Impfungen bei Chronikern, immunsupprimierten und

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Impfungen bei Chronikern, immunsupprimierten
und immunseneszenten Patienten
Lehrtext
1. Einleitung
3
2. Chroniker und Immunsupprimierte
3
2.1 Patienten mit chronischem Nierenversagen und Hämodialyse ......................................................3
2.2 Hämato-onkologische Patienten ....................................................................................................4
2.3 Patienten nach allogener Knochenmark- und Blutstammzelltransplantation .......................................6
2.4 Patienten nach Organtransplantation ............................................................................................7
2.5 Funktionelle Asplenie und Splenektomie .......................................................................................7
2.6 Impfungen bei HIV .........................................................................................................................8
2.7 Impfungen unter immunsuppressiver Therapie bei Patienten mit
rheumatologischen und Autoimmun-Erkrankungen .......................................................................9
2.8 Weitere Maßnahmen ....................................................................................................................10
3. Immunseneszente Patienten
10
3.1 Vorbemerkung .............................................................................................................................10
3.2 Immunseneszenz .........................................................................................................................10
2.3 Impfen bei Immunseneszenz..........................................................................................................11
Fußnotenverzeichnis
Die Fortbildung wird unterstützt durch die folgenden Kooperationspartner:
Bayerischer Hausärzteverband (BHÄV), Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte e.V. (bvkj)
Forum Impfen e. V., RG - Kongresse - Tagungen - Events
2
12
1. Einleitung
Das Immunsystem kann durch eine Vielzahl von angeborenen,
erworbenen oder therapieassoziierten Faktoren geschwächt
sein. Der Einsatz von immunmodulatorischen und immunsuppressiven Medikamenten bei rheumatologischen und onkologischen Erkrankungen hat zusammen mit steigenden Zahlen bei
Organ- und Blutstammzelltransplantationen zu einer Zunahme
von immunsupprimierten Patienten in der ambulanten Versorgung geführt. Diese Patienten stellen durch ein individuell erhöhtes Risiko für schwere und komplizierte Infektionserkrankun-
gen, ihrer meist schwächeren Immunantwort auf die Vakzinierung sowie durch Krankheit und Therapie bedingten speziellen
Impfstrategien eine Herausforderung für den behandelnden Arzt
dar. Sowohl Impfschutz als auch Impfrisiko hängen von der
Grunderkrankung und der immunsuppressiven Therapie ab. Im
Folgenden sollen verschiedene Patientenkollektive mit relevanter Immunsuppression hinsichtlich ihrer Besonderheiten bei Immunantwort, Kontraindikationen und Zeitmanagement der Impfung vorgestellt werden.
2. Chroniker und Immunsupprimierte
2.1 Patienten mit chronischem Nierenversagen und Hämodialyse
Bei Patienten mit (prä-)terminalem Nierenversagen unter Hämodialyse besteht durch Übertragung von Blut oder Blutbestandteilen ein erhöhtes Risiko für eine Hepatitis B-Infektion. Jedoch
konnten mehrere Studien in diesem Patientenkollektiv ein abgeschwächtes Ansprechen auf eine Immunisierung, zum Beispiel
gegen Hepatitis B, zeigen.1,2 Die Ursache liegt möglicherweise in
einer verminderten Produktion von Antigen-spezifischen Effektor Gedächtnis CD4(+) T-Zellen, welche eine zentrale Rolle bei
der Entwicklung einer adäquaten humoralen Antwort spielen.1
Deshalb ist für diese Patientengruppe ein mit 40 μg (gegenüber
20 μg) höher dosierter Impfstoff zugelassen, der nach dem 0-16 Monatsimpfschema appliziert wird. Dabei sollten regelmäßige
Titerkontrollen (Ziel > 10 IE/l) und, falls nötig, eine Auffrischung
erfolgen. Für Hämodialysepatienten wird zudem eine Immunisierung gegen Influenza, Pneumokokken und je nach Alter und Komorbiditäten noch weitere Impfungen empfohlen.2
