Justiz im Nationalsozialismus Unterrichtseinheiten für die Sekundarstufe 1 von Arnulf Heinemann und Wilfried Knauer Übersicht Walerjan Wróbel. Ein 15jähriger Junge aus Polen Walter Lerche. Ein Richter am Sondergericht Braunschweig Walerjan Wróbel – ein 16jähriger Junge aus Polen (1) Ein Einstieg mit dem Bild des Walerjan Wróbel als Folie erscheint sinnvoll. Dabei sollte die Bildunterschrift mit dem Hinweis auf die Kriminalpolizeistelle (KPLST) Bremen abgedeckt bleiben und später hinzugezogen werden. Zunächst können Eindrücke gesammelt werden (Walerjan erscheint naiv, unschuldig, kindlich). Sinnvoll wäre eine Erweiterung mit der Kurzbiografie des jungen Polen, dabei sollte schon auf die Tat hingewiesen werden. Die Tat und die Biografie könnten verschiedene Fragen provozieren: Wieso konnte ein 15jähriger Junge zur Zwangsarbeit abtransportiert werden? Gefühle...Heimweh Welche „Rechtsgrundlagen“ gab es? Wiederholung: Was geschah in Polen nach dem Überfall? In einer 10. Klasse kann davon ausgegangen werden, dass Überlegungen und Kenntnisse aus dem Politik-Unterricht eingebracht werden können. So könnten folgende Fragen besprochen werden: Konnte Walerjan die eventuellen Folgen seiner Tat abschätzen? Wäre Walerjan nach heutigem Stand verantwortlich, und welche Strafe würde ihn erwarten? (2) In der folgenden Erarbeitungsphase wird das Urteil untersucht. Deutlich müsste die mehrfache Rechtsbeugung durch das Sondergericht werden: Jugendliche konnten nach dem Jugendgerichtsgesetz nicht mit dem Todesurteil bestraft werden. Darüber hinaus wurde mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft die Polenstrafrechtsverordnung auf Walerjan rückwirkend angewendet: Seine Tat geschah am 29. April, also mehr als ein halbes Jahr, bevor die Polenstrafrechtsverordnung erlassen worden ist. Entlastende Aspekte (Walerjan ist voll geständig und „in seiner geistigen Entwicklung etwas zurückgeblieben“) werden bei der Urteilsfindung nicht herangezogen. Aufgaben: 1. Erarbeitet das Motiv des Walerjan und die Urteilsbegründung des Gerichtes! 2. Untersucht, inwieweit das Urteil in sich widersprüchlich ist! (3) In Anschluss an die Auswertung bietet sich folgende Fragestellung an, die auch als Rollenspiel denkbar ist: Annahme: Einer der Richter ist gegen die Verhängung der Todesstrafe gewesen. Versetzt Euch in die Lage dieses Richters, der - selbst Vater eines knapp 16jährigen Jungen - für eine mildere Strafe plädiert, und führt aus dessen Sicht ein Streitgespräch mit den beiden anderen Richtern! (4) Hausaufgabe/Vertiefende Aufgabe: Schreibt aus der Sicht des einen Richters, der gegen die Verhängung der Todesstrafe ist, einen Brief an seine Frau, der er über den Fall und die Ablehnung des Gesuches berichtet! Quellen: Staatsarchiv Bremen und Gedenkstätte Neuengamme Bild von Wóbel Kriminalpolizei Auszug aus dem Urteil des Sondergerichtes Bremen vom Juli 1942 Im Namen des Deutschen Volkes! Urteil in der Strafsache gegen den landwirtschaftlichen Arbeiter Walerjan Wrobel, geboren am 2. April 1925 in Falkow (Polen), wegen Verbrechen nach § 3 der Volksschädlingsverordnung und gegen Ziffer II,III,XIV der Polenstrafrechtsverordnung. Der Angeklagte wird wegen Verbrechens nach § 3 der Volksschädlingsverordnung zur Strafe des Todes und in die Kosten der Verfahrens verurteilt. (...) Die Erklärung des Angeklagten, der im übrigen voll geständig ist, er habe geglaubt, er werde nach Hause geschickt, wenn er die Scheune abbrenne, hat nur dann einen Sinn, wenn er davon ausging, das Wohnhaus werde mit abbrennen; die Scheune allein nützte ihm nichts. Der Angeklagte musste aber auch trotz seiner Jugend erkennen und hat nach Über-zeugung des Gerichts auch erkannt, dass