Mögliche und das Wirkliche im Verhalten des Mikroobjektes unterscheidet. 221 In diesem Fall zeigte sich deutlich der Unterschied zwischen theoretischem Herangehen an wissenschaftliche Forschungen und empirischen Untersuchungen von Erscheinungen. In der empirischen Forschung hat das Verstehen jeden Faktes, Resultates des Experimentes eine sich selbst genügende Bedeutung. Aber es ist unzulässig, außerhalb dieser Erscheinungen nach etwas zu suchen. Im Gegensatz dazu bedeutet das theoretische Herangehen das Verstehen des Faktes oder einer Gruppe von Erscheinungen ihre Rückführung auf etwas Einheitliches, eine Substanz, deren Erscheinungsform sie sind. Da die Substanz, der einheitliche Ursprung der empirischen Form nicht unmittelbar entspricht, wird sie anfangs unabhängig von ihren Erscheinungsformen betrachtet. In der nichtrelativistischen Quantenmechanik werden nicht einfach Quantensprünge beschrieben, die Wechselbeziehungen der Unbestimmtheiten, Statistik u. a., sondern sie werden alle als Folge der Korpuskularwellen-Natur der Mikroerscheinungen betrachtet. In den theoretischen Überlegungen Foks über Möglichkeiten und Wirklichkeiten ist dem Wesen nach die Beziehung der Substanz, des Ursprungs zu den Erscheinungsformen erfasst. In der Wellen-Gleichung von Schrödinger, in der Wellenfunktion ist das Substantielle, das Wesen der Mikroerscheinungen aufgedeckt und widergespiegelt. In ihnen wird der objektive, potentiell mögliche Zustand des Mikroobjektes beschrieben. Die Wellenfunktion bezieht sich hauptsächlich auf das Verhalten der Mikroerscheinungen, die in reiner Form erforscht werden, d.h. unabhängig von Erscheinungsformen. Bei der Analyse des möglichen Zustandes kann man vom Einfluss des Makrogerätes auf das Verhalten der Mikroerscheinungen abstrahieren. In diesem Fall ist die Lage analog der theoretischen Analyse im „Kapital“ von Marx. Ursprünglich hat Marx die Genesis des Kapitals in reiner Form erforscht, er hat noch nicht die Einflüsse der Konkurrenz, den Kapitalfluss und die Wirkung des Gesetzes der mittleren Profitnorm beachtet. Deshalb widerspricht die Mehrwertnorm der Profitnorm. Alle diese Schwierigkeiten hat Marx im „Kapital“ gelöst. Auf dem Gebiet der Quantenmechanik haben wir das gleiche Bild. In der Wellen-Gleichung und in der Wellenfunktion ist der ideale, objektive Zustand des Mikroobjektes zu spüren, aber er fällt nicht mit dem Bild zusammen, das nach der faktischen Messung entsteht. Diese zwei Zustände unterscheiden sich voneinander wie das Mögliche vom Wirklichen, wie die Substanz von den Erscheinungsformen. Die Quantenmechanik ist eine theoretische Wissenschaft, die das ganzheitliche Bild der Quantenerscheinungen beschreibt; sie macht nicht bei der Aufdeckung des Ausgangspunktes, bei der Beschreibung von Mikroerscheinungen und ihrem mathematischen Ausdruck halt, sondern bemüht sich, das ganzheitliche Bild der Mikroerscheinungen zu verstehen. Bei aller seiner Bedeutung ist der Ursprung noch ein unentwickelter, möglicher, abstrakter Zustand des Objektes. Nur der theoretische Aufstieg vom Ursprung zum Resultat, vom Möglichen zum Wirklichen, vom Abstrakten zum Konkreten gibt die Möglichkeit, ein möglichst vollständiges, ganzheitliches Bild des erforschten Objektes zu verstehen und theoretisch auszudrücken. 222 ________________________ 1 Die Rede ist hauptsächlich von der speziellen Relativitätstheorie 2 Mandelstam L. I. Gesammelte Werke. M. 1950, Band V, S. 91 3 a. a. O., S. 92 4 Louis de Broglie Eine Revolution in der Physik. M. 1963, S. 65 - 66 5 Mandelstam L. I. Gesammelte Werke, Band V, S. 94 6 a. a. O., S. 120 7 a. a. O., S. 141 8 Lorentz H. A. Theorie der Elektronen. M. 1956, S. 247 9 Einstein A. Sammlung wissenschaftlicher Werke, Teil 1, S. 414 10 a. a. O. 11 Lorentz H. A. Theorie der Elektronen. S. 284 12 a. a. O., S. 293 13 a. a. O., S. 438 14 Born M. die Physik im Leben meiner Generation. M. 1963, S. 318 15 a. a. O., S. 322 16 Louis de Broglie. Eine Revolution in der Physik. S. 66 -67 17 Einstein A. Sammlung wissenschaftlicher Werke, Band 1, S. 686 18 Born M. Die Physik im Leben meiner Generation, S. 318 19 a. a. O., S. 415 20 Marx K., Engels F. Werke, Band 23, S. 6 21 Born M. die Physik im Leben meiner Generation, S. 327 22 Es muss bemerkt werden, dass Einstein in seinen späteren Artikeln immer die Bedeutung des Versuches von Michelson betont hat. So sagte er in einer seiner Vorlesungen 1921 zu den Versuchen, die keinen Einfluss der Vorwärtsbewegung der Erde auf elektromagnetische und optische Erscheinungen aufgezeigt haben: „Die wichtigsten dieser Versuche sind die von Michelson und Morley.“ (Einstein A. Sammlung wissenschaftlicher Werke, Band 2, S. 22) 23 Einstein A. Sammlung wissenschaftlicher Werke, Band 1, S. 685 24 a. a. O., S. 65 - 67, 138 - 144, 410 - 415 usw. 25 a. a. o., S. 540 26 a. a. O. 27 Kusnezow B. G. Gespräche über die Relativitätstheorie. M. 1965, S. 122 28 Born M. Die Physik im Leben meiner Generation, S. 322 29 a. a. O., S. 320 - 321 30 Das Relativitätsprinzip, M. - L. 1935, S. 23 223 31 Mandelstam L. I. Werke Band V, S. 173 - 174, 200 - 201 32 a. a. O., S. 181 33 Einstein A. Sammlung wissenschaftlicher Werke. Band 2, S. 25 34 Marx K., Engels F. Werke. Band 38, S.177 35 Zitiert aus: Die Entwicklung der modernen Physik. M. 1964, S. 60 36 Philosophische Probleme der modernen Naturwissenschaft. M. 1959, S. 213 37 a. a. O. 38 Marx K., Engels F. Ausgewählte Werke. Band II, M. 1955, S.442 39 Philosophische Probleme der modernen Naturwissenschaft, S. 221 40 a. a. O. 41 a. a. O., S. 222 42 a. a. O., S. 220 43 a. a. O., S. 227 44 Marx K., Engels F. Werke. Band 23, S. 80 - 81 45 Einstein - Sammelband. M. 1966, S. 213 46 a. a. O., S. 214 47 Einstein A. Sammlung wissenschaftlicher Werke. Band III, S. 181 48 Einstein - Sammelband, S. 219 49 a. a. O., S. 215 50 a. a. O., S. 234 51 a. a. O., S. 241 52 a. A. O., S. 242 53 a. a. O., S. 248 54 a. a. O., S. 249 55 a. a. O., S. 250 224 Kapitel VI Analyse des Begriffs des Ursprungs in der Relativitätstheorie und in der Quantenmechanik Der Ursprung in der Relativitätstheorie A. Fragestellung Die Frage nach dem Ausgangspunkt des wissenschaftlich-theoretischen Wissens wurde bisher in allgemein-theoretischer, dialektisch-logischer Hinsicht betrachtet. In den vorangegangenen Kapiteln wurden am Beispiel konkreter Wissenschaften die Hauptkriterien des Ausgangsgsallgemeinen eines ganzheitlichen Systems aufgezeigt. Dabei wurde als Beispiel einer entwickelten Form der Erforschung dieses Problems „Das Kapital“ von K. Marx genannt, in dem die Grundprinzipien der dialektischmaterialistischen Logik herausgearbeitet sind. Die Nützlichkeit und Notwendigkeit der Anwendung der logischen Methode von Marx auf soziale und organische Objekte ruft keinen Zweifel hervor. In der Literatur ist jedoch die Bedeutung der dialektischen Logik, der Logik des „Kapitals“ bei der Erforschung, dem theoretischen Verständnis physikalischer Objekte noch schwach beleuchtet. Wenn man die Natur, den Charakter moderner physikalischer Theorien aufmerksam analysiert, so stellt sich klar heraus, dass bei allem Unterschied physikalischer Systeme von organischen und sozialen auf dem Gebiet der Physik eine ähnliche Logik und Methodologie vorherrschen. Dieses Kapitel unserer Arbeit ist hauptsächlich der Analyse des Begriffs des Ursprungs in der Logik der Relativitätstheorie von A. Einstein gewidmet.1 Der tiefschürfende physikalische Inhalt, die Bedeutung der speziellen Relativitätstheorie ist allgemein bekannt und steht außer Zweifel. Es ist jedoch schwer, das Gleiche von den logischgnoseologischen Problemen der Relativitätstheorie zu sagen. Offensichtlich war seinerzeit die Diskussion zur Logik der Relativitätstheorie, die A. Alexandrow begonnen hat, dadurch hervorgerufen. Die von ihm gestellte Frage nach der Logik der Relativitätstheorie, nach dem inneren Zusammenhang und der Subordination ihrer Kategorien hat zweifellos große Bedeutung. Die Aktualität der Probleme der Logik der Relativitätstheorie ist selbstverständlich nicht nur durch diese Fragestellung entstanden. Umgekehrt, die Diskussion selbst ist die Folge der Aktualität und der Notwendigkeit der Erforschung der inneren Logik, der inneren Wechselbeziehung der Kategorien der Relativitätstheorie. Die Frage nach der Logik der Relativitätstheorie, nach der Methode der Wiedergabe der Wirklichkeit durch Einstein war aktuell und notwendig auch in dem Fall, wenn es keinerlei Diskussion über Methode und Logik der Relativitätstheorie gegeben hätte. Die Diskussion über die Logik der Relativitätstheorie trug jedoch zur tiefgründigen Erforschung der logisch-gnoseologischen Probleme der Relativitätstheorie bei. Darin besteht ihre positive Bedeutung. 225 Die Erforschung der logischen Probleme der Relativitätstheorie ist aktuell auch in dem Zusammenhang, dass sie die erste physikalische Theorie des XX. Jahrhunderts ist, mit deren Schaffung und Erarbeitung eine radikale Umwälzung alter Begriffe und Vorstellungen in der physikalischen Wissenschaft verbunden ist. Auf dem Gebiet der Physik ist es üblich, dass viele moderne physikalische Theorien, die mit der Relativitätstheorie nicht unmittelbar zu tun haben, mit ihr doch dem Denkstil, der Logik und der Methodologie nach verbunden sind. Es handelt sich darum, dass sich ihrem Charakter, der Problemstellung, der Struktur und Methode nach die Relativitätstheorie Einsteins wesentlich von alten, klassischen physikalischen Theorien unterscheidet. Sie erklärt eine große Klasse physikalischer Erscheinungen, die nicht in den Rahmen früherer physikalischer Theorien passen. In der Entwicklung der Physik erforderten diese Erscheinungen eine grundlegende Veränderung der alten Vorstellung von Raum und Zeit, eine radikale Revision der alten, klassischen Denkungsart in der physikalischen Theorie. Hauptsächlich kann man hier das Verständnis und Erfassen der elektromagnetischen Erscheinungen in beweglichen Medien erwähnen. Im theoretischen Verständnis dieser Erscheinungen hatten sich bestimmte Schwierigkeiten herausgebildet, die mit der Frage der Wechselbeziehungen von elektromagnetischen Erscheinungen und Äther zusammenhängen. In der Relativitätstheorie hat Einstein alle Schwierigkeiten, die mit diesem Problem verbunden sind, von der Position einer neuen Methodologie aus gelöst und erklärt. In ihr sind eine revolutionär kühne Erklärung einer großen Klasse physikalischer Erscheinungen und tiefes Verständnis und Anwendung einer neuen Methode und Logik des Denkens vereinigt und ist ein tiefgehender Zusammenhang solcher fundamentalen Begriffe in der Physik, wie Raum und Zeit, Masse und Energie, Relatives und Absolutes gefunden worden, was einen radikalen Einfluss auf die gesamte Kultur des Denkens genommen hat. „Darum ist das Relativitätsprinzip“, schrieb Mandelstam, „über den Rahmen hinausgewachsen, der ihm von den unmittelbaren physikalischen Aufgaben gesteckt war. Darum wurde auch die Mechanik erfasst und schließlich die gesamte Physik. So ist das gewaltige Interesse zu erklären, das - wie Sie wissen - die Relativitätstheorie nicht nur unter Physikern hervorgerufen hat“.2 Bei der Analyse der Logik der Relativitätstheorie darf ebenfalls nicht vergessen werden, dass Einstein in seiner Theorie nicht einfach alte, klare und exakte Begriffe durch neue ersetzt hat. Einstein hat in Wirklichkeit gezeigt, dass viele Begriffe und Vorstellungen, mit denen früher operiert wurde, abstrakt und rational waren. Vom Standpunkt der neuen Fakten aus hielten sie keiner Kritik stand. Viele Aussagen der alten Physiker hatten, wie in der Literatur zu Recht vermerkt wird, „überhaupt keinen Sinn, und das war hauptsächlich der Grund für jene Missverständnisse, auf die man stieß, wenn man sich bemühte, diese oder jene physikalische Erscheinung theoretisch zu begründen“.3 226 Verstandesmäßige und abstrakte Vorstellungen über Raum und Zeit, ihre Verabsolutierung behinderten ernstlich das tiefe Verständnis physikalischer Probleme, die mit der Elektrodynamik beweglicher Medien zusammenhingen und traten in Widerspruch zu exakt festgestellten Fakten. In der Relativitätstheorie Einsteins sind alle diese Schwierigkeiten fundamental gelöst mittels Erarbeitung eines konkreten, dialektischen Begriffes von Raum und Zeit. Hier ist eine gewisse Analogie mit dem konkreten, dialektischen Verständnis philosophischer Kategorien in der Logik angebracht. In seiner grandiosen Logik hat Hegel mit dem Prinzip der Entwicklung als Ergebnis des Widerspruchs das alte, abstrakte Verständnis der Kategorien „umgekehrt“ verändert, das in der rationalen Philosophie anzutreffen war. In ihr schien z. B. absolut und unzweifelhaft die Gegenüberstellung von Zufall und Notwendigkeit, von Positivem und Negativem. Jede Seite einer paarigen Kategorie wurde einzeln bestimmt, nicht im Verhältnis zur anderen. Aus diesem Grund wurden der innere Zusammenhang, die Einheit von Zufälligem und Notwendigem nicht verstanden; man betrachtete sie einfach als einander ausschließende Begriffe. Im Gegensatz zur gesamten alten, nichtdialektischen Logik deckte Hegel die inneren Zusammenhänge dieser Kategorien auf der Grundlage des Gesetzes von der Einheit der Gegensätze auf. Von nun an hatten alle paarigen philosophischen Kategorien - das Notwendige und das Zufällige, das Positive und das Negative, das Innere und das Äußere usw. - keine wahre Bedeutung mehr in ihrer Zergliederung, sondern nur innerlich zusammenhängend und ungetrennt. In der Relativitätstheorie tat Einstein das Gleiche. Er tauschte radikal das alte, rationale Verständnis von Raum und Zeit gegen ihr neues, konkretes und dialektisches Verständnis aus. Deswegen hat die Relativitätstheorie Einstens auch so große Bedeutung für die dialektische Logik und die moderne Denkkultur. B. Die Lösungssuche nach Fragen der Elektrodynamik beweglicher Medien und ihre methodologischen Mängel Bei der Erarbeitung der Relativitätstheorie ist die Bedeutung der Erforschung optischer und elektromagnetischer Erscheinungen in beweglichen Medien sehr groß. Die Relativitätstheorie selbst entstand im Ergebnis der theoretischen Lösung der Schwierigkeiten mit elektromagnetischen Erscheinungen in beweglichen Medien. Zur Bedeutung der optischen und elektromagnetischen Erscheinungen in beweglichen Medien bei der Schaffung der Relativitätstheorie schrieb Louis de Broglie in seinem Buch „Eine Revolution in der Physik“: „Die Entwicklung der Relativitätstheorie begann faktisch mit der Erforschung einiger Fragen, die mit optischen Erscheinungen zusammenhängen, die in beweglichen Medien vor sich gehen. Fresnels Vorstellung vom Licht setzte die Existenz des Äthers voraus, der das Weltall ausfüllt und in alle Körper dringt. Ein derartiger Äther 227 spielte die Rolle des Mediums, in welchem sich die Lichtwellen ausbreiten. Die elektromagnetische Theorie von Maxwell schwächte seine Rolle etwas ab, da diese Theorie nicht erfordert, dass Lichtschwankungen Schwankungen irgendeines Äthers sein müssen. In der Theorie von Maxwell werden die Lichtschwankungen vollständig durch die Aufgabe der Vektoren des elektromagnetischen Feldes bestimmt. Nachdem alle Versuche der mechanistischen Interpretation der Gesetze der Elektrodynamik misslungen waren, betrachtete man schließlich die Felder in der Theorie von Maxwell als Ausgangsbegriffe, die es nutzlos ist, in die Sprache der Mechanik zu übersetzen. Ab diesem Moment verschwand jegliche Notwendigkeit, die Existenz eines elastischen Mediums vorauszusetzen, welches elektromagnetische Schwankungen überträgt, und man hätte denken können, dass der Begriff des Äthers unnütz wird. In Wirklichkeit verhielt es sich nicht ganz so, und die Anhänger von Maxwell, insbesondere Lorentz, waren gezwungen, die Frage nach dem Äther neu zu stellen ... Denn die elektromagnetischen Gleichungen von Maxwell genügten dem Relativitätsprinzip der klassischen Mechanik nicht“.4 In diesen Überlegungen von Louis de Broglie ist die gesamte historische Voraussetzung der speziellen Relativitätstheorie erfasst. Die große Bedeutung der Relativitätstheorie von Einstein besteht darin, dass in ihr alle Schwierigkeiten der Erkenntnis der elektromagnetischen Erscheinungen in beweglichen Medien begriffen und gelöst wurden, wobei von tiefgehenderen theoretischen Grundlagen ausgegangen wurde, als das früher in der Physik der Fall war. Deshalb hat die Analyse der hauptsächlichen theoretischen Ansichten vor Einstein große Bedeutung für das tiefgründige Verständnis des Inhalts der Relativitätstheorie. Die kritische Analyse der theoretischen Vorstellungen vor der Relativitätstheorie zu Problemen der Elektrodynamik beweglicher Medien hat nicht nur historische Bedeutung, sondern ist zutiefst mit dem Verständnis der inneren Logik dieser Theorie verbunden. Über die Wichtigkeit und Notwendigkeit der vorhergehenden Forschungen für das Verständnis des Wesens der