3
2.2 Hämato-onkologische Patienten
Für Patienten mit einer hämato-onkologischen Erkrankung besteht neben einer Immunsuppression durch die Grunderkrankung
auch durch die Therapie ein erhöhtes Infektionsrisiko. Dies ist
prinzipiell während und nach einer Chemotherapie, Therapie mit
monoklonalen Antikörpern und/oder Bestrahlung besonders erhöht. Nachdem der Erfolg einer Impfmaßnahme von der Funktionsfähigkeit des B- und T-Zellsystems abhängt, wird im Allgemeinen von Impfmaßnahmen während oder unmittelbar nach einer
Chemotherapie abgeraten. Eine Ausnahme bildet hier die Impfung gegen Influenza, die mindestens zwei Wochen vor Beginn
einer Chemotherapie oder zwischen Chemotherapiezyklen appliziert werden kann.2 Bei Patienten mit soliden Tumoren wurde
dabei in klinischen Studien für die Influenzavakzine eine bessere
Immunantwort nachgewiesen als bei Patienten mit Lymphom
oder Multiplem Myelom.3 Prinzipiell hängen sowohl Zeit und
Ausmaß der Immunsuppression von der Grunderkrankung und
der Art und Dauer der Chemotherapie ab. Beispielsweise wurde
für den Antikörper Rituximab, der sich gegen CD-20 positive BZellen richtet, bei einer Studie mit 67 Patienten nach Immunchemotherapie bei keinem ein protektiver Impftiter gefunden.4 In
einer weiteren Arbeit konnte auch sechs Monate nach Therapieabschluss eine deutlich niedrigere Immunantwort nachgewiesen
werden.5 Die STIKO empfiehlt daher, für Totimpfstoffe ein Inter-
4
vall von drei Monaten nach Abschluss einer Chemotherapie abzuwarten. Die Applikation von Lebendimpfstoffen wird für Patienten empfohlen, die sich zwölf Monate nach Abschluss einer intensiven Chemotherapie in Remission befinden und eine ausreichende Lymphozytenzahl von >1500/μl aufweisen.6
Für die Masern-, Mumps- und Rötelnimpfung (MMR) besteht die
Gefahr eines Verlustes des erworbenen Impfschutzes durch eine
Chemotherapie. Während der Therapie oder einer nicht in Remission befindlichen Erkrankung sind jedoch Lebendimpfstoffe, wie
bereits erwähnt, generell kontraindiziert.3,6 Die Indikation zur Masernimpfung wird daher im Allgemeinen durch Titerbestimmungen nach Abschluss einer Chemotherapie bei in Remission befindlicher Erkrankung gestellt.3
Invasive Pneumokokkeninfektionen sind in diesem Patientenkollektiv mit einer hohen Letalität behaftet, welches vor allem durch
einen funktionellen Antikörpermangel erklärt werden kann. Dies
gilt besonders für Patienten mit Leukämie, Hodgkin-Lymphom und
Multiplem Myelom. Die STIKO rät Patienten mit hämatologischer
Erkrankung eine Immunisierung mit einem Pneumokokken-Konjugatimpfoff zum Zeitpunkt vor Therapiebeginn.6 Nachdem meist
Diagnosestellung und Therapiebeginn zusammenfallen scheint
dies wenig praktikabel. Eine Impfung sollte dann frühestens drei
Monate nach Therapieabschluss bei in Remission befindlicher
Erkrankung erfolgen.7 Für Patienten mit soliden Tumoren wird
eine Impfung mit einem Pneumokokken-Konjugatimpfstoff nach
Abschluss der systemischen Chemotherapie empfohlen.3,6
Grundimmunisierung gibt es jedoch keine offizielle Empfehlung
für Patienten mit hämato-onkologischer Grunderkrankung. Um
so mehr sollte Wert auf die frühzeitigen Auffrischimpfungen für
Tetanus in Kombination mit Diphtherie und azellulärer Pertussis
insbesondere bei Angehörigen gelegt werden.
Für Haemophilus influenzae Typ b besteht ebenfalls ein erhöhtes Infektionsrisiko in diesem Patientenkollektiv. Für Patienten
mit Hodgkin-Lymphom oder Leukämie wurde im Vergleich zu
Gesunden eine abgeschwächte Impfantwort beobachtet. Die
STIKO empfiehlt eine Impfung bei Patienten mit Hodgkin-Lymphom und Kindern mit akuten Leukämien, wenn möglich zehn
bis 14 Tage vor Therapiebeginn oder mehr als drei Monate nach
Therapieabschluss.6 Einschränkend muss erwähnt werden, dass
derzeit kein für Erwachsene zugelassener Impfstoff zur Verfügung
steht.6
Empfehlungen für eine Vakzinierung gegen Meningokokken bestehen vor allem für Patienten nach Splenektomie beziehungsweise funktioneller Asplenie. Auf dieses Patientenkollektiv wird
aufgrund der hohen Infektionsgefahr und Letalität gesondert
eingegangen.