beim Abbrennen der Scheune auch das Wohnhaus abbrennen werde, und hat diesen Erfolg gewollt, denn sonst würde er sein Vorhaben nicht durchgeführt haben, nachdem er es schon seit Mittag plante. Er hat mithin ein Gebäude, welches zur Wohnung von Menschen dient, vorsätzlich in Brand gesetzt. Dazu genügt nach herrschender Rechtssprechung die Inbrandsetzung der Scheune mit dem Willen, dadurch auch das Haus in Brand zu setzen. Er hat sich mithin des Verbrechens der Brandstiftung nach § 306 Z. 2 Str(af)G(esetz)-B(uch) schuldig gemacht. Damit hat er aber zugleich ein Verbrechen nach § 3 der Volksschädlingsverordnung begangen. Danach wird mit dem Tode bestraft, wer eine Brandstiftung begeht und dadurch die Widerstandskraft des deutschen Volkes schädigt. Die Widerstandskraft des deutschen Volkes wird im Sinne der Verordnung auch dann geschädigt, falls sie nur gefährdet wird; das ist eine ständige Rechtsprechung. Eine solche Gefährdung liegt vor. Die Bewirtschaftung eines jeden größeren Bauernhofes ist und war schon im April 1941 nicht nur kriegswichtig, sondern der Wegfall einer solchen Bauernwirtschaft auch für nur eine nicht ganz unerhebliche Zeit bedeutete bei der damaligen Versorgungslage eine Gefährdung der Widerstandskraft des deutschen Volkes. (...) Der Angeklagte hat trotz seiner Jugend und trotzdem er in seiner geistigen Entwicklung etwas zurückgeblieben zu sein scheint, nach der Überzeugung des Gerichts die Einsicht besessen, die Folgen für die Widerstandskraft des deutschen Volkes zu erkennen. Er hat mindestens damit gerechnet. Er hat sie in Kauf genommen, wenngleich er sie nicht anstrebte. Damit liegen die Voraussetzungen des § 3 der V.Sch.V. gegen den Angeklagten vor. Das Gesetz kennt als Strafe nur die Todesstrafe. Der Angeklagte ist zwar noch jugendlich im Sinne des Jugendgerichtsgesetzes, er hatte bei Begehung der Tat gerade das 16. Lebensjahr vollendet, aber das Jugendgerichtsgesetz findet auf ihn als Polen keine Anwendung. Die Bestimmungen des deutschen Jugendgerichtsgesetzes sind lediglich für den jungen Deutschen geschaffen, um ihn durch Erziehungsmaßnahmen zu einem ordentlichen Volksgenossen zu formen. (...) Den Angeklagten als Polen musste von daher trotz seiner Jugend von 16 Jahren zur Zeit der Tat zwangsläufig die Todesstrafe treffen, da eine andere Strafe nach § 3 der Volksschädlingsverordnung nicht vorgesehen ist. Die Polenstrafrechtsverordnung findet auch rückwirkend Anwendung. Das ergibt sich bereits daraus, dass die Staatsanwaltschaft Anklage erhoben hat. Das Gericht musste daher auf Todesstrafe erkennen." Walerjan Wróbel - Biografie 2. April 1925 Geboren in Falków, Polen 1. Sept. 1939 Deutschland überfällt Polen, Beginn des Zweiten Weltkrieges 1941 Abtransport des knapp 16jährigen Walerjan Wróbel zur Zwangsarbeit ins Deutsche Reich 19. April 1941 Arbeit auf einem Bauernhof bei Bremen 29. April 1941 Nach erfolglosem Fluchtversuch - aus Heimweh - zündete er einen Strohhaufen in einer Scheune an. Festnahme durch die Gestapo und anschließend “Schutzhaft" Juni 1941 Einlieferung in das Konzentrationslager Neuengamme bei Hamburg Juli 1942 Urteil des Sondergerichts Bremen gegen Wróbel auf Grundlage der "Volksschädlingsverordnung" und der "Polenstrafrechtsverordnung" 25. August 1942 Hinrichtung Wróbels in der Untersuchungsanstalt Hamburg November 1987 Aufhebung der Sondergerichtsurteils gegen Walerjan Wróbel durch das Landgericht Bremen . Walter Lerche – ein Richter am Sondergericht Braunschweig (1) Trotz des textlastigen Einstieges (Landeskirchliches Amtsblatt, 1962/Folie) kann wegen der Besonderheit (Todesanzeige) davon ausgegangen werden, dass sich ein Unterrichtsgespräch entwickelt. Auffallend ist, dass