Relativitätstheorie schrieb Mandelstam: „Die Kenntnis der historischen Entwicklung irgendeiner Grundtheorie ist immer interessant und lehrreich, jedoch nicht immer notwendig. Z. B. kann man die Wellenoptik ohne Verbindung mit der Korpuskularoptik Newtons darlegen. In der Frage des Relativitätsprinzips ist die Situation m. E. jedoch etwas anders, und das aus einer ganzen Reihe von Gründen. Man muss allmählich zu den paradoxen Schlüssen der Relativitätstheorie gelangen, muss die Unvermeidlichkeit dieser Schlüsse begreifen, muss wissen, wie die größten Gelehrten versucht haben, diese Schwierigkeiten zu umgehen, und wie ihnen das nicht gelungen ist“.5 Die spezielle Relativitätstheorie umfasst eine große Gruppe von physikalischen Erscheinungen, die nicht in den Rahmen alter physikalischer Theorien und Vorstellungen hineinpassen. Hauptsächlich geht es hier um elektromagnetische Erscheinungen in beweglichen Medien. Ende des vorigen Jahrhunderts traten sie bei der Entwicklung der Physik als wichtigste Probleme (ein bestimmtes Sachgebiet) auf, deren theoretisches 228 Verständnis für die physikalische Wissenschaft notwendig ist. Außerdem führte die Erforschung dieser Erscheinungen zu bestimmten Schwierigkeiten, die hauptsächlich mit der Wechselbeziehung von Äther und elektromagnetischem Feld zusammenhängen. Anfang des XIX. Jahrhunderts setzte sich dank der Forschungen von Jung und insbesondere von Fresnel in der Physik die Vorherrschaft der Wellen-Theorie gegenüber der Korpuskular-Theorie des Lichtes durch. Die Wellen-Theorie vermochte alle Interferenz-, Diffraktions- und Polarisationserscheinungen zu erklären. Mit dem Sieg dieser Theorie ist jedoch auch die Entstehung des Problems des Äthers verbunden, da die Wellen-Theorie ein Medium voraussetzte, in welchem sich die Lichtwellen verbreiten. In den Arbeiten Fresnels wird auch die Frage gestellt und untersucht, wie die Erdumdrehung auf optische Erscheinungen einwirkt. Dieses wichtige Problem hat er auf der Grundlage der Wellen-Theorie gelöst, die sich auf die Annahme stützte, dass der gesamte Raum mit unbeweglichem Äther angefüllt ist. Wenn der Äther unbeweglich ist, ist es nastürlich anzunehmen, dass sich die Bewegung in Bezug auf den Äther irgendwie auf die optischen Erscheinungen in beweglichen Medien auswirkt. So muss sich die Brechung des Lichtes in beweglichen Körpern von der in unbeweglichen Körpern unterscheiden. Aber eine derartige Annahme hat sich im Versuch nicht gerechtfertigt, darum hat Fresnel das negative Ergebnis solcher Versuche mit der Hypothese erklärt, dass der erwartete Effekt in erster Ordnung bezogen auf w ( w - Geschwindigkeit des beweglichen Körpers c in Bezug zum Äther, c - Lichtgeschwindigkeit) durch teilweises Mitreißen des Äthers von den sich bewegenden Körpern kompensiert wird. Es wurde jedoch angenommen, dass in zweiter Ordnung bezogen auf w die Versuche den Einfluss der Bewegung der Körper im c Verhältnis zum Äther auf die optischen Erscheinungen aufdecken müssten. In seinen Forschungen hat Fresnel noch den wichtigen Gedanken unterstrichen, dass vom Standpunkt der Wellen-Theorie die Lichtgeschwindigkeit nicht von der Bewegung der Quelle abhängt, obwohl diese These bei ihm nur als Hypothese vorkommt. Auf diese Art und Weise hat die Theorie von Fresnel scheinbar alle damals gemachten Versuche zur Optik beweglicher Medien (sie waren alle nur erster Ordnung bezogen auf w ) befriedigend erklärt. Aber dieser glückliche Umstand erwies sich als nur scheinbar. c Die Versuche, den Äther als Körper zu charakterisieren, führten nicht zum Erfolg und schufen für die Physik ständig neue Schwierigkeiten (in den Fragen des freien Passierens der Planeten, der Widerspiegelung und der Brechung des Lichtes und dgl.). Mit der Erarbeitung der elektromagnetischen Theorie von Maxwell wurde die Frage nach der Natur des Äthers noch komplizierter, da hier das Licht als spezieller Fall elektromagnetischer Wellen betrachtet wurde. Die mechanischen Modelle des Äthers mussten nun nicht nur optische, sondern auch elektromagnetische Erscheinungen 229 umfassen, und die Schwierigkeiten des Äther-Problems wuchsen an. Schließlich hörten die Physiker auf, ein mechanisches Modell des Äthers zu konstruieren, nachdem sie sich davon überzeugt hatten, dass es unmöglich ist, Gesetze der Elektrodynamik mechanisch zu interpretieren. Man begann, dem Äther elektromagnetische Eigenschaften zuzuschreiben, und als hypothetisches Medium trat er in den Hintergrund. Die Äther-Frage wurde neuerlich im Zusammenhang mit elektromagnetischen Erscheinungen in beweglichen Medien gestellt. Die Gleichungen Maxwells bezogen sich auf Erscheinungen in ruhenden Körpern, die Versuche von Rowland, Röntgen, Eichenwald, Wilson und anderen brachten neue Effekte in elektromagnetischen Erscheinungen in beweglichen Medien zutage. Außerdem entstand die Frage: Welchen Einfluss hat die gleichmäßige Vorwärtsbewegung der Erde auf elektromagnetische Erscheinungen? Es gab Versuche von Röntgen, Rankine und anderen, die negative Ergebnisse brachten, was den Einfluss der Erdumdrehung betraf. So entstand die Notwendigkeit, eine Theorie der elektromagnetischen Erscheinungen in beweglichen Medien zu schaffen. Mit anderen Worten - es bestand ein sehr reales Problem: Wie können die Gleichungen von Maxwell auf bewegliche Körper angewendet werden? Während diese Gleichungen im unbeweglichen Koordinatensystem bekannt sind, ist unklar, wie sie in einem anderen System aussehen, das sich im Verhältnis zum ersteren geradlinig und gleichmäßig bewegt. Die zweite Frage ist nicht nur für elektromagnetische Erscheinungen spezifisch, sie ist auf bestimmte Weise auch in der Mechanik untersucht worden. Es wurde festgestellt, dass mechanische Erscheinungen in Inertialsystemen gleichartig ablaufen (Relativitätsprinzip von Galilei). Das erhielt seinen mathematischen Ausdruck in der Invarianz der Gleichungen Newtons im Verhältnis zu den Transformationen von Galilei: / x x wt / t t die als Verkörperung der Anschauung Newtons zu Raum und Zeit galten. In der Mechanik wurden das Relativitätsprinzip und die Invarianz der Transformationen von Galilei identifiziert. Die Invarianz ist eng mit der Vorstellung von der Homogenität und dem isotropen Charakter des Raumes verbunden. Die Invarianz „besteht darin, dass, wenn ich den untersuchten Körper im neuen Koordinatensystem genau so unterbringe, wie früher im alten, die Gleichungen im neuen System mit den Gleichungen im alten identisch sind. Darin besteht gerade die Homogenität und der isotrope Charakter des Raumes, und ihr Vorhandensein erfordert, dass ein und der gleiche Versuch in verschiedenen Koordinatensystemen wiederholt werden kann“.6 Wenn z. B. ein Punkt im Verhältnis zu dem einen System ruht und sich im Verhältnis zu dem anderen System bewegt, spielt hier der Unterschied von Anfangsbedingungen eine Rolle. Wenn sie in beiden Systemen gleich gefasst sind, werden auch die Bewegungen identisch sein. Folglich existiert eine endlose 230 Anzahl von Systemen, die sich geradlinig und gleichmäßig im Bezug zur Ausgangsstellung (und zueinander) bewegen, in denen die Gesetze der Mechanik identisch sind. Unter diesen Systemen gibt es kein irgendwie herausgehobenes. Wenn so ein Bezugssystem existierte und die Gleichungen Newtons nur in diesem System richtig wären, gäbe es unbedingt die absolute Bewegung. Kehren wir nun zur Elektrodynamik beweglicher Körper zurück. Den ersten Versuch in Richtung der Verallgemeinerung der Gleichungen von Maxwell für bewegliche Körper machte bekanntlich H. Hertz. Er bemühte sich, Gleichungen zu erhalten, die in Bezug zu den Transformationen Galileis invariant sind, d. h. das Relativitätsprinzip auch für elektromagnetische Erscheinungen zu erhalten. Aber der Versuch von Hertz war nicht von Erfolg gekrönt. Die Gleichungen von Hertz waren nicht nur invariant in Bezug zu den Transformationen von Galilei, sondern auch bezüglich jeder beliebigen Bewegung des untersuchten Systems. Die Analyse der Gleichungen von Hertz führt außerdem zu dem Standpunkt von der vollständigen Mitführung des Äthers, was der Erscheinung der Aberration und dem Versuch von Fizeau widerspricht. Über die Ergebnisse der Theorie von Hertz schrieb Mandelstam: „Die riesige Zahl von Versuchen zeigt, dass sich die Vorwärtsbewegung der Erde wirklich nicht auf elektromagnetische Erscheinungen auswirkt, und hier steht scheinbar alles zum Besten. Aber die Theorie von Hertz geht weiter: Ihre Gleichungen sind invariant bei jeglicher Bewegung des Systems als fester Körper. Es gibt jedoch eine ganze Reihe von Versuchen mit Körpern, die sich im Verhältnis zur Erde bewegen (die Versuche von Fizeau, Eichenwald, Wilson u. a.), die die Theorie von Hertz nicht bestätigen, durch sie entweder gar nicht oder nur qualitativ erklärt werden; quantitativ ergibt sich ein für die Theorie typisches Auseinandergehen“.7 In der weiteren Entwicklung der Physik zog man aus der Theorie von Hertz den Schluss, dass das Relativitätsprinzip in der Elektrodynamik keinen Platz hat, da seine Zulassung zu einem vollständig mitgerissenen Äther führt. H. A. Lorentz hat sich bewusst vom Relativitätsprinzip bei der Verallgemeinerung der Maxwell-Gleichungen für bewegliche Körper losgesagt. Er postuliert die Existenz eines alles durchdringenden, homogenen, isotropen und unbeweglichen Äthers. Das mit dem Äther zusammenhängende Bezugssystem ist ein ausgewähltes und vorherrschendes System. Deshalb hat in Bezug auf den Äther die absolute Bewegung einen Sinn. Der Äther unterscheidet sich laut Lorentz von einem gewöhnlichen Stoff, da er niemals in Bewegung versetzt wird und weder Geschwindigkeit noch Beschleunigung besitzt. Deshalb darf man nicht von der Masse des Äthers oder von auf ihn angewendeten Kräften sprechen. In der Theorie von Lorentz tritt der Äther nur als Überträger aller Kräfte auf, die auf einen Stoff einwirken: elektromagnetischer, molekularer, Anziehungskräfte u. a. Der Stoff besteht aus positiv und negativ geladenen Teilchen. Mit der Verteilung und Bewegung von Elektronen bemüht sich Lorentz, alle elektromagnetischen und optischen Erscheinungen zu erklären, die im unbeweglichen Äther vor sich gehen. 231 Für den reinen Äther behält Lorentz die Maxwellsche Gleichung für das Vakuum bei, verfasst dann ein System von Differentialgleichungen für den Fall, dass Ladungen vorhanden sind, die sich im Verhältnis zum Äther bewegen. Zu diesem Gleichungssystem fügt er einen Ausdruck für die Dichte der Kraft hinzu, die auf die sich bewegenden Ladungen einwirkt. Da in ihnen schon die Bewegung berücksichtigt ist, sollten diese Gleichungen alle elektromagnetischen Erscheinungen, darunter auch die in beweglichen Medien, erklären. Es muss nochmal betont werden, dass Lorentz seine Theorie hauptsächlich für bewegliche Körper geschaffen hat. Er schrieb: „Elektromagnetische und optische Erscheinungen in Systemen, die eine Vorwärtsbewegung haben - und das sind wegen der Jahres-Umdrehung der Erde alle Körper auf der Erde - sind von großem Interesse nicht nur an und für sich, sondern auch deshalb, weil sie uns die Möglichkeit geben, verschiedene Theorien der Elektrizität zu überprüfen. Die Elektronen-Theorie wurde zum Teil mit dem speziellen Ziel entwickelt, auch diese Erscheinungen zu erfassen“.8 Bei der Mittelwertbildung der Gleichungen, die für ein echtes mikroskopisches Feld geschrieben wurden, erhält Lorentz eine Gleichung für makroskopische Größen, mit denen er es gewöhnlich bei Messungen zu tun hat. Für unbewegliche Körper fielen sie mit den Gleichungen von Maxwell zusammen und erklärten die elektromagnetischen und optischen Versuche (Röntgen, Wilson, Fizeau u. a.) in beweglichen Körpern. Die Gleichungen von Lorentz sind in Bezug auf die Transformationen von Galilei nicht invariant. Das ist unmittelbar daraus ersichtlich, dass sie nicht mit den Gleichungen von Hertz übereinstimmen, bezüglich derer bewiesen worden war, dass sie die einzigen sind, die die Anforderungen erfüllen: 1) sich für ruhende Körper in Gleichungen von Maxwell umzuwandeln und 2) invariant in Bezug auf die Transformationen von Galilei zu sein. Aus der Theorie von Lorentz folgte, dass die Bewegung der Erde im Prinzip schon in der ersten Ordnung bezogen auf w Einfluss haben muss, während die Versuche der ersten c Ordnung die Unabhängigkeit elektromagnetischer Erscheinungen von der Erdumdrehung gezeigt haben. Dessen ungeachtet zeigte Lorentz für jeden derartigen Versuch, dass der vorhergesagte Einfluss aus Teilen besteht, die in der ersten Ordnung einander kompensieren. „H. A. Lorentz hat in seiner in höchstem Maße scharfsinnigen Untersuchung gezeigt, dass die relative Bewegung in der ersten Annäherung keinen Einfluss auf die Richtung der Strahlen bei beliebigen optischen Experimenten hat“,9 schrieb Einstein aus diesem Anlass. Lorentz gibt sich damit nicht zufrieden und schreibt aus rein mathematischen Überlegungen Transformationen: 232 r r wt , / ( w, r ) t t c , / / / / 2 in Bezug auf welche unter der Bedingung: 1 Å / E w, H c / 1 H H E, w c mit einer Genauigkeit bis zur ersten Ordnung bezogen auf Lorentz in den neuen Variablen r/ und w die Gleichungen von c t / ähnlich wie die Maxwellschen sind. Bei Feheln von Leitungsströmen haben die Gleichungen durchaus ein Maxwellsches Aussehen. Diese Transformationen waren für Lorentz nur ein rein mathematisches Verfahren, dass ihm die Berechnungen erleichterte. Physikalischen Sinn haben laut Lorentz nur Variablen r und t , und nicht / / E ,H und E und H in der Funktion von den t/ . Nach der Theorie von Lorentz müssen die Versuche der zweiten Ordnung bezogen auf w den Einfluss der Erdbewegung auf elektromagnetische Erscheinungen zeigen. Wie c aber der Versuch von Michelson gezeigt hat, der der erste Versuch der zweiten Ordnung war, existiert ein solcher Einfluss nicht. Der Versuch von Michelson wurde mehrmals wiederholt, brachte aber nicht den erwarteten Effekt. Auch andere Versuche der zweiten Ordnung (Experimente zur doppelten Strahlenbrechung in durchsichtigen Körpern, die durch die Bewegung der Erde bedingt ist) bestätigten das Ergebnis des Versuches von Michelson. „Es blieb nur ein optisches Experiment übrig“, schrieb Einstein und meinte damit den Versuch von Michelson, „bei dem die Methode so empfindlich war, dass der negative Ausgang des Versuches sogar vom Gesichtspunkt der theoretischen Analyse von H. A. Lorentz aus unverständlich war“.10 Der Versuch von Michelson hat also die Theorie von Lorentz nicht bestätigt. Aber Lorentz stellt, um seine Theorie zu retten, die Hypothese von der Längsverkürzung der Größe beweglicher Körper auf, die den Versuch von Michelson erklärt hätte. Tatsächlich zeigen die Berechnungen, dass bei der Annahme, dass sich der Körper in Bewegungsrichtung im Verhältnis l2 w2 1 2 , l1 c 233 wo l2 die Größe des beweglichen und l1 die Größe des ruhenden Körpers ist, verkürzt und das Ergebnis des Versuches von Michelson durchaus mit der Theorie von Lorentz übereinstimmt. Aber die Hypothese von der Verkürzung, die schon von Fitzgerald aufgestellt worden war, entspringt nicht aus der Theorie, trägt künstlichen Charakter. Lorentz schrieb: „ Diese Hypothese stellt sich auf den ersten Blick zweifellos etwas seltsam dar, wir kommen aber schwer ohne sie aus, wenn wir auf dem unbeweglichen Äther bestehen. Ich denke, wir können sogar behaupten, dass bei dieser Annahme der Versuch von Michelson die Existenz der erwähnten Veränderung der Größe des Körpers beweist“.11 Im Weiteren hat sich Lorentz bemüht, diese Hypothese mit physikalischem Inhalt zu füllen und sie, ausgehend von seiner Theorie, zu begründen. Dabei hat er sehr viel für die Verbreitung der Ideen der Relativitätstheorie getan. Laut Lorentz müssen sich die Moleküle im Gleichgewicht befinden, damit ein Körper eine bestimmte Länge hat. Dieses Gleichgewicht wird nicht nur durch elektromagnetische Kräfte erreicht, sondern auch durch intermolekulare Kräfte. „Wir verstehen die Möglichkeit der postulierten Größenveränderung,“ schrieb Lorentz, „wenn wir uns daran erinnern, dass die Form eines festen Körpers von Kräften abhängt, die zwischen seinen Molekülen wirken und dass diese Kräfte höchstwahrscheinlich durch den sie umgebenden Äther so ähnlich übertragen werden, wie sich elektromagnetische Handlungen durch dieses Medium ausbreiten. Von diesem Gesichtspunkt aus ist es natürlich anzunehmen, dass die molekularen Anziehungen und Abstoßungen, ähnlich wie die elektromagnetischen Kräfte eine gewisse Veränderung erfahren, wenn dem Körper eine bestimmte Vorwärtsbewegung gegeben wird; im Ergebnis kann äußerst leicht eine Veränderung der Größe des Körpers erfolgen“.12 Im Verlaufe der Begründung seiner Hypothese gibt Lorentz seinen oben angeführten Transformationen folgendes Aussehen (1904): x/ x wt 1 w 2 w 2 t , y / y, z / z, wx t/ 1 c2 , w2 c2 in denen die Größenveränderung des Körpers schon