Speziell für die Tetanus-Impfung wird aufgrund einer eingeschränkten Immunantwort bei hämato-onkologischen Patienten ein verkürztes Impfintervall von fünf Jahren empfohlen.3
Eine Infektion mit Varizellen durch eine endogene Reaktivierung
ist eine häufige und mit einer hohen Letalität vergesellschaftete
Komplikation bei hämato-onkologischen Patienten. Nachdem
der VZV-Impfstoff bislang nur als Lebendimpfstoff verfügbar ist,
darf eine Impfung bei als immunsupprimiert geltenden Patienten
nicht angewendet werden. Auch bei Angehörigen besteht eine
Einschränkung für diesen Impfstoff, da Virusübertragungen auf
immunsupprimierte Patienten beschrieben wurden.8
Patienten mit einer chronisch lymphatischen Leukämie (CLL)
kommt durch eine lange klinisch stabile Phase und einem vergleichsweise spätem Beginn einer Chemotherapie eine Sonderrolle innerhalb dieses Patientenkollektivs zu. Jedoch besteht durch
die Grunderkrankung und eine häufig im Verlauf auftretende Hypogammaglobulinämie ein erhöhtes Infektionsrisiko. Obwohl es
derzeit keine spezifischen Impfempfehlungen gibt empfehlen
einige Autoren eine frühzeitige Vakzinierung gegen Pneumokokken und jährlich gegen Influenza. Eine Impfung gegen VarizellaZoster wird trotz häufiger klinischer Manifestation aufgrund fehlender Daten zur Sicherheit nicht empfohlen.2
Abschließend besteht die Herausforderung in der Betreuung und
Behandlung dieses Patientenkollektivs in der Prävention von Infektionserkrankungen sowie Erhaltung und Erhöhung bestehender Antikörperkonzentration entsprechend der normalgesunden
Bevölkerung.
Derzeit wird von einer Zunahme von Pertussisinfektionen bei Jugendlichen und Erwachsenen berichtet.9 Außerhalb der regulären
5
2.3 Patienten nach allogener Knochenmark- und Blutstammzelltransplantation
Eine allogene Knochenmark- oder Blutstammzelltransplantation
führt zu einem partiellen oder sogar vollständigen Verlust des
Impfschutzes. In den ersten drei bis zwölf Monaten nach Transplantation sind B-Zellen massiv erniedrigt oder fehlen vollständig.
Eine erniedrigte Anzahl an T-Zellen findet sich je nach Alter und
Konditionierungstherapie in den ersten drei Monaten. Die Dauer
der Immunrekonstitution nach Transplantation hängt dabei von
der Grunderkrankung, der Konditionierungstherapie, von Nebeneffekten wie der Graft-versus-Host-Erkrankung und Art und Dauer
der medikamentösen Immunsuppression ab und kann bis zu zwei
Jahre dauern.3,10,11
Für die meisten Patienten wird eine erneute Primärimmunisierung
sechs Monate nach allogener Knochenmark- oder Blutstammzelltransplantation empfohlen, wobei bevorzugt konjugierte Impfstoffe eingesetzt werden. Mit den empfohlenen Impfstoffen wird
auch unter Immunsuppression ein Impferfolg erreicht, welcher
jedoch serologisch überprüft werden sollte. Lebendimpfstoffe
dürfen dagegen frühestens zwei Jahre nach Transplantation in
Rücksprache mit dem Transplantationszentrum und in Abwesenheit einer medikamentösen Immunsuppression und einer chronischen Graft-versus-Host-Erkrankung eingesetzt werden. Zusätzlich ist auf eine ausreichende Lymphozytenzahl (>1500/μl)
zu achten.
Eine jährliche Influenza-Impfung ist je nach Jahreszeit und epidemiologischem Auftreten bereits nach vier Monaten möglich.