genauere Informationen und Daten, insbesondere über Lerches Lebensweg vor 1945, ganz fehlen. Die SchülerInnen können nun Vermutungen anstellen. Sinnvoller erscheint es aber, die Biografie bis 1945 oder auch bis zum Tode Lerches vorzustellen. Eine Klärung des Begriffes Sondergericht muss an dieser Stelle erfolgen. Deutlich werden sollten bei der Untersuchung der Biografie die mindestens konservative Grundhaltung Lerches, der kein Nationalsozialist (Eintritt in die NSDAP erst im Mai 1933) gewesen ist, die Karriere bis 1944 und die Karriere nach 1945 trotz der Entlassung durch die Briten. Fragen zur Todesanzeige: Was erfahren wir über den Menschen Lerche? Was fehlt? Warum fehlt evtl. die Zeit vor 1945? (2) Da davon ausgegangen werden kann, dass die SchülerInnen sich über die Karriere nach 1945 wundern, soll in der Erarbeitungsphase das Verhalten Lerches an einem seiner Urteile untersucht werden. Um den Fall Paolin und das Urteil des Sondergerichtes Braunschweig/ Vorsitzender Richter Dr. Lerche verstehen zu können, werden wichtige Daten aus den Akten der staatsanwaltschaftlichen Untersuchungen über Paolin genannt. Auffallen dürfte den SchülerInnen unter anderem die unmenschliche Wortwahl des praktizierenden Christen Lerche („Volksschädling“, „Typ“, „unzuverlässige Elemente“), der von einem „gerechten“ Urteil spricht, allerdings die Umstände - der Angeklagte versucht sich mit seinen Diebstählen am Leben zu erhalten - völlig außer Acht lässt. Aufgaben: 1. Welche Taten wurden begangen und wie wird das Urteil begründet? 2. Was fällt Euch an der Sprache des Urteils auf? 3. Wie bewertet Ihr das Urteil? (3) Im Anschluss an die Auswertung soll der Frage nachgegangen werden, ob Lerche zu Recht von den Briten entlassen worden ist und ob die Kirche wegen der Übernahme als Beamter der Landeskirche kritisiert werden kann. Der Lehrer muss spätestens an dieser Stelle darauf hinweisen, dass Lerche, wie auch die anderen Richter, nicht nur Todesurteile verhängt hat. Als Hausaufgabe könnten die SchülerInnen aufgefordert werden, eine neue Traueranzeige zu formulieren. Hinweis: Walter Lerche war am Sondergericht Braunschweig auch Richter über Erna Wazinski gewesen. Die 19jährige junge Frau wurde „wegen Plünderns“ hingerichtet. Sie hatte nach einem schweren Bombardements nicht nur eigene Gegenstände aus dem Haus geborgen, in dem sie gewohnt hatte. Dazu gibt es eine eigene Unterrichtseinheit. Siehe Unterrichtseinheiten Sek. II. Dr. Walter Lerche - Biografie 7. Oktober 1901 Geboren in Vorsfelde 1919 Mitglied im Freikorps Marcker während der Niederschlagung Braunschweiger Rätegregierung Juli 1933 Ernennung zum Land- und Amtsgerichtsrat in Braunschweig Mai 1933 Eintritt in die NSDAP Juli 1037 Beförderung zum Landgerichtsdirektor 1939 Stellvertretender Vorsitzender des Sondergerichts Braunschweig Dezember 1944 Vorsitzender des Sondergerichts Mai 1945 Entlassung durch die Britische Militärregierung 1946 Wahl in den Landeskirchentag der Braunschweigischen evangelisch-lutherischen Landeskirche, Mitglied des Rechtsausschusses August 1947 Entlassung aus dem Justizdienst 1949 Mitglied der Generalsynode Oktober 1951 Übernahme als Beamter der Landeskirche Francesco Paolin - Biografie 2. Oktober 1926 Geboren in Italien 1943 Arbeit in einer Munitionsfabrik in Wittenberg September 1944: Flucht und am 3.10.1944: Festnahme 14. Oktober 1944 15. Oktober 1944 Nach erneuter Flucht Festnahme und am Einlieferung in das “Arbeits- und Erziehungslager" Hallendorf bei Salzgitter 6. November 1944 15.November1944 Erneute Flucht und am Festnahme; anschließend Anklage wegen 14 Einbrüche; Die besgut: Nahrungsmittel, Wäsche, Schuhe Einfügen: Traueranzeige und Todesurteil gegen Paolin