berücksichtigt ist und in denen die elektromagnetischen Gleichungen noch invarianter sind. Später haben sich diese Transformationen, die Poincaré „Lorentz-Transformationen“ genannt hat, in der Relativitätstheorie erhalten und dort ihre physikalische Deutung bekommen. Laut Lorentz haben sie jedoch keinen physikalischen Sinn. Physikalischen Sinn haben nur die „Galilei234 Transformationen“; die Koordinaten x / , y / , z / nennt Lorentz „effektiv“, und die Zeit t / nennt er im Unterschied zur echten Zeit t „Ortszeit“. Später hat Lorentz aus diesem Anlass selbst geschrieben: „Der Hauptgrund für meinen Misserfolg lag darin, dass ich / immer den Gedanken verfolgt habe, dass nur die Variable t als echte Zeit betrachtet werden kann und meine Ortszeit t’ nichts weiter als eine mathematische Hilfsgröße ist“.13 Die Bedeutung der Arbeiten von Lorentz für die Schaffung der Relativitätstheorie ist sehr groß. M. Born schrieb: „Die wichtigen Artikel von Lorentz aus den Jahren 1892 und 1895 zur Elektrodynamik beweglicher Körper enthalten einen bedeutenden Teil des mathematischen Apparates der Relativitätstheorie. Seine grundlegenden Annahmen waren jedoch von vollkommen nichtrelativistischem Charakter. Er nahm an, dass ein vollständig ruhender Äther existiert, eine gewisse Form der „Materialisierung“ des Newtonschen absoluten Raumes, er übernahm auch die absolute Zeit von Newton“.14 Die Physiker der damaligen Zeit verstanden, dass die Theorie von Lorentz ungenügend ist. So sprach Poincaré die Idee aus, dass das negative Ergebnis des Versuches von Michelson auf der Grundlage allgemeiner Prinzipien erklärt werden muss. Er schrieb 1905, wenige Monate vor dem Erscheinen der ersten Arbeit Einsteins zur Relativitätstheorie, den Artikel „Über die Dynamik des Elektrons“, in dem er das „Postulat der Relativität“ auch für elektromagnetische Erscheinungen ausspricht. Er konnte aber genau so wie Lorentz nicht über den Rahmen der Anschauung Newtons zu Raum und Zeit hinausgehen und die Transformationen von Lorentz richtig physikalisch erklären. Über die Bedeutung der Arbeiten von Lorentz und Poincaré schrieb Einstein: „Schon Lorentz hat bemerkt, dass für die Analyse der Maxwellschen Gleichungen die Transformationen wichtig sind, die später unter seinem Namen bekannt wurden, und Poincaré hat dieses Wissen noch vertieft“.15 Die Relativitätstheorie von Einstein hat radikal alle Schwierigkeiten mit der Elektrodynamik beweglicher Körper gelöst. Einstein hat gezeigt, dass die Transformationen von Lorentz das Wesen von Raum und Zeit berühren und dass die „Lorentz-Invarianz“ die allgemeine Bedingung für jede beliebige physikalische Theorie ist. B. Darstellung des Ursprungs der Theorie Wie die historische Analyse gezeigt hat, waren in der Physik vor Einstein Fresnel, Hertz, Lorentz und Poincaré bestrebt, optische und elektromagnetische Erscheinungen in beweglichen Systemen theoretisch wiederzugeben. Ihre Thesen wurden durch Experimente widerlegt. Die Hypothese von Hertz widersprach dem Versuch von Fizeau, der davon zeugte, dass es keine vollständige Mitführung des Äthers gibt, sondern nur eine teilweise. Die Theorie von Lorentz wurde durch den Versuch von Michelson widerlegt. Diese Theorien enthielten auch methodologische Unzulänglichkeiten. Wie Louis de Broglie richtig bemerkte, wurden die optischen und elektromagnetischen Erscheinungen 235 vor der Relativitätstheorie nicht als prinzipiell selbständige Erscheinungen betrachtet, die ihren immanenten Gesetzmäßigkeiten untergeordnet sind. In ihnen wurde die Substanzionalität des Feldes und die Unnötigkeit, sie in die Sprache der Mechanik zu übersetzen, ungenügend unterstrichen. Deshalb nahmen in den Hypothesen zur Elektrodynamik das Verhältnis zum Äther und sein Verständnis einen wichtigen Platz ein. Freilich hat man sich seit Maxwell immer weniger an die mechanische Charakteristik des Äthers gehalten. Die Entwicklung des physikalischen Gedankens und der Experimente überzeugte von der Unhaltbarkeit der mechanischen Auslegung der elektromagnetischen Erscheinungen. Zu dieser Frage schrieb Broglie: „Der Äther war für sie schon kein elastisches Medium mehr mit besonderen Eigenschaften, das in der Lage ist, Lichtschwankungen zu übertragen. Es wurde zu einem gewissen abstrakten, äußerst konventionellen Medium, das nur zur Fixierung der Bezugssysteme diente, in denen die Gleichungen der Elektrodynamik von Maxwell berechtigt sind ... Wenn sich die Sache so verhält, würde ein bestimmtes Medium existieren, das das gesamte Weltall ausfüllt, ein derartiges Medium, dass die Maxwellschen Gleichungen nur in einem mit ihm zusammenhängenden Bezugssystem Berechtigung haben. Eben mit diesem Bezugssystem haben die Anhänger von Maxwell den Begriff des Äthers assoziiert“.16 Der Begriff des Äthers blieb in diesen physikalischen Theorien jedoch erhalten. Das Bezugssystem, das mit dem Äther zusammenhing, wurde als vorherrschend ausgelegt. Deshalb kam ein wirklicher Fortschritt auf dem Gebiet des physikalischen Gedankens erst mit Einstein zustande, der sich kategorisch von jeglichem Äther lossagte. In seiner Arbeit „Der Äther und die Relativitätstheorie“ schrieb er: „Das elektromagnetische Feld ist eine primäre, auf nichts zurückzuführende Realität, und deshalb ist es völlig überflüssig, auch noch die Existenz eines homogenen isotropen Äthers zu postulieren und sich das Feld als Zustand dieses Äthers vorzustellen“.17 Eine solche prinzipielle Negierung des Äthers und die selbständige Betrachtung des elektromagnetischen Feldes hatte große Bedeutung bei der Genesis der Relativitätstheorie, da die Festlegung eines Sachgebietes (des Ganzen) eine wichtige Bedingung der wissenschaftlichen Erkenntnis ist. In der Physik hat nur die substantielle Betrachtung des elktromagnetischen Feldes (des Sachgebietes), seine Nichtrückführbarkeit auf den Äther die Möglichkeit gegeben, die Prinzipien der theoretischen Wiedergabe elektromagnetischer Erscheinungen in beweglichen Systemen richtig zu verstehen. Eine derartige Betrachtung ist theoretisch (methodologisch) richtig, da verschiedene Systeme ihre spezifischen, innerlich zusammenhängenden Gesetzmäßigkeiten haben. Z.B. ordnet sich das soziale Leben anderen Gesetzmäßigkeiten unter als die organische Natur. Das soziale Leben selbst bildet auch eine Hierarchie der Systeme, die nicht aufeinander zurückgeführt werden können. Das ist auch zutreffend für eine allgemeine Theorie. So existiert die Materie in spezifischen Formen: physikalisch, chemisch usw. Jede ihrer bestimmten Formen hat ihre Substanz, die nicht auf andere Formen der Existenz der 236 Materie zurückführbar ist. Die gnoseologische Grundlage für den Misserfolg der Theorien von Fresnel, Hertz und Lorentz ist die, dass sie nicht konsequent den Gedanken von der Substantionalität des elektromagnetischen Feldes umsetzen konnten. Diese methodologische Unzulänglichkeit ist eng mit einem anderen vor der Relativitätstheorie vorherrschenden rationalen, einseitigen Verständnis von Raum und Zeit verbunden. Raum und Zeit galten damals als absolute, nicht zusammenhängende Wesen. Die Transformationen Galileis wurden als unumstößliche Verkörperung dieser Ansicht über Raum und Zeit verstanden. Die Maxwellschen Gleichungen sind jedoch im Verhältnis zu den Transformationen Galileis nicht invariant. Da die Invarianz bezüglich der Transformationen Galileis mit dem Relativitätsprinzip identifiziert wurde, wurden die Schlüsse aus den Maxwellschen Gleichungen als Negation des Relativitätsprinzips ausgelegt. Deshalb wurde das vorherrschende Bezugssystem anerkannt, das mit dem unbeweglichen Äther assoziiert wurde. Der Äther war für die Physiker jener Zeit, wie M. Born zutreffend bemerkte, „eine bestimmte Form der „Materialisierung“ des absoluten Raumes von Newton“.18 Diese Anschauung von Raum und Zeit ließ auch auf andere Art das Relativitätsprinzip nicht vorankommen. Aus der Theorie von Maxwell-Lorentz ging hervor, dass die Lichtgeschwindigkeit im Vakuum nicht von der Bewegung der Quelle abhängt. Aber nach dem Gesetz der Addition der Geschwindigkeiten, das aus dem Newtonschen Verständnis von Raum und Zeit folgte, hat dieses Gesetz der Ausbreitung des Lichtes keinen Platz in anderen Systemen, die sich geradlinig und gleichmäßig im Verhältnis zum Äther bewegen. Hier wird das Gesetz der Unabhängigkeit der Lichtgeschwindigkeit von der Bewegung der Quelle als etwas Unvereinbares mit dem Relativitätsprinzip betrachtet. Angesichts dessen, dass die Negation des ersteren zur Negation der gesamten Theorie von Maxwell-Lorentz führte, waren die Physiker geneigt, das Relativitätsprinzip zu negieren. Niemand von den Physikern vor Einstein lehnte das Verständnis Newtons von Raum und Zeit, die Transformationen Galileis ab. Sogar, als es neue Transformationen gab (die Transformationen von Lorentz), verstanden die Physiker nicht ihren Zusammenhang mit dem Verständnis von Raum und Zeit. Eine andere wichtige theoretische Unzulänglichkeit der Theorie von Lorentz und Hertz ist das Nichtverstehen des dialektischen Zusammenhangs des Allgemeinen, Besonderen und Einzelnen beim Aufbau des theoretischen Wissens. In der Physik jener Zeit existierte einerseits das klassische Relativitätsprinzip als theoretisches Ergebnis einer riesigen Zahl von Fakten, andererseits existierte der Fakt der Endlichkeit der Lichtgeschwindigkeit, der elektromagnetischen Strahlungen. Vor Einstein sahen hier viele Physiker eine Antinomie. Sie erörterten, ob das Relativitätsprinzip oder die Beständigkeit der Lichtgeschwindigkeit richtig sei. In Wirklichkeit war das der Widerspruch zwischen Allgemeinem und Einzelnem, zwischen Substanz und Erscheinungsformen. 237 Hertz versuchte in seiner Theorie, ausgehend vom Allgemeinen, dem Relativitätsprinzip mit Hilfe der Gleichungen von Maxwell-Hertz alles Einzelne auf dem Gebiet der Elektrodynamik zu erklären. Aber die Theorie von Hertz scheiterte, weil in seinem Verständnis das Relativitätsprinzip mechanisch auf das Gebiet der Elektrodynamik übertragen wird. Wenn man eine Analogie mit der Geschichte der politischen Ökonomie anstellt, geht Hertz ungefähr so vor, wie seinerzeit Ricardo, der konkrete Formen (Profit, Zinsen usw.) unmittelbar aus der Substanz (dem Wert) ableiten wollte. Hertz ist in seiner Theorie ebenfalls nicht in der Lage, die Widersprüche zu lösen, wie damals Ricardo in der politischen Ökonomie. Hertz beachtet nicht die Einheit von Allgemeinem, Besonderem und Einzelnem und führt dem Wesen nach das Einzelne auf das Allgemeine zurück. Es kommt keine konkrete, dialektisch-logische Deduktion heraus, sondern eine metaphysische Reduktion (Rückführung) und das Aufgehen des Einzelnen im Allgemeinen. In der Theorie von Lorentz stellte sich ein anderes Extrem heraus. Während er das Einzelne unmittelbar, mechanisch auf das Allgemeine zurückführte, versteht Lorentz den Misserfolg der Theorie von Hertz als wichtiges Argument gegen das Relativitätsprinzip. In dieser Theorie wird überhaupt das Allgemeine zugunsten des Einzelnen negiert. Die Unmöglichkeit der unmittelbaren Ableitung des Einzelnen aus dem Allgemeinen wird als Mangel, als Schwäche des Allgemeinen ausgelegt. In der Relativitätstheorie sind die hauptsächlichsten theoretischen Mängel der vorhergehenden Theorien prinzipiell überwunden. Vor allem hat Einstein, wie schon gezeigt, deutlich das Sachgebiet herausgestellt und betrachtete, ausgehend vom Versuch Michelsons, die elektromagnetischen Erscheinungen gesondert. „Die Situation,“ schrieb M. Born, „klärte sich erst dann auf, als Einstein die Unmöglichkeit der Beobachtung des Äthers als Ausgangspunkt betrachtete und die Tatsache, dass die Lichtgeschwindigkeit nicht von der Bewegung des Beobachters abhängt, zum Prinzip erhob“.19 Bei der Begründung des Relativitätsprinzips, bei der Entdeckung des ursprünglichen Ganzen hatte der Versuch von Michelson fundamentale Bedeutung; er hatte ihn mit dem Ziel unternommen, die absolute Bewegung der Erde im Verhältnis zum homogenen, isotropen unbeweglichen Äther aufzudecken. Das negative Ergebnis dieses Versuches bemühte sich Lorentz künstlich zu erklären und erdachte sich für diesen Fall eine Hypothese. Im Unterschied zu Lorentz betrachtete Einstein die Ergebnisse des Versuches von Michelson als Ausgangspunkte. Er war der Ansicht, dass Michelson in seinem Versuch den Äther deswegen nicht entdeckt hatte, weil es gar keinen Äther gibt. In diesem Falle zeigte sich der methodologische Vorzug des Einsteinschen Herangehens an physikalische Erscheinungen. Ähnlich der Bedeutung, die die Erforschung des englischen Kapitalismus in der Theorie von Marx hatte, ist die Bedeutung des Versuches von Michelson für die Theorie von Einstein. Im englischen Kapitalismus zeigten sich viele Zusammenhänge, die für den Kapitalismus typisch sind in entwickelter Form und erhielten ihren adäquaten Ausdruck, und diejenigen Zusammenhänge, die äußerlich waren, haben 238 sich nicht erhalten, sind verschwunden. So verhält es sich auch mit dem Experiment von Michelson. Viele angenommene Bestimmtheiten elektromagnetischer Erscheinungen in beweglichen Medien traten bei diesem Experiment nicht zutage. Das betrifft vor allem den Äther. Dafür diente das Experiment aber als Grundlage für die Anerkennung der Richtigkeit des Relativitätsprinzips und die Beständigkeit der Lichtgeschwindigkeit. Die Untersuchung des am meisten entwickelten Objektes hat fundamentale Bedeutung für die logische Theorie von Marx, in der das Prinzip der Entwicklung beachtet wurde. Das dialektisch-logische Prinzip des Wissensaufbaus (die Methode des Aufstiegs vom Abstrakten zum Konkreten) ist das adäquate Prinzip der Erkenntnis des sich entwickelnden organischen Objektes. Darum entsteht die Frage nach der Anwendbarkeit dieser Methode in der Physik, da die physikalische Theorie es hauptsächlich mit einem Objekt zu tun hat, das an sich relativ beständig ist. Im Unterschied zu organischen und sozialen Systemen gibt es in der Physik bestimmte Schwierigkeiten bei der Anwendung des Begriffes der Entwicklung. Tatsächlich hat sich seit A. Smith und D. Ricardo nicht nur unser Wissen über den Kapitalismus verändert, sondern der Kapitalismus selbst hat sich wesentlich verändert. Das hat in der theoretischen Analyse von Marx eine große Bedeutung. Während der Kapitalismus damals eine embryonale Form hatte und viele seiner Bestimmtheiten das Sein an sich darstellten, hat er im XIX. Jahrhundert in Form des englischen Kapitalismus seine Reife erreicht. Deshalb erforscht und analysiert Marx entsprechend seiner logischen Methode die entwickelte Form des Kapitalismus, d. h. den englischen. Gerade dabei hat er die tiefen Gesetzmäßigkeiten des Kapitalismus an den Tag gebracht. Im „Kapital“ ist das alles verständlich. Kann die logische Methode von Marx auch bei der Erforschung der physikalischen Realität angewandt werden? Es ist doch so, dass sich die Natur der elektromagnetischen Erscheinungen und ihr Verhalten in beweglichen Systemen seit Galilei, Newton, Fresnel und Maxwell fast nicht verändert hat. Auf diese Frage muss man positiv antworten. Während sich die elektromagnetischen Erscheinungen und die Gesetzmäßigkeiten ihres Verhaltens nicht geändert haben, haben sich jedoch ernsthaft ihre Erscheinungsformen in Experimenten geändert, sind vollständiger geworden. Die Entwicklung und Veränderung unseres Wissens über den Gegenstand spiegelt den Charakter der Veränderung und Entwicklung des Experimentes wider. Der Hauptunterschied besteht hier in der Vollständigkeit des Experimentes, in dem empirisch und real elektromagnetische Erscheinungen in beweglichen Medien zu beobachten waren, z. b. in den Versuchen von Fizeau, Michelson u. a. Über die Spezifik physikalischer Forschungen schrieb Marx im „Kapital“: „Der Physiker beobachtet entweder die Prozesse der Natur dort, wo sie in deutlichster Form zutage treten und von störenden Einflüssen am wenigsten verdunkelt werden, oder, falls das möglich sein sollte, führt ein Experiment unter Bedingungen durch, die den Verlauf der Prozesse in reiner Form absichern. Der Forschungsgegenstand in meiner Arbeit ist die kapitalistische 239 Produktionsweise und die ihr entsprechende Beziehung von Produktion und Tausch. Das klassische Land dieser Produktionsweise ist bisher England. Darin liegt der Grund, warum es als hauptsächliche Illustration für meine theoretischen Schlüsse dient“.20 Das alles zeugt davon, dass Veränderung und Entwicklung nicht nur der gesellschaftlichen Realität eigen sind, sondern auch charakteristisch für physikalische Erscheinungen. Die Besonderheit dieses Problems in der Physik besteht darin, dass sich der Begriff Entwicklung hauptsächlich auf das Experiment bezieht. Obwohl die physikalischen Prozesse an sich, darunter auch die elektromagnetischen Erscheinungen, verhältnismäßig stabil sind, treten sie als Objekt, als Forschungsgegenstand auf den