In dieser Situation sollte eine erneute Applikation nach vier Wochen erfolgen.10,11 Für eine Varizella-Zoster-Impfung besteht derzeit eine Kontraindikation nach alloHSZT. Ergebnisse aus klinischen Studien zur Sicherheit und Effektivität müssen abgewartet werden.2,10,12
6
2.4 Patienten nach Organtransplantation
Im Vorfeld einer Organtransplantation wird der Impfstatus von
potentiellen Kandidaten durch das betreuende Transplantationszentrum überprüft und gegebenenfalls aufgefrischt. Nachdem
Lebendimpfstoffe nach Transplantation unter immunsuppressiver
Therapie in der Regel kontraindiziert sind, sollten diese nach Möglichkeit vor der Transplantation appliziert werden.13 Im Gegensatz zur alloHSZT bleibt der Impfschutz auch nach einer Transplantation durch vorangegangene Impfungen erhalten. Jedoch
führt eine immunsuppressive Therapie mit Glukokortikoiden und
Calcineurininhibitoren zu einer Schwächung der B- und T-ZellFunktion, was nicht nur zu einem erhöhtem Risiko für Infektionserkrankungen führt, sondern auch eine verminderte Impfantwort
auf nachfolgende Impfungen bedeuten kann. In den ersten sechs
bis zwölf Monaten nach Transplantation sind daher Impfungen
bei meist mehrfacher immunsuppressiver Therapie nicht sinnvoll. Die Bedenken, dass eine Vakzinierung durch lymphozytäre
Proliferation eine Organabstoßung triggern könnte, haben sich
für Totimpfstoffe in Studien nicht bestätigt.14 Derzeit wird die
Impfung mit Tetanus, Diphtherie, Polio, Hepatitis A, Hepatitis B,
und Pneumokokken (1-2 x Konjugat-Impfstoff, dann 23-valenter
Polysaccharid-Impfstoff) empfohlen.2,6,15 Für die jährliche Influenzaimpfung wurden in Studien bei Patienten nach Nierentransplantation deutlich reduzierte Ansprechraten gefunden.16 Nachdem jedoch schwere Influenzainfektionen auch Abstoßungsreaktionen verursachen können, wird die jährliche Impfung von
Patienten und Kontaktpersonen dennoch empfohlen.
2.5 Funktionelle Asplenie und Splenektomie
Patienten mit funktioneller Asplenie (zum Beispiel Sichelzellanämie, Thalassämie, rezidivierende Milzinfarkte) oder nach Splenektomie haben ein lebenslang erhöhtes Risiko für schwere Infektionserkrankungen. Dies betrifft vor allem bekapselte Bakterien,
wie Streptococcus pneumoniae (Pneumokokken) Haemophilus
influenzae Typ B (HiB) und Neisseria meningitidis (Meningokokken). Diese Erreger können zu einem lebensbedrohlichen Postsplenektomiesyndrom (OPSI = overwhelming post-splenectomy
infection) mit einer Letalität von 38-69 Prozent führen.17 Das Lebenszeitrisiko dieser Patienten beträgt etwa fünf Prozent und kann
durch eine konsequente Impfstrategie deutlich reduziert werden.17
In bestimmten Fällen und hohem Risiko für ein OPSI wird zudem
eine Antibiotikaprophylaxe, die in erster Linie gegen Pneumokokken gerichtet ist, empfohlen. Dies betrifft vorwiegend Kinder unter fünf Jahren sowie Patienten mit funktioneller Asplenie, bei
denen nicht von einem ausreichenden Schutz durch die Pneumokokkenimpfung ausgegangen werden kann oder die zunächst
nicht geimpft werden konnten.2,17,18
In 50 bis 90 Prozent der Patienten mit Postsplenektomiesyndrom
sind Pneumokokken der verursachende Erreger.18 Die Pneumokokkenimpfung ist daher als Präventionsmaßnahme von zentraler Bedeutung. Bei Kindern bis einschließlich des vierten Lebensjahrs sollte die Grundimmunisierung mit dem PneumokokkenKonjugatimpfoff (PCV-13) erfolgen. In Abhängigkeit von Lebensalter und Impfstatus können spätere Auffrischungsimpfungen
mit PSV-23 durchgeführt werden. Erwachsene und Kinder ab dem
fünften Lebensjahr können mit PCV-13 oder PSV-23 immunisiert
werden. Für alle Patienten mit Asplenie sind Auffrischungsimpfungen für PSV-23 alle fünf Jahre empfohlen.
Die Grundimmunisierung für Meningokokken besteht bei Kindern
aus dem Konjugatimpfstoff (MCV-C). Für Jugendliche ab dem
elften Lebensjahr und Erwachsene steht ein neuer, 4-valenter
Konjugatimpfstoff der Serotypen A, C, W135 und Y zur Verfügung.
Aufgrund einer durch die Verfügbarkeit des Kapsel-Konjugatimpfstoffs (HibCV) sehr niedrigen Kolonisierungsrate in der Allgemeinbevölkerung ist die heutige pathogenetische Bedeutung von Haemophilus influenzae für das Postsplenektomiesyndrom unklar.
Soweit noch nicht als Kind erhalten, besteht hinsichtlich einer
Impfung mit HibCV von Patienten mit Asplenie eine STIKO- Empfehlung. Eine Auffrischungsimpfung ist dabei nicht erforderlich.
Leider ist jedoch kein Impfstoff für Erwachsene zugelassen. Patienten mit Asplenie sollten zudem die jährliche Influenzaimmunisierung erhalten. Haben Patienten beispielsweise aufgrund
einer Notfalloperation nach Trauma vor Splenektomie oder vor
der Neudiagnose einer funktionellen Asplenie keine Impfung beziehungsweise Auffrischimpfung erhalten, sollten die Vakzinierungen schnellstmöglich nachgeholt werden.2,6,17-19
Die aktuelle Leitlinie sowie Impfempfehlungen und weitere Informationen zur Infektionsprophylaxe bei Asplenie stehen unter
http://asplenie-net.org/ zur Verfügung.
7
2.6 Impfungen bei HIV
HIV-positive Patienten sind im Allgemeinen durch ihre Grunderkrankung immunsupprimiert und haben hierdurch ein erhöhtes
Risiko, an impfpräventablen Infektionen zu erkranken. Unter hochaktiver antiretroviraler Therapie (HAART) ist die Replikation des
HI-Virus gehemmt. In der Regel führt dies zu einem Anstieg der
CD4-positiven T-Zellen, der naiven und B-Zellen und der Memory-B-Zellen. Dies sind wichtige Voraussetzungen für die Entwicklung einer humoralen und zellulären Immunität gegen T-Zell-abhängige und –unabhängige Antigene. HAART verbessert so die
Dauerhaftigkeit und das Ausmaß einer durch Infektion und/oder
Impfung entstandenen Immunantwort.20 Zur Nutzen-Risiko-Abschätzung von Impfungen bei HIV-positiven Patienten liegen bislang keine publizierten Studien vor. Weltweit empfehlen Leitlinien
und Fachgesellschaften ein proaktives Impfmanagement für
Totimpfstoffe. Abhängig vom Immunstatus, welcher mittels CD4Bestimmung abgeschätzt werden kann, können auch Lebendimpfstoffe verabreicht werden. Eine MMR-Immunisierung wird
für HIV-positive und Masern-seronegative Erwachsene ab einem
CD4+-Count von >200/μl empfohlen. Gegen das Varizella-Zoster-Virus (VZV) sollte frühzeitig eine Immunisierung mit zwei Impfungen im Abstand von drei Monaten erfolgen, wenn der CD4+Count mehr als 25 Prozent der Gesamtlymphozytenzahl beträgt.2,6,21
Aufgrund der erhöhten Rate an Hepatitis B-Infektionen und
einem erhöhten Risiko für eine Chronifizierung ist eine Hepatitis
B-Impfung dringend und frühzeitig indiziert. Eine vierte Dosis
kann laut STIKO-Empfehlung gegebenenfalls appliziert werden,
wobei laut einer Studie bei über 11.000 HIV-positiven Patienten
8
nur rund 55 Prozent aller Teilnehmer drei und mehr Impfungen
erhalten hatten.22
Seit dem Einsatz von HAART sind invasive Pneumokokken-Erkrankungen seltener geworden. Im Vergleich zu HIV-negativen
Individuen sind sie allerdings immer noch erhöht, sodass eine
Impfung von der STIKO als indiziert angesehen wird. Beide verfügbaren Impfstoffe bieten Schutz vor Infektionen mit Pneumokokken bei guter Verträglichkeit. In den derzeit gültigen STIKOHinweisen zu Impfungen für Patienten mit Immundefizienz aus
dem Jahre 2005 wird aufgrund einer besseren Immunantwort
der Konjugat-Impfstoff (PCV-7) empfohlen. Dies betrifft Patienten mit einem niedrigen CD4+ Count (< 200/μl). Generell ist
die Impfantwort unter 500/μl deutlich abgeschwächt. In der
Britischen Leitlinie (2008) wird für Patienten mit > 200/μl CD4+
Zellen der Polysaccharidimpfstoff (PPV-23) empfohlen.21,23
Des Weiteren wird HIV-infizierten Patienten ab dem sechsten
Lebensmonat eine Immunisierung gegen Influenza empfohlen.