unterschiedlichsten Ebenen in Abhängigkeit von der Entwicklung des Experimentes auf. Deshalb muss man deutlich das Sein physikalischer Erscheinungen an sich und ihre objektische (gegenständliche) Entdeckung im Experiment unterscheiden. Wenn man diese in nötigem Maße beachtet, gibt es zweifellos etwas Gemeinsames zwischen organischen, sozialen Objekten und physikalischen Erscheinungen. Organische und soziale Objekte entwickeln sich und zeigen dadurch klar, was für sie innere und was nur nebensächliche, äußere Bedeutung hat. Die verbreiteten Behauptungen, dass der Gegenstand der Naturwissenschaften immer ein und derselbe ist, lassen scheinbar den Irrtum zu, der von der Identifizierung des Seins des Gegenstandes mit seinem Objektsein hervorgerufen wird. Aus dem Gesagten ergibt sich der Schluss, dass die logische Methode von Marx und die Analyse der klassischen Form des Objektes auch auf dem Gebiet der Physik anwendbar sind. Den Versuch von Michelson muss man als entscheidendes Experiment bei der Schaffung der Relativitätstheorie von Einstein betrachten. diese Behauptung ist freilich nicht allgemein anerkannt. So bestreitet M. Born die Bedeutung des Versuches von Michelson als grundlegend bei der Genesis der Relativitätstheorie deshalb, weil Einstein ihn nicht in seiner ersten Arbeit zur Realtivitätstheorie erwähnt. Er meint, „den Weg haben Einstein offensichtlich eher die Gesetze der elektromagnetischen Induktion gewiesen, als das Experiment von Michelson“.21 Eine solche Behauptung kann man nicht als richtig ansehen, weil Einstein schon damals die Arbeiten von Lorentz aus den 90-er Jahren des XIX. Jahrhunderts kannte, in denen die Untersuchung des Versuches von Michelson einen zentralen Platz einnimmt. Wie bekannt, hat gerade der Versuch von Michelson der Theorie von Lorentz den entscheidenden Schlag versetzt und die Bedingungen für ein neues theoretisches Suchen geschaffen. Jedes, auch das wichtigste Experiment führt jedoch nicht automatisch zu einer neuen Theorie. Nach dem Versuch von Michelson (1881) vergingen mehr als 20 Jahre, ehe die Relativitätstheorie geschaffen wurde. Zum Moment ihrer Enstehung (1905) wurde augenscheinlich ihr Zusammenhang mit dem Versuch von Michelson ungenügend betont, obwohl später Einstein diesem Versuch die ihm gebührende Bedeutung beimaß.22 240 Bei der Schaffung und Begründung einer Theorie ist die Rolle des Experimentes sehr groß. Gerade die Experimente haben die elektromagnetischen Erscheinungen als selbständige Realität, als ursprüngliches Ganzes zutage gefördert. Aber ihre Bedeutung bei der Schaffung der Theorie ist unterschiedlich. Das Verhältnis der Versuche zweiter Ordnung zu den Versuchen erster Ordnung ist das gleiche, wie das Verhältnis der entwickelteren Form des Kapitalismus zur weniger entwickelten. Tatsächlich, die Versuche der ersten Ordnung wurden sowieso von der Theorie von Lorentz erfasst, die einen unbeweglichen Äther zuließ, während der Versuch von Michelson diese Theorie und den Äther ablehnte. Lorentz versuchte, den Versuch von Michelson und seine Theorie miteinander zu versöhnen und stellte dabei die Hypothese von der Verkürzung auf. Ein Blick zurück erlaubt uns die Bemerkung, dass Lorentz nicht die ganze Bedeutung des Versuches von Michelson erkannt hat. Er stellte ihn sozusagen in die Reihe der Versuche der ersten Ordnung. Einstein dagegen stützt sich prinzipiell auf die Daten des entscheidenden Experimentes. Der Versuch von Michelson hat für ihn die gleiche Bedeutung wie der englische Kapitalismus für den Aufbau der Theorie von Marx. Einstein empfand nicht einfach alle Experimente sowohl der ersten als auch der zweiten Ordnung als das Gleiche, sondern ging vom entwickeltsten Versuch, dem Experiment von Michelson aus. In ihm erscheint kein Äther, und Einstein konstatiert prinzipiell diese Situation. In der Relativitätstheorie ist auf diese Weise ganz klar der Gedanke herauskristallisiert, dass der Äther im entscheidenden Experiment deshalb nicht entdeckt wurde, weil es ihn in der Natur gar nicht gibt. „In dieser Frage“, schrieb Einstein in der Arbeit „Äther und Relativitätstheorie“, „kann man folgenden Standpunkt einnehmen: Es gibt keinen Äther. Elektromagnetische Felder sind keine Zustände eines bestimmten Mediums, sondern selbständig existierende Realitäten, die man nicht auf irgendetwas zurückführen kann und die, ähnlich wie Atome der wägbaren Materie, nicht mit irgendwelchen anderen Trägern verbunden sind“.23 Die Negation des Äthers ist bei Einstein eng mit der positiven Behauptung, dem Relativitätsprinzip, verbunden. Bekanntlich haben schon die Versuche der ersten Ordnung gezeigt, dass elektromagnetische Erscheinungen von der gleichmäßigen geradlinigen Bewegung des Systems insgesamt unabhängig sind. Doch sie konnten nicht zum Relativitätsprinzip führen, da diese Unabhängigkeit von der Theorie von Lorentz als etwas Zufälliges und nur in den Erscheinungen der ersten Ordnung Anzutreffendes erklärt wurde. Gerade der Versuch von Michelson hat gezeigt, dass diese Unabhängigkeit mehr als nur zufällig ist. In seiner Theorie hat Lorentz auch versucht, das Ergebnis des Versuches von Michelson mit Hilfe der Hypothese von der Verkürzung zu erklären. Die Genialität von Einstein besteht gerade darin, dass er diese Unabhängigkeit auf die Ebene eines Gesetzes der Natur erhob, wobei er von der entwickelten Form des Experimentes ausging. Im gegebenen Fall zeigt sich nochmals in der physikalischen Theorie die Produktivität der logischen Methode von Marx, laut der der Inhalt, das Wesen 241 des erforschten Objektes nicht im Ergebnis der Offenbarung des vielen Formen Gemeinsamen entdeckt wird, sondern im Prozess der Erforschung eines bestimmten Einzelnen, der entwickelten Form des Objektes. In der entwickelten Form offenbaren sich die Erscheinungen als diejenigen, die sie wirklich sind. Darin besteht auch die Bedeutung des geflügelten Wortes von Marx: „Die Anatomie des Menschen ist der Schlüssel zur Anatomie des Affen.“ Es fragt sich, warum die alte Physik sich ständig an den Äther geklammert hat, - sogar nach dem Versuch von Michelson. Weil die Maxwellschen Gleichungen beim Übergang von einem Koordinatensystem zum anderen bezogen auf die Transformationen von Galilei nicht invariant sind. Folglich haben sie in einem Systerm, was mit dem Äther zusammenhängt, die vorherrschende Form. Ähnlich wie Marx, der sich bei der Erforschung des englischen Kapitalismus hauptsächlich nicht für dessen Besonderheiten interessiert, sondern die allgemeinen Gesetze des Kapitalismus aufdeckt, die sich in dieser einzelnen entwickelten Form zeigen, interessiert sich auch Einstein beim Experiment von Michelson nicht einfach für die Besonderheit; er wünscht, dieses Experiment nicht nur zu erklären, wie Lorentz es getan hat, sondern bemüht sich, durch diesen Versuch die allgemeinen Gesetze der elektromagnetischen Erscheinungen in beweglichen Medien zu erklären. Einstein stellte sich die Frage: Was ist das Ausgangsmoment bei der Verallgemeinerung der Maxwellschen Gleichungen für sich gleichmäßig geradlinig bewegende Systeme, wenn es keinen Äther gibt? Dieses Moment ist laut Einstein das Prinzip der Relativität, das lautet: Alle Erscheinungen, sowohl mechanische als auch elektromagnetische, verlaufen in allen inertialen Bezugssystemen gleichmäßig. Auf diese Weise kommt die wissenschaftliche Erkenntnis nur im Ergebnis einer qualvollen und schwierigen Entwicklung zum wahrhaften und wirklichen Ausgangspunkt (Marx). Freilich bleibt bei Einstein (jedenfalls in seiner ersten Arbeit) jener Weg, auf dem er zum Ausgang, zur allgemeinen Grundlage kommt, unerschlossen, da er ihm keine vollständige historische Begründung gibt. Dafür kann man diesen Weg in seinen späteren Arbeiten verfolgen, in denen er die historischen Wurzeln der Relativitätstheorie bloßlegt.24 Grundlage der Relativitätstheorie ist neben dem Prinzip der Relativität das Prinzip der Beständigkeit der Lichtgeschwindigkeit. Bei dieser Feststellung entsteht gewöhnlich der Eindruck, dass die beiden Prinzipien eine identische Rolle spielen und in diesem Sinne gleichwertig sind. In Wirklichkeit haben derartige Überlegungen aber nichts mit der Wahrheit zu tun. Das Relativitätsprinzip tritt in der Struktur der Relativitätstheorie als allgemeine Grundlage, als Ausgangspunkt auf, von dem aus man alle anderen Bestimmtheiten und Kategorien der Theorie verstehen kann. Aber der Zusammenhang von allgemeinem Ausgangspunkt und Erscheinungsformen (dem Einzelnen) ist nicht unmittelbar. Deshalb ist für einen solchen Übergang das Besondere notwendig, das ein 242 vermittelndes Glied zwischen dem Allgemeinen und dem Einzelnen ist. Ein derartiges Besonderes findet Einstein im Prinzip der Beständigkeit der Lichtgeschwindigkeit. Vor Einstein ging man von der Unvereinbarkeit des Relativitätsprinzips und der Beständigkeit der Lichtgeschwindigkeit aus. Im Verlauf der Ausdehnung des Relativitätsprinzips auf die elektromagnetischen Erscheinungen erwies sich auch die Produktivität des Relativitätsprinzips. Hier ist die Analogie mit der Ware offensichtlich. Die Ware hat historisch vor dem Kapitalismus existiert. Den Warenaustausch treffen wir schon in grauer Vorzeit an. In vorkapitalistischen Formationen ist die Ware keine allgemeine Ausgangsbestimmtheit ökonomischer Beziehungen. Die Warenproduktion wird erst im Kapitalismus zu einer allgemeinen Beziehung, als auch die Arbeitskraft zur Ware wird. In diesem Zusammenhang muss unbedingt bemerkt werden, dass diese Logik, d. h. das Auffinden des inneren Zusammenhangs des Allgemeinen und des Einzelnen durch die Offenbarung des Besonderen, der vermittelnden Glieder durchaus nicht die Spezifik der Relativitätstheorie von Einstein, sondern das logische Prinzip jeglicher wahren Theorie ist. Das Prinzip der Beständigkeit der Lichtgeschwindigkeit ergab sich aus dem Wesen der Theorie von Maxwell-Lorentz und hatte damals nur eine indirekte Bestätigung, nämlich durch die Bestätigung anderer Folgen der Theorie. Wie bekannt, diente dieser Umstand als Anlass für Ritz, um die Richtigkeit des Prinzips der Beständigkeit der Lichtgeschwindigkeit zu negieren. Es schien tatsächlich, dass dieses Prinzip mit dem Relativitätsprinzip unvereinbar ist, dass die Anerkennung des einen zur Negation des anderen führt. Diese Situation, die zu einer bestimmten Zeit der Entwicklung der Physik entstanden war, gibt Einstein selbst gut wieder: „Der Leser, der aufmerksam den oben dargestellten Überlegungen folgt, nimmt zweifellos an, dass das Relativitätsprinzip, das dank seiner Natürlichkeit und Einfachheit fast unbestreitbar ist, erhalten werden muss, während das Gesetz der Ausbreitung des Lichtes im Vakuum durch ein kompliziertes Gesetz ersetzt werden muss, das mit dem Relativitätsprinzip vereinbar ist. Die Entwicklung der theoretischen Physik hat jedoch gezeigt, dass dieser Weg nicht annehmbar ist. Die tiefgründigen theoretischen Forschungen über elektrodynamische und optische Prozesse in beweglichen Körpern, die Lorentz durchgeführt hat, haben gezeigt, dass Versuche auf diesen Gebieten zur Notwendigkeit einer solchen Theorie elektromagnetischer Erscheinungen führen, deren unausweichliche Folge das Gesetz der Beständigkeit der Lichtgeschwindigkeit im Vakuum ist. Deshalb waren die führenden Theoretiker eher geneigt, sich von dem Relativitätsprinzip loszusagen, obwohl es nicht gelang, auch nur einen experimentellen Fakt zu finden, der diesem Prinzip widersprach“.25 Dem Wesen nach entstand im Verlauf der Entwicklung der Elektrodynamik beweglicher Medien die gleiche Situation wie in der Politökonomie des Kapitalismus. Dort war einerseits das tiefe Verständnis des Wertgesetzes als Gesetz der Warenkörper offensichtlich, andererseits existierten als empirische Fakten der Profit, der Zins, die Rente 243 und dgl. Laut Wertgesetz mussten im gesellschaftlichen Maßstab die gleichen Werte ausgetauscht werden, die kapitalistische Produktion setzt jedoch ständiges Anwachsen des Profits voraus. Folglich schließt das Wertgesetz bei empirischem Herangehen die Möglichkeit des Profits aus. Daher sagten sich die Vulgärökonomen vom Wertbegriff los. Alle diese Schwierigkeiten hat Marx in „Kapital“ durch die Entdeckung und Begründung des Mehrwert-Begriffes gelöst. Laut Marx findet der Kapitalist auf dem Markt eine besondere Ware - die Arbeitskraft, deren Gebrauch einen zusätzlichen, den Mehrwert schafft. Deshalb sagt Marx, dass der Mehrwert sowohl in der Sphäre der Zirkulation als auch außerhalb von ihr entsteht. Auf ähnliche Weise löste Einstein die Schwierigkeiten mit der Elektrodynamik. Er zeigte auf, dass der Widerspruch zwischen dem Prinzip der Relativität und dem Prinzip der Beständigkeit der Lichtgeschwindigkeit lösbar ist. Einstein schrieb: „ ... in Wirklichkeit sind das Relativitätsprinzip und das Gesetz der Ausbreitung des Lichtes miteinander vereinbar, und man kann, wenn man sich systematisch an diese beiden Gesetze hält, eine logisch einwandfreie Theorie aufbauen“.26 Das Relativitätsprinzip von Einstein ist nicht mit dem von Galilei identisch. Einstein reichert das Allgemeine, das Relativitätsprinzip durch das Besondere, das Prinzip der Beständigkeit der Lichtgeschwindigkeit an. Letzteres wird ursprünglich für ein Bezugssystem (laut Einstein - für das „unbewegliche“) als Unabhängigkeit der Lichtgeschwindigkeit von der Bewegung der Quelle formuliert; danach werden an dieses Prinzip die Anforderungen des Relativitätsprinzips gestellt. Durch eine derartige Wechselwirkung wird sowohl das Allgemeine, als auch das Besondere angereichert: Das Relativitätsprinzip wird auch auf elektromagnetische Erscheinungen ausgedehnt, und das Prinzip der Unabhängigkeit der Lichtgeschwindigkeit wird zum Prinzip der Beständigkeit der Lichtgeschwindigkeit in allen Inertialsystemen erhoben. In der Relativitätstheorie hat die Beständigkeit der Lichtgeschwindigkeit eine substantielle Bedeutung. Dieses Prinzip wird nicht nur einfach postuliert; es ist innerlich mit der Formulierung des Relativitätsprinzips verbunden. Der Misserfolg von Hertz bei der Anwendung des Relativitätsprinzips in der Elektrodynamik ist nun verständlich: Er versuchte, das Allgemeine mit dem Einzelnen unmittelbar zu verbinden, und deshalb geht sein Relativitätsprinzip nicht über den Rahmen des Prinzips von Galilei hinaus. Während vor Einstein das Relativitätsprinzip im wesentlichen als etwas Begrenztes, als Prinzip mechanischer Erscheinungen auftrat, wird es in der Relativitätstheorie als allgemeines Prinzip der Bewegung betrachtet, das die radikale Revision aller alten physikalischen Vorstellungen und Schlüsse beschleunigt. Laut Einstein entspricht der Wirklichkeit nur eine solche Theorie, die von der notwendigen Vereinbarkeit des Relativitätsprinzips und der Beständigkeit der Lichtgeschwindigkeit ausgeht, die das Relativitätsprinzip auf die Erforschung elektromagnetischer Erscheinungen ausdehnt. In einer derartigen Behandlung tritt das Relativitätsprinzip als 244 Bedingung für die Beständigkeit der Lichtgeschwindigkeit auf. Aber die Produktivität des Relativitätsprinzips selbst wurde real nachgewiesen, als die substantielle Beständigkeit der Lichtgeschwindigkeit formuliert wurde. „Für Einstein war die Beständigkeit der Lichtgeschwindigkeit kein phänomenologisches Resultat der einander kompensierenden Effekte der absoluten Bewegung, sondern ein objektives Naturgesetz, eine vom Experiment unabhängige substantielle Eigenschaft materieller Systeme, die sich geradlinig und gleichmäßig in Bezug aufeinander bewegen“.27 In diesem Fall realisiert sich dem Wesen nach die gleiche Kausalität, die im „Kapital“ von Marx vorkommt. Die Ware ist die allgemeine Bedingung des Kapitalismus, aber real verwirklicht sich das nur im Kapitalismus, wenn auch die Arbeitskraft zur Ware wird. Die Einheit dieser beiden Prinzipien, die gegenseitige Durchdringung des Allgemeinen und des Besonderen erhält ihren mathematischen Ausdruck in den Transformationen von Lorentz. Über die Ergebnisse der Relativitätstheorie schrieb Einstein: „Wenn es dabei etwas Neues gab, dann die Anerkennung dessen, dass die Bedeutung der Lorentzschen Transformationen über die Grenzen des Zusammenhangs mit den Gleichungen von Maxwell hinausgeht; sie berührten das Wesen von Raum und Zeit überhaupt. Neu war auch die Ansicht, das die „Lorentz-Invarianz“ die allgemeine Bedingung für eine beliebige physikalische Theorie ist“.28 In der Relativitätstheorie haben die Transformationen von Lorentz eine außerordentlich wichtige Bedeutung. Ihre Rolle und ihr Platz in der Theorie sind jedoch etwas anderes als die Ausgangsthesen der Relativitätstheorie, von denen genetisch alle anderen Bestimmtheiten der Theorie abstammen. Larmor und Lorentz entdeckten neue Eigenschaften von Raum und Zeit, schrieben eine neue Gleichung; da sie aber in den Grenzen alter physikalischer Vorstellungen verblieben, haben sie die wahre Bedeutung dessen, was sie entdeckt hatten, nicht begriffen. Die Transformationen von Lorentz können nicht der Ausgangspunkt der Relativitätstheorie sein, sie sind eine komplizierte Kategorie der Theorie. So hat Lorentz, obwohl er es hätte tun können, keinen Angriff weder auf den Äther, noch auf die absolute Bewegung, noch auf die Absolutheit von Raum und Zeit unternommen. Seine Transformationen haben nur dann derartig radikale Folgen, wenn ihre allgemeine Begründung und ihr Ausgangspunkt verstanden werden - das Relativitätsprinzip. Nach dem Zeugnis von M. Born „... hat Lorentz selbst nie Anspruch auf die Entdeckung des Relativitätsprinzips erhoben“ und „hielt Einstein für den Begründer des Relativitätsprinzips“.29 Ungefähr das Gleiche kann man von Poincaré sagen. Obwohl er das „Postulat der Relativität“ formuliert, die völlige Invarianz der Gleichungen der Elektrodynamik in Bezug zu den Transformationen von Lorentz feststellt, ihre Gruppeneigenschaften erforscht hat, konnte er nicht das Relativitätsprinzip mit der substantiellen Beständigkeit der Lichtgeschwindigkeit verbinden, d. h. es richtig verstehen. Er gab der Hypothese von Lorentz einen bestimmten Sinn, und deshalb widerspricht ihr sein „Postulat der Relativität“ nicht. 