Hierzu gibt es keine Einschränkung bei niedrigem CD4+ Count,
jedoch ist bei einem CD4 Count <100/μl mit einer schlechteren Impfantwort zu rechnen.6,23
Nachdem für HIV-infizierte Männer und Frauen ein erhöhtes Risiko HPV-assoziierter Neoplasien besteht, wäre eine prophylaktische und/oder therapeutische Impfung gegen das humane papilloma Virus (HPV) plausibel.2 Die Datenlage zur Sicherheit und
Effektivität der verfügbaren Impfstoffe ist derzeit jedoch noch
nicht ausreichend, um eine generelle Empfehlung auszusprechen.2,23
2.7 Impfungen unter immunsuppressiver Therapie bei Patienten mit rheumatologischen und
Autoimmun-Erkrankungen
Chronisch entzündliche Erkrankungen gehen häufig mit einer
zellulären Abwehrschwäche einher. Für Patienten mit Autoimmunerkrankungen, rheumatischen Erkrankungen oder chronisch entzündlichen Darmerkrankungen besteht daher im Vergleich zu
gesunden Individuen ein erhöhtes Infektionsrisiko.24 Zusätzlich
zu den empfohlenen Grundimmunisierungen profitieren diese
Patienten von einer Immunisierung gehen Pneumokokken und
gegen die saisonale Influenza. Für Patienten unter laufender immunsuppressiver Therapie besteht, den allgemeinen STIKO-Empfehlungen entsprechend, prinzipiell eine Kontraindikation gegen
Lebendimpfstoffe. Dies betrifft Therapien mit hoch dosierten
Glukokortikoiden (mehr als 20 mg Prednisolonäquivalent pro Tag),
Methotrexat (MTX), Ciclosporin A, Leflunomid, Cyclophosphamid,
Azathioprin, Mycophenolat-Mofetil, sowie sogenannte Biologicals,
wie die Tumornekrosefaktor-Alpha-Inhibitoren Etanercept, Infliximab und Adalimumab. Während einer Therapie mit Sulfasalazin, Chloroquin, Goldpräparaten, Penicillamin und niedrig dosier-
ten Glucocorticoiden (weniger als 20 mg pro Tag) sind Lebendimpfungen aufgrund einer geringeren Immunsuppression möglich.24 Soweit bei diesen Patienten planbar, sollten ausstehende
Impfungen mit Lebend-Impfstoffen etwa vier Wochen vor dem
Behandlungsbeginn oder mindestens drei Monate nach Beendigung der Therapie verabreicht werden.6,24 In diesem Patientenkollektiv besteht häufig zusätzlich die Sorge, dass eine Impfung
weitere Krankheitsschübe auslösen könnte.25 Eine Aktivierung
der Grunderkrankung oder Verschlechterung konnte in großen
Studien bisher jedoch nicht nachgewiesen werden.26 Im klinischen
Alltag besteht in diesem Patientenkollektiv eine geringe Impfrate:
In einer Umfrage von 204 Patienten mit chronisch entzündlichen
Darmerkrankung gaben nur 45 Prozent an, gegen Tetanus geimpft zu sein. Eine Influenza-Impfung hatten 28 Prozent und eine Pneumokokken-Vakzinierung neun Prozent erhalten. Bei 18
Prozent der nicht-geimpften Patienten wurde Angst vor Nebenwirkungen als Grund angegeben.27
9
2.8 Weitere Maßnahmen
Um eine innerfamiliäre Übertragung zu vermeiden, sollten zudem
den nahen Angehörigen alle empfohlenen Impfungen angeraten
werden. Eine Einschränkung besteht für eine Impfung gegen Varizella-Zoster-Virus. Hier ist von Übertragungen auf stark immunsupprimierte Patienten berichtet worden.3 Die Impfempfehlungen für das familiäre Umfeld gilt insbesondere für Patienten, bei
denen der Impferfolg aufgrund der Immunsuppression und/oder
Grunderkrankung gering zu erwarten beziehungsweise schwer
vorhersehbar ist oder bei denen bestimmte Lebendimpfungen
kontraindiziert sind. Für diese Patienten stellt eine konsequente
und umfassende Impfung aller möglichen Kontaktpersonen in
der Umgebung eine äußerst wichtige Schutzmaßnahme dar.
3. Immunseneszente Patienten
3.1 Vorbemerkung
Ein adäquater Impfschutz älterer Personen stellt eine besondere
Herausforderung für den impfenden Arzt dar. Die Immunseneszenz im Alter spielt hier eine entscheidende Rolle. Im Rahmen
immunologischer Prozesse schwächt sich die Funktion des körpereigenen Immunsystems ab. Die Folge ist neben einer erhöhter Mortalität und Morbidität bei Infektionskrankheiten auch eine eingeschränkte Immunantwort bei Impfungen. In Studien an
älteren Menschen konnten nicht nur niedrigere spezifische Antikörpertiter nach einer Impfung, sondern auch ein schnelleres
Absinken der Antikörperkonzentration nachgewiesen werden.