245 In diesem Zusammenhang hat eine Bemerkung von Lorentz einen tiefen Sinn: „Das Verdienst von Einstein besteht darin, dass er als Erster das Relativitätsprinzip in Form eines allgemeinen, strengen und exakt wirkenden Gesetzes formuliert hat“.30 Lorentz selbst näherte sich in seinen Arbeiten, besonders in dem Artikel „Elektromagnetische Erscheinungen in einem System, das sich mit beliebiger Geschwindigkeit bewegt, die geringer als die Lichtgeschwindigkeit ist“ (1904) dem Relativitätsprinzip. Das „Postulat der Relativität“, das von Poincaré in seiner Arbeit „Über die Dynamik des Elektrons“ verkündet worden war, ist die unmittelbare logische Vollendung der Arbeiten von Lorentz. Umso bemerkenswerter ist die Bemerkung von Lorentz, die nicht nur seine wissenschaftliche Ehrlichkeit, sondern auch sein tiefes Verständnis für das Wesen der Sache zeigt. Schon beim ersten Versuch, das Relativitätsprinzip und die Beständigkeit der Lichtgeschwindigkeit in Deckung zu bringen, stieß Einstein auf ein Paradoxon: die Relativität der Gleichzeitigkeit. Das wollen wir an einem Beispiel illustrieren, das von Mandelstam stammt.31 Nehmen wir zwei Bezugssysteme K und K1 mag „ruhen“ und K’ mag sich in Bezug auf K geradlinig und gleichmäßig bewegen. In einem bestimmten Moment, in dem die Ursprünge dieser Systeme (O und OI) zusammenfallen, wird ein Lichtsignal ausgestrahlt. Nach einiger Zeit wird das Signal im System K auf der Oberfläche der Kugel mit dem Radius r =ct und dem Zentrum in O sein. Gleichzeitig werden von dem Signal alle Punkte auf der Oberfläche dieser Kugel berührt. Entsprechend dem Relativitätsprinzip muss sich im System KI das Signal nach dem gleichen Gesetz ausbreiten, d. h. ebenfalls die Kugeloberfläche erreichen. Entsprechend dem Prinzip der Unabhängigkeit der Lichtgeschwindigkeit von der Bewegung der Quelle befindet sich das Zentrum dieser Sphäre in OI. Es ergibt sich, dass das Lichtsignal im System K gleichzeitig die Oberfläche der Kugel mit dem Zentrum in O erreicht; im System K I erreicht dieses Signal gleichzeitig die Oberfläche der Kugel mit dem Zentrum in O/, was vom Standpunkt der klassischen Physik unmöglich scheint, da dort die Zeit und somit auch die Gleichzeitigkeit absolut sind. 246 Einstein hat dieses Paradoxon auf radikale Weise gelöst: Die Gleichzeitigkeit ist nicht absolut. Das, was im System K gleichzeitig ist, ist es nicht im System K I’ und umgekehrt. Einstein hat begriffen, dass er am Anfang einer neuen Sicht auf Raum und Zeit steht und hat sie weiterentwickelt. Der Ablauf der Überlegungen Einsteins war ungefähr folgendermaßen: Wenn die erste Berührung von zwei Prinzipien zur Relativität der Gleichzeitigkeit führt, so muss ihre systematische Vereinigung, die Einheit des Allgemeinen und Besonderen zu einem neuen Verständnis von Raum und Zeit führen, was in den Transformationen von Lorentz widergespiegelt ist: Die Zeit ist nicht absolut; Raum, Zeit und Bewegung sind miteinander verbunden. Ein derartiges Verständnis von Raum und Zeit führt zu der Notwendigkeit einer neuen Bestimmung der Gleichzeitigkeit von Erscheinungen, von ihren räumlichen und zeitlichen Charakteristika. Manchmal wird die Lage der Dinge in der Relativitätstheorie so dargestellt, als hätte Einstein zunächst diese neuen Bestimmungen gegeben, die dann notwendigerweise zu Raum und Zeit in der Relativitätstheorie geführt haben. Dabei werden diese Bestimmungen als erdachte bequeme Vereinbarungen dargestellt. Dann ist auch die Theorie, die von ihnen ausgeht das Ergebnis einer Vereinbarung zwischen den Menschen (Konventionalismus; Poincaré, Eddington). Ein derartiger Standpunkt stellt das objektive Wesen der Dinge auf den Kopf. Einstein konnte diese Bestimmungen nur deshalb machen, weil er ihre substantielle Grundlage gefunden hatte - die Beständigkeit der Lichtgeschwindigkeit in ihrer Einheit mit dem Relativitätsprinzip, in der der Zusammenhang von Raum und Zeit embryonal ausgedrückt ist. Auf diese Art und Weise ist die Relativitätstheorie die physikalische Theorie von Raum und Zeit. Hier ist wieder eine gewisse Analogie mit dem „Kapital“ von Marx angebracht. Während Marx bei der ökonomischen Analyse des Kapitalismus tiefschürfende logische und methodologische Probleme der wissenschaftlichen Erkenntnis erarbeitete, hat Einstein, ausgehend von Problemen der Elektrodynamik beweglicher Medien, die Theorie von Raum und Zeit geschaffen, die der gesamten modernen Physik zugrunde liegt. Richtig ist deshalb die Bemerkung von Mandelstam: ... „Die ganze Theorie von Einstein ging weit über den Rahmen ihrer ursprünglichen Aufgaben hinaus“.32 Tatsächlich, die Relativitätstheorie gestattete es, am vollständigsten, soweit das im Rahmen der klassischen (Nichtquanten-) Elektrodynamik möglich ist, alle elektromagnetischen Erscheinungen zu erfassen. Außerdem hat sie auch die Mechanik relativiert. Sie führte zu der Wechselbeziehung von fundamentaler Wichtigkeit: E=mc2. Eine riesige methodologische Bedeutung für die Physik hat auch das, was Einstein „Lorentz-Invarianz“ nennt: Alle Gesetze müssen in Bezug auf die Transformationen von Lorentz co-variant sein. Einstein hat die Methode von Minkowski hoch geschätzt, der die adäquateste mathematische Vorstellung von Raum und Zeit der Relativitätstheorie gegeben hat. Minkowski führt auf der Grundlage der Relativitätstheorie die vierdimensionale Raum-Zeit ein, in der Raum und Zeit eng zusammenhängen und absolut untrennbar sind. Sie sind nur 247 relativ; von Raum an sich und Zeit an sich kann man nur in Bezug auf diese oder jene Inertialsysteme reden. In der klassischen Physik wurden sie angesichts der Absolutheit von Raum und Zeit als absolut nicht zusammenhängend dargestellt. „Nach der Absage an die Absolutheit der Zeit und besonders der Gleichzeitigkeit erschien sofort die Vierdimensionaltität der räumlich-zeitlichen Vorstellung“,33 schrieb Einstein. Die vierdimensionale Vorstellung von Minkowski half Einstein im Weiteren, den mathematischen Apparat der allgemeinen Realtivitätstheorie zu schaffen. Die Idee des räumlich-zeitlichen Kontinuums bestätigt jene These, dass über eine objektive Wahrhaftigkeit vor allem das Ganze, Konkrete verfügt, das ein System innerlich zusammenhängender Beziehungen ist. Raum und Zeit sind nur Momente dieses Ganzen. Eine derartige Auslegung ist nicht nur für die Relativitätstheorie, sondern für jede wahrhafte Theorie zutreffend. Hegel hat mehrmals unterstrichen, dass die Wahrheit nicht im Allgemeinen liegt, das getrennt vom Besonderen betrachtet wird, sondern in ihrer dialektischen Einheit. Diesen dialektischen Gedanken hat Hegel konsequent auf alle philosophischen Kategorien angewendet. Während vor Hegel solche paarigen Kategorien wie positiv und negativ, zufällig und notwendig, Freiheit und Notwendigkeit und dgl. als unvereinbar (getrennt) betrachtet wurden, so hat er ihren inneren Zusammenhang und ihre Unteilbarkeit bewiesen. Ähnlich wie Hegel mittels des Gesetzes von der Einheit der Gegensätze das in Einheit betrachtet hat, was vor ihm als getrennt gedacht worden war, hat Einstein, die Allgemeinheit und Wahrhaftigkeit der Transformationen von Lorentz anerkennend, das in Einheit betrachtet und verstanden, was als getrennt angenommen wurde. Ein hervorragendes Beispiel dafür ist die Aufdeckung der synthetischen Natur von Raum und Zeit, von Masse und Energie usw. Das große Verdienst von Einstein besteht darin, dass er nicht nur riesige Schwierigkeiten in der Entwicklung der Elektrodynamik gelöst hat, sondern das im Ergebnis der grundlegenden Veränderung der räumlich-zeitlichen Vorstellung infolge der Veränderung des alten Denkstils getan hat. Einstein schuf eine geschlossene vollendete Theorie und war der Begründer einer neuen Richtung im physikalischen Denken. Einstein entdeckte keinen neuen erstaunlichen Fakt in der Natur. Seine Entdeckung ist mit der Veränderung der Methode des Denkens in der Physik, mit der Veränderung der Herangehensweise an physikalische Erscheinungen verbunden. Engels schrieb beim Vergleich der „Wissenschaft der Logik“ von Hegel und des „Kapitals“ von Marx: „Vergleichen Sie wenigstens die Entwicklung von der Ware zum Kapital bei Marx und die Entwicklung vom Sein zum Wesen bei Hegel, und Sie haben eine wunderbare Parallele: einerseits die konkrete Entwicklung, wie sie in der Wirklichkeit vor sich geht, und andererseits die abstrakte Konstruktion, in der höchst geniale Gedanken und stellenweise sehr wichtige Übergänge, wie z. B. von Qualität und Quantität und umgekehrt, zu einer scheinbaren Selbstentwicklung eines Begriffes in den anderen 248 verarbeitet werden“.34 Wenn man aufmerksam die Struktur, den inneren Zusammenhang der Kategorien der Relativitätstheorie analysiert, kann man sich schwerlich vor einer derartigen Parallele zurückhalten. In der Relativitätstheorie ist die dialektische Synthese solcher wichtigen Kategorien wie Relativitätsprinzip und Beständigkeit der Lichtgeschwindigkeit, Raum und Zeit, Masse und Energie usw. gegeben. Der Ursprung in der Quantenmechanik Der dialektisch-logische Begriff des Ursprungs, des Ausgangspunktes hat große Bedeutung auch für die Analyse des Aufbaus der Quantenmechanik. Die Quantenmechanik hat, wie auch die Relativitätstheorie, die Logik in der physikalischen Wissenschaft prinzipiell verändert. Aus diesem Grund haben die Erforschung des Ursprungs, des Ausgangspunktes und der Logik der Quantenmechanik eine große philosophische Bedeutung. A. Moderne Interpretation der Quantenmechanik Ihrer Logik und Methode nach unterscheidet sich die Quantenmechanik wesentlich von alten physikalischen Theorien. Die Umwälzung, die von der Quantenmechanik in der Entwicklung der Physik vollzogen wurde, war derart fundamental, dass einzelne hervorragende Physiker in ihr das Ende des physikalischen (orthodoxen) Denkens sahen. Bis zum Ende seines Lebens konnte Einstein die Wahrscheinlichkeitsinterpretation der Quantenmechanik nicht anerkennen und hielt sie für eine abgeschlossene physikalische Theorie. In seinen Arbeiten hoffte er hartnäckig auf die Möglichkeit der deterministischen Interpretation der Quantenerscheinungen. Von der Wahrscheinlichkeitsinterpretation der Quantenmechanik sprechend, scherzte er häufig, dass „Gott nicht Würfel spielt“. Zeitweise zeigten auch Louis de Broglie und E. Schrödinger ein solches Verhalten gegenüber der Interpretation der Quantenmechanik. Max Planck führte die Idee der Diskretion der Energie (E=hv) in die Erforschung der Wärmestrahlung ein, mit der die Zerstörung der gefestigten Vorstellungen der klassischen Physik begann. Einstein und Broglie erarbeiteten den grundlegenden Ausgangsbegriff der Quantenmechanik: den Dualismus der Teilchen-Welle, ohne den ein ganzheitliches und theoretisches Verständnis eines großen Gebietes von Mikroerscheinungen unmöglich ist. Das erforderte das Lossagen vom Determinismus der klassischen Physik eines Laplace, da der Zustand des quantenmechanischen Systems nicht mit Hilfe von Koordinaten und Impulsen beschrieben werden musste, sondern mit der Wellenfunktion , deren Wahrscheinlichkeitsauslegung von N. Bohr kam. Ausgehend von den Ideen Einsteins und Broglies hat später Schrödinger die Grundgleichung der Wellenmechanik gefunden, die die Veränderung der Wellenfunktion in der Zeit beschreibt. 249 Aber die Mehrzahl der Physiker der alten Generation konnte sich laut Heisenberg nicht mit der statistischen, der Wahrscheinlichkeitsinterpretation der Quantenmechanik einverstanden erklären. Besonders charakteristisch ist die Aussage von Schrödinger in einem Gespräch mit N. Bohr 1926/27: „Wenn wir uns anschicken, diese verflixten Quantensprünge zu erhalten, bedaure ich, dass ich es überhaupt mit der Quantentheorie zu tun hatte.“ Bohr antwortete: „Aber alle übrigen sind Ihnen dafür dankbar“.35 Das alles lässt keinen Zweifel an der prinzipiellen Tiefe der Umwälzung, die die Quantenmechanik vollzogen hat, und zeugt von den Schwierigkeiten beim Verständnis und der Interpretation einzelner ihrer Aspekte. Ernsthafte Schwierigkeiten und Streitigkeiten beim theoretischen Erfassen des Inhaltes, der Begriffe der Quantenmechanik haben auch heute noch nicht aufgehört. Laut W. Fok existieren drei Richtungen in der Interpretation der Quantenmechanik: die Kopenhagener Physiker-Schule, zu der Bohr, Heisenberg, Born und Dirac gehören. Zu ihnen stoßen nach dem Inhalt ihrer Interpretation die sowjetischen Physiker W. Fok und A. Alexandrow, obwohl sie sich prinzipiell von positivistischen Begriffen und der Terminologie der Kopenhagener Schule abgrenzen. Eine andere Gruppe ist um Louis de Broglie vereint. Dazu gehören Bohm, Vigié, Terlezki usw. Ihrer Überzeugung nach sind der statistische Charakter der Quantenmechanik, die Wechselbeziehungen der Unbestimmtheiten temporäre Erscheinungen, und deshalb kann man ihre Wahrscheinlichkeit auf eine deterministische, dynamische Interpretation zurückführen, was auf einem Subquanten-Niveau möglich ist. Infolgedessen ist die Wahrscheinlichkeit der Quantenmechanik nicht substantiell, sondern der Ausdruck eines dynamischen Gesetzes. Der statistische Charakter der Quantenerscheinungen ist mit unserer Unkenntnis verbunden, und mit der Zeit kann man ihn durchaus auf den klassischen Determinismus zurückführen. In dieser Richtung arbeiten sie auch gegenwärtig. In einem Vortrag auf einer philosophischen Konferenz hat Fok die Arbeiten dieser Physiker einer scharfen Kritik unterzogen, da sie äußerst künstlich und bar jedes heuristischen Wertes sind. „ ... Nicht eine einzige Aufgabe“, schreibt Fok, „haben die Autoren versucht zu lösen. Im Gegenteil, ihre Überlegungen wurden (nicht einmal sehr überzeugend) vorher den aus der Quantenmechanik bekannten Resultaten angepasst. So ist das Kriterium der Praxis entschlossen gegen diese wissenschaftliche Richtung“.36 Die sorgfältige Analyse der theoretischen Konzeption dieser Gruppe bringt auch ernsthafte logisch-gnoseologische Mängel zutage. Vor allem haben sie die prinzipielle Spezifik des Sachgebietes der Mikroerscheinungen nicht bis zu Ende erfasst, wobei sie ernsthaft durch ihre Identifizierung des Kausalitätsprinzips, der Gesetzmäßigkeit überhaupt und des klassischen Determinismus gestört wurden. Tatsächlich, in den Quantenerscheinungen und ihrem theoretischen Ausdruck ist das klassische Prinzip der Kausalität nicht gerechtfertigt. Die Anhänger der deterministischen 250 Auslegung der Quantenerscheinungen kennen gewöhnlich nur das klassische Prinzip der Kausalität, der Gesetzmäßigkeit der Erscheinungen. Deshalb halten sie die Verletzung dieses Prinzips für die Verletzung der rationalen Grundlage jeglicher Wissenschaft. Aus diesem Grund lehnen sie die Wahrscheinlichkeits-, die statistische Interpretation der Quantenmechanik ab. Der Hauptmangel dieser Konzeption besteht darin, dass sie die Kausalität, den Determinismus seinem Wesen nach im Sinne des Determinismus von Laplace verstehen. In Wirklichkeit erschöpft der klassische Determinismus die Kausalität nicht, sondern er ist eine einseitige, abstrakte Kausalität. Der klassische Determinismus ist keine allgemeine Form der Kausalität, sondern nur ein spezieller Fall, der nur für mechanische Systeme eine allgemeine Bedeutung hat. Das Bemühen, das klassische Verständnis der Kausalität bei der Erkenntnis von Mikroerscheinungen wiederherzustellen, ist dem Wesen nach eine Universalisierung des begrenzten, verstandesmäßigen Verständnisses der Kausalität, was als gnoseologische Grundlage der unproduktiven Konzeption von Broglie u. a. dient. Zur dritten Gruppe der Interpretation der Quantenmechanik gehört die Konzeption der Quantenensembles. Seinerzeit wurde sie von Mandelstam in seinen Vorlesungen zur Quantenmechanik dargelegt und in den Arbeiten von Blochinzew u. a. weiterentwickelt. Der Hauptinhalt dieser Interpretation besteht darin, dass die Quantenmechanik nicht die Theorie eines individuellen Quantenobjektes, sondern die Theorie eines Ensembles von Teilchen ist. Deshalb bestimmt die Quantenmechanik nur die mittlere Natur der Gesamtheit der Mikroerscheinungen. Die Konzeption der Quantenensembles ist ihrem Inhalt nach empirisch, sie konnte den rationalen Inhalt der Quantenstatistik, der Wahrscheinlichkeit nicht aufdecken. Laut Fok bringt diese Konzeption der Quantenensembles nichts Neues in den physikalischen Inhalt der gewöhnlichen Interpretation und unterscheidet sich von ihr nur durch die Idee der Quantenensembles. Die Konzeption der Quantenensembles ist empirisch begrenzt, da die Aufmerksamkeit des Forschers nur auf die Ergebnisse der Messung, auf den statistischen Charakter der Quantenerscheinungen gerichtet ist. Bei der theoretischen Untersuchung muss das Quantenobjekt jedoch ganzheitlich betrachtet werden. Dabei ist die Aufmerksamkeit des Forschers zunächst auf den Zustand der Mikroerscheinungen vor jeglicher Messung konzentriert, bei der der Wellenfunktion große Bedeutung beigemessen wird. Die Wellenfunktion charakterisiert auch den Zustand des individuellen Objektes. In der Wellenfunktion ist der objektive, gesetzmäßige Zustand des Quantenobjektes vor jeglicher Messung ausgedrückt. Bei der theoretischen Erforschung ist die Untersuchung des Quantenobjektes in reiner Form, ohne fremde Einwirkung notwendig. Im „Kapital“ erforscht Marx zunächst den Mehrwert in reiner Form, unabhängig von seinen Erscheinungsformen. Eine derartige Logik ist bei der Erforschung von Quantenerscheinungen ebenfalls durchaus anwendbar. 251 Streit und Diskussion um die Interpretation der Quantenmechanik sind auch gegenwärtig nicht beigelegt. Den theoretischen Gedanken interessiert ernsthaft die Frage: Welche Konzeption ist die wahre, die dem Wesen der Quantenobjekte entspricht? In den letzten Jahren erhält die gewöhnliche Kopenhagener Interpretation in der Auslegung von Fok immer mehr Anerkennung. Uns scheint, dass hier ernsthafte theoretische, philosophische Ergebnisse erreicht wurden. Der grundlegende physikalische Inhalt dieser Interpretation, ihre innere Logik verhält sich invariant zu der inhaltlichen Logik, die Hegel und Marx erarbeitet haben. Zum produktiven Verständnis der inneren Struktur, der Logik der Quantenmechanik sind die Arbeiten von Fok wichtig. Seiner Meinung nach hat nur die Kopenhagener PhysikerSchule mit N. Bohr wirkliche und reale theoretische Erfolge erzielt. In physikalischer und philosophischer Hinsicht hat die Konzeption der versteckten Parameter fast nichts erreicht. Ihrem physikalischen Inhalt nach ist die Konzeption der Quantenensembles absolut identisch mit dem Kopenhagener Verständnis; sie unterscheidet sich von ihm nur durch die Interpretation des Inhalts der Wellenfunktion. In diesem Zusammenhang ist der physikalische und prinzipielle wissenschaftliche Vorrang der gewöhnlichen Interpretation der Quantenmechanik unzweifelhaft. Zurzeit hat die Quantenmechanik eine breite Anerkennung und experimentellen Beweis erhalten. Das, was im Verlauf der Begründung der fundamentalen Quantenmechanik in das wissenschaftlich-theoretische Denken aufgenommen wurde, ist eine große Errungenschaft des schöpferischen Geistes. B. Die logische Begründung des Ursprungs in der Quantenmechanik Die Quantenmechanik als physikalische Theorie ist vollendet, aber ihre philosophische, logische Seite bleibt äußerst aktuell. Die aufmerksame Analyse der theoretischen Konzeptionen von Broglie und anderen bei der Interpretation der Quantenmechanik zeugt davon, wie schon erwähnt, dass in ihnen einige logisch-gnoseologische Fehler vorhanden sind. Mit dem Gebiet der Mikrowelt haben wir ein selbständiges und spezifisches Sachgebiet vor uns, dessen Gesetzmäßigkeiten nicht auf die Prinzipien und Begriffe der klassischen Physik zurückführbar sind. Eine produktive Erforschung der Mikroerscheinungen ist nur auf der Grundlage aller Zusammenhänge und Gesetzmäßigkeiten möglich, die in diesem System beständig reproduziert werden und innerlich mit ihm zusammenhängen. Dabei muss man von dem abstrahieren, was für dieses System äußerlich ist und zu ihm keine unmittelbare Beziehung hat. Unter diesem Blickwinkel hat das Prinzip der „Unbeobachtbarkeit“ möglicherweise einen gewissen rationalen Sinn, wenn die Rede von diesen oder jenen Begriffen ist, die in den vorherigen theoretischen Systemen wichtig sind, aber prinzipiell in diesem System nicht zu 252 entdecken sind, obwohl es einer Vielzahl von Versuchen unterzogen wird. In dieser Auslegung wird das Prinzip der „Unbeobachtbarkeit“ seinem Inhalt nach der fundamentalen Idee der marxistischen Logik entsprechen, laut der der Forscher bei der theoretischen Analyse des Gegenstandes nur das beachtet, was ständig durch das Funktionieren dieses konkreten Systems reproduziert wird. Bei der theoretischen Erforschung des Objektes ist die Aussonderung der immanenten, inneren Zusammenhänge derjenigen Momente des Gegenstandes wichtig, die äußerlich und für ihn nebensächlich sind. In der Analyse der kapitalistischen Gesellschaft und Logik des „Kapitals“ sind alle diese Fragen sorgfältig herausgearbeitet. So funktioniert z. B. die kapitalistische Gesellschaft dort, wo bestimmte Reichtümer, Naturressourcen und schöpferische Ideen von Erfindern usw. vorhanden sind. Bei der theoretischen Reproduktion des Kapitalismus werden alle diese Momente einfach aus der Erforschung ausgeschlossen, da die kapitalistische Produktion ständig nicht Naturressourcen, schöpferische Ideen reproduziert, sondern ununterbrochen Mehrwert und Arbeitskraft als Ware schafft. In der dialektischen Logik hat die kritische Trennung des inneren Zusammenhangs des Systems von fremden, nebensächlichen Momenten eine fundamentale Bedeutung. In der theoretischen und ganzheitlichen Reproduktion der Wirklichkeit ist dieses logische Prinzip unmittelbar mit der Aufdeckung des ursprünglichen Ganzen, des Sachgebietes und der entwickelten Form des Gegenstandes verbunden. Eine entwickelte Form ist diejenige Spielart, die am vollständigsten und adäquatesten die Art ausdrückt. Ihrem Inhalt und Ziel nach helfen die Untersuchungen der entwickelten Form auch bei der Herausstellung der inneren Zusammenhänge gegenüber den äußeren und nebensächlichen. Zur Illustration seiner theoretischen Schlüsse betrachtete Marx die am meisten entwickelte Form des Kapitalismus, d. h. den englischen. Im Frühstadium der Entwicklung der kapitalistischen Formation war es kompliziert, die immanenten Zusammenhänge des Kapitalismus von seinen nebensächlichen Momenten zu trennen. Zu Zeiten von Marx hat der englische Kapitalismus seine entwickelte Form erreicht. Viele Momente, die für seine frühe Periode charakteristisch waren, waren verschwunden und haben den Zusammenhängen Platz gemacht, die dem Kapitalismus immanent sind. In der Geschichte der Physik haben wir eine solche Erscheinung bei der Untersuchung der Logik der Relativitätstheorie entdeckt. Bei der Erforschung der elektromagnetischen Erscheinungen in beweglichen Systemen gibt die klassische Form des Experimentes, der Versuch von Michelson, prinzipiell nicht die Möglichkeit, den Äther zu entdecken. Der Äther hängt innerlich nicht mit der Natur der elektromagnetischen Erscheinungen zusammen, und die Theorie geht vom Fehlen des ätherischen Windes aus. Freilich starb die Konzeption des Äthers nicht infolge des Prinzips der „Unbeobachtbarkeit“ und des Experimentes von Michelson, sondern kraft der Fundamentalität des Relativitätsprinzips in elektromagnetischen Erscheinugen. 253 Ein analoges Bild beobachten wir insgesamt auch in der Quantenmechanik. Auf dem Gebiet der Mikroerscheinungen geht es um ein prinzipiell anderes, spezifisches Sachgebiet. Viele Begriffe und Thesen der klassischen Mechanik haben hier keinen Sinn. Es ist unmöglich, das Quantenobjekt als klassisches Teilchen oder als Feld zu interpretieren. Hier hat das Elektron keine Bahn wie im Falle der klassischen Dynamik. Auf dem Gebiet der Mikroerscheinungen sind die Wechselbeziehungen der Unbestimmtheiten von Heisenberg ein fundamentaler Fakt. All das überzeugt davon, dass es um ein spezifisches Objekt geht, für dessen Verständnis andere fundamentale Prinzipien und Ausgangsthesen notwendig sind. In seinem Vortrag auf der philosophischen Konferenz hat W. Fok die hauptsächlichen Besonderheiten der quantenmechanischen Beschreibung aufgezählt. Laut Fok ist es vor allem unmöglich, die Wellenfunktion eines komplizierten Systems, das aus vielen Teilchen besteht, als im Raum verteiltes Feld zu betrachten, das dem klassischen Feld ähnlich ist. Die Wellenfunktion der Quantenmechanik hängt nicht von drei Koordinaten ab, sondern von allen Stufen der Freiheit des Systems. Sie ist eine Funktion in einem vieldimensionalen konfigurativen Raum, und nicht in einem realen physikalischen Raum. In der Entwicklung der Quantenmechanik hat sich auf diese Weise ein Sachgebiet herausgebildet. Die Aufgabe des Forschers ist es, alle diese Kategorien und Besonderheiten des Quantenobjektes in Form einer Theorie als innerlich Zusammenhängendes und Konkretes zu verstehen und zu erfassen und dabei von den Zusammenhängen auszugehen, die der Ursprung des Systems sind und die Möglichkeit geben, den theoretischen Gedanken weiterzuentwickeln. Der Gegenstand der Quantenmechanik ist spezifisch, er bildet ein qualitativ besonderes Gebiet. Deshalb ist es für die geistig-theoretische Reproduktion der Mikroerscheinungen notwendig, von prinzipiell anderen Ausgangselementen, allgemeinen Grundlagen auszugehen. In diesem Zusammenhang kann das Bestreben, die Wellenfunktion im klassischen Sinne zu interpretieren, nicht zu irgendwelchen positiven Ergebnissen führen. Es geht darum, dass die Gesetzmäßigkeiten, die inneren Zusammenhänge eines komplizierten Systems (der Substanz) nicht einfach auf die früheren, einfachen Wechselbeziehungen reduziert, zurückgeführt werden können. In methodologischer Hinsicht ist eine solche Betrachtung eine ernste Verletzung des Prinzips des konkreten Historismus. Im Unterschied zum metaphysischen Reduktionismus stützt sich die dialektisch-materialistische Logik auf Prinzipien des Historismus, auf die Idee von Substanz-Subjekt. Entsprechend den Prinzipien der dialektischen Logik muss die theoretische Begründung jedes bestimmten Sachgebietes auf seiner eigenen Grundlage realisiert werden. So wird z. B. die kapitalistische Formation mittels der Aufdeckung ihrer spezifischen. immanenten Gesetzmäßigkeiten erkannt, und nicht durch ihre Rückführung auf feudale Prinzipien. Auf dem Gebiet der Physik bilden die Quantenobjekte, die Mikroerscheinungen ein 254 selbständiges System; sie ordnen sich ihren eigenen Gesetzmäßigkeiten unter. Alle Besonderheiten der Quantenmechanik, die Fok aufgezählt hat, zeugen davon. Bei der Erforschung der Quantenerscheinungen muss außerdem die Einwirkung des klassischen Gerätes auf das Verhalten des Mikroobjektes beachtet werden. In diesen Besonderheiten der Quantenmechanik hat sich nicht nur ihre Nichtrückführbarkeit auf ihre klassischen Objekte erwiesen, sondern auch das ursprüngliche Ganze (das Sachgebiet) offenbart. Seine Analyse gestattet es, den Ursprung festzustellen, von dem ausgehend die theoretische Reproduktion der Quantenerscheinungen möglich wird. Ohne die praktische Feststellung des Sachgebietes, des ursprünglichen Ganzen ist es unmöglich, den Ausgangspunkt, den Ursprung und die Logik dieses oder jenes Systems zu offenbaren und zu erkennen. Für die Feststellung und Hervorhebung des Ursprungs des Systems ist keine empirische, sondern eine theoretische Analyse notwendig. Während die empirische Analyse bei der Erforschung des Objektes sich zur Natur des Ganzen gleichgültig verhält, geht die theoretische Analyse vom Standpunkt des Ganzen an das Objekt heran. Der Hauptmangel des empirischen Stadiums besteht darin, dass die empirische Analyse in ihrer unaufhaltsamen Bewegung zum Verlust der Eigenschaft des Ganzen gelangt. In der theoretischen Erkenntnis wird die Analyse des Gegenstandes nicht gleichgültig realisiert, sondern von der Position des Ganzen aus. Das Ziel der theoretischen Analyse besteht in der Entdeckung der allgemeinen Grundlage, des universellsten Zusammenhanges des erforschten konkreten Ganzen. Ihrer Natur nach ist die nichtrelativistische Quantenmechanik keine empirische, sondern eine theoretische Wissenschaft. Während im „Kapital“ von Marx die kapitalistische Gesellschaftsformation theoretisch und ganzheitlich erkannt ist - beginnend mit der elementaren Konkretheit, der Ware, und endend mit den entwickelten Formen wie Profit, Rente und Lohn - ist in der Quantenmechanik auch eine ganzheitliche, theoretische Erkenntnis der Mikroerscheinungen zu finden. „Das Kapital“ ist von Anfang bis Ende von K. Marx geschrieben. In der nichtrelativistischen Quantenmechanik wurde die ganzheitliche Erkenntnis der Natur der Mikroerscheinungen durch gemeinsame Anstrengungen solcher Physiker wie M. Planck, A. Einstein, L. de Broglie, N. Bohr, M. Born, Heisenberg, Schrödinger, Dirac, Fok usw. realisiert. Alle gemeinsam haben die vollendete, logisch wahrhafte und ganzheitliche Quantenmechanik geschaffen. Die Aufgabe der nichtrelativistischen Quantenmechanik ist die theoretische Erklärung des Verhaltens des Mikroobjektes und dessen, wie es sich in der Versuchsanordnung zeigt. In diesem Fall ist die Bemerkung von Fok darüber sehr wertvoll, dass das Verhalten des Mikroobjektes, die Versuchsanordnung ganzheitlich betrachtet werden, d. h. es werden zusammengefasst: die Quelle, von der die Strahlung ausgeht, die äußeren Bedingungen und das Messgerät. In der Quantenmechanik beschreibt die Wellenfunktion den objektiven Zustand des Mikroobjektes. Sie ist die objektive Charakteristik des Ergebnisses der Wechselbeziehung 255 des Atomobjektes mit dem Gerät. Die Wellenfunktion gehört ebenfalls zur Natur des einzelnen Objektes. In ihrer Form ist nur das objektiv Mögliche, nicht jedoch das Wirkliche ausgedrückt. Die Verwandlung der Möglichkeit in die Wirklichkeit realisiert sich nur im Endstadium des Versuches. Um experimentell die entsprechende Verteilung der Wahrscheinlichkeiten zu erhalten, ist eine Serie von Experimenten notwendig. „Diese experimentelle Verteilung der Wahrscheinlichkeiten“, schreibt Fok, „kann danach mit der theoretischen, aus der Wellenfunktion erhaltenen [Verteilung] verglichen werden. ... Auf diese Art können aus der statistischen Bearbeitung einer Serie von Versuchen die Verteilungen von Wahrscheinlichkeiten nicht nur für die Größen erhalten werden, die analog den klassischen sind, sondern auch für spezifische Quantengrößen“.37 In der klassischen Physik gibt es eine eindeutige Beschreibung des Verhaltens von physikalischen Erscheinungen. Im Unterschied zur klassischen Physik hat in der Quantenmechanik der Unterschied zwischen dem potentiell Möglichen und dem Zustandegekommenen eine wesentliche Bedeutung. Wenn man das in die Sprache der Philosophie übersetzt, so unterscheidet sich in ihr das Sein in sich vom Sein für sich, das Mögliche vom Wirklichen, das Wesen von den Erscheinungsformen. In der klassischen Mechanik fehlt der Begriff der Entwicklung, und er entspricht der mechanischen Kausalität, dem klassischen Determinismus. In der dialektischen Logik ist ein solches Verständnis der Kausalität prinzipiell überwunden, da die Dialektik die Logik organischer und komplizierter Systeme ist, in denen notwendigerweise die Selbstentwicklung des Systems Beachtung findet. In derartigen Gegenständen können die Inhalte der Ursache und der Wirkung nicht eindeutig, identisch sein. Deshalb ist das klassische Verständnis der Kausalität einseitig. Nach Meinung von Fok ist die praktische Unmöglichkeit, alle Ereignisse in der klassischen Physik vorauszusagen, auf die Unvollständigkeit der Ursprungsdaten zurückzuführen. Ein solches Verständnis der Kausalität, des Determinismus entstand unter bestimmten historischen Bedingungen. In der Quantenmechanik ist es wichtig, das Mögliche vom Wirklichen zu unterscheiden. In der Logik der Quantenmechanik wird das Mögliche, das In-Sich-Sein, das durch die Wellenfunktion ausgedrückt ist, zunächst unabhängig von Erscheinungsformen, vom Endstadium des Experimentes und der Statistik betrachtet. In diesem Falle ist die Methodologie der Untersuchung der Frage der Logik des „Kapitals“ von Marx analog. In seinen Briefen hat er mehrmals unterstrichen, dass das Neue an seinem Herangehen im Vergleich zu den Klassikern der politischen Ökonomie das ist, dass er zunächst den Mehrwert in reiner Form untersucht, unabhängig von Erscheinungsformen. Dabei kritisierte