Trotzdem lässt sich durch gezielte Impfungen ein guter Schutz
gegen viele Erkrankungen, die besonders im Alter relevant sind,
erzielen. Auch durch hohe Durchimpfungsraten bei Kindern und
jüngeren Erwachsenen lässt sich durch Herdenimmunität ein
wirksamer Schutz für Ältere, zum Beispiel im Bereich der Pertussisimpfung, erreichen. Gerade bei Älteren ist es wichtig, die
häufig vernachlässigten Standardimpfungen (zum Beispiel Tetanus) regelmäßig durchzuführen.
3.2 Immunseneszenz
Die Immunseneszenz betrifft sowohl das unspezifische angeborene als auch das erworbene lymphozytenbasierte Immunsystem.28 Neutrophile, Makrophagen, dentritische Zellen, natürliche
Killerzellen, B-Zellen und T-Zellen sind betroffen, wobei sich weniger die Phagozytosekapazität und die Anzahl der Zellen als die
Funktionalität der Zellen reduziert. Rezeptorabhängige Funktionen wie Chemotaxis, Superoxidproduktion oder Apoptosis verringern sich mit zunehmendem Alter deutlich.
Eine entscheidende Rolle für die Impfung spielen die T-Lymphozyten. Durch deutliche Abnahme des Thymusgewebes reduziert
sich die Anzahl naiver T-Lymphozyten, die darüber hinaus nur
noch eine eingeschränkte Funktionsfähigkeit besitzen.29 Dagegen akkumulieren hochspezifische T-Effektorzellen, wodurch die
10
Kapazität des adaptiven Immunsystems deutlich reduziert wird.
Als Auslöser werden lebenslange Antigenstimulation im Rahmen
subklinischer Infekte, zum Beispiel bei persistierenden Infektionen mit CMV oder Herpes Zoster, vermutet.28,30
Im Alter reduziert sich auch die Anzahl naiver B-Zellen bei
gleichzeitigem Anstieg der B-Effektorzellen. Die Folge ist eine
nur noch eingeschränkte humorale Immunreaktion bei geringerer Variabilität der Immunantwort durch B-Zellen.30 Auch die
Kommunikationsfähigkeit zwischen B- und T-Zellen schwächt
sich mit zunehmendem Alter ab. In der Folge kann das Immunsystem auf neue Antigene nicht mehr adäquat und flexibel reagieren. Dies wird zum Beispiel als Ursache für die Erkrankung
an Varizellen-Zoster (Gürtelrose) diskutiert.
3.3 Impfen bei Immunseneszenz
Neben gehäuften akuten wie chronischen Erkrankungen resultiert
aus der Immunseneszenz auch eine reduzierte Immunantwort auf
Impfungen.31 Die Antikörperreaktion ist vermindert und eine induzierte Immunität wird schneller abgebaut. Sowohl Erstimpfungen als auch Boosterimpfungen sind von den immunseneszenzbedingten Veränderungen betroffen.30 Bei vielen impfpräventablen Erkrankungen ist sowohl die Mortalität als auch die Morbidität in der vulnerablen Gruppe der älteren Menschen hoch, weshalb
eine adäquate Immunisierung hier besonderen Stellenwert hat.32
Epidemiologische Studien sprechen für eine Wirkung von Impfungen auf Mortalität und Morbidität bei Älteren.33,34 Da die Älteren eine wachsende Gruppe in der Bevölkerung sind, wurde in
den letzten Jahren ein Schwerpunkt im Bereich der Impfungen
auf diese Thematik gelegt. Die Impfempfehlungen wurden von der
STIKO angepasst. So werden inzwischen insbesondere die Impfungen gegen Grippe und Pneumokokken für alle Personen ab
60 Jahren empfohlen.35 Mit alternativen Applikationswegen, neuen Adjuvantien, höheren Antigendosen und virosomalen Impfstoffen versuchen die Pharmaunternehmen eine verstärkte Immunantwort zu induzieren und die Effektivität der Impfungen bei
Älteren zu steigern.