er scharf die Empiriker in der politischen Ökonomie, die dem Wesen die Erscheinungsformen gegenübergestellt haben. „Die Aufgabe der Wissenschaft“, schrieb Marx, „besteht gerade darin zu erklären, wie das Wertgesetz erscheint; folglich, wenn sie sofort alle dem Gesetz scheinbar widersprechenden Erscheinungen „erklären“ wollten, müssten sie die Wissenschaft noch vor der Wissenschaft geben ... Die Pointe der 256 bürgerlichen Wissenschaft besteht ja gerade darin, dass in ihr a priori keine bewusste gesellschaftliche Regulierung der Produktion existiert. Das Vernünftige und natürlich Notwendige offenbart sich als blind handelnder Durchschnitt. Und der Vulgärökonom denkt, dass er eine große Entdeckung macht, wenn er der Aufdeckung des inneren Zusammenhanges stolz den Fakt gegenüberstellt, dass in den Erscheinungen die Dinge anders aussehen. Und es kommt heraus, dass er darauf stolz ist, vor der Scheinbarkeit zu liebedienern, dass er das Scheinbare für das Endliche hält“.38 Die Bedeutung der marxistischen Methodologie in der Logik der Quantenmechanik ist groß. Während Marx den Mehrwert unabhängig von seinen Erscheinungsformen tiefgründig erforschte, wird in der Quantenmechanik der Zustand des Mikroobjektes (die Wellenfunktion) unabhängig von konkreten Erscheinungsformen untersucht, im gegebenen Fall unabhängig von Beobachtungsmitteln. Eine solche Betrachtung ist das wichtigste Moment der theoretischen Reproduktion des Objektes. In der Quantenmechanik wird erst danach der notwendige Zusammenhang der Wellenfunktion und der Ergebnisse der Messung und des statistischen Charakters der Quantenerscheinungen zutage gefördert und erforscht. Im Ergebnis haben wir ein ganzheitliches Bild der Reproduktion des Mikroobjektes. In den Untersuchungen Foks ist dieser Aspekt der Quantenmechanik herausgearbeitet. Laut Fok kann man zwei Seiten der Wechselwirkung zwischen Mikroobjekt und Gerät unterscheiden: erstens die Wechselwirkung als physikalischer Prozess und zweitens die Wechselwirkung als Nahtstelle zwischen dem System, das quantenmechanisch beschrieben wird (Mikroobjekt) und dem Teil, der klassisch beschrieben wird. Seine Aufmerksamkeit konzentriert Fok hauptsächlich auf den zweiten Teil. Dabei muss man unbedingt bedenken, dass die äußeren Bedingungen des Verhaltens des Quantenobjektes und die Ergebnisse der Wechselwirkung mit seinem Gerät in Termini der klassischen Physik beschrieben werden. Nach ihren Angaben muss über die Quanten-Charakteristika des Atomobjektes geurteilt werden. In der klassischen Physik kann das Verhalten des physikalischen Körpers eindeutig vorhergesagt werden. In Atomobjekten verhält es sich prinzipiell anders: Sogar im Falle fixierter äußerer Bedingungen ist das Resultat ihrer Wechselwirkung mit dem Gerät nicht eindeutig. „Dieses Resultat“, schreibt Fok, „kann nicht mit Bestimmtheit auf der Grundlage vorausgegangener Beobachtungen vorhergesagt werden, so exakt letztere auch sein mögen. Bestimmt ist nur die Wahrscheinlichkeit dieses Resultates. Der vollständigste Ausdruck der Resultate einer Serie von Messungen wird nicht die exakte Bedeutung der gemessenen Größe sein, sondern die Verteilung der Wahrscheinlichkeiten für sie“.39 Die Spezifik und Besonderheit der Quanten-Gesetzmäßigkeiten hängen mit der Natur der Mikroerscheinungen zusammen. „Jener Fakt“, schreibt Fok, „ dass im allgemeinen Fall keine Präzisierung der vorangegangenen Beobachtungen zur eindeutigen Vorhersage des Resultates der Messungen führt, hat eine große prinzipielle Bedeutung. Diesen Fakt muss 257 man als Ausdruck eines gewissen Naturgesetzes betrachten, das mit den Eigenschaften von Atomobjekten zusammenhängt, insbesondere mit dem ihnen eigenen korpuskularen Wellen-Dualismus. Die Anerkennung dieses Faktes bedeutet die Absage an den klassischen Determinismus und erfordert neue Formen des Ausdrucks des Kausalitätsprinzips“.40 Statistische Gesetzmäßigkeiten gab es eigentlich auch in der klassischen Physik. Aber die Wahrscheinlichkeit hat in der Quantenmechanik eine prinzipiell andere Bedeutung, da die Wahrscheinlichkeit in der klassischen Physik als Ergebnis eines gewissen Nichtwissens betrachtet wurde und immer die Möglichkeit einer Rückführung auf eine eindeutige Lösung vorausgesetzt wurde. Auf dem Gebiet der Quantenmechanik haben wir ein prinzipiell anderes Bild. „In der Quantenmechanik“, schreibt Fok, „ist ein derartiges Aussortieren der Atomobjekte unmöglich, da entsprechend der Eigenschaft der Atomobjekte die gemessenen Größen unter den gegebenen Bedingungen keine bestimmten Bedeutungen haben können. In der Quantenphysik ist der Begriff der Wahrscheinlichkeit ein primärer Begriff und spielt dort eine fundamentale Rolle. Mit ihm ist auch der quantenmechanische Begriff des Zustandes des Objektes verbunden“.41 Auf dem Gebiet der Quantenmechanik geht es um ein prinzipiell neues Verständnis der Wahrscheinlichkeiten, die der Ausdruck der Bewegung qualitativ anderer physikalischer Objekte sind und die eine Korpuskularwellen-Natur haben. Auf dem Gebiet der Quantenmechanik drückt die Wahrscheinlichkeit, die Wellenfunktion etwas Primäres aus, während die statistische Gesetzmäßigkeit als Beschreibung der Ergebnisse der Messung eine Erscheinungsform ist. In der Quantenmechanik als theoretischer Wissenschaft werden die Substanz, die immanenten Gesetzmäßigkeiten und Erscheinungsformen in Einheit und Ganzheit betrachtet. Diese theoretische und ganzheitliche Betrachtung ist ein gewisses Ergebnis der wissenschaftlich-theoretischen Reproduktion des Objektes. Sie unterscheidet sich wesentlich vom ursprünglichen, chaotischen Ganzen, dem Sachgebiet, mit dessen theoretischer Analyse die Erkenntnis, die Herausstellung und Offenbarung der allgemeinen Grundlage, des Ausgangspunktes des konkreten Ganzen eigentlich beginnt. Dem Wesen nach beginnt mit dieser ursprünglichen „Zelle“, dem Allgemeinen der Aufstieg vom Abstakten zum Konkreten. Nur im Ergebnis einer solchen Bewegung des theoretischen Gedankens realisiert sich die geistige Reproduktion des Gegenstandes als lebendiges Ganzes. Die nichtrelativistische Quantenmechanik als theoretische Wissenschaft muss die ganzheitliche Natur des Mikroobjektes erklären. In diesem Zusammenhang entsteht die Frage: Wenn ein bestimmtes Sachgebiet, ein Gebiet von Mikroerscheinungen bekannt ist, was ist dann der Ursprung dieses Sachgebietes, von dem ausgehend das theoretische Verständnis der Mikroerscheinungen möglich ist? Dabei muss man sich unbedingt an die grundlegenden logischen Kriterien des Ursprungs, der elementaren „Zelle“ erinnern. 258 In der dialektischen Logik wird der Ursprung, die elementare „Zelle“ als allgemeine, unmittelbare Bestimmtheit des Ganzen verstanden. Im „Kapital“ ist dieses Allgemeine die Ware und die Warenbeziehungen. Darum beginnt auch Marx die Analyse der Ware, die die „Zelle“ des Kapitalismus ist, und entdeckt in dieser einfachsten Konkretheit seine Widersprüche. In diesem Zusammenhang ensteht die Frage: Was ist der Ausgangspunkt der Quantenmechanik? Es ist die Korpuskularwellen-Natur des Mikroobjektes. Die Frage nach dem Korpuskularwellen-Dualismus hat eine fundamentale Bedeutung in der Quantenmechanik. Von ihm hängen alle spezifischen Besonderheiten des Quantenobjektes ab, d. h. die fundamentale Wahrscheinlichkeit, der statistische Charakter, das Fehlen einer Bahn und die Unmöglichkeit der mechanisch-deterministischen Beschreibung des Quantenobjektes. Methodologisch sind das richtige Verständnis und die Interpretation der Quantenmechanik nur bei der prinzipiellen Betonung der Besonderheiten der Quantenerscheinungen möglich. Auf dem Gebiet der Quantenmechanik ist der Korpuskularwellen-Dualismus sowohl historisch als auch logisch das Ausgangselement. Alle Besonderheiten des Mikroobjektes kann man verstehen, wenn man von seiner Korpuskularwellen-Natur ausgeht. Dabei muss man beachten, dass der Terminus Korpuskularwellen-Dualismus nicht besonders glücklich gewählt ist. In der Quantenmechanik geht es nicht um Dualismus im philosophischen Sinne, sondern um die Korpuskularwellen-Natur des einheitlichen Ursprungs selbst. Wie in der Geschichte der Philosophie das synthetische Urteil a priori falsch als gnoseologischer Dualismus ausgelegt wurde, wird in der Quantenmechanik der einheitliche widersprüchliche Ursprung als Korpuskularwellen-Dualismus interpretiert. In den Teilchenwellen der Quantenmechanik haben wir einen einheitlichen Ursprung, der einen zwiespältigen Charakter hat. Auf dem Gebiet der Quantenmechanik sind einzelne terminologische Ungenauigkeiten weit verbreitet, die zu nicht richtigem Verständnis einiger wichtiger Kategorien, Begriffe in der Quantenmechanik führten. Das bezieht sich vor allem auf das berühmte Prinzip der Nachträglichkeit. Bei aufmerksamer und tiefschürfender Untersuchung ist dieses Prinzip seinem Inhalt nach dialektisch. In ihm ist terminologisch unglücklich die wichtige Idee der Einheit der Gegensätze ausgedrückt. Ähnlich, wie die Möglichkeit der Krise, des Widerspruchs des Kapitalismus schon embryonal in der Ware vorhanden ist, sind auch die Wechselbeziehungen der Unbestimmtheiten, die Unmöglichkeit einer eindeutigen Interpretation, das Prinzip der Nachträglichkeit im zwiespältigen Charakter der Mikroerscheinungen selbst enthalten. Alle Geheimnisse und Schwierigkeiten der Quantenmechanik sind embryonal im zwiespältigen Charakter der Mikroerscheinungen eingeschlossen. Zu dieser Frage hat Fok mit Bestimmtheit erklärt, dass alle Schwierigkeiten auf dem Gebiet der Quantenmechanik entfallen, wenn man die zwiespältige KorpuskularwellenNatur des Elektrons anerkennt, das Wesen dieses Dualismus´ aufklärt und begreift, auf was 259 sich die in der Quantenmechanik untersuchten Wahrscheinlichkeiten beziehen. Er hat dann weiter unterstrichen, dass die aus der Wellenfunktion erhaltenen Wahrscheinlichkeiten für unterschiedliche Größen sich auf verschiedene Versuchsanordnungen beziehen und dass sie nicht das Verhalten des Teilchens „an sich“ charakterisieren, sondern seine Einwirkung auf das Geraät eines bestimmten Typs. „Gerade in dieser potentiellen Möglichkeit“, schrieb Fok, „verschiedener Äußerungen von Eigenschaften, die dem Atomobjekt eigen sind, besteht der Dualismus der Welle-Teilchen“.42 „Die Wahrscheinlichkeit diesen oder jenen Verhaltens des Objektes unter den gegebenen äußeren Bedingungen wird von den inneren Eigenschaften des gegebenen individuellen Objektes und diesen äußeren Bedingungen bestimmt“.43 In der Entstehungsgeschichte der Quantenphysik hat der zwiespältige Charakter der Strahlung, der Mikroerscheinungen unterschiedliche Schwierigkeiten geschaffen. In den Wellen von L. de Broglie sahen die Physiker etwas Irrationales. In diesem Zusammenhang sind die theoretischen Ausführungen von Marx über die Natur der Ware interessant. Im Kapitel „Der Waren-Fetischismus und sein Geheimnis“ schrieb er: „Auf den ersten Blick scheint die Ware ein sehr einfaches und triviales Ding. Ihre Analyse zeigt, dass sie ein Ding mit Schrullen, metaphysischen Feinheiten und theologischen Tricks ist. Als Verbrauchswert enthält sie nichts Rätselhaftes ... Sobald sie aber zur Ware wird, verwandelt sie sich in ein sinnliches-übersinnliches Ding. Sie steht nicht nur mit ihren Beinen auf der Erde, sondern stellt sich vor aller Augen auf den Kopf, und ihr Holzkopf gebiert Schrullen, in denen mehr Verwunderliches ist, als würde sie aus eigener Initiative auf dem Tisch tanzen. Der mystische Charakter der Ware wird nicht durch ihren Verbrauchswert erzeugt. Genauso wenig wird er durch den Inhalt der Bestimmungen des Wertes erzeugt... Woher kommt also der rätselhafte Charakter des Produktes der Arbeit, sobald letzteres die Form der Ware annimmt? Augenscheinlich aus dieser Form selbst“.44 Bei allem Unterschied des Gegenstandes der politischen Ökonomie und der Quantenmechanik kann man in diesem Fall eine gewisse Analogie konstatieren. In der Quantenmechanik gibt es auch im Zusammenhang mit der Korpuskularwellen-Natur der Mikroerscheinungen jede Menge Schwierigkeiten. Lange Zeit haben die Physiker die fundamentale Wahrscheinlichkeit, die Natur der Wellenfunktion in der Quantenmechanik nicht verstanden. In Wirklichkeit ist nichts Kompliziertes oder Geheimnisvolles in der korpuskularen oder Wellen-Natur der Materie, wenn man nur eine dieser Seiten nimmt. In jedem dieser Fälle würden wir eine vollkommene Rechtfertigung des klassischen Determinismus, der eindeutigen Interpretation erhalten, und die Wechselbeziehungen der Unbestimmtheiten würden als Wechselbeziehungen von Ungenauigkeiten ausgelegt werden. Die 260 Hauptschwierigkeit in der Quantenmechanik entsteht aus jener Form der Materie, in der die Korpuskularwellen-Eigenschaft in unteilbarer Einheit betrachtet wird. In der Quantenmechanik ergeben sich notwendig und erklären sich aus der Einheit der Korpuskularwellen-Eigenschaft die fundamentale Wahrscheinlichkeit, die Wellenfunktion und die Auslegung der Ergebnisse verschiedener klassischer Messungen, die Ergänzungscharakter haben. Die Korpuskularwellen-Natur der Materie aht eine allgemeine Bedeutung in der Quantenmechanik. Sie ist der wahre Ursprung der Quantenmechanik - in historischer wie in logischer Betrachtung. C. Die historische Begründung des Ursprungs in der Quantenmechanik In der Physik fand ein Umbruch im Denken im Zusammenhang mit der Entdeckung der Diskontinuität der Strahlungsenergie statt. Bis dahin herrschte die Wellenkonzeption vor, in der jegliche Strahlung als Kontinuität betrachtet wurde. Im Zusammenhang mit der Lösung der Aufgaben der Strahlung der absoluten black box führte M. Planck die Idee der Diskontinuität ein (Wirkungsquantum h). Aber diese Hypothese wurde ursprünglich als temporäre Erscheinung betrachtet. Die Hoffnung der Gelehrten hat sich nicht erfüllt. In der Entwicklung der Physik begann die Konstante von Planck, ein Gebiet nach dem anderen zu erobern. Die Quantentheorie wurde von Einstein für die Erklärung der Natur des Foto-Effektes genutzt. Auch N. Bohr hat die Quanten-Idee produktiv für die Erklärung der Struktur der Atomspektren genutzt. Ein großer Triumph der Idee der Diskretheit war ihre experimentelle Bestätigung in den Versuchen von Compton. Das alles waren zweifellos wichtige Abschnitte des Triumphzuges der Quanten-Idee, die immer mehr Gebiet der Physik eroberte und so ihre Universalität demonstrierte. Freilich gehört das alles noch zur Vorgeschichte der Quantenmechanik. In letzterer gewinnt größte Bedeutung die Erarbeitung der Hauptprinzipien und Gleichungen der Quantenmechanik, die sich auf die Allgemeinheit der Korpuskularwellen-Natur der Materie stützen. In der Quantenmechanik entspricht die Korpuskularwellen-Natur des Mikroobjektes seiner logischen Natur nach der Ware im „Kapital“ von Marx. Ähnlich, wie die Analyse der Ware zur Entdeckung des Wertes und des Mehrwertes führt, führt auch in der Analyse der Diskretheit der Energie, der Korpuskularwellen-Natur der Materie zur Schaffung der Wellen-Gleichung der Quantenmechanik. Während in der theoretischen Begründung des „Kapitals“ die Bedeutung der Allgemeinheit der Ware, der Entdeckung der Arbeitskraft als Ware sehr groß ist, haben in der Quantenmechanik die Ideen von Einstein und de Broglie zur Korpuskularwellen-Natur des Mikroobjektes größte Bedeutung. 