Influenza
In den letzen zehn Jahren hat sich bei den Älteren eine eher
schlechte Durchimpfungsrate um die 50 Prozent gezeigt.36 Die
von der WHO geplante Zieldurchimpfungsrate von 75 Prozent bis
zum Jahr 2010 wurde nicht erreicht.37 Im Rahmen der Immunseneszenz reduziert sich die Impfeffektivität deutlich. Nach Influenzaimpfung konnte bei geimpften Personen über 65 Jahren eine
Reduktion der Mortalität um 48 Prozent sowie eine Reduktion
von Krankenhauseinweisungen wegen Grippe oder Pneumonie
um 27 Prozent nachgewiesen werden.38 Es stehen einfache Spaltimpfstoffe sowie virosomale und adjuvantierte Spaltimpfstoffe
aus Oberflächenantigen zur Verfügung. In Studien konnten mit
einem intradermalen Impfstoff bei allerdings erhöhten lokalen
Nebenwirkungen deutlich höhere Seroprotektionsraten erzielt
werden als mit intramuskulärer Gabe.39 Durch die STIKO wird eine
jährliche Impfung im Herbst mit einem Impfstoff mit der von der
WHO empfohlenen Antigenkombination als Standardimpfung für
alle Personen ab 60 Jahren empfohlen. Die jährliche Impfung
sollte auch bei gegenüber der vorhergehenden Saison unveränderter Antigenzusammensetzung des Impfstoffs, wie in der Saison 2011/2012, erfolgen. Es wird davon ausgegangen, dass eine
jährliche Impfung die Immunantwort verbessert, da sich bestehende hohe Antikörpertiter positiv auf den Antikörpertiter nach
Impfung auswirken.40
Alter in vollendeten Jahren
60
Erstimpfung
Jährlich
61
Wiederimpfung
Pneumokokken
Von der STIKO wird für Personen ab 60 Jahre eine einmalige
Impfung gegen Pneumokokken mit einem 23-valenten- Pneumokokken-Polysaccharidimpfstoff empfohlen. Zur Wiederholungsimpfung, außer bei besonderen Indikationen, wird derzeit nicht
geraten.35 Da es sich um einen Polysaccharidimpfstoff handelt,
lässt sich keine T-Zellantwort induzieren. Die Impfung wird damit
auch nicht zur Boosterung empfohlen. Nach Impfung wird ein
zirka 60-prozentiger Schutz gegen invasive Verläufe postuliert.41
Insbesondere bei älteren Patienten ist jedoch mit einer mit dem
Alter ansteigenden deutlich schlechteren Immunantwort und einer
rasch abfallenden protektiven Wirkung zu rechnen.42 Trotzdem
ist die Impfung auch in Bezug auf die Kosteneffektivität sinnvoll. 43
Seit 2011 ist ein konjugierter 13-valenter Pneumokokkenimpfstoff für Erwachsene ab 50 Jahren zugelassen. Eine Empfehlung
diesbezüglich liegt seitens der STIKO noch nicht vor. Inwieweit
die geringere Anzahl an Serotypen die Vorteile der Impfung
(Boosterfähigkeit, T-Zell-Antwort) aufwiegt, ist noch nicht ausreichend geklärt.
Durch eine Kombination von Grippe und Pneumokkenimpfung
lässt sich eine additive Wirkung auf Hospitalisierungsraten und
Mortalität erzielen.
Alter in vollendeten Jahren
60
Standardimpfung
Alle 6 Jahre
66
Wiederimpfung
11
Zoster
Die Immunseneszenz scheint hier eine bedeutende Rolle zu spielen, da eine endogene Reaktivierung des in Ganglien persistierenden Herpes-Zoster-Virus bei Älteren besonders häufig auftritt.
Ein Impfstoff wurde für Personen über 50 Jahre entwickelt und
zugelassen. In Studien ließ sich eine signifikante Reduktion der
Erkrankungsrate, der Erkrankungsschwere sowie des Risikos für
eine Postzosterneuralgie um mehr als 50 Prozent nachweisen.
Schwere Nebenwirkungen konnten nicht beobachtet werden. 44,45
Auch hier ist bei zunehmendem Alter mit einer reduzierten Immunantwort zu rechnen. Der Impfstoff ist trotz Zulassung in
Deutschland aktuell nicht verfügbar.
Fußnotenverzeichnis
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Hinweis:
Wenn aus Gründen der Lesbarkeit die männliche Form eines Wortes genutzt wird („der Arzt“),
ist selbstverständlich auch die weibliche Form („die Ärztin“) gemeint.
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Impressum
Herausgeber:
Kassenärztliche Vereinigung Bayerns
Elsenheimerstraße 39
80687 München
www.kvb.de
Autor:
Dr. med. Clemens Gießen
Redaktion, Grafik und Layout:
Bereich Versorgungsentwicklung,
Stabsstelle Kommunikation
Bilder:
iStockphoto.com (Titelseite,
Seite 4, 6, 9) .
Stand:
März 2012
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