261 In der politischen Ökonomie gab die Analyse der Ware, die Entdeckung der Arbeitskraft als Ware die Möglichkeit zur Begründung des Mehrwertes. In der Quantenmechanik hat die Entdeckung und Begründung der Korpuskularwellen-Natur des Mikroobjektes fundamentale Bedeutung für die Aufstellung der Schrödinger-Gleichung. In der physikalischen Literatur wird richtig hervorgehoben, dass Schrödinger bei der Schaffung der Wellengleichung von den Ideen Einsteins und de Broglies ausgegangen ist. Zu dieser Frage hat Schrödinger in seiner Arbeit „Über das Verhältnis der Quantenmechanik von Heisenberg - Born - Jordan zu meiner“ geschrieben: „Meine Theorie wurde durch die Dissertation von de Broglie und die kurzen, aber äußerst tiefschürfenden Bemerkungen von Einstein angeregt“.45 In diesem Fall ist von der Idee des Teilchens die Rede, das untrennbar mit der Welle verbunden ist. In seinen Arbeiten über ideale Gase hat Einstein die Idee von de Broglie weiterentwickelt. Eigentlich ist der Hauptinhalt der Idee von de Broglie und der Arbeiten von Bose innerlich mit den fundamentalen Ideen Einsteins über die Natur der Strahlung verbunden. „Gerade dann“, schreibt Klein, „als die Versuche Comptons viele Physiker endgültig von der Realität der Quanten der Lichtteilchen-Strahlung überzeugt hatten, schloss sich Einstein dem Vorschlag von de Broglie an, dass Dualismus der Teilchen-Welle sowohl für die Strahlung als auch für die Materie zutrifft“.46 Bei der aufmerksamen Betrachtung der Geschichte der Physik zeigt sich klar, dass die Idee der Quantierung ursprünglich als Grenzfall im allgemeinen Bild der Physik entstand. Im Weiteren, wie schon aufgezeigt, hat die Quanten-Idee, die Korpuskularwellen-Natur der Materie das physikalische Denken uneingeschränkt erobert. Die Quanten-Idee verwandelte sich aus einem zufälligen, einem Grenzfall in etwas Fundamentales und Notwendiges in der neuen Physik. Für den Sieg der fundamentalen Ideen der neuen Physik, der Begründung der Korpuskularwellen-Natur der Materie sind die Verdienste von Einstein und de Broglie sehr groß. die Idee von der Korpuskularwellen-Natur des Lichtes hatte Einstein schon lange zuvor im Zusammenhang mit der Überwindung der Begrenztheit der vorherigen LichtTheorein geäußert. Bei seinem Auftritt auf dem Kongress in Salzburg hat Einstein nochmals hervorgehoben, dass „uns die nächste Phase der Entwicklung der theoretischen Physik die Theorie des Lichtes bringt, die im gewissen Sinne die Vereinigung der WellenTheorie des Lichtes mit der Theorie des Ausflusses ist“.47 Einstein sah klar die Hauptmängel der existierenden Wellen-Theorie des Lichtes. Sie war außerstande, rational solche Fragen zu klären, wie z. B.: Warum ist das Kurzwellen-Licht effektiver für den Ablauf chemischer Reaktionen als das Langwellen-Licht? Warum erhält das einzelne Foto-Elektron mehr Energie von einer Lichtquelle mit geringer Streuungsdichte? Und warum hängt die Energie eines solchen Foto-Elektrons nicht von der Intensität des Lichtes ab? - In dieser Hinsicht ist die Theorie produktiv, in der die Idee der Quanten angewandt und das Licht als Teilchen-Strom betrachtet wird. In diesem Fall wird 262 die Erscheinung des fotoelektrischen Effektes hinreichend erklärt, der eher auf die ausgerichtete als auf die sphärisch-symmetrische Emission des Lichtes hinweist. In seiner Theorie hat Einstein klar die fundamentale Bedeutung der Quanten-Idee (hv) und auch das verstanden, dass sie ernsthaft über den Rahmen der klassischen Physik hinausgeht. Während sich der Schöpfer der Quanten-Idee M. Planck mehrmals bemühte, die Konstante (h) mit der klassischen Theorie zu versöhnen, war Einstein von der Erfolglosigkeit eines solchen Bemühens überzeugt. „Der Schlüsselpunkt der Überlegung von Einstein“, schreibt Klein, „war die Verwandlung der Methode von Planck. Anstatt sich um die Ableitung des Gesetzes der Streuung zu bemühen und dabei von irgendeiner fundamentalen These auszugehen, ging er den entgegengesetzten Weg. Das Gesetz von Planck war durch Experimente gründlich bewiesen, - warum konnte man seine Richtigkeit nicht anerkennen und versuchen herauszubekommen, welche Folgen, die die „Struktur“ der Strahlung anbetreffen, sich aus ihm ergeben? Einstein hatte so etwas Ähnliches schon 1905 getan“.48 Mit seinen Gedanken über das freie Quant, über die Vereinigung der Wellen- und der Korpuskulartheorie des Lichtes war Einstein damals schon viel weiter als Planck, wovon zeugt, dass letzterer auf dem Kongress in Salzburg anlässlich des Auftritts von Einstein bemerkte: „Das scheint mir ein solcher Schritt zu sein, der meiner Ansicht nach heute noch nicht notwendig ist“.49 Später wurde die Idee des freien Quants durch Experimente, durch Messungen des fotoelektrischen Effektes durch R. Milikan bestätigt. In diesen Versuchen wurde bewiesen, dass die Strahlung gerichtet ist und jedes Quant die Bewegungsanzahl hv/c hat. Ein wichtiges Ereignis beim Beweis dieser Idee war der Compton-Effekt. Dank diesem Effekt erhielt die Quanten-Idee Einsteins eine breite Anerkennung. In seinem Brief an Compton schrieb Sommerfeld, dass seine Entdeckung „wie Beerdigungsmusik für die Wellentheorie der Strahlung klingt“. Nach den Arbeiten von Compton untersuchte W. Pauli das Wärme-Gleichgewicht der Strahlung und der freien Elektronen. Er stützte sich dabei auf die Arbeiten Einsteins aus dem Jahre 1917, um im Rahmen der Quanten-Theorie die Beschreibung der Wechselwirkung von Elektron und Strahlung zu finden, bei der sich ein thermisches Gleichgewicht bilden kann. Der entsprechende Mechanismus musste eine Strahlung ergeben, die dem Gesetz von Planck entsprach, während die kinetischen Energien der Elektronen der Streuung von Maxwell-Boltzmann genügen mussten. Die elementare Wechselwirkung musste genau so sein, wie im Compton-Effekt. In den Resultaten von Pauli traten freilich bestimmte Paradoxa und Schwierigkeiten auf. Sie wurden später leicht mit Hilfe der Ideen von Einstein überwunden, die mit dem Doppelcharakter der Strahlung verbunden waren. Die Schlüsse von Pauli erwiesen sich als natürliche Verallgemeinerung der frühen Arbeiten Einsteins. Wenn man sich auf die Arbeiten Einsteins stützt, kann man auch die Erscheinung der Interferenz und der Diffraktion in der Struktur der Strahlung verstehen. „Einstein hat schon 263 lange die Meinung geäußert“, schrieb Klein, „dass man beide Aspekte der Strahlung - die Welle und das Teilchen - zu einer fundamental neuen Theorie vereinen muss ...“.50 Eine ernsthafte Etappe beim siegreichen Vormarsch der Ideen Einsteins über LichtQuanten waren die Arbeiten von Bose, der sich die Aufgabe gestellt hatte, die Gesetze unmittelbar aus der Hypothese Einsteins abzuleiten. Auf dieses Ziel waren auch die Arbeiten von de Broglie ausgerichtet. Er wollte das Gesetz von Planck aus der statistischen Mechanik der Licht-Quanten ableiten, ohne auf die Theorie des Elektromagnetismus zurückzugreifen. Im Ergebnis dieser Forschung kam ursprünglich die Streuung von W. Wien heraus. Aber Louis de Broglie stellt mit Bestimmtheit fest, dass er das Gesetz von Planck nur unter der Bedingung der Untersuchung der Strahlung als Mischung von Gasen erhalten kann, deren Quanten die Energien hv, 2hv, 3hv ... nhv haben. In seiner Hypothese über den Dualismus der Teilchenwelle stützte sich de Broglie konsequent auf die Ideen Einsteins. „Plötzlich hatte ich eine Erleuchtung“, schrieb er. „Ich war überzeugt, dass der Dualismus der Teilchenwelle, den Einstein in seiner Theorie der Licht-Quanten entdeckt hatte, absolut allgemein ist und die gesamte physikalische Welt erfasst, und es schien mir deshalb unzweifelhaft, dass die Ausbreitung der Welle mit der Bewegung eines Teilchens beliebiger Art zusammenhängt - Photon, Proton und jedes anderen“.51 In diesem Fragment ist der Hauptinhalt der Dissertation von de Broglie widergespiegelt, die Einstein sehr hoch geschätzt hat. Der Grundgedanke von de Broglie war Einstein sehr nahe. Während Einstein die Eigenschaft des Teilchens der Strahlung zuschrieb, hat de Broglie die Wellen-Eigenschaft der Materie anerkannt. Die Wellen der Materie mit der Frequenz v und der Länge waren mit der Energie der Teilchen E und der Quantität der Bewegung P durch die Gleichungen E=hv, P=h/lambda verbunden. Auf der Basis dieser Gleichungen konnte de Broglie die Quanten-Bedingungen von Bohr-Sommerfeld erklären, die sich als Bedingungen der Resonanz für die Wellen der Materie erwiesen, wenn sich die entsprechenden Teilchen in einer Bahn bewegen. Die Idee der Teilchenwelle von de Broglie war revolutionär. Viele Zeitgenossen haben sie schwer verstanden. „Für Einstein“, schrieb Klein, „dessen Ideen für de Broglie die Ausgangspunkte waren, passten die Wellen der Materie natürlich in das allgemeine Bild. Seine Berechnungen des Quanten-Gases, die er anstellte, als er sich mit der Dissertation von de Broglie bekanntgemacht hatte, erbrachten tatsächlich neue Beweise für die Unterstützung der Idee von de Broglie“.52 In seinen Arbeiten hat Einstein die Gedanken von de Broglie entschieden unterstützt. Daran hat sich de Broglie selbst erinnert. „Die wissenschaftliche Welt jener Zeit“, schrieb er, „hat auf jedes Wort von Einstein gehört, denn er befand sich damals auf der Höhe seines Ruhmes. Indem er auf die Wichtigkeit der Wellenmechanik hinwies, hat der berühmte Gelehrte sehr viel für die Beschleunigung ihrer Entwicklung getan. Ohne seinen Artikel hätte man meine Dissertation erst viel später richtig eingeschätzt“.53 264 Im Weiteren sind die Ideen von de Broglie dauerhafter Bestandteil der physikalischen Wissenschaft geworden. Die Vorstellungen von den Wellen der Materie wurden von Elsasser zur Erklärung des Versuches von Ramsauer genutzt, der entdeckte, dass Elektronen, die durch das Feld um einige Volt beschleunigt werden, eine anomal große Laufbahn in inerten Gasen haben. Dieser Effekt ist hervorragend auf der Grundlage der Formel von de Broglie erklärbar. Was die Bedeutung der Arbeiten Einsteins zur Begründung der Teilchenwelle betrifft, so schrieb Elsasser: „Auf Umwegen über die statistische Mechanik erhielt Einstein vor kurzem ein hervorragendes physikalisches Ergebnis. Und zwar zeigte er die Glaubwürdigkeit der Annahme, dass man mit jeder Vorwärtsbewegung des materiellen Teilchens ein Wellen-Feld verbinden kann, wobei die Eigenschaft dieses Feldes durch die Kinematik des Teilchens bestimmt wird. Die Hypothese derartiger Wellen, die schon vor Einstein von de Broglie aufgestellt wurde, erhält eine solche kräftige Unterstützung dank der Theorie Einsteins, dass es vernünftig erscheint, ihre experimentelle Bestätigung zu suchen“.54 So erkämpfte sich die Idee der Teilchenwelle einen festen Platz in der Physik. Von ihr ging Schrödinger aus, als er die Wellen-Gleichung der Quantentheorie schuf. „Deshalb“, schreibt Klein, „war er gut darauf vorbereitet, die Stärke und Novität der Theorie Einsteins einzuschätzen und zu erforschen, welche Schlussfolgerungen sich aus ihr ergeben“.55 Die Bedeutung der Idee der Teilchenwelle von de Broglie und Einstein ist groß für die Begründung der Quantenmechanik - sowohl historisch als auch logisch. In der Quantenmechanik hat die Wellen-Gleichung genau so eine Bedeutung wie der Wert und der Mehrwert in „Kapital“ von Marx. Während Marx die Entstehung des Mehrwertes mittels der Entdeckung einer besonderen Ware - der Arbeitkraft - erklärt, wird in der Quantenmechanik die Wellenfunktion von der Korpuskularwellen-Natur der Materie abgeleitet. In diesem Zusammenhang muss betont werden, dass es von Anfang an bei der Wellenfunktion keine Mystik gab. Zu ihrem strengen theoretischen Verständnis war es notwendig, die besondere Natur des Mikroobjektes zu beachten, das sich kraft gegensätzlicher Wellen- und Korpuskular-Eigenschaften nicht dem klassischen Determinismus unterordnet, sondern spezifischen Gesetzen, in denen die Wahrscheinlichkeiten fundamentale Bedeutung haben. In Form der Wellen-Gleichung wurde die substantielle Gleichung der Quantenmechanik geschaffen. Ähnlich, wie Marx den Mehrwert unabhängig von Erscheinungsformen betrachtet (was die Folge der theoretischen, dialektischen Untersuchung ökonomischer Erscheinungen ist), wird in der Quantenmechanik die Wellenfunktion unabhängig von den Erscheinungsformen betrachtet. In der Wellenfunktion drückt sich der objektiv mögliche Zustand des Mikroobjektes vor der Messung mittels eines klassischen Gerätes aus. In diesem Zusammenhang hat die Feststellung von Fok einen tiefen Sinn, in der er strikt das Mögliche und das Wirkliche im Verhalten des Mikroobjektes unterscheidet. 265 In diesem Fall zeigte sich deutlich der Unterschied zwischen theoretischem Herangehen an wissenschaftliche Forschungen und empirischen Untersuchungen von Erscheinungen. In der empirischen Forschung hat das Verstehen jeden Faktes, Resultates des Experimentes eine sich selbst genügende Bedeutung. Aber es ist unzulässig, außerhalb dieser Erscheinungen nach etwas zu suchen. Im Gegensatz dazu bedeutet das theoretische Herangehen das Verstehen des Faktes oder einer Gruppe von Erscheinungen ihre Rückführung auf etwas Einheitliches, eine Substanz, deren Erscheinungsform sie sind. Da die Substanz, der einheitliche Ursprung der empirischen Form nicht unmittelbar entspricht, wird sie anfangs unabhängig von ihren Erscheinungsformen betrachtet. In der nichtrelativistischen Quantenmechanik werden nicht einfach Quantensprünge beschrieben, die Wechselbeziehungen der Unbestimmtheiten, Statistik u. a., sondern sie werden alle als Folge der Korpuskularwellen-Natur der Mikroerscheinungen betrachtet. In den theoretischen Überlegungen Foks über Möglichkeiten und Wirklichkeiten ist dem Wesen nach die Beziehung der Substanz, des Ursprungs zu den Erscheinungsformen erfasst. In der Wellen-Gleichung von Schrödinger, in der Wellenfunktion ist das Substantielle, das Wesen der Mikroerscheinungen aufgedeckt und widergespiegelt. In ihnen wird der objektive, potentiell mögliche Zustand des Mikroobjektes beschrieben. Die Wellenfunktion bezieht sich hauptsächlich auf das Verhalten der Mikroerscheinungen, die in reiner Form erforscht werden, d.h. unabhängig von Erscheinungsformen. Bei der Analyse des möglichen Zustandes kann man vom Einfluss des Makrogerätes auf das Verhalten der Mikroerscheinungen abstrahieren. In diesem Fall ist die Lage analog der theoretischen Analyse im „Kapital“ von Marx. Ursprünglich hat Marx die Genesis des Kapitals in reiner Form erforscht, er hat noch nicht die Einflüsse der Konkurrenz, den Kapitalfluss und die Wirkung des Gesetzes der mittleren Profitnorm beachtet. Deshalb widerspricht die Mehrwertnorm der Profitnorm. Alle diese Schwierigkeiten hat Marx im „Kapital“ gelöst. Auf dem Gebiet der Quantenmechanik haben wir das gleiche Bild. In der Wellen-Gleichung und in der Wellenfunktion ist der ideale, objektive Zustand des Mikroobjektes zu spüren, aber er fällt nicht mit dem Bild zusammen, das nach der faktischen Messung entsteht. Diese zwei Zustände unterscheiden sich voneinander wie das Mögliche vom Wirklichen, wie die Substanz von den Erscheinungsformen. Die Quantenmechanik ist eine theoretische Wissenschaft, die das ganzheitliche Bild der Quantenerscheinungen beschreibt; sie macht nicht bei der Aufdeckung des Ausgangspunktes, bei der Beschreibung von Mikroerscheinungen und ihrem mathematischen Ausdruck halt, sondern bemüht sich, das ganzheitliche Bild der Mikroerscheinungen zu verstehen. Bei aller seiner Bedeutung ist der Ursprung noch ein unentwickelter, möglicher, abstrakter Zustand des Objektes. Nur der theoretische Aufstieg vom Ursprung zum Resultat, vom Möglichen zum Wirklichen, vom Abstrakten zum Konkreten gibt die Möglichkeit, ein möglichst vollständiges, ganzheitliches Bild des erforschten Objektes zu verstehen und theoretisch auszudrücken. 266 ________________________ 1 Die Rede ist hauptsächlich von der speziellen Relativitätstheorie 2 Mandelstam L. I. Gesammelte Werke. M. 1950, Band V, S. 91 3 a. a. O., S. 92 4 Louis de Broglie Eine Revolution in der Physik. M. 1963, S. 65 - 66 5 Mandelstam L. I. Gesammelte Werke, Band V, S. 94 6 a. a. O., S. 120 7 a. a. O., S. 141 8 Lorentz H. A. Theorie der Elektronen. M. 1956, S. 247 9 Einstein A. Sammlung wissenschaftlicher Werke, Teil 1, S. 414 10 a. a. O. 11 Lorentz H. A. Theorie der Elektronen. S. 284 12 a. a. O., S. 293 13 a. a. O., S. 438 14 Born M. die Physik im Leben meiner Generation. M. 1963, S. 318 15 a. a. O., S. 322 16 Louis de Broglie. Eine Revolution in der Physik. S. 66 -67 17 Einstein A. Sammlung wissenschaftlicher Werke, Band 1, S. 686 18 Born M. Die Physik im Leben meiner Generation, S. 318 19 a. a. O., S. 415 20 Marx K., Engels F. Werke, Band 23, S. 6 21 Born M. die Physik im Leben meiner Generation, S. 327 22 Es muss bemerkt werden, dass Einstein in seinen späteren Artikeln immer die Bedeutung des Versuches von Michelson betont hat. So sagte er in einer seiner Vorlesungen 1921 zu den Versuchen, die keinen Einfluss der Vorwärtsbewegung der Erde auf elektromagnetische und optische Erscheinungen aufgezeigt haben: „Die wichtigsten dieser Versuche sind die von Michelson und Morley.“ (Einstein A. Sammlung wissenschaftlicher Werke, Band 2, S. 22) 23 Einstein A. Sammlung wissenschaftlicher Werke, Band 1, S. 685 24 a. a. O., S. 65 - 67, 138 - 144, 410 - 415 usw. 25 a. a. o., S. 540 26 a. a. O. 27 Kusnezow B. G. Gespräche über die Relativitätstheorie. M. 1965, S. 122 28 Born M. Die Physik im Leben meiner Generation, S. 322 29 a. a. O., S. 320 - 321 30 Das Relativitätsprinzip, M. - L. 1935, S. 23 267 31 Mandelstam L. I. Werke Band V, S. 173 - 174, 200 - 201 32 a. a. O., S. 181 33 Einstein A. Sammlung wissenschaftlicher Werke. Band 2, S. 25 34 Marx K., Engels F. Werke. Band 38, S.177 35 Zitiert aus: Die Entwicklung der modernen Physik. M. 1964, S. 60 36 Philosophische Probleme der modernen Naturwissenschaft. M. 1959, S. 213 37 a. a. O. 38 Marx K., Engels F. Ausgewählte Werke. Band II, M. 1955, S.442 39 Philosophische Probleme der modernen Naturwissenschaft, S. 221 40 a. a. O. 41 a. a. O., S. 222 42 a. a. O., S. 220 43 a. a. O., S. 227 44 Marx K., Engels F. Werke. Band 23, S. 80 - 81 45 Einstein - Sammelband. M. 1966, S. 213 46 a. a. O., S. 214 47 Einstein A. Sammlung wissenschaftlicher Werke. Band III, S. 181 48 Einstein - Sammelband, S. 219 49 a. a. O., S. 215 50 a. a. O., S. 234 51 a. a. O., S. 241 52 a. A. O., S. 242 53 a. a. O., S. 248 54 a. a. O., S. 249 55 a. a